Leonard Cohen (1934-2016): Hommage an den kanadischen Singer-Songwriter Seite 21 Neuö Zürcör Zäitung NZZ – INTERNATIONALE AUSGABE Samstag/Sonntag, 12./13. November 2016 V Nr. 265 V 237. Jg. gegründet 1780 www.nzz.ch V € 2.90 Trump ist überall Alle fürchten sich vor Donald Trump. Doch Populisten vom Format des neuen amerikanischen Präsidenten gibt es in Europa längst. Man muss lernen, die Ursachen ihres Aufstiegs zu bekämpfen. Von Peter Rásonyi Die Welt erschrickt vor Donald Trump. Der Mann, der bis am Mittwoch noch rund um den Globus überwiegend als dümmliche Witzfigur verhöhnt worden war, ist plötzlich der mächtigste Mensch der Welt. Das löst Empörung aus, die sich zunächst auf Amerika richtet. Wie konnte das Land des Fortschritts und der Träume, der jahrhundertelange Garant von Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft, eine derart fragwürdige Gestalt zu seinem Präsidenten wählen? Einen Mann, der über keine politische Erfahrung verfügt, der kein konsistentes Programm vorgelegt hat? Der notorisch Lügen verbreitet, bedeutende Bevölkerungsgruppen beleidigt, wichtige gesellschaftliche Grundwerte verhöhnt und wenig Respekt vor elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien zeigt? Enttäuschte Hoffnungen Die Wahl sagt zunächst viel über die Missstände in Amerika aus, die Präsident Trump erst möglich gemacht haben. Die sozioökonomischen Hintergründe seiner Wählerschaft sind oft beschrieben worden. Grosse Teile der amerikanischen Gesellschaft empfinden ihre persönliche Lage als abgehängt, perspektivlos. Sie kommen wirtschaftlich schon lange nicht voran, während andere an ihnen vorbeiziehen. Diese Leute haben genug von einem politischen System, das von zynischen Interessengruppen beherrscht, abgeschottet und blockiert wird. Sie haben genug von eitlen metropolitanen Eliten, die sich über die gewöhnlichen Bürger in den weiten ländlichen Gebieten des Kontinents bloss belehrend lustig machen, wenn sie sie überhaupt wahrnehmen. Und sie haben genug von Politikern, die sich im Wahlkampf als die Vertreter des Volkes darstellen, im Amt aber primär mächtige Interessengruppen und sich selbst bedienen. Vor acht Jahren ist der Demokrat Barack Obama als Aussenseiter zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt worden, weil er dank Charisma, Talent und Herkunft dem begeisterten Volk glaubhaft machen konnte, er werde ihm den ersehnten Wandel bringen. «Yes we can» lautete sein Wahlslogan. Doch Wirtschaftsinteressen, die Finanzkrise, die Blockade im Kongress haben sichergestellt, dass wenig davon Wirklichkeit wurde. Warum sollten die Bürger nun darauf setzen, dass ausgerechnet Obamas blasse Parteigenossin Hillary Clinton, die scheinbare Inkarnation der arroganten, raffgierigen, hauptstädtischen Elite, den erwünschten Wandel bringen würde? Aus dieser Warte ist verständlich, dass viele Wähler Clinton ihr Vertrauen verweigerten und auf die Alternative Trump setzten. Sie konnten ihre Verbitterung über das politische System nicht deutlicher demonstrieren. Dass ausgerechnet ein schillernder Abenteurer wie Trump die erhoffte soziale, wirtschaftliche und politische Erneuerung bringen wird, ist wenig wahrscheinlich. Zu widersprüchlich sind seine ökonomischen und politischen Ideen. Doch immerhin ist seine Wahl ein gewaltiger Weckruf, der vielleicht die Basis für eine politische Revitalisierung des Landes legen wird. Die Erneuerungskräfte des Kontinents sind legendär. Trump ist nicht allein. Auch in anderen Weltgegenden sind seine Gesinnungsgenossen im Vormarsch oder bereits an der Macht. Ein Viktor Orban in Ungarn, ein Jaroslaw Kaczynski in Polen haben mit süssen Versprechungen die Unzufriedenen in ihren Ländern um sich zu scharen vermocht. Sie haben mit Wucht einen Angriff auf den liberalen Rechtsstaat lanciert, der Anlass zu Sorge gibt. In England haben rechtsnationale Eliten die Abgehängten und Unzufriedenen im Namen einer mythisch verklärten Entfesselung, aber auch von Abschottung, Xenophobie und Hochmut eingesammelt. Mit deren Stimmkraft kam im Juni das Volksmehr für den Brexit zustande. In Frankreich hofft die rechtsnationale Marine Le Pen auf einen Triumph in der bevorstehenden Präsidentenwahl. Auch in den Niederlanden, in Schweden, Dänemark oder Deutschland sind neue rechtsnationale Politiker und Parteien im Aufwind. Vormarsch der Populisten Sie werden von den herrschenden politischen und medialen Eliten als Populisten verhöhnt und bekämpft. Doch der Wahltag in den USA zeigt erneut, dass man sie ernst nehmen muss. Sie ernten auf ähnlichen Äckern wie Trump, was durch Fehlentwicklungen in der Vergangenheit gesät worden ist. Arrogante städtische Eliten, stockenden sozialen Aufstieg, strukturschwache Regionen, einen verstärkten globalen Wettbewerb durch zugewanderte Arbeitskräfte und abwandernde Industrien gibt es auch in Europa. Die Bürger sind auf der Suche nach neuen Rezepten, Politikern und Parteien, die ihnen wieder Sicherheit und Vertrauen vermitteln. Wenn die etablierten politischen Kräfte nicht auf sie hören, tun es die sogenannten Populisten. Was mit Trumps Triumph nun in den USA in einem Schub kommt, kündigt sich in Europa schon seit längerem in kleineren Schritten an. In grossen Staaten wie Deutschland, Spanien oder Italien differenziert sich das Parteiensystem aus. Das erzeugt neue Koalitionsmöglichkeiten. Der bevorstehende Brexit setzt die Europäische Union unter Druck, sich selbst neu zu definieren. Dass das gelingt, ist allerdings ungewiss. Die Herausforderungen bleiben gross. Globalisierung und technischer Wandel sind Fakten, welche die Wirtschaft weiterhin stark verändern werden. Verlierer lassen sich zwar durch soziale Netze auffangen, aber diese sind in Europa bereits so eng gestrickt, dass ein grosser weiterer Ausbau weder finanzierbar noch machbar ist, ohne die Arbeitsmotivation zu stark zu unterminieren. Beim Zugang zu Bildung, der wichtigsten Triebkraft für sozialen Aufstieg und die Bewältigung des Strukturwandels, ist Europa schon in einer guten Position. Trotzdem blüht überall die Unzufriedenheit. Sie ist nicht primär wirtschaftlich bedingt, genauso wenig wie Trumps Rezepte oder der Brexit nachhaltige Wohlstandsgewinne versprechen. Die Misere wurzelt vielmehr im verlorenen Vertrauen in die Politik. Europa muss deshalb Wege finden, die Unzufriedenen, Abgehängten, Desillusionierten wieder ins sichere Boot des demokratischen Rechtsstaats zu holen. Hier müssen auch Kernfragen nationaler Identität und liberaler Grundwerte der Aufklärung stärker thematisiert werden: Was macht eigentlich Europa aus? Trumps Wahl lässt schwierige Jahre erwarten. Der von ihm angekündigte Rückzug Amerikas von der Weltbühne der Diplomatie und des Militärs ist eine Einladung an die machthungrigen autoritären Regime in Moskau und Peking, ihre Interessengebiete in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und in Europa noch forscher auszudehnen. Nicht nur westliche Interessen, auch die Grundlagen des liberalen Rechtsstaats, von Frieden und Sicherheit geraten dadurch unter Druck. Das muss für Europa Ansporn sein, rasch das Vertrauen in seine freiheitlichen Wurzeln zurückzugewinnen, bevor es von eigenen Trumps dazu gezwungen wird. Die Scherben kitten In Washington demonstrieren Präsident Obama und sein gewählter Nachfolger Trump Einigkeit win. Washington V Zehn, fünfzehn Minu- ten waren für das Treffen einberaumt worden. Es dauerte dann schliesslich fast eineinhalb Stunden. Für eine tief gespaltene Nation, die aus den Niederungen einer besonders hässlichen Wahlkampagne aufzutauchen versucht, ist dies keine Bagatelle. US-Präsident Barack Obama und der gewählte nächste Präsident, Donald Trump, machten auch nach ihrem ersten Zusammentreffen unter vier Augen klar, dass sie sich ihrer Verantwortung für das Land bewusst sind. Obama sprach von einem «exzellenten» Gespräch über organisatorische Fragen, aber auch über aussen- und innenpolitische Belange. Er wolle, dass Trump Erfolg habe, weil nur das sicherstelle, dass auch die USA erfolgreich sein würden. Trump nannte den Präsidenten, der schon bald sein Vorgänger sein wird, einen «sehr guten Mann». Obama hatte zuvor die unzweideutige Anweisung an seine Administration ausgegeben, die Stabsübergabe reibungslos und professionell zu gestalten. Er baut damit auf die Erfahrung, welche das Ehepaar Obama vor acht Jahren machte, als es von den Bushs nicht nur mit Anstand und Höflichkeit, sondern auch persönlicher Wärme willkommen geheissen wurde. Natürlich ist die nächste Amtsübergabe anders als die meisten zuvor. Damals übergab ein Politiker den Stab an einen anderen Politiker. Jetzt dagegen hat es Obama mit einem Mann zu tun, der während Jahren grundsätzlich die Legitimität seiner Wahl mit der falschen Behauptung bestritten hatte, Obama sei nicht in den USA geboren. Auf der andern Seite hatte Obama nie einen Zweifel an seiner Überzeugung aufkommen lassen, dass Trump nicht die nötigen Eigenschaften für dieses Amt besitze. Doch sowohl Obama als auch Trump legten am Donnerstag viel Wert auf den Eindruck, dass diese und andere Verlet- zungen und Differenzen nun im Interesse des Landes überwunden werden müssten. Inwieweit diese Haltung auch auf die Stäbe von Mitarbeitern und Beratern zutrifft, ist eine andere Frage. Nicht nur die Tatsache, dass Trump als Quereinsteiger besondere Herausforderungen meistern muss, macht diese Amtsübergabe einzigartig. Das Besondere an Trumps Sieg ist ja auch, dass nicht nur der neue Präsident und die neue First Lady in zehn Wochen ins Weisse Haus einziehen werden, sondern ein Familienunternehmen. Nichts zeigte das deutlicher als die Tatsache, dass Trumps Schwiegersohn Jared Kushner während des Treffens zwischen Obama und seinem Nachfolger mit dem Stabschef des Weissen Hauses, Denis McDonough, einen symbolschweren Rundgang auf dem Südrasen absolvierte. Auch die von gegenseitigem Respekt geprägten Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Amtsübergabe für Obama wohl den bittersten Moment seiner politischen Karriere darstellt. Sein baldiger Nachfolger und die republikanischen Führer des Kongresses werden – anders kann man ihre Äusserungen nicht auslegen – die meisten der bekannten Errungenschaften seiner zwei Amtszeiten infrage stellen oder zunichtemachen. ANZEIGE Intelligent anlegen. LGT. Ihr Partner für Generationen. 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Sonst sonnig. Seite 40 Sportresultate 38, 39, Rätsel/Spiele 16, Diverse Anzeigen 8, 10 www.nzz.ch Redaktion und Verlag: Neue Zürcher Zeitung, Falkenstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich, Telefon: +41 44 258 11 11, Leserservice/Abonnements: + 41 44 258 10 00, weitere Angaben im Impressum Seite 37 q