Begründung, warum die DPG ihr Gutachten über den Karlsruher Physikkurs zurückziehen sollte. Zunächst ergibt sich die Frage, warum oder auf wessen Bitte hin die DPG ein Gutachten über den Karlsruher Physikkurs (KPK) in Auftrag gegeben hat. Es geht wohl nicht darum, dass der KPK Mittel beantragt hat, deren Bewilligung natürlich nur nach einer Begutachtung erfolgen kann. Offenbar geht es darum, wie in der Zusammenfassung des Gutachtens zu lesen ist, den „misslungenen Versuch“ zu kritisieren, Physik „an Schulen möglichst verständlich umzusetzen“. Die DPG sähe solche Kritik als eine ihrer Aufgaben an. Hier ist aber sofort zu fragen, wer hat das „Misslingen des Versuches“ festgestellt? Oder ist es das Ergebnis des Gutachtens? Dann bleibt die eingangs gestellte Frage bestehen. Wie es weiter in der Zusammenfassung des Gutachtens heißt, erzeuge der KPK eine „grundsätzlich falsche Vorstellung“ von Physik und die „Strenge des naturwissenschaftlichen Denkens und der empirischen Vorgehensweise“ seien „durch den KPK verletzt“. Das ist zwar eine schwerwiegende Kritik, die aber mit Vertretern des KPK im Einzelnen erörtert werden kann, um, falls sich die Kritik als gerechtfertigt erweist, zu Korrekturen oder Verbesserungen zu führen. Dann aber empfiehlt die DPG „mit Nachdruck, den Karlsruher Physikkurs weder für den Unterricht zu verwenden noch Lehr- oder Bildungspläne auf ihm aufzubauen oder nach ihm auszurichten“. Diese Empfehlung hat mit sachgerechter Kritik nichts mehr zu tun! Das klingt vielmehr nach einem Verbot von freier Lehr- und Forschungstätigkeit und entspricht nicht der in der DPG-Satzung festgeschriebenen Verpflichtung, „für Freiheit, Toleranz, Wahrhaftigkeit und Würde in der Wissenschaft einzutreten“. Im Folgenden soll kurz auf einige Details der im Gutachten besprochenen „besonders aussagekräftigen Beispiele“ eingegangen werden, mit der die Gutachter die Kritik am Gesamtprojekt belegen wollen. Dabei wird nur auf Aussagen des Gutachtens eingegangen. Es geht nicht um eine Verteidigung des Karlsruher Physikkurses. (Zitate aus dem Gutachten sind kursiv geschrieben.) Beispiel 1: Der Begriff des Impulsstroms in der Mechanik. Die Gutachter schreiben: „Die Verwendung von Impulsströmen anstelle von Kräften führt auf widersprüchliche und z.T. sogar falsche Aussagen“ und begründen dies u.a. mit zwei Abbildungen (1 und 2), in denen die Richtungen von Kraft und Impulsstrom nicht immer gleich seien. Die Abbildungen sind aber (auch ohne die von den Gutachtern hinzugefügten Kraftpfeile) unmittelbar einsichtig, wenn man berücksichtigt, dass es aufgrund der jeweiligen Richtung des Impulses positiven und negativen Impuls gibt. Das kann man sich auch leicht anhand von Stoßexperimenten überlegen, die z.B. auf einer Luftkissenschiene einfach auszuführen sind. Die Ergebnisse der Stoßexperimente sind im Übrigen allein aufgrund der Erhaltungssätze von Energie und Impuls vorhersagbar. Man braucht das Kraftkonzept überhaupt nicht. Das ist ein Grund, sie in der Lehre an den Anfang zu stellen. Aber seit alters her beginnen alle Lehrbücher mit der Kraft, einem ja auch nicht gerade einfachen Begriff. Bei der Einführung der physikalischen Größe Impuls als Erhaltungsgröße müsste der später zitierte „aufgeweckte Schüler“ doch gleich fragen, woher oder wohin fließt der Impuls, wenn er bei einem bestimmten Körper zu- oder abnimmt. Die zeitliche Ableitung des Impulses stellt wie die zeitlichen Ableitungen von Masse, Ladung oder Volumen einen Strom dar, in diesem Fall also den Impulsstrom. An der Einführung und Verwendung von Impulsströmen kann also auf keinen Fall etwas falsch sein! Ob sie zur Lösung von Problemen zweckmäßiger sind als Kräfte, ist eine andere Frage. Die Gutachter fragen nach einem Messinstrument für die „Richtung des Impulsstroms“ und verweisen auf das Amperemeter, mit dem man „die Richtung des Stroms messen“ kann. Das kann man aber nicht, die Bewegungsrichtung der Ladungen hängt davon ab, wie man sie verabredet hat, abgesehen davon, dass der Strom gar keine Richtung hat, sondern nur die Stromdichte. Das schließlich gezogene Fazit „Es gibt diesen Strom in der Natur nicht. Damit hat der KPK-Impulsstrom auch keinen Platz im Gebäude der Physik und ganz gewiss auch nicht im Physikunterricht“ ist nach den Ausführungen im Gutachten nicht nachzuvollziehen! Beispiel 2: Entropie und Wärme in der Thermodynamik. Nach der Erwähnung, dass der KPK „einen alternativen Zugang zur Thermodynamik verwendet, der nicht auf den Begriffen Temperatur und Wärme, sondern auf den Begriffen Temperatur und Entropie aufbaut“, schreiben die Gutachter: „Andere Zugänge zur Physik zu suchen, die Schülern das Verständnis erleichtern, ist legitim und wünschenswert, aber sie müssen auch überzeugen, und vor allem müssen sie wissenschaftlich korrekt sein.“ Dem ist natürlich zuzustimmen. Der dann folgende Text lässt allerdings nicht erkennen, wieso das KPK-Konzept nicht überzeugen und wissenschaftlich nicht korrekt sein soll. Der Leser wird mit vielen Allgemeinplätzen belehrt, z.B. dass „die Thermodynamik die physikalischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts im Kern unberührt überstanden hat“, dass „der nullte Hauptsatz den Temperaturbegriff einführt“, dass „Energie und Entropie streng unterschieden werden müssen“ und dass „bekanntermaßen die Entropie eine der schwierigsten Größen der Physik ist“. Die Gutachter zitieren, wie der KPK die Entropie einführt, nämlich dass es sich dabei um das handelt, war man umgangssprachlich „Wärmemenge“ nennt, oder auch einfach „Wärme“. Das ist sicher keine gute Formulierung, da sie missverstanden werden kann. Die Gutachter sagen, “Entropie ist nicht der Wärme gleichzusetzen“. Das tut der KPK aber offensichtlich auch gar nicht, wie man der von den Gutachtern zitierten Gleichung ∆S=∆Q/T entnehmen kann. Sie behaupten dann aber, dass der KPK diese Gleichung nicht richtig anwenden würde und führen Beispiele dazu an. Diese Kritik sollte sich aber in direkter Diskussion mit dem KPK klären lassen. Auf keinen Fall ist das Fazit einzusehen, „Der Versuch des KPK, neben der Temperatur allein die Entropie in den Mittelpunkt des Unterrichts über die Wärmelehre zu stellen, muss als physikalisch irreführend und immer wieder zu falschen Schlussfolgerungen führend angesehen werden.“ Beispiel 3: Magnetische Ladungen in der Elektrodynamik. Die Gutachter schreiben: „Der KPK geht von der Existenz magnetischer Ladungen aus“ und zitieren: „Die Stellen des Magneten, an denen die magnetische Ladung sitzt, nennt man die Pole des Magneten. Die Maßeinheit der magnetischen Ladung ist das Weber (Wb)“. Nach einem Hinweis, dass „es für magnetische Ladungen bisher keine experimentelle Rechtfertigung gibt“, zitieren die Gutachter: „Die Frage ist nicht, ob es magnetische Ladungen gibt oder nicht, sondern ob ihre Einführung zweckmäßig ist“. Hieran schließen sie folgende Beurteilung an: „Das ist nun ein Argument, das das Vorgehen des KPK in den Augen seriöser Wissenschaftler vollständig diskreditiert. Es ist ein offensichtliches Beispiel dafür, wie im KPK fundamentale physikalische Tatsachen zugunsten didaktischer Überzeugungen verbogen werden“. Diese Aussage ist ebenso beleidigend wie unsachlich! Es stimmt zwar, dass es bisher keinen experimentellen Hinweis für einen magnetischen Monopol gibt, aber die physikalische Größe „magnetische Ladung“ mit der Einheit „Weber“ gibt es sehr wohl und sie wird in vielen Lehrbüchern auch benutzt. Allerdings wird sie meist unter anderem Namen geführt, wie „Polstärke“ oder „magnetischer Fluss“. Auch der Name „magnetischer Dipol“ legt die Vorstellung von zwei magnetischen Ladungen nahe. Die Namengebung ist sicher ein Kritikpunkt, über den man mit dem KPK reden sollte, aber die oben zitierte Beurteilung ist nicht gerechtfertigt! Berlin, 26. Febr. 2013, Prof. Dr. Klaus Lüders