INSTITUT FÜR STOCHASTIK UNIVERSITÄT KARLSRUHE Priv.-Doz. Dr. D. Kadelka Dipl.-Math. W. Lao SS 2009 Blatt 1 Übungen zur Vorlesung Stochastische Prozesse Musterlösungen Aufgabe 1: (Verzweigungsprozess) Die Generation 0 einer Population bestehe aus einem Individuum, das sich mit Wahrscheinlichkeit pk in k Nachfahren teilt (k ∈ N). Jeder dieser Nachfahren der Generation 1 teilt sich wiederum unabhängig von den anderen Individuen gemäß der Verteilung (pk )k∈N in eine zufällige Anzahl von Nachfahren. Die Zufallsvariable Xn beschreibe die Anzahl der Individuen der n-ten Generation (n ∈ N0 ). Zeigen Sie, dass (Xn )n∈N0 eine Markovkette ist, und geben Sie die zugehörige Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion von Generation n nach Generation n + 1 an. Lösung: Xn+1,j sei die Anzahl der Individuen der n + 1-ten Generation, die vom j-ten Mitglied der Generation n abstammen. Die (Xn+1,j ) sind also alle unabhängig und identisch verteilt mit Verteilung (pk )k∈N . Die Anzahl der Individuen der n + 1-ten Generation ist nun gegeben durch Xn X Xn+1 = Xn+1,j (n ∈ N0 ). j=1 Damit folgt P (Xn+1 = kn+1 | X0 = k0 , . . . , Xn = kn ) = P ( kn X Xn+1,j = kn+1 ) = P (Xn+1 = kn+1 | Xn = kn ) . j=1 (Xn ) ist also eine Markovkette mit Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion ! ! Xn k X X pn,n+1 (k, l) = P (Xn+1 = l | Xn = k) = P Xn+1,j = l | Xn = k = P Xn+1,j = l j=1 j=1 für k ≥ 1 und l ≥ k, sonst ist pn,n+1 (k, l) = 0. Aufgabe 2: (Success Run) Ein Basketballspieler verwandelt einen Freiwurf mit Trefferwahrscheinlichkeit p = 0.7 unabhängig von früheren Versuchen. In einer Folge von Freiwürfen sei Xn die Anzahl der unmittelbar vor dem (n + 1)-ten Wurf erzielten Treffer, die nicht durch einen Fehlwurf unterbrochen werden (Success Run). Zeigen Sie, dass (Xn )n∈N0 eine Markovkette bildet und geben Sie die zugehörige Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion an. Lösung: Sei Xn die Anzahl der unmittelbar vor dem (n + 1)-ten Wurf erzielten Treffer, die nicht durch einen Fehlwurf unterbrochen wurden. Desweiteren sei Yn der Ausgang des n-ten Wurfes (n ≥ 1). Dabei ist ( 1, falls der n − te Wurf Treffer, Yn = 0, falls der n − te Wurf kein Treffer. Es sei U : N0 × {0, 1} → N0 und ( x + y, falls y = 1, U (x, y) = 0, falls y = 0. Somit ist X0 = 0 und Xn = U (Xn−1 , Yn ) für n ≥ 1 und (Xn ) eine Markovkette mit Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion pn,n+1 (k, l) = P(Xn+1 = l | Xn = k) 0.7, l = k + 1, = P(U (k, Yn+1 ) = l) = 0.3, l = 0, 0, sonst. Aufgabe 3: Das Wetter in Karlsruhe an aufeinanderfolgenden Tagen sei beschrieben durch eine Markovkette X := (Xn )n∈N0 mit dem Zustandsraum E = {1, 2, 3}, deren Zustände wir wie folgt interpretieren: 1 = regnerisch, 2 = bewölkt, 3 = sonnig. Heute sei es bewölkt, d.h. es sei P(X0 = 2) = 1. Die Übergangswahrscheinlichkeiten seien gegeben durch IP(Xn+1 = ` | Xn = k) l 1 2 3 1 0.3 0.7 0 k 2 0.3 0.3 0.4 3 0.1 0.3 0.6 a) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es übermorgen regnet? b) Wie entwickelt sich das Wetter nach n Tagen? Berechnen Sie mit einem geeigneten Programm P(Xn = k) für n = 1, . . . , 100 und k ∈ E. c) Welche Vermutungen kann man den in b) gewonnenen Daten entnehmen? Lösung: Gemäß Satz 2.10 ist die Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion p := pn,n+1 von Stufe n nach Stufe n + 1 durch die oben angegebene, von n unabhängige Matrix gegeben, also p(k, `) l 1 2 3 1 0.3 0.7 0 k 2 0.3 0.3 0.4 3 0.1 0.3 0.6 a) Gesucht ist die bedingte Wahrscheinlichkeit P(X0 = 2, X2 = 1) P(X2 = 1 | X0 = 2) = P(X0 = 2) 3 X P(X0 =2)=1 = 3 X (2.11) P(X0 = 2, X1 = k, X2 = 1) = k=1 P(X0 = 2) · p(2, k) · p(k, 1) = 1 · 0.3 · 0.3 + 1 · 0.3 · 0.3 + 1 · 0.4 · 0.1 = 0.22 k=1 b) Sei n ∈ N0 beliebig. Wegen (2.12) aus Satz 2.10 gilt P(Xn+1 = ` | Xn = k) = p(k, `) und damit X X P(Xn+1 = `) = P(Xn = k, Xn+1 = `) = P(Xn = k) · p(k, `), ` ∈ E, k∈E k∈E hier also immer (∗) P(Xn+1 = `) = P(Xn = 1) · p(1, `) + P(Xn = 2) · p(2, `) + P(Xn = 3) · p(3, `) für ` = 1, 2, 3. Die Wahrscheinlichkeiten P(Xn = k) lassen sich also gemäß (∗) leicht rekursiv berechnen. Wir erhalten mit P(X0 = 2) = 1 für n = 0, 1, . . . , 15 P(Xn = k) 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 k 1 0.0 0.3 0.22 0.228 0.2232 0.22288 0.222432 0.222317 0.222258 0.222237 0.222228 0.222225 0.222223 0.222223 0.222222 0.222222 2 1.0 0.3 0.42 0.388 0.3912 0.38928 0.389152 0.388973 0.388927 0.388903 0.388895 0.388891 0.388890 0.388889 0.388889 0.388889 3 0.0 0.4 0.36 0.384 0.3856 0.38784 0.388416 0.388710 0.388815 0.388860 0.388877 0.388884 0.388887 0.388888 0.388889 0.388889 Für n ≥ 16 ändert sich an diesen auf 6 Stellen gerundeten Werten nichts mehr. Ähnliche Wahrscheinlichkeiten erhält man, wenn man mit P(X0 = 1) = 1 oder mit P(X0 = 3) = 1 startet. Unabhängig von der Startverteilung scheinen die Wahrscheinlichkeiten immer gegen die gleiche Grenzverteilung“ zu konvergieren. ” c) Man kommt daher zu der Vermutung: Egal, welche Verteilung X0 besitzt, gilt immer lim P(Xn = 1) = n→∞ 2 7 und lim P(Xn = 2) = lim P(Xn = 3) = . n→∞ n→∞ 9 18 Später werden wir diese Vermutung verifizieren. Aufgabe 4: Sei X wie in Aufgabe 3. X 0 := (X2·n )n∈N0 ist bekanntlich wieder eine Markovkette mit Zustandsraum E. Bestimmen Sie eine Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion für X 0 von Stufe n nach n + 1, n ∈ N0 . Lösung: Wir lösen die Aufgabe zuerst allgemein. Wegen Korollar 2.6 ist X 0 selbst eine Markovkette. Gesucht ist eine Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion p0n,n+1 : E 2 → [0, 1] mit (2.12) 0 = kn+1 | Xn0 = kn ) = p0n,n+1 (kn , kn+1 ), falls P(Xn0 = kn ) > 0, P(Xn+1 also P(X2n = k, X2n+2 = `) p0n,n+1 (k, `) = P(X2n+2 = ` | X2n = k) = P(X2n = k) P j∈E P(X2n = k, X2n+1 = j, X2n+2 = `) = P(X2n = k) P X (2.11) j∈E P(X2n = k) · p2n,2n+1 (k, j) · p2n+1,2n+2 (j, `) p2n,2n+1 (k, j) · p2n+1,2n+2 (j, `), = = P(X2n = k) j∈E sobald P(Xn0 = k) = P(X2n = k) > 0. Dies bedeutet aber, dass (allgemein) durch X p0n,n+1 (k, `) := p2n,2n+1 (k, j) · p2n+1,2n+2 (j, `), k, ` ∈ E j∈E eine geeignete Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion für X 0 von Stufe n nach n + 1 definiert ist. Unter den Voraussetzungen von Aufgabe 3 ist pn,n+1 = p unabhängig von n und mit 0 p (k, `) := 3 X p(k, j) · p(j, `), k, ` = 1, 2, 3 j=1 gilt hier p0n,n+1 (k, `) = p0 (k, `) unabhängig von n, explizit p0 (k, `) k 1 2 3 l 1 2 3 0.30 0.42 0.28 0.22 0.42 0.36 0.18 0.34 0.48 Aufgabe 5: Sei X = (Xn )n∈N0 eine Markovkette mit Zustandsraum E und Übergangswahrscheinlichkeitsfunktionen pn,n+1 von Stufe n nach n + 1. Berechnen Sie bei bekanntem p0 (k) := P(X0 = k), k ∈ E für beliebiges n ∈ N die Wahrscheinlichkeitsfunktion pn von Xn , d.h. pn (k) := P(Xn = k), k ∈ E. Lösung: (vergl. Beweis zu Satz 2.10.) Mit Fallunterscheidung folgt X pn (k) := P(Xn = k) = (k0 ,...,kn−1 (2.11) = X P(X0 = k0 , . . . , Xn−1 = kn−1 , Xn = k) )∈E n P(X0 = k0 ) · (k0 ,...,kn−1 )∈E n n−1 Y pj−1,j (kj−1 , kj ) · pn−1,n (kn−1 , k) j=1 = X (k0 ,...,kn−1 p0 (k0 ) · )∈E n n−1 Y pj−1,j (kj−1 , kj ) · pn−1,n (kn−1 , k). j=1 Aufgabe 6: In dieser Aufgabe soll gezeigt werden, dass Funktionen von Markovketten nicht immer Markovketten sind. Sei X = (Xn )n∈N0 ein stochastischer Prozess mit Zustandsraum E = {1, 2, 3}, mit P(X0 = k) = 31 , k = 1, 2, 3 und mit P(Xn+1 = kn+1 | X0 = k0 , . . . , Xn = kn ) = P(Xn+1 = kn+1 | Xn = kn ) = ( 1, falls kn = 1, kn+1 = 2 oder kn = 2, kn+1 = 3 oder kn = 3, kn+1 = 1 0, sonst für alle n ∈ N0 , sobald P(X0 = k0 , . . . , Xn = kn ) > 0. a) Begründen Sie, dass X eine Markovkette ist. b) Bestimmen Sie P(Xn = k) für n ∈ N und k ∈ E. ( 1, falls Xn = 1 Sei Yn := für n ∈ N0 . Begründen Sie, dass Y = (Yn )n∈N0 keine 0, sonst Markovkette ist. c) Lösung: a) Die Markov-Eigenschaft folgt unmittelbar aus den Voraussetzungen und Satz 2.5. b) Sei pn,n+1 : E 2 → [0, 1] definiert durch pn,n+1 (kn , kn+1 ) := p(kn , kn+1 ) := ( 1, falls kn = 1, kn+1 = 2 oder kn = 2, kn+1 = 3 oder kn = 3, kn+1 = 1 0, sonst. Dann gilt (2.10) aus Satz 2.10. Insbesondere ist (ein weiterer Nachweis von a)) X eine Markovkette mit (2.12) (∗) P(Xn+1 = kn+1 | Xn = kn ) = p(kn , kn+1 ), falls P(Xn = kn ) > 0. p ist also eine Übergangswahrscheinlichkeitsfunktion von Stufe n nach n + 1 (unabhängig von n). Wir zeigen mit vollständiger Induktion über n 1 (∗∗) P(Xn = k) = , 3 k = 1, 2, 3. Für n = 0 gilt dies nach Voraussetzung. Gilt (∗∗) für n ∈ N0 , so gilt wegen (∗) und der Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit ([SI], Satz 3.12) P(Xn+1 = 1) = X P(Xn+1 = 1 | Xn = k) · P(Xn = k) k∈E = P(Xn+1 = 1 | Xn = 3) · P(Xn = 3) = 1 · 1 1 = 3 3 und genauso P(Xn+1 = 2) = P(Xn+1 = 3) = 13 . Damit gilt (∗∗) auch für n + 1. c) Wir nehmen an, dass (Yn )n∈N0 eine Markovkette ist. Wegen b) gilt stets P(Yn = 0) = 2 3 und P(Yn = 1) = 13 . Aus Satz 2.10 (2.11) und b) folgt P(Y0 = 0, Y1 = 0) = P(X0 = 2, X1 = 2) + P(X0 = 2, X1 = 3) {z } | {z } | =0 =1/3 1 + P(X0 = 3, X1 = 2) + P(X0 = 3, X1 = 3) = > 0 | {z } | {z } 3 =0 =0 und wegen P(X0 = 2, X1 = 3, X2 = 2) = P(X0 = 2, X1 = 3, X2 = 3) = 0 auch P(Y0 = 0, Y1 = 0, Y2 = 0) = 0. Daher gilt P(Y2 = 0 | Y0 = 0, Y1 = 0) = P(Y0 = 0, Y1 = 0, Y2 = 0) = 0. P(Y0 = 0, Y1 = 0) Aber genauso wie oben folgt wegen Korollar 2.6 P(Y1 = 0, Y2 = 0) = und P(Y2 = 0 | Y1 = 0) = 1 >0 3 P(Y1 = 0, Y2 = 0) 1/3 1 = = 6= 0. P(Y1 = 0) 2/3 2 (Yn )n∈N0 ist also keine Markovkette im Gegensatz zur Annahme.