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Mitteilung aus einer vergangenen Welt. Frühe indische Buddhisten und ihre Inschriften
Author(s): Oskar von Hinüber
Source: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Vol. 164, No. 1 (2014),
pp. 13-32
Published by: Harrassowitz Verlag
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/10.13173/zeitdeutmorggese.164.1.0013
Accessed: 12-12-2016 10:42 UTC
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
Frühe indische Buddhisten und ihre Inschriften1
Von Oskar von Hinüber, Freiburg i. Br.
Nach einer etwa ein Jahrtausend währenden Blüte und einem darauf folgenden guten halben Jahrtausend des allmählichen Verfalls ist der Buddhismus in seinem Heimatland in Indien untergegangen, in Nordindien etwa im
13. Jahrhundert, im Süden erheblich später mit letzten Ausläufern, die bis in
das späte 17. und frühe 18. Jahrhundert hineinreichen.
Mit dem Untergang des Buddhismus verfielen die buddhistischen Klöster,
Texte wurden nicht mehr weitergegeben, das Abschreiben von Handschriften kam zum Erliegen, was in einem Klima wie dem indischen den schnellen
Verlust einer einstmals überaus reichen Literatur bedeutet. Allein aus zahlreichen Übersetzungen in das Tibetische oder Chinesische, aber auch aus
den Trümmern von Texten in iranischen Sprachen Zentralasiens kann man
sich ein Bild von dem einst unvorstellbaren Reichtum der buddhistischen
Literatur machen.
Zudem sind in der jüngsten Vergangenheit Fragmente von Hand­schriften
in den trockeneren Randgebieten im Nordwesten des indischen Kultur­
raumes gefunden worden, die sich teilweise sogar in die letzten Jahre oder
Jahrzehnte vor Christi Geburt datieren lassen und die dank ihres hohen
Alters von etwa 2000 Jahren einen unmittelbaren Blick in eine tiefe Ver­
gangen­heit erlauben, was zugleich die Kenntnisse der frühen Entwicklung
des Buddhismus beträchtlich erweitert.2
­1 Der Text des Eröffnungsvortrages des XXXII. Deutschen Orientalistentages in
Münster, der am 23. September 2013 gehalten wurde, ist nur behutsam überarbeitet, und die
Form des Vortrages ist beibehalten. Auf die Beigabe der weitaus meisten der 40 Abbildungen, die den Vortrag begleiteten, mußte verzichtet werden. Verweise auf die ein­schlägige
Literatur mögen einen wenigstens notdürftigen Ersatz bieten. – Die Abkürzungen von
Pāli-Texten folgen dem in den Epilegomena zu Critical Pāli Dictionary (CPD) Band I und
in der Consolidated List of Abbreviations zu CPD Band III festgelegten System.
­2 M. Allon: „Recent Discoveries of Buddhist Manuscripts from Afghanistan and Pakistan and Their Significance.“ In: K. Perry (Hrsg.): Art, Architecture and Religion along
the Silk Roads. Turnhout 2008 (Silk Road Studies 12), S. 153–178 und M. Allon / R. Salomon: „New Evidence for Mahāyāna in Early Gandhāra.“ In: The Eastern Buddhist NS
41 (2010), S. 1–22.
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Oskar von Hinüber
Sucht man heute in Indien selbst nach unmittelbaren Spuren des Buddhismus, so ist man auf die Archäologie angewiesen. Von einigen wenigen
Bauwerken haben sich bis in unsere Zeit hinein bedeutende Reste über Jahrhunderte unberührt erhalten, oder doch beinahe. Denn noch im Jahre 1797
haben die Engländer den Hügel, der den Stūpa von Amarāvatī bedeckt, unangetastet gesehen, kurz bevor ihn ein Großgrundbesitzer aufbrechen und
als Steinbruch für seine Bauwerke nutzen ließ. Glücklicherweise ist dennoch
manches geborgen, sorgfältig gepflegt und ausgestellt im Britischen Museum oder verstaubt und von Museumsbesuchern zerkratzt im Government
Museum in Madras.3
Mehr Glück wurde dem berühmten Stūpa von Sāñcī zuteil, den man nach
einigen Wiederherstellungen bekanntlich noch heute bewundern kann.
Die meisten buddhistischen Klöster müssen wie der Stūpa von Amarāvatī
freigelegt werden. Für etliche ist das geschehen, viele harren noch der Ausgrabung. Zusammen mit der Architektur kommen auch zahllose Bildwerke
wieder ans Tageslicht, die uns die Lebenswelt der Buddhisten veranschaulichen und so die Schilderungen der Texte ergänzen und illustrieren. Etliche
Bilder kann man aus den buddhistischen Texten ohne Schwierigkeiten verstehen (Abb. 1): Der reiche Laienanhänger des Buddha, Anāthapiṇḍika, möchte
dem Buddha und seinen Mönchen einen besonders schönen Park schenken, der
jedoch nicht ihm selbst, sondern dem Prinzen Jeta gehört. Dieser will seinen
Park nur hergeben, wenn Anāthapiṇḍika ihn gänzlich mit Geldstücken auslegt.
Ein lückenloses Auslegen mit Geld war damals leicht möglich, da die Geldstücke, die unbeschriebenen, so genannten „punch-marked coins“ viereckig
waren. Der Schenkungsakt selbst wird im alten Indien durch das Ausgießen
von Wasser aus einem bhṛṅgāra genannten Gefäß vollzogen.4 Die Anwesenheit
des Buddha wird nur angedeutet, dargestellt wird er in der frühen Zeit nicht.
Bei der Deutung des Bildes sind wir auf die Beischriften eigentlich nicht
angewiesen, die hier zu sehen sind und besagen: „Den Jetavana schenkt
Anāthapiṇḍika, den er durch das Ausbreiten von 10 Millionen gekauft hat“
(jetavana anādhapiḍiko deti koṭisaṃthatena ketā).
Auch die Bauwerke im Jetavana kennen wir aus der Literatur. Sie werden
in einem alten Text, dem Vinayapiṭaka, zusammen mit dem Kauf beschrieben.5 Dennoch sind wir den frühen Buddhisten auch hier für die Beischriften dankbar, durch die sie unmittelbar zu uns sprechen.
­3 R. Knox: Amarāvatī. Buddhist Sculpture from the Great Stūpa. London 1992, C. Sivaramamurti: Amarāvatī sculptures in the Madras Government Museum. Madras 1942
(Bulletin of the Madras Government Museum. New Series. General Section Vol. IV)
[Nachdr. 1998].
­4 A. Wezler: Bhṛṅgāra in Sanskrit Literature. Aligarh 1987 (Aligarh Oriental Series 8).
­5 Vin II 158,31–159,21.
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
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Abb. 1
Denn die Buddhisten waren, sobald es denn Schrift in Indien gab, ganz
anders als die Brahmanen, sehr schreibfreudig. Schon die ältesten epigraphischen Zeugnisse aus Indien, die erst spät im 3. vorchristlichen Jahrhundert
einsetzen, als entsprechende alte Schriftzeugnisse selbst aus Europa wie die
Dipylon-Kanne aus dem Kerameikos (Κεραμεικός) in Athen schon beinahe
ein halbes Jahrtausend alt waren (8. Jh. v. Chr.), oder die Forumsinschrift aus
Rom (6. Jh. v. Chr.) immerhin mehrere Jahrhunderte, von den Zeugnissen
aus der mykenischen Zeit in Linear B, aus dem alten China auf den Orakelknochen der Chou-Dynastie oder gar aus dem alten vorderen Orient ganz
zu schweigen.
Aber anders als in der europäischen Antike setzten die Inschriften in Indien nicht mit wenigen, kurzen Sätzen ein, sondern wie mit einem Pauken­
schlag mit einem eindrucksvollen umfangreichen Textcorpus, das Aśoka
auf Felsen oder Säulen in zwei verschiedenen Schriften schreiben ließ.6 Die
­6 O. von Hinüber: Der Beginn der Schrift und frühe Schriftlichkeit in Indien. Stuttgart
1989 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abhandlungen der geistesund sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1989, Nr. 11) [Bespr.: R. Schmitt, Die Sprache 34
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Oskar von Hinüber
aus dem Aramäischen abgeleitete Kharoṣṭhī-Schrift verwendet Aśoka im
Nordwesten, im Gebiet des untergegangenen Achämeniden-Reiches, die in
Indien selbst entwickelte Brāhmī-Schrift im übrigen Reichsgebiet.7 In seinen umfangreichen Texten belehrt Aśoka seine Untertanen und sucht sie in
einer moralischen Lebensführung zu unterweisen. In Indien stehen diese
Inschriften für sich allein. Kein späterer Herrscher schreibt Ähnliches.
Um aber diese Inschriften zu verstehen, um sie der Wissenschaft nutzbar
zu machen, war und ist ein langer Weg zu beschreiten. Trivial ist es, auf den
ersten, schwierigsten Schritt hinzuweisen, die Entzifferung der längst untergegangenen alten Schriften. Denn seit weit mehr als einem Jahrtausend waren
die Zeichen in Indien nicht mehr lesbar, auch das ganz anders als in Europa:
Uns macht es keine sonderliche Schwierigkeit, eine griechische oder lateinische
Inschrift aus der Antike zu lesen. Die Schrift Aśokas mußte dagegen der gelehrte englische Verwaltungsbeamte James Prinsep (1799–1840) entziffern, was
erst im Jahre 1837 gelang, womit die Tür zur Welt der altindischen, d. h. für die
älteste Zeit zugleich zur buddhistischen Epigraphik aufgestoßen wurde.
Aus dieser ältesten Form der Brāhmī-Schrift hat sich dann allmählich
die Fülle der heutigen indischen Schriften herausgebildet, die sich seit etwa
2000 Jahren sehr weit auseinander entwickelt haben.8 Bei dem Umgang mit
Inschriften oder Handschriften ist es daher notwendig, eine größere Zahl
ganz verschiedener Schriften zu beherrschen, die sich in der Regel viel stärker unterscheiden als etwa die lateinische und die kyrillische Schrift.
Soweit ein kurzer Blick auf den Hintergrund, vor dem jede Beschäftigung mit der buddhistischen Epigraphik Indiens zu betrachten ist.
Worum soll es nun aber im Folgenden gehen? Allgemein gesagt, um die
Möglichkeiten und Grenzen, die Mittelungen, die uns die Buddhisten in ihren Inschriften hinterlassen haben, zu verstehen. Wer nun erfreut, vielleicht
(1988/1990), S.  408 f.; K. R. Norman, JRAS 3 (1993), S. 277–281; F. F. Schwarz, OLZ 88
(1993), Sp. 559–563; P. Kieffer-Pülz, Göttingische Gelehrte Anzeigen 246 (1994), S. 207–
224; Minoru Hara, IIJ 38 (1995), S. 71–76; R. Salomon, JAOS 115 (1995), S. 271–279].
­7H. Falk: Aśokan Sites and Artefacts. A Source-Book with Bibliography. Mainz 2006
(Monographien zur indischen Archäologie, Kunst und Philologie 18) [Bespr.: P. Bernard,
Académie des Inscriptions & Belles-Lettres. Comptes Rendus des Séances de l’Année 2007
(2009), S. 1395–1401; G. Fussman, JA 296 (2008), S. 157–163; R. Salomon, JAOS 128 (2008
[2009]), S. 795–797; K. Karttunen, Studia Orientalia 107 (2009), S. 375 f.; R. Schmitt,
ZDMG 159 (2009), S. 236–238; O. v. Hinüber, IIJ 53 (2010), S. 39–46; M. Willis, JRAS
3rd Series 22 (2012), S. 187 f.].
­8 Einen allgemeinen Überblick über die Schriften Indiens gibt F. Nowotny: „Schriftsysteme in Indien.“ In: Studium Generale 20 (1967), S. 527–547, vgl. ferner H. Falk: Schrift
im alten Indien. Ein Forschungsbericht mit Anmerkungen. Tübingen 1993 (Scriptoralia
56) [Bespr.: Georges Pinault, BEI 11/12 (1993/1994), S. 435–437; A. Parpola, AO 56
(1995), S. 259–268; R. Salomon, JAOS 115 (1995), S. 271–279; J. W. de Jong, IIJ 39 (1996),
S. 67–70; W. Slaje, WZKS 42 (1998), S. 198 f.].
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
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auch erschreckt einem hochintellektuellen, komplizierten Methodendiskurs
entgegenblickt mit vielfältigen und umständlichen Erwägungen darüber,
was man alles eigentlich tun sollte, könnte, müsste, um sich der Welt der
buddhistischen Inschriften mit größter methodischer Umsicht anzunähern,
der wird enttäuscht werden – oder darf erleichtert aufatmen, je nach dem.
Denn es wird nur um die Praxis, um schlichtes epigraphisches Handwerk
gehen, um das mühselige Geschäft des täglichen Kampfes mit den Inschriften, der jedoch zu wirklich neuen Erkenntnissen führen kann, wie die in
der Tat beeindruckenden Fortschritte während der vergangenen Jahrzehnte
deutlich machen.
Dieser Erkenntnisfortschritt wird ganz wesentlich durch die gewaltige
Zunahme der Zahl der bekannten Inschriften gefördert. Das ist am besten
nachvollziehbar für die Inschriften aus den nordwestlichen Gebieten der indischen Kultur, die Kharoṣṭhī-Inschriften, wie zwei schlichte Zahlen zeigen.
Im Jahre 1929 konnte Sten Konow in der Sammlung aller damals bekannter
Kharoṣṭhī-Inschriften 96 Nummern verzeichnen.9 Heute sind 915 Inschriften bekannt,10 die meist in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten ans
Tageslicht gekommen sind. Sie sollen hier nicht berücksichtigt werden, weil
die Masse der buddhistischen Inschriften unbedingt nach Einschränkung
verlangt: Wenn es zudem viel bessere Kenner dieser besonderen Materie gibt,
sollte sich man sich mit Überlegungen zu diesem Gebiet zurückhalten. Denn,
wie alle wissen, die nach Adolf Friedrich Stenzlers (1807–1887) trefflichem Lehrbuch Sanskrit gelernt haben, gilt nach Bhartṛharis Nītiśataka:
sarvavidāṃ samāje vibhūṣaṇaṃ maunam apaṇḍitānām „In einer Versammlung von Sachkennern ist Schweigen ein Schmuck für Ungelehrte.“11
Diesem beherzigenswerten Rat sollte man mit einer Beschränkung auf den
Teilbereich der alten buddhistischen Epigraphik in Brāhmī-Schrift folgen.
Was also teilen uns die Buddhisten in ihren Inschriften mit? Wichtig war
Mönchen wie Laien vor allem anderen eines festzuhalten, was und wie reich
sie gespendet haben: Der genannte Anāthapiṇḍika ist eines von vielen leuchtenden Beispielen, die die alte kanonische Literatur späteren Buddhisten vor
Augen hält.
Nur mit Hilfe der Inschriften ist jedoch nachprüfbar, daß diese Er­
munterung zu spenden bei den Anhängern des Buddha keineswegs auf
 
­9 S. Konow: Kharoṣṭhī Inscriptions with the exception of those of Aśoka. Calcutta
1929 (Corpus Inscriptionum Indicarum Vol. II,1).
­10 Zählung von Stefan Baums und Andrew Glass, Seattle.
­11 O. Böhtlingk: Indische Sprüche: Sanskrit und Deutsch. 3 Bände. St. Petersburg
2
1870–1873 [Nachdr. Osnabrück 1966], Nr. 7352 = The Epigrams Attributed to Bhartṛhari.
Hrsg. Damodar Dharmananda Kosambi. Bombay 1948 (Singhi Jain Series 23),
Nītiśataka Vers 68.
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taube Ohren gefallen ist, sondern in ihrer Lebenswirklichkeit tatsächlich
einen wichtigen Platz einnahm und, so darf man hinzufügen, bei den Buddhisten der Gegenwart immer noch einnimmt.
Warum ist das Spenden für den buddhistischen Orden so wichtig? Der
Grund ist schlicht: Der buddhistische Mönchs- und später auch der Nonnenorden12 verstehen sich selbst als Bettelorden und die Bezeichnung für
„Mönch“ und „Nonne“ ist im Pāli bhikkhu und bhikkhunī, „Bettler“ und
„Bettlerin“. Der Orden ist also zum Überleben in allen Bereichen, von der
Nahrung bis zur Kleidung, von den Klöstern bis zu den Kultstätten, jedenfalls nach seinem ursprünglichen Selbstverständnis auf Spenden angewiesen.
Folgerichtig stehen unzählige Male in den 920 Inschriften aus Sāñcī Texte
wie: dhamakasa dānaṃ „Die Stiftung des Dharmaka“.
Der Gegenstand der Stiftung ergibt sich in der Regel aus dem beschriebenen Objekt. In Sāñcī sind es oft Teile des Zaunes, der den Stūpa umschließt,
Bauteile, die wohl nicht allzu viel gekostet haben und so vielen Buddhisten
die Teilhabe am Verdienst bei der Errichtung des Stūpas ermöglichten.
Gelegentlich wird mehr mitgeteilt als der nackte Name des Stifters. So
stehen auf zwei Säulenfragmenten, die in den Jahren 1999/2000 in Deorkothar (Madhyapradesh) ausgegraben sind, wohl zwischen 200 und 150 v. Chr.
datiert werden können und damit zu den sehr alten buddhistischen Inschriften zählen, längere Texte:13
[Des erhabenen Buddhas] Schüler Anuruddha, Anuruddhas Schüler Savvananda, Savvanandas Schüler … (zwei Namen sind verloren) … Schüler Disāgiri,
Disāgiris Schüler Bharaṇa, Bharaṇas Schüler … (zwei Namen sind verloren) …
[Schüler] Nātaka-Dhammagutta, Nātaka-Dhammaguttas Schüler … (zwei Namen sind verloren) … Schüler Dhammadinna, Dhammadinnas Schüler … (der
Name des Stifters ist verloren) … ließ eine Säule herstellen … usw.
Der Anfang dieser beschädigten Inschrift kann nach einer zweiten, ebenfalls in Deorkothar gefundenen Stiftung ergänzt werden, die wie folgt beginnt: „Des erhabenen Buddhas … (der Name des Schülers ist verloren) …“ –
es folgt ebenfalls eine Lehrer-Schüler-Kette bis zu Dhammadeva, der „eine
Säule errichten ließ“.
­12 O. von Hinüber: „The Foundation of the Bhikkhunīsaṃgha. A contribution to the
earliest history of Buddhism.“ In: Annual Report of the International Research Institute
for Advanced Buddhology 11 (2008), S. 2–29.
­13 O. von Hinüber / P. Skilling: „Two Buddhist Inscriptions from Deorkothar in
Madhya Pradesh.“ In: Annual Report of the International Research Institute for Advanced Buddhology 16 (2013), S. 13–26 mit wichtigen Ergänzungen von R. Salomon und
J. Marino: „Observations on the Deorkothar Inscriptions and Their Significance for the
Evaluation of Buddhist Historical Traditions.“ In: Annual Report of the International
Research Institute for Advanced Buddhology 17 (2014).
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Betrachtet man nur die wichtigsten Aspekte dieser verkürzt zitierten Inschriften, so ist die Aufzählung der Lehrer der beiden Stifter, die bis auf
den Buddha selbst zurückgeführt ist, ganz ungewöhnlich, ja einmalig. In
der ersten Inschrift ist der Name des unmittelbaren Schülers Buddhas, Anuruddha, erhalten, ein Mönch, der bei dem Nirvāṇa des Buddha anwesend
war, wie aus der literarischen Überlieferung bekannt ist.14
Hebt allein diese Tatsache die Inschrift als eine unmittelbare Verbindung
zum Buddha selbst als ganz einmalig heraus, so tritt ein weiteres hinzu.
Den Abstand zwischen Lehrer und Schüler kann man einigermaßen genau
abschätzen und damit die Zeitspanne wenigstens ungefähr ermitteln,15 die
zwischen dem zwar nur vermuteten, aber durchaus wahrscheinlichen Datum der Inschrift um 200 v. Chr. und dem Buddha liegt. Auch wenn diese
Berechnung nicht mehr als eine mehr oder weniger genaue Annäherung an
den tatsächlichen Zeitraum sein kann, so läßt sich eines doch mit Gewißheit ermitteln: Bis in das Jahr 480 v. Chr., das in der so genannten längeren
Chronologie angenommene Todesdatum des Buddha, reicht die errechnete
Zeitspanne in keinem Falle. Sie ist erheblich kürzer, und man gelangt wohl
ungefähr in eine Zeit zwischen etwa 400 und 380 v. Chr., in der der Buddha
und sein unmittelbarer Schüler Anuruddha noch am Leben waren, also etwa
in das Jahr 380 für das Nirvāṇa. Damit schließt diese Inschrift die lange
Chronologie deutlich aus und stützt zugleich die kurze Chronologie, die mit
dem Nirvāṇa eben um 380 v. Chr. rechnet, ohne jedoch in der Lage zu sein,
das Todesdatum des Buddha genauer zu bestimmen.
Dies ist ein erster wirklicher Fortschritt hinsichtlich der Datierung des
Buddha seit einer Tagung, die im Jahre 1988 unter dem Titel „Die Datierung
des historischen Buddha“ von Heinz Bechert durchgeführt wurde und
eben diesen Fragenkomplex umfassend aufgearbeitet hat.16
­14 Mahāparinibbānasuttanta, DN II 156,15–158,36.
­15 Nach der Mönchsweihe muß ein Mönch in der Regel 10 Jahre als Schüler (antevāsika,
Vinayapiṭaka I 61,5) bei einem älteren Mönch, dessen Eintritt in den Saṃgha mindestens
10 Jahre zurückliegt, als seinem Lehrer leben (ācariya, Vin I 60,33), mindestens aber 5
Jahre (Vin I 80,24). Da es frühestens im Alter von 20 Jahren möglich war, in den Orden
einzutreten (Vin I 78,30), konnte ein dreißigjähriger Mönch einen zwanzigjährigen aufnehmen, so daß der kleinste Altersunterschied zwischen Lehrer und Schüler zehn Jahre
betrug. Dennoch wird in der Wirklichkeit der Altersunterschied wohl höher gewesen sein,
vielleicht 15 bis 20 Jahre, was sich jedoch nicht mit Sicherheit ermitteln läßt.
­16 H. Bechert (Hrsg.): Die Datierung des historischen Buddha. 3 Bde. Göttingen
1991–1997 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologischhistorische Klasse. Dritte Folge. Nr. 189, 194, 222). Diese Sammel­bände haben ausführliche Besprechungen und weitere Untersuchungen angeregt: R. F. Gombrich, Göttingische
Gelehrte Anzeigen 246 (1994), S. 86–96 und L. S. Cousins: „The Dating of the Historical
Buddha: A Review Article.“ In: JRAS 3 rd Series 6 (1996), S. 57–63; K. R. Norman: „When
did the Buddha and the Jina die?“ In: Collected Papers. Vol. VII. Oxford 2001, S. 130–144;
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Damit ist diese neue Inschrift von erheblichem historischem Wert für die
Geschichte des Buddhismus, aber auch für die Geschichte des alten Indien
im Allgemeinen, da viele andere Daten eben von dem Todesdatum des Buddha abgeleitet werden.
Wie aber gewinnt man aus den Inschriften Mitteilungen wie diese wieder,
die Buddhisten machen, denen es vor allem darum geht, ihre Stiftertätigkeit fest zu halten, die für den einzelnen spendenden Buddhisten von ganz
anderer Bedeutung ist als für den empfangenden Mönchsorden. Denn Spenden sollen einer Verbesserung künftiger Wiedergeburten der Stifter dienen,
während sie für die Mönche die Lebensgrundlage bildeten. Die Inschriften
aber, deren alleiniges Ziel es ist, die Spenden festzuhalten, stellen auch viele
weitere wertvolle Nachrichten bereit, die die Buddhisten unbeabsichtigt
mitteilen, wenn sie mit ihren Inschriften jenseits der literarischen Überlieferung Einblicke in ihre Lebenswelt gewähren.
Welche Schritte sind nun notwendig, diese, wie man sagen könnte, überschüssigen oder zufälligen Nachrichten zu neuer Erkenntnis zu nutzen, welche Hindernisse stellen sich in den Weg?
Vor der Beantwortung der Frage, wie man zu Fortschritten gelangt,
sollten, ja müssen auch einige epigraphische Binsenweisheiten zur Sprache
kommen. Zunächst gilt es, den Zugang zum Text überhaupt zu öffnen. Also
müssen die Inschriften wie jede Handschrift auch gelesen, d. h. die jeweilige
Schrift sicher gedeutet werden. Die Vielfalt der indischen Schriften sei nachdrücklich ins Gedächtnis gerufen.
Wie man sich nun einer fremden Schrift nähern kann, beschreibt unnachahmlich ein nur leicht verkürztes Zitat aus E. T. A. Hoffmanns Goldenem
Topf:
Der Student Anselmus hatte schon öfters arabische Schrift kopiert, die erste
Aufgabe schien ihm daher nicht so schwer zu lösen. … In der Tat schrieb es sich
mit den Federn auch ganz herrlich und die geheimnisvolle Tinte floß rabenschwarz und gefügig auf das blendend weiße Pergament. Als er nun so emsig
und mit angestrengter Aufmerksamkeit arbeitete, wurde es ihm immer heimlicher in dem einsamen Zimmer, und er hatte sich schon ganz in das Geschäft,
welches er glücklich zu vollenden hoffte, geschickt, als auf den Schlag drei
Uhr ihn der Archivarius in das Nebenzimmer zu dem wohl bereiteten Mittagsmahl rief. … Der gute alte Rheinwein schmeckte dem Anselmus gar sehr
und machte ihn gesprächiger als er wohl sonst zu sein pflegte. Auf den Schlag
vier Uhr stand er auf, um an seine Arbeit zu gehen. … War ihm schon vor dem
Essen das Kopieren der arabischen Zeichen geglückt, so ging die Arbeit jetzt
noch viel besser von statten, ja er konnte selbst die Schnelle und Leichtigkeit
Wijaya Dissanayake: A Revision of Dating the Buddha. A Triumph of Median Chronology of the Dīpavaṃsa. Colombo 2010.
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nicht begreifen, womit er die krausen Züge der fremden Schrift nach­zuahmen
vermochte. – Aber es war, als flüsterte aus dem innersten Gemüte eine Stimme
in vernehmlichen Worten: „Ach! Könntest du denn das vollbringen, wenn
du sie nicht in Sinn und Gedanken trügest, wenn du nicht an sie , an ihre
Liebe glaubtest?“ … Und so wie er voll innern Entzückens die Töne vernahm,
wurden ihm immer verständlicher die unbekannten Zeichen – er durfte kaum
mehr hinblicken in das Original – ja es war, als stünden schon wie in blasser
Schrift die Zeichen auf dem Pergament, und er dürfe sie nur mit geübter Hand
schwarz überziehen.
Nun sollte man aus diesem hübschen Abschnitt aus einer romantischen
Novelle nicht den voreiligen Schluß ziehen, daß sich die Einsicht in fremde
Schriften gleichsam von selbst einstelle, wenn nur der Epigraphiker einer guten Flasche Rheinweins zuspricht und sich dazu verliebt: Ganz so einfach
und angenehm ist die Epigraphik leider nicht. Sie erfordert schon genaues
Hinsehen, aber, wie im Goldenen Topf durchaus richtig bemerkt, auch eine
gute Portion Intuition. Denn die Wörter einer Inschrift erscheinen in der
Regel leider nicht gleichsam als Schatten bereits vorgezeichnet auf dem Papier.
Die Transkription muß bekanntlich der Inschrift oft abgerungen ­werden.
Dies ist umso schwieriger, je kürzer die zu entziffernde Inschrift ist. Der
persönliche Duktus des Schreibers kann die Klarheit der Schrift erheblich
verdunkeln, und wenn seltene Zeichen in einem seltenen Wort in einer ungewöhnlichen Gestalt erscheinen, kann es schwierig werden, den Lautwert zu
bestimmen. Denn Schreiber malen schließlich ebenso wenig Schrifttabellen
ab, wie wir uns heute, soweit wir überhaupt noch mit der Hand schreiben,
in Schönschrift üben: Das Problem mag die bekannte Anekdote von jenem
Studenten beleuchten, der sich in einer Prüfung stets auf den Philosophen
„Kaut“ beruft, weil er bei seiner Vorbereitung allein die handschriftliche
Vorlesungsmitschrift eines Kommilitonen benutzte, der das -n- im Namen
Kant in der dem -u- ähnlichen Form geschrieben hatte.
Was hier allenfalls zur Erheiterung oder Erbitterung der Prüfer geführt
haben mag, kann bei dem Lesen einer Inschrift schwerwiegende Folgen haben. Das mag ein einfaches Beispiel verdeutlichen. In der Ausgabe einer Stifterinschrift stößt man auf eine seltsame Deutung der folgenden Zeichenfolge:17
]s[e]sehi ca nīgasaṃbaṃdhivagehi ekatahetuno „… for the union [of the
emancipated*] with the class (of people) fettered with (their) evils“.
Wenn die Deutung einer schlichten buddhistischen Stiftungsinschrift in
eine so rätselhaft tiefsinnig klingenden Übersetzung mündet, sollte man
immer auf der Hut sein: Denn nach aller Erfahrung wird dergleichen nicht
gesagt, auch hier nicht. Das Wort ekatahetuno ist schlecht geschrieben und
­17 S. Sankaranarayan: „Kesanapalli Inscription of Chantamula, Year 13.“ In: Epigraphia Indica 38 (1980/1982), S. 313–318.
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Oskar von Hinüber
Photo: Ch. Luczanits
Abb. 2
daher falsch gelesen. Richtig ist ekato hātuna „alle zusammen“; das seltsame
niga-° ist eine hyperkorrekte Schreibung für mittelindisch niya < skt. nija
„eigen“. Der Satz bedeutet folglich ganz schlicht: „und mit der Schar seiner
übrigen eigenen Verwandten, alle zusammen“.
Hier haben ein unklares Schriftbild und eine fehlerhafte Lesung in Verbindung mit einer mangelhaften sprachlichen Deutung das richtige Verständnis verhindert, das sich aber besonders durch die Betrachtung einer
parallelen Formulierung leicht herstellen läßt.18 Zugleich zeigt dieses Beispiel, daß es nicht selten notwendig ist, daß Inschriften mehrmals gelesen
werden, wobei sich das richtige Verständnis oft nur allmählich einstellt.
Es ist also nicht immer einfach, auch eine ganz schlichte Inschrift zu verstehen. Nicht selten führt erst ein Blick auf das kulturelle Umfeld, in dem
die Inschrift steht, auf den richtigen Weg. Dies mag ein Beispiel aus dem vor
wenigen Wochen veröffentlichten Inschriften-Corpus von Kanaganahalli
zeigen.19
­18 O. von Hinüber: „A second inscription from Phanigiri: Dhammasena’s Donation.“
In: Annual Report of the International Research Institute for Advanced Buddhology 15
(2012), S. 3–10, Plates 1–2, bes. S. 4 (Zeile 9): ekato hātūna.
­19 K. P. Poonacha: Excavations at Kanaganahalli (Sannati, Dist. Gulbarga, Karnataka). Delhi 2011 [Impressum: „published 2013“] (Memoirs of the Archeological Survey
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
In Kanaganahalli nahe Sannati, einem Ort, an dem erst im Jahre 1989 ein
neues Fragment einer Aśoka-Inschrift
gefunden worden ist,20 hat der Archaeological Survey of India seit der
Grabungskampagne 1994/1995 eines
der bedeutendsten buddhistischen
Bauwerke, einen großen Stūpa, entdeckt und ausgegraben (Abb. 2). Sogar
der Name des Stūpas ist überliefert:
Er heißt Adhālaka-Mahācetiya wie
in schöner, schwungvoller Schrift auf
mehreren Fragmenten und in einer
vollständigen Inschrift zu lesen ist.
Neben einer großen Zahl qualitätsvoller Reliefs kamen bisher etwa 300
Inschriften ans Tageslicht.
Hier in Kanaganahalli findet sich
nun die folgende Inschrift, die bis auf
ein Zeichen ohne Schwierigkeiten zu
lesen, aber sehr schwer wirklich zu
verstehen ist, mit oder ohne das fragliche Zeichen (Abb. 3). Die Lesung
des vorletzten Zeichens ist schwierig. Zwei Lesungen sind möglich
und beide sind vorgeschlagen: rāya
puḷumāvi ajayatasa ujeni deti (I.9)
Das letzte Wort kann man entweder als eti „er geht“ oder als deti „er
gibt“ lesen. Also heißt der Text entweder „König Puḷumāvī geht nach
Ujjain des Nicht-Siegenden“ oder
„König Puḷumāvī schenkt dem NichtSiegenden Ujjain“.
23
Photo: M. Nakanishi
Abb. 3
of India 106). Auf die Abbildungen in diesem Werk wird im Folgenden mit, z. B., „plate
CX“ verwiesen. – Die in diesem Werk veröffentlichten Lesungen der Inschriften dürfen
nicht unkritisch übernommen werden. Sie sind neu herausgegeben von O. von Hinüber
und M. Nakanishi: „The Inscriptions from Kanaganahalli.“ In: Annual Report of the Research Institute for Advanced Buddhism 17 (2014). Die Inschriften werden im Folgenden
aus dieser Ausgabe nach Kapitel und Nummer der Inschrift, z. B. III.2,3, zitiert.
­20 Falk 2006, S. 130 ff.
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Oskar von Hinüber
Verständlich ist zunächst nur soviel: Der König, dessen vollständiger
Name Vāsiṭṭhiputta Siri Puḷumāvi (um 85–125) lautet, ein bekannter König der Sātavāhana (Sanskrit: Śātavāhana)-Dynastie, die in den ersten
nachchristlichen Jahrhunderten große Teile des westlichen Südindiens beherrschte, geht zu der schon damals berühmten und bis heute bestehenden
Stadt Ujjain, oder er verschenkt sie. Wie soll man nun wissen, was gemeint
ist? Die Paläographie allein hilft nicht weiter, sondern führt offensichtlich in
eine Sackgasse.
Dennoch ist die Klärung der Frage gar nicht so schwierig: Man muß nur
seinen Blick erheben, und das Bild über der Inschrift ansehen. Dann erblickt man zunächst einen Elephanten und zwei Pferde: Also bewegt sich
Puḷumāvī, er geht nach Ujjain. Nein, das tut er keineswegs, wie man sieht,
wenn man den Blick noch ein wenig weiter nach oben lenkt und etwas ganz
Ungewöhnliches, wenn nicht einmaliges entdeckt (Abb. 3, oben): Ein König
macht einem anderen König durch ausgießen von Wasser wie bei der erwähnten Schenkung des Jetavana ein Geschenk. Diese Person ist demnach
Pulumāvi. Die beiden abgebildeten Personen sind Könige, weil beide unter
dem Symbol des altindischen Königs, einem Sonnenschirm, stehen.
Selbst wenn es nun möglich ist, zu einer Lesung der Inschrift zu kommen,
so ist die Inschrift dennoch bei weitem noch nicht verstanden. Denn warum
verschenkt ein König eine Stadt und warum an einen „Nicht-Siegenden“?
Nach einer nun sicheren Lesung des fraglichen Wortes als deti „er schenkt“
beginnen also die eigentlichen Fragen erst, die man aus der wenigstens in
Umrissen bekannten Geschichte der Sātavāhana-Könige zu beantworten
versuchen kann.21
Es ist aus anderen Inschriften bekannt und aus Befunden der Numismatik ableitbar, daß die Sātavāhanas mit ihren nördlichen Nachbarn, den
Kṣatrapas, im ersten und zweiten Jahrhundert in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt waren und daß nach anfänglichen Erfolgen von
Vāsiṭṭhiputta Siri Puḷumāvīs Vorgänger Gautamiputta Sātakaṇṇi (um 60–84)
die Sātavāhanas kurzfristige Gebietsgewinne im Norden erzielten, doch daß
diese, wie es scheint, schon bald an die Kṣatrapas zurückfielen, vermutlich
eben unter Puḷumāvī. Da die indische Geschichte weder von einem Herodot
noch von einem Tacitus aufgezeichnet wurde, kann man den Verlauf vieler
Ereignisse nur in Umrissen erkennen. Doch auch dieses schattenhafte Bild
hilft vielleicht, die Inschrift zu verstehen und mit ihr das Bild.
Dazu muß man nun zu einem Text greifen, der zunächst weder mit dem
Buddhismus noch mit den Sātavāhanas etwas tun hat, dem Staatslehrbuch
­21 Zu den Problemen der Sātavāhana-Geschichte, vor allem zur Chronologie vgl. Hinüber/Nakanishi 2014, Introduction.
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
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des Kauṭalya, in dem ein Kapitel den Friedensschlüssen nach kriegerischen
Auseinandersetzungen gewidmet ist. Eine Form des Friedensschlusses ist es,
daß der unterlegene König seinem Gegner anbietet, einen Teil seines Gebietes abzutreten, um das übrige Reichsgebiet für sich zu erhalten: „Durch
Verzicht auf einen Teil des Landes bewahrt er seine übrigen Reichsfaktoren
und Untertanen …“, wie Johann Jakob Meyer übersetzt.22
Und eben dieses scheint hier abgebildet zu sein: Ein Friedensschluß zwischen Puḷumāvī und seinem Widersacher: Er übergibt ihm die Stadt Ujjain,
die, wie bekannt ist, den Sātavāhanas tatsächlich verloren ging, an seinen
Gegner. Doch wer ist der Gegner, also der zweite König? Puḷumāvī hätte
der Nachwelt einen riesigen Gefallen getan, wenn er den Namen genannt
hätte, statt recht rätselhaft von dem „Nicht-Siegenden“ als Empfänger zu
sprechen, vielleicht um so seine vermutlich keineswegs ganz freiwillige Abtretung Ujjains im Rahmen eines wichtigen Friedensschlusses als einen Akt
der Großmut erscheinen zu lassen, vielleicht auch um seinen Gegner herabzuwürdigen.23
Zwei Kṣatrapa-Herrscher kommen in Frage: Eher Caṣṭana (um 78–130)
als sein Sohn und Nachfolger Rudradāman, der am Ende der ungewöhnlich langen Regierungszeit Caṣṭanas wohl an der Herrschaft teilhatte. Der
zweite, Rudradāman spricht in seiner berühmten, schon vor mehr als einem
Jahrhundert von Franz Kielhorn herausgegebenen Inschrift in Girnār
von einem Sieg über einen Sātavāhana-Herrscher mit erstaunlich freundlichen Untertönen: Er, Rudradāman, habe seinen Widersacher in einem
Kampf ohne Kriegslist besiegt und ihn wegen der engen Verbindung der beiden Herrscherhäuser schonend behandelt24 – in der Tat war vermutlich ein
Bruder des Puḷumāvī mit einer Tochter des Rudradāman verheiratet.25 Das
alles hört sich auf beiden Seiten eher nach einer Art ritterlichem Turnier als
nach einem harten Machtkampf in der Wirklichkeit an.
­22 J. J. Meyer: Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des
Kauṭilya. Leipzig 1926 [Nachdr. Graz 1977], S. 416.
­23 Dieser Eindruck entsteht, wenn man mit dem ganz ungewöhnlichen, wenn nicht
einmaligem Ausdruck „dem Nicht-Siegenden“ (ajayatasa) die beiden folgenden Stellen
vergleicht: mahārājasa rājarājasa mahāṃtasa trātārasa dhāṃmikasa jayaṃtasa ca apa[
in der sog. „Menander-Inschrift“ (G. R. Sharma: Reh Inscription of Menander and the
Indo-Greek Invasion of the Gaṅgā Valley. Allahabad 1980, p. 71) und … rajatirajasa mahatasa tratarasa jayatasa … in der Kamra Brunneninschrift (H. Falk: „The Pious Donation of Wells in Gandhāra.“ In: Prajñādhara. Essays on Asian Art, History, Epigraphy
and Culture in Honour of Gourishwar Bhattacharya. Delhi 2009, Vol. I, p. 27). Für den
Hinweis auf diese beiden Inschriften bin ich H. Falk, Berlin, zu Dank verpflichtet.
­24 F. Kielhorn: „Junāgaḍh Rock Inscription of Rudradāman; Year 72.“ In: Epigraphia Indica 8 (1905–1906), S. 36–47: dakṣiṇāpates sātakarṇer dvir api nīrvyājam
avajītyāvajītya saṃbandhāvidūra[ta]yā anutsādanāt prāptayaśasā (Zeile 12).
­25 Shobhana Gokhale: Kanheri Inscriptions. Poona 1991, S. 62, Inschrift Nr. 16.
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Oskar von Hinüber
Ob diese Deutung der Inschrift aus Kanaganahalli das Richtige trifft,
ist nach Lage der Überlieferung schwer zu beurteilen. Sicher ist, daß ein
Sātavāhana-Herrscher, eben Puḷumāvī, abgebildet ist und ein Kṣatrapa, dem
Ujjain übergeben wird, also ein politisch ebenso wichtiges, wenn vielleicht
auch für die Sātavāhanas schmerzliches Ereignis, das durch Puḷumāvīs möglicherweise angedeutete Großmut freundlich verbrämt wird. Weiter läßt
sich vermuten, daß man zugleich die Besiegelung eines Friedensschlusses
sieht, der trotz des Verlustes einer bedeutenden Stadt als so wichtig empfunden wurde, daß er an dem buddhistischen Heiligtum in Kanaganahalli
am Adhālaka-Caitya dargestellt wurde. Die Bedeutung des Friedens kann
man immerhin zu erraten versuchen: Frieden im Norden ließ Puḷumāvī vermutlich freie Hand für Feldzüge im Süden. Dieses Bild erlaubt also, wenn
die vorgetragene Deutung ungefähr das Richtige trifft, einen ganz einmalig
unmittelbaren Blick in die altindische Politik und Geschichte.
Zugleich ist dieses Bild ein eindrucksvolles Beispiel für die Unsicherheiten, mit denen die Deutung von Quellen zur altindischen Geschichte verbunden sein kann.
Obwohl historische Bezüge in der bildenden Kunst des alten Indien
nicht eben häufig zu finden sind – man kann an die Bilder der SātavāhanaHerrscher in Nānāghāṭ ebenso denken wie an die der Kuṣāṇas in Māṭh oder
Rabātak26 –, zeigt gerade das Bildprogramm in Kanaganahalli, anders als an
vergleichbaren alten buddhistischen Bauten wie den Stūpas von Sāñcī oder
auch in Bhārhut oder Amarāvatī, ein deutliches Interesse an der SātavāhanaDynastie, an ihren Herrschern und damit auch an der Politik.
Sogar ein zweites Ereignis, dessen historischer Hintergrund kaum zweifelhaft sein kann, ist abgebildet (plate CIX). Diesmal geht es ganz friedlich
und sehr buddhistisch zu, wenn gesagt wird: rāyā sātakaṇ[i mahāce](t)[i]
yasa r(u)pāmayāni payumāni oṇ(o)yeti (I.7) „Der König Sātakaṇṇi schenkt
dem großen Caitya silberne Lotosblumen.“
Trotz einiger Beschädigungen kann man den Text sicher herstellen. Wieder sieht man, wie der König (Gotamiputta) Sātakaṇṇi (um 60–84) zwei
Mönchen, die die Interessen des Mahācetiya (Sanskrit Mahācaitya), also des
Adhālaka-Mahācaitya vertreten, seine wertvolle Gabe aushändigt. Die gut
zu erkennenden silbernen Lotusblumen gehen damit in den Besitz des Stūpa
über, der – modern ausgedrückt – gleichsam wie eine juristische Person über
Besitz verfügen kann. Gewiß handelt es sich hier um die Erinnerung an eine
herausragende Schenkung und zugleich um die Betonung einer engen Ver­26 V. Lefèvre: Portraiture in Early India. Between Transience and Eternity. Leiden
2011 (HdO II. South Asia, Vol. 25), S. 85–93.
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
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bindung des Adhālaka-Caitya in Kanaganahalli mit dem Herrscherhaus der
Sātavāhanas.
Diese Verbindung wird weiterhin dadurch unterstrichen, daß mindestens drei Sātavāhana Könige abgebildet werden. Das Bild des Gründers
der Dynastie mit seiner Königin, Simuka oder Chimuka Sātavāhana, wird
mit der Beischrift rājā siri chimuka sādavāhano (I.4) „König Siri Chimuka
Sātavāhana“ versehen (plate LX [A] = CVIII [A]). Von zwei späteren Königen finden sich entsprechende Bilder: rāya matalako (I.5) „König Mantalaka“, ein vielleicht trinkfreudiger Herrscher, wenn man das wertvolle
Gefäß in seiner rechten Hand betrachtet (plate LXI, A; CX, A). Sein Nachfolger rāyā sudara sātakani (I.6) „König Sundara Sātakaṇṇi“ war nicht von
Glück begünstigt: Nur Fragmente und die Füße seiner Königin haben die
Zeiten zusammen mit der Inschrift unbeschädigt überdauert (plate CXI, A).
Die große Bedeutung dieser beiden Bilder liegt darin, daß beide, Mantalaka
und Sundara als Namen von Śātavāhana-Herrschern allein aus den Listen
in den Purāṇas bekannt waren,27 ohne daß ihre Existenz bisher durch eine
Inschrift oder eine Münze bestätigt wurde.
Nur aus den Unterschriften können wir wissen, daß es sich um Bilder
eben dieser Könige der Sātavāhana-Dynastie handelt oder um den berühmten König Aśoka, der an hervorgehobenen Stellen zweimal mit der Bild­
unter­schrift rāyā asoko (I.1; I.2) „König Aśoka“ dargestellt ist (plate CIV
und CV). Wenn darunter ein anderer Name stünde, würden wir eben
Chimuka oder einen beliebigen anderen Herrscher sehen. Allein die Beischrift definiert die Person, ein „Definitionsporträt“ eben, wie der Heidelberger Kunsthistoriker und Sinologe Dietrich Seckel (1910–2007) Entsprechendes in der chinesischen Kunst treffend beschrieben hat.28 Porträts,
die eine Ähnlichkeit zur dargestellten Person aufweisen, gab es auch im alten Indien kaum, wobei man jedoch die Darstellung der indo-griechischen
Könige auf ihren Münzen ausnehmen muß.
Diese deutliche Hinwendung zum Herrscherhaus der Sātavāhanas läßt den
Stūpa in Kanaganahalli geradezu als eine Art „Reichsheiligtum“ erscheinen,
so wie es später für ihre Nachfolger, die Ikṣvāku-Könige, Nāgārjunakoṇḍa
gewesen sein könnte.
Die Nennung der Könige hat ferner Folgen für die Datierung der Bauwerke. Die Darstellung der älteren Könige kann in dem einen oder anderen
Fall ein Blick zurück in die Vergangenheit sein und so ein in Indien oft und
­27 F. E. Pargiter: The Purāna Text of the Dynasties of the Kali Age. London 1913, S. 36.
­28 O. von Hinüber: Die Palola Ṣāhis. Ihre Steininschriften, Inschriften auf Bronzen,
Handschriftenkolophone und Schutzzauber. Mainz 2004 (Antiquities of Northern Pakistan 5), S. 171 und zu Portraits im alten Indien Lefèvre 2011.
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Oskar von Hinüber
keineswegs immer zu Recht vermißtes historisches Bewußtsein deutlich zu
Tage treten lassen.
Anders steht es mit Inschriften, die nach Regierungsjahren datiert, also
zur Zeit des jeweiligen Königs angebracht sind. Eine Inschrift, die in das
Regierungsjahr 16 des Chimuka (um 50 v. Chr.?), des Gründers der Dynastie, datiert ist (I.3; plate C,A), und eine entsprechende aus der Zeit des
Caṇḍasātakaṇṇi (um 200–215), der ganz am Ende der Sātavāhana-Herrscher
steht (I.13; plate CXXV, G), geben einen zeitlichen Rahmen von wohl gut
zwei Jahrhunderten vor, während derer in Kanaganahalli Bildwerke ge­stiftet
wurden. Damit stehen wir auf wesentlich sichererem Boden als in Sāñcī oder
Amarāvatī.
Bei den Bildwerken handelt es sich nur in Ausnahmefällen um das, was
bisher besprochen ist, wenn man so will, „politische“ Bilder und Inschriften. Die überwiegende Zahl ist selbstverständlich gut buddhistisch, wie die
genannte Stiftung des Caṇḍasātakarṇi, die den Transport der Reliquien des
Buddha nach ihrer Verteilung darstellt. Andere Inschriften verweisen auf
Ereignisse aus den früherem Leben des Buddha, die in verschiedenen Jātakas
geschildert werden.
Doch kommt in der lebensfrohen Bilderwelt in Kanaganahalli auch die
Kulturgeschichte nicht zu kurz. So zeigt eine Darstellung Akrobaten bei
ihrer Vorstellung (plate LXXXVI). Hier ist nur der erste Teil der Inschrift
verständlich, die das Bild erklären soll. In der heutigen Zeit ist es für uns wie
so oft gerade umgekehrt. Die Inschrift erklärt nicht das Bild, sondern allein
das Bild führt zum Verständnis der Inschrift. Die Inschrift, die ­lakhako
m(e)yakathālikā (IV.6) lautet, wird wenigstens teilweise verständlich und
zwar nur wie im Falle des vermuteten Friedensschlusses durch einen Blick
auf das Bild. Das zweite Wort bleibt vorerst unklar, vielleicht bezieht es sich
auf die im unteren Bildteil dargestellten Musikanten. Das erste Wort aber
könnte Sanskrit oder Pāli laṃghaka „Akrobat“ entsprechen, das in einem
buddhistischen Text auftaucht, der die Abbildung geradezu beschreibt:
„eine Akrobatin stieg an einer Stange empor, drehte sich (vollführte einen
Salto?) und balancierte auf ihr in der Luft, tanzte und sang“.29 Hier in Kanaganahalli vollführen Akrobaten von Musikanten begleitet wohl eben diese
Kunststücke.
Dieser Abschnitt aus dem Kommentar zum Dhammapada, einer alten
buddhistischen Verssammlung, ist auch in anderer Hinsicht von kultur­
geschichtlichem Interesse. Denn er beschreibt, wie ein reicher junger Mann
sich unsterblich in die Akrobatin verliebt und diese unter Hinweis auf sei­29 ekā laṅghikadhītā vaṃsaṃ abhiruyha tassa upari parivattitvā ākāse caṅkamānā
naccati c’eva gāyati ca, Dhammapadaṭṭhakathā IV 59, 21–23.
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Mitteilung aus einer vergangenen Welt
29
nen unermesslichen Reichtum zu gewinnen sucht, aber von ihr abgewiesen
wird. Denn die Akrobatin ist von dem Geld ihres Bewunderers gänzlich unbeeindruckt, weil sie als Akrobatin so viel verdient und so reich ist, daß ihre
finanzielle Unabhängigkeit gesichert ist: ein früher „Star“ im alten Indien.
Neben Festen mit allerlei Vorführungen30 stehen auch sehr buddhistische
Feiern. Bevor wir Kanaganahalli verlassen, um abschließend kurz Inschriften einer anderen neuen buddhistischen Fundstätte zu betrachten, sei noch
ein Blick auf ein Ereignis im Leben des Buddha geworfen, das den Anlaß
für ein Fest bietet, ein sehr buddhistisches und sogar unter den Göttern
gefeiertes. Während der Bodhisattva, also der Buddha vor der Erleuchtung,
in die Hauslosigkeit zieht, legt er sein wertvolles Gewand ab, schneidet mit
seinem Schwert seine Haare ab und wirft sie in die Luft. Die Götter nehmen die Haare entgegen und tragen sie in den Himmel. Mehrfach ist dieses
offensichtlich bedeutende, cūḍāharana (III.2,6; III.2,7) „das Aufnehmen
der Haarlocken“ genannte Ereignis auf dem Wege zur Erleuchtung mit oder
ohne erklärende Beischrift in Kanaganahalli festgehalten.31
Was aber tun die Götter mit dem Turban und den Haaren? Sie feiern ein
Fest, „bis heute“ wie es im Lalitavistara, einer frühen Buddhalegende, heißt.32
Wie die Götter feiern, ist auf einem Bild an dem lange bekannten Stūpa in
Bharhut dargestellt.33 Hier ist die Inschrift hilfreich, um die Einzelheiten des
Bildes zu verstehen. Auf dem Dach des linken Gebäudes steht: sudhaṃmā
devasabhā bhagavato cūḍāmaho „die Versammlungshalle der Götter mit
Namen Sudhammā; das Fest der Cūḍā des Erhabenen“; auf dem anderen
Dach ist nur der Name des Gebäudes vermerkt vejayaṃto pāsādo „Der
Vaijayantī-Palast“. Beide Gebäude im Himmel sind aus Texten nicht nur der
Buddhisten, sondern auch der brahmanischen Tradition gut bekannt.
Dieses Fest scheint weithin in verschiedenen buddhistischen Schulen bekannt gewesen zu sein, obwohl es in einer Aufzählung buddhistischer Feste
in einer Rechtsschrift der Lokottaravāda-Schule fehlt: Dort wird ein Fest
­30 Vermutlich handelt es sich auch hier nicht um ein weltliches Fest. Denn wie der
Mahāvaṃsa berichtet, richtete König Bhātika in Ceylon im 1. Jh. n. Chr. verschiedene Feste ein, darunter „urged by faith he ordered … also divers mimic dances and concerts,
with the playing of all kinds of instruments of music (in honour) of the great Thūpa“
(Üb. W. Geiger; vividhaṃ naṭanaccañ ca nānāturiyavāditaṃ Mahāthūpamhi ghosañ ca
saddhānunno akārayi, Mahāvaṃso XXXIV 60).
­31 Plates LXXXIX und CXIV, A; ohne Inschriften XXV, C und CXXIII, C und E.
­32 adyāpi ca trāyastriṃśatsu deveṣu cūḍāmaho vartate, Lalitavistara (ed. Samuel Lefmann 1902) 225,18 = II, 74,18 foll. (ed. Kōichi Hokazono 1997).
­33 Dieses Fest wird auf einer Bildbeischrift in Bharhut cuḍāmaha „Fest der Cūḍā“ genannt: A. K. Coomaraswamy: La sculpture de Bharhut. Paris 1956, planche XII, Fig. 32
und H. Lüders: Bharhut inscriptions. Ootacamund 1963 (Corpus Inscriptionum Indicarum II.2), S. 93, B 21.
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30
Oskar von Hinüber
anläßlich der Geburt des Buddha, seiner Erleuchtung oder des ersten Drehen des Rades der Lehre, also die erste Predigt des Buddha genannt, doch
kein Cūḍāmaha, kein „Haarlockenfest“.34 Aber offensichtlich sind hier die
Feste der buddhistischen Gemeinde aufgezählt, während das „Haarlockenfest“ nur im Himmel gefeiert wird.35
Was Inschriften wie dieser einen ganz besonderen Wert verleiht, ist die
Tatsache, daß sie die sehr geringe Kenntnis von buddhistischen Festen, die
sich aus der Literatur gewinnen läßt, ein wenig erweitert.36 In der Regel werden nämlich in den Texten nur Namen in Aufzählungen genannt, und selbst
das ist sehr selten. Umso erfreulicher ist es daher, wenn in Phanigiri, einem
Fundort in Andhrapradesh, nicht nur qualitätsvolle Bildwerke auftauchen,37
sondern auch Inschriften in schöner Kalligraphie und eine Stiftungs­inschrift,
die ein buddhistisches Fest erwähnt.
Ein buddhistischer Rechtsgelehrter, der Vinayadhara Dhammasena, stiftet Mittel nicht nur für den Erhalt von Bauwerken, sondern auch wie er sagt:
­ und jährlich anläßlich des Pavāraṇā-Festes zum Herstellen eines Balda…
chins aus Blumen eineinhalb Hundert Kühe, 150 Taridelas.38 Zusätzlich muß
die Mönchsgemeinde 6 Kahāpaṇas als Preis für Blumen und 4 Liter Öl für
Lampen schenken …39
In dieser Stiftungsinschrift erscheint nun ein bisher ganz unbeachtetes, ja
beinahe unbekanntes Fest, das die Pavāraṇā-Zeremonie begleitet, ein Fest
also aus Anlaß des Endes der Regenzeit, dem offensichtlich einige Bedeutung
zukam. Denn bevor die buddhistischen Mönche, die während der Regenzeit
­34 Bhikṣuṇī-Vinaya Including Bhikṣuṇī-Prakīrṇaka and a Summary of the BhikṣuPrakīrṇaka of the Ārya-Mahāsāṃghika-Lokottaravādin. Ed. G. Roth. Patna 22005 (Tibetan Sanskrit Works Series Vol. XII), § 281: jātimahā, bodhimahā, dharmacakramahā,
Ānandamahā, Rāhulamahā, pañcavarṣikamahā.
­35 Im Mahāvastu, das ebenfalls der Mahāsāṃhikalokottaravāda-Schule angehört, wird
es erwähnt: cūḍā … trāyastriṃśadbhavane pūjyate cūḍāmahaṃ ca vartati, Mvu (hrsg. v.
Émile Senart 1890) II 166,1. Die Mahāvyutpatti, die den Mūlasarvāstivāda Wortschatz
zusammenfaßt, kennt: mahāmaha, jātimaha, jaṭāmaha, cūḍāmaha, pañcavarṣikamaha,
ṣaḍvarṣikamaha, kuṭimaha, Nr. 5672–5678.
­36 Literatur zu buddhistischen Festen ist verzeichnet bei O. von Hinüber: „Again
on the donation made by the vinayadhara Dhammasena and on other inscriptions from
Phanigiri.“ In: Annual Report of the International Research Institute for Advanced Buddhology 16 (2013), S. 3–12, Plates 1–, bes. S. 8, Anm. 18, wo hinzuzufügen ist: Senarat
Paranavitana: „Buddhist Festivals in Ceylon.“ In: Bimala Churn Law (Hrsg.): Buddhistic Studies. Calcutta 1931, S. 529–546.
­37 P. Skilling: „New discoveries from South India: the life of the Buddha at Phanigiri,
Andhra Pradesh.“ In: Arts Asiatiques 63 (2008), S. 96–118.
­38 Die Bedeutung des nur hier belegten Wortes taridela ist unbekannt.
­39 Die Inschrift ist herausgegeben von O. von Hinüber (s. von Hinüber 2012 und 2013).
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gezwungen sind, ihr Leben als Wanderasketen zu unterbrechen, ihre Wanderung wieder aufnehmen, müssen sie die so genannte Pavāraṇā-Zeremonie
durchführen, die aus der Literatur gut bekannt ist,40 aber eben ohne ein
sie begleitendes Fest. Dieses Fest aber wurde, wie Dhammasenas Inschrift
zum ersten Mal belegt, von festlichem Schmuck, einem Blumenbaldachin,
begleitet. Damit bietet diesen Inschrift nicht nur eines der beiden ältesten
inschriftlichen Zeugnisse für dieses Fest: Die zweite, nur etwas ältere und
einige seltene jüngere stammen aus Ceylon. Zum ersten Mal überhaupt wird
nun wenigstens eine bescheidene Einzelheit über die Durch­führung dieses
wichtigen Festes bekannt, das in Phanigiri noch in einer zweiten Stiftung
in einem Inschriften-Fragment erwähnt wird, was seine Bedeutung weiter
unterstreicht.
Ungewöhnlich und wichtig ist auch Dhammasenas Forderung, daß die
Mönchsgemeinde selbst einen Teil des Geldes zur Feier beisteuern möge,
wodurch diese Schenkung den Charakter eines Vertrages bekommt.
Bisher ist nur der Name dieses Festes und selbst der nur sehr schwach in
Literatur und Inschriften bezeugt. Alle diese wenigen Zeugnisse stammen
aus dem Bereich des Theravāda, also des noch heute in Ceylon lebendigen
Buddhismus. Daher besteht die Möglichkeit, daß eben die Feier dieses Festes
vielleicht einen Hinweis auf die Anwesenheit von Theravāda-Buddhisten
enthält, die es sicher, wenn auch nur schwer nachweisbar, in großer Zahl in
Südindien gegeben hat. Auch einige sehr wenige Inschriften aus Kanaganahalli rücken diese Folgerung in den Bereich des Möglichen.
Die Dhammasena-Inschrift zeigt also im Kleinen, worin der besondere
Wert der epigraphischen Zeugnisse liegt und wie durchaus neues Wissen
durch den Fund sehr weniger Inschriften hinzugewonnen werden kann.
Die Lebenswirklichkeit der Buddhisten, die in den Texten nur in literarischer Brechung festgehalten wird, tritt uns wie hier in einer Stiftung zum
Pravāraṇā-Fest unmittelbar entgegen. Zudem sind Inschriften wie diese
durch ihren Fundort an einen Ort und wenigstens durch die Paläographie,
wenn nicht gar durch eine Datierung an einen bestimmten Zeitraum gebunden. Beides fehlt in der anonymen buddhistischen Literatur Indiens. Hier
gehen also die Inschriften in zwei wichtigen Bereichen, durch die Bestimmung von Ort und Zeit, deutlich über die buddhistische Literatur hinaus.
­40 Jin-il Chung: Die Pravāraṇā in den kanonischen Vinaya-Texten der
Mūlasarvāstivādin und der Sarvāstivādin. Göttingen 1998 (Sanskrit-Wörterbuch der
buddhistischen Texte aus den Turfan-Funden. Beiheft 7) [Bespr.: A. Heirmann, Buddhist Studies Review 16/2 (1999), S. 235–237; J. W. de Jong, IIJ 43 (2000), S. 63–66;
W. Thomas, IF 106 (2001), S. 301–306; O. von Hinüber, JAOS 124 (2004 [2006]), S. 806–
810]; H. Tieken: „The Buddhist pavāraṇā ceremony according to the Pāli Vinaya.“ In:
Journal of Indian Philosophy 30 (2002), S. 271–289.
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Oskar von Hinüber
Dennoch darf nicht vergessen werden, daß literarische Überlieferung und
Epigraphik sich nur gegenseitig erhellen. Denn ohne eine genaue Kenntnis
der Texte bleiben auch die Inschriften stumme Zeugen. Wer die Lehren des
Buddhismus nicht zunächst den Texten entnommen hat, der wird dem Inhalt der Inschriften nur mit einem sehr begrenzten Verständnis entgegen­
zutreten in der Lage sein.
Nur vor dem Hintergrund der buddhistischen Literatur wird deutlich, wie
und worin diese eine einzige Inschrift Dhammasenas den Wissens­horizont
über den lebendigen, nicht an die Texte der buddhistischen Literatur gebunden Buddhismus wieder um einige bisher unbekannte oder unbeachtete
Einzelheiten erweitert. Es ist eine bisher im alten Indien nicht bezeugte
Schenkungspraxis, die geradezu an die moderne Anschub­finanzierung mit
anschließender Eigenbeteiligung erinnert, wenn Dhammasena, selbst ein
Mönch, seine Stiftung an eine Gegenleistung der Mönchsgemeinde bindet.
Wertvoll ist ferner der Hinweis auf die mögliche Anwesenheit von Mönchen,
die einer bestimmten Richtung anhängen, und schließlich macht die Inschrift Mitteilungen über ein offensichtlich bedeutendes Fest, ein Fest, das
sich bisher nicht in die Vergangenheit verfolgen ließ, obwohl es noch heute
im Festkalender eines buddhistischen Landes wie Thailand fest ver­ankert
ist, wenn jedes Jahr unter Beteiligung auch des Königshauses die sogenannte Thot Kathin (dǫt kaṭhin)-Feier begangen wird: Am offiziellen Ende
der Regen­zeit, bevor die Mönche wieder frei sind, ein Leben als Wander­
asketen zu führen, schenken die Laien den buddhistischen Mönchen Stoff
für Mönchsgewänder.41
Dhammasena schlägt also eine Brücke aus der fernen Vergangenheit der
frühen buddhistischen Welt Indiens zur buddhistischen Gegenwart Thailands, wenn er vor beinahe zwei Jahrtausenden weit in die Zukunft blickend
„eine Stiftung für ewige Zeiten“ (sasatakālikaṃ dheyadhaṃmaṃ), wie er
ausdrücklich sagt, einrichtet, und damit unerwartet unseren Blick auf eine
lange, zweitausendjährige Tradition eines Festes lenkt, das bisher nur aus der
Gegenwart bekannt war.
­41 K. Döhring: „Die Thot Kathin-Feier in Siam.“ In: Zeitschrift für Buddhismus 7
(1926), S. 166–174, 298–315.
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