SZ-Archiv: A44038389

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Süddeutsche Zeitung
GELD
Mittwoch, 12. November 2008
Deutschland Seite 32, Bayern Seite 32, München Seite 32
Fünf Gänge für drei Euro
Bei einem Geizhals-Kochkurs in Köln lernen Sparfüchse und Feinschmecker, wie man mit geringen Kosten ein Menü zubereitet. Nicht allen schmeckt es
T-Shirt. Für die Quarkspeise füllt er Biscuit-Kekse in eine Schale. Was er vom
Kurs erwartet? „Ich will wissen, wie man
günstig kocht.“ Ralf ist Lkw-Fahrer und
oft unterwegs. „Man kann aber nicht immer bei Mc Donalds essen“, sagt er.
Höchstens einmal in der Woche mache er
das. Er schätzt den Wert einer warmen
Mahlzeit. Der gelernte Maler und Lackierer arbeitete bis vor neun Jahren in einer
Druckerei. „Dann wurde mir vom einen
auf den anderen Tag gekündigt“, sagt er.
„Rationalisierung halt.“ Für Ralf ist das
ein Schimpfwort. Seither schlug er sich
mit Ein-Euro-Jobs durch, lebte einige
Jahre auf der Straße. „Seit August habe
Von Marc Steinhäuser
Köln – Nein, ein Fünf-Sterne-Ambiente
ist das nicht. Die Lehrküche der Tagesund Abendschule in Köln-Mülheim ist
mit weiß-gelben Kacheln gefliest. An der
Decke hängen Neonröhren, sie scheinen
so grell wie in einem Krankenhaus-Flur.
Eine Jalousie hängt auf halber Höhe vor
dem Fenster. Draußen poltern Maler auf
einem Gerüst vorbei, sie streichen die Außenwand.
So trostlos der Ort auch ist – auf dem
Speiseplan von Helga Schmidt steht heute ein Fünf-Gänge-Menü. In ihrem Kochkurs für Geizhälse will Schmidt beweisen, dass man für drei Euro pro Person alles von Vor- bis Nachspeise auftischen
kann. „Das Leben kann man auch mit wenig Geld genießen“, sagt Schmidt und
stellt zwei schwere Taschen voll Gemüse,
Fleisch und Konserven-Dosen auf den
Tisch.
Helga Schmidt trägt eine grüne Leinenbluse und auf ihrer Nase eine große
Brille mit Glitzersteinchen. So eine hatte
Elton John vor 30 Jahren auch auf. „Lebenskünstlerin und Buchautorin“ sei sie.
Stolz erwähnt Schmidt, dass ihr Buch
„Kochen fast zum Nulltarif“ bereits
44 000 Mal verkauft wurde und nun vergriffen sei. Eigentlich ist sie studierte
Wirtschaftsingenieurin, hat aber viele
Jahre als Heilpraktikerin gearbeitet. Das
Lkw-Fahrer Ralf war arbeitslos,
jetzt macht er die Nachspeise.
Er sagt: „Ich will wissen,
wie man günstig kocht.“
Billige Zutaten ersetzen teure:
Es gibt Magerquark statt
italienischer Mascarpone –
und Pfifferlinge aus der Dose.
Wirtschaftsstudium helfe ihr aber bis
heute – beim Kochen: Schließlich hole sie
auch dabei mit minimalem Einsatz das
maximale Ergebnis heraus. Ihren Geizhals-Kochkurs bietet Schmidt an mehreren Volkshochschulen in Köln und Umgebung an. Außerdem kocht sie in einem
anderen Kurs Gerichte aus den TV-Episoden des Science-Fiction-Klassikers
„Star Trek“ nach. Da werden aus einfachen Schupfnudeln schon mal klingonische Maden.
Doch an diesem Abend geht es nicht
um Mister Spock, sondern um Sparfüchse. Elf Teilnehmer sind in die Lehrküche
gekommen: Studenten, Arbeiter und Unternehmer. Alle setzen sich um einen
Tisch mit verschlissenen Holzstühlen.
Helga Schmidt verkündet den Menüplan: Es gibt Weißkohlsalat mit Erdnüssen, im Anschluss eine Senfsuppe auf
französische Art. Als Hauptgericht folgt
Geizhälse beim Kochen: Petra
(links) arbeitet in einem Möbellager, Ralf (rechts) ist Lkw-Fahrer.
In der Mitte: Kochkurs-Leiterin
Helga Schmidt, Wirtschaftsingenieurin. Foto: Steinhäuser
Coq au Vin, „der Hähnchen-Klassiker
der französischen Küche“, wie Schmidt
sagt. Eine Quarkspeise auf TiramisuArt, ein Kuchen im Glas und gebrannte
Mandeln sollen das Menü abschließen.
Satt werde man davon in jedem Fall, versichert Schmidt. „Nach meinem Kurs
musste noch niemand in die Imbissbude
gehen“, sagt sie und lacht.
Dann verteilt sie die Rezepte und
fängt an zu Plaudern, bis ein Teilnehmer
sagt: „Lasst uns anfangen, ich habe Hunger.“ Schnell noch eine Runde Prosecco,
dann geht es los. Filip kümmert sich um
das Hauptgericht. Er zerteilt Hühnerbeine und setzt den Kochtopf auf. Es riecht
nach Rotwein und provenzialischen
Kräutern. Warum er hier ist? „Aus
Spaß.“ Richtiges Kochen lerne man hier
sicher nicht, sagt der 36-Jährige. Er ist Ingenieur bei Ford und verdient genug
Geld, um sich auch teurere Mahlzeiten
zu leisten. „Aber hier bekomme ich ein
paar neue Ideen“, sagt er.
An der Küchenzeile neben ihm arbeiten zwei Studenten am Nachtisch. Axel
und Cornelia rühren den Kuchenteig an.
Das sei ihr erster gemeinsamer Kochkurs, sagt Cornelia. Was sie daran prak-
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
tisch findet: „Es ist lecker und billig.“
Und besser als Mensa ist das GeizhalsMenü sowieso.
Kursleiterin Helga Schmidt rennt derweil hektisch von Herd zu Herd und verrät nebenbei das Geheimnis ihres preisgünstigen Erfolgs: Teure Zutaten werden durch billigere Alternativen ersetzt,
eingekauft wird beim Discounter. Da ersetzt Magerquark den italienischen Mascarpone und die Pfifferlinge kommen
aus der Dose. Angst vor minderwertigen
Lebensmitteln hat Schmidt aber nicht.
„Aldi könnte es sich gar nicht leisten,
schlechte Qualität zu verkaufen“, findet
sie. „Toller Geschmack entsteht, wenn
man selber kocht.“ Dann geht sie zu Ralf
Hagedorn, 49, graue Haare, Schlabber-
ich wieder eine Wohnung und einen Kombilohn-Vertrag.“ Fast vergisst er die Biscuit-Kekse und die Quarkspeise. Wie
gut, dass ihn Helga Schmidt daran erinnert. Wie eine Grundschullehrerin muss
sie hier und da eingreifen, damit neben
den Gesprächen über Geld und Geiz
auch gekocht wird.
Nach anderthalb Stunden ruft
Schmidt: „Essen kommen!“. In der Küche mischt sich der Geruch von Hähnchen, gebrannten Mandeln, Senf und
Wein. Auf dem Tisch liegen Papierservietten neben Tellern mit VolkshochschulLogo. Wenigstens das Besteck sorgt für
etwas Feinschmecker-Flair: Für jeden
Gang gibt es neue Gabeln und Löffel. Die
Ersten essen schon. Dann wird es plötzlich still. Zum ersten Mal an diesem
Abend. Dass hier vom Geizhals bis zum
gebeutelten Sparer jeder sitzt, wird klar,
als jemand Spargel aus Peru empfiehlt.
„Wie teuer ist der denn?“ will einer wissen. Die lapidare Antwort: „Nicht nachgeschaut.“
Mit ihrem ganz eigenen Spar-Menü ist
Helga Schmidt jedenfalls zufrieden.
„Köstlich“, findet sie es. Die meisten anderen sehen das auch so. Nur Lkw-Fahrer Ralf scheint nicht ganz glücklich zu
sein. Die beiden ersten Gänge, der Weißkohlsalat und die Senfsuppe, „sahen irgendwie gleich aus“, meint er. Vielleicht
ist er aber auch nur wenig erfreut, über
das, was ihn noch erwartet. Denn zum
sparsamen Kochen gehört auch sparsames Spülen: Eine Maschine gibt es nicht.
Das Besteck und Geschirr von fünf Gängen muss mit der Hand gewaschen werden. Sparen muss eben sein.
A44038389
rhertl
Süddeutsche Zeitung
GELD
Mittwoch, 12. November 2008
Deutschland Seite 32, Bayern Seite 32, München Seite 32
Fünf Gänge für drei Eu
Bei einem Geizhals-Kochkurs in Köln lernen Sparfüchse und Feinschmecker, wie man mit geringen
Von Marc Steinhäuser
Köln – Nein, ein Fünf-Sterne-Ambiente
ist das nicht. Die Lehrküche der Tagesund Abendschule in Köln-Mülheim ist
mit weiß-gelben Kacheln gefliest. An der
Decke hängen Neonröhren, sie scheinen
so grell wie in einem Krankenhaus-Flur.
Eine Jalousie hängt auf halber Höhe vor
dem Fenster. Draußen poltern Maler auf
einem Gerüst vorbei, sie streichen die Außenwand.
So trostlos der Ort auch ist – auf dem
Speiseplan von Helga Schmidt steht heute ein Fünf-Gänge-Menü. In ihrem Kochkurs für Geizhälse will Schmidt beweisen, dass man für drei Euro pro Person alles von Vor- bis Nachspeise auftischen
kann. „Das Leben kann man auch mit wenig Geld genießen“, sagt Schmidt und
stellt zwei schwere Taschen voll Gemüse,
Fleisch und Konserven-Dosen auf den
Tisch.
Helga Schmidt trägt eine grüne Leinenbluse und auf ihrer Nase eine große
Brille mit Glitzersteinchen. So eine hatte
Elton John vor 30 Jahren auch auf. „Lebenskünstlerin und Buchautorin“ sei sie.
Stolz erwähnt Schmidt, dass ihr Buch
„Kochen fast zum Nulltarif“ bereits
44 000 Mal verkauft wurde und nun vergriffen sei. Eigentlich ist sie studierte
Wirtschaftsingenieurin, hat aber viele
Jahre als Heilpraktikerin gearbeitet. Das
Billige Zutaten ersetzen teure:
Es gibt Magerquark statt
italienischer Mascarpone –
und Pfifferlinge aus der Dose.
Wirtschaftsstudium helfe ihr aber bis
heute – beim Kochen: Schließlich hole sie
auch dabei mit minimalem Einsatz das
maximale Ergebnis heraus. Ihren Geizhals-Kochkurs bietet Schmidt an mehreren Volkshochschulen in Köln und Umgebung an. Außerdem kocht sie in einem
anderen Kurs Gerichte aus den TV-Episoden des Science-Fiction-Klassikers
„Star Trek“ nach. Da werden aus einfachen Schupfnudeln schon mal klingonische Maden.
Doch an diesem Abend geht es nicht
um Mister Spock, sondern um Sparfüchse. Elf Teilnehmer sind in die Lehrküche
gekommen: Studenten, Arbeiter und Unternehmer. Alle setzen sich um einen
Tisch mit verschlissenen Holzstühlen.
Helga Schmidt verkündet den Menüplan: Es gibt Weißkohlsalat mit Erdnüssen, im Anschluss eine Senfsuppe auf
französische Art. Als Hauptgericht folgt
Geizhälse beim Kochen: Petra
(links) arbeitet in einem Möbellager, Ralf (rechts) ist Lkw-Fahrer.
In der Mitte: Kochkurs-Leiterin
Helga Schmidt, Wirtschaftsingenieurin. Foto: Steinhäuser
Coq au Vin, „der Hähnchen-Klassiker
der französischen Küche“, wie Schmidt
sagt. Eine Quarkspeise auf TiramisuArt, ein Kuchen im Glas und gebrannte
Mandeln sollen das Menü abschließen.
Satt werde man davon in jedem Fall, versichert Schmidt. „Nach meinem Kurs
musste noch niemand in die Imbissbude
gehen“, sagt sie und lacht.
Dann verteilt sie die Rezepte und
fängt an zu Plaudern, bis ein Teilnehmer
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Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
sagt: „Lasst uns anfangen, ich habe Hunger.“ Schnell noch eine Runde Prosecco,
dann geht es los. Filip kümmert sich um
das Hauptgericht. Er zerteilt Hühnerbeine und setzt den Kochtopf auf. Es riecht
nach Rotwein und provenzialischen
Kräutern. Warum er hier ist? „Aus
Spaß.“ Richtiges Kochen lerne man hier
sicher nicht, sagt der 36-Jährige. Er ist Ingenieur bei Ford und verdient genug
Geld, um sich auch teurere Mahlzeiten
zu leisten. „Aber hier bekomme ich ein
paar neue Ideen“, sagt er.
An der Küchenzeile neben ihm arbeiten zwei Studenten am Nachtisch. Axel
und Cornelia rühren den Kuchenteig an.
Das sei ihr erster gemeinsamer Kochkurs, sagt Cornelia. Was sie daran prak-
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Mittwoch, 12. November 2008
Deutschland Seite 32, Bayern Seite 32, München Seite 32
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man mit geringen Kosten ein Menü zubereitet. Nicht allen schmeckt es
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oft unterwegs. „Man kann aber nicht immer bei Mc Donalds essen“, sagt er.
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das. Er schätzt den Wert einer warmen
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Druckerei. „Dann wurde mir vom einen
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„Rationalisierung halt.“ Für Ralf ist das
ein Schimpfwort. Seither schlug er sich
mit Ein-Euro-Jobs durch, lebte einige
Jahre auf der Straße. „Seit August habe
Lkw-Fahrer Ralf war arbeitslos,
jetzt macht er die Nachspeise.
Er sagt: „Ich will wissen,
wie man günstig kocht.“
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tisch findet: „Es ist lecker und billig.“
Und besser als Mensa ist das GeizhalsMenü sowieso.
Kursleiterin Helga Schmidt rennt derweil hektisch von Herd zu Herd und verrät nebenbei das Geheimnis ihres preisgünstigen Erfolgs: Teure Zutaten werden durch billigere Alternativen ersetzt,
eingekauft wird beim Discounter. Da ersetzt Magerquark den italienischen Mascarpone und die Pfifferlinge kommen
aus der Dose. Angst vor minderwertigen
Lebensmitteln hat Schmidt aber nicht.
„Aldi könnte es sich gar nicht leisten,
schlechte Qualität zu verkaufen“, findet
sie. „Toller Geschmack entsteht, wenn
man selber kocht.“ Dann geht sie zu Ralf
Hagedorn, 49, graue Haare, Schlabber-
ich wieder eine Wohnung und einen Kombilohn-Vertrag.“ Fast vergisst er die Biscuit-Kekse und die Quarkspeise. Wie
gut, dass ihn Helga Schmidt daran erinnert. Wie eine Grundschullehrerin muss
sie hier und da eingreifen, damit neben
den Gesprächen über Geld und Geiz
auch gekocht wird.
Nach anderthalb Stunden ruft
Schmidt: „Essen kommen!“. In der Küche mischt sich der Geruch von Hähnchen, gebrannten Mandeln, Senf und
Wein. Auf dem Tisch liegen Papierservietten neben Tellern mit VolkshochschulLogo. Wenigstens das Besteck sorgt für
etwas Feinschmecker-Flair: Für jeden
Gang gibt es neue Gabeln und Löffel. Die
Ersten essen schon. Dann wird es plötzlich still. Zum ersten Mal an diesem
Abend. Dass hier vom Geizhals bis zum
gebeutelten Sparer jeder sitzt, wird klar,
als jemand Spargel aus Peru empfiehlt.
„Wie teuer ist der denn?“ will einer wissen. Die lapidare Antwort: „Nicht nachgeschaut.“
Mit ihrem ganz eigenen Spar-Menü ist
Helga Schmidt jedenfalls zufrieden.
„Köstlich“, findet sie es. Die meisten anderen sehen das auch so. Nur Lkw-Fahrer Ralf scheint nicht ganz glücklich zu
sein. Die beiden ersten Gänge, der Weißkohlsalat und die Senfsuppe, „sahen irgendwie gleich aus“, meint er. Vielleicht
ist er aber auch nur wenig erfreut, über
das, was ihn noch erwartet. Denn zum
sparsamen Kochen gehört auch sparsames Spülen: Eine Maschine gibt es nicht.
Das Besteck und Geschirr von fünf Gängen muss mit der Hand gewaschen werden. Sparen muss eben sein.
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