Bilderreise durch die römische Religion Von Ursula Kampmann, © MoneyMuseum Was ist Gott? Für die Römer scheinen wir das aus unseren ungeliebten Lateinstunden nur allzu genau zu wissen: Jupiter, Juno, Minerva, die römische Trias, dazu die üblichen Götter der antiken Welt, gleich den griechischen Göttern in Namen und Wirkung. Doch tatsächlich liegen die Wurzeln der römischen Religion viel früher, viel tiefer, im Dunkel der Vorzeit ... 1 von 20 www.sunflower.ch Wie erfährt man Gott? – Im Wirken der Natur Büste der Göttin Flora (= das Blühen), dahinter Blüte. Denar des römischen Münzmeisters C. Clodius Vestalis, 41 v. Chr. Die römische Religion entstand aus der magischen Welt des einfachen Bauers, der sprachlos vor den Wundern der Natur stand. Wer schenkte nach dem Winter die neue Blüte auf dem wie verdorrt scheinenden Baum? Welche Macht bewirkte es, dass das Samenkorn in der Erde jedes Jahr zu neuem Getreide heranwuchs? Welcher Gott verhütete den Getreiderost und sorgte dafür, dass gerade zur Ernte das Wetter gut war? Wer garantierte eine sichere Lagerung? Und welche Macht war zuständig dafür, dass es gelang, das Korn so einzuteilen, dass es bis zum nächsten Jahr reichte? Jeder einzelne Vorgang im bäuerlichen Alltag wurde in die vielen kleinen Bestandteile zerlegt, auf deren Gelingen eine göttliche Macht Einfluss hatte. Diese göttliche Macht musste durch ein magisches Ritual beschworen werden, ihre Hilfe für die Aktion zu gewähren. Um das Gedeihen des Korns sicherzustellen, betete man daher noch zur Kaiserzeit, also im 1. Jahrhundert n. Chr., nicht nur zu einer Getreidegöttin, sondern zum Beschützer des ersten Pflügens, zum Beschützer des zweiten Pflügens, zum Beschützer des Ziehens von Furchen, zum Beschützer des Säens, des dritten Pflügens, des Eggens, des Jätens, des Hackens, des Mähens, des Einbringens der Ernte, des Speicherns und des Verteilens. Schliesslich konnte das ganze Werk in Gefahr geraten, wenn auch nur ein einziger Vorgang nicht von der schützenden Macht begünstigt wurde. 2 von 20 www.sunflower.ch Wie erfährt man Gott? – Im menschlichen Bereich Göttin Spes (= die Hoffnung), nach links gehend, auf der ausgestreckten rechten Hand eine aufblühende Blüte haltend. Sesterz des römischen Kaisers Traian (98-­‐117 n. Chr.), 103-­‐111 n. Chr. Nicht nur in der Natur wirkten göttliche Mächte. Auch im Zusammenleben der Menschen waren sie vorhanden. Alle Tugenden, die eine Gemeinschaft zusammenhielten, die sie vorwärts brachten, wurden von weiblichen Gottheiten* geschenkt. Spes schenkte den Menschen die Hoffnung, auch wenn die Lage bedrohlich war. Concordia sorgte für Einigkeit in der Gemeinschaft, und Puditia verlieh der Hausfrau Zurückhaltung. Auch die Schenkerinnen von Tugenden mussten in religiösen Ritualen dazu veranlasst werden, ihre Gaben den Römern zu verleihen. Ihre Verehrung bezeugen unzählige Darstellungen der sogenannten Personifikationen auf den Rückseiten römischer Münzen. * Unser vereinfachtes Verständnis der römischen Personifikationen beruht auf einem Irrtum der Renaissance. Sie bediente sich der römischen Symbolsprache, ohne die religiösen Untertöne der Darstellungen noch zu verstehen. So wurde aus Justitia, der göttlichen Macht, die gerechtes Handeln schenkte, das Symbol einer Herrschertugend, das man mit anderen symbolischen Gestalten willkürlich zu Allegorien zusammenfasste. 3 von 20 www.sunflower.ch Janus – Gott des Ein-­‐ und Ausgangs Kopf des bärtigen Janus mit Lorbeerkranz. As des römischen Münzmeisters L. Piso Frugi, 90 v. Chr. Ein typischer Gott der Römer ist Janus. Er behütete die Tür, die für einen römischen Bauern der gefährdetste Teil seines Hauses war. Durch die Tür konnten die Gefahren der Aussenwelt in das gesicherte Idyll seines Wohnraumes eindringen. So musste Janus Clusivius bei jedem Schliessen der Tür in einer magischen Prozedur angerufen werden, um zu verhindern, dass Feinde in das Haus eindringen konnten. Und ein anderes Ritual war fällig, um Janus Patulcius zu veranlassen, den Hinausgehenden bei seinem Übergang in die feindliche Aussenwelt zu schützen. Deshalb wird Janus doppelgesichtig dargestellt, er sieht als Janus Clusivius nach aussen und als Janus Patulcius nach innen; deshalb wurde Janus zusätzlich zum Schützer des Übergangs. Der Januar, Monat des Jahresbeginns, wurde nach ihm benannt. 4 von 20 www.sunflower.ch Der Staat übernimmt die wichtigsten Kulte Tempel des Janus. As des römischen Kaisers Nero (54-­‐68 n. Chr.), um 65 n. Chr. Es mag dem einzelnen Bauer schwer gefallen sein, immer an alle Götter zu denken, die für das Gelingen einer Aktion verantwortlich waren. Wie leicht konnte er vergessen, den Janus Clusivius anzurufen, wenn er sein Haus verliess, um als Soldat für Rom in den Krieg zu ziehen! Und wie gross war die Gefahr, dass sein persönlicher Fehler sich als schicksalhaft für ganz Rom erweisen könnte! So übernahm im Verlauf der Frühgeschichte Roms der Staat die Sorge um all die Götter, die für das Wohl der ganzen Stadt entscheidend waren. Rom bekam z. B. eine kultische «Haustür» für die ganze Stadt. Zog das römische Heer in den Krieg, so war das Risiko viel zu gross, ein einzelner Soldat könnte die Hilfe des Janus Patulcius verspielen, wenn er die Rituale, die der Gott für seine Hilfe verlangte, schlampig ausführte. So wurden sie von Staats wegen im Namen des ganzen Heeres am Janustempel ausgeführt. Dieser Tempel war nichts als ein grosser Ein-­‐ und Ausgang, der nach der Rückkehr des Heeres wieder unter den nötigen Ritualen für Janus Clusivius verschlossen wurde, um Feinden den Eintritt nach Rom zu verwehren. 5 von 20 www.sunflower.ch Der Kult der Vesta Links: Büste der verschleierten Vesta. Rechts: Tempel der Vesta, darin Sella Curulis, links davon Urne, rechts Stimmtäfelchen. Denar des römischen Münzmeisters Q. Cassius Longinus, 55 n. Chr. War der Janustempel die gemeinsame Haustür Roms, so fand man im Tempel der Vesta den Herdplatz der ganzen Stadt. Auch das Feuer war Mittelpunkt zahlreicher magischer Rituale im bäuerlichen Haushalt gewesen, die sein stetes Brennen sichern sollten, ohne dass es durch seine alles verzehrende Gewalt das ganze Haus vernichtete. Nun übernahm der Staat diese Aufgabe. Wie früher die Hausfrau hüteten nun die Vestalinnen das Feuer. Diese Aufgabe weist weit zurück in die Vorzeit, als es noch schwierig war für den Menschen, Feuer zu machen. (Aus der gleichen Zeit stammt das Ritual des Löschens und neu Anzündens des Feuers am 1. März. Dabei wurde durch das Reiben von zwei Holzstückchen das neue Feuer entfacht.) Wie das Herdfeuer im Tempel das Kochfeuer Roms in Potenz war, so waren die Vestalinnen gleichsam der Inbegriff für die römische Hausfrau. Sie vertraten alle Matronen der Stadt; ihre Tugend garantierte das Wohlwollen der Götter, wie früher die Tugend der Hausfrau den Schutz der Götter auf ihr Heim herabbeschwören konnte. Deshalb mussten die Vestalinnen von staatlicher Seite gehindert werden, ihre Tugend aufzugeben. Unsere Münze weist auf einen Prozess hin, bei dem man eine Vestalin wegen Unkeuschheit dazu verurteilte, lebendig begraben zu werden. 6 von 20 www.sunflower.ch Die Schätze des Vestatempels Aeneas, das Palladium aus dem brennenden Troja rettend, auf dem Rücken seinen greisen Vater Anchises tragend. Denar des römischen Imperators G. Julius Cäsar, geprägt in Afrika, 47-­‐46 v. Chr. Wie die bäuerliche Hausfrau über den Speicher gebot, in dem die Vorräte der ganzen Familie gelagert wurden, so betreuten die Vestalinnen den kultischen Speicher der ganzen Stadt, in dem alles gelagert wurde, was für das religiöse Leben Roms von Bedeutung war. Man fand dort z. B. die Penaten, Statuen kleiner Götter, die dafür sorgten, dass ganz Rom genug zu essen hatte. Solche Statuen standen auch in jedem privaten Speicher Roms. Der bekannteste Schatz, der im Vestatempel aufbewahrt wurde, ist das Palladium, jene Statuette der Athene/Minerva, die Aeneas aus dem brennenden Troja gerettet hatte und die das Wohlergehen Roms garantierte. 7 von 20 www.sunflower.ch Die Priesterschaft Geräte, die im römischen Kult benutzt wurden: Schöpfkelle, Wasserwedel, Axt und Apex (Kopfbedeckung eines Priesterkollegiums). Denar des römischen Imperators G. Julius Cäsar, geprägt in Gallien, 49-­‐48 v. Chr. Der römische Staat hatte im Auftrag seiner Bürger die Aufgabe übernommen, alle magischen Rituale durchzuführen, die den Schutz der Götter für Rom gewährleisteten. Um diesen Auftrag zu erfüllen, wählte die Volksversammlung würdige Männer aus ihrer Mitte zu Priestern. Die Wahlverfahren für staatliche Beamte und Priester waren einander sehr ähnlich und auch der Personenkreis, aus dem die Kandidaten genommen wurden, weitgehend identisch. Priester zu werden, war keine persönliche Überzeugung, sondern eine politische Ehre, die umso mehr zählte, als sie im Gegensatz zum Amt lebenslänglich galt. Cäsars erster grosser Schritt auf der Leiter seines politischen Erfolgs war die Wahl zum Pontifex maximus, zum Oberaufseher über das gesamte kultische Leben der Stadt. Für einen römischen Priester war es nicht notwendig, an die Mächte zu glauben, die er im Ritus verehrte. Entscheidend für den Schutz der Götter blieb, dass alle Zeremonien so durchgeführt wurden, wie sie einst in grauer Vorzeit eingeführt worden waren. 8 von 20 www.sunflower.ch Numa Pompilius – der Begründer der Zeremonien Numa Pompilius, vor einem brennenden Altar stehend, während ein Helfer eine Ziege für das Opfer herbeibringt. Denar des römischen Münzmeisters L. Pomponius Molo, 97 v. Chr. Als Begründer der ältesten religiösen Zeremonien galt den Römern ihr mythischer König Numa Pompilius. Ihn sollen die Römer nach dem Tod des Romulus zum zweiten König Roms gewählt haben. Numa Pompilius entstammte der Überlieferung nach dem Volk der Sabiner, dem man eine besonders enge Verbindung zu den Göttern zuschrieb. Auf ihn führte man den Kalender zurück, der durch seine Einteilung in von den Göttern beschützte und nicht beschützte Tage (Fas und Nefas) die Grundlage des täglichen Lebens bildete. Numa Pompilius soll die kultischen Aufgaben auf die wichtigsten Priesterkollegien verteilt haben. Auch schrieb man ihm den Bau der ältesten Tempel Roms, Janus-­‐ und Vestatempel, zu sowie die Einrichtung der ältesten Spiele in Rom zu Ehren des Gottes Quirinus, den man später mit Mars gleichsetzte. 9 von 20 www.sunflower.ch Die Götter hängen am Ritual Die beiden Kaiser, an brennendem Altar opfernd, dahinter ein Flötenspieler. Sesterz des römischen Mitkaisers Geta (209-­‐211 n. Chr.), 211 n. Chr. Der römische Glaube hatte magische Züge. Man konnte die göttlichen Mächte nur dann zur Hilfe bewegen, wenn man den dafür erforderlichen Ritus in aller Genauigkeit befolgte. Schon das Auslassen einer Floskel im Gebet, das zu laute Piepsen einer Maus konnte ein ganzes Opfer unwirksam machen. Um zu verhüten, dass die Götter so einen Fehler im Ritual merkten, blies bei jeder römischen Zeremonie ein Flötenspieler so laut er konnte, um unpassende Nebengeräusche zu übertönen. 10 von 20 www.sunflower.ch Die Götter reagieren nur, wenn man sie beim richtigen Namen ruft Links: Jupiter Stator Capitolinus. Denar des römischen Münzmeisters Petillius Capitolinus, 43 v. Chr. Mitte: Jupiter Tonans. Denar des römischen Kaisers Augustus (31 v. Chr. -­‐ 14 n. Chr.), geprägt in Spanien, 19-­‐18 v. Chr. Rechts: Jupiter Custos. Denar des römischen Kaisers Vespasian (69-­‐79 n. Chr.), 75-­‐79 n. Chr. Wie die römischen Götter auf der exakten Durchführung des ihnen zustehenden Rituals beharrten, so wollten sie auch beim richtigen Namen genannt sein. Für Bitten, die den gesamten römischen Staat betrafen, war Jupiter Capitolinus zuständig, der grosse Gott, der auf dem Kapitol wohnte. Augustus hatte dem Jupiter Tonans, dem Donnerer, einen Tempel erbaut, weil der ihn einst in einem Gewitter verschont und mit seinem Blitz einen Sänftenträger getötet hatte. Jupiter Custos wurde gerufen, wenn der römische Staat geschützt werden sollte und Jupiter Stator brachte ein fliehendes Heer wieder zum Stehen. 11 von 20 www.sunflower.ch Gelübde an Jupiter zum Wohl des Staates Kranz, in dem geschrieben steht: «VOT / XX / MVLT / XXX». Siliqua des römischen Kaisers Constantius II. (337-­‐361 n. Chr.), geprägt in Konstantinopel, 346-­‐347 n. Chr. Die sicherste Art und Weise, sich der Hilfe der Götter zu versichern, war das Gelübde. Dabei gelobte man einer bestimmten Gottheit ein Opfer, wenn sie einem eine Bitte gewährte. War die Hilfe eingetroffen, hatte der Beter seine Schuld zu erfüllen. So ein Gelübde für die Bewahrung der Sicherheit Roms brachten die Konsuln jedes Jahr im Auftrag des Staates dar. Später gelobten die Kaiser bei jedem Regierungsjubiläum den Göttern ein Opfer, wenn sie noch das nächste Jubiläum als Kaiser begehen würden. So fand in der römischen Kaiserzeit alle fünf Jahre ein grosses Fest statt, bei dem das letzte Gelübde eingelöst und gleichzeitig das nächste aufgenommen wurde. 12 von 20 www.sunflower.ch Gelübde an Jupiter für den Sieg Der Triumphator, in die Stadt einziehend. As des römischen Kaisers Macrinus (217-­‐218 n. Chr.), 218 n. Chr. Auch vor jedem Kriegszug wurde ein Gelübde an Jupiter gemacht, um seine Hilfe im Kampf zu erhalten. War dann der Sieg errungen, so hatte der Feldherr, unter dem der Krieg geführt worden war, die angenehme Pflicht, das Gelöbnis zu erfüllen und Jupiter das Opfer darzubringen. Zum Opfer gehörte der festliche Einzug aufs Kapitol, den wir heute als Triumphzug kennen. Dabei fuhr der Feldherr, gekleidet wie das altertümliche Standbild des Jupiter Capitolinus, in einer bestickten Toga mit rot gefärbtem Gesicht in die Stadt. Mit ihm zogen die siegreichen Truppen ein. Auf zahlreichen Wagen führte man die Teile der Beute in die Stadt, die als Gabe für Jupiter bestimmt waren. Seit der Zeit der späten Republik nutzten viele aufstrebende Politiker den eigentlich religiös motivierten Triumphzug zur Selbstdarstellung. 13 von 20 www.sunflower.ch Der Wille der Götter – das Vogelorakel Krug und Lituus, die Utensilien der Auguren, wenn sie ein Vogelorakel einholten, darunter die Inschrift «IMPER» (Imperator, Feldherr), darum herum der Lorbeerkranz des Siegers. Denar des römischen Münzmeisters Q. Caecilius Metellus, 81 v. Chr. Auch das grösste Gelübde konnte nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn die Götter einer Unternehmung nicht wohlgesinnt waren. Deshalb holten die Römer vor allen wichtigen staatlichen Aktionen ein Orakel ein, für das die Auguren zuständig waren. Anhand des Vogelflugs wurde entschieden, ob die Götter eine Aktion genehmigten oder nicht. Kein Feldzug, keine Schlacht wurde begonnen, ohne sich zuerst der Zustimmung der Götter versichert zu haben. Sie galt als so wichtig, dass das Utensil der Auguren, der Krummstab, zum Zeichen für den Papst als Nachfolger des römischen Pontifex maximus wurde. 14 von 20 www.sunflower.ch Der Wille der Götter – die Sibyllinischen Bücher Kopf der Sibylle mit Efeukranz/Dreifuss. Denar des römischen Münzmeisters L. Manlius Torquatus, 65 v. Chr. In kultischen Fragen konsultierten die Römer die sogenannten Sibyllinischen Bücher, eine Sammlung von Orakelsprüchen. Damit begründete man die Einführung neuer Götter und Feste. Diese Bücher soll die Prophetin Sibylle selbst einst dem mythischen König Tarquinius Superbus verkauft haben. Der weigerte sich beim ersten Mal, die neun Schriftrollen für den unverschämten Preis, den das alte Weib dafür forderte, zu kaufen. Doch die Sibylle kam anderntags zurück, diesmal nur noch mit sechs Rollen, für die sie die gleiche Summe haben wollte. Die restlichen drei hatte sie verbrannt. Als sie am dritten Tag nur noch mit drei Rollen kam, besann sich Tarquinius Superbus und kaufte sie für den gleichen Preis, für den er am ersten Tag noch neun Buchrollen bekommen hätte. 15 von 20 www.sunflower.ch Neue Götter werden in das römische Pantheon aufgenommen Asklepios/Aesculapius, mit Schlangenstab frontal stehend. Denar des römischen Kaisers Caracalla (198-­‐217 n. Chr.), 215 n. Chr. Mithilfe der Sibyllinischen Bücher wurde in akuten Notlagen des Staates festgestellt, welcher Kult nach Rom überführt werden sollte, um die Hilfe der darin verehrten Gottheit zu erlangen. Im Jahre 293 v. Chr. wurde z. B. Asklepios aus Epidauros nach Rom gebracht, um während einer grossen Seuche Hilfe zu leisten. Die Priester von Epidauros hatten den römischen Gesandten als Zeichen des lebendigen Gottes eine seiner Schlangen mitgegeben. Sie soll sich im Tiber auf unerklärliche Weise aus ihrem Korb befreit haben, um auf eine Insel zu schwimmen, wo man dem Gott Aesculapius, der auf diese Art und Weise gezeigt hatte, wo er wohnen wollte, ein Heiligtum errichtete. 16 von 20 www.sunflower.ch Römischer Gott ist nicht gleich griechischer Gott! Mars, der Vorkämpfer, in voller Rüstung in den Kampf stürmend. Antoninian des römischen Kaisers Hostilian (251 n. Chr.) Auch wenn die römischen Dichter spätestens seit Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. die Namen der griechischen Götter synonym zu denen der römischen gebrauchten, kann man die entsprechenden Götter nicht gleichsetzen. Deutlich wird das vor allem beim Gott Ares/Mars. Während der griechische Ares das Erlebnis darstellt, das der normale Familienvater hat, wenn er in der Schlachtreihe zur blindwütigen Kampfmaschine wird, und das die Griechen mit grossem Misstrauen betrachteten, entsprach der römische Mars dem Quirinus, war damit in erster Linie Schützer des eigenen Landes mit Waffen. In Rom war dieser Gott deshalb hoch angesehen, ihm galt einer der ältesten Kulte. 17 von 20 www.sunflower.ch Ahnenkult Porträt des C. Servilius Ahala, Magister Equitum 439 v. Chr. Denar des römischen Münzmeisters M. Junius Brutus, 54 v. Chr. Es verwundert nicht, dass das realistische Porträt im römischen Kulturkreis zu höchster Vollendung gelangte. Schliesslich gehörte in jedem Haus die Ahnengalerie, eine Sammlung von Wachsmasken toter Vorfahren, zu den grössten Heiligtümern. Als Manen wachten die Vorfahren über ihre Nachkommen und erhielten dafür Speiseopfer, die ihnen ein Weiterbestehen sicherten. Bei Beerdigungen wurden die Ahnen sozusagen wieder lebendig. Schauspieler setzten sich die Wachsmasken der Verstorbenen auf, um vor der Leichenbahre einher zu ziehen und die Vergangenheit des ganzen Geschlechts vor den Augen der Zuschauer wieder lebendig zu machen. Ihnen gesellte sich gleichsam der Tote hinzu, indem ein Schauspieler die dem Toten gerade abgenommene Wachsmaske trug und sich durch Verkleidung auch äusserlich dem Toten anglich. So war bei der Beerdigung der Tote zweimal anwesend, einmal im Leichnam, der ihn noch mit den Menschen verband, und einmal durch den Schauspieler mit der Wachsmaske im Kreis der verehrten schützenden Ahnen. 18 von 20 www.sunflower.ch Der tote Kaiser Kaiserin Paulina, auf einem Pfau in den Himmel reitend. Denar des römischen Kaisers Maximinus I. Thrax (235-­‐238 n. Chr.), 236 n. Chr. Auch der Kaiser und die Kaiserin konnten nach ihrem Tod das Reich als Schutzgottheit behüten. Dafür war ein formeller Senatsbeschluss erforderlich. Vorbedingung für so ein Senatsdekret war ein Zeuge, der den Kaiser auf einem Adler, die Kaiserin auf einem Pfau gen Himmel hatte reiten sehen. Um sicher zu gehen, dass dieser Zeuge nicht lügen musste, soll im Scheiterhaufen, der errichtet wurde, um den Leichnam des verstorbenen Mitglieds der kaiserlichen Familie zu verbrennen, ein entsprechender Vogel versteckt worden sein. Mit der Entscheidung, einen Kaiser zum Gott zu erheben oder der Damnatio memoriae preiszugeben, stand dem Senat ein Mittel zur Verfügung, mit dem nachträglich die Herrschaft jedes Kaisers be-­‐ oder verurteilt werden konnte. 19 von 20 www.sunflower.ch Die römische Form der Frömmigkeit Pietas, vor brennendem Altar stehend, den Schleier zum Opfer über den Kopf gezogen, aus der rechten Hand Weihrauch aus einem Kästchen über die Flamme streuend. Aureus des römischen Mitkaisers Lucius Verus (161-­‐169 n. Chr.), geprägt für seine Gattin Lucilla Während für uns Frömmigkeit eher eine allgemeine Haltung ist, die tief in der Seele des Einzelnen verschlossen ruht, galt dem Römer Pietas als die ehrfurchtsvolle Ausführung alles Überlieferten. Ein Mensch mit Pietas übte das häusliche Ritual genauso sorgsam aus, wie er im öffentlichen Leben seine Pflicht übernahm. «Pius» war es, die alten Gesetze der Vorfahren zu beachten und sich nach ihren moralischen Vorstellungen zu richten. Wer als Mensch Pietas zeigte, der galt als Günstling der Götter, ihm wurde ihr besonderer Schutz zu Teil. Das Gleiche galt für das gesamte römische Volk. Weil es – nach Aussage Ciceros – alle anderen Völker an Pietas übertraf, hatten ihm die Götter die Herrschaft über die Welt geschenkt. Doch damit einher ging die Verpflichtung, in dieser Pietas zu verharren, um nicht den Zorn der Götter zu entflammen, die ihre Gunst jederzeit wieder entziehen konnten. So wurden die Religion und die Pietas zur Basis des römischen Staates. 20 von 20 www.sunflower.ch