1. ÄP Medizinische Psychologie, Medizinische Soziologie - Beck-Shop

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Schwarze Reihe
1. ÄP Medizinische Psychologie, Medizinische Soziologie
Original-Prüfungsfragen mit Kommentar
Bearbeitet von
Erich Kasten, Bernhard Sabel
1. Auflage 2011. Buch. 412 S. Kartoniert
ISBN 978 3 13 114927 5
Format (B x L): 17 x 24 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Human-Medizin, Gesundheitswesen > Medizinische
Soziologie & Psychologie, Lebensqualität
Zu Inhaltsverzeichnis
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1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
1
Entstehung und Verlauf von Krankheiten
1.1
Bezugssysteme von Gesundheit
und Krankheit
1.1.1
Begriffserklärungen
I.1
Begriffserklärungen
Zunächst einmal herzlich willkommen! Wirklich
schrecklich nett, dass Sie mich angeschafft haben.
Dafür werden Sie ab heute nie mehr alleine sein,
sondern haben nun Ihren eigenen Psychologen bei
sich. Wir werden jetzt, wohl oder übel, einige Zeit
miteinander verbringen, bis Sie soviel über Psychologie gelernt haben, dass Sie die überwiegende
Mehrzahl der Psychofragen im schriftlichen Physikum problemlos beantworten können. Dies ist übrigens kein Lehrbuch, sondern ein Lernbuch. Im
Gegensatz zu richtigen Lehrbüchern, wo das alles
lang und breit erklärt wird, soll hier gar nicht lange herumgeschwafelt werden, sondern es werden
oft kurz und prägnant nur die Fachbegriffe definiert, die Sie für die Prüfung im Kopf haben müssen.
Ich möchte gleich mit der Tür ins Haus fallen und
mit einer echt schweren Frage anfangen: „Wie
geht’s Ihnen denn heute so?“ „Wie geht’s Dir?“ ist eine allgemeine Plattheit, auf die wir keine wirkliche
Antwort erwarten. Aber wonach richtet sich die
Einschätzung? Bei ehrlicher Beantwortung musste
ich voller Entsetzen feststellen, dass nur knapp ein
Drittel der Teilnehmer eines Kurses sich „so richtig
gesund“ fühlte. Die anderen waren aber nicht
schwerkrank, denn Gesundheit und Krankheit sind
keine Gegensätze (=dichotome Variable, d. h. zweigeteilte Ausprägung wie männlich/weiblich), sondern nur die Endpole eines Kontinuums. Dazwischen gibt es viele verschiedene Grade der Ausprägung (=polytome Variable). Da unser Immunsystem ständig Krankheitserreger bekämpft, sind wir
fast immer „ein kleines bisschen krank“. Krankheit
lässt sich also definieren als mehr oder minder
große Abweichung von einem biologischen, medizinischen, verhaltensmäßigen oder sozialen Normalzustand. Den unklaren Zwischenzustand, in
dem die meisten von uns sich zwischen Montagmorgen und Freitagabend befinden, bezeichnet
man als Krankheitsvorfeld. Aber was ist dann „gesund“? Die wichtigsten Definitionen der Gesundheit sollten Sie kennen, um das nächste Mal die
Frage danach, wie es Ihnen geht, kompetent zu beantworten:
● Nach der Definition eines Klinisches Wörterbuchs wird „Gesundheit“ als das Fehlen körperlicher und seelischer Störungen erklärt. „Krank-
●
●
heit“ wird dann logischerweise als das Fehlen
von Gesundheit definiert. Eine einleuchtende
Erklärung, die auch Sie sich leicht merken können.
Nach Ansicht der WHO (Welt-Gesundheitsorganisation) ist Gesundheit „der Zustand völligen
körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens“, wonach, abgesehen von einigen
Frischverliebten, wohl kaum jemand wirklich
gesund sein dürfte.
Im sozialversicherungsrechtlichen Sinn wird
Krankheit ganz pragmatisch als das Vorhandensein von Störungen definiert, die Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben und Therapie erfordern.
Bei der Entstehung von Krankheiten (Pathogenese) spielen einige wichtige Faktoren eine Rolle. Folgende Begriffe muss man sich einprägen:
Abb. 1.1 Risikofaktoren: Beruflichen Stress konnte
Herbert B. in den letzten Jahren durch die entspannende Wirkung von Alkohol, Nikotin und nahrhaften
Mahlzeiten gut kompensieren.
Allostase: Langfristige Anpassungsmechanismen
des Organismus an chronische Belastungen, z. B.
bei Stress.
Ätiologie: Theorien über die Ursachen der Entstehung einer Erkrankung (B.: Entstehung der Schizophrenie durch genetische oder sozialer Einflüsse).
aus: 1. ÄP, Medizinische Psychologie und Soziologie (ISBN 9783131149275) © 2011 Georg Thieme Verlag KG
Spontanremission: spontane Rückbildung von
Krankheiten ohne Therapie gibt es nicht nur bei
Schnupfen, sondern sogar bei Krebs.
Risikofaktoren: Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung, z. B. Sturzgefahr
bei Dachdeckern, Krebs durch Pestizide bei Landwirten, Heiserkeit bei Hochschuldozenten und
Schrei(b)krämpfe bei Medizinstudenten.
Protektive Faktoren: Schutzfaktoren, die Risikofaktoren abschwächen (B.: weniger Magengeschwüre
durch das Physikum bei Studenten mit Lerngruppe).
Resilienz (=Elastizität, Spannkraft): Aufgrund dieser Persönlichkeitseigenschaft erkranken manche
Menschen auch bei massiven Risikofaktoren (z. B.
Kriege, Katastrophen) nicht, sondern passen sich
an.
Rekrudeszenz: Rückfall im Krankheitsverlauf.
Chronifizierung: eine Erkrankung heilt nicht aus,
sondern bleibt dauerhaft bestehen (Diabetes).
Rezidiv: nach kurzzeitiger Remission (Rückbildung) kommt es zum erneuten Ausbruch (B.:
Krebs).
Epidemiologie (Seuchenkunde): Verbreitung von
Krankheiten und deren Folgen auf die Bevölkerung.
Rehabilitation: Maßnahmen zur Linderung von
schweren gesundheitlichen Störungen mit dem
Ziel der (Re-)Integration.
Klinischer Bezug
Die Kenntnis der Definitionen von Gesundheit
und Krankheit kann für sozialversicherungsrechtliche Fragen wichtig sein, wenn es darum
geht zu entscheiden, ob und in welchem Ausmaß
eine Person durch eine Störung in ihren Aktivitäten eingeschränkt ist und eine Minderung der
Lebensqualität hierdurch erfährt.
F01 ■
F10
Ú Frage 1.1: Lösung D
Ú Frage 1.2: Lösung D
Zu (A): Dispositioneller Optimismus. Theorie, dass
die Erwartung, wie ein Ereignis ausgehen wird, das
Handeln beeinflusst. Wünschenswerte Ereigniserwartungen veranlassen ein Individuum zu vermehrter Anstrengung, dieses Ziel auch zu erreichen.
Umgekehrt reduzieren Personen ihre Bemühungen,
wenn das Ziel unerreichbar erscheint. Optimisten
werden zwar seltener krank und eher wieder gesund, zeichnen sich aber nicht zwangsläufig durch
mehr Anpassungsfähigkeit aus.
Zu (B): Eysenck unterschied vier Dimensionen der
Persönlichkeit: 1. Extraversion – Introversion, 2.
Stabilität – Labilität (Neurotizismus), 3. Realismus –
Psychotizismus und 4. Intelligenz. Emotionale Stabilität hat vor allem Auswirkungen auf das Risiko,
psychisch krank zu werden. Auch stabile müssen
aber nicht psychisch elastischer sein als labile Personen.
Zu (C): Kontrollüberzeugung: Personen mit internaler Kontrollüberzeugung glauben, dass Erfolg bzw.
Misserfolg (auch Krankheiten!) von ihren eigenen
Leistungen abhängt. Personen, die external attribuieren, sehen die Ursache für Erfolg/Misserfolg in
anderen Personen oder im Schicksal.
Zu (D): Resilienz: siehe Lerntext I.1.
Zu (E): Selbstwirksamkeitserwartung ist ein von
Bandura geprägter Begriff und bedeutet die Erwartung eines Effektes/Erfolges eigenen Handelns
(Selbstwirksamkeit) unter gegebenen Situationsbedingungen unabhängig vom realen Ergebnis.
Zu (A): Der Begriff Akkulturation bezeichnet das Hineinwachsen einer Person in ihre kulturelle Umwelt. In der Regel bezieht sich der Begriff auf Heranwachsende, also Kinder und Jugendliche in der Phase der Adoleszenz. Es kann aber auch der Assimilationsprozess Erwachsener gemeint sein, die sich als
Immigranten mit einer ihnen fremden Kultur vertraut machen. Akkulturation vollzieht sich überwiegend durch Erziehung, teilweise aber auch
durch ungeplantes Lernen.
Zu (B): Stigmatisierung: Menschen mit bestimmten
Eigenschaften (z. B. psychisch Kranke) werden von
der Gesellschaft bestimmte Merkmale zugeschrieben. In der Regel werden diese Individuen damit zu
Außenseitern, d. h. von der Gesellschaft „abgestempelt“. Bei der Entstigmatisierung wird dieser Prozess umgekehrt, z. B. Integration Behinderter, durch
Aufklärung des sozialen Umfeldes oder gar der Bevölkerung.
Zu (C): Menschen mit internaler Kontrollüberzeugung glauben, dass Erfolg bzw. Misserfolg von ihren
eigenen Leistungen abhängt. Personen, die external
attribuieren, sehen die Ursache für Erfolg-Misserfolg in anderen Personen oder im Schicksal.
Zu (D): Das Konzept der Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Spannkraft) erklärt, warum auch bei Vorliegen vieler Risikofaktoren manche Personen nicht
krank werden. Dieses Konzept könnte man hier am
ehesten noch heranziehen, da das Kind trotz ungünstiger Voraussetzungen eine erfolgreiche Laufbahn einschlägt.
Zu (E): Der soziale Status einer Person hängt von einer Reihe von Statusmerkmalen (Einkommen, Ausbildung, Beruf) ab. Bei Statuskonsistenz sind die
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1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit
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1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
einzelnen Statusmerkmale etwa auf dem gleichen
Niveau, z. B. hat jemand mit Ach und Krach die Sonderschule abgeschlossen, arbeitet jetzt als ungelernter Hilfsarbeiter im Münchener Zoo und mistet
dort den Elefantenstall aus. Statusinkonsistenz liegt
bei Menschen vor, bei denen sich Statusmerkmale
in ihren Niveaus deutlich unterscheiden (z. B. sehr
gute Ausbildung und Einkommen, das mit Ach und
Krach zum Leben reicht).
H10
Ú Frage 1.3: Lösung E
Zu (A), (B) und (D): Protektivfaktoren sind alle Faktoren, die ein Individuum vor Schädigung schützen.
Es lassen sich personale (interne) von sozialen, ökologischen und ökonomischen (externen) Ressourcen unterscheiden. Die Bewältigung von Stressbelastungen ist davon abhängig, wie gut Personen in
einer Belastungssituation sowohl interne als auch
externe Ressourcen mobilisieren können. Diese
Ressourcen sind individuelle Lebenskompetenzen
(Skills), Persönlichkeitsmerkmale und spezifische
Bewältigungsstrategien. Beispiele für externe Ressourcen sind z. B. die Sicherung der Erfüllung von
Grundbedürfnissen, ausreichender Wohnraum, sozialer Rückhalt, soziale Integration und soziale Unterstützung. Solche Protektivfaktoren können
Krankheiten verhindern ((A) z. B. durch ein gesundes Immunsystem), im Verlauf abschwächen (B), einer Chronifizierung und Wiederauftreten vorbeugen (D).
Zu (C): Das Konzept der Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Spannkraft) erklärt, warum auch bei Vorliegen vieler Risikofaktoren manche Personen nicht
krank werden. Die Resilienz gehört mit zu den Protektivfaktoren.
Zu (E): Diese Antwortmöglichkeit macht keinen
Sinn, im Leben bestehen immer Risiken.
H09
Ú Frage 1.4: Lösung A
Zu (A): Als Allostase werden langfristige Anpassungsmechanismen des Organismus an chronische
Belastungen bezeichnet, z. B. bei Stress.
Zu (B): Die Homöostase ist die Selbstregulierung
zur Einhaltung eines Gleichgewichts, das für die Lebenserhaltung notwendig ist (z. B. Körpertemperatur, Blutzucker).
Zu (C): Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Spannkraft): siehe Lerntext I.1.
Zu (D): Stressoren (Stressfaktoren) sind definiert als
alle äußeren oder inneren Reize, die eine Anpassungsreaktion des Individuums erfordern. Hierbei
wird positiver Stress (Eustress) und belastender
Stress (Dysstress) unterschieden.
Zu (E): Vulnerabilität (Verletzlichkeit): Personen
können hinsichtlich bestimmter Störungen eine ho-
he Vulnerabilität haben, d. h. besonders leicht daran
erkranken.
F10
Ú Frage 1.5: Lösung A
Zu (A): Ein Rezidiv ist ein Rückfall im Heilungsprozess bzw. das Wiederauftreten einer bekannten Erkrankung.
Zu (B): Das wäre Spontanremission.
Zu (C): Das könnte z. B. bei Chronifizierung der Fall
sein.
Zu (D): Damit wird Non-Compliance beschrieben.
Zu (E): Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen wird z. B. durch das Konzept der Resilienz
beschrieben.
1.1.2
I.2
Die betroffene Person
Aspekte der Gesundheitspsychologie
Krankheit lässt sich heute zwar objektiv messen
(B.: erhöhte Lymphozytenzahl, Tumor im MRT),
die Patienten schert das jedoch nichts, sie kommen einfach wegen subjektiv empfundener Beschwerden zum Arzt. Hierbei spielen eine Rolle:
● Exterozeption: Wahrnehmung äußerer Faktoren (B.: Lärm).
● Interozeption: Spüren innerer Funktionen;
● Nozizeption: Schmerzwahrnehmung;
● Propriozeption: Eigenwahrnehmung des Körpers (B.: Haltung, Stellung der Gelenke).
● Viszerozeption: Wahrnehmung innerer Organe,
besonders der Eingeweide.
Nur so spaßeshalber, kreuzen Sie mal an:
Ich habe ...
fast
nie
selten
mittel
oft
sehr
oft
über 10-stündige Arbeitstage
Prüfungsstress +
Referate
Fast-Food
Über- oder
Untergewicht
Schlafmangel
Bewegungsmangel
Zuwendungsmangel
Liebeskummer,
Depressionen
Burnout,
Überlastung
Finanzielle
Sorgen
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Ich habe ...
fast
nie
selten
mittel
oft
sehr
oft
Rauchen
Alkohol /
Drogen
Umgang mit
krebserrgd.
Chemikalien
Risikoreiches
Zweirad- od.
Autofahren
Die Gesundheitspsychologie arbeitet krankmachende psychosoziale Faktoren heraus. Warum
nehmen Sie Risikofaktoren in Kauf, obwohl gerade
Sie als Medizinstudent/-in wissen müssten, dass
diese irgendwann in Krankheit resultieren?
Wie es uns geht ist auch eine Frage danach, wie
wir Körperempfindungen interpretieren. Gedanken nennen wir ab jetzt „Kognitionen“ und merken uns, dass es „heiße“ und „kalte“ davon gibt.
Damit ist leider nicht das gemeint, woran Sie jetzt
wahrscheinlich denken. Richard Lazarus (US Psycho-Proff) unterschied „knowledge“ (fachliches
Wissen z. B. über eine Krankheit = kalte Kognitionen) und „appraisal“ (persönliche Betroffenheit =
heiße Kognitionen). Solche Gedankengänge umfassen:
1. Symptomwahrnehmung („Ich habe Bauchschmerzen!“);
2. Attributionen (=Ursachensuche: „Das Verfallsdatum der Wurst war vor drei Monaten abgelaufen.“);
3. Einschätzung der Bedrohlichkeit („An einer
Fleischvergiftung kann man elendiglich eingehen!“);
4. Kontrollüberzeugung („Bestimmt hilft Kamillentee!“);
5. Selbstwirksamkeit: Erwartung des Erfolges eigenen Handelns („Es wird helfen, wenn ich mir
den Finger in den Hals stecke“);
6. Krankheitsschemata: („Besser, ich lese das erst
mal genau nach. Wo ist denn bloß Omas Buch
‚Die Frau als Hausärztin?’“).
Kognitionen bestimmen auch, wie stark wir uns
auf Reize konzentrieren und ob wir sie verstärken,
abschwächen oder leugnen. Z. B. erhöht die gedankliche Fokussierung auf eine Wunde das
Schmerzerleben massiv. Die Symptomwahrnehmung ist auch abhängig von der persönlichen
Lerngeschichte. Jeder Mensch hat im Verlauf seines Lebens Hypothesen über die Entstehung von
Krankheiten gelernt, die beim Auftauchen von
Krankheitsanzeichen herangezogen werden und
zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Nasenbluten kann man als harmlos oder als Symptom für Leukämie ansehen.
Klinischer Bezug
Krankheit ist nicht alleine ein körperlicher Prozess, sondern unteilbar verbunden mit den Kognitionen der erkrankten Person. Diese Einstellungen
sind vom Arzt zu berücksichtigen.
H05
Ú Frage 1.6: Lösung E
Zu (A): Introspektion: Untersuchung psychischer
Vorgänge durch Selbstbeobachtung.
Zu (B): Nozizeption: Schmerzwahrnehmung.
Zu (C): Propriozeption: Eigenwahrnehmung des
Körpers.
Zu (D): Sensitization: Der sensitive Reaktionstyp
(„sensitizer“) nimmt Gefahren übermäßig stark
wahr und ist emotional viel damit beschäftigt. Gegenteil ist der Repressor.
Zu (E): Viszerozeption: Wahrnehmung von Prozessen aus den Bereichen der inneren Organe, besonders der Eingeweide.
F07 H04
Ú Frage 1.7: Lösung B
Zu (A): Exterozeption: Wahrnehmung äußerer Faktoren wie Berührung, Temperatur, Licht.
Zu (B): Interozeption: Wahrnehmung von vegetativen Prozessen aus inneren Organen, hier z. B. Herzschlag.
Zu (C): Nozizeption: Schmerzwahrnehmung.
Zu (D): Propriozeption: Wahrnehmung innerer
Funktionen wie z. B. Lage oder Haltung des Körpers.
Zu (E): Somatisierung: Ausbildung eines körperlichen Symptoms bei einer ursprünglich psychischen
Störung.
H10
Ú Frage 1.8: Lösung A
Zu (A): Der Begriff Nozizeption bezeichnet die
Schmerzwahrnehmung.
Zu (B): Unter Propriozeption ist die Wahrnehmung
innerer Funktionen wie z. B. Lage oder Haltung des
Körpers zu verstehen.
Zu (C) und (D): Die beiden Begriffe beschreiben Persönlichkeitseigenschaften. Repression ist die Unterdrückung oder Verleugnung von Bedürfnissen oder
Gefühlen. Ein Sensitizer (sensitiver Reaktionstyp)
besitzt eine sehr starke Eindrucksfähigkeit für Erlebnisreize und achtet in mehrdeutigen Situationen
stark auf beziehungsrelevante Hinweise der Kommunikation. Der Repressor verleugnet Gefahren,
der Sensitizer dagegen nimmt mögliche Gefahren
geradezu übermäßig wachsam wahr.
Zu (E): Viszerozeption ist die Wahrnehmung von
Prozessen aus dem Bereich der „Eingeweide“.
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1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit
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1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
F05
Ú Frage 1.9: Lösung D
Zu (A): Kontrollüberzeugung: Ein Ergebnis kann abhängig von den eigenen Fähigkeiten oder von Umweltfaktoren sein. Personen mit einer internalen
Kontrollüberzeugung gehen davon aus, dass Erfolg
und Misserfolg von eigenen Leistungen abhängt.
Bei externaler Kontrollüberzeugung wird die Ursache in anderen Personen oder Schicksalsschlägen
gesehen. Bei der übergewichtigen Patientin liegt
aber eine internale und keine externale Kontrollüberzeugung vor.
Zu (B): Kognitive Dissonanz tritt auf, wenn zwei
(oder mehr) widersprüchliche Erkenntnisse in einem Individuum aufeinander treffen („Ich esse
sooooooo gerne Schokoladenpudding!“ versus „Oh,
ich habe mich ja gerade mit einer Diät einverstanden
erklärt.“). Bei der Patientin wird leider keine solche
Dissonanz geschildert.
Zu (C): Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Spannkraft).
Zu (D): Selbstwirksamkeitserwartung: Die Aussage
der Patientin, dass sie es schaffen kann abzunehmen, wenn sie es wirklich will, fällt in diesen Bereich.
Zu (E): Soziale Verstärkung: Soziale Verstärker sind
Lob (in Form von Gestik und verbalen Äußerungen)
und Zuwendung im Gegensatz zu materiellen Verstärkern. Soziale Verstärker sollen in systematischer
Abhängigkeit vom gewünschten Verhalten des Patienten vom Therapeuten gegeben werden. Systematische soziale Verstärkung ist v. a. bei Patienten
mit leichten Verhaltensauffälligkeiten geeignet.
Hier ist nicht die Rede davon, ob der Arzt die Patientin für das Abnehmen sozial verstärken wird.
I.3
Attributionstheorie
Wer ist Schuld, wenn Sie durch ein Testat gefallen
sind? Wem schreiben Sie das Verdienst zu, wenn
Sie eine Prüfung bestanden haben? Attributionstheorien beschäftigen sich mit solchen Ursachenzuschreibungen. Auch für Krankheiten gibt es derartige Attributionen; man differenziert:
● Extern/intern: Bei externalen Kontrollüberzeugungen werden außenstehende Mächte oder
das Schicksal verantwortlich gemacht („Diese
Bauchschmerzen! Es könnte Magenkrebs sein.
Mein Überleben hängt jetzt nur noch von den
Ärzten ab“). Bei internalen Attributionen wird
die Verantwortlichkeit in sich selbst gesehen
(„Bin selbst Schuld; habe die letzten Tage wohl zu
oft bei MacDagobert gegessen“).
● Global/spezifisch: Globale Kontrollüberzeugungen dehnen sich über alle Lebensbereiche aus,
spezifische beziehen sich nur auf abgrenzbare
Bereiche (z. B. Beruf oder Partnerschaft).
●
●
Variabel/stabil: Bei variablen Attributionen
werden die Ursachen für einen Handlungsausgang jeweils unterschiedlich bewertet; stabile
bedeuten, dass die Person davon ausgeht, dass
sie immer Glück/Pech hat.
Kontrollierbar/unkontrollierbar: Lässt sich die
Ursache eines Handlungsausganges künftig
kontrollieren (Prüfungsversagen durch Faulheit) oder ist das Resultat nicht mit eigenen
Möglichkeiten zu steuern (fieser, unberechenbarer Prüfer): Im zweiten Fall kommt es
zu Gefühlen der Hilflosigkeit. Der Glaube, eine
Krankheit kontrollieren zu können, erhöht die
„Selbstwirksamkeit“, die Sie im letzten Lerntext
kennengelernt haben. Selbstwirksamkeits-Kognitionen sind entscheidend für gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (z. B. Abmagerungskur, Raucherentwöhnung, Sport treiben).
Eine Kieler Studie zeigte, dass Attributionen auch
Einfluss auf das Heilungsgeschehen haben. Nach
einem Verkehrsunfall hatten diejenigen Patienten
den besten Heilungsverlauf, die den Unfall für unvermeidbar hielten und sich selbst gar keine
Schuld zuschrieben. Patienten dagegen, die gedanklich an der Frage „Warum gerade ich?“ („Why
me?“) klebten, verweilten länger im Krankenhaus.
Grübeleien führen zu Depressionen, die den Heilungsverlauf verzögern.
Actor-Observer: Sie beobachten wie auf offener
Straße ein breitschultriger, grimmig aussehender,
bärtiger Mann einen harmlos wirkenden, schlanken Jugendlichen brutal festhält und auf ihn einbrüllt. Wer ist der Böse? Der Akteur-BeobachterAnsatz geht davon aus, dass Beobachter oft die
Personenmerkmale des Handelnden überschätzen, der Akteur dagegen attribuiert auf die situativen Einflüsse. Beobachter kennen die beobachtete
Person nur aus diesem einen Beispiel und sehen
daher gleich eine Persönlichkeitseigenschaft hinter dem Verhalten; ist man selbst Akteur, kennt
man sich selbst aus vielen ähnlichen Situationen
und weiß um die Konsistenz der eigenen Charaktereigenschaften. In dem obigen Beispiel handelte
es sich bei dem Bärtigen um einen unbescholtenen Bürger, dem der Jugendliche gerade die Brieftasche geklaut hatte.
Klinischer Bezug
In welchem Ausmaß ein Patient sich bemüht gesund zu leben oder eine Krankheit aktiv zu bekämpfen, hängt von seinen Attribuierungen ab.
Insbesondere bei mangelhafter Zusammenarbeit
sollte der Arzt sich über solche Ursachenzuschreibungen Gedanken machen.
aus: 1. ÄP, Medizinische Psychologie und Soziologie (ISBN 9783131149275) © 2011 Georg Thieme Verlag KG
Ú Frage 1.10: Lösung A
Zu (A): Attribution: siehe Lerntext I.3. Die Attributionstheorie beschäftigt sich also vorrangig mit den
in der IMPP-Frage genannten Sachverhalten.
Zu (B): Gestalttheorie: Theorie, die Anfang des 20.
Jahrhunderts z. B. von Wertheimer, Köhler, Koffka
und Lewin begründet wurde: Das Ganze ist mehr
als die Summe seiner Teile. Auch psychische Prozesse setzen sich nicht einfach aus Teilen zusammen,
sondern bilden eine Ganzheit.
Zu (C): Der Behaviorismus beschäftigt sich nur mit
Ein- und Ausgangsvariablen und macht keine Aussagen darüber, was dabei eigentlich im Individuum
geschieht. Dies wird als „black-box“-Phänomen
(engl. = schwarzer Kasten) bezeichnet. Nicht betrachtbar sind alle die Variablen, die in der Versuchsperson selbst wirksam und damit nicht messbar sind.
Zu (D): Die faktorenanalytischen Persönlichkeitsmodelle beruhen auf korrelationsstatistischer Auswertung der Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften durch Fragebögen.
Zu (E): Psychoanalytische Modelle betonen die Dynamik unterschiedlicher Anteile der Persönlichkeit.
Solche Theorien wurden z. B. entwickelt von Sigmund Freud, Alfred Adler oder Wilhelm Reich. Ganz
falsch ist diese Lösungsmöglichkeit nicht, da auch
die Psychoanalyse sich mit den in der IMPP-Frage
genannten Sachverhalten auseinandersetzt. Allerdings ist es hier eher der Analytiker, der den Sinn
des Verhaltens zu ergründen versucht, weniger der
Mensch selbst.
F07 F01
Ú Frage 1.11: Lösung A
Zu (A): Actor-Observer-Ansatz: siehe Lerntext I.3.
Zu (B): Kausalattribution bedeutet Zuschreibung
der Ursachen für eine Handlung.
Zu (C): Das kognitive Modell psychischer Störungen
geht davon aus, dass dysfunktionale Gedankengänge Ursache vieler psychischer Störungen sind. Therapietechniken wie die kognitive Umstrukturierung
oder die rational-emotive Therapie bemühen sich
darum, negative, selbstzerstörerische oder hemmende Gedankengänge („Helga hat mich heute noch
gar nicht begrüßt.“) durch positive zu ersetzen („Bestimmt macht sie sich gerade besonders hübsch für
mich und kommt erst dann ...“).
Zu (D): Kontrollüberzeugung: Hinsichtlich der Gesundheit geht der Arbeiter also davon aus, dass seine Gesundheit von Schicksalsschlägen abhängt und
er selbst gar nichts dafür tun kann.
Zu (E): Nach dem Konzept der Wahrnehmungsabwehr („perceptual defense“) werden unangenehme
oder tabuisierte Reize unbewusst abgelehnt. Experimentell wurden hierfür z. B. Worte tachistosko-
99
pisch dargeboten. Gewisse „Tabuworte“, die aus
Gründen des sozialen Anstandes auch in dieser
Ausgabe bedauernswerterweise leider wieder einmal nicht zitiert werden können, wurden gar nicht,
schlechter oder erst zeitlich verzögert erkannt.
Auch kritische Gedanken zur eigenen Person könnten auf diese Art abgewehrt werden.
Kommentare
H03 F01
1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit
F03 ■ ■
Ú Frage 1.12: Lösung C
Zu (A)–(E): Die Person in dem Beispiel dieser Frage
sieht die Schuld für das Misslingen seiner sozialen
Beziehungen in sich selbst („Ich sage meist irgendwelche Sachen ...“), die Attribution ist also internal.
Darüber hinaus ist sie global („Egal, mit wem ich in
Kontakt trete ...“) und stabil („Das ist überhaupt so
typisch für mich ...“). Damit ist (C) richtig.
I.4
Krankheitsschemata
Ausschlaggebend dafür, wie man selbst die Ursachen für eine Krankheit attribuiert, sind subjektive Krankheitsschemata. Wer hinter Herzrhythmusstörungen gleich eine Endokarditis vermutet,
wird mehr Angst haben, intensiver auf die Symptome achten und früher einen Arzt aufsuchen. Bei
Patienten mit der medizinisch harmlosen, psychisch-bedingten „Herzphobie“ kommt es zum
gegenseitigen Aufschaukeln: Die Angst verstärkt
die Symptome (Herzrasen) wodurch sich das Panikgefühl verstärkt usw. Solche Krankheitsschemen sind – abhängig vom medizinischen Vorwissen – mehr oder weniger gut fundiert. Symptome
werden danach klassifiziert, was dann zu einem
Versuch der Selbstbehandlung führt („Blutreinigungstee trinken“). Neue Krankheitsanzeichen
führen dabei wesentlich häufiger zum Aufsuchen
des Arztes als bekannte, da das Schema fehlt. Diese Krankheitsschemata stehen in enger Relation
zur Gesamtpersönlichkeit und zur Lebensgeschichte. Eine generell eher ängstliche Person
wird auch geringfügige Symptome überschätzen
und als Bedrohung ansehen. Jemand, dessen Eltern an Herzinfarkt gestorben sind, wird schon
auf ein leichtes Stolpern des eigenen Herzens mit
Panik reagieren. Hypochondrie (Hineinsteigern in
eingebildete Krankheitssymptome) markiert hier
das eine Ende eines Kontinuums und Indolenz
(Gleichgültigkeit gegen Schmerzen) das andere.
Klinischer Bezug
Wenn ein Patient einen Arzt aufsucht, so hat dieser die Schemata der wichtigsten Krankheiten im
Kopf und versucht nun die Symptome einzuordnen.
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Kommentare
100
1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
1.1.3
Die Medizin als Wissens- und
Klinischer Bezug
Handlungssystem
Medizinische Diagnosen sind nicht unfehlbar. Die
Benutzung von Klassifikationssystemen hilft vergleichbare Diagnosen zu erstellen.
Zu diesem Kapitel gibt es keine aktuellen Fragen.
I.5
Die Medizin als Wissens- und
Handlungssystem
Im Gegensatz zum reichen Spektrum subjektiver
Befindlichkeit orientiert sich die klassische Medizin an objektiven Messdaten. Ein kostenintensives
Sammelsurium unterschiedlichster Techniken
analysiert sämtliche erfassbaren Parameter und
vergleicht diese mit Normalwerten aus Tabellen.
Abweichungen werden ab bestimmten Grenzwerten als pathologisch bezeichnet. Das hört sich
ganz logisch an, allerdings liegen in der Alltagsroutine des Arztes nicht immer tabellarische
Normwerte vor (z. B. beim CT oder MRT ist man
auf seine Erfahrung angewiesen) und manche
Symptome sind kaum wirklich messbar (z. B.
Schmerzen). Hinter manchen Änderungen verbirgt sich nur ein Messfehler (B.: hoher Creatinkinase-Wert durch Leistungssport und nicht durch
einen Herzinfarkt). Darüber hinaus können auch
zufällige Ereignisse (z. B. miserabler Nachtschlaf,
Wetterumschwung) Testergebnisse verfälschen.
Wichtiger Merksatz für Ihr künftiges Arztleben:
Alle Messergebnisse sind mehr oder minder fehlerbehaftet. Verlassen Sie sich nie auf einen Wert;
was zählt ist die Gesamtheit des Patienten und
seiner Symptome! Darüber hinaus gibt es auch
gesunde Kranke: Eine Person, die völlig glücklich
ist und sich auf der Höhe ihres Leistungsvermögens fühlt, kann im medizinischen Sinne als krank
eingestuft werden (z. B. manische Phase einer bipolaren affektiven Störung) oder ein Patient, der
sich sterbenskrank fühlt wird aufgrund der körperlichen Befunde als völlig gesund eingestuft
(z. B. Hypochonder).
Klassifikationssysteme
Jahrzehntelang wurden in Nordamerika viel mehr
Schizophrenien diagnostiziert als in Europa. Ist
diese Erkrankung dort wirklich häufiger? Oder
neigten die Psychiater in Übersee leichter zum Urteil einer Psychose? Um Diagnosen überregional
zu vereinheitlichen, wurden Klassifikationssysteme geschaffen, die Ein- und Ausschlusskriterien
genau definieren. Die am häufigsten benutzten
Systeme sind:
ICD = International Classification of Diseases
ICIDH: International Classification of Impairments,
Disabilities and Handicaps
DSM = Diagnostisches und Statistisches Manual
psychischer Störungen
Auf alle drei kommen wir später noch ausführlicher zu sprechen.
1.1.4
I.6
Die Gesellschaft
Normen
Warum werden Sie in Rom auch bei heißem Wetter vermutlich nicht nackt in einem städtischen
Springbrunnen baden? Sonderbarerweise bemüht
man sich selbst in Gegenwart völlig fremder Personen einen „ordentlichen Eindruck“ zu hinterlassen. Menschliches Zusammenleben wird durch
Normen geregelt. Die Einhaltung solcher Verhaltenserwartungen wird durch positive/negative
Sanktionen belohnt oder bestraft. Normen
schränken zwar das individuelle Verhalten ein,
machen es aber auch vorhersagbarer. Was eigentlich ist „normal“? Im November 2007 wurde ein
Schotte zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil
er in einem Hotelzimmer Sex mit seinem Fahrrad
hatte. Hinsichtlich der Einschätzung, ob ein solches Verhalten als „gesund“ oder „krank“ eingestuft wird, spielen Normen der Gesellschaft eine
Rolle. Man unterscheidet:
Statistische Norm: rechnerischer Durchschnitt,
Mittelwert der Bevölkerung plus-minus eine
Standardabweichung (keine Panik: was eine Standardabweichung ist, wird später erklärt). Als „normal“ gilt demnach alles das, was in der Bevölkerung am häufigsten vorkommt. Wie häufig z. B.
Sex mit Fahrrädern ist, stellt leider eine völlig unbekannte Größe dar.
Therapeutische Norm: Hoher Blutdruck ist im Alter häufig, d. h. statistisch gesehen „normal“. Man
definiert daher als Behandlungsziel einen therapeutisch wünschenswerten Normalzustand.
Funktionsnorm/funktionale Norm: Hier ist das
Normkriterium eine Funktion, z. B. laufen, heben,
sprechen, lieben können. Eine Krankheit ist unbedeutend, wenn keine Beeinträchtigung spürbar
ist.
Idealnorm: Wertbegriff zur Orientierung, höchstes erreichbares Ziel für ein Individuum; z. B.
Idealgewicht.
Rollennorm: Mit jeder sozialen Rolle (Tochter,
Freundin, Studentin, Prüfling usw.) sind Rollenanforderungen verbunden, die beschreiben wie sich
der Träger zu verhalten hat. Hinsichtlich der jeweiligen Rollennorm kann man sich konform (angepasst) oder nonkonform (unangemessen, widerspenstig) verhalten. Wie wäre es, wenn Sie in
der mündlichen Prüfung mal ihrem Professor ein
paar Fragen stellen, um abzuchecken, was der au-
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ßerhalb seines Fachgebietes sonst noch von Medizin versteht?
Soziale Normen sind gruppenspezifische Verhaltensanweisungen, d. h. konkrete Vorschriften über
Handlungen in sozialen Situationen. Der „fleißige
Deutsche“ war früher einmal eine soziale Rolle
mit entsprechenden Normen, nach der wir unser
Selbstbild und das Fremdbild von anderen eingeschätzt haben. Viele psychische Krankheiten (z. B.
Schizophrenie, Oligophrenie, Manie, Soziopathie)
äußern sich darin, dass die Betreffenden übliche
soziale Normen nicht einhalten können.
Bezugsnorm: Normen und Werte der Bezugsgruppe (z. B. Ärzteschaft), mit der eine Person sich
identifiziert.
Klinischer Bezug
Bei der Vorstellung eines Patienten muss auch der
Arzt in der Lage sein zu entscheiden, ob nicht nur
dessen Blutwerte, sondern auch das Verhalten des
Patienten als „normal“ zu beurteilen ist.
F07
Ú Frage 1.13: Lösung C
Zu (A): Diagnostische Norm: Medizinische wie auch
psychologische Diagnoseverfahren sind normiert,
d. h. es gibt Qualitätsvorschriften, denen eine Untersuchungsmethode genügen muss. Diagnostisches
Handeln wird dann an dieser Norm gemessen. Bei
fehlerhaften Therapieerfolgen kann ggf. sogar gerichtlich geprüft werden, in welchem Ausmaß die
Diagnose einer Erkrankung solchen Qualitätsmerkmalen entsprach.
Zu (B): Funktionale Norm/Funktionsnorm: siehe
Lerntext I.6.
Zu (C): Idealnorm: siehe Lerntext I.6.
Zu (D): Statistische Norm: siehe Lerntext I.6.
Zu (E): Therapeutische Norm: siehe Lerntext I.6.
F01
Ú Frage 1.14: Lösung D
Zu (A): Statistische Norm: siehe Lerntext I.6.
Funktionsnorm: siehe Lerntext I.6.
Zu (B): Individuelle Gesundheitsüberzeugung: Es
hängt von den individuellen Einstellungen einer
Person ab, als was sie Gesundheit und Krankheit
definiert und ab wann sie sich krank fühlt. Der eine
geht mit einem dicken Schnupfen problemlos zur
Arbeit, der andere meint, das sei ausreichend, um
sich 14 Tage krankschreiben zu lassen.
Zu (C): Idealnorm: siehe Lerntext I.6.
Zu (D): Idealnorm: Eine Idealnorm wäre auch der
Besuch von Vorsorgeuntersuchungen, denn wir alle
wissen, wie wichtig das insbesondere bei Tumorerkrankungen im Ernstfall gewesen wäre.
Statistische Norm: Durchschnittsnorm; das Verhalten, welches im statistischen Sinne die meisten
Menschen zeigen. Die meisten Personen gehen
nicht zu Vorsorgeuntersuchungen. Es liegt also eine
Diskrepanz zwischen Ideal- und statistischer Norm
vor.
Zu (E): Individuelle Gesundheitsüberzeugung: Es
hängt von den individuellen Einstellungen einer
Person ab, als was sie Gesundheit und Krankheit
definiert und ab wann sie sich krank fühlt.
Schichtspezifisches Gesundheitsverhalten: Unterschiede im Gesundheits- und Krankheitsverhalten
der Angehörigen verschiedener sozialer Schichten
gibt es in folgenden Bereichen: Untere Schichten
sollen höhere Symptomtoleranz zeigen und entsprechend seltener den Arzt konsultieren. Krebsund Schwangerenvorsorgeuntersuchungen werden
von sozial schwächeren Schichten weniger genutzt.
Auch gebe es in den unteren Schichten mehr Zigarettenraucher. Der sprachliche Umgang mit dem
Arzt fällt Angehörigen höherer Schichten leichter
als denen unterer Schichten. Der Informationsstand
in medizinischen Dingen ist in unteren Schichten
geringer.
Eine Diskrepanz zwischen individueller Gesundheitsüberzeugung („Ich fühle mich doch gesund, also
warum sollte ich zur Vorsorgeuntersuchung gehen?“)
liegt gerade bei unteren Sozialschichten nicht vor.
F08
Ú Frage 1.15: Lösung C
Zu (A): Eine Reduzierung von Beeinträchtigung des
Patienten im Alltag ist zumindest bei Blutdruck ein
schwieriges Kapitel. Menschen, die jahrelang zu hohen Blutdruck hatten, fühlen sich nach Einstellung
mit blutdrucksenkenden Medikamenten oft schlapp,
müde und nicht leistungsfähig. β-Blocker können
darüber hinaus zur Impotenz führen.
Zu (B): Psychisches Wohlbefinden gehört zur WHODefinition von Gesundheit, stellt aber keine Norm
dar.
Zu (C): Risikosenkung von Folgekrankheiten stellt
die therapeutische Norm dar, die medizinisch definiert ist.
Zu (D): Statistische Norm: siehe Lerntext I.6.
Zu (E): Nach Ansicht der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ist Gesundheit „der Zustand völligen
körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens“.
I.7
Abweichendes Verhalten
Letztlich müssen wir alle gut funktionieren, damit
diese Gesellschaftsform stabil bleibt. Ohne hohe
Spezialisierung und den regen Austausch von
kleinen bedruckten Papierscheinchen, müsste jeder einzelne seine Kartoffeln wieder selbst im
Garten anbauen. Zu viele unproduktive Mitglieder
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1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit
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