UNIVERSITÄT TRIER FORSCHUNGSBERICHTE zum MARKETING Nr. 7 Trier 2008 Alexander Pohl/Daniel Mühlhaus (Hrsg.) Modernes Innovationsmarketing im Kontext von Open Innovation Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber Pohl, Alexander/Mühlhaus, Daniel (Hrsg.): Modernes Innovationsmarketing im Kontext von Open Innovation, Trier 2008. Zu den Herausgebern: Prof. Dr. habil. Alexander Pohl ist Honorarprofessor an der Universität Trier und Adjunct Professor an der European Business School. Er ist Vorstand der Scopevisio AG und Partner der HW Partners AG, Bonn. E-Mail: [email protected] Dipl.-Volksw. Dipl.-Kfm. Daniel Mühlhaus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Marketing, Innovation und E-Business der Universität Trier. E-Mail: [email protected] Kontaktadresse Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber Universität Trier Lehrstuhl für Marketing, Innovation und E-Business Fachbereich IV: BWL-AMK Universitätsring 15 D-54286 Trier Tel.: 0049-201-2619 Fax: 0049-201-3910 E-Mail: [email protected] Internet: www.innovation.uni-trier.de Copyright: Eigenverlag der Professur für Marketing, Innovation und E-Business an der Universität Trier Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber Trier 2008 ISBN 3-930230-26-7 I OpenInnovation Innovation Open Bedürfnisinformationen Bedürfnisinformationen Forschungseinrichtungen Forschungseinrichtungen UserToolkits Toolkitsfor forInnovation Innovation User Demokratisierung Demokratisierungvon vonInnovationen Innovationen Innovationsprozess Innovationsprozess Tacit TacitKnowledge Knowledge CollectiveInvention Invention Collective Virtual VirtualCommunity Community Ideenwettbewerb Ideenwettbewerb StickyInformation Information Sticky Marktforschung Marktforschung VirtuelleBörsen Börsen Virtuelle Hersteller Hersteller Netnography Netnography Anbieter Anbieter Erfinder Erfinder Lead User Lead User Kunde Kunde Internet Internet „Wer will, dass ihm die anderen sagen, was sie wissen, der muss ihnen sagen, was er weiß. Denn das beste Mittel Informationen zu erhalten, ist Informationen zu geben.“ (Niccolo Machiavelli 1469-1527) II III Vorwort Innovationen stehen seit jeher im Fokus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Betrachtungen, sind sie doch als Triebfeder von Wachstum und wirtschaftlichem Fortschritt anzusehen. Der Bereich der Innovationsgenerierung ist dabei nachhaltig im Wandel begriffen. So erkennen und nutzen immer mehr Unternehmen das große Potenzial, welches außerhalb der Unternehmung zu finden ist und öffnen ihre Innovationsprozesse. Dabei verspricht gerade die Integration von externen Akteuren ein große Bandbreite an Vorteilen: So sind etwa über die aktive Einbindung von führenden Kunden mit spezifischem Anwenderwissen verbesserte Marktlösungen zu erzielen, die den nachfragerseitigen Anforderungen besser entsprechen als rein intern generierte Lösungen (Fit-to-Market). Auch kann die Entwicklungszeit über einen zielgerichteten Einsatz Externer verkürzt (Time-toMarket) und Kosten deutlich reduziert werden (Cost-to-Market). Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis findet sich unter dem Label der “Open Innovation” eine Vielzahl an Forschungsansätzen und Umsetzungskonzepten, die sich mit dem Wert, der Ausgestaltung und den Potenzialen offener, d. h. externe Akteure integrierender, Innovationsvorhaben befassen. Der hohe Stellenwert, der diesem Themenfeld derzeit beigemessen wird, schlägt sich dabei in vielfältigen Publikationen in international hochrangigen Journals und Sonderheften zu diesem Thema nieder. Dabei sind sie aber auch als ein Beleg für die noch immer große Zahl ungeklärter Fragen und das erwartete Potenzial zur Veränderung der Wirtschaftsgefüge zu sehen, in dem man, so scheint es, "nur weiß, dass man nichts weiß." Dem Themenumfeld der "Open Innovation" wurden in den Jahren 2007 und 2008 zwei Seminare im Hauptstudium der Betriebswirtschaftslehre gewidmet – der Maßgabe der Open Innovation folgend – mit dem Ziel der kooperativen Generierung neuen Wissens. Aus den dabei entstandener Seminararbeiten wurden für diesen Forschungsbericht die "besten" Arbeiten ausgewählt und in dem vorliegenden Werk in ein Gesamtgefüge integriert. Die insgesamt elf studentenseitig beigesteuerten Beiträge beleuchten unterschiedliche Facetten im Themenumfeld der Open Innovation, die in „Grundlagen und Quellen von Open Innovation“ und „Instrumente und Umsetzung von Open Innovation“ strukturiert wurden. Unser Dank gilt zunächst den Studierenden, die erst über ihre engagierte Mitarbeit ein solches Werk ermöglicht haben und in vielen Diskussionen sowohl ihren als auch unseren Kenntnisstand in diesem stetig im Wandel begriffenen Themenfeld nachhaltig gesteigert haben. Darüber hinaus gilt unser Dank Herrn Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber, der neben der fortwährenden und fruchtbaren Diskussion über die Reihe "Forschungsberichte zum Marketing" ein geeignetes Publikationsmedium für das vorliegende Werk offeriert hat. Weiterhin möchten wir den wissenschaftlichen Hilfskräften des Lehrstuhls für Marketing, Innovation und E-Business, Frau Katharina Ferreira und Herrn Philip Wegmann danken, die immer wieder neue Textfassungen gelesen, konstruktive Verbesserungsvorschläge unterbreitet und die mühsame Zusammenstellung und Formatierung vorgenommen haben. Trier, im September 2008 Alexander Pohl und Daniel Mühlhaus IV V Inhaltsverzeichnis 1. Innovationen als Zünglein an der Wettbewerbswaage 1 Daniel Mühlhaus − Alexander Pohl Teil A: Grundlagen und Quellen von Open Innovation 2. Open Innovation - Researching an enforcing Paradigm? 8 Joachim Jardin − Arne Rehm 3. Open Innovation - Möglichkeitspotenziale und Problemfelder offener Innovationsprozesse 27 Kirsten Adlunger 4. "Demokratisierung von Innovationen": Innovative User-Communities 40 Katrin Peters 5. Collective Invention als Imparativ für moderne Innovationstätigkeit 51 Kurt Uwe Stoll 6. Potentiale und Risiken von Open Source aus Sicht der Unternehmenspraxis 62 Karsten Hardick Teil B: Instrumente und Konzepte der Open Innovation 7. Potentiale und Grenzen der Lead-User-Analyse zur Neuproduktentwicklung 78 Rebecca Woll 8. User Innovation Toolkits - Wenn Kunden Produkte entwickeln und verbessern 91 Nadine Asel − Dennis Steinmetz 9. Innovationstreiber Community - Konzepte zur Potenzialerschließung 106 Rieke K. Buning 10. Virtuelle User-Communities als Mittel zur Unterstützung des Innovationsprozesses 119 Michael Bathen 11. Vorteilspotenziale virtueller User Communities aus Nachfragersicht 130 Johanna Katharina Leite Ferreira 12. Produktentwicklung mit Virtual Communities - kritische Reflexion und prozessuale Fundierung interaktiver Wertschöpfungsprozesse Christian Hildebrand VI 142 VII Daniel Mühlhaus − Alexander Pohl Innovationen als Zünglein an der Wettbewerbswaage Innovationen stehen seit jeher im Fokus wirt- von der Deckung des alltäglichen Bedarfs als schafts- und sozialwissenschaftlicher Betrach- vielmehr von sozialen Bedürfnissen geprägt ist, tungen, sind sie doch als Triebfeder von Wachs- wandelte sich das Kunden(selbst)bild hin zu tum, wirtschaftlichem Fortschritt und (für einen einem selektiven Typus. Wobei ausgestattet mit Teil der Weltbevölkerung) als Grundlage des den erforderlichen finanziellen Kapazitäten die Wohlstands bereits eigenen Wünsche und Anforderungen stärker Schumpeter (1939) fest, dass Innovationen die durchgesetzt und von der Anbieterseite abver- Basis für ökonomischen Wandel und Wohlstand langt wurden. Als Reaktion hierauf erwuchs eine bilden und damit den dominanten Faktor zur steigende Angebotsvielfalt und damit einherge- Sicherung der Überlebensfähigkeit von Unter- hend Auswahl- und Differenzierungspotenziale nehmen darstellen. Drucker (1955, S. 37) geht der Nachfragerseite. Woraus zunehmend auch noch einen Schritt weiter indem er postuliert, die Erhebung und Analyse von Nachfragerbe- dass „There is only one valid definition of busi- dürfnissen in den Betrachtungsfokus rückte. Der ness purpose: to create a customer. [...] It is the Fortschritt im Bereich der Informations- und customer who determines what the business is. Kommunikationstechnologie und damit einher- [...] Because it is its purpose to create a cus- gehend die breite Verfügbarkeit von Informatio- tomer, any business enterprise has two - and nen über Produkte, Lösungen und auch die only these two - basic functions: marketing and damit verbundene "Entdeckung" neuer Bedürf- innovation. They are the entrepreneurial functi- nisse versetzten die Nachfrager in die Lage aus ons.“ der Vielzahl an Angeboten, diejenigen mit dem Diesem anzusehen. Postulat ist der So stellte vorliegende For- höchsten Bedürfnisfit auszuwählen. Insbesonde- schungsbericht unterworfen. So werden hier in re die Verbreitung des Internets und das Auf- dem Begriffsungetüm des “Modernen Innovati- kommen von sog. “Social Software”, die eine onsmarketing” diese beiden zentralen Unter- umfassende, raumübergreifend und unrestrin- nehmensfunktionen fusioniert und unter Rück- gierte Vernetzung nahezu aller Teilnehmer er- griff auf die bedeutenden Veränderungen der möglicht, lässt den Kunden zusehends in die jüngeren Zeit in einem neuen Licht betrachtet. Rolle eines “mündigen Kunden” hereinwachsen. Dabei gilt das Hauptaugenmerk auf den Verän- Dabei bezieht sich der Terminus nicht aus- derungen die der Konsument sowohl aus Unter- schließlich auf das Selbstverständnis eines hyb- nehmenssicht als auch in der Selbstsicht im riden und aktiv selektierenden Kunden (vgl. Laufe der Zeit durchlaufen hat. Auf den sog. Schmalen 1994; Evanschitzky/Ahlert 2006), der “Verkäufermärkten” früherer Zeiten stand ledig- zur bedürfnisadäquaten Transaktionsgestaltung lich die “Abnehmerfunktion” des Nachfragers im selbst auch aktiv wird. Er tritt dabei nicht nur als Blickpunkt der Unternehmensbetrachtung, bei Lieferant von Bedürfnisinformationen, etwa im dem ausgehend von möglichst kostenoptimal Sinne einer individuellen Auftragserteilung oder bereitgestellten Angeboten ein Markt geschaffen Teilnahme an Marktforschungsstudien, sondern und damit eine Nachfrage generiert wird. Ein- auch als aktiver Part im Wertschöpfungsprozess hergehend mit dem auch noch postindustriellen auf. Neben der Preisgabe von Bedürfnisinforma- Wohlstandszuwachs in einer Welt, die weniger tionen werden nun auch eigene Lösungskon1 zepte co-produziert. 1 Diese Entwicklung, die auf Management (IJTM) nieder. 6 Auch die Special Business-Märkten, in denen kommerzielle Ak- Issues der Zeitschrift für Betriebswirtschaft („O- teure miteinander in Interaktion stehen, bereits pen Innovation between and within Organizati- seit jeher üblich ist, findet nun auch auf End- ons“) und des IJTM („Broadening the Scope of verbraucher- oder sog. Consumer-Märkten Ein- Open Innovation“) der Jahre 2007 und 2008 2 Der Terminus des “mündigen Kunden” belegen das hohe wissenschaftliche Potenzial beschreibt darüber hinaus auch die Unterneh- und dokumentieren die gegenwärtige Relevanz. mens- oder Anbietersicht, wo hohe Neuprodukt- Dabei sind sie aber auch als ein Beleg für die flopraten und Akzeptanzschwierigkeiten signali- noch immer große Zahl ungeklärter Fragen und sieren, dass kostenintensive Innovationsprozes- das erwartete Potenzial zur Veränderung der se ohne Integration potenzieller Kunden nicht Wirtschaftsgefüge zu sehen, in dem man, so zug. nur riskant, sondern gar fahrlässig sind. 3 Die scheint es: "Nur weiß, dass man nichts weiß." Zeit der geschlossenen, primär anbieterzentrier- In diesem Forschungsbericht werden in elf Bei- ten Innovationsvorhaben, bei denen unterstützt trägen unterschiedliche Facetten im Themenum- durch Bedürfnisstudien im Rahmen klassischer feld der Open Innovation betrachtet. Strukturiert Marktforschungsvorhaben Forschung und Ent- ist der vorliegende Bericht dabei in zwei Teilbe- wicklung unter Ausschluss externen und hier reiche, wobei die einleitenden Beiträge zum speziell wird, Thema „Grundlagen und Quellen von Open scheinen überholt. So ist heutzutage ein ausge- Innovation“ allgemeine Arbeiten zu offenen In- wogenes Innovationskonzept, bestehend aus novationsleistungen, wie Demokratisierung von internen Kompetenzen ergänzt um externe Fak- Innovationen oder Collective Invention darstel- toren (z. B. unabhängige Forschungseinrichtun- len. Der zweite Teil „Instrumente und Umset- gen, Kunden und sogar Konkurrenten) aus- zung von Open Innovation“ ist konkreten Kon- schlaggebend für den Markterfolg zukunftsorien- zepten der Open Innovation gewidmet, wobei Nachfragerwissens tierter Unternehmen. vollzogen 4 neben Toolkits for User Innovation, dem Kon- Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Pra- zept und der Umsetzung von Lead User Analy- xis finden sich unter dem Label der “Open Inno- sen insbesondere Ansätze zur Erzielung von vation” eine Vielzahl an Forschungsansätzen Vorteilspotenzialen über die integrative Zusam- und Umsetzungskonzepten, die sich mit dem menarbeit mit virtuellen Gemeinschaften be- Wert, der Ausgestaltung und Potenzialen offe- trachtet werden. ner Innovationsvorhaben befassen. 5 Der hohe Stellenwert, der diesem Themenfeld derzeit Teil A: Grundlagen und Quellen von beigemessen wird, schlägt sich dabei in den Open Innovation unzähligen Publikationen in international hoch- In ihrem Beitrag „Open Innovation – Resear- rangigen Journals, wie Research Policy, dem ching an enforcing Paradigm?“ nehmen Jar- Journal of Product Innovation Management so- din/Rehm eine systematische Bestandsaufnah- wie dem International Journal of Technology me verschiedener Open Innovation Verständnisse z. B. der frühen Arbeiten von Hippels 1 2 3 4 5 (1978, 1988) bis hin zu aktuellen Arbeiten von Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95; Prahalad/ Ramaswamy 2004. Vgl. Thomke/ von Hippel 2002. Vgl. von Hippel 2005. Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005; West/ Gallagher 2004; Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006. Vgl. Chesbrough 2003; Gassman/ Enkel 2006. Brown/Hagel 2006 oder Gassmann/Enkel 2006 6 2 Z. B. Franke/ Piller 2004; Franke/ Shah 2003; Franke/ von Hippel 2003; Osterloh/ Rota 2007. vor. Basierend auf einer umfassenden Literatur- jeweils aus der Beteiligung an offenen Innovati- analyse leiten sie einen Kriterienkatalog ab, onsvorhaben erwachsenden Vorteilspotenziale anhand dessen eine Differenzierung unter- aber auch der entsprechenden Grenzen und schiedlicher Verständnisse erfolgen kann. Hier- Risiken auf. auf aufbauend entwickeln sie ein Open Innova- Von Hippel (2005) spricht im Kontext offener tion Portfolio anhand dessen eine Abgrenzung Innovationsprozesse auch von einer „Demokra- verschiedener Open Innovation Instrumente, wie tisierung von Innovationen“ und geht damit ei- Toolkits, 7 Communities of Innovation 8 vorge- nen Schritt weiter als viele andere Autoren. In- nommen werden kann. wieweit dieser Bezeichnung in der derzeitigen Viele Arbeiten (eine Ausnahme stellt hier das und primär internetgestützten Innovationszu- Konzept der „Interaktiven Wertschöpfung“ von sammenarbeit zuzustimmen ist, betrachtet der Reichwald/Piller 2006 dar, die primär das Zu- Beitrag von Peters "Demokratisierung von Inno- (1) Joachim Jardin − Arne Rehm Open Innovation – Researching an enforcing Paradigm? (2) Kirsten Adlunger Möglichkeitspotenziale und Problemfelder offener Innovationsprozesse (3) (4) (5) Teil B Instrumente und Konzepte der Open Innovation Grundlagen und Quellen von Open Innovation Teil A Katrin Peters Demokratisierung von Innovationen Kurt Uwe Stoll Collective Invention Karsten Hardick Open Source (6) Rebecca Woll Lead User Analyse (7) Nadine Asel − Dennis Steinmetz User Innovation Toolkits (8) Rieke K. Buning Innovationstreiber Community (9) Michael Bathen Virtual Communities - Die Unternehmensperspektive (10) J. Katharina L. Ferreira Virtual Communities – Die Nachfragerperspektive (11) Christian Hildebrand Produktentwicklung mit Virtual Communities sammenspiel von Anbieter und Kunde betrach- vationen". Aufbauend auf den Grundlagen offe- ten) zum Konzept oder Verständnis von Open ner Innovationsprozesse werden sukzessive die Innovation ist gemein, dass bei der Integration Einschränkungen einer umfassenden Demokra- externen Wissens in einen unternehmensgelei- tisierung aufgezeigt, die im letzten Abschnitt teten Innovationsprozess eine Vielzahl an Ak- „Begrenzte Demokratisierung [...] im Internet“ teuren als Quellen dieses Wissens, wie Konkur- kulminieren. renten, unabhängige (Forschungs-) Institute Am ehesten dem Terminus der „Demokratisie- oder Kunden bzw. Nachfrager bestehen. Der rung“ kommt die von Allen (1983) als „Collective Beitrag von Adlunger "Open Innovation - Mög- Invention“ eingeführte Beschreibung, die von lichkeitspotenziale und Problemfelder" nimmt Cowan/Jonard (2003) konkretisiert wird nach. hierauf aufbauend eine differenzierte Betrach- Hierunter werden kooperative Innovationspro- tung der Akteursstrukturen vor und zeigt die zesse unabhängiger Akteure verstanden, die 7 gemeinsam und unter Offenlegung von Wissen 8 Vgl. von Hippel/ Katz 2002. Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007. 3 aus F&E-Vorhaben innovieren. Der Beitrag von schiedlich verteilten Kenntnisse ist die Interakti- Stoll "Collective Invention als Imperativ für mo- on problembehaftet. So sind die Bedürfnisinfor- derne Innovationstätigkeit" liefert hierzu eine mationen i. d. R. nur mit großem Kommunikati- Einführung, wobei unter Rückgriff auf Konzepte onsaufwand reibungslos zu er- bzw. übermitteln, der Spieltheorie, der Netzwerkökonomie und da sie einerseits gar nicht in konkreter Form, Evolutionsbiologie aufgezeigt wird, weshalb und sondern vielmehr diffus beim Nachfrager vorlie- wann diese Form der kooperativen Wertschöp- gen. Auch die mangelnde Kenntnis des tech- fung funktionieren kann. nisch Machbaren kann zu Unzufriedenheit mit Paradebeispiele für offene und kollektive Inno- der bereitgestellten Lösung und entsprechend vationsleistungen finden sich im Bereich der negativen Marktkonsequenzen wie hohen Flop- Open Source Bewegung. Hier werden Grundla- raten oder langwierigen Abstimmungsprozessen gen der Lösungskonzepte, im Softwarebereich führen. 11 In ihrem Beitrag „User Innovation Tool- ist dies der Quellcode, anderen Akteuren offen kits“ zeigen Asel/Steinmetz, wie in Business- zugänglich und zur Bearbeitung bzw. Modifikati- märkten bereits seit langer Zeit üblich bspw. 9 on bereitgestellt. Der große Erfolg von Anwen- über anbieterseitig bereitgestellte Design- oder dungen im Softwarebereich, wie dem Betriebs- Innovationswerkzeuge einige der Interaktions- system Linux, dem Apache Webserver oder probleme vermieden werden können. Dabei auch das vielversprechende OsCar-Projekt, bei geben sie einen umfassenden Überblick über dem ein Automobil unter der Maßgabe offenen verschiedene Toolkitvarianten und zeigen aktu- Entwicklung bis hin zur Prototypreife von unab- elle Entwicklungen in verschiedenen Branchen hängigen Ingenieuren konzipiert wurde, belegen auf. 10 Der Beitrag Kunden- und Marktentwicklungen in unterneh- von Hardick "Potenziale und Risiken von Open mensseitige Innovationsprozesse einzubinden, Source" nimmt eine Bestandsaufnahme im Be- ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Jedoch besteht reich der Open Source vor und zeigt auf, welche insbesondere bei der Entwicklung neuer Lö- Vorteile Unternehmen bei der Teilnahme an sungskonzepte für mitunter am Markt noch gar Open Source Bewegungen erwachsen und wo nicht bekannter Probleme oder bisher unbe- zentrale Problemfelder bestehen. kannter Bedürfnisse eine hohe Unsicherheit die Tragfähigkeit dieses Konzepts. bzgl. der Fortentwicklung. Deshalb gilt es die Teil B: Instrumente und Konzepte der Quellen externen Wissens mit Bedacht auszu- Open Innovation wählen, wobei hier dem Lead User Konzept eine 12 Die Interaktion von Anbieter und Nachfrager ist zentrale Rolle beizumessen ist. seit jeher durch Informationsasymmetrien ge- User stellen Akteure dar, deren gegenwärtige kennzeichnet. So verfügt der Nachfrager zu- Bedürfnisse denen entsprechen, die später am meist über eine mehr oder minder genaue Vor- Gesamtmarkt bestehen und deren Anforderun- stellung seiner Bedürfnisse. Die Anbieterseite gen daher den zukünftigen Marktanforderungen hingegen verfügt neben der entsprechenden entsprechen. In ihrem Beitrag „Potenziale und Infrastruktur auch über das Wissen zur Erfüllung Grenzen der Lead User Analyse“ zeigt Woll die der Bedürfnisse. Aufgrund dieser oftmals und Grundlagen und idealtypischen Ablaufschritte insbesondere in Konsumentenmärkten unter- der Lead User Analyse auf und gibt, basierend 9 11 10 Vgl. Raymond 1999. Vgl. Honsig 2006. 12 4 Unter Lead Vgl. von Hippel 1994. Vgl. Urban/ von Hippel 1988; Herstatt/ von Hippel 1992. auf einer Metastudie, Einblicke in die Umset- keting. Dabei fokussiert sich der Beitrag von zung in der Unternehmens- und Forschungspra- Buning "Innovationstreiber Community" auf die xis. Wobei zwei zentrale Problembereiche iden- Schnittstellenproblematik zwischen Unterneh- tifiziert werden, die zum einen den theoretischen men und Community im Innovationskontext und Grundlagen des Lead User Konzepts und dar- zeigt auf, wie Unternehmen innovationsbezoge- über hinaus forschungsökonomischen Erwä- nes Wissen aus Communities absorbieren bzw. gungen entstammen. generieren können. Dabei werden abhängig Die vorab skizzierte Entwicklung zum „mündigen davon, welche Seite den aktiven Part übernimmt Kunden“ manifestiert sich neben dem immer drei Kernansätze: dargestellt und einer kriti- stärker werdenden nachfragerseitigen Informati- schen Betrachtung unterzogen. onsbedarf auch in der gesteigerten Aktivität im Der Zusammenspiel mit anderen Konsumenten. Hier Communities" zeigt auf, welche Vorteile einem bilden unterschiedliche Formen virtueller Ge- Unternehmen aus funktionierenden Communi- meinschaften, zumeist konstituiert über das ties insb. im Innovationsprozess erwachsen und Internet (sog. Virtual Communities, wie z. B. wie unternehmensseitig eine Steuerung von Brand Communities oder Communities of Inte- Entwicklungen der Community vorgenommen rest) 13 die Grundlage. Diese Interaktionsge- Beitrag von Bathen "Virtuelle User- werden kann. meinschaften weisen dabei, neben den offen- Eine entgegen gesetzte Sichtweise und damit kundigen Vorteilen für die Teilnehmer, die im das komplementäre Gegenstück nimmt der Bei- sozialen Austausch bzw. der Kommunikation zu trag von Ferreira "Vorteilspotenziale Virtueller sehen sind, eine ganze Reihe weiterer Aspekte Communities aus Nachfragersicht" ein. Hier wird auf. So stellen sie oftmals einen großen Pool ebenfalls eine Betrachtung der Vorteilspotenzia- verfügbaren Anwenderwissens bereit, der un- le der Interaktion mit Communities vorgenom- ternehmensseitig Anhaltspunkte zur Modifikation men, jedoch nur aus der Kunden- bzw. Nachfra- bestehender Produkte oder der Entwicklung gerperspektive. Ausgehend von einem schema- neuer Lösungen genutzt werden kann. Neben tisierten Kundenprozess mit Entscheidungspha- diesen Bedürfnisinformationen zeigt sich jedoch, se, Kaufakt und Nutzungsphase werden hier dass oftmals auch Lösungsvorschläge entwi- unter Rückgriff auf Ansätze der Informationsö- ckelt und bereitgestellt werden. Diese können konomie einerseits direkt von den Unternehmen absor- ausgestellt. biert werden, darüber hinaus aber auch zur I- Im Rahmen seines Beitrags „Produktentwick- dentifikation besonders geeigneter Innovations- lung mit Virtual Communities“ nimmt Hildebrand partner, mit denen eine integrative Zusammen- unter Rückgriff auf die strukturelle Phaseneintei- arbeit besonders fruchtbar erscheint, genutzt lung des Innovationsprozesses nach Cooper werden. 14 15 im Detail Informationsvorteile her- (1996) eine detaillierte Betrachtung der Interak- Im Rahmen der letzten vier Beiträge dieses tions- und Aktionsphasen im Zusammenspiel Forschungsbandes erfolgt eine systematische von Community und der innovationsleitenden und differenzierte Betrachtung der Funktions- Unternehmung vor. Dabei werden je Prozess- weise und erwachsender Vorteilspotenziale von phase sowohl Anforderungen herausgearbeitet Communities für ein modernes Innovationsmar- als auch entsprechende Umsetzungskonzepte 13 14 bzw. geeignete Instrumente dargestellt, sodass Vgl. McAlexander/ Shouten/ Koenig 2002; Schubert/ Ginsburg 2000; Rheingold 1993. Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007; Füller et al. 2006. 15 5 Zur Informationsökonomie siehe Weiber/ Adler 1995. im Kern ein „Interaktionskatalog“ entsteht, der uct Innovation Management, Vol. 21, S. 401- als Anhaltspunkt zur innovativen und innovati- 415. onsorientierten Zusammenarbeit von Unterneh- Franke, N./ Shah, S. (2003): How Communities men und Community dienen kann. Support Innovative Activities: An Exploration of Assistance and Sharing Among End- Literaturverzeichnis Users, Research Policy, Vol. 32, S. 157-178. Allen, R. C. (1983): Collective Invention, Journal Franke, N./ von Hippel, E. 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(1994): ”Sticky Information” and the Locus of Problem Solving: Implications 7 Joachim Jardin − Arne Rehm Open Innovation – Researching an enforcing Paradigm? 1 Open Innovation – ein überschätzter Hype? 2 Ursprünge von Open Innovation 3 Aktuelle Entwicklungen der Open Innovation Ansätze 4 Entwicklung eines Open Innovation Verständnisses 1 Open Innovation – ein überschätzter Hype? gieintensität zwingt Unternehmen durch vermehrt auftretende Kompetenzlücken nach externen Quellen zu suchen um diese zu füllen. Open Innovation, gilt als ein neuer Ansatz für Hier können durch Interaktion nicht nur explizi- das moderne Innovationsmanagement und hat tes, also eindeutig kommunizierbares, Wissen in den letzten Jahren einen großen Bedeu- sondern auch implizites, schwer vermittelbares tungszuwachs erlangt. Doch es lässt sich fest- Wissen erfasst werden. 3 Als Beispiele können stellen, dass viele Ansätze, die in unterschiedli- hier Kunden, Zulieferer, Konkurrenten, Universi- cher Art und Weise unter dem Begriff Open täten usw. genannt werden. Von herausragen- Innovation subsumiert werden, schon vor dem der Bedeutung ist auch die Veränderung der aktuellen Hype, sowohl in Theorie als auch Pra- Informations- und Wissensumwelt. 4 Nicht nur, xis, bekannt waren (siehe Abschnitt 2). Somit ist dass die allgemeine Steigerung der Mobilität der ein Ziel dieses Beitrages die Frage zu beantwor- Mitarbeiter zu starken Wissenstransfers zwi- ten, ob der Bedeutungszuwachs begründet ist schen Unternehmen führt und die Fähigkeiten oder lediglich alte Ansätze neu aufbereitet wur- und das Angebot externen Wissens gestiegen den. Diese Frage wird verständlicherweise auch sind, 5 sondern auch die Entwicklung der IuK- durch die heutige Innovationslandschaft stark Technologien und die damit einhergehenden beeinflusst. Immer kürzere Innovationszyklen, neuen Wege der Nutzung und Erschließung von bei längeren Pay-Off-Zeiten und sich verstär- externem Wissen sind hier zu erwähnen. 6 Auf kender Preiserosion erhöhen die Risiken von dieser Basis wird der weltweite Zugriff auf In- 1 Innovationsaktivitäten. Um der ohnehin schon formationen und globale Zusammenarbeit er- hohen Floprate von Neuprodukten vor dem Hin- möglicht. Communities, Open Source Software tergrund solcher Szenarien entgegenzuwirken, (OSS), Virtuelle Unternehmungen, die Vernet- ist die Suche nach neuen Gestaltungsmöglich- zung der vertikalen Wertschöpfungsstufen sind keiten für das Innovationsmanagement unerlässlich. Nach Gassmann können 2 nur einige relevante Schlagworte. Zusätzlich weitere ermöglicht moderne Software, Teile des Innova- Trends und Entwicklungen im Zusammenhang tionsprozesses digital darzustellen und zu ver- der wachsenden Bedeutung von Open Innovati- arbeiten. So können zum Beispiel Produkte mit on genannt werden. So bedingt seiner Ansicht Computer Aided Design (CAD) und Virtual Pro- nach die Globalisierung einen stärkeren Wett- totyping entworfen und getestet werden und bewerb und erhöht dadurch die Vorteile offener stehen dabei zeit- und ortsunabhängig zur Ver- Innovationsprozesse vor allem dadurch, dass in einer Zusammenarbeit Größenvorteile (mehr Kapital, mehr Personal, mehr Know How) ge- 2 nutzt werden können. Die steigende Technolo- 3 4 5 6 1 Vgl. Weiber/ Kollmann/ Pohl 1999, S. 2ff. 8 Vgl. Gassmann 2006, S. 224. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 57ff. Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff.; Gassmann, 2006, S. 224. Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff. Vgl. Dodgson/ Gann/ Salter 2006, S. 333ff.; Reichwald/ Piller 2006, S.80. fügung. Dies wiederum ermöglicht, dass Kunden market) verringert werden. 9 Um allerdings An- und andere externe Quellen Anpassungen, Vor- wender aus der Praxis von dem Open Innovati- schläge und Weiterentwicklungen kostengünstig on Konzept zu überzeugen und auch für eine in diesen Prozess einbringen können. So ge- sinnvolle weitere Forschung ist es notwendig nannte Innovations- oder Design-Toolkits stellen, je nach Kenntnisstand des Benutzers, den scheinbaren Widerspruch, dass viele unter- Schnittstellen zur Verfügung, um auch „unerfah- schiedliche Konzepte Open Innovation darstel- rene Quellen“ integrieren zu können (siehe hier- len, aufzuklären. Bevor jedoch darauf eingegan- zu den Beitrag von Asel/ Steinmetz, S. 94ff.). 7 gen werden kann, sollten zunächst die Ursprün- Bei diesen Toolkits sollte jedoch erwähnt wer- ge von Open Innovation dargestellt werden. den, dass teilweise Ansätze von Mass Customization und Open Innovation vermischt werden. 2 Ein Produkt, dass der Kunde mit Hilfe eines Ursprünge von Open Innovation Toolkits aus verschiedenen Modulen nach seinen Vorstellungen zusammensetzt, hat oft we- Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts spielte die nig mit einer echten Innovation gemein. Ähnlich Integration externen Wissens in den unterneh- verhält es sich mit neuen Entwicklungen der merischen Innovationsprozess keine nennens- Marktforschung. Neue Möglichkeiten, zum Bei- werte Rolle. Dies lag vor allem daran, dass die spiel durch statistische Analysesoftware, sind ersten industriellen Forschungslaboratorien, und vielleicht ein Werkzeug für Open Innovation, somit eine Forcierung von Forschung und Ent- aber keinesfalls automatisch aus der klassi- wicklung (F&E), erst gegen Ende des 19. Jahr- schen Marktforschung herauszunehmen und in hunderts in Deutschland und wenig später in Open Innovation einzubetten. den Vereinigten Staaten etabliert wurden. 10 Unter dem Begriff Open Innovation werden ins- Diese Laboratorien wurden vor allem in großen, gesamt viele verschiedene Ansätze und Metho- vertikal integrierten Unternehmen eingerichtet, den dargestellt. Einige davon bieten neue und welche eine dominante Position im Markt besa- vor allem effektive Prozesse und Handlungsan- ßen. Grund für das plötzliche Interesse an F&E weisungen neue Produkte mit einer geringeren war insbesondere der unzuverlässige Schutz Floprate und höheren Marktakzeptanz zu entwi- geistigen Eigentums außerhalb der nationalen ckeln. Dies wird z. B. durch den Zugriff auf einen Grenzen, da dort lokale Regelungen diesbezüg- größeren Pool an Bedürfnisinformationen („Was lich gelten und diese, wenn sie liberaler ausge- will der Kunde“) und auch gleichzeitig Lösungs- legt sind, die Regelungen des Ursprungslandes informationen („Wie setze ich die Bedürfnisse in der Innovation verwässern können. Der einzige ein passendes Produkt um“) möglich. 8 Darüber Weg weiterhin eine dominante Position zu hal- hinaus können Innovationsprozesse auch effi- ten ging über kontinuierliche Weiterentwicklung. zienter gestaltet werden und die Zeit bis zur Aufgrund fehlender Erwähnung, lässt sich zu- Markteinführung (time-to-market) als auch Kos- mindest für die Vereinigten Staaten eine Un- ten wichtigkeit externen Wissens im Betrieb dieser 7 8 des Entwicklungsprozesses (costs-to- 9 Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 821ff.; Reichwald/ Piller, 2006, S. 163. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 55ff. 10 9 Vgl. ebenda, S. 150ff. Vgl. Chandler 1990, S. 161f.; Hounshell 1996, S. 13 sowie S. 19f. Sicherheit bereits davor erste Ansätze zur Nut- Laboratorien konstatieren, jedoch nicht, dass 11 Zwi- zung externen Wissens in der Innovation, wenn schen den Weltkriegen war die Hauptaufgabe auch nicht so ausgeprägt, z. B. gab es insb. in der F&E Abteilungen die Kommerzialisierung Deutschland schon ab ca. 1871 Ansätze von von Erfindungen anderer sowie die Effizienz- Forschungskooperationen zwischen Unterneh- steigerung der Produktion. Nach dem zweiten men und Universitäten. 14 Ein weiterer Ansatz Weltkrieg begann sich die Aufgabe der F&E zu der Innovation unter Zuhilfenahme externen wandeln. Aufgrund der immensen Fortschritte in Wissens, der Forschung wie z. B. der Atombombe, Antibi- Abteilungen oder Universitäten auskam, war die otika, digitaler Computertechnik und vielen an- Collective Invention, welche von Allen in die deren Entdeckungen begann die Grundlagen- Literatur eingeführt wurde. Er erklärt diese am forschung immer mehr an Wichtigkeit zu gewin- Beispiel der Weiterentwicklung von Hochöfen in nen. Dies lag vor allem daran, dass gut finan- der englischen Eisenindustrie im 19. Jahrhun- zierte neue dert. Es wird beschrieben, wie neue Hochofen- Technologien entwickeln konnten. Es wurde im designs eines Unternehmens sowie die Effi- Glauben an ein lineares Innovationsmodell ge- zienzwerte des mit dem neuen Design veränder- forscht, bzw. in Anlehnung an das Say’sche ten Brennstoffverbrauchs, Wettbewerbern zu- Theorem – Jedes Angebot schaffte sich seine gänglich gemacht werden, wodurch diese in keinerlei externes Wissen genutzt wurde. Wissenschaftler Nachfrage selbst. einschneidend 12 welcher gänzlich ohne F&E- ihrer nächsten Generation von Hochöfen Erweiterungen dieses Designs übernehmen können Als ein möglicher Erklärungsansatz für die nicht- (Stoll, 53ff.). Eine kollektive Invention liegt vor, Nutzung von externem Wissen wird das sog. wenn dieser Vorgang fortgeführt wird, der Wett- Not-Invented-Here (NIH) Syndrom angeführt. bewerber selbst seine Öfen auf diese Weise Dieses beschreibt, dass Gruppen von Ingenieu- weiterentwickelt und neues Wissen wiederum ren die über einen längeren Zeitraum in der öffentlich zugänglich macht, dass auch dessen gleichen Besetzung bestehen immer weniger Wettbewerber darauf Zugriff haben. auf externe Quellen zugreifen, da sie das Gefühl entwickeln ein Wissensmonopol in ihrem Gebiet In der Hinsicht das Unternehmen und nicht indi- zu besitzen. Als Folge daraus, werden externe viduelle Erfinder neues technisches Wissen Quellen nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezo- generierten, hatte Collective Invention bereits gen in der Lage zu sein für die Gruppe wichtiges Charakteristika oder ergänzendes Wissen beisteuern zu können F&E. „Jeder moderne Konzern richtet sich – zu können. Dabei ist anzunehmen, dass die sobald er das Gefühl hat, daß er es sich leisten Belegschaft der zentralen Forschungslaborato- kann – als erstes eine Forschungsabteilung ein, rien aus genau solchen sich über längere Zeit- in der jeder Mitarbeiter weiß, daß sein tägliches räume nicht verändernden Gruppen bestand. 13 der modernen, industriellen Brot von seinem Erfolg in der Erfindung von Verbesserungen abhängt.“ 15 Diese Aussage Dennoch gab es schon zu dieser Zeit und mit von Schumpeter lässt bereits den Unterschied 11 12 13 Vgl. Chandler 1978, S. 345ff. Vgl. Chandler 1990, S. 190; Hounshell 1996, S. 41ff. Vgl. Katz/ Allen 1982, S. 7. 14 15 10 Vgl. Hounshell 1996, S. 19f. Schumpeter 1975, S. 158. von Collective Invention zur modernen, indus- von Innovationen aus zentralen Forschungsla- triellen F&E erahnen. Nelson definierte 1959 boratorien großer Konzerne wie sie weiter oben industrielle F&E durch das Vorhandensein von beschrieben wurde in Frage, da er im Laufe Forschungslaboratorien in einem Unternehmen, seiner Forschung Anhaltspunkte für „Innovation welche u. a. für Entwicklung, Qualitätskontrolle, von Außen“ gefunden hatte. In diesem Zusam- Verbesserung bestehender Produkte, etc. zu- menhang zeigt er im Verlauf seiner Arbeit an- ständig waren. Im Beispiel der Collective Inven- hand von Beispielen auf (z. B. Entwicklung von tion wurden von Unternehmensseite her keiner- wissenschaftlichem Instrumentarium durch Nut- lei Ressourcen speziell für F&E bereitgestellt – zer) 21 , dass Innovationen auch extern entstehen Innovationen geschahen, im Beispiel der engli- können und dann ihren Weg zum Hersteller zu schen Hochofenindustrie, als Nebenprodukt des finden. Der Trend hin zu einem offeneren Inno- Tagesgeschäfts. Diese Abwesenheit eins For- vationsprozess ist bereits klar zu erkennen. Er schungslaboratoriums für F&E dient als Abgren- konnte als externe Quellen der Innovation hier, zung zur modernen, industriellen F&E. Darüber aber auch bereits zuvor, Nutzer 22 , Zulieferer 23 hinaus ist anzunehmen, dass es nicht im Sinne und informellen Know-how Austausch 24 (Koope- industrieller F&E ist wenn Innovationen eines ration zwischen Wettbewerben und/oder nicht- Unternehmens ohne Gegenleistung von ande- Wettbewerbern, welche der Collective Invention ren genutzt werden. 16 ähnelt) 25 ausmachen. In seinem auf dem Customer Active Paradigm basierenden Kon- Nicht nur die „Collective Invention“, auch andere zept geht er davon aus, dass Innovationen an Kernprozesse der Open Innovation sind bereits das Herstellerunternehmen herangetragen wer- seit längerem in der Literatur bekannt und un- den, dieses also meist passiv ist. Sollte das tersucht. Von Hippel schrieb bereits 1976 über Unternehmen dennoch aktiv nach Innovationen das Customer Active Paradigm, welches den suchen, befinden sich diese meist in einer spä- Kunden/Nutzer als treibende, aktive Kraft im ten Phase des Innovationsprozesses und müs- Innovationsprozess sieht. 17 Diesen Gedanken sen oft nur noch kommerzialisiert werden. 26 In führte er dann 1986 mit dem Lead User Ansatz seinen späteren Arbeiten konzentriert sich von weiter. 18 Kogut beschrieb 1988 organisationales Hippel jedoch ausschließlich auf durch Nutzer Lernen als eines der Hauptmotive für Joint- generierte Innovationen (insb. Lead User und Ventures 19 und Brandenburger/Nalebuff führten User Communities), was vor allem in seinem 1996 das spieltheoretische Konzept der Co- Buch Democratizing Innovation und seinen wei- Opetition, eine Form der Kooperation unter anhaltender Konkurrenz, ein. 20 In seinem 1988 veröffentlichten Buch The Sour- 21 ces of Innovation stellte von Hippel die bis dahin 22 23 verfolgte gängige Meinung über die Herkunft 24 25 16 17 18 19 20 Vgl. Allen 1983, S. 1f.; Nelson 1959, S. 119ff. Vgl. von Hippel 1978. Vgl. derselbe 1986. Vgl. Kogut 1986. Vgl. Brandenburger / Nalebuff 1996. 26 11 Vgl. von Hippel 1988, S. 11ff. Vgl. von Hippel 1978, passim; Derselbe 1988, S. 11ff. Vgl. Derselbe 1988, S. 35ff. Vgl. von Hippel 1987, passim; Derselbe 1988, S. 76ff. Der Unterschied liegt darin begründet, dass in der Collective Invention alle Wettbewerber und potentiellen Wettbewerber Zugriff auf das proprietäre Wissen haben müssen (vgl. Allen 1982, S. 2), wohingegen beim informellen Know-how Austausch kein Zwang zur Veröffentlichung besteht (vgl. von Hippel 1987, S. 297; Derselbe 1988, S. 84). Vgl. von Hippel 1988, passim. teren Aufsätzen 27 zum Ausdruck kommt. Auch on deutlich wird. 31 hier wird im Lead User Ansatz weiterhin die Sawhney/Prandelli führten 2000 ihr Konzept der hauptsächlich passive Rolle des Unternehmens Community während des Nutzer-Innovationsprozesses im System mit sich immer verändernden Grenzen. Infektionskontrolle im OP-Bereich. Zur Lösung Diese Eigenschaften kommen daher, dass die- dieses Problems wurden Lead User aus ver- ses Modell zwischen den klassischen Gover- schiedenen Disziplinen gesucht und zu einem nance-Mechanismen der Transaktionskosten- dieses theorie Markt und Hierarchie anzusiedeln. Als Workshops wurde von den Lead Usern schließ- Transaktionskosten sind Kosten zu verstehen lich eine mögliche Lösung für dieses Problem die mit der Ausführung von Markttransaktionen gefunden. Die dort erarbeitete Lösung wurde entstehen, hierbei gibt es Kosten die bereits vor von Unternehmensseite aus übernommen, es der Transaktion während der Anbahnung ent- fand dabei jedoch keine Interaktion zwischen stehen, aber auch Kosten die nach der Transak- Unternehmen und Lead User während des Lö- tion während der Abwicklung und noch danach sungsfindungsprozesses statt (Woll, 81ff.). 29 zustande kommen. Steigen die Transaktiosn- Darüber hinaus geht von Hippel auf sog. Innova- kosten über ein bestimmtes Niveau, wird es tion Communities ein. Da von Hippel kein Kon- günstiger Produktionsaktivitäten innerhalb des trollorgan, welches Regeln der Mitgliedschaft Unternehmens durchzuführen und zu koordinie- aufstellt, in seiner Definition erwähnt, hat dies ren, anstatt dies über den Markt zu erledigen. 32 zur Folge, dass es keinerlei Beschränkungen Modelle die zwischen den Positionen Markt und zur Mitgliedschaft in einer Innovation Communi- Hierarchie liegen, wie das vorliegende von ty gibt. Außerdem wird davon ausgegangen, Sawhney/Prandelli, werden auch als hybride dass es sich um reine Nutzer-Communities Kooperationform bzw. Kooperationslösung be- handelt und somit auch nur eine Nutzer-zu- zeichnet. 33 In Anlehung an von Hippels Custo- Nutzer Kooperation stattfindet, was wiederum mer Active und Manufacturer Active Paradigm der oben dargestellten Meinung des Customer wird diese Struktur von Nagel als Joint Active Active Paradigm entspricht. 30 Dennoch ist ein Paradigm bezeichnet. 34 Laut Benkler begann Trend in von Hippels Meinung hin zu einer Ko- das Erscheinen dieser Form und somit das En- operation zwischen Herstellerunternehmen und de der Dominanz der reinen hierarchie- oder Nutzer zu erkennen, was insb. durch seine Ar- marktbasierten Modelle mit Erscheinung der beiten im Bereich der Toolkits for User Innovati- Open Source Software Community, da diese als 31 27 28 29 30 Governance- Community of Creation als ein durchlässiges lich, auf der Suche nach einer neuen, günstigen Während als vation in die Literatur ein. Sie definieren eine ten. 28 Dies wird auch am Beispiel von 3M deut- eingeladen. Creation Mechanismus zum steuen von distributed inno- Sinne des Customer Active Paradigm vertre- Workshop of Siehe hierzu bspw. von Hippel 1989; Derselbe 1998; von Hippel/ Thomke/ Sonnack 1999; Morrison/ Roberts/ von Hippel 2000; von Hippel 2001a; Derselbe 2001b. Vgl. Derselbe 2005, S. 19ff. Vgl. von Hippel/ Thomke/ Sonnack 1999. Vgl. von Hippel 2005, S. 93ff. 32 33 34 12 Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, passim; von Hippel/ Katz 2002, passim; von Hippel 2005, S. 147ff. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 32; Nambisan/ Sawhney 2007, S. 30f. Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000S. 25f.; Reichwald/ Piller 2006, S. 35ff.; Nagel 1993, S. 39. Vgl. Nagel 1993, S. 39. weder noch ist. 35 auch in der Flexibilität sowie der Selbstorganisation. Damit einher gehen jedoch auch einige Die hierarchische Struktur wird bei Sawh- Schwachstellen, wie z. B. die nur geringen Kon- ney/Prandelli genau wie bei Chesbrough am trollmöglichkeiten, Screeningmechanismen zur Beispiel von Xerox PARC erklärt. Um Störungen Qualitätssicherung, im Innovationsprozess zu vermeiden, sowie die da ein Anreiz für Entwickler geschaffen werden klären, wird in dieser Strukturform externes Wis- muss ihr wissen mit einem Unternehmen zu sen meist komplett in das eigene Unternehmen teilen. Diese Anreize zu schaffen ist mitunter integriert, was soviel bedeutet, dass Firmen, nicht einfach und wird versucht über verschie- welche wertvolles Wissen besitzen gekauft wer- dene Lizenzierungsmodelle herzustellen. Im den oder zumindest eine Mehrheitsposition an Falle von IBM werden kostenlose kommerzielle diesen gehalten wird. Da der Innovationspro- Lizenzen zess in dieser Form nur von einem Unterneh- einem eigener Entwicklungsumgebungen angeboten und im Falle von Linux wird erlaubt men ausgeht bzw. sämtliche Teilnehmer am zu Motivationsmecha- nismen. Letztere sind besonders problematisch, Frage des geistigen Eigentums problemlos zu Innovationsprozess sowie Beiträge, welche als unabhängige Arbeiten an- Unternehmen gesehen werden können, auch ausserhalb der gehören, ist die Planung der Innovation stets für Linux geltenden Lizenzen anwenden zu dür- klar und größtenteils befreit von Störfaktoren. fen. 37 Darüber hinaus kommt es auch nicht zu Problemen des geistigen Eigentums, da die Eigen- Dies ist der Punkt wo Sawhney/Prandelli anset- tumgsrechte hier klar definiert und unstrittig zen. In Ihrem Modell der Community of Creation sind. 36 gehört das geistige Eigentum zu gleichen Teilen allen Mitgliedern der Community. Die Communi- Im Gegensatz zum hierarchischen Modell steht das (offene) Marktmodell, welches ty wird von einem zentralen Unternehmen gere- Sawh- gelt, welches als Sponsor auftritt und die grund- ney/Prandelli am Bespiel von IBM AlphaWorks legenden Regeln für die Teilnahme bestimmt. und Linux aufzeigen. Offen ist hier im Sinne von Mitglieder einer Community of Creation können Kooperation und Handel mit potentiellen Part- Kunden, Zulieferer aber auch Wettbewerber nern auf einem offenen Wissensmarkt zu ver- sein. Der Innovationsprozess läuft somit nicht stehen. Dies bedeutet, dass Teile von Projekten mehr im Unternehmen, sondern in der Commu- oder ganze Projekte der Öffentlichkeit zugäng- nity ab, wobei jedes Mitglied Zugriff auf das lich gemacht werden, so dass diese daran arbei- Wissen der Community hat und dazu beitragen ten kann. Die Ergebnisse die mit dem zur Verfü- kann. Ziel dieses Ansatzes ist die co-creation gung gestellten Material erzielt werden, müssen von Wissen mit Kunden; der Kunde wird in den wiederum öffentlich gemacht werden, so dass Innovationsprozess integriert und als Partner andere an dieser Stelle weiterentwickeln kön- angesehen. 38 Sawhney/Prandelli erläutern ihr nen. Vorteile des Marktmodells sind vor allem in Konzept am Beispiel des Jini Projects von Sun der Innovationsgeschwindigkeit zu sehen, aber Microsystems. Hierbei handelt es sich um eine 35 36 Vgl. Benkler 2002, S. 381. Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 36ff.; Chesbrough 2003, S. 1ff. 37 38 13 Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 38ff. Vgl. ebenda, S. 24ff. „gated community“, da die Mitgliedschaft in der migen Buch den Begriff der Open Innovation. Community durch Zustimmung zu den Lizenz- Bei der Open Innovation nach Chesbrough han- bestimmungen von Sun geregelt ist, somit also delt es sich um ein Innovationsnetzwerk. 42 Er nicht automatisch jeder Mitglied sein kann wie grenzt Open Innovation mit Hilfe des, von ihm im Marktmodell. Diese Lizenz ist dermaßen als Closed Innovation Paradigm bezeichneten aufgebaut, dass nicht alles veröffentlicht werden Verständnisses muss. Während Fehlerkorrekturen an der lizen- Innovationsprozesses ab, welches von einer zierten Technologie an die Community weiter- zentralisierten F&E in stark vertikal ausgerichte- gegeben werden müssen, können andere Modi- ten Unternehmen ausgeht.. 43 Wertvolle Ideen fikationen weiterhin proprietär bleiben. Es müs- können von innen wie von außen in den Innova- sen lediglich die Schnittstellen zur Verfügung tionsprozess gelangen. Wobei zu beachten ist, gestellt werden. In diesem Modell sind somit die dass interne wie externe Quellen, im Gegensatz Vorteile des hierarchischen Modells, wie z. B. zum Closed Innovation Paradigm, als gleichge- größere Kontrolle, sowie klarer definiertes geis- wichtig betrachtet werden. Darüber hinaus legt tiges Eigentum, mit den Vorteilen des Marktmo- Chesbrough besonderen Wert darauf, dass dells, wie z. B. Selbstorganisation und Innovati- Ideen bzw. Innovationen nicht nur intern, über onsgeschwindigkeit, kombiniert. 39 die Der Commu- früherer unternehmenseigenen Entwicklungen Kanäle, des sondern 44 nity Ansatz unterstützt somit das gemeinsame auch über externe Kanäle , außerhalb des voneinander Lernen, sowie die gemeinsame derzeitigen Kerngeschäfts, auf den Markt gelan- Wertschaffung mit den Kunden. 40 gen, sofern sie intern nicht verwertet werden können. 45 Dabei liegt ein besonderer Fokus auf Im Jahr 2002 veröffentlichten Rigby/Zook ihren dem Geschäftsmodell eines Unternehmens. Artikel Open-Market Innovation. Bei der Open Chesbrough sieht in den sog. Spillovers, Tech- Market Innovation handelt es sich nicht um ein nologien die nicht in das derzeitige Geschäfts- Community, sondern um ein Netzwerk Konzept modell passen, die Chance für ein Unternehmen indem allgemein auf die rapide steigende Nut- entweder sein Geschäftsmodell zu erweitern zung externen Wissens hingewiesen wird. Als Quellen dieses Wissens werden oder einen Spin-Off mit einem neuen dazu pas- Lieferan- senden Geschäftsmodell zu gründen. 46 ten/Verkäufer, Kunden und Wettbewerber genannt. Darüber hinaus erwähnen Rigby/Zook, Als dass das Wissen nicht nur in eine Richtung flie- Chesbrough u. a. das Anwerben von geschulten ßen kann, sondern über den Export neuer Ideen (Zeit-)Arbeitskräften, Universitäten, nationalen Quellen externen Wissens nennt in Form von Lizenzierung oder Verkauf, sowie Kooperationen wie Joint Ventures und strategi- 42 43 sche Allianzen, auch nach außen gelangen 44 kann. 41 Chesbrough prägte 2003 mit seinem gleichna- 39 40 41 Vgl. ebenda, S. 40ff. Vgl. ebenda, S. 47. Vgl. Rigby/ Zook 2002, S. 82. 45 46 14 Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 116f. Vgl. Chesbrough 2003, S. 21ff.; Derselbe 2006a, S. 2f. Unter externen Kanälen auf den Markt versteht Chesbrough neben den klassischen Wegen, wie z. B. Lizenzierung eigener Technologien an andere Unternehmen, auch noch andere Wege wie z. B. durch Spin-Off Ventures, welche unter der Kontrolle des Unternehmens stehen können und so zusätzlichen Wert schaffen, oder durch ehemalige Mitarbeiter die mit ihrem Wissen ein eigenes Unternehmen gründen (Vgl. Chesbrough, 2003, S. xxiv; Derselbe 2006a, S. 1ff.). Vgl. Chesbrough 2003, S. 43. Vgl. Derselbe 2006a, S. 4. Laboratorien, spezialisierten kleinen Firmen, mit und ohne interne F&E untersucht. Dabei Zulieferer sowie Wagniskapitalbeteiligungen in kamen sie zu dem Schluss, dass Unternehmen Start-up Firmen, individuelle Erfinder, bereits mit interner F&E in den meisten Fällen bessere pensionierte Mitarbeiter oder sogar Studenten Ergebnisse erzielen konnten, was daran lag, im fortgeschrittenen Studium, aber auch, mit dass sie die externen Lösungsinformationen einem Verweis auf von Hippel, Kunden. 47 besser nachvollziehen und verstehen konnten. Dies führt wiederum dazu, dass Innovationen Weiterhin wichtig für dieses Open Innovation schneller und meist besser fertig gestellt werden Verständnis ist der Umgang mit geistigem Ei- können. Darüber hinaus ist es Unternehmen mit gentum, da dieses entgeltlich angeboten, gegen interner F&E möglich die durch externe Informa- anderes wertvolles Wissen getauscht oder so- tionen unterstützten Innovation aus eigener gar unentgeltlich veröffentlicht werden kann. Kraft weiterzuentwickeln. 51 Die Absorptive Ca- Dieser Wechsel der Sichtweise von Patenten als pacity erlaubt es einem Unternehmen die Zu- reinem „Abwehrmechanismus“ hin zu einem sammenhänge besser zu verstehen und vor handelbaren Gut führt zur Etablierung von Zwi- allem herauszufinden welche Technologien für schenmärkten für geistiges Eigentum. 48 die geplante Innovation kritisch sind. Durch die Nach Chesbrough vereinen Open Innovation Entwicklung dieses Verständnisses wird es dem Prozesse interne wie externe Ideen zu Architek- Unternehmen ermöglicht einzelne funktionale turen und Systemen, deren Anforderungen mit Bereiche abzustecken und den Informations- Hilfe von Geschäftsmodellen bestimmt wer- fluss in diesen zu fördern. Anfangs herrscht hier den. 49 Eine Architektur stellt eine Hierarchie von noch eine vertikale Orientierung vor, jedoch mit Verbindungen ungleicher Funktionen innerhalb fortschreitendem Innovationsverlauf und sinken- eines Systems dar und verbindet diese zu ei- den Interdependenzen bildet sich eine modulare nem sinnvollen, nützlichen System. Im Anfangs- Architektur heraus und ein Übergang von verti- stadium einer Innovation gilt es die Komplexität kaler zu horizontaler Integration. Dies bedeutet, sowie die Interdependenzen der externen Quel- dass externe Quellen einzelne Module zur Ge- len zu Reduzieren. Dies liegt vor allem daran, samtinnovation beisteuern, welche vom initiie- dass es eine Vielzahl externer Quellen gibt, die renden Unternehmen zu einem System verar- in den verschiedensten Kombinationen mögliche beitet werden. Daher gilt es für ein Unterneh- Lösungsinformationen bieten können. Daher ist men welches sich für den Gebrauch von Open in diesem Stadium die interne F&E als Koordi- Innovation nierungsorgan von sehr großer Bedeutung. 50 Mechanismen nach Chesbrough entscheidet, in erster Linie herauszufinden, wel- Dies lässt sich u. a. anhand der Absorptive Ca- che fehlenden Teile einer Innovation intern be- pacity nach Cohen/Levinthal erklären. Sie haben reitgestellt werden sollten und wie interne wie in ihrer Arbeit Innovationen mit von Unterneh- externe Teile zu System und Architekturen in- men unter Zuhilfenahme externer Information tegriert werden können. 52 Gassmann/Enkel orientieren sich mit ihrem O- 47 48 49 50 Vgl. Derselbe 2003, S. 49ff.; Derselbe 2006a, S. 10. Vgl. Chesbrough 2006a. S. 10; Derselbe 2007, passim. Vgl. Derselbe 2006a, S. 1. Vgl. Chesbrough 2003, S. 58ff. 51 52 15 Vgl. Cohen/ Levinthal 1990, passim. Vgl. Chesbrough 2003, S. 58ff. pen Innovation Verständnis an Chesbrough, 53 menstellt, wer teilnehmen kann, wie Konflikte teilen den Open Innovation Ansatz aber in drei gelöst werden und wie Leistung gemessen Prozesse und wird. 56 Es gibt zwei Formen von Creation Nets, Coupled. Outside-In bedeutet, dass ein Unter- sog. practice networks, welche auf einer locke- ein: Outside-In, Inside-Out nehmen vorrangig in Kooperationen 54 mit Zulie- ren Form der Koordination aufbauen (z. B. Open ferern und Kunden investiert um externes Wis- Source Projekte) und sog. process networks, sen in Innovationen zu integrieren. Inside-Out welche eine aktivere Form der Koordination bedeutet für ein Unternehmen den Verwertungs- benötigen (z. B. Design Netzwerke von Original fokus von Innovationen über externe Wege auf Design Manufacturers). Die Prozesse eines den Markt zu lenken, was insb. durch Lizenzie- Creation Nets werden aufgrund der großen An- rung geschieht. Der Coupled Prozess ist eine zahl von Teilnehmern in Module eingeteilt. Dies Kombination aus Outside-In und Inside-Out vereinfacht ihre Einbindung in den Gesamtinno- Prozess, der vor allem in strategischen Netz- vationsprozess und gibt ihnen darüber hinaus werken Gass- die Freiheit in ihrem eigenen Modulbereich In- mann/Enkel eignet sich der Open Innovation novationen zu erarbeiten. Trotz dieser Freihei- Ansatz insb. für Unternehmen mit einer hohen ten in den Modulbereichen sind Creation Nets in Produktmodularität, kurzen Innovationszyklen, anderen Bereichen jedoch relativ strikt, z. B. Innovationen die implizites Wissen benötigen wenn es darum geht festzulegen bis wann Er- und eine hohe Komplexität der Schnittstellen gebnisse geliefert werden müssen. 57 zum tragen kommt. Nach aufweisen, sowie für Firmen die positive externe Reichwald/Piller verfolgen mit ihrem 2006 veröf- Effekte wie Spillover durch Lizenzierung ihres fentlichten Buch eine etwas andere Sichtweise geistigen Eigentums nutzen können. 55 von Open Innovation. Open Innovation geht Brown/Hagel sind mit ihrem Modell der Creation ihrem Verständnis nach vor allem um „Nutzer Nets auch den Innovationsnetzwerken zuzuord- und Kunden als Quelle und Co-Produzent von nen. Creation Nets bestehen aus hunderten Innovationen“. 58 Wobei dieser Prozess von oder tausenden verschiedenen Teilnehmern aus Reichwald/Piller als interaktive Wertschöpfung unterschiedlichen Bereichen. Ziel ist eine de- bezeichnet wird. 59 Das Verständnis von interak- zentralisierte, kollaborative und kumulative In- tiver Wertschöpfung ist sehr eng mit dem Lead novation, welche auf Zusammenarbeit und ge- User Ansatz und Customer Active Paradigm von meinsames voneinander Lernen, mit dem Ziel Hippels verbunden, ergänzt diesen aber um die neues Wissen zu generieren, aufbaut. Um die- Annahme einer Aktivierbarkeit und (partiellen) ses Ziel zu erreichen werden institutionelle Me- Steuerbarkeit von Kundeninnovation durch Her- chanismen in Form eines Netzwerkorganisators stellerunternehmen. 60 Kern dieses Open Inno- benötigt, die klären wer das Netzwerk zusam- vation Verständnisses ist, dass es zu „einer systematischen Integration von Kundenaktivitä- 53 54 55 Vgl. Gassmann/ Enkel 2004, S. 2 und 5. “Co-operation refers to the joint-development of knowledge through relationships with specific partners such as consortia of competitors, supplier and customers, joint ventures and alliances as well as universities and research institutes.” (Gassmann/ Enkel 2004, S. 12). Vgl. Gassmann/ Enkel 2004, S. 7ff. 56 57 58 59 60 16 Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 45. Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 45ff. Reichwald/ Piller 2006, S. 95 (Hervorhebung im Original). Vgl. ebenda, S. 1. Vgl. ebenda, S. 131. innovations.“ 66 ten und Kundenwissen innerhalb eines Kontinuums von einer Ideengenerierung über die 3 Entwicklung erster konzeptionell technischer Innovation Ansätze Lösungen bis hin zum Design und der Fertigung erster Prototypen [kommt]“. 61 Aktuelle Entwicklungen der Open Die Integration des Kunden in den Innovationsprozess soll, Seit Beginn des Bedeutungszuwachses von neben den klassischen Organisationsprinzipien Open Innovation haben sich zwei Hauptrichtun- Markt und Hierarchie, durch die Commons- gen herauskristallisiert. Zum einen der nutzer- based peer production koordiniert und verein- orientierte Ansatz welcher vor allem durch von facht werden. 62 Hippel, sowie die Verwendung von Innovations- Commons-based peer produc- tion, [...] relies on decentralized information netzwerken, gathering and exchange to reduce the uncer- Chesbrough repräsentiert wird. tainty of participants. [...] It depends on very welche hauptsächlich durch Der nutzerorientierte Ansatz geht vor allem auf large aggregations of individuals independently die Arbeiten von Hippels zum Customer Active scouring their information environment in search Paradigm und zum Lead-User zurück. Verfech- of opportunities to be creative in small or large ter dieses Ansatzes beziehen sich meist auch increments. These individuals then self-identify auf diese, wobei es auch hier unterschiedliche for tasks and perform them for a variety of moti- Ansichten der Auslegung gibt. Lange Zeit wurde vational reasons” 63 . allein der Kunde als aktive Kraft gesehen, der Ein weiterer neuer Ansatz zu einer Definition seine Innovation an ein Unternehmen zur Kom- von Open Innovation stammt von West auf sei- merzialisierung heranträgt, ein Punkt den Reich- 64 Dieser nutzte bis dato die wald/Piller in ihrem Verständnis insb. an von Definition von Chesbrough (2006), formulierte Hippel kritisieren. 67 Jedoch spätestens seit Auf- jedoch auf Nachfrage folgende Open Innovation kommen des Instruments der Toolkits scheint Definition, welche aus einer Diskussion mit Mar- sich dieses Bild zu ändern, da hier Nutzer und cel Bogers hervorging: „Open innovation means Hersteller kooperieren müssen. 68 nem Internet-Blog. treating innovation like anything else – some- Bei den Innovationsnetzwerken lässt sich nicht thing that can be bought and sold on the open ohne weiteres eine eindeutige Quelle nennen market, not just produced and used within the bzw. wer den meisten Einfluss darauf ausübt. boundaries of the firm.“ 65 Um dem Faktor Dies liegt vor allem daran, dass es auch hier gespendeter Innovationen entgegenzukommen eine Vielzahl verschiedener Ansätze gibt, wovon veränderte West diese Definition zu: „Firms that die in diesem Beitrag behandelten Beiträge von embrace open innovation employ markets rather Sawhney/Prandelli, than hierarchies to obtain and commercialize Chesbrough, Rigby/Zook und Brown/Hagel von den Autoren als besonders bedeutsam auf dem Weg zum heutigen 61 62 63 64 65 Ebenda, S. 132. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 132. Benkler 2002, S. 375f. blog.openinnovation.net. West 2007. 66 67 68 17 Ebenda. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 163ff. Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, passim.; Reichwald/ Piller 2006, S. 163ff. Open Innovation Verständnis erachtet werden. eine Entwicklung in Richtung des Customer Von insb. Active Paradigm nicht nur die Integration von Brown/Hagel die Unterschiede ihres Creation Kunden sondern auch von sonstigen externen Nets Ansatzes zu den anderen Ansätzen, die Quellen. Übertragen auf die Transaktionskos- ihrer Meinung nach nur ungenügend ergiebige, tentheorie bedeutet dies eine Bewegung weg nachhaltige Interaktionen und Kollaborationen vom hierarchischen Modell näher an das fördern. Joint Ventures z. B. bestehen aus einer Marktmodell. beschränkten Anzahl an Teilnehmern, wohinge- ney/Prandelli zu nennen, was aus der obigen gen Creation Nets hunderte oder tausende mo- Darstellung der verschiedenen Ansätze deutlich bilisieren. Die Lizenzierung von Technologie ist wird. diesen Beiträgen erwähnen meist auf Transaktionen zwischen unabhängi- Nets auf langfristige sind vor allem Sawh- Während im nutzerorientierten Ansatz, wie der gen Geschäftspartnern ausgelegt, wohingegen Creation Hier Name schon anklingen lässt, der Nutzer als (Geschäfts- zentrale Quelle von externen Informationen im )Beziehungen ausgelegt sind. Während einige Innovationsprozess und als „der“ Interaktions- Open Innovation Ansätze ihren Fokus nur auf partner angesehen wird, spielt dieser in einem Lead User und Nutzer allgemein haben, invol- Innovationsnetzwerk lediglich eine Rolle neben viert Creation Nets ein viel breiteres Spektrum einer Vielzahl verschiedener externer Quellen. an Teilnehmern, wie z. B. spezialisierte Techno- Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Nutzer logieanbieter, talentierte Amateure, Zulieferer bzw. Kunde eine unbedeutende Rolle spielt. und Kunden. 69 Hieraus wird deutlich, dass es Auch hier sind die Bedürfnis- und Lösungsin- auch innerhalb des Verständnisses von Innova- formationen von Kundenseite ein sehr wichtiger tionsnetzwerken durchaus sehr unterschiedliche Bestandteil des Verständnisses von Open Inno- Meinungen über die Auslegung von Open Inno- vation. 71 vation gibt, es aber auch versucht wird sich von Ein weiterer Unterschied liegt in der Bedeutung den rein nutzerorientierten Ansätzen zu diffe- von geistigem Eigentum in den verschiedenen renzieren. Ansätzen. Für von Hippel spielen Patente eine Ziel des nutzerorientierten Ansatzes ist eine untergeordnete Rolle, werden sogar als unwirk- Annäherung an das Customer Active Paradigm, sam angesehen bzw. er nennt Gründe für das woraus sich auch der Hauptkritikpunkt von free revealing 72 , also der Freigabe ohne Pfand, Reichwald/Piller am Verständnis von Innovati- von onsnetzwerken ergibt, die Vernachlässigung der Nutzerwissen, 73 wohingegen Sawh- ney/Prandelli das geistige Eigentum gleichmä- Nutzer, sowie das weiterhin vorherrschende ßig auf alle Mitglieder einer Community of Crea- Manufacturer Active Paradigm. 70 Allerdings gibt tion verteilt sehen, 74 was sich bei einer Kom- es bei Innovationsnetzwerken auch jene, welche zwischen Customer Active Paradigm und Manu- 71 72 facturer Active Paradigm einzuordnen sind. Jedoch bedeutet bei den Innovationsnetzwerken 73 69 70 Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 43f. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 120. 74 18 Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff.; Derselbe 2007, S. 57f. Free revealing bedeutet, dass ein Innovator all seine eigenen Informationen (geistiges Eigentum und potentielles Eigentumsrechte), freiwillig aufgibt und allen daran interessierten Parteien als öffentliches Gut zugänglich macht (Vgl. Harhoff/ Henkel/ von Hippel 2003, S. 1753). Vgl. Harhoff/ Henkel/ von Hippel 2003, passim; von Hippel/ von Krogh 2006, passim. Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 25. merzialisierung als problematisch darstellen wie in Schweden durch den Psychologen könnte. Daher ist das geistige Eigentum für Kristensson, in Japan durch Ogawa oder in den Chesbrough ein wichtiger Bestandteil von Open Vereinigten Staaten vor allem durch Lakhani. 77 Innovation, was zur Folge hat, dass nach Mög- Chesbrough mag zwar momentan der populärs- lichkeit die Eigentumsrechte externer Quellen in te Autor im Bereich der Innovationsnetzwerke Form von Patenten oder Lizenzen an das Un- sein, dennoch lässt sich hier nicht von einer ternehmen gehen. 75 „Chesbrough Schule“ reden, da die verschiede- Es gibt weitaus mehr Unterschiede im Ver- nen Vertreter zu sehr in ihren Aussagen diver- ständnis von Innovationsnetzwerken als bei den gieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Pro- nutzerorientierten Ansätzen, was zu einem gro- zesse welche hier behandelt werden, teils schon ßen Teil aber am breiteren Spektrum von exter- sehr lange bekannt sind, aber auch durch die nen Quellen liegen dürfte und den jeweiligen unterschiedlichen Ansichten welche Prozesse Schwierigkeiten die sich bei der Koordination mit Open Innovation ausmachen und welche nicht, den Unternehmen resultieren. aber auch ob Open Innovation nur in einer Community stattfindet oder nicht. Für beide Ansätze gibt es eine Reihe von Autoren, wobei sich nach Meinung der Verfasser nur Das Verständnis von Open Innovation als Inno- für von Hippel und die Forschungsgruppe um vationsnetzwerk hingegen ist international ver- ihn herum der Begriff „von Hippel Schule“ ver- breiteter. Verfechter dieses Ansatzes sind ne- wenden lassen kann. Dies liegt vor allem daran, ben Chesbrough u. a. Birkinshaw, Brown, Ha- dass von Hippel mit seiner Lead User Theorie, gel, Christensen, Dodgson, Fabrizio, Gallagher, seinem Customer Active Paradigm, sowie seiner Gassmann, Enkel, Kirschbaum, O’Connor, Van- Arbeit im Bereich der Toolkits, einen nachhalti- haverbeke, West. 78 gen Einfluss auf die Arbeiten dieser Gruppe Folgende Abbildung dient dazu einige der geleistet hat. Darüber hinaus besteht ein reger Hauptunterscheidungsmerkmale der in diesem Austausch von visiting scholars zwischen deut- Beitrag vorgestellten Verständnisarten von O- schen Universitäten und dem Institut von Hip- pen Innovation zu veranschaulichen. pels, der selbst eine zeitlang an einer deutschen Universität war. Dies mag zum Teil auch die Beliebtheit seines Ansatzes im deutschsprachigen Raum erklären. 76 Einige der Hauptvertreter des nutzerorientierten Ansatz im deutschsprachigen Raum sind z. B. Franke, Füller, Harhoff, Henkel, Herstatt, Lüthje, 77 Reichwald, Piller, Thomke und von Krogh. Aber auch international wird diese Sichtweise geteilt, 78 75 76 Vgl. Chesbrough 2003, S. 56ff.; Derselbe 2007, passim. Vgl. von Hippel 2005, S. ix f.; Reichwald/ Piller 2006, S. 163ff. 19 Siehe hierzu bspw. Franke/ Piller 2004; Füller/ Mühlbacher/ Rieder 2003; Lüthje/ Herstatt, 2004; Harhoff/ Henkel/ von Hippel 2003; Reichwald/ Piller 2006; Thomke/ von Hippel, 2002; Kristensson/ Magnusson/ Matthing 2002; Ogawa 1998; von Hippel/ von Krogh 2006; von Krogh/ Spaeth/ Lakhani 2003. Siehe hierzu bspw. Birkinshaw/ Bessant/ Delbridge 2007; Brown/ Hagel 2006; Christensen 2006; O’Connor 2006; West/ Gallagher 2006; Fabrizio 2006; Vanhaverbeke 2006; Gassmann/ Enkel 2004; Kirschbaum 2005; Dodgson/ Gann/ Salter 2006. Abb. 1: Unterschiedliche Ansichten nition zu finden die es ermöglicht wichtige Kern- 4 Entwicklung eines Open Innovation bereiche der erwähnten Ansätze sinnvoll zu Verständnisses integrieren und abschließend das Konzept Open Innovation genauer als bisher einzugrenzen. Aus der historischen Entwicklung offener Inno- Warum diese Problembereiche so ausführlich vationsprozesse, der kurzen Darstellung der erläutert werden, lässt sich zum Beispiel an der teils divergierenden Ansätze hierzu und der klassischen Marktforschung leicht verdeutlichen. neuen Bedeutung von Open Innovation erklärt So ist die Frage, ob die standardisierte Befra- sich die Notwendigkeit, eine einheitliche Defini- gung der Kunden, die schon lange vor einer tion hierzu zu finden. Doch der Versuch einen Diskussion von Open Innovation praktiziert wur- gemeinsamen Nenner zu finden gestaltet sich in de, zu Open Innovation gehören sollte, gar nicht einem solch komplexen Umfeld nicht einfach so einfach zu beantworten wie es vielleicht auf und wird erschwert durch die fast schon polemi- den ersten Blick scheint. Schließlich werden hier schen Gegenüberstellungen unterschiedlicher auch externe Informationen für das Unterneh- Ansätze. Von Paradigmen und im Vergleich zur men gesammelt, um sie in den Innovationspro- nahe liegenden Vergangenheit drastischen Veränderungen des Innovationsprozesses zess einfließen zu lassen, aber ist dies ausrei- wird chend? Mit der folgenden Darstellung, soll es gerne berichtet. 79 Um die Bedeutung und Mög- möglich sein Überschneidungen mit anderen lichkeiten von Open Innovation aufzuzeigen und Begrifflichkeiten zu erläutern oder eindeutige eine Basis für zukünftige Forschung zu legen, Abgrenzungen vorzunehmen, und somit diese bedarf es einer Revision dieses Begriffes, da es Frage zu beantworten. bisher, nach Meinung der Verfasser, nur unzuWie in Abschnitt 3 aufgezeigt wurde, liegt ein reichende Definitionen gibt. Ziel ist es eine Defi- Schwerpunkt der aktuellen Literatur bei den 79 Akteuren. Daher wird die grundlegende Frage Siehe hierzu zum Beispiel Chesbrough 2003, passim. 20 betrachtet, welche Akteure für Open Innovation so dass neben Bedürfnissinformationen auch bedeutsam sind. Hier sind die Nutzer im weite- Lösungsinformationen und implizites Wissen in an erster Stelle zu nennen, da sie den Innovationsprozess einfließen können. 84 wohl den größten Wandel und einen deutlich Somit ergibt sich eine vom Unternehmen direkt erweiterten Einflussbereich im Innovationspro- beeinflussbare Dimension der Offenheit für ex- ren Sinne 80 zess erfahren haben. 81 Doch im Gegensatz zu ternen Input und eine vom Unternehmen nur Reichwald/Piller und von Hippel dürfen andere indirekt beeinflussbare Dimension des Ausma- externe Quellen, wie Unternehmen der gleichen ßes an Innovationsaktivitäten der externen Wertschöpfungsstufe (Konkurrenz, Partner), der Quellen. Des Weiteren kann in diesem Zusam- vorgelagerten Wertschöpfungsstufe (Zulieferer), menhang auch der anfangs erwähnte Bedeu- wissenschaftliche Einrichtungen (Universitäten) tungszuwachs von Open Innovation, im Kontext und weitere nicht unbeachtet bleiben, da Open moderner IuK-Technologien eingeordnet wer- Innovation nicht nur eine Erweiterung des Lead den. Sowohl mit steigendem Aktivitätsniveau User Konzeptes sein sollte. Auch die Aktivitäten von externen Quellen, als auch bei der Einbin- mit denen sich externe Quellen in den Innovati- dung dieser durch das Unternehmen muss auf onsprozess einbringen können, müssen eher technologische Entwicklungen wie Internet, Si- umfassend betrachtet werden. Diese reichen mulationssoftware, CAD, Virtual/ Rapid Prototy- von der Ideenfindung und -bewertung über For- ping und weitere zurückgegriffen werden. 85 Nur schung und Entwicklung bis hin zur Markterpro- durch diese wird eine breite Interaktion möglich bung und -einführung. 82 Die externe Dimension und Lernprozesse innerhalb und außerhalb des umfasst also sämtliche externen Quellen und Unternehmens werden verbessert. Abbildung 2 diese können sich mit unterschiedlicher Intensi- stellt diese Zusammenhänge in Form eines tät einbringen. Doch stellt dies nur eine Dimen- Portfolios dar. sion des Open Innovation Begriffes dar. Unser Abb. 2: Open Innovation Portfolio Verständnis von Open Innovation kann nur dann vollständig erschlossen werden, wenn ein Unternehmen, in Anlehnung an Chesbroughs Betonung der Geschäftsmodelle, 83 die entsprechende Ausrichtung der Innovationsprozesse auf externe Quellen mit sich bringt. Ein Unternehmen kann also Einflüsse von außen komplett ablehnen und dann würde auch ein vermarktungsfähiger Prototyp, der von Kunden an Da ein Mindestmaß der Offenheit des Unter- das Unternehmen herangetragen wird nicht von nehmens für dieses Open Innovation Verständ- Nutzen sein. Oder externe Quellen können aktiv nis vorausgesetzt wird, kann die gesamte linke gesucht, unterstützt und eingebunden werden, Hälfte nicht dazu gehören und ist davon ausge- 80 81 82 83 Vgl. von Hippel 2005, S. 3. Vgl. ebenda, S. 1ff. In Anlehnung an Reichwald/ Piller 2006, S. 44. Vgl. Chesbrough 2003, S. 63ff.; Derselbe 2006b, passim. 84 85 21 Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 55ff.; Sawhney/ Prandelli 2000, S. 25ff. Vgl. Dodgson/ Gann/ Salter 2006, passim. gewählten Ansatz rechts oben ihren Platz. nommen. Der eigentliche Kernbereich ist im Quadrant rechts oben anzusiedeln. Die Intensi- Auch die Positionen der bekannten Vertreter tät von Open Innovation nimmt von diesem Be- von Open Innovation Ansätzen lassen sich auf reich ausgehend mit sinkender Innovationsakti- dieser Basis darstellen. So deckt Chesbroughs vität der externen Quellen schließlich stetig ab. Verständnis von Open Innovation den gesamten So hat zum Beispiel die Einbindung von Lead rechten Bereich ab, da er seine Argumentation Usern durch diese neuen Technologien eine besonders auf die Öffnung des Unternehmens ganz neue Qualität bekommen und das relativ und darauf angepasste Geschäftsmodelle aus- neue Phänomen von Online-Communities und richtet. 88 Da Gassmann/Enkel sich größtenteils deren betriebswirtschaftliche Nutzung sind erst an Chesbrough orientieren sind sie ebenfalls dadurch entstanden. dort anzusiedeln, wie auch Rigby/Zook aufgrund Ferner sind in Abb. 2 verschiedene Konzepte, ihres sehr allgemein gehaltenen und dadurch die für Open Innovation bedeutsam sind, sche- sehr umfassenden Verständnisses. Hippel hin- matisch angeordnet. Durch die hohe Variations- gegen sieht die Aktivitäten des Nutzers im Vor- vielfalt innerhalb dieser Sammelbegriffe ist es dergrund, die durchaus auch vom Unternehmen nicht beabsichtigt, die genauen Grenzen aufzu- losgelöst sein können weshalb er im oberen zeigen. Vielmehr soll eine grobe Positionierung Bereich, jedoch weiter links als Reichwald/Piller ermöglicht werden und das Potenzial, auch den anzusiedeln ist, die wiederum die Integrations- praktischen Einzelfall einordnen zu können. leistung des Unternehmens betonen. Sawh- Zum Beispiel zeichnen sich Lead User meist ney/Prandelli und Brown/Hagel decken mit ihren durch ein besonders hohes Aktivitätsniveau Ansätzen den oberen Bereich wieder breiter ab. aus. 86 Ob deren Ergebnisse jedoch tatsächlich Abb. 3: Einordnungsbeispiele vom Unternehmen genutzt werden, ist rein von diesem abhängig und auf der gesamten Bandbreite dieser Dimension möglich. Der Vollständigkeit halber wurde in dem Zusammenhang von Open Innovation auch der Open Source Ansatz eingegliedert. 87 Aber da häufig in diesem Bereich ein „reales“ Unternehmen gar nicht beteiligt ist, stellt sich die Frage, ob der gewählte Ansatz zu rechtfertigen ist? Die Lösung dieses Problems wird dadurch möglich, dass OSS Communities als eigenständige Non-Profit- Unternehmen gezählt werden können, bei wel- Sowohl die wichtigsten Ansätze als auch deren chem die Grenzen des Unternehmens und der Vertreter lassen sich trotz gewisser Unterschie- externen Quellen weniger trennscharf sind. Da- de in diesem Ansatz integrieren und auch die mit finden solche OSS-Communities in dem Bedeutung neuer IuK-Technologien für Open 86 87 Vgl. von Hippel 1986, S. 800ff. Vgl. West/ Gallagher 2006, S. 91ff. 88 22 Vgl. Chesbrough 2003, S. 63ff.; Derselbe 2006b, passim. Innovation lassen sich hiermit integrieren. Ver- (2007):Finding, Forming, and Performing: einfacht lässt er sich folgendermaßen zusam- Creating Networks for Discontinuous Inno- menfassen: vation, in: California Management Review, 49(2007)3, S. 67-84. Die Integration externen Wissens im Sinne von Open Innovation erfordert somit ein Mindestmaß Brandenburger, A. M. / Nalebuff, B. J. (1996): an Innovationsaktivität externer Quellen, in Ab- Coopetition: kooperativ konkurrieren – Mit hängigkeit von der Bereitschaft eines Unter- der nehmens diese auch zu verwerten. Frankfurt, New York 2008. Spieltheorie zum Geschäftserfolg, Verschiedene Aktivitäten der externen Quellen Brown, J. S./ Hagel, J. (2006): Creation nets: sind in der Literatur dargestellt, jedoch sollten Getting the most from open innovation, in: sie systematisch nebeneinander gestellt werden McKinsey Quarterly, (2006)2, S. 40-51. und entsprechend ihrer Eignung für verschiede- Chandler, A. D. (1978): The Visible Hand, 2. ne Szenarien verglichen werden. Wie diese Aufl., Cambridge, MA, London 1978. möglichst effizient durch das Unternehmen einChandler, A. D. (1990): Scale and Scope. The gebunden werden können und auch welche Dynamics of Industrial Capitalism, Cam- Technologien dazu wie eingesetzt werden kön- bridge, MA 1990. nen ist unmittelbar davon abhängig. Somit bietet dieser Beitrag auf der historisch abgeleiteten Chesbrough, H. W. (2003): Open Innovation: Grundlage eine gemeinsame Basis um einen The New Imperative for Creating and Profit- umfassenden, praktikablen Open Innovation ing from Technology, Boston, 2003. Prozess zu entwickeln. Die Öffnung des Unter- Chesbrough, H. W. (2006a): Open Innovation: A nehmens verlangt die Entwicklung von internen New Paradigm for Understanding Industrial Innovationsprozessen die an vorhandene Com- Innovation, in: Chesbrough, H. W./ Van- munity- und Lead User Konzepte angepasst haverbeke, W./ West, J. (Hrsg.): Open In- werden müssen und schließlich in einen Open novation: Researching a New Paradigm. Innovation Prozess überführt werden können. Oxford, New York 2006, S. 1-12. Diesbezüglich besteht weiterhin ein großer theoChesbrough, H. W. (2006b): Open Business retischer aber vor allem empirischer For- Models: How to Thrive in the New Innova- schungsbedarf und dann wird Open Innovation tion Landscape, Boston 2006. auch noch in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Chesbrough, H. W. (2007): The Market for Inno- Literaturverzeichnis vation: Implications for Corporate Strategy, Allen, R. C. (1983): Collective Invention, in: in: Journal of Economic Behavior and Organi- California Management Review, 49(2007)3, S. 45-66. zation, 4(1983)1, S. 1-24. Christensen, J. F. (2006): Whither Core CompeBenkler, Y. 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In der Literatur wird diese Ent- Die Bedeutung von Innovationen für den wirt- wicklung als Open Innovation bezeichnet. 4 schaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist unbestreitbar. Bereits der Ökonom Schumpeter hat Die hohe Bedeutung der Beschäftigung mit dem 1934 offen gelegt, dass die Bewegungsenergie Themenkomplex Open Innovation ergibt sich eines Neuartigen aus der starken Aktualität sowie dem Erfolgs- stammt. 1 Daraus ergibt sich, dass Innovationen charakter dieser neuen Innovationsform. Wäh- als zentrale Voraussetzung für wirtschaftliches rend in der Theorie bereits eine intensive Ausei- Wachstum und Unternehmensprofilierung anzu- nandersetzung mit dieser Thematik stattfindet, sehen sind. In Zeiten schrumpfender Produktle- ist es ebenso von Relevanz, auch die Unter- benszyklen sowie steigenden Kundenanforde- nehmen verstärkt in die Diskussion mit einzube- rungen und -bedürfnissen ist es jedoch immer ziehen, da diese in der Praxis noch am Anfang schwieriger „echte“ Innovationen auf den Markt des Prozesswandels stehen. Open Innovation zu bringen. Hier können externe Akteure, insbe- bietet für sie die Gelegenheit, absolute Wettbe- sondere Kunden, einen echten Mehrwert für die werbsvorteile zu erlangen, indem sie sich durch Anbieter stiften, indem sie ihre Anregungen an die Öffnung des Innovationsprozesses sowohl das Unternehmen weitergeben. Effektivitäts- als auch Effizienzvorteile verschaf- Unternehmens aus dem fen. 5 Die Kundenintegration ist jedoch kein neuer Gedanke. Im Rahmen von Marktforschungsana- Ein besonderer Schwerpunkt liegt in dem fol- lysen werden ihre Bedürfnisse ermittelt, um genden Beitrag auf den Potenzialen und Prob- diese bei der Erstellung neuer Produkte oder lemfeldern offener Innovationsprozesse. Wäh- Dienstleistungen zu berücksichtigen. Allerdings rend zunächst der Begriff Open Innovation mit hat sich hinsichtlich der Innovationsprozesse in seiner Entstehungsgeschichte, den beteiligten den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. Be- Akteuren, sonders fortschrittliche Unternehmen ziehen näher vorgestellt wird, werden im Hauptteil in- Kunden sowie weitere externe Akteure heutzu- tensiv die Möglichkeiten offener Innovationspro- tage nicht nur zur Erhaltung von Bedürfnisinformationen 1 2 2 heran, sondern ebenso, um einen 3 4 Vgl. Schumpeter 1934, S. 116. Bedürfnisinformationen setzen sich aus Wünschen, Präferenzen und Anforderungen aktueller sowie potentieller Kunden an ein neues Produkt oder eine neue Leistung 5 27 Kernprozessen und Instrumenten sowie an deren Leistungsfähigkeit, Qualität, Design oder Preis zusammen. Lösungsinformationen beinhalten Wissen zur Transformation von Bedürfnissen in ein konkretes Leistungsangebot, wie bspw. durch den Einsatz von Wissen oder Technologien. Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S. 24ff.; Piller 2006, S. 85ff.; Reichwald/ Piller 2006, S. 107f. Vgl. Weiber 2007, S. 13ff. zesse für die Unternehmens- und Kundenseite gleich zum „Closed Innovation Paradigm“ 7 , bei beschrieben. Darüber hinaus erfolgt eine kriti- dem sich die Innovationstätigkeit innerhalb der sche Betrachtung von Open Innovation, indem unternehmenseigenen Forschungs- und Ent- die Grenzen und Nachteile dieser Form aufge- wicklungsabteilung (F&E) vollzieht, wird die zeigt werden. Abschließend finden eine Zu- Veränderung und Schwerpunktverschiebung im sammenfassung der wesentlichen Bestandteile Innovationsprozess deutlich. Während beim sowie eine Darstellung der Zukunftsaussichten Closed Innovation Modell die Unternehmens- offener Innovationsprozesse statt. grenzen geschlossen sind und die Innovationen 2 rein intern generiert werden, sind die Unterneh- Grundlagen zu Open Innovation mensgrenzen beim Open Innovation Modell Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern, geöffnet. Es wird Input von außen aufgenom- erfolgt zunächst eine Vorstellung des Begriffs men, verarbeitet und in Form neuer Produkte Open Innovation mit seinen Kernprozessen, auf den Markt gebracht. Es zeigt sich, dass auf Instrumenten und Akteuren. Die beteiligten Ak- diese Weise neue Produkte einfacher entwickelt teure sind hierbei besonders von Bedeutung, da und somit neue Märkte auch leichter erschlos- sie im Hauptteil der Arbeit schwerpunktmäßig sen werden können. behandelt werden. soll die Unterschiede zwischen dem Open- und 2.1 Begriffsabgrenzung und 8 Die folgende Abbildung Closed Innovation Modell schematisch veran- Entwicklung schaulichen. von Open Innovation Abb. 1: Closed versus Open Innovation Modell Open Innovation stellt eine neue Form der „Arbeitsteilung“ dar, bei der externe Akteure mit in den Innovationsprozess einbezogen werden. Der Begriff wurde erstmals 2003 durch den Wirtschaftswissenschaftler Chesbrough geprägt. Gemeinsam mit Vanhaverbeke und West definierte er diesen Prozess als „[…] the use of purposive inflows and outflows of knowledge to accelerate internal innovation, and Seit der Einführung des Begriffes Open Innova- expand the markets for external use of innova- tion hat sich dessen Definition jedoch gewan- tion. Open Innovation is a paradigm that as- delt. Während bei der Ursprungsdefinition die sumes that firms can and should use external Kunden als Bestandteil der externen Akteure ideas as well as internal ideas”. 6 noch unberücksichtigt bleiben und nur von ei- Es wird deutlich, dass sich der Innovationspro- nem allgemeinen externen Input die Rede ist, zess für externen Input öffnet und eine Verbin- hat sich diese Sichtweise geändert. Laut Reich- dung von internen und externen Ideen ange- wald und Piller besteht Open Innovation über- strebt wird, um das Innovationspotenzial zu wiegend aus der Integration von Kundenwissen vergrößern. Es gilt somit nicht, die bestehenden und -aktivitäten in den Innovationsprozess. Sie innerbetrieblichen Innovationsvorgänge abzulö- beschreiben den Prozess als sen, sondern diese um die Einbeziehung exter- 7 8 ner Akteure zu ergänzen. Insbesondere im Ver6 Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006, S. 1. 28 Chesbrough 2003a, S. 21. Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S. 24ff.; Chesbrough 2003a, S. 21ff.; Chesbrough 2003b, S. 35ff.; Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006, S. 1ff.; Open Innovaton.EU (Hrsg.) 2007, o.S. „[…] eine Wertschöpfungspartnerschaft, infolgedessen die Unternehmensgrenzen für die durch eine integrierte System- und Problemlö- externen Input zu öffnen. 10 sungskompetenz charakterisiert ist. Kunden […] Bevor die „Era of Open Innovation“ 11 angebro- konkretisieren ihr implizites Wissen über neue chen ist, wurden bereits ähnliche Ansätze ver- Produktideen und Konzepte, unter Verwendung bestimmter Hilfswerkzeuge des folgt, die inhaltlich einen interaktiven Wertschöp- Unterneh- fungsprozess behandeln. Hier ist besonders das mens.“ 9 „Customer-Active-Paradigm“ (CAP) von von Darüber hinaus betont Piller, dass Open Innova- Hippel zu erwähnen, welches ungefähr der Vor- tion auch eine Einbeziehung weiterer externer stellung von Open Innovation nach Reichwald Akteure wie bspw. Universitäten, Forschungs- und Piller entspricht. Hierbei wird der Kunde einrichtungen oder Zulieferern im Innovations- erstmals als Wertschöpfer und nicht nur Wert- prozess darstellen kann. Diese Beschreibungen empfänger betrachtet. Diesem Ansatz geht das sind von „Manufacturing-Active-Paradigm“ (MAP) voraus, Chesbrough. Essenzielle Unterschiede beste- welches mit dem Closed Innovation Modell zu hen in der Spezifikation der Akteure und der vergleichen ist. wesentlich konkreter als die Schwerpunktsetzung auf den Kunden, der expli- 12 2.2 Beteiligte Akteure ziten Betonung einer WertschöpfungspartnerWie bei der Begriffsabgrenzung und der Darstel- schaft, von der somit beide Seiten profitieren lung der Entwicklung von Open Innovation be- können, sowie der Ausweisung der übermittel- reits herausgestellt worden ist, gelten die Kun- ten Wissensform (implizites Wissen) und der den als die wichtigsten Akteure bei der Integra- dafür bereitgestellten Werkzeuge, welche den tion in offene Innovationsprozesse. Generell Akteuren die Einbringung ihrer Ideen und Lö- wird jedoch zwischen drei Akteursgruppen diffe- sungsvorschläge erleichtern. renziert, welche im Folgenden vorgestellt werDiese beschriebene Öffnung des Innovations- den. prozesses, die einen Wandel von geschlosse2.2.1 Akteursgruppen nen zu offenen Innovationsprozessen darstellt, ist erst durch die modernen Informations- und Eine erste Gruppe bilden die Unternehmen/ Kommunikationstechniken (IuK) ermöglicht wor- bzw. Anbieter, die ihre Forschungsfragen der den. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, um die Öffentlichkeit vorstellen und externe Akteure zur Akteure über die Problemstellung der Unter- Problemlösung mit in den Innovationsprozess nehmen zu informieren und umgekehrt die Bei- einbeziehen (siehe Innocentive-Beispiel, Kapitel träge der Akteure an die Unternehmen weiter- 3.3) oder ihr Konzept sogar gänzlich auf die zugeben. Einhergehend mit den modernen IuK- Innovationsbereitschaft externer Akteure abstel- Techniken spielen verkürzte Produktlebenszyk- len (siehe Threadless-Beispiel, Kapitel 3.1). len, zunehmender Wettbewerbsdruck und ein Eine zweite Gruppe bilden die Kunden bzw. geringeres F&E-Etat eine entscheidende Rolle Nutzer. Hier sind zum einen die Kunden zu für die neue Entwicklung im Innovationsmana- nennen, die aus eigenem Antrieb an ein Unter- gement. Die Unternehmen sind zunehmend nehmen herantreten (siehe Kitesurf-Beispiel, gezwungen, ihre Innovationsprozesse zu opti10 mieren und vor allem zu beschleunigen und 11 9 12 Reichwald/ Piller 2006, S. 315. 29 Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S 30ff.; Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 1ff.; vgl. Piller 2006, S.75ff.; Reichwald/ Piller 2006, S. 117ff. Chesbrough 2003b, S. 35. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 120ff. Kapitel 3.1), oder jene, die sich an einem her- Abb. 2: Anteil der Open Innovation betreibenden stellerinitiierten Prozess beteiligen und ihre Unternehmen in Bezug auf die beteiligten Akteu- Ideen preisgeben. re Für die Unternehmen sind besonders die so genannten „Lead User“ 13 von Bedeutung. Dies sind besonders fortschrittliche Kunden, die in der Lage sind, frühzeitig sowohl Bedürfnis- als auch Lösungsinformationen für Produkte oder 2.3 Kernprozesse von Open Innovation Dienstleistungen zu generieren, die für den Großteil der Kunden erst sehr viel später rele- Die Identifizierung der Kernprozesse von Open vant werden. Im Rahmen von Open Innovation Innovation geht auf die Wirtschaftswissenschaft- versucht das Unternehmen gezielt, diese Pio- ler Enkel und Gassmann zurück. Die folgende nierkunden zu analysieren, um von deren Ideen Abbildung gibt zunächst einen Überblick über und Lösungsvorschlägen zu profitieren. die verschiedenen Prozesse, die in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben werden. Eine letzte Gruppe stellen schließlich die unab- Abb. 3: Kernprozesse von Open Innovation hängigen Akteure dar. Zu diesen zählen bspw. Experten, unabhängige Forschungseinrichtungen oder auch Universitäten. 14 2.2.2 Anteile der Open Innovation betreibenden Unternehmen hinsichtlich der Akteursgruppen Franke, Leiter der Unternehmensstudie „Top100“ bezeichnet externe Akteure allgemein als „unverzichtbare Ideengeber“ 15 . Die Ergebnisse seiner Studie haben ergeben, dass Kunden bei den Kooperationen an erster Stelle stehen, wie auch aus der nachstehenden Tabelle hervorgeht. Darüber hinaus wird ersichtlich, 1) Der Outside-In-Prozess zielt auf die Erweite- dass der geringste Wissensaustausch mit Wett- rung der internen Wissensbasis durch den Ein- bewerbern erfolgt. 16 bezug externen Wissens ab. Neben der Integration des Know-hows kann auch ein aktiver Transfer von Technologien stattfinden. Beispiele hierfür sind unter anderen Forschungskooperationen mit anderen Unternehmen, der Zukauf von Lizenzen für technische Lösungen, die in anderen Unternehmen bereits angewendet werden oder auch die Umsetzung neuer Kundenideen. 13 14 15 16 2) Als Inside-Out-Prozess wird die Externalisie- von Hippel 1988, S. 102. Vgl. Gaul/ Gastes 2007, S. 6ff.; Piller 2006, S. 89ff.; von Hippel 1988, S. 11ff. Franke 2007, o.S. Vgl. Franke 2007, o.S. rung internen Wissens bezeichnet. Dies geschieht beispielsweise in Form von Lizenzierun30 gen oder durch den Verkauf von Produkten oder Ideen entwickelt werden sollen, einzubinden. Technologien an andere Unternehmen. Die Identifikation selbst erfolgt durch gezielte Suchverfahren, wie beispielsweise dem Scree- 3) Unter dem Coupled-Prozess wird letztlich ning 19 oder Pyramiding 20 . eine Verknüpfung der beiden erstgenannten Formen verstanden. Er dient besonders der Als Toolkits for Open Innovation werden meist gemeinsamen Entwicklung von Produkten und internetgestützte Instrumente bezeichnet, die ist daher durch ein gegenseitiges „Geben und dem Kunden bzw. Nutzer die Möglichkeit offerie- 17 gekennzeichnet, bei dem besonders ren, seine Bedürfnisse in neue Konzepte zu die komplementären Fähigkeiten der beteiligten übertragen. Die Handlungen erfolgen dabei Unternehmen gefordert werden. Er wird vor jedoch in einem von dem Hersteller vorgegebe- allem in Form von strategischen Allianzen, Joint nen Lösungsraum. Nehmen“ Ventures oder Innovationsnetzwerken prakti- Ideen- oder Innovationswettbewerbe dienen ziert. der Generierung von Input in den frühen Phasen Bei Betrachtung dieser Kernprozesse, stellt sich des Innovationsprozesses. Es ist ein Aufruf ei- die Frage, inwiefern die hier vorgestellten Pro- nes Unternehmens an die Allgemeinheit oder zesse und Kooperationen einen Unterschied zu eine spezielle Nutzergruppe, themenbezogene herkömmlichen Kooperationsformen darstellen. Beiträge innerhalb einer bestimmten Zeitspanne Hier sei erwähnt, dass der wesentliche Unter- einzureichen. Die von der Unternehmung oder schied darin besteht, dass die Kooperationen von einer Community am besten bewerteten von Open Innovation im Gegensatz zu traditio- Beiträge werden schließlich prämiert. Das Un- nellen Kooperationsformen neben dem Erhalt ternehmen kann die Anregungen aufgreifen und von Bedürfnisinformationen besonders auf den in die eigene Entwicklung integrieren. Erhalt sind. von Lösungsinformationen bedacht Communities of Open Innovation zielen auf 18 die Generierung und Bewertung von Ideen in einer virtuellen Gemeinschaft ab. Wesentliche 2.4 Instrumente von Open Innovation Aspekte einer Community liegen in der Beo- Nachdem erläutert wurde, dass beim Open In- bachtung der Beiträge der anderen Mitglieder, novation Prozess eine Integration von außen stammender Ideen und der gegenseitigen Hilfestellung und Unterstüt- Lösungsvorschläge zung sowie der gemeinsamen Weiterentwick- erfolgt, ist zu klären, auf welche Art und Weise lung. Dabei stützt sich das Instrument auf die die Unternehmen den Akteuren ihre Beteiligung These, dass eine Gemeinschaft mehr produktive erleichtern, wie sie den Input aufnehmen und Ideen hervorbringt als ein Individuum. letztlich in ihre betrieblichen Abläufe einsetzen. 21 Für diese Zwecke verwendet das Unternehmen verschiedene Instrumente, die im Folgenden 19 kurz vorgestellt werden. Die Lead User Analyse zielt darauf ab, innovative Nutzer zu identifizieren und diese in Innova- 20 tionsworkshops, bei denen Vorschläge und 17 18 Enkel/ Gassmann 2006, S. 7ff. Vgl. Enkel/ Gassmann 2006, S. 7ff.; Enkel/ Gassmann, S. 6ff.; Gaul/ Gastes 2007, S. 7f. 21 31 Das Screening ist ein Suchverfahren, bei dem einer repräsentativen Stichprobe bzw. einer Grundgesamtheit ein umfangreicher, komplexer Fragebogen zu den Merkmalen innovativer Kunden vorgelegt wird, anhand dessen die Auswahl erfolgt. Das Pyramiding ist ein Suchverfahren, das auf der Existenz sozialer Netzwerke beruht. Es findet eine Befragung eines beliebigen Mitgliedes dieses Netzwerkes statt. Dieses soll eine Empfehlung geben, welches andere Mitglied aus dessen Sicht die Kriterien eines innovativen Nutzers erfüllt. Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 7; Reichwald/ Piller 2006, S. 155ff. 3 Möglichkeiten und Potenziale offener (Sport, Hobby, etc.), erkennen sie teilweise Innovationsprozesse schneller spezifische Bedürfnisse und versuchen für deren Realisierung eine Lösung zu Die neue Innovationsstrategie Open Innovation finden, die sie dann an das Unternehmen wei- hat sich als ein Bestandteil des Innovationsma- tergeben. Dies lässt sich am Beispiel der Kite- nagements bei den Top-Unternehmen inzwi- Surf-Entwicklung gut verdeutlichen. Die Trend- schen zu einem durchschlagenden Erfolg entwi- sportart Kitesurfen ist ursprünglich von experi- ckelt. Dies belegen die Ergebnisse der Unter- mentierfreudigen Surfern ins Leben gerufen nehmensvergleichsstudie „Top 100“. Es wurde worden, die das Drachenfliegen mit dem Surfen festgestellt, dass sich die Unternehmen unter kombinierten, um auf diese Weise höhere und anderem durch das Öffnen des Innovationspro- weitere Sprünge ausführen zu können. Einige zesses nachhaltige Wettbewerbsvorteile ver- der begeisterten Sportler haben „Innovation schafft haben. 22 Auf welche Art und Weise die Communities“ gegründet, in denen die Mitglie- Unternehmen sowie die externen Akteure von der mit Hilfe einer speziellen Software neue Open Innovation profitieren, ist Gegenstand der Designs für Drachensegel erarbeiten und wei- folgenden Ausführungen. terentwickeln lassen können. In diesen Commu- 3.1 Unternehmens- bzw. anbieterspezifische nities treffen häufig eine Vielzahl unterschiedli- Potenziale cher Akteure mit diversifizierten Talenten und Allgemein bietet diese neue Innovationsstrategie Fähigkeiten aufeinander, so dass am Ende eine den Unternehmen die Chance, eine Reihe von bemerkenswerte Anzahl an produktiven Ent- Wettbewerbsvorteilen zu erlangen. Ein wesentli- wicklungen entsteht. Für die letztendliche Her- cher Aspekt ist der Zugang sowohl zu Bedürfnis- stellung des Produktes treten die Kunden häufig wie auch insbesondere zu Lösungsinformatio- an die Kite-Surf-Industrien heran. Das Unter- nen, wie er allein durch die klassische Marktfor- nehmen profitiert von dem Engagement der schung nicht möglich wäre. Die Bedürfnisinfor- Entwickler, da in ihren eigenen F&E-Abteilungen mationen werden von Reichwald und Piller auch meistens nur wenige Mitarbeiter mit einem stär- als „sticky information“ 23 bezeichnet. Sticky be- ker begrenzten 25 Kenntnisstand beschäftigt Mit diesem intensiven Wissens- und deutet in diesem Zusammenhang, dass der sind. Zugang zu diesen Informationen „klebrig“ bzw. Lösungstransfer geht die Verbesserung von vier schwer zugänglich ist. Die Ursache hierfür liegt Erfolgskennziffern des Unternehmens einher, in der Erscheinungsform der Bedürfnisinformati- die die Wettbewerbsfähigkeit enorm stärken: onen, welche meist in Form von implizitem Wis- Zum einen sei die Verkürzung der Entwick- sen (unartikuliert, unbewusst) vorliegt. Toolkits lungszeit (oder auch Reduzierung der Time- können hier bspw. als Hilfestellung dienen, um to-Market) erwähnt. Durch die Arbeitsteilung das implizite Wissen der Kunden zu konkretisie- und das „Outsourcen“ bestimmter Wertschöp- ren und dem Unternehmen leichter zugänglich fungsaufgaben an externe Akteure werden zu machen. 24 langwierige Iterationen 26 zwischen dem Hersteller und dem Kunden vermieden. Bei Open Inno- Da Kunden sich oftmals mit einer Thematik aus eigenem Antrieb intensiv auseinandersetzen 25 26 22 23 24 Vgl. Franke 2007, o.S. Reichwald/ Piller 2006, S. 57. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 57f. 32 Vgl. Piller 2006, S. 85ff.; von Hippel 2005, S. 103ff. Ein iteratives Verfahren ist durch zahlreiche Feedbackschleifen und Veränderungen gekennzeichnet bis das gewünschte Produkt hergestellt ist, wodurch ein erheblicher Zeitaufwand eintritt. vation wird diese zeitraubende Suche nach Des Weiteren ist die Steigerung des Neuig- Ideen und Lösungen zusätzlich an Außenste- keitsgrades (oder Erhöhung des New-To- hende übertragen. Die Ausführung kann dabei Market) von elementarer Bedeutung. Während von der reinen Ideengenerierung über Lösungs- traditionelle Herstellerinnovationen häufig Wei- konzepte bis hin zu fertigen Prototypen reichen. terentwicklungen und Verbesserungen sind, Diese Zeiteinsparung verhilft dem Unternehmen zeichnen sich Nutzerinnovationen in der Regel dazu, seine Innovationen schneller auf den eher durch „funktional neue Innovationen“ 27 aus. Markt zu bringen, wodurch die Chance besteht, Für das Unternehmen bedeuten solche innova- größere Marktanteile zu erhalten. Besonders in tiven Produkte häufig einen starken Imagege- Zeiten sich stetig verkürzender Produktlebens- winn. 28 zyklen gewinnt die Reduzierung der Entwick- Nicht zuletzt kann ein intensiv betriebener Open lungszeiten zusehends an Bedeutung. Innovation Prozess auch zu einer Verbesserung Neben der Reduktion der Entwicklungszeit tritt des Custom-Relationship-Managements (CMR) auch eine Kostensenkung (oder Reduktion beitragen. Dieses Management ist durch eine der Cost-to-Market) ein. Diese ist ebenfalls meist IT-unterstützte Geschäftsstrategie ge- durch die Übernahme bestimmter oder aller kennzeichnet, bei der lang anhaltende und profi- Aufgaben eines Innovationsprozesses durch table Kundenbeziehungen angestrebt werden. 29 externe Akteure bedingt und ist besonders ef- Teilweise stellen die Unternehmen ihr Ge- fektiv, wenn die Innovationstätigkeiten über die schäftsmodell auch gänzlich auf die Innovati- Ideenfindung hinausgehen, bspw. wenn Kunden onsbereitschaft externer Akteure ab, wodurch einen ersten Prototyp entwickeln und in die da- die obigen Vorteile verstärkt werden. Dies lässt für benötigten Ressourcen investieren. Durch sich am Beispiel der Online-Unternehmung die Senkung der Kosten für F&E wird schließlich Threadless verdeutlichen, welche moderne T- die Rentabilität eines Produktes gesteigert so- Shirts vertreibt. Das Prinzip des Unternehmens wie die Wirtschaftlichkeit und das Wachstum basiert auf den extremen Einbezug potenzieller eines Unternehmens langfristig gesichert. Kunden und Nutzer. Diese designen mit einer Ein weiterer Vorteil ist die Erhöhung der Markt- von dem Betrieb zur Verfügung gestellten Soft- akzeptanz Fit-To- ware T-Shirts nach ihren persönlichen Vorstel- Market). Da die Kunden selbst an der Gestal- lungen und Ideen. Im nächsten Schritt lassen tung der neuen Produkte beteiligt sind, wird ein die „Designer“ ihre Entwürfe von den übrigen besserer „Fit“ zwischen den Nutzerbedürfnissen Mitgliedern der Community bewerten. Die am und den Produkteigenschaften hergestellt, wo- besten prämierten Modelle werden schließlich durch auch die Unsicherheit eines Flop-Risikos produziert. Die Designer, deren T-Shirts tatsäch- des Unternehmens von Vorneherein reduziert lich gedruckt werden, erhalten eine Prämie von wird, vor allem wenn die Einbeziehung in der 2.000 Dollar. Die Kunden übernehmen bei die- frühen Phase des Innovationsprozesses erfolgt. sem Darüber hinaus resultieren aus einem den Kun- somit die Gestaltung und auch die Werbung denbedürfnissen bestmöglich entsprechendem (Erstellung von persönlichen Fotos für den Onli- (oder Steigerung des gemeinsamen Wertschöpfungsprozess Produkt eine positive Kaufeinstellung und eine höhere Zahlungsbereitschaft. 27 28 29 33 Reichwald/ Piller 2006, S. 153. Vgl. Kuhlen 2006, S. 17.; Reichwald/ Piller 2006, S. 150ff.; Work.Innovation (Hrsg.) 2007, o.S. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 155. ne-Katalog), das Unternehmen die Herstellung den jeweiligen Motivationen, welche sich in und den Verkauf. Die einzelnen Abläufe von der extrinsische und intrinsische Motive unterteilen Idee bis zum fertigen Produkt werden in der lassen. 33 folgenden Abbildung veranschaulicht. 30 Extrinsische Motive sind solche, die durch die Abb. 4: Schematische Darstellung der Kunden- Belohnung einer Tätigkeit befriedigt werden. integration bei Threadless Dabei stellen nicht nur monetäre Leistungen eine Belohnung dar, sondern häufig auch die Erwartung der Kunden eine Produkt- oder Dienstleistungsinnovation selbst nutzen zu können. Piller bezeichnet dies auch als „[…] Streben nach dem bestmöglichen Produkt zur Eigennutzung“ 34 . Des Weiteren stellen auch mo- Das Geschäftsmodell lässt sich als sehr erfolg- netäre oder materielle Gegenleistungen, wie reich bezeichnen, wie die folgenden Zahlen bspw. Rabatte, Gratisprodukte oder freiwillige belegen: Das Unternehmen weist inzwischen Zahlungen des Unternehmens Belohnungen eine Community von mehr als 400.000 Mitglie- dar. Teilweise treten die Kunden auch von dern auf, die bereits über 120.000 Designs ein- selbst an ein Unternehmen heran, da eine ge- gereicht haben. Von diesen sind bisher ungefähr meinsame Entwicklung für sie günstiger ist als 550 gedruckt worden. Neben dieser großen, eine komplette Eigenproduktion. aktiven Community sprechen auch die Umsatzzahlen für das Unternehmen. Allein im Jahr Eine besondere Rolle bei den extrinsischen 2006 lagen die Umsätze der Firma bei rund 15 Motiven, aus denen sich Potenziale für den Kun- Millionen Dollar mit gut 1,2 Millionen verkauften den bzw. Nutzer ableiten lassen, spielen letztlich T-Shirts. Die Ausschichten für die Zukunft be- die sozialen Belange oder auch „personal trachten die Unternehmer ebenfalls als sehr needs“ 35 der Akteure. Sie treten auf, wenn die Erfolg versprechend. Handlungen der Akteure durch andere beein- 31 flusst werden oder selbst auf andere Personen 3.2 Kunden- bzw. nutzerspezifische Einfluss nehmen. Dies ist bspw. in Communities Potenziale der Fall, in denen die Beiträge und Aktionen Nachdem die Potenziale auf der Unternehmer- gegenseitig beobachtet und bewertet werden. seite aufgezeigt worden sind, stellt sich die Fra- Für den Kunden ergeben sich hier überwiegend ge, welchen Nutzen die Kunden von Open Inno- die Möglichkeiten der Anerkennung, Aufmerk- vation haben. Dabei ist besonders erstaunlich, samkeit und Selbstentfaltung. Aber auch die dass Kunden dem Hersteller ihre Ideen oder Aussichten auf eine Anstellung oder die Erlan- sogar fertigen Prototypen teilweise ohne jede gung eines vorteilhaften Rufes kann dieser Ka- vermeintliche Gegenleistung überlassen. Dieser tegorie zugeordnet werden. Vorgang wird auch als „free revealing“ 32 be- Als intrinsische Motive werden Motive be- zeichnet. Die Gründe für dieses Handeln und zeichnet, die durch die Tätigkeit an sich befrie- die Möglichkeiten und Potenziale, die sich für digt werden. Die Aufgabe wird somit aus Freude die Kunden und Nutzer ergeben, resultieren aus 30 31 32 bzw. um ihrer selbst Willen ausgeführt. Im Vor- Vgl. Openeur (Hrsg.) 2007, o.S.; Reichwald/ Piller 2006, S. 2f.; Threadless (Hrsg.) 2007, o.S. Vgl. Krisch (Hrsg.) 2008, o.S. Henkel 2004, S. 12. 33 34 35 34 Vgl. Henkel 2004, S. 12f.; von Hippel 2005, S. 77ff. Piller 2006, S. 93. Hars/ Ou 2002, S. 25. dergrund steht dabei das „Interaktionserleb- 4 36 nis“ , welches sich durch ein Gefühl von Spaß, Grenzen und Problemfelder offener Innovationsprozesse Kreativität, Erkundung und Kompetenz ausDas vorangegangene Kapitel zeigte, dass die zeichnet. Dabei zählen nicht nur der Spaß an Öffnung des Innovationsprozesses die Leis- der Aktivität selbst, sondern auch der Kontakt zu tungsfähigkeit des Unternehmens optimieren „Gleichgesinnten“ und die Freude am sozialen und darüber hinaus auch bei den Kunden und Austausch (bspw. in Communities). Teilweise unabhängigen Akteuren eine Vielzahl an positi- bieten nutzerfreundliche und interessant gestal- ven Nutzen hervorrufen kann. Jedoch ist Open tete Toolkits, wie z.B. bei Threadless dem Nut- Innovation sowohl auf der Anbieter- als auch auf zer auch die Möglichkeit zum Zeitvertreib oder der Nutzerseite mit einer Reihe von Problemen die Gelegenheit für „Spielereien“. 37 und Nachteilen verbunden, welche im Folgen3.3 Potenziale unabhängiger, externer den kritisch betrachtet werden. Reichwald und Akteure Piller bezeichnen die aus den Nachteilen poten- Bei den unabhängigen Akteuren (bspw. Exper- ziell resultieren Grenzen auch als die „Grenzen ten) ist besonders ein Zusammenwirken der der grenzenlosen Organisation“ 40 . sozialen und monetären Beweggründe im Be- 4.1 Nachteile und Probleme auf der reich der extrinsischen Motive festzustellen. Die Unternehmerseite sozialen Motive bzw. Möglichkeiten lassen sich Die Beschäftigung mit dem Themenfeld Innova- anhand der Beobachtung von Communities tion lässt einige Innovationsbarrieren deutlich ausmachen. Neben dem Streben nach Aner- werden, welche die Innovationen auf der Unter- kennung, Aufmerksamkeit und Profilierung ist nehmerseite verhindern, verzögern oder umfor- hier auch die moralische Verpflichtung zur ge- men. In Anlehnung an die von Mirow, Hölzle und genseitigen Hilfeleistung und Unterstützung bei Gemünden vorgestellten allgemeinen Innovati- der Problemlösung von Bedeutung. Die Hoff- onsbarrieren werden im Folgenden die Hinder- nung auf monetäre Leistungen lässt sich am Beispiel der Innovationsplattform „Innocentive“ nisse und Grenzen offener Innovationsprozesse 38 von diesen abgeleitet. Dabei liegt der Ursprung verdeutlichen. An diesem virtuellen Ort werden von hinderlichen Barrieren sowohl im externen Unternehmen und Forscher anonym zusam- Bereich (Marktkräfte, politische Regelungen, mengebracht. Die Unternehmen können hier Widerstandsgruppen, etc.) als auch im internen ihre Forschungsfragen veröffentlichen und die Bereich (Eigenschaften der Organisation, des Nutzer sich per Selbstselektion aussuchen, wel- Managements und der Mitglieder der Organisa- che Aufgaben sie lösen möchten. Der Anreiz zur tion). In den folgenden Ausführungen wird der Teilnahme ist das hohe Preisgeld. Für den Er- Schwerpunkt auf die internen Barrieren gesetzt, finder der schnellsten und besten Lösung wartet da diese von der Unternehmung beeinflusst eine Prämie zwischen 10.000 und 100.000 Dollar. werden können. 39 Hier seien zunächst die Willensbarrieren bzw. Motivationsprobleme der Mitarbeiter eines Un36 37 38 39 Reichwald/ Piller 2006, S. 75. Vgl. Hars/ Ou 2002, S. 26ff.; Piller 2006, S. 93ff.; Reichwald/ Piller 2006, S. 75 Der Name setzt sich aus den Wörtern Innovation und incentive (Anreiz) zusammen. Vgl. Innocentive (Hrsg.) 2007, o.S.; Piller 2006, S. 95.; Reichwald/ Piller 2006, S. 96f. ternehmens erwähnt. Diese äußern sich darin, dass die Mitglieder einer Organisation sowohl 40 35 Reichwald/ Piller 2006, S. 39. unbewusst als auch gezielt (bspw. durch Mani- ganisation sowie das Unternehmen selbst ne- pulation) die Innovationstätigkeit hemmen an- ben Fachkompetenzen auch Interaktionskompe- statt zu fördern. Die Gründe hierfür sind vielfäl- tenzen bzw. -infrastrukturen aneignen. 44 tig. Durch den Einbezug externer Akteure sehen Unter der Interaktionskompetenz von Open In- die Mitarbeiter die Gefahr, entbehrlich zu wer- novation werden die gesamten Kompetenzen den und dadurch im schlimmsten Fall ihren Ar- und Fähigkeiten verstanden, die für ein Unter- beitsplatz zu verlieren. Darüber hinaus halten nehmen notwendig sind, um die Prinzipien von Individuen gerne am „berechenbaren Status Open Innovation erfolgreich anwenden zu kön- Quo“ 41 fest, welcher ihnen ein Gefühl der Si- nen. Dazu zählen insbesondere interaktionsför- cherheit vermittelt. Diese Sicherheit kann beim derliche Organisationsstrukturen, wie spezifi- Öffnen des Innovationsprozesses verloren ge- sche Kommunikations-, Anreiz- und Ablaufstruk- hen, da die Öffnung mit einigen Veränderungen turen. Wesentliche Aspekte sind hierbei unter im Unternehmensablauf und in der Organisati- anderem die unter Kapitel 2.4 aufgeführten In- onsstruktur verbunden ist. Des Weiteren sehen strumente sowie die Gewährleistung der Modu- es die Mitarbeiter häufig als Schwäche an, Hilfe larität und Granularität 45 der Teilaufgaben. Die von außen einzuholen und bevorzugen es ei- Schaffung einer solchen Interaktionskompetenz genständig F&E zu betreiben anstatt externe ist neben dem hohen Aufwand, der sich aus den Beiträge aufzunehmen und weiter zu verwerten. oben beschriebenen Anforderungen ergibt, mit Diese Aspekte werden in der Literatur als „Not Invented Here (NIH)-Syndrom“ 42 hohen Kosten verbunden, welche sich aus den bezeichnet. 43 internen und externen Transaktionskosten 46 Ebenfalls großen Einfluss kann die Organisati- zusammensetzen. Die internen Transaktions- onsstruktur und -koordination auf die Innovati- kosten beinhalten dabei unter anderem Ausga- onsfähigkeit ausüben. ben für die Granularität und Modularität der Beispiele hierfür sind unter anderem zu starke Teilaufgaben, die Qualitätskontrolle der Beiträge Formalisierungen, welche Offenheit und innova- und die Integration des Inputs. Besonders da es tives Verhalten beeinträchtigen oder Koordinati- sich bei der Wissensübermittlung der Bedürfnis- onsprobleme, die die Kommunikation erschwe- informationen, wie bereits erwähnt, meistens um ren. Insbesondere bei offenen Innovationspro- „sticky information“ bzw. implizites Wissen han- zessen ist die Anzahl der beteiligten Personen delt, kann die notwendige Umwandlung in eine größer als bei geschlossenen Innovationspro- geeignete Form so kostspielig und aufwändig zessen, sodass auch die Zahl der notwendigen sein, dass sich der interaktive Prozess für das Interaktionen und dadurch wiederum das Poten- Unternehmen nicht rentiert. Bei den externen zial für Missverständnisse zunimmt. Darüber Transaktionskosten fallen Ausgaben für die hinaus Kommunikationsaufwand Erstellung der verschiedenen Instrumente (z.B. durch die einzelnen Schritte der Integration der Lead User Analysen, Toolkits) sowie für die externen Akteure (Aufnahme, Bewertung, Ver- Schaffung von Anreizstrukturen und Aufwands- eines steigt der Unternehmens arbeitung und Exploitation der Beiträge). Um dieses Problem zu bewältigen, ist es von großer 44 Bedeutung, dass sich die Mitarbeiter einer Or- 45 41 42 43 Mirow/ Hölzle/ Gemünden 2007, S. 115. Platt 2007, S. 41. Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 4ff .; Mirow/ Hölzle/ Gemünden 2007, S. 114ff.; Platt 2007, S. 40f. 46 36 Vgl. Mirow/ Hölzle/ Gemünden 2007, S. 116ff.; Schweizer 2007, S. 25f. Zerlegung der Aufgaben in kleine, lösbare Einzelaufgaben, sodass der Akteur die Möglichkeit hat, sich kleine Teilbereiche, je nach eigener Motivation und Befähigung, frei auszusuchen. Unter internen/ externen Transaktionskosten werden die Kosten verstanden, die bei der Nutzung der Organisation/ des Marktes als Koordinationsinstrument anfallen. entschädigungen für die Akteure an. Zwischen ist als die entstehenden Kosten und der Auf- diesen beiden Kosten zeigt sich ein Trade-Off, wand. Der Nutzen kann, wie in Kapitel 3.2 und der auch die Grenzen von Open Innovation be- 3.3 gezeigt wurde, sehr vielfältig sein (Spaß an schreibt. Denn je besser sich eine Aufgabe in der Problemlösung, monetäre Gegenleistungen, kleine Teilbereiche gliedern lässt, desto einfa- Freude am sozialen Austausch, etc.). Da sich cher kann ein größerer Aufgabenumfang zu dieses Kapitel jedoch mit den Nachteilen be- geringeren externen Kosten realisiert werden fasst, gilt es im Folgenden den Aufwand und die (es sind bspw. weniger Anreize oder Belohnun- Kosten aufzuzeigen, die für die Akteure anfallen gen notwendig). Bei einer hohen Anzahl an Bei- und diese gegebenenfalls von ihrer Beteiligung trägen steigt jedoch die innerbetriebliche Koor- abhalten. Die Kosten werden dabei in Interakti- dination, sodass hohe interne Kosten entstehen. onskosten, psychologische und monetäre Kos- Es ist schwierig, einen optimalen Grad zwischen ten unterteilt und werden somit von den Akteu- diesen Kosten zu erreichen. Die folgende Abbil- ren nicht zwangsläufig als finanzielle Aufwen- dung zeigt die negative wechselseitige Bezie- dungen wahrgenommen. hung zwischen den beiden Kostenformen. 47 Unter den Interaktionskosten werden Zeitein- Abb. 5: Trade-Off zwischen internen und exter- satz und Aufwand zusammengefasst. Sind die nen Transaktionskosten Beteiligungsschritte für den Kunden oder unabhängigen Nutzer zu zeitintensiv, komplex und aufwändig, entscheidet sich der Akteur möglicherweise gegen eine Teilnahme. Während die Interaktionskosten rational abgewogen werden, geschieht die Abwägung der psychologischen Kosten emotional auf Basis der wahrgenommenen Risiken. Hier können Anhand der Ausführungen wurde deutlich, dass eine Vielzahl verschiedenster Risiken auftreten mit der Einführung offener Innovationsprozesse und wahrgenommen werden: psychologisches eine Reihe von Problemen einhergehen, die im Risiko (Stress), soziales Risiko (Angst, sich zu Zweifelsfall eine Grenze für Open Innovation blamieren), physisches Risiko (Verletzungsge- darstellen können. Im Folgenden soll erläutert fahr bei Produkttests), Leistungsrisiko (Unsi- werden, welche Nachteile und Probleme auf cherheit, ob das Engagement zum gewünschten Seiten der externen Akteure auftreten. Ergebnis führt), finanzielles Risiko (zu geringer Anreiz seitens des Unternehmens, kein An- 4.2 Nachteile und Probleme seitens der spruch auf Urheberrechte), Zeitrisiko (Befürch- externen Akteure Externe Akteure 48 nehmen nur am Open Inno- tung, Zeit zu verschwenden). vation Prozess teil, wenn der Nutzen, den sie Letztlich können noch die real auftretenden, sich von ihrer Beteiligung versprechen, größer monetären Kosten eine Barriere darstellen. Diese sind besonders dann beträchtlich, wenn 47 48 die Nutzer bspw. hohe Investitionen in die Er- Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 4ff.; Reichwald/ Piller 2006, S.81ff. Die Kunden bzw. Nutzer und die unabhängigen Akteure werden in diesem Abschnitt gemeinsam behandelt und zu den externen Akteuren zusammengefasst, da zwischen den Gruppen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Probleme existieren. stellung eines Prototyps tätigen müssen. 49 49 37 Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 147f. 5 keit und die Form einer Öffnung für sich ent- Fazit scheiden muss. Abschließend ist festzuhalten, dass Open Inno- Literaturverzeichnis vation eine Innovationsstrategie ist, die sowohl effektiv als auch effizient sein kann und den Burmeister, K./ Neef, A./ Linnebach, P. (2006): Unternehmen dadurch zu wertvollen Wettbe- Innovation im Kontext: Ansätze zu einer of- werbsvorteilen verhelfen kann. Wie am Beispiel fenen Innovationsstrategie, in: Drossou, O./ der Unternehmensvergleichsstudie „Top 100“ Krempl, S./ Poltermann, A. (Hrsg.): Die wun- verdeutlicht wurde, weisen so gut wie alle der derbare Wissensvermehrung, Wie Open In- prämierten Betriebe einen fortschrittlichen, ge- novation unsere Welt revolutioniert, Hanno- öffneten Innovationsprozess auf, worin sich der Erfolgscharakter dieser ver, S. 24-33. Innovationsstrategie Chesbrough, H. W. (2003a): Open Innovation: widerspiegelt. Neben dem Zugang zu Bedürfnis- The New Imperative for Creating and Profit- informationen erhalten die Unternehmen auch ing from Technology, Boston. einen erleichterten Zugang zu Lösungsinformationen aus der Kundendomäne. Darüber hinaus Chesbrough, H. W. (2003b): The era of open können Entwicklungszeit und -kosten reduziert innovation, in: Sloan Management Review, werden sowie eine erhöhte Marktakzeptanz des 44(2003) S. 35-41. Produktes oder der Dienstleistung wie auch ein Chesbrough, H. W./ Vanhaverbeke, W./ West, höherer Neuigkeitsgrad der Innovation erreicht J.(2006): Open Innovation: Researching an werden. Für die Kunden und unabhängigen New Paradigm, Oxford, New York. Akteure eröffnen sich eine Reihe von MöglichEnkel, E./ Gassmann, O. (2006): Open Innovati- keiten im Bereich des intrinsischen, extrinsi- on: Externe Hebeleffekte in der Innovation schen und sozialen Nutzens. erzielen, St. Gallen. Um die Öffnung des Innovationsprozesses jeEnkel, E./ Gassmann, O. (2005): Open Innovati- doch erfolgreich umzusetzen, müssen seitens des Unternehmens einige Voraussetzungen on Forschung, Forschungsfragen und erste erfüllt werden. Hierzu gehören bspw. die Granu- Erkenntnisse, St. Gallen. larität und Modularität der Aufgaben für den Enkel, E./ Gassmann, O./ Kausch, C. (2005): Kunden sowie die Schaffung einer Interaktions- Einbeziehung des Kunden in einer frühen kompetenz. Phase des Innovationsprozesses, St. Gallen. Aufgrund der Erfolgsaussichten und der praxis- Franke, N. (2007): Die 100 innovativsten Unter- nahen Relevanz ist dem Open Innovation Pro- nehmen im Mittelstand: URL: zess eine starke zukunftsträchtige Bedeutung <http://www.top100.de/documents_top100/ak zuzuschreiben. Es bleibt jedoch festzuhalten, tuel- dass die Öffnung des Innovationsprozesses les.asp?action=press_article_show&article_i keinesfalls eine Ablösung der bestehenden Pro- d=B15C8A44BD69E8AC&record_page=2> zesse, sondern allenfalls eine Erweiterung die- (Abfrage am: 06.11.07). ser darstellt. Hierbei ist von Bedeutung, dass Gaul, W./ Gastes, D. (2007): Erfolg mittels Open jedes Unternehmen individuell, abhängig von Innovation, in: Karlsruher Transfer der Branche und Betriebsstruktur, die Möglich- 35(20)2007, S.6-9. 38 Hars, A./ Ou, S. (2002): Working for Free? Moti- sensvermehrung, Wie Open Innovation un- vations for Participating in Open-Source Pro- sere Welt revolutioniert, Hannover, S. 85-97. jects, in: International Journal of Electronic Platt, S. (2007): Neue Strategien zum Aufbau Commerce, Vol. 6, Nr. 3, S. 25–39. nachhaltiger Unternehmensperspektiven, in: Henkel, J. (2004): Patterns of Free Revealing – Marketing Journal, Jg. 40, Nr. 1-2, S. 38-41. Balancing Code Sharing and Protection in Reichwald, R./ Piller, F.(2006): Interaktive Wert- Commercial Open Source Development, schöpfung, Open Innovation, Individualisie- München. rung und neue Formen der Arbeitsteilung, Innocentive (Hrsg.; 2007): Vorstellung der Wiesbaden. Ideenbörse Innocentive: URL: < Schumpeter, J. A. (1934): Theorie der wirt- http://www.innocentive.com/> ff. (Abfrage schaftlichen Entwicklung, Eine Unrersuchung am: 24.11.2007). über Unternehmergewinn, Kapital, kredit, Kuhlen, R. (2006): Open Innovation: Teil einer Zins und Konjunkturzyklus, Berlin. nachhaltigen Wissensökonomie, in: Drossou, Schweizer, M. (2007): Wertschöpfung in Netz- O./ Krempl, S./ Poltermann, A. (Hrsg.): Die werken, in: Magazin Mitbestimmung, Heft wunderbare Wissensvermehrung, Wie Open 5/2007, S. 24-26. Innovation unsere Welt revolutioniert, HanThreadless (Hrsg.; 2007): Das arbeitsteilige nover, S. 12-23. Prinzip der Unternehmung Threadless: URL: Krisch, J. (Hrsg.; 2008): Exciting Commerce: <http://www.threadless.com> ff. (Abfrage Threadless: URL: am: 26.11.07). <http://ecommerce.typepad.com/exciting_ec Weiber, R. (2007): Elemente einer allgemeinen ommerce/2007/06/threadless_erst.html> f. informationsökonomisch fundierten Marke- (Abfrage am: 12.01.08). tingtheorie, Trier. Mirow, C./ Hölzle, K./ Gemünden, H. G. (2007): Work.Innovation (Hrsg.; 2007): Open Innovation: Systematisierung, Erklärungsbeiträge und URL: <http://www.work- Effekte von Innovationsbarrieren, in: Journal innovation.de/blog/2006/07/26/open- für Betriebswirtschaft, Jg. 57, Heft 2, S. 101- innovation/> (Abfrage am: 06.11.07). 133. von Hippel, Eric (2005): Democratizing Innova- Openeur (Hrsg.; 2007): Open Innovation and tion, Cambridge, London. Entrepreneurship: URL: <http://www.openeur.com/blog/2006/12/15/th von Hippel, Eric (1988): The Sources of Innova- readless/> (Abfrage am: 06.11.07). tion, New York. Open Innovation.EU (Hrsg.; 2007): Open Innovation: URL: < http://www.openinnovation.eu/openinnovatie. php> (Abfrage am: 14.11.07). Piller, F. (2006): User Innovation: Der Kunde kann’s besser, in: Drossou, O./ Krempl, S./ Poltermann, A. (Hrsg.): Die wunderbare Wis39 Katrin Peters „Demokratisierung von Innovationen“: Innovative User-Communities 1 Orientierung am Nutzerbedürfnis – Innovationen „demokratisieren“ 2 Gemeinschaftswerke mit Informationsvorsprung 3 Inspiration für die Hersteller 4 Begrenzte Demokratisierung von Innovationen im Internet 1 Orientierung am Nutzerbedürfnis – User Innovatoren – also Nutzer, die gleichzeitig Innovatoren sind – haben diese Probleme nicht. Innovationen „demokratisieren“ Sie entwickeln Lösungen für ihre eigenen Be- Innovation – auf manche Unternehmer und In- dürfnisse, die von den Anbietern auf dem Markt vestoren wirkt der Begriff wie eine Zauberformel. nicht befriedigt werden. Dabei sind sie ihrer Zeit Ständige Erneuerung und Weiterentwicklung einen Schritt voraus, denn die Bedürfnisse der von Produkten und Prozessen gehören zu den User Innovatoren werden später oft von einer wichtigsten strategischen Zielen, die Manager größeren Gruppe potenzieller Kunden geteilt, für ihre Unternehmen angeben. 1 Doch hinter wie es auch bei Lead Usern (Woll, S. 81ff.) der dem auf den ersten Blick eindeutigen Ziel „Inno- Fall ist. Für Unternehmen, die nicht zur eigenen vationen vorantreiben“ verbergen sich eine gan- Nutzung sondern zum Verkauf produzieren, ze Reihe an Problemen und Unklarheiten. For- macht es Sinn, Kunden frühzeitig in die Neu- schungs- und Entwicklungsvorhaben binden und Weiterentwicklung von Produkten und große finanzielle Mittel bei oft unklarem Gegen- Dienstleistungen einzubinden. Dazu besonders wert der erforderlichen Investitionen. Immerhin geeignet erscheinen User Innovatoren, weil sie 30 Prozent der befragten Unternehmen gaben sich aus eigener Initiative bereits mit Lösungen bei der BCG Senior Management Survey an, ihrer spezifischen Probleme befassen und ein ihre Investitionen in Innovationen noch deutlich besonders hohes Interesse an individuellen 2 steigern zu wollen. Allerdings sind die Erwar- Problemlösungen haben. Mit ihrer Hilfe kann tungen an die scheinbare Zauberformel Innova- das tion häufig höher als die erreichte Rendite. Nur seiner Abnehmer erkennen, kann das Produkt 46 Prozent der befragten Führungskräfte waren auf seinen späteren Nutzer anpassen und so zufrieden mit den Ergebnissen, während sich eine möglichst hohe Zufriedenheit und Preisbe- mehr als die Hälfte unsicher oder sogar unzu- reitschaft beim Kunden erreichen. frieden zeigte .3 Zwei wichtige Hindernisse bei Mit der Einführung von Innovationen sahen die Ma- Kommerzialisierung auszusuchen“ Hilfe von die Data Mining Bedürfnisse und Custo- mer Integration können Unternehmen alte Kun- nager in der „Schwierigkeit, die richtigen Ideen zur Herstellerunternehmen den binden und neue Märkte erschließen. Rea- und listisch geworden ist der Traum vom „gläsernen „mangelnder Kundenkenntnis“ 4 – beides Prob- Kunden“, dessen Bedürfnisse man „nur noch“ leme, die sich auf zu geringe Kenntnisse des ablesen muss, durch neue Kommunikations- Marktes und der Kunden zurückführen lassen. und Informationstechniken, die immer kostengünstiger und dabei leistungsstärker werden. 1 2 3 4 5 Erst durch diese Entwicklung wurde es möglich, Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 8. Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 8. Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 11. Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 11. 5 40 Vgl. von Hippel 2004, S. 64. die Datenflut zu bändigen, die durch die Erfas- einem "Demand Pull", also einer Gegenbewe- sung individueller Kundendaten ausgelöst wird. gung von Nachfragerseite, funktionieren kann. 7 Das Internet erleichtert zudem eine Kontaktauf- Die Orientierung am Kunden ist daher ein wich- nahme mit Endnutzern, die vor wenigen Jahren tiger Schwerpunkt der Innovationsforschung noch mit erheblichem Aufwand verbunden ge- geworden, wobei hier ein besonderes Augen- wesen wäre. In manchen Branchen beginnen merk auf den Nutzerinnovationen liegt. Eric von Unternehmen, die Möglichkeiten von Web 2.0 Hippel spricht gar von einer „Demokratisierung und Social Software systematisch zu nutzen, um von Innovationen“ 8 und beschreibt dies folgen- Kunden bei Innovationen einzubinden. Das in- dermaßen: „When researchers say that innova- zwischen fast klassische, wenn auch sehr spe- tion is being democratized, we mean that users 6 O- of products and services – both firms and indi- pen Source Software (OSS), die von unabhän- vual consumers – are increasingly able to inno- gigen Nutzern weiterentwickelt und vertrieben vate for themselves“.9 Tatsächlich hat eine Rei- wird. Gemeinsam ist der OSS und allen anderen he von empirischen Studien gezeigt, dass die Produktbereichen, dass der Ausbau der Breit- wichtigsten Erneuerungen und Verbesserungen bandtechnik ein hohes Potential für die gemein- in vielen Produktbereichen von den Nutzern same und kooperative Zusammenarbeit vieler selbst entdeckt und eingeführt werden. 10 In allen Akteure auch im Rahmen offener Innovations- untersuchen Fällen hat sich herausgestellt, dass prozesse erschließt. Die Möglichkeit, große User Communities, also Nutzergemeinschaften, Datenmengen zwischen einzelnen Mitgliedern eine wichtige Rolle bei der Reifung einer Innova- eines Netzwerkes hin- und herzusenden und tion oder Neuerung spielen. Dieser Beitrag soll Endnutzer direkt ansprechen zu können, macht die Eigenschaften von User Communities zu- es einfacher, neue Produktideen zu finden, e- sammenfassen ventuell Grenzen zielle Beispiel zu ist die übernehmen so und genannte Innovationen der (Kapitel 2), Potentiale Zusammenarbeit für Unternehmen mit und U- aufzeigen schon frühzeitig prozessbegleitend zu evaluie- ser Communities ren. (Kapitel 3) und schließlich den Begriff „Demokratisierung“ im Zusammenhang mit innovativen Jahrzehntelang stand das Herstellerunterneh- User Communities kritisch durchleuchten (Kapi- men im Mittelpunkt und war zumeist Ausgangs- tel 4). punkt der Innovation. Erfindungen und Weiterentwicklungen wurden nach dem Prinzip des 2 "Technology Push" von den Unternehmen auf Gemeinschaftswerk mit Informationsvorsprung den entsprechenden Absatzmärkten eingeführt Unternehmen, die Innovationen anstreben, ha- und versucht eine entsprechende Nachfrage zu ben einen bedeutenden Informationsnachteil generieren. Wurden dabei die Bedürfnisse ihrer gegenüber den späteren Nutzern dieser Innova- Nachfrager vernachlässigt, so blieb die erforder- tionen. Sie verfügen zunächst nicht über die liche Nachfrage aus und die entsprechenden Information, was genau sich der Nutzer und Produkte waren ein finanzieller Flop. Inzwischen damit der Kunde eigentlich wünscht. Diese Be- sind sich Ökonomen darüber einig, dass Tech- dürfnis-Information des Kunden ändert sich re- nology Push-Innovationen nur in Verbindung mit 7 8 6 9 Warum das Beispiel Open Source Software als Spezialfall anzusehen ist, wird in Abschnitt 2 dieses Beitrags erläutert. 10 41 Vgl. Hauschildt 2003, S. 257. Von Hippel 2004. Von Hippel 2004, S. 64. Vgl. Thomke/ von Hippel 2002; Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007; Franke/ Shah 2003. gelmäßig, ist hoch komplex, möglicherweise stützt. 17 Man kann also davon ausgehen, dass dem potentiellen Kunden gar nicht bewusst und die meisten Innovationen innerhalb von Nutzer- daher oft schwer vermittelbar. Dazu kommen gemeinschaften oder User Communities entwi- Informationen über die mögliche Lösung des ckelt werden. In Unternehmen finden sich oft Problems, die ebenfalls beim Nutzer vorliegen Teams und Arbeitsgruppen, die an innovativen 11 In beiden Fällen spricht man von ver- Lösungen arbeiten. Auch schließen sich nut- decktem Wissen oder „sticky information“, die zende Unternehmen zu Kooperationen zusam- sprichwörtlich dem Nutzer anhaftet und sich für men, die Innovationen entwickeln. Im weiteren Unternehmen nur unter hohen Kosten erschlie- Sinne könnte man beide Organisationsformen ßen lässt. 12 Unter „Nutzer“ bzw. „User“ werden als „User Communities“ bezeichnen, da sich Unternehmen oder Konsumenten verstanden, jeweils mehrere Nutzer gemeinschaftlich der die direkt davon profitieren, dass sie ein Gut Lösung eines Innovationsproblems widmen. 18 nutzen. Im Gegensatz dazu profitieren „Herstel- Hier ler“ bzw. „Manufacturer“ vom Verkauf des Gu- ser Communities im Sinne von informellen und kann. 13 soll es allerdings mehr um U- Neben den Informationen sind auch die formellen Zusammenschlüssen privater Nutzer Interessen von Nutzern und Herstellern asym- gehen, da diese erst seit kurzer Zeit intensiver metrisch verteilt. Es besteht also die Gefahr untersucht und von Wirtschaftsunternehmen für opportunistischen Verhaltens von Herstellern ihre Zwecke entdeckt werden. Es lassen sich gegenüber ihren Kunden, die das Gut nutzen. jedoch viele Parallelen zwischen privaten User Unter dem Begriff der Innovation werden hier Communities und unternehmensinternen Inno- neuartige Produkte und Verfahren von der ers- vationsteams ziehen, da beide eine ähnliche ten Idee bis zur Etablierung auf einem Markt Funktion ausüben und zum Teil ähnliche Struk- verstanden. In diesem Beitrag wird von einem turen aufweisen. tes. inkrementellen Innovationsbegriff ausgegangen, Ein das heißt Innovationen stellen eher kleine untersuchtes Beispiel ser Communities der informellen Schritte und Modifikationen dar und weniger vollkommen neue Erfindungen. häufig 19 20 für U- Art sind im Bereich der Open Source Software (OSS) zu 14 finden (z. B. Linux, Apache oder Mozilla 21). Sie Häufig entwickeln Nutzer, sowohl in Unterneh- sind aus mehreren Gründen relativ einfach zu men als auch privat, eigene Lösungsansätze für erforschende und gleichzeitig interessante Fälle. ihre Problemstellung und begründen so eine Zum einen ist das entwickelte Produkt virtuell, 15 Dies ist insbesondere der Fall, also nicht-physisch und Lösungskozepte i. S. v. wenn das Bedürfnis nach einer Lösung noch Programmcodes können reibungsfrei und ohne nicht weit verbreitet ist und der Markt daher Informationsverlust übertragen werden. Zum keine annehmbare oder gar optimale Lösung anderen entwickeln die Mitglieder der Communi- Innovation. 16 Die meisten Innovatoren arbeiten ty das Produkt auf ihren Rechnern und im Inter- nicht isoliert an Lösungen, sondern werden von net und kommunizieren gleichzeitig mit Hilfe anderen Nutzern durch Rat und Tat unter- dieses Mediums mit anderen Mitgliedern der bereitstellt. Community, was den Prozess im Vergleich zu 11 12 13 14 15 16 17 Vgl. Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 2 Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 76. Vgl. von Hippel 2004, S. 65. Vgl. Hauschildt 2003, S. 15. Vgl. von Hippel 2004, S. 65f. Dies ist auch eine Lead User-Eigenschaft. 18 19 20 21 42 Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158. Die Communities selbst sind zwar normalerweise informell, aber dennoch z. T. von Software-Firmen kontrolliert. Hamerly/ Paquin/ Walton 1999. physischen Produkten extrem erleichtert und für Innovation mit Hilfe von User Communities zu Forscher gut dokumentierbar macht. Zudem entwickeln. profitieren User Innovatoren im OSS-Bereich im 2.1 Ihrer Zeit voraus – User Innovatoren Normalfall sofort von ihren Neuentwicklungen. 22 Innerhalb der User Communities kann man ver- Dies ist bei vielen Innovationen physischer Pro- schiedene Nutzertypen unterscheiden. Allen dukte oder Dienstleistungen nicht der Fall. Neue Mitgliedern der Community ist gemeinsam, dass Ideen können nicht virtuell umgesetzt und sofort sie sich zur Ausübung einer bestimmten Tätig- ausprobiert werden, sondern müssen physisch keit, beispielsweise einer Sportart, und zum umgesetzt also produziert werden. Ein solcher Erfahrungsaustausch physischer Prozess setzt oft größere physische, freiwillig zusammenge- schlossen haben. Dieser Zusammenschluss monetäre und temporäre Ressourcen voraus als kann formell durch die Mitgliedschaft in einem ein virtueller Prozess, bei dem alle Ressourcen Verein oder Ähnlichem begründet sein oder – außer der Zeit – schon beim User Innovator völlig informell sein. Einige der Nutzer entwi- vorhanden sind. ckeln zunächst für den eigenen Gebrauch InnoAls Beispiel kann die Verbesserung eines Koch- vationen und werden daher User Innovatoren rezepts dienen. In einem Internetforum oder aus genannt. Diese User Innovatoren werden von dem Freundeskreis bekommt ein Hobbykoch die weiteren Mitgliedern der Community bei ihren Anregung, seine Schokoladensauce mit Chili zu Innovationen durch Kritik und Ratschläge unter- verfeinern. Um diese Idee umzusetzen, muss stützt. der Hobbykoch zunächst die benötigten Zutaten Empirische Untersuchungen in den unterschied- einkaufen – also Zeit und Geld investieren – und lichsten Innovationsfeldern haben übereinstim- anschließend in der Küche verschiedene Kom- mend herausgefunden, dass User Innovatoren binationen ausprobieren, um ein zufriedenstel- im Gegensatz zu Nicht-Innovatoren die Charak- lendes Ergebnis zu erzielen. Um seine Innovati- teristika von Lead Usern (Woll, S. 81ff.) aufwei- on im Internetforum mit anderen Hobbyköchen sen. 23 Erstens erwarten Lead User und damit zu teilen, muss er zurück zu seinem Rechner User Innovatoren einen relativ hohen Nutzen gehen und das Rezept aufschreiben und auf der davon, eine Lösung für ihre Bedürfnisse zu ent- Online-Plattform veröffentlichen. Allerdings ist wickeln. Zweitens sind sie Vorreiter eines wich- dadurch noch nicht garantiert, dass die anderen tigen Trends in einem Markt und haben daher Nutzer verstehen, wie die neue Kreation genau Bedürfnisse, die später auf viele Nutzer zutref- schmeckt. Der OSS-Entwickler dagegen kann fen während des gesamten Innovationsprozesses werden. 24 Innerhalb innovativer U- ser Communities bilden Lead User eine Kern- am Rechner sitzen bleiben, seine Neuentwick- gruppe, die sich aktiv um Innovationen bemüht lung sofort ausprobieren, anderen Usern das und sich auf verschiedene Weise an der Ent- Produkt und sogar den Entwicklungsprozess in wicklung beteiligt. Dabei kann man die Mitglie- Form eines Protokolls zur Verfügung stellen. der mit Lead User-Eigenschaften in zwei Grup- Aus diesen Gründen, die den Fall der OSS so pen unterteilen, die sich überschneiden. Zum interessant und einfach dokumentierbar ma- einen gibt es die User Innovatoren, die selber chen, ist er als untypisch und daher problematisch anzusehen, um generelle Ansätze der 23 22 24 Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61. 43 Vgl. Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 3f., Morrison/ Roberts/ von Hippel 2000, S. 1518f., Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002. Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 3. Innovationen entwickeln. 25 Diese werden von zum User Innovator. Zusätzlich zu den eigenen der zweiten Gruppe mit Ideen und Verbesse- Ressourcen nutzen User Innovatoren – wieder- rungsvorschlägen unterstützt, 26 wobei um zu sehr geringen Kosten – das Wissen und einer die Ideen Gleichgesinnter in der Community. Studie von Franke/Shah folgend mehr als zwei Drittel der assistierenden Gruppe selber auch 2.2 Informationstransfer in innovativen User- User Innovatoren darstellen. 27 Communities Die Erwartung eines relativ hohen Nutzens, Wie in jedem sozialen Netzwerk gibt es auch beispielsweise eine entscheidende Verbesse- innerhalb von User Communities unterschiedli- rung bei der Ausübung der bevorzugten Sportart che Kommunikationswege. Hierzu gehören die und dadurch möglicherweise Vorteile bei Wett- Face-to-Face-Kommunikation, schriftliche Kom- bewerben, 28 führt dazu, dass Lead User hoch munikation, Telefonate und das Internet mit motiviert sind, Problemlösungen zu entwickeln. seinen Zudem wissen sie genau, was sie mit der Inno- unterschiedlichen Möglichkeiten wie Nutzerforen, E-Mail und Chatfunktionen. vation erreichen wollen. Ökonomisch gesehen Gerade im Bereich physischer Produkte und haben sie hier also einen Kostenvorteil gegen- ihrer Nutzung ist das persönliche Treffen jedoch über Herstellern, die nicht von der Nutzung son- nach wie vor von großer Bedeutung. Oft ist es dern vom Verkauf profitieren, da hier die kosten- für User Innovatoren viel einfacher, ihre Innova- und zeitintensive Akquisition von Bedürfnisin- tionsideen zu demonstrieren als sie mit Worten formationen entfällt. Obwohl User Innovatoren zu umschreiben oder Informationen anderweitig ihre Bedürfnisse genau kennen, benötigen sie aufzubereiten. Auch das entsprechende Feed- oftmals weitere Informationen, um eine konkrete back ist einfacher zu geben. Ein Beispiel aus Problemlösung zu entwickeln. Durch Erfahrung dem Sport soll das Problem, das dem Bereich und intensive Beschäftigung mit ihrem Bereich, „sticky information“ der bei Endkunden meist ein intensiv betriebe- Kajakfahrer einen Kajak-Typ, der an das Kör- eine Art Expertenwissen aufgebaut. Innerhalb pergewicht des Fahrers individuell angepasst der Community verbringen sie üblicherweise 29 zuzuordnen ist, veran- schaulichen. In den 1980er Jahren entwickelten nes Hobby ist, haben sie sich über längere Zeit deutlich mehr Zeit als andere Mitglieder. 30 werden konnte. 31 Dieser neue Typ bot Vorteile Die beim Fahren von Tricks, war aber für weniger größten Kosten, die einem User Innovator bei erfahrene Sportler schlechter zu beherrschen, der Ideengenerierung entstehen, sind also der da das Boot weniger stabil im Wasser lag als eigene Zeitaufwand und die damit verbundenen herkömmliche Kajaks. Diese Vor- und Nachteile Opportunitätskosten. Überschreitet der erwarte- für einzelne Nutzer ließen sich am einfachsten te Nutzen der Innovation die Opportunitätskos- durch reale Testfahrten, beispielsweise bei ten, so wird der Lead User aktiv und beginnt – Wettkämpfen und Treffen mit anderen Kajakfah- bewusst oder unbewusst – mit dem Entwick- rern, herausfinden. Schriftlich oder telefonisch lungsprozess, wenn er auf dem Markt keine für wäre die Erfahrung wesentlich schwieriger zu ihn passende Lösung gefunden hat und wird so vermitteln gewesen und vor allem weitere Ver25 26 27 28 29 besserungen kaum möglich gewesen. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162f. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 165. Auf die möglichen Negativ-Auswirkungen von Wettbewerb innerhalb von User Communities wird in Abschnitt 3 dieses Beitrags eingegangen. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164. 30 31 44 Siehe auch Abschnitt 2 dieses Beitrags. Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 6. Das Internet und besonders die immer schnelle- frei verbreitet werden. 36 In der Fachliteratur ren Breitbandverbindungen erleichtern heutzu- findet sich hierzu das Stichwort „free revealing“ tage den Informationsaustausch und die Kon- – freie Preisgabe von Information. Allen be- takterhaltung unter Nutzern außerhalb von per- schreibt dieses Phänomen für Unternehmen im sönlichen Treffen. Das World Wide Web ermög- Zusammenhang mit der „Collective Invention“ 37 licht den Aufbau von sozialen Strukturen unter der Hochöfen in der Zeit der Industrialisierung. Nutzern mit speziellen, vielleicht seltenen Inte- Offenkundig entstehen User Innovatoren Vortei- ressen über große geographische und gesell- le, wenn sie Informationen der Gemeinschaft frei schaftliche Entfernungen. Erfahrungsaustausch zur Verfügung stellen. kann zunehmend über Bilder und Videos erfol- Innovatoren haben abgesehen von der Offenle- gen, ohne dass dadurch nennenswerte Kosten gung ihrer Ideen zwei Alternativen. Sie können entstehen. 32 „Für fast alle Produktkategorien sie komplett für sich behalten oder durch Paten- (z. B. Wein, Kameras und Autos), Hobbies (z. B. te bzw. Lizenzen schützen lassen. Im ersten Fall Klettern, Musik und Schach) und Lebenssituationen (z. B. Ruhestand, Schwangerschaft) Krankheiten können sie ihre Idee in Isolation weiterentwi- und existieren ckeln, profitieren aber nicht vom Austausch mit Onli- anderen Nutzern. Letzteres ist relativ kostspie- ne Communities, die einen großen Pool an Wissen und Nutzungserfahrung darstellen.“ 33 lig, zumal der daraus resultierende finanzielle Für Nutzen eher gering und unsicher ist. Patente die freiwilligen Software-Entwickler der OSS- und Lizenzen lassen sich zu einfach umgehen, Szene bieten die Online Communities Arbeits- um einen wirksamen Schutz für den Innovator platz, Werkzeug und Treffpunkt zugleich. Physi- zu bieten. sche Produkte können dagegen nicht online 38 Zudem sind User Innovatoren zu- nächst weniger daran interessiert, ihre Idee zu produziert und verbreitet werden. 34 Deren Nut- vermarkten und so finanzielle Gewinne zu erzie- zer verwenden vor allem Internetforen (sog. len. Vielmehr geht es darum, von der Nutzung Message Boards) und Chat Rooms, um Kontakt der eigenen Innovation zu profitieren, da der miteinander aufzunehmen, zu kommunizieren Nutzer mit den vom Markt verfügbaren Lösun- und Informationen in Form von Beschreibungen, gen nicht zufrieden ist. 39 Skizzen, Videos oder Ähnlichem. Einige OnliDie Mitgliedschaft in einer Community bietet den ne Communities organisieren auch Treffen in Innovatoren laut Franke und Shah zwei Schlüs- der realen Welt, damit die Mitglieder sich per- selvorteile: sönlich kennen lernen. Laut Füller zeigt dies, wie stark die sozialen Bindungen unter Nutzern auch in der virtuellen Welt sein können. 35 „(1) other community members offer assistance Ein directly; and weiterer Grund für den Weg in die reale Welt (2) other community members refer the innova- könnte das Bedürfnis oder die Notwendigkeit tor to individuals they know outside of the com- direkten Austauschs sein. munity.” 40 Für Ökonomen etwas überraschend war die Wenn die User Innovatoren Angaben über den Erkenntnis, dass Informationen innerhalb von Fortbestand ihrer Innovation offenlegen, setzen User Communities grundsätzlich kostenlos und 36 32 33 34 35 37 Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61. Vgl. Abschnitt 2 dieses Beitrags. Füller/Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 64. 38 39 40 45 Vgl. von Hippel 2004, S. 12f. Vgl. Allen 1983, S. 11. Vgl. Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 4f. Vgl. Lüthje 2000, S. 5. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164. Wertgewinn gegenüber steht. Beispiele für zu sie das vorläufige Ergebnis damit dem Lob und 41 Diese tragen kostenintensive Kommunikation könnten unan- aber zumeist konstruktiv zum Innovationspro- gemessen hohe Mitgliedsbeiträge für formelle zess bei und verhelfen dem Innovator mit Ideen User Communities oder hohe Sprachbarrieren und eigenen Erfahrungen zu weiteren Produkt- sein. Zum anderen verringert Konkurrenz zwi- verbesserungen. Bei der Untersuchung ver- schen den Mitgliedern die Wahrscheinlichkeit schiedener entdeckten der Preisgabe von Informationen. Franke und Franke und Shah, dass zwei Drittel der „assistie- Shah zeigen am Beispiel verschiedener Sport- renden“ Community-Mitglieder selbst Innovato- ler-Communities, dass die Bereitschaft Informa- ren waren und von den Innovatoren fast die tionen frei zur Verfügung zu stellen und anderen der Kritik anderer Nutzer aus. Sportler-Communities 42 Insge- bei Innovationen zu assistieren in Gruppen mit samt unterstützten in der Studie fast 40 Prozent stärkerem Wettbewerb weniger ausgeprägt ist der Community-Mitglieder andere bei Innovatio- als in Gruppen, in denen wenig Konkurrenz- nen, und die Zufriedenheit mit der Hilfeleistung druck herrscht. war äußerst hoch. 80 Prozent der befragten eine Innovatoren gaben an, die Hilfe derselben „As- ser Communities anstreben, sollten sich im Vor- sistenten“ gerne wieder in Anspruch zu neh- feld mit deren Eigenschaften und Spielregeln Hälfte anderen Innovatoren weiterhalf. men. 43 46 Hersteller-Unternehmen, die Zusammenarbeit mit privaten U- vertraut machen. Beide Seiten – also Innovatoren und die „assis- 3 tierenden“ User – erhoffen sich durch die Mitar- Inspiration für die Hersteller Eines der größten Probleme innovativer Herstel- beit an Innovationen auch eine Verbesserung ler ist die mangelnde Nähe zum Markt. 47 Innova- ihres Ansehens bei anderen Mitgliedern der tive Bedürfnisse der Nutzer sind oft nicht be- Community. Sie wollen sozusagen in der sozia- kannt und werden daher spät oder gar nicht mit len Rangfolge ein Stück höher klettern und ge- neuen Produkten oder Dienstleistungen bedient. nießen die Anerkennung, die ihnen von anderen Von Hippel sieht die Gründe dafür im Informati- Nutzern zuteil wird. 44 Neben diesen sozialen onstransfer zwischen Nutzern und Herstellern: Faktoren, zu denen auch die Vorstellungen von „When information is sticky, innovators tend to Fairness und Solidarität in einer Gemeinschaft rely largely on information they already have in zählen, stehen für viele Innovatoren Spaß und stock.” 48 Als Konsequenz dieser Informationsa- Freude am Problemlösen und an der Aufgabe symmetrie gibt es einen qualitativen Unterschied selbst im Vordergrund. 45 Bei Endkunden gehört zwischen User- und Manufacturer-Innovationen. das Erweitern und Ergänzen bestehender Lö- Nutzer entwickeln eher Innovationen, die neuar- sungskonzepte oft zum Hobby. tig in ihrer Funktionalität sind und eine große Zwei Faktoren können eine fruchtbare Zusam- Menge Nutzerbedürfnis-Informationen und Nut- menarbeit bezüglich der Innovationen in der zungskontext-Informationen erfordern. Im Ge- Community jedoch unterminieren. Zum einen gensatz dazu tendieren Manufacturer dazu, sollte die Kommunikation keine zusätzlichen Innovationen zu entwickeln, die bereits bekann- Kosten verursachen, denen kein adäquater te Bedürfnisse besser befriedigen und vor allem 41 42 43 44 45 Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 66. Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 165. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 166. Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 65. Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 66. 46 47 48 46 Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 169. Siehe Abschnitt 1 dieses Beitrags. Von Hippel 2004, S. 70. Informationen zur Problemlösung erfordern. 49 Lead User-Eigenschaften nutzen Franke et al. Neuartige Funktionen, die neuartige Bedürfnisse die ressourcenbasierten Variablen „technical der Nutzer befriedigen, dürften für Hersteller expertise“ und „availability of support from a also am ehesten bei User Innovatoren zu finden user community“. 53 Abhängig davon, was genau sein. Diese lassen sich über User Communities man herausfinden möchte, empfehlen sie unter- ausfindig machen, in denen sie aktiv sind. U- schiedliche Kombinationen und Schwerpunkt- ser Communities sind nicht nur leichter zu fin- setzungen bei den Suchkriterien. Um besonders den als isolierte Innovatoren oder Erfinder, sie attraktive User Innovationen aus einem be- bieten auch den Vorteil, mehrere Nutzer mit grenzten Feld von innovativen Usern zu ermit- gleichen oder wenigstens ähnlichen Bedürfnis- teln, empfehlen sie nach zukünftigen Markt- sen zu vereinen 50 trends Ausschau zu halten. 54 Es ist jedoch frag- und somit schon einen klei- nen Markt darzustellen. lich, inwieweit sich diese Instrumente als praxistauglich herausstellen werden. Insbesondere Hersteller, die sich an Innovationen aus U- Markttrends sind im Vorhinein nicht leicht zu ser Communities wagen, sollten das Marktpo- identifizieren. tenzial möglichst genau abschätzen, bevor sie Die Beobachtung von U- ser Communities und deren Entwicklung kann mit der Innovation an den Markt gehen. Ein Vor- aber zumindest erste Orientierungsansätze bie- teil der etablierten Hersteller gegenüber U- ten. ser Manufacturers liegt darin, dass sie bereits über kapitalintensive Technologien – also bei- Das Internet eröffnet neue und vor allem kos- spielsweise automatisierte Produktionsmaschi- tengünstige Möglichkeiten für Hersteller, inte- 51 ressante User Communities online ausfindig zu Allerdings muss der Markt mit zahlungswilligen machen und zu beobachten. Schon eine Stich- potenziellen Nutzern entsprechend groß sein, wortsuche nach dem entsprechenden Produkt- damit sich die Massenproduktion lohnt und die bzw. Aktivitätsfeld dürfte eine Auswahl von In- Herstellerunternehmen mit User Manufacturers, ternetplattformen als Ergebnis haben, die in die „nebenher“ kleinere Stückzahlen herstellen einem nächsten Schritt näher untersucht und und an Gleichgesinnte verkaufen, konkurrieren dann gemäß ihrer Attraktivität beurteilt werden können. Franke et al. versuchten auf Grundlage kann. Eine erste Analyse kann dabei von außen ihrer Studie über Innovationen bei Kitesurfern – also ohne Einverständnis der Plattform- eine Methode zu entwickeln, mit der sich kom- Betreiber und ihrer Mitglieder – über die Eigen- merziell besonders attraktive User Innovationen schaften der gesamten User Community vorge- nen – für die Massenproduktion verfügen. 52 Zu diesem Zweck zeigen nommen werden. Alternativ bzw. in einem weite- sie vier Suchkriterien auf, nach denen U- ren Schritt kann das Einverständnis der Betrei- ser Communities bzw. deren Mitglieder selek- ber und Nutzer eingeholt werden, so dass indi- tiert werden sollen. Zum einen sollen die viduelle Eigenschaften beispielsweise anhand Lead User-Eigenschaften von Nutzerprofilen analysiert werden können. identifizieren lassen. „ahead of market trends“ und „high expected benefits from innova- Wenn nicht nur nach den neuesten Trends am tion“ auf eine erhöhte kommerzielle Attraktivität hindeuten. 49 50 51 52 Ergänzend zu den Markt geforscht werden soll, steht im Anschluss klassischen an eine Analyse der potenziell in Frage kommenden Online Communities die Entscheidung Vgl. von Hippel 2004, S. 70. Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 3. Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 22. Vgl. Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 3. 53 54 47 Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 22. Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 22. über eine mögliche Zusammenarbeit mit einer schaft sich auflöst und ihr Potenzial damit verlo- oder mehrerer solcher User Communities. Füller ren geht. et al. unterscheiden zwei Möglichkeiten der In- Im Fall der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit tegration von User Communities: „(1) the virtual User Communities ist die Gefahr einer Commu- integration of community members for specific nity-Auflösung auf Grund von Konkurrenzdruck innovation tasks from time to time, and (2) the ebenfalls sehr gering. Da eine konsequente und continuous collaboration with online communi- umfassende Beobachtung und Auswertung des ties as a permanent source of new ideas and Geschehens innerhalb der Gruppe von dem co-developers of new products”. 55 Um spezielle beteiligten Unternehmen große personelle und Aufgaben von User Innovatoren lösen zu las- finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen sen, können Hersteller-Firmen Anreize setzen. würde, schlagen Füller et al. vor, einen perma- Beispielsweise können sie virtuelle Toolkits (A- nenten Link auf den virtuellen Plattformen der sel/ Steinmetz, 94ff.) zur Verfügung stellen, die betreffenden Communities zu etablieren. 56 Die die Entwicklung von Innovationen erleichtern Mitglieder der Community können dadurch bei und möglicherweise auch den „Spaßfaktor“ auf Bedarf unkompliziert Kontakt mit dem Hersteller- Seiten der Nutzer erhöhen können. Mit sog. Unternehmen aufnehmen und sich aktiv einbrin- Innovations- oder Designwettbewerben können interessierte User Innovatoren zu gen. Bei diesem Vorgehen besteht allerdings die kreativen Gefahr, dass wichtige Entwicklungen verpasst Höchstleistungen angespornt werden. Herstel- werden, weil sie nicht von Usern an das Unter- ler-Unternehmen, die mit User Communities nehmen weitergeleitet wurden. Es empfiehlt sich zusammenarbeiten, müssen sich jedoch im also zusätzlich eine regelmäßige Beobachtung Klaren darüber sein, dass sie in diesem Moment der Aktivitäten innerhalb der Community. einen Eingriff in die Community vornehmen, der ihre Eigenschaften entscheidend Längst nicht alle User Communities – auch nicht verändern alle virtuellen – dürften so leicht zugänglich sein, kann. Ein Wettbewerb oder allein das Bewusst- wie die von Füller et al. beschriebenen Basket- sein, dass ein renommierter Hersteller den Ent- ball-Communities. In bestimmten Produktberei- wicklungsprozess beobachtet, kann zu einem chen legen Nutzer großen Wert auf Unabhän- verstärkten Konkurrenzdruck unter den Mitglie- gigkeit und reagieren möglicherweise sehr miss- dern führen. Konkurrenz wiederum verringert die trauisch gegenüber kooperations-willigen Her- Bereitschaft, sein Wissen mit anderen freiwillig stellerfirmen. Ein Beispiel könnte der Bereich und kostenlos zu teilen. Damit gehen die ent- Bio-Lifestyle sein, in dem Nutzer große Vorbe- scheidenden Synergieeffekte der Gruppe – kon- halte gegenüber bestimmten Konzernen hegen. struktive Kritik, kein redundantes Suchverhalten Dennoch gibt es auch in solchen Bereichen ein von einzelnen Innovatoren usw. – verloren, und die Fruchtbarkeit der Zusammenarbeit sinkt und damit verbunden die Attraktivität der entwickel- Kommerzialisierungspotenzial. Hersteller- Unternehmen mit können hier ser Manufacturern kooperieren und bestimmt ten Lösungen. So lange allerdings nur ein Teil Produktionsschritte übernehmen oder Teile zu- der Community beteiligt ist und Wettbewerbe liefern. nicht ausufernd ausgefochten werden, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Gemein- 55 U- 56 Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 70. 48 Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 70. 4 Begrenzte Demokratisierung von ternet sollte man jedoch nach wie vor auf Innovationen im Internet Schwierigkeiten bei der Suche nach einer repräsentativen User Community mit hohem Senio- Zusammenfassend kann man feststellen, dass renanteil stoßen. Die ältere Generation ist bei durch die stetig zunehmende Verbreitung des den so genannten „Onlinern“ weiterhin unterrep- Internet große Potenziale im Bereich der innova- räsentiert. 61 Der Trend geht jedoch zum „Silver tiven User Communities entstanden sind. Der Surfer“, da immer mehr über 60-Jährige das Wissenschaft steht nun ein weites Feld zur Er- Internet für sich entdecken. 62 Auch die weibliche forschung von User Communities im WWW Bevölkerung scheint bisherigen Studien zu Fol- offen. Bisher sind allerdings erst wenige Studien ge nicht besonders innovationsfreudig zu sein. bekannt 57 , die sich mit der Verbindung von Online User Communities und In der Studie von Franke und Shah liegt der Hersteller- durchschnittliche Unternehmen im Internet außerhalb der OSS- 23 Prozent. Problematik befasst. Da sich die Forschung zu 63 Frauenanteil bei nur Auch hier wären Vergleichsstu- dien aus anderen Bereichen, wie beispielsweise innovativen User Communities bisher vor allem Hand-, Haus- oder Bastelarbeiten vermutlich auf Sportenthusiasten konzentrierte, ist eine aufschlussreich. Vergleichsstudie aus anderen Produktbereichen dringend notwendig, um die Übertragbarkeit der Selbst wenn in der Forschung alle Bevölke- bisherigen Erkenntnisse auf andere Bereiche zu rungsgruppen in Bezug auf ihre Beteiligung an prüfen. Zu diesem Vergleichbarkeitsproblem innovativen User Communities untersucht wä- gesellt sich mit dem Internet die Problematik des ren, würde sich wahrscheinlich zeigen, dass Digital Divide. In Deutschland sind derzeit knapp insbesondere bei den User Innovatoren ver- 61 Prozent der Bevölkerung online, 58 weltweit schiedene demographische Merkmale sehr un- nur etwa 19 Prozent.59 Von einer echten De- gleich verteilt sind. Wer sich innovativ betätigt mokratisierung, die alle Bevölkerungsteile und braucht Ressourcen wie Zeit und Geld, die nicht damit alle potenziellen Kunden einbezieht, kann allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Zu- also keine Rede sein. dem ist es gut möglich, dass User Innovatoren sich von eher passiven Nutzern in bestimmten Eine für die Zukunft zumindest der westlichen Charaktereigenschaften unterscheiden, Märkte äußerst bedeutsame Zielgruppe fällt bei 64 ähn- lich wie manche Theorien dies von Entrepre- der User Community-Forschung bisher durch neur-Persönlichkeiten behaupten. alle Raster: die Gruppe der Älteren, bisweilen als 55Plus bezeichnet. Bei den von Franke und Unternehmer, die Kooperationen mit innovativen Shah untersuchten vier User Communities aus User Communities anstreben, sollten sich be- dem Sportbereich lag das Durchschnittsalter der wusst sein, dass nicht alle relevanten Zielgrup- Befragten stets unter 40 Jahren, in zwei Fällen pen in solchen Netzwerken vertreten sein wer- mit etwa 25 Jahren und knapp 23 Jahren sogar den. Dennoch macht es Sinn das innovative Dies könnte mögli- Potenzial, das sich insbesondere durch die cherweise am Produktbereich Sport liegen. Eine Ausbreitung des Internet erschließt, auszu- Vergleichsstudie wäre also angebracht. Im In- schöpfen. Um zukünftig wettbewerbsfähig zu sehr deutlich darunter. 57 58 59 60 60 Z. B. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007. Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 364. http://www.internetworldstats.com/stats.htm (letzter Abruf: 31.11.2007) Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162. 61 62 63 64 49 Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 364. Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 363. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162. Vgl. Lüthje 2000, S. 21. bleiben ist eine Orientierung an den potentiellen communities, in: Journal of Business Re- Kunden search 60 (2007), S. 60-71. notwendig, wobei innovative U- ser Communities dabei zumindest Anhaltspunk- Hamerly, J./ Paquin, T./ Walton, S. (1999): Free- te liefern, wenn nicht sogar „vollwertige Koope- ing the Source: The Story of Mozilla, in: rationspartner“ sein können. Open Sources – Voices from the Open Source Revolution. 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(2007): vation, in: Journal für Betriebswirtschaft, Vol. Innovation creation by online basketball 55, S. 63-78. 50 Kurt Uwe Stoll Collective Invention als Imperativ für moderne Innovationstätigkeit 1 Innovation als Quelle der Prosperitäton Unternehmen 2 Collective Invention – Definition und Abgrenzung 3 Theoretische Erklärungsansätze für das Auftreten der CI 4 Software-Development-Kits und Crowdsourcing als moderne Treiber der CI 5 CI als Bestandteil einer „Balanced Scorecard“ moderner Innovationstätigkeiten 1 Innovation als Quelle der Prosperität onsprozess angereichert werden kann: Kunden, von Unternehmen Lieferanten, unabhängige Forschungsinstitute und andere, sogar konkurrierende Unternehmen Zur Erreichung der Kundenorientierung, die als werden in den Innovationsprozess einbezogen. zentrale Maxime im Marketing fungieren sollte, 1 Das Paradigma "Offene Innovation" und die stellt die Herausarbeitung komparativer Konkur- dahinterstehenden Überlegungen und Konzepte renzvorteile durch innovative Produkte oder sind dabei jedoch, ungeachtet des in der jüngs- Dienstleistungen die zentrale Handlungsanfor- ten Zeit gestiegenen Bedeutungszuwachses, derung an Unternehmen dar. 2 In einer unter- der sich in einer großen Zahl an Publikationen nehmerischen Wirklichkeit, die sich aufgrund und Spezialausgaben renommierter Wissen- exponentiell wachsender Geschwindigkeit tech- schaftsmagazine widerspiegelt, alles andere als nologischer Entwicklungen mit immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen neu. Bereits Anfang der achtziger Jahre wurde konfrontiert eine Ausprägung offener Innovationstätigkeit sieht, sind Innovationen Kernbestandteil des von Robert Allen im Rahmen der "Collective Marketing als Unternehmensfunktion. 3 So er- Invention" (CI) beschrieben. 5 kannte Schumpeter bereits 1939 eine bis heute Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, im folgen- gültige betriebswirtschaftliche Wahrheit: den das Phänomen der CI flankiert von realen "Innovationen bilden die Basis für ökonomischen Beispielen zu definieren und entscheidende Wandel und Wohlstand und stellen deshalb den Wirkmechanismen aufzuzeigen. Im dritten Teil hervorstechenden Faktor zur Sicherung der der Arbeit wird sodann versucht die CI theore- Überlebensfähigkeit von Unternehmen dar. Sie tisch zu fundieren. Dabei werden neben Erklä- liegen allen anderen Erfolgsfaktoren wirtschaftli- rungsmodellen aus der Spieltheorie Konzepte chen Handelns zugrunde." 4 der Netzwerkökonomie sowie evolutionäre An- Nun erfolgt die Innovationstätigkeit in einer klas- sätze integriert. Hiernach erfolgt eine Diskussion sischen Betrachtungsweise ausschließlich an- von Vorteilen und Gefahren die aus einer Betei- hand In ligung an Prozessen der CI erwachsen. Im vier- einem strukturierten Prozess werden Leistungen ten Abschnitt erfolgt eine Betrachtung des Phä- generiert mit dem Ziel Preisbereitschaft beim nomens kollektiver Innovationen aus aktueller Nachfrager Sicht. unternehmensinterner abzuschöpfen. Ressourcen: Eine modernere Sichtweise eröffnet dem Unternehmen aber auch externe Quellen, mit denen der Innovati1 2 3 4 Weiber 2002, S. 17. Weiber 2002, S. 17. Weiber 2002, S. 7. Vgl. Schumpeter 1939, S. 86. 5 51 Allen 1983, S. 12. gen, die zu verschmelzenden Teile wurden ver- 2 Collective Invention - Definition und wechselt. Magritte will auf die Gefahren und Abgrenzung Schwierigkeiten hinweisen, die entstehen, wenn Collective Invention als "kollektive Erfindung" zu Innovation nicht durch einen einzelnen Erfinder übersetzen führt nur über Umwege zum Ziel. mit dem Blick für den Gesamtkontext geschieht, Der deutsche Terminus „Offene Innovation“ trifft sondern auf der Zusammenarbeit mehrerer Er- am ehesten das, was in der Literatur darunter finder beruht. verstanden wird. Wichtige Anmerkung: Offene Aus betriebswirtschaftlicher Betrachtung um- Innovation sei hier ausdrücklich vom Begriff fasst Collective Invention im Wesentlichen die „Open Innovation“ abgegrenzt, der in seiner Offenlegung technischer Fortschritte in einem engeren Definition vor allem den Einbezug von Produktverbesserungs- oder Erfindungsprozess. Konsumenten in den Innovationsprozess be- Dies umfasst dabei neben der Bereitstellung von schreibt. 6 Output- oder Ergebnisgrößen wie Effizienzwer- Eine über die Ökonomie hinaus gehende Be- ten bzw. Leistungsspezifika auch und in beson- trachtung führt dazu, dass die Erstverwendung derer Weise die Inputseite, also Angaben zur des Begriffs „Collective Invention“ dem Surrea- Erstellung der entsprechenden Lösungen. listen René Magritte zuzuordnen ist. Er stellt in Allen führt 1983 den Begriff Collective Invention seinem 1935 entstandenen Werk „L’invention als vierte erfindende Institution neben nicht collective“ eine an den Strand gespülte Chimäre kommerziellen Institutionen wie Universitäten aus Mensch und Fisch dar. oder staatlichen Forschungseinrichtungen, Forschungsabteilungen in Firmen oder dem Erfinder als Person in die Literatur ein. 7 Als Beispiel verweist er auf die historische Zusammenarbeit der Stahlindustrie im englischen Distrikt Cleveland Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei damals primär die Steigerung der Effizienz von Hochöfen durch Verringerung des erforderlichen Werkstoffeinsatzes bzw. eine Verbesserung der Bei der Betrachtung dieses Bildes springt vor Brenneigenschaften im Innovationsfokus stand. 8 allem ins Auge, dass Magritte sich von der gän- Für das Entstehen von Collective Invention wa- gigen Konvention der Darstellung der Meerjung- ren damals zwei Besonderheiten entscheidend, frau mit menschlichem Oberkörper und einem die diese Entwicklung begünstigten: Zum einen aus einer Fischflosse bestehenden Unterkörper ist die Funktionsweise des Produktionsprozes- lossagt und die Kombination umdreht: Seine ses nicht deterministisch abzubilden, es gibt Meerjungfrau hat menschliche Beine und eine also keine physikalische Beschreibung der me- fischartigen Oberkörper. Ein Interpretationsver- tallurgischen Prozesse, die sich beherrschbar such könnte sich hier wie folgt ergeben: Magrit- 9 und zielführend optimieren ließe. Effizienzstei- tes Anliegen ist die Darstellung der Komplikatio- gerungen sind also nur im Trial-and-Error Ver- nen, die beim gemeinsamen Erfinden entstehen fahren zu erreichen, welches unternehmensin- können. So ist in diesem Fall etwas beim Zu- tern weniger dynamisch und fruchtbar ist als sammensetzen der Meerjungfrau schief gegan7 8 6 9 Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 96. 52 Allen 1983, S. 1. Allen 1983, S. 3. Vgl. Allen 1983, S. 12. unter Beteiligung vieler Firmen. Darüber hinaus Speziallösungen Open Source zu ihrem KKV war das Verfahren nicht patentierbar, sodass gemacht haben. 16 Das Neue an OSS ist, dass eine Nicht-Offenlegung von Fortschritten Pio- sich die Entwicklung derselben durch das Auf- nierunternehmen keine oder nur kurzfristige kommen des Internets globalisiert hat: Durch monetäre Vorteile verschafft hätte. 10 moderne Kommunikationsformen und die Imma- Der zweite populäre Fall betrifft die Entwicklung terialität des Produktes zerschmelzen geogra- des Personal Computer im Silicon Valley wäh- phische Hindernisse, die Entwicklergemeinde ist rend der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahr- international verstreut. 17 hunderts. 11 Der initialen Erfindung des Mikro- Zusammenfassend erscheinen folgende Kern- prozessors folgte die Bildung einer Community aspekte für Collective Invention charakteris- um das Thema herum: Der „Homebrew Compu- tisch: 18 ter Club“. 12 In vereinsartiger Manier trafen sich Eine neue Technologie oder Erfindung entsteht Interessierte und tauschten sich, unter dem um diese Technologie herum bildet sich eine Vorzeichen allgemeinen Teilens der Fortschritte Interessengemeinschaft unterschiedlicher Ak- beim Experimentieren mit Computertechnologie, teure, wobei diese nicht zwingend wirtschaftlich aus. In diesem Fall geht es nicht um das Erzie- motiviert sein muss len von Kostenvorteilen durch Effizienzsteige- in einem informellen Prozess wird die Technolo- rungen, sondern um den festen Glauben an eine gie weiterentwickelt und sowohl Input- als auch neue Technologie und ihr Potential. Hervorzu- Outputdaten offengelegt durch die Offenheit des heben ist hierbei, dass gerade die Unsicherheit, Prozesses wird eine höhere Innovations- oder in welche Richtung sich die Technologie entwi- Inventionsdynamik realisiert ckeln würde, hierbei konstituierend für das Auf- Collective Invention erfordert zumindest bei treten von CI war. 13 einem treibenden Teil der Akteure reziproke Das dritte Beispiel beschäftigt sich mit einem Austauschbeziehungen Phänomen, das heutzutage weite Verbreitung das Auftreten von CI kann man häufig in Zu- gefunden hat und mehr denn je im Betrach- sammenhang mit der Schaffung einer Basis- tungsfokus von Wissenschaft und Unterneh- technologie bringen, die einen Paradigmen- menspraxis wechsel einläutet steht: Open Source Software (OSS). Ausgehend von einem rechtlichen Rah- Zu Stufe 1: „Eine bestimmte Technologie ent- men, der die freie Weitergabe und -entwicklung steht“. 14 ent- Das Auftreten der neuen Technologie stellt bild- standen in jüngerer Zeit Produkte, welche kom- lich gesprochen die Initialzündung dar. Eine merziellen Lösungen in vielfacher Hinsicht e- patentrechtliche Beschränkung würde weitere benbürtig sind. Zentral ist hier das produktive offene Entwicklungen im Keim ersticken. Die Nebeneinander nicht Unsicherheit über den Fortgang des Innovati- zwangsläufig nur altruistisch motiviert an der onsvorhabens wird im Fall 2 als entscheidend von Softwarequelltext fördert und fordert, von Individuen, die 15 und angesehen: Würden klare Lösungsspezifikatio- Firmen, welche mit dienstleistungsorientierten nen bestehen, so ist eine "geschlossene" Ent- Weiterentwicklung der Software arbeiten wicklung wirtschaftlich sinnvoller. 10 11 12 13 14 15 Allen 1983, S. 2. Meyer 2003, S. 12. Meyer 2003, S. 12. Meyer 2003, S. 15. Henkel 2003, S. 6. Meyer 2003, S. 21; Hars/ Ou 2003; Rossi 2006 16 17 18 19 53 Henkel 2003, S. 2. Meyer 2003, S. 6. Vgl. Meyer 2003, S. 15. Vgl. Meyer 2003, S. 15. 19 Zu Stufe 2: „Um sie herum bildet sich eine Inte- zu betreten, dürfte frühe "Kollektive Innovatoren" ressengemeinschaft von Firmen oder Perso- beseelt haben. Ähnlich stellt sich die Beantwor- nen“. Die sich darum bildende Gemeinschaft tung der Frage nach der Motivation im "Ho- von Interessierten ist durch die Offenlegung mebrew Computer Club" dar: Eine gemeinsame prinzipiell zwar nicht beschränkt, wird jedoch Faszination für Technologie und die Auslotung durch den Fokus der Teilnehmenden definiert. der sich daraus ergebenden Möglichkeiten führ- Als interessanten Aspekt ist hierbei weiterhin zu te zu einem gemeinsamen "Spirit", der die wei- nennen, dass die Globalisierung der Zusam- tere Entwicklung beflügelte. 23 menarbeit erst durch Senkung der kommunikati- Zu 4: „in einem informellen Prozess wird die ven Transaktionskosten, die durch die Fort- Technologie weiterentwickelt“ schritte der modernen Kommunikationstechno- Die eigentliche Offenlegung macht den Kern von logie, ermöglicht wurde. Abbildung 1 erläutert CI aus. Wichtig hierbei ist, dass CI keinen insti- den Zusammenhang: Während die Transakti- tutionellen Rahmen erfordert, sondern auch frei onskosten für Informationsübertragung im spä- ablaufen kann. Hier sind auch klare Grenzen zu ten 20. Jahrhundert noch hoch waren, ist seit- verwandten Themen aus dem Bereich anzu- dem eine kontinuierliche Abnahme festzustellen. merken. "Open Innovation" als Metabegriff zu CI Diese erfuhren einen weiteren dramatischen anzusehen wäre sodann zulässig, wenn deren Einbruch mit dem Aufkommen des Internets, enge Definition in der Literatur dahingehend welches Daten- und damit zuerst Nachrichten- erweitert würde, dass anstatt Kunden nun auch sowie heute auch Sprachübermittlung quasi verschiedene andere Akteure den Innovations- 20 Gerade die nahezu kosten- prozess aktiv begleiten und der Fokus vom Un- lose globale Kommunikation über das Internet ternehmen auf den Innovationsprozess an sich schaffte die Voraussetzung, auf denen die Ar- richtet. kostenlos macht. beit von Open-Source-Communities beruht. 21 Zu 5: „durch die Offenheit des Prozesses wird Die Motivationen, an einem CI-Prozess teilzu- eine höhere Innovations- oder Inventionsdyna- nehmen, sind heterogen auseinanderzuhalten. mik realisiert“ Zum Einen lässt sich am klassischen Beispiel Dieser Punkt bekommt beim Betrachten der bei von Allen der augenfällige Vorteil erkennen, den CI potentiell auftretenden Risiken ein Profil: Man Unternehmen haben, wenn sie Zugriff auf Er- sollte mögliches illoyales Verhalten von Teil- kenntnisgewinne nehmern anderer Unternehmen be- einkalkulieren, Transaktionskosten, kommen. Weiterhin steigert eine maßgebliche welche durch die interinstitutionale Kommunika- Rolle in einem solchen Prozess als "primus inter tion entstehen, berücksichtigen. Grundsätzlich pares" oder an der technologischen Spitze Ste- ist aber leicht ersichtlich, dass bei einem zielof- hender Akteure das Selbstwertgefühl, was nicht fenen, kreativen Prozess die Dynamik durch die nur auf Einzelpersonen sondern auch auf Un- Beteiligung vieler Akteure verbessert werden ternehmen bzgl. der Selbstwahrnehmung zu- kann. 22 Ein Aspekt, der auch nicht zu vernach- Zu 6: Wenn sich Firmen oder Personen an CI lässigen ist, ist mit einem entrepreneurhaften beteiligen, erwarten sie von anderen Teilneh- Antrieb verbunden: Das Gefühl, technologisches mern eine Gegenleistung für das von ihnen of- Neuland zum Wohle der Nation oder der Region fengelegte Wissen. Damit kann man zusam- trifft. 20 21 22 menfassend sagen, dass CI ein Prozess ist, Weiber 2002, S. 285. Lerner/ Tirole 2004, S. 6. Meyer 2003, S. 21. 23 54 Meyer 2003, S. 13. welcher auf Gegenseitigkeit beruht. Befürchtet dung 1 dargestellt wird. Die Betrachtung setzt eine teilnehmende Institution übervorteilt zu die Annahme voraus, dass die Einführung mo- werden, so wird sie sich aus dem Prozess der derner Kommunikationsmittel einen, die Trans- Offenlegung zurückziehen bzw. das Engage- aktionskosten für CI senkenden Einfluss hat. ment reduzieren. Durch die Möglichkeiten dieser „modernen“ Zu 7: „das Auftreten von CI kann man häufig in Kommunikationsformen wurde der Aktionsradius Zusammenhang mit der Schaffung einer Basis- von CI stark ausgedehnt. In der in dieser Heuris- technologie bringen, die einen Paradigmen- tik dargestellten Phase 1, der vortelekommuni- wechsel einläutet“ kativen Phase, sind die Transaktionskosten für Dieser Sachverhalt ist in Bezug auf den Fall CI hoch und CI findet vornehmlich lokal statt. "Personal Computer" naheliegend. Die moderne Phase 2 bildet die Ausbreitung des Telefons ab, Informationstechnologie kann als "Schrittma- durch welche die Transaktionskosten für CI cher" der heutigen Wirtschaftssysteme sowie als schon erheblich gesenkt wurden und die Be- Basistechnologie und Ausgangspunkt für viele schränkung des Phänomens auf lokale Zusam- 24 Das menarbeit abgeschwächt wurde. Phase 3 mar- Aufkommen von Open Source Software bildete kiert nun den Eintritt in das „globale Dorf“ ver- die Basis einzelner bedeutender Technologien, netzter Zusammenarbeit, die Phase der Inter- auf denen unsere Kommunikation über das In- net-Kommunikation. Diese Phase, in der wir uns weitere Innovationen angesehen werden. 25 Auch der Stahlindustrie zur Zeit befinden, führt zu einer radikalen Ver- kann eine solche Bedeutung zugeschrieben einfachung von Zusammenarbeit durch gesun- werden: Sie legte das Fundament für den Aus- kene Transaktionskosten. Beispielhaft sei hier bau des Bahnverkehrs, der die Warenströme das Potential kostengünstiger globaler Video- des frühen 20. Jahrhunderts beförderte. konferenzen im Vergleich zu früher anzutreten- ternet heute beruht. den Geschäftsreisen erwähnt. Insgesamt ergibt sich hieraus durch verbesserte KommunikatiAbb. 1: 3-Phasenmodell der bei CI auftretenden Transaktionskosten onstechnologien ein sich im Zeitverlauf vergrößernder Aktionsradius für CI bei gleichzeitig sinkenden Transaktionskosten. Ein weiterer zentraler Punkt der Einflüsse von Kommunikationstechnologie auf CI ist das Aufkommen des Internets seit Ende der 1980er Jahre. Kein anderes Medium hatte so eruptive Auswirkungen auf die Geschäftswelt. 26 Der augenfällige Knick hin zu einer stark beschleunigten Abnahme der Transaktionskosten bzw. der Globalisierung von CI wird durch den Einzug des Internets in die Geschäftswelt ausgelöst. Geschäftsmodelle, Ein weiterer Aspekt im Rahmen der Schrittma- welche den Geist der kollektiven Erfindung ver- chertechnologien ist die Auswirkung von Kom- sprühen, machen einen vielversprechenden munikationstechnologie auf CI, welche in Abbil- Eindruck. 24 25 Weiber 2002, S. 272. Henkel 2003, S. 3. 26 55 Vgl. Weiber 2002, S. 287. Gewinn (hier kein Haftantritt) belohnt werden 3 Theoretische Erklärungsansätze für kann. 28 das Auftreten der CI Übertragen auf die Situation bei CI lassen sich Beim Versuch, das Phänomen Collective Inven- folgende Parallelen ziehen: Teilnehmer im CI- tion theoretisch zu untermauern, stößt man dar- Prozess sollten eine loyale Strategie verfolgen: auf, dass sich ein klassisches Theorem aus der Sämtliche Fortschritte werden offengelegt. Eine Entscheidungs- bzw. Spieltheorie anwenden illoyale Strategie ließe sich folgendermaßen lässt: Das Gefangenendilemma. Von Hippel konstruieren: Ein Teilnehmer am CI-Prozess diskutiert dieses ausführlich in seinem Beitrag vereinnahmt Fortschritte von anderen zu seinen zum angrenzenden Thema „Informal Know- Gunsten, behält jedoch seine eigenen Fort- How-Trading. 27 Die Übertragbarkeit auf CI ist schritte für sich. Diese Konstellation ist so aus- aufgrund der Ähnlichkeit beider Phänomene zuwerten: Auf kurze Sicht kann das illoyale Ver- gegeben. In der klassischen Form stellt sich das Gefangenendilemma folgendermassen halten zwar Vorteile bringen, langfristig untermi- dar: niert es aber den ganzen Prozess und entzieht Zwei Verbrecher werden nach einer Tat festge- ihm die Dynamik. Beispielhaft sei dies nun er- nommen und einer Tat beschuldigt. Sie können klärt an einer Open-Source-Software, deren sich nicht absprechen, und haben jeweils 3 er- Lizenz es erlaubt, sie zu kommerzialisieren gebnisbekannte Verhaltensmöglichkeiten: Sie (BSD-Lizenz können den Anderen belasten und selbst leug- 29 ): Dadurch, dass das Unterneh- men beschließt, die Software fortan nur noch nen oder zur Tat schweigen. Dafür drohen ihnen intern weiterzuentwickeln, schließt es alle exter- Haftstrafen der folgenden Länge: nen Entwickler aus. Die bis dahin offen entwickelte Software bekommt so den Charakter eines extern zugekauften Produktes, und unter- Abb. 2: Klassisches Gefangenendilemma und Übertragung auf CI liegt nicht mehr den Vorteilen, die Open-SourceEntwicklung mit sich bringt. Hier kristallisiert sich ein Kernproblem von CI heraus: Loyale Weitergabe von Fortschritten ist eine Prämisse für faire Umsetzung. Abbildung 2 stellt den Sachverhalt dar: Die möglichen Strafen für die verschiedenen Verhaltensweisen im Gefangendilemma und die Übertragung auf den Fall der CI. Eine weitere theoretische Erklärungsmöglichkeit für CI stellt die Netzwerkökonomie dar. Weiber Entscheidend für unsere Betrachtung hier ist, stellt dabei heraus, dass in einer netzwerkba- dass Kooperation (beide geben die Tat zu) bei sierten Informationsgesellschaft vom Paradigma mehrmaliger Wiederholung des Spiels die auf abnehmender Grenzerträge, welches die Indust- Dauer beste Alternative für die Tatverdächtigen riegesellschaft prägte, Abstand zu nehmen ist. ist, den anderen zu belasten jedoch bei einmali- Die ger Durchführung des Spiels mit dem größten Basistechnologie „Informationstechnik“ schafft die Voraussetzung für empirische Ge- 28 27 29 Hippel 1987, S. 18. 56 Vgl. Mankiw 2001, S. 379 Vgl. Henke 2003, S. 5. setzmäßigkeiten, 30 dazu desto weniger Energie braucht es prozentual zur führen, dass die Netzwerkökonomie Gesetzmä- Erhaltung seiner Lebensfunktionen. Nun über- ßigkeiten zunehmender Grenzerträge unter- prüft er diese Erkenntnis an den „Organismen liegt. 31 welche schließlich In einer idealtypischen Betrachtung folgt hieraus, dass die Funktion der Moderne“, den Großstädten, wobei er auch Inputgröße- hier zu dem Ergebnis gelangt, dass ein loga- Outputgröße exponentiell verläuft. Ungeachtet rithmischer Zusammenhang zwischen Größe der Kritik, die man an solch einem „Traumbild“ und Ressourcenbedarf vorliegt. Bei der Betrach- betriebswirtschaftlicher Realität äußern könnte, tung sozialer Phänomene in Städten stellt er haftet diesem Standpunkt ein hoher Reiz an. Als darüber hinaus fest, dass die Stadtgröße und Voraussetzung für die folgende Überlegung sei die relative Innovationsrate, also die Zahl der nun der Analogieschluss zwischen „Wirtschafts- Innovationen pro Kopf, einem exponentiellen system Netzwerkökonomie“ und „Sozioökono- Zusammenhang gehorcht. Dies unterstreicht die misches System Collective Invention“ erlaubt. anfängliche Behauptung, Innovation korreliere Auf dessen Grundlage folgt: In einem innovativ- positiv mit der Größe der betrachteten Innovati- kreativen Prozess steigt die Dynamik mit der onsstruktur. Diese Erkenntnis weist in dieselbe Anzahl der Teilnehmer. Richtung wie der oben angesprochene Analogieschluss zur Netzwerkökonomie. Eine große Zahl beteiligter Individuen führt zu einer Steige- Abb. 3: Innovation aus Perspektive der Netzwerkökonomie rung der Geschwindigkeit und damit der Leistung des CI-Prozesses. Als letzten, vordergründig etwas abwegigen Erklärungsansatz für den Erfolg von CI soll ein evolutionärer Erklärungsansatz herangezogen werden. Aus einer entfernten Betrachtung erweisen sich Gemeinsamkeiten zwischen der Schumpeterischen "kreativen Zerstörung", der Innovation, welche die Vitalkraft unseres Wirtschaftssystems darstellt, und der biologischen Evolution. Der zentrale Mechanismus der Evolution im Darwinschen Sinne sind natürliche Selektion aus einer durch Mutation und Rekombi- Abbildung 3 veranschaulicht diesen Zusam- nation entstandenen Gesamtheit genetischer menhang: Die Geschwindigkeit des Innovati- Vielfalt. Unter natürlicher Selektion das allge- onsprozesses wächst mit steigender Anzahl der mein bekannte Prinzip "survival of the fittest" Teilnehmer exponentiell. Einen weiteren Beleg und unter Mutation und Rekombination die hierfür liefert West: Er stellt einen grundsätzli- Durchmischung des Erbgutes bei Entstehen chen Zusammenhang zwischen Größe einer neuer Generationen zu verstehen. Stadt und Innovationsrate fest. 32 So beginnt 33 Als Paralle- le in der Innovation findet im Zuge der Entwick- seine Erklärung bei der Beobachtung biologi- lung eines Produktes ein ständiges Entwerfen scher "economies of scale": Je größer ein Tier, und Ergänzen von neuen Lösungskonzepten 30 31 32 statt (Mutation und Rekombination), welches Vgl. Weiber 2002, S. 275. Vgl. Weiber 2002, S. 287. Vgl. West 2007, S.35. 33 57 Sauermost/ Freudig 2000, S. 276 Aussortieren den generativen Algorithmen innewohnenden schlechter Ergebnisse zu dem gewünschten Ziel Gesetzmäßigkeiten taucht eine "fundamental führt ("survival of the fittest"). Dieses Beispiel intuition of genetic algorithms" und damit eine lässt sich gut an Allens Fall der Hochofenopti- "innovative intuition" auf, 36 der bei der weiteren mierung verdeutlichen: Der genaue Wirkungs- Erforschung des Innovationsprozesses eine mechanismus des Prozesses war unklar, das große Bedeutung beizumessen ist. Denn je Ziel war eine Ressourceneinsparung und damit besser die innere Logik und damit die Funkti- Kostenreduktion. Also wurden die Parameter onsweise von Innovationsprozessen verstanden (v. a. Höhe des Hochofens und Betriebstempe- wird, desto effizienter können diese geplant und ratur) solange variiert, bis sich nach und nach gesteuert werden, was mit positiven Effekten Hochofendesigns mit den gewünschten Leis- sowohl für einzelne Unternehmen als auch dem tungseigenschaften einstellten. Wenig fruchtba- Fortgang ganzer Volkswirtschaften einhergehen re Parameteränderungen wurden verworfen und sollte. langfristig bei gleichzeitigem erfolgreiche Ansätze weiterverfolgt und fortent- 4 Software-Development-Kits und wickelt. Als weiteres bekanntes Beispiel soll Crowdsourcing als moderne Treiber zusätzlich die Entwicklung des "Flugapparates" der CI der Gebrüder Wright anführt werden. Ohne die Gesetze der Aerodynamik, welche ein Flugzeug Als aktuelle, der CI verwandte Form offener fliegen lässt, präzise verstanden zu haben, wur- Innovationen möchte ich die Bereitstellung von den experimentell so lange verschiedene Lö- Software Development Kits (SDK) durch Unter- sungen variiert, bis ein flugfähiges Vehikel ent- nehmen ins Feld führen. Dabei wird Kunden ein 34 Um den Zusammenhang zur CI „Werkzeugkasten“ zur Hand gegeben, mit dem wiederherzustellen: Ein der Evolutionstheorie sie sich in beschränktem Maße an der Gestal- immanenter Tatbestand ist, dass der Populati- tung von Produkten beteiligen können (Asel/ onsfortschritt und damit die Dynamik mit der Steinmetz, S. 94ff.). Bei SDK bieten Unterneh- Anzahl der Individuen steigt, wobei dies unter men Entwicklern nun eine umfassende Entwick- bestimmten Rahmenbedingungen als ein weite- lungsplattform an, auf deren Basis diese eigene rer Beleg für die Vorteilhaftigkeit von offenen Software entwickeln können. Der dynamische Innovationsprozessen verstanden werden kann. Prozess, den sich die Unternehmen zu Nutze Dieser evolutionäre Ansatz erlangt auch in an- machen, ist als „Crowdsourcing“ bekannt: Man deren benutzt die „Masse“ (Crowd) von interessierten standen ist. Wissenschaftsbereichen zunehmende Bedeutung. So werden formale Modelle zur Entwicklern als externe Ressource (Source). Optimierung von Problemen, welche sich gene- Die Offenlegung von Quelltexten bis dahin ge- rativer Algorithmen bedienen auch zur Be- schützter Programmcodes stellt eine ähnliche schreibung von Innovationsprozessen ange- Vorgehensweise dar, mit der sich Unternehmen 35 Dabei werden die der Evolution das Potential, welches in der (Weiter-) Entwick- zugrundeliegenden Mechanismen computerba- lung von Programmcodes durch die Program- siert nachempfunden. Bei der Betrachtung der mierer aus der Open-Source-Community liegt wandt. zunutze machen. Bekannte Beispiele aus der 34 35 Unternehmenspraxis sind hier die Entscheidung Erstaunlicherweise führte die Recherche zum Thema zum Ergebnis, dass auch bei dieser Erfindung die Kräfte von CI am Wirken waren: Die Gebrüder Wright wurden bei ihren Flugexperimenten unentgeltlich von einer Koryphäe im Flugzeugbau unterstützt. (Wikipedia) Vgl. Goldberg 2002, S.1 von IBM, den Webserver Apache unter eine 36 58 Goldberg 2002, S.4 offene Lizenz zu stellen sowie die Überführung Zukunft ein entscheidender Faktor bei der In- des Webbrowserveteranen Netscape in das formationsbeschaffung sein wird. Anstelle eines Mozilla Project, aus dem seither verschiedene eigenen Endgerätes, dessen Entwicklung au- marktpotente ßerhalb der eigentlichen Kernkompetenzen des sind. Internet-Browser entstanden 37 Unternehmens gelegen hätte, wird eine Platt- Der Unterschied bei der Bereitstellung von form bereitgestellt, auf der Entwickler ein Mobil- SDKs im Vergleich zur Offenlegung eines be- telefon rund herum um Google Dienste entwer- kannten Produktes besteht darin, dass es sich fen können. Die strategischen Beweggründe bei SDKs nur um eine Plattform für weitere Ent- liegen auf der Hand. Ein Pool an interessierten wicklungen handelt, die per se noch nicht auf Entwicklern erzeugt das eigentlich avisierte ein spezielles Produkt abzielen muss. Als Bei- Zielprodukt, nämlich ein Mobiltelefon, das auf spiel für ein SDK kann das jüngst vom Unter- den Funktionen der von Google angebotenen nehmen Google lancierte Projekt „Android“ an- Dienste basiert und damit diesen Diensten wei- geführt werden. Von seiner Gründung an konnte tere Popularität verschafft. Der Bezug zu CI ist Google „Internet- so zu verorten: Wurden früher eigene Technolo- Suchmaschine“ einen kometenhaften wirtschaft- gien zur Verbesserung geöffnet oder in einem lichen Erfolg verbuchen. Die damalige Innovati- kreativen Prozess gemeinsam entwickelt, so on eines auf mathematischen Algorithmen ba- geben Unternehmen heute strategisch „vorprä- sierten „Page Ranks“, welcher die Verweise von parierte“ Baukästen an Entwickler, aus denen Webseiten auf andere als das für Suchergeb- diese daraus im Idealfall kreativ innovieren. mit der Kernleistung nisse relevante Kriterium heranzog, verhalf 5 CI als Bestandteil einer „Balanced Google innerhalb kurzer Zeit zu einem ausge- Scorecard“ moderner Innovationstä- zeichneten Ruf und damit zu einer marktbeherr- tigkeiten schenden Stellung. Unbeeindruckt von den Turbulenzen um die sog. „Internet-Blase“ gelang es Offene Innovation in Form von CI ist kein Phä- Google anschließend, durch eine dominante nomen, das erst in jüngerer Zeit und auf Basis Stellung im Markt für Internetwerbung exzellente von moderner Kommunikationstechnologie ent- Umsätze zu erzielen. Dies führte dazu, das standen ist, sondern wurde schon zu Anfang der Google heute aus einem Wirtschaftszweig her- industriellen Revolution praktiziert. Jedoch bie- aus, der vor 20 Jahren quasi noch nicht existier- ten sich durch die Voraussetzungen, die das te, heute unter den Unternehmen mit der größ- Informationszeitalter mit sich bringt, neue Chan- ten Marktkapitalisierung einen der oberen Plätze cen, da die potenzielle Dynamik und Leistungs- belegt. Um das Kernprodukt Suchmaschine fähigkeit offener und vor allem kollektiver Inno- gruppieren sich mittlerweile zahlreiche intern vationsprozesse gestiegen sind. Aus den voran- entwickelte Dienste wie Googlemail, Google gegangenen Ausführungen wird deutlich, dass Maps und Adsense sowie zugekaufte wie Blog- Unternehmen externe Ressourcen in ihre Inno- ger oder Youtube. Man kann von einer nahezu vationsprozesse integrieren sollten. Die genaue beängstigenden Dominanz von Google in der Ausprägung der Öffnung, also die Wahl des Informationswirtschaft sprechen. richtigen Instrumentes oder einer Kombination Google Android markiert nun Googles Eintritt ins derselbigen, seien es CI, User Integration, Inno- Geschäft mit mobiler Kommunikation, welche in vation Toolkits, SDKs, Lead-User-Einsatz oder 37 Vgl. Henkel 2003, S. 3 59 Forschungskooperation 38 , ist genauso klug zu Abb. 4: Integrierte Nutzung von Techniken „offener Innovation“ wählen wie die richtigen strategischen Betätigungsfelder: Eine „Balanced Scorecard“ moderner Innovationstätigkeiten sei hier vorgeschlagen, wie sie in Abbildung 4 dargestellt wird. Entscheidend ist hierbei eine ausgewogene und abgestimmte Komposition der einzelnen Maßnahmen zu treffen. Die genannten Konzepte moderner Innovationstätigkeiten müssen sich wie in einem Puzzle ergänzen. So ist davon Literaturverzeichnis auszugehen, dass ein erfolgreicher Einsatz dieser Konzepte nicht mit dem punktuellen, einma- Allen, R. C. (1983): Collective Invention, in: ligen Einsatz von bspw. Lead Usern getan ist. Journal of Economic Behaviour and Or- Vielmehr besteht die Forderung nach einer stra- ganization, Vol. 4 tegischen Planung der Nutzung moderner Innovationsformen, welche die strategische Rah- Goldberg, D. E. (2002): The Design of Innova- menplanung der herkömmlichen Innovationstä- tion - Lessons from and for Competent Ge- tigkeit eines Unternehmens ergänzen sollte. Die netic Algorithms, Illinios 2002 Hars, A./Ou, S. (2002): Working for free? Moti- Werkzeuge zum Erfolg liegen bereit, nun sollten sich Führungskräfte daran machen, ihre Fähig- vations for participating in Open Source pro- keiten in deren Gebrauch zu schulen. Dem jects, International Journal of Electronic Themenfeld CI – hier sei noch einmal an eine Commerce, 6, S. 25-39. weitere Begriffsauffassung angeknüpft - fällt Henkel, J. (2003): Open Source Software from hierbei ein besonderer Reiz zu. War es in der Commercial Firms - Tools, Complements, Vergangenheit schon möglich, unter Ausnut- and Collective Invention, in: Zeitschrift für zung kollaborativer Synergieeffekte ohne welt- Betriebswirtschaft, 2004 weite Vernetzung durch das Internet Innovationen großer Tragweite aus der Taufe zu heben, Hippel, E. von (1987): Cooperation Between nährt das Potential des Informationszeitalters Rivals: Informal Know-How Trading, Re- die Hoffnung, dass durch evolvierte Formen search Policy 16, S. 291-302. menschlicher Zusammenarbeit die InnovationsHiebel, Hans H. (1999): Große Medienchronik, dynamik und damit der Kern unternehmerischer München 1999, S. 1061ff. Prosperität auf ein neues Niveau gehoben wer- Lerner, J. / Tirole, J. (2004): The Economics of den könnte. Technology Sharing: Open Source and Beyond, NBER Working Paper No. 10956, Cambridge 2004. Mankiw, N. G. (2001): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2. Auflage, Stuttgart 2001. Meyer, P. B. (2003): Episodes of collective in38 Auf diese Methoden sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, ausführliche Darstellungen finden sich u. a. bei Reichwald/ Piller 2006. vention, Working Paper 368, Office of Pro60 ductivity and Technology, U.S. Department of Labour, Bureau of Labour Statistics, August 2003. Reichwald, R. / Piller, F. (2006): Interaktive Wertschöpfung, 1. Auflage, Wiesbaden 2006. Rossi, M. A. (2006): Decoding the free/open source software puzzle: A survey of theoretical and empirical contributions, in: Bitzer, J. and Schröder, P. J. H. (Hrsg.): The Economics of Open Source Software Development, Amsterdam, S. 15-55. Schumpeter, J. A. (1939): Business Cycles, A Theoretical, Historical, and Statistical Analysis of the Capitalist Process, Bd. 1, New York u.a. 1939, S. 86 Sauermost, R. / Freudig, D. (Red.) (2000): Lexikon der Biologie: in fünfzehn Bänden, Bd. 5. Elektivitätsindex bis Flitterzellen, Heidelberg 2000. Weiber, R. (2002): Die empirischen Gesetze der Netzwerkökonomie, in: Die Unternehmung, 56. Jg. (2002) Heft 5, 2002, S. 269-294 Weiber, R. (2006): Was ist Marketing? Grundlagen des Marketing und informationsökonomische Fundierung, Trier 2006 West, Geoffrey B. (2007): Innovation and Growth: Size Matters, in: Harvard Business Review, Februar 2007, S.34-35 61 Karsten Hardick Potentiale und Risiken von Open Source aus Sicht der Unternehmenspraxis 1 Open Source ist bei Unternehmen beliebt 2 Grundlagen von Open Source 3 Vorteile und Potentiale von Open Source 4 Nachteile und Risiken von Open Source 5 Reifegrad und Einsatzstrategien von Open Source 6 Alternative Open Source Trotz der darauf folgenden Ernüchterung bei 1 Open Source ist bei Unternehmen den Kursentwicklungen, war der Siegeszug von beliebt Open Source nicht mehr aufzuhalten. HeutzutaEine im Jahre 2004 durchgeführte Umfrage der ge wird Open Source Software im Unterneh- Meta Group unter 345 deutschen Unternehmen mensbereich derart häufig genutzt, dass ein ergab, dass 10 % der Betriebe mit 50 bis 99 Verzicht den Zusammenbruch der IT – Infra- Mitarbeitern und sogar über 50% der Betriebe strukturen mit mehr als 1000 Mitarbeitern das Open Sour- hätte. ce Betriebssystem Linux nutzen. 1 Prognosen in vielen Unternehmen zur Folge 5 rechnen für das Jahr 2010 zudem mit einer Die Gründe für den Einsatz von Open Source Marktführerschaft von Linux in Unternehmen. 2 Software, wie beispielsweise die geringen Kos- Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass quell- ten, erscheinen dabei durchaus logisch. Die offene Software auf dem Vormarsch ist und sich Tatsache, dass kommerzielle Firmen Open vor allem im Unternehmensbereich in Zukunft Source Produkte entwickeln und vertreiben, immer weiter etablieren wird. mag jedoch auf den ersten Blick paradox wirken. Wieso sollte ein Unternehmen dessen Ziel Die Verbreitung von Open Source Software war das Erwirtschaften von Gewinnen ist, ein kost- in den vergangenen Jahren von unterschiedli- bares Gut wie hoch entwickelte Software prak- chen Entwicklungsphasen geprägt. 3 So wurde tisch verschenken? Dieser und weitere Aspekte Open Source Ende der 90er noch als Kuriosum von Open Source im Unternehmensbereich betrachtet, dessen Möglichkeiten und Potentiale werden im Folgenden näher beschrieben. Zu- weitgehend unbekannt waren. Jedoch entwi- nächst erfolgt eine kurze Übersicht, die die In- ckelte sich in den Folgejahren schnell ein regel- halte der weiteren Kapitel zusammenfasst. rechter Hype um quelloffene Software und die Aktienwerte von Open Source Anbietern stiegen Im zweiten Kapitel werden der Begriff Open drastisch an. So konnte die Aktie des Unter- Source und die dazugehörigen Lizenzen genau- nehmens VA Linux im Jahr 1999 am Tag ihrer er definiert. Darüber hinaus erfolgt eine kurze Erstemission eine Steigerung von sagenhaften Beschreibung der Entwicklung von Open Source 733 % aufweisen und damit einen Rekord unter Software in den letzten Jahren. Das darauf fol- den amerikanischen Erstemissionen aufstellen. gende Kapitel beschäftigt sich mit den Vorteilen 4 und Potentialen von Open Source gegenüber 1 2 3 4 geschlossenen Systemen. In diesem Zusam- Vgl. Computerwoche 2004. Vgl. ZwahlenDesign 2006. Vgl. Alexy 2006, S. 4, in Anlehnung an Driver et al. 2005. Vgl. Heise Online 1999. 5 62 Vgl. Alexy 2006, S. 4, in Anlehnung an Driver/ Weiss 2005. menhang werden unter anderem das Kosten- Richard Stallmann 1983 durch seine Free- senkungspotential durch die Nutzung sowie der Software-Kampagne prägte, wurde aus Marke- Sinn einer aktiven Beteiligung an Open Source tinggründen durch Open Source ersetzt, da mit nachgewiesen. Aufmerksamkeit dem Begriff „frei“ oft „kostenlos“ anstatt „quellof- erfährt dabei die Zusammenarbeit der beteilig- fen“ assoziiert wurde. Stallmann sprach mit sei- ten Unternehmen im Entwicklungsprozess von ner Kampagne eher Hobby-Programmierer an, Open Source Software. Darüber hinaus wird in wohingegen die OSI es sich zur Aufgabe mach- Kapitel drei ein Geschäftsmodell beschrieben, te Open Source im Wettbewerb mit proprietärer welches Open Source sowie kommerzielle Pro- Software auch für die Wirtschaft interessant zu dukte miteinander kombiniert und somit Gewin- machen. Nach der Definition der OSI muss eine ne ermöglicht. Softwarelizenz im Wesentlichen folgende Ei- Besondere genschaften haben um als Open Source aner- Kapitel vier thematisiert die Nachteile und Risi- kannt zu werden: ken von Open Source. Auch hier wird zwischen • Nutzung und aktiver Beteiligung unterschieden. 7 Der Quellcode der Software muss in einer Dabei spielen die Unsicherheit von Open Sour- für den Menschen verständlichen Form vor- ce Software in Bezug auf Support und Weiter- liegen, d.h. in Form einer Programmierspra- entwicklung sowie der mögliche Verlust von che und nicht als binärer Code. intellektuellem Eigentum eine besondere Rolle. • Im fünften Kapitel wird der Reifegrad von Open Die Software darf von jedermann kopiert, verteilt und genutzt werden. Eine Forderung Source Software im Vergleich zu kommerziellen von Lizenzgebühren ist dabei nicht erlaubt. Produkten näher untersucht. Darüber hinaus • wird die Frage geklärt, in welchen Bereichen Der Quellcode der Software darf verändert eine Nutzung oder Beteiligung an Open Source und in der veränderten Form weitergegeben sinnvoll ist. werden. Darüber hinaus darf die Lizenz nicht auf einer 2 Grundlagen von Open Source bestimmten Technologie oder einem Standard Zunächst soll die Entstehung und Definition des basieren und keine Personen sowie Gruppen Begriffes Open Source erläutert werden. Dar- vom Nutzerkreis einer Anwendung ausschlie- über hinaus werden im Weiteren die wichtigsten ßen. Zu den bedeutendsten, der mittlerweile Lizenzen sowie die bisherige Entwicklung von über 60 von der OSI anerkannten, Open Source vorgestellt. Lizenzen gehört die General Puplic Licence (GPL), die Open-Source (engl. quelloffen) ist Software mit bereits 1989 von Richard Stallman entworfen frei veränderbarem Quellcode, der für jeder- wurde. Sie ist diejenige Lizenz, die die Quellof- mann zugänglich ist. Ihr gegenüber steht prop- fenheit von Software am effektivsten sicher- rietäre Software deren Quellcode geheim ist und stellt. 8 Neben den Anforderungen durch die OSI für die eine Lizenzgebühr bezahlt werden muss. trägt das sog. Copyleft-Prinzip maßgeblich dazu Der Begriff Open Source entstand im Jahre bei. Das Prinzip besagt, dass jeder der Software 1998 als Eric Raymond und Bruce Perens die unter einer GPL verändert, sie nur unter dersel- 6 Die ben Lizenz weiter verbreiten darf. Damit wird ursprüngliche Bezeichnung „Freie Software“, die das Ziel verfolgt, die Quelloffenheit einer Soft- Open Source Initiative (OSI) gründeten. 7 6 8 Vgl. Perens 2007, S. 133. 63 Vgl. Open Source Initiative 2006. Vgl. Henkel 2003, S. 5. ware auch nach der Weiterentwicklung von an- nur die Nutzung von Open Source Alternativen deren zu gewährleisten. Da die Lizenz somit die rasch voran. In den letzten Jahren gelangten private Aneignung von Software unmöglich auch viele kommerzielle Firmen zu der Über- macht, stellt die GPL praktisch die Geburtsstun- zeugung, dass neben der Nutzung eine aktive 9 de von Open Source dar. Bekannte Vertreter Beteiligung an Open Source lohnenswert ist. So von Software unter einer GPL sind Linux oder investierte im Jahr 2004 der Chiphersteller AMD OpenOffice. Eine weitere bedeutende Open- 5 Mio. US-Dollar in die Open Source Develop- Source-Lizenz ist die Berkeley Systems Distri- ment Labs, eine Vereinigung die gegründet bution (BSD). Sie kann jedoch im Gegensatz zur wurde um Linux zu fördern. Hauptkonkurrent GPL in eine proprietäre Lizenz umgewandelt Intel oder auch Firmen aus anderen Branchen werden, die dann die Kommerzialisierung einer wie Unilever sind ebenfalls Mitglieder der Open Ein Beispiel hierzu ist Source Development Laps. 12 Darüber hinaus das hauseigene kommerzielle Betriebssystem entwickeln aber auch immer mehr Firmen Open Mac OS X der Firma Apple, welches unter ande- Source Software und vertreiben sie kostenlos rem auf BSD - lizenzierten Softwareprodukten per Download im Internet. Bekannte Beispiele basiert. hierzu sind die börsennotierten Unternehmen Software ermöglicht. 10 Sun Microssystems mit der Programmierspra- In den Anfangszeiten von Open Source beteilig- che Java 13 und die schwedische MySQL AB mit ten sich größtenteils Hobby-Programmierer an ihrer Open Source Datenbank MySQL. 14 Open Source Projekten. Sie schlossen sich in Entwicklergemeinschaften zusammen und motivierten sich durch den Spaß am 3 Code- Vorteile und Potentiale von Open Source Schreiben und die Verbesserung der Software 3.1 Die Nutzung von Open Source ist nicht für die eigene Nutzung. Besonders durch das nur kostengünstig quelloffene Betriebssystem Linux wurde aber auch das Interesse der breiten Öffentlichkeit an Die einfachste Möglichkeit von Open Source Open Source geweckt. Zum ersten Mal gab es Software zu profitieren liegt sicherlich in deren eine Alternative zu Microsofts Betriebssystem Verwendung. So bietet quelloffene im Vergleich Windows, die dazu noch kostenlos erhältlich zu proprietärer Software ein enormes Kosten- war. Aber auch auf anderen Gebieten konnte senkungspotential. Es fallen weder Lizenz- noch sich Open Source Software etablieren. So be- Upgradekosten an, da die Software und mögli- sitzt der Open Source Internetbrowser Firefox che Upgrades kostenlos per Download erhältlich nach Schätzungen in Europa bereits einen sind. Darüber hinaus sind die Ausgaben für Marktanteil von 27,8 %, was als beachtlicher Administration nach Schätzungen ca. 25-50 % Teilerfolg im Wettbewerb mit dem Internet Ex- geringer als bei proprietärer Software. plorer von Microsoft (66,5%) gewertet werden Open Source Software in der Regel ressourcen- kann. 11 15 Da schonender ist, sind auch die Kosten für die Der Open Source Webserver Apache konnte sogar proprietäre Produkte weitgehend Anschaffung von Hardware niedriger. verdrängen und ist momentan der meistgenutzte Dieses Kostensenkungspotential wurde von Webserver im Internet. Jedoch schreitet nicht vielen Studien belegt. So untersuchte das Com12 9 10 11 13 Vgl. Osterloh/ Rota/ Lüthi 2006, S. 69. Vgl. Henkel 2003, S. 5. Vgl. XitiMonitor 2007. 14 15 64 Vgl. Heise Online 2004. Vgl. Golem.de 2007. Vgl. Heise Online 2007. Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75. petence Center Electronic Business am Fraun- Standards. 18 Eben diese Alternative zu den hofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisa- Produkten von Microsoft war für den Mitbegrün- tion im Jahr 2005 in einer Studie die Migration der der OSI Bruce Perens der Hauptgrund, von Mitarbeiterrechnern mit aktueller Software weshalb die Initiative in den Jahren nach ihrer von Microsoft auf Open Source Software. Hierzu Gründung solchen Erfolg hatte. 19 wurden auf Basis Ownership-Analyse einer Total-Cost-of- Ein großer Nachteil von kommerzieller Software, (TCO-Analyse) alle rele- die für den Vertrieb konzipiert wurde ist die Tat- vanten Kostentreiber ermittelt und monetär be- sache, dass sie immer ein Massenprodukt ist. wertet. Man gelangte zu dem Ergebnis, dass die So muss die Software einen breiten Nutzerkreis TCO der Open Source Software um 6,9 % nied- ansprechen, um hohe Verkaufszahlen zu errei- riger waren als die der Windows Software. 16 chen und damit die Entwicklungskosten zu de- Cybersource stellte sogar in einer Vergleichs- cken. Dementsprechend ist sie nicht speziell auf studie ca. 19 bis 36 Prozent niedrigere TCO von ein Unternehmen zugeschnitten, so dass ca. Linux gegenüber Windows fest. 17 Angesichts 50% der über den Handel erworbenen Software der Schwankungen in den Ergebnissen hängt nicht vollständig und effizient genutzt werden die Wirtschaftlichkeit von Open Source somit und die Anschaffung sich als Fehlinvestition stark vom jeweiligen Einsatzgebiet ab. So sind herausstellen kann. die Vorteile insbesondere dann sehr hoch, wenn 20 Ein möglicher Weg, um eine speziell an das Unternehmen angepasste geringe Schulungskosten für die neue Open- Software zu erhalten, ist eine unternehmensin- Source Software anfallen und gleichzeitig hohe terne Neuentwicklung oder eine externe Auf- Lizenzkosten gespart werde können. tragsentwicklung. Beide Lösungen sind jedoch Ein weiterer Vorteil von quelloffener gegenüber mit hohem Aufwand und Kosten verbunden. proprietärer Software ist die in der Regel höhere Falls die Mitarbeiter eines Unternehmens über Stabilität und Sicherheit. Der Grund hierfür liegt die technischen Kenntnisse verfügen Software im offenen Quellcode den jedermann einsehen selbst zu entwickeln, ist die Modifikation von kann, so dass Probleme oder Sicherheitslücken Open Source Produkten oft der einfachste und von vielen Testern erkannt und schnell behoben kostengünstigste Weg die benötigte Software zu werden können. Die höhere Stabilität und Si- erhalten. Durch die Quelloffenheit und meist cherheit hat zur Folge, dass der Aufwand für die gute Dokumentation von Open Source Software, Entwicklung, Optimierung und Verwaltung einer kann sie an die eigenen Bedürfnisse angepasst Anwendung gesenkt werden kann. werden und lässt sich so effektiver nutzen. Dabei muss die Lösung nicht komplett neu entwi- Ein weiterer Grund weshalb viele Firmen Open ckelt werden, sondern baut auf der Vorarbeit Source Software nutzen ist die dadurch sinken- anderer Entwickler auf. de Abhängigkeit von proprietärer Software. So stellte der deutsche Bundestag im Jahr 2005 die 3.2 Die gemeinsame Entwicklung schafft Server in der Verwaltung auf das Betriebssys- neue Standards tem Linux um und senkte damit nicht nur die Neben der reinen Nutzung von Open Source Abhängigkeit von Microsoft, sondern setzte Software kann ein Unternehmen aber auch aktiv auch ein Zeichen für die Unterstützung offener an deren Entwicklung und Förderung teilneh18 16 17 19 Vgl. Renner et al. 2005, S. 167. Vgl. Cybersource 2002, S. 5 f. 20 65 Vgl. Deutscher Bundestag 2005. Vgl. Perens 2007, S. 135. Vgl. Krass 2002. men. Dabei widerspricht die Quelloffenheit der tausch von Softwareentwicklern fördern. Dar- Software traditioneller über hinaus veröffentlicht Google auf der Websi- ökonomischer Thesen, welche besagen, dass te Informationen zu eigenen Tools und hofft Firmen ihr innovatives Wissen vor den Konkur- durch externen Entwicklungssupport Wege auf- renten geheim halten oder es durch Patente gezeigt zu bekommen, wie der eigene Quellco- schützen lassen sollten. Überall dort wo dies de zu verbessern wäre. 23 dem Grundgedanken nicht möglich ist, sei es schwierig Gewinne Die Zusammenarbeit von Firmen auf diese Wei- durch die Innovationen zu erzielen, so dass se wurde bereits 1983 von Robert C. Allen be- Anreize für neue Innovationen langfristig sin- schrieben. Er erklärte den raschen Fortschritt in ken. 21 der Hochofentechnologie im 19 Jhdt., durch die Die immer weiter fortschreitende Verbreitung Kooperation der beteiligten Firmen. 24 Dieses von Open Source beweist jedoch das Gegenteil. Innovationsmodell, das von ihm als Collective Durch die weit reichenden Lizenzen unter denen Invention bezeichnet wurde, fand ebenfalls bei Open Source Software steht wird das intellektu- der Entwicklung von Flachbildschirmen in den elle Eigentum welches in die Entwicklung der Jahren 1969 bis 1989 Anwendung. Hier erziel- Software mit einfließt für jedermann sichtbar. ten die Firmen, die ihr Wissen publizierten, e- Die einzelnen Softwareanbieter entwickeln so benfalls eine höhere Innovationsleistung als eine neue Beziehung zueinander, da sie nun diejenigen, die es geheim hielten. über das Wissen ihrer Konkurrenz verfügen und schied zu den historischen Beispielen, ist jedoch gemeinsam an Open Source Projekten arbeiten, der Open Source Bereich selbst nach der Ent- um sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Ko- wicklungsphase noch oft durch Collective Inven- operation bringt für die beteiligten Firmen ein tion gekennzeichnet. 26 Dies wird maßgeblich immenses Entwicklungspotential mit sich. Die durch das Copyleft-Prinzip der GPL ermöglicht, Zahl der Entwickler für ein Produkt wird erhöht, da es sicherstellt, dass quelloffene Software wobei jeder von den Verbesserungen des ande- auch nach mehreren Entwicklungsstufen für ren profitiert. Innovationen erfolgen dabei se- jedermann quelloffen bleibt. Eine Kommerziali- quenziell, d.h. jede Innovation baut auf der In- sierung der Software wird so nicht mehr mög- 22 25 Im Unter- Diese gegensei- lich. Nach Franck & Jungwirth kann Coplyleft tige Unterstützung führt so zu niedrigeren Kos- deshalb als geniale institutionelle Innovation ten und kürzeren Entwicklungszeiten. Darüber bezeichnet werden. 27 novation des Vorgängers auf. hinaus achten alle Teilnehmer darauf den Quell- Ein weiterer Grund für die Beteiligung von vielen code derart zu schreiben, dass Erweiterungen Unternehmen an Open Source, ist die Senkung leicht möglich sind. Dies hat einen strukturierten der Transaktionskosten bei Geschäften. 28 Da Quellcode und eine gute Dokumentation zur die Software kostenlos angeboten wird, gibt es Folge, was bei Projekten an denen nur ein Un- keine Verträge über Kaufbedingungen oder ternehmen arbeitet oft vernachlässigt wird. Ein Zahlungsabwicklungen. Darüber hinaus fallen Beispiel für eine derartige Kooperation liefert der Suchmaschinengigant Google. Seine Website 23 Google Code dient als Entwicklungsplattform für 24 Open Source Projekte und soll den Wissensaus- 25 26 21 22 27 Vgl. Henkel 2003, S. 4. Vgl. Bessen/ Maskin 2000, S. 2. 28 66 Vgl. PC-Welt 2005. Vgl. Osterloh et al. 2006,S. 66 in Anlehnung an Allen 1983. Vgl. Osterloh et al. 2006, S. 67 in Anlehnung an Spencer 2003. Vgl. Osterloh/ Rota/ Lüthi 2006, S. 65. Vgl. Frank/ Jungwirth 2003, S. 19. Vgl. Henkel 2003, S. 8. auch die Distributionskosten sehr niedrig aus. das größte Hemmnis, sodass sich nur durch Open Source Software kann im Internet, mittels eine offene Plattform herstellerübergreifend die Download, günstig und sehr schnell verbreitet passenden Produkte entwickeln lassen. 30 werden, wohingegen proprietäre Software in der Amigo profitieren letztendlich nicht nur die End- Regel immer noch in einer Verpackung und über nutzer, sondern auch die Hersteller aller Güter einen Händler den Weg zum Endabnehmer die an der Heimvernetzung beteiligt sind. findet. An Ein durchaus beachtenswerter Grund weshalb Diese Art der Verbreitung ist nicht nur teuerer, viele Firmen Open Source Software entwickeln sondern dämpft auch die Innovationskraft von und verbreiten, ist der Imagegewinn der dadurch Entwicklungen. So sind viele Softwareprodukte erlangt werden kann. Open Source wird, im für den kommerziellen Vertrieb ungeeignet, weil Gegensatz zu proprietärer Software, von vielen ihr Markt nicht groß genug wäre, um die Ent- Programmierern als „cool“ angesehen, sodass wicklungskosten zu decken. Viele Unternehmen eine Firma die sich an Open Source Projekten lehnen diese Produkte ab, weil es nicht gelingt beteiligt mit attraktiven Stellenbeschreibungen Investoren davon zu überzeugen, dass der aufwarten kann. Dies war für die Investment betreffende Markt entwicklungsfähig ist oder Bank Dresdner Kleinwort Wasserstein einer der 29 Im Zuge des Hauptgründe wieso sie ihr Integrations-Tool Collective Invention Prozesses bei Open Source Open Adaptor, das 5 Mio. Dollar Entwicklungs- Software, werden hingegen die Risiken und kosten verschlang, zu einer quelloffenen Soft- Kosten unter den beteiligten Firmen aufgeteilt, ware machte. so dass Investitionen in die betreffende Soft- sache, dass die Beteiligung an Open Source ware attraktiver sind. den Firmen ein hohes Renommee bezüglich der weil die Risiken zu hoch sind. 31 Ein weiterer Vorteil ist die Tat- technischen Fähigkeiten verleiht und sie so als Durch die gemeinsame Entwicklung sowie die produktive Mitglieder der Open Source Gemein- schnelle und weite Verbreitung von Open Sour- schaft geachtet werden. 32 ce Software können darüber hinaus neue Technologiestandards geschaffen werden, die für Durch Open Source Software kann letztendlich Softwarehersteller eine wichtige Entwicklungs- nicht nur die Abhängigkeit von proprietären Pro- basis darstellen. Eine Bedingung hierzu ist je- dukten gesenkt, sondern auch wirtschaftlicher doch, dass die Software für einen Großteil des Druck auf deren Hersteller ausgeübt werden. So Marktes von Interesse ist. Ein aussagekräftiges beschloss das Unternehmen Sun seine Büro- Beispiel ist die Open Source Software Amigo. software OpenOffice quelloffen und kostenlos zu Die Europäische Union unterstützt seit Oktober vertreiben, um so gezielt die Marktposition von 2007 die Entwicklung dieses Standards für die Microsoft und seiner Office-Software anzugrei- Heimvernetzung fen. von Hausautomatisierung, 33 Darüber hinaus gelang es durch die Ver- Unterhaltungselektronik, mobilen Geräten und öffentlichung von OpenOffice, die Marke Sun Computern. Beteiligt sind Hersteller von Unter- einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen haltungselektronik sowie Universitäten und For- und somit nachhaltig das Unternehmensimage schungseinrichtungen. Die Inkompatibilität der zu steigern. Da auch heutzutage die Vormacht- bereits zahlreich vorhandenen Ansätze und Technologien zur Hausvernetzung war bisher 30 31 32 29 33 Vgl. Perens 2007, S. 141. 67 Vgl. Diedrich 2007. Vgl. Howe 2002. Vgl. Henkel 2003, S. 10 f. Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75. stellung von Microsoft in den meisten Software- dem komplementären Gut verknüpft sein. Nur bereichen sehr hoch ist, eifern viele Unterneh- dann führen Verbesserungen der Software zu men dem Vorbild Sun nach und veröffentlichen höheren Absatzzahlen beim Gut. Ist diese Be- ihre Software quelloffen. Diese Unternehmen dingung erfüllt, stellt die Kombination von Open verzichten dabei bewusst auf mögliche Einnah- Source und kommerziellen Produkten ein inte- men durch den Verkauf der Software, um sich ressantes Konzept dar, welches offene und auf dem hart umkämpften Softwaremarkt neben geschlossene Systeme vereinigt. Microsoft einen Namen zu machen. 4 3.3 Gewinne durch Open Source sind Nachteile und Risiken von Open Source möglich 4.1 Open Source gibt keine Garantie Wie bereits beschrieben bietet Open Source Den zahlreichen Vorteilen von Open Source, viele Möglichkeiten im Bereich der Kostensen- stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. So kung. Dies gilt sowohl für die lizenzfreie Nutzung lässt sich Software erst durch das Zusammen- als auch für den günstigen Vertrieb. Jedoch ist spiel mit dem entsprechenden Humankapital, es darüber hinaus auch möglich durch Open d.h. mit einem versierten Anwender, effektiv Source Software Gewinne zu erwirtschaften. nutzen. 36 Durch den täglichen Umgang mit der So ist es oft zu beobachten, dass Firmen Open Software lernt der Nutzer diese immer besser Source Software in Kombination mit kommer- kennen und steigert so die Produktivität der ziellen Produkten anbieten. Ein Beispiel hierzu Software. In vielen Geschäftsbereichen fehlt liefert die Firma IBM, die seit 1998 ihre proprie- jedoch das nötige Humankapital für den Um- täre Software, den WebSphere Application Ser- gang mit quelloffener Software. Die meisten ver, zusammen mit dem Open Source Webser- Anwender haben Windows Know-how, während ver Apache anbietet. 34 Der Grund hierfür liegt beispielsweise Linux Kenntnisse noch ver- darin, dass IBM damals einen Webserver benö- gleichsweise selten sind. tigte um sein Angebot zu vervollständigen. Der Wechsel von proprietärer zu Open Source Soft- eigene Webserver hatte jedoch nur noch einen ware in einem Unternehmen hohe Schulungs- 35 Deshalb kann der so kosten verursachen. Da die Umstellung auf O- dass man sich dazu entschied, den populären pen Source Software einen Großteil der Mitar- Apache Webserver und seine weitere Entwick- beiter betrifft, können Netzwerkeffekte darüber lung zu unterstützen. hinaus zu erheblichen kollektiven Wechselkos- IBM beteiligt sich demzufolge an Open Source ten führen, die durch die Kombination der indivi- Software, um mit dem Verkauf eines komple- duellen Wechselkosten eines jeden Anwenders mentären Gutes Gewinne zu erwirtschaften. entstehen. Dieses Gut kann wie im genannten Beispiel ter im Umgang mit Open Source Software ist Software sein, aber auch Hardware oder eine ebenfalls darauf zu achten, dass die neue Serviceleistung wie etwa Benutzersupport. Technologie allgemeine Akzeptanz im Unter- Marktanteil von weniger als einem Prozent, Damit dieses Geschäftsmodell 35 Neben der Schulung der Mitarbei- nehmen findet. Häufig sind die Mitarbeiter nicht funktioniert, offen für die Einführung neuer Softwareproduk- muss die Open Source Software jedoch eng mit 34 37 te, weil sie den Lernaufwand bedingt durch die 36 Vgl. Moody 2002, S. 205 ff. Vgl. Moody 2002, S. 206. 37 68 Vgl. von Engelhardt 2006, S. 16. Vgl. Farrell/ Klemperer 2006, S. 91. Umstellung fürchten. Die genannten Nachteile Nachteil als auch ein Vorteil von Open Source können jedoch teilweise entkräftet werden, da Software sein kann. die Mehrheit aller Open Source Produkte sich in Ein gravierendes Problem bei der Nutzung von ihrer Bedienbarkeit von kommerziellen Produk- Open Source Software kann hingegen die ten, wie etwa denen von Microsoft, kaum unter- schlechte Kompatibilität zu proprietärer Software scheidet. Die Wechselkosten können demnach sein. Kommerzielle Softwareanbieter haben in stark schwanken und sind somit kein generelles der Regel kein Interesse an einer Zusammenar- Problem von Open Source Software. beit mit Open Source Produkten und veröffentli- Bezüglich der Supportleistungen bei offener chen weder Spezifikationen von Formaten noch Software ist eine differenzierende Betrach- von Schnittstellen. Dadurch kann der Datenaus- tungsweise ebenfalls notwendig. So sind Hilfe tausch zwischen proprietären und quelloffenen und Beratung bei manchen Open Source Pro- Systemen schwierig oder auch unmöglich wer- dukten schwierig zu erhalten und keinesfalls den. Diese Inkompatibilität ist jedoch ein Prob- garantiert. Bei anderen hingegen wird durch die lem, welches in der Regel nur von proprietärer Entwicklungsgemeinschaft in Internetforen eine Software ausgeht. Viele Open Source Produkte breite Unterstützung gewährleistet, die im Ge- haben keine Probleme proprietäre Dateiformate gensatz zum offiziellen Support eines kommer- zu lesen, so dass in den meisten Fällen von ziellen Softwareentwicklers oft kostenlos ist. Ein einer einseitigen Inkompatibilität gesprochen ähnliches Bild liefert die Weiterentwicklung von werden kann. Ein bekanntes Beispiel, welches Open Source Produkten. Wie auch beim Sup- dieses Problem verdeutlicht, sind die Microsoft port ist die Wartung, Pflege und Weiterentwick- Office und OpenOffice Dateiformate. So ist es lung dauerhaft nicht sichergestellt und kann nicht möglich mit der Software von Microsoft das jederzeit eingestellt werden. Jedoch kann dies Open Office Dateiformat zu lesen. Andererseits auch für kommerzielle Software zutreffen. Die hat OpenOffice keinerlei Probleme die Dateifor- Gefahr ist besonders hoch, wenn ein Nachfol- mate von Microsoft zu verarbeiten. Obwohl die- geprodukt auf dem Markt erscheint, denn dann ses Problem demnach nur durch proprietäre werden die Weiterentwicklungen und der Sup- Software verursacht wird, ist es dennoch ein port für das ältere Produkt oft vernachlässigt Nachteil mit dem Nutzer von Open Source Soft- oder eingestellt. So endete beispielsweise der ware im alltäglichen Gebrauch konfrontiert wer- Mainstream Support für Windows 2000 bereits den. vier Jahre nach Markeinführung. 38 Bei promi- Ein weiteres Problem, welches nicht vernach- nenten Open Source Projekten ist die Gefahr lässigt werden sollte, ist die Tatsache, dass der einer Einstellung der Leistungen hingegen sehr geplante Einsatz von Open Source Software gering, weil eine breite Entwicklergemeinschaft nicht immer zu realisieren ist. Beispielsweise beteiligt ist und wie im Fall von Open Office oder kann ein Unternehmen, welches Linux als Be- MySQL renommierte Unternehmen den Support triebssystem einsetzen möchte, Probleme be- sichern. Es lässt sich also folgern, dass der kommen, weil bestimmte dringend benötigte Bereich Support und Weiterentwicklung im Ein- Anwendungen nur auf Windows abgestimmt zelfall betrachtet werden muss und sowohl ein sind. Das Unternehmen wird somit praktisch gezwungen das Betriebssystem von Microsoft 38 Vgl. Renner et al. 2005, S. 174. 69 einzusetzen und von Open Source Lösungen Wettbewerb geführt wird. Wenn es außerdem Abstand zu halten. kaum alternative Software auf dem Markt gibt, ist die Veröffentlichung unter einer Open Source 4.2 Verlust von Ertragsströmen und Lizenz nicht immer die beste Lösung. intellektuellem Eigentum Das Teilen von intellektuellem Eigentum bietet, Unternehmen die Open Source Software entwi- wie bereits erläutert, viele Möglichkeiten. Unter ckeln und vertreiben sehen sich ebenfalls mit bestimmten Bedingungen kann es jedoch auch einigen Nachteilen konfrontiert. Der offensicht- nachteilig lichste Nachteil ist dabei die Tatsache, dass für sein. Wenn eine Firma BSD- lizenzierte Software in einen Collectiv-Invention- Open Source Software keine Lizenzgebühr ver- Prozess gibt, besteht die Gefahr, dass ein Kon- langt werden kann. Firmen die vor der Entschei- kurrent die Lizenz in eine proprietäre umwandelt dung stehen, ob sie entwickelte Software prop- und so die Software gegen eine Gebühr verkau- rietär oder quelloffen verbreiten, sollten daher fen kann. Um dies zu verhindern, sollte die Ba- den möglichen Profit gegen die Vorteile von sissoftware die weiterentwickelt wird unter einer Open Source abwägen. GPL stehen. Darüber hinaus sind viele UnterFür Firmen, die Software ursprünglich zur eige- nehmen immer noch verunsichert, wenn es um nen Nutzung entwickelt haben und daraufhin die Veröffentlichung des Quellcodes ihrer Soft- veröffentlichen wollen, ist Open Source oft die ware geht. Trotz der Vorteile wird das Teilen von beste Wahl. So ist es schwierig Software die für Wissen oft auch als Verlust interpretiert. Jedoch den Eigengebrauch gedacht war zu verkaufen, sind die Regelungen zur Offenlegung des Quell- da der Rollenwechsel vom Nutzer zum Verkäu- codes weniger streng als allgemein angenom- fer nicht ohne weiteres möglich ist. 39 Oft fehlt es men. Die GPL besagt zwar, dass der Quellcode an nötigen Verkaufskanälen, Service oder kom- jedem zugänglich gemacht werden muss, je- plementären Gütern. 40 Daher sind die Transak- doch muss dies nicht auf Eigeninitiative gesche- tionskosten um einen Absatzmarkt zu finden in hen. So ergab eine Umfrage unter Herstellern den meisten Fällen zu hoch. Darüber hinaus ist von „Embedded Linux“, dass 45 % der Firmen in nach Raymond 90 % des Quellcodes sehr spe- einigen Fällen den Quellcode nur dann veröf- ziell und nur für die unternehmensinterne Nutzung und nicht für den Verkauf bestimmt, 41 fentlichen, wenn danach verlangt wird. so geheim zu halten, wenn keine Anfrage erfolgt, einer Open Source Lizenz in diesem Fall keine jedoch widerspricht es auch den grundlegender Ertragsströme gefährdet. Intention von Open Source. Allerdings besteht die Gefahr, dass eine Firma Bei der Verbreitung von Open Source Software wettbewerbsorientierte Vorteile verliert, da die sollten außerdem die möglichen Kosten berück- Funktionen der Software nun auch von der Kon- sichtigt werden. So sind im Vergleich zu proprie- kurrenz genutzt werden können. 42 Diese Gefahr tärer Software die Distributionskosten von Open ist umso größer, desto höher der Konkurrenz- Source Software zwar geringer, jedoch nicht grad ist und desto stärker die Software mit dem gleich null. Die Veröffentlichung sollte gut vorbe- Geschäftsbereich verbunden ist in dem der 40 41 42 Dieses Vorgehen bietet die Möglichkeit den Quellcode dass die Veröffentlichung von Software unter 39 43 reitet sein, sonst ist schlechte Publicity die Folge. So muss der Quellcode strukturiert und gut Vgl. von Hippel 1988, S. 45. Vgl. Teece 1986, S. 288. Vgl. Raymond 1999, S. 142. Vgl. Henkel 2003, S. 12. 43 70 Vgl. Henkel 2006, S. 11. dokumentiert werden. Außerdem ist darauf zu der Befragten zur Reife von Open Source Soft- achten, dass der Quellcode keine Anteile enthält ware ermittelt. Die Befragten konnten anhand 44 einer fünfstufigen Ratingskala den Reifegrad für Darüber hinaus sollte die Website auf der die einen bestimmten Softwarebereich, relativ zu Software zum Download verfügbar ist, immer kommerziellen Produkten, bewerten (1 = Reife- auf dem neuesten Stand sein, was ebenfalls grad sehr gering, 5 = Reifegrad sehr hoch). Kosten verursacht. Darüber hinaus wurden die einzelnen Software- die unter einer proprietären Lizenz stehen. bereiche ihrer Bedeutung nach mit einer Rele- Die Möglichkeit Software bewusst unter einer vanzkennzahl versehen (1 = sehr niedrige Rele- Open Source Lizenz zu veröffentlichen um vanz, 5 = sehr hohe Relevanz), welche darüber Druck auf einen Wettbewerber auszuüben wur- Auskunft gibt, wie wichtig ein bestimmter Soft- de bereits beschrieben. Jedoch geschieht diese warebereich für die Nutzer ist. Anhand von bei- Maßnahme nicht immer ganz freiwillig. Oft sind den Charakteristika, lässt sich ein Relevanz- Firmen gezwungen ihre Software quelloffen zu Reifegrad-Portfolio ableiten, welches es ermög- verbreiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So licht Empfehlungen bezüglich des Einsatzes und erging es beispielsweise IBM. Das Unterneh- der Beteiligung an Open Source Software zu men bekam immer mehr Schwierigkeiten bei der Vermarktung seiner geben. Entwicklungsumgebung VisualAge. Daraufhin beschloss man das Open Source Projekt Eclipse zu starten, um nicht vollständig die Kontrolle am Markt für Entwicklungsumgebungen an die Konkurrenz zu verlieren. 45 Dieses Beispiel zeigt, dass die Veröffent- lichung von Software unter einer Open Source Lizenz in einigen Fällen der letzte Ausweg ist, um im Bewusstsein der Kunden zu bleiben. 5 Reifegrad und Einsatzstrategien von Open Source Angesichts der Vorteile von Open Source gegenüber geschlossenen Systemen stellt sich die Frage, ob der Reifegrad von kostenloser Software mit dem eines kommerziellen Produktes vergleichbar ist. Darüber hinaus soll diese Kapitel Aufschluss über mögliche Softwarebereiche geben, in denen eine Nutzung bzw. aktive Beteiligung an Open Source sinnvoll ist. Um die Qualität von Open Source im Vergleich zu proprietärer Software zu bewerten, wird erneut die Studie des Fraunhofer Institutes herangezogen. In der Studie wurden die Meinungen 44 45 Vgl. Hamerly/ Paquin/ Walton 1999, S. 199. Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75. 71 Abb. 1: Relevanz-Reifegrad-Portfolio von Open Source Software . nicht – differenzierende Standartsoftware Chance auf Erfolg, da genügend quelloffene Alternativen vorhanden sind und die Monopol- Open Source Software, die im oberen, rechten stellung von Microsoft gerade im Bereich der Quadrant angesiedelt ist, zählt größtenteils zu Betriebsysteme oder Officeanwendungen zu nicht – differenzierender Standartsoftware. Ver- stark ist. Darüber hinaus würde das Unterneh- treter aus diesem Bereich sind beispielsweise Betriebssysteme, Officeanwendungen men keine neue oder herausragende Technolo- oder gie anbieten, so dass kaum ein Nutzer bereit auch Grafiksoftware. Diese Art der Software ist wäre, für ein solches Produkt Lizenzgebühren von allgemeinem Interesse und besitzt eine zu zahlen. Bei nicht differenzierender Software, hohe Relevanz, da sie die grundlegenden IT – zu der etwa 90 % aller Software gehört, Bedürfnisse eines jeden Unternehmens erfüllt. 46 sind die Interessen der einzelnen Unternehmen oft Jedoch kann ihr Einsatz einem Unternehmen ähnlich und der Konkurrenzkampf gering, so- keinen Vorteil gegenüber einem anderen ver- dass eine Beteiligung an einer gemeinsamen schaffen. So können weder Betriebssysteme Entwicklung oft lohnenswert ist. Deshalb ist es noch Grafiksoftware dazu beitragen ein Unter- nicht verwunderlich, dass beispielsweise HP nehmen von anderen zu differenzieren, da sie und IBM gemeinsam an Software arbeiten, die jedem zur Verfügung stehen. beiden Unternehmen dabei hilft ihre Produkte zu Unternehmen, die sich auf dem Softwaremarkt verkaufen, und in anderen Bereichen weiterhin etablieren wollen, werden davon Abstand halten Konkurrenten sind. 47 für diese Art der Software eine Lizenzgebühr zu verlangen. Dieses Vorhaben hätte nur wenig 46 47 72 Vgl. Perens 2007, S. 138. Vgl. Perens 2007, S. 138. Die hohe Relevanz von Open Source Software qualitativ hochwertige Software mit geringer in diesem Bereich führt dazu, dass sich viele Relevanz Entwickler an der Verbesserung der Software Der obere, linke Quadrant in dem sich bei- beteiligen und somit qualitativ hochwertige und spielsweise Content- oder Dokumentenmana- benutzerfreundliche Produkte entstehen. Die gementsysteme befinden, kennzeichnet sich Verwendung der Software ist deshalb zu emp- einerseits durch einen hohen Reifegrad der fehlen und durch ihre hohe Einsatzhäufigkeit Software, andererseits jedoch auch durch eine wird das Einsparpotential zudem erhöht. Dar- geringe Relevanz, so dass aufgrund der einge- über hinaus sollte die weitere Entwicklung ge- schränkten Verbreitung der Software kaum Ein- fördert werden, um noch benötigte Funktionen in sparpotentiale vorhanden sind. Unternehmen die Software zu integrieren. können die vorhandene Open Source Produkte differenzierende Individualsoftware aus diesem Bereich nutzen, sollten sich aber mangels Perspektiven nicht aktiv an deren Wei- Der untere, rechte Quadrant zeichnet sich zwar terentwicklung beteiligen. 50 durch eine hohe Relevanz aus, jedoch fehlen ausgereifte Open Source Produkte. Dieser Be- qualitativ schlechte Software mit geringer Rele- reich kann zu differenzierender Individualsoft- vanz ware gezählt werden. Ein Beispiel hierzu ist die Ein ähnliches Bild gibt der untere, linke Quad- Collaborative Filtering Funktion 48 , die speziell rant wieder, in dem Produkte wie Video- oder für den Online-Shop Amazon angefertigt wurde. Sprachsoftware angesiedelt sind. Aufgrund der Sie sorgt dafür, dass Amazon sich von seinen niedrigen Relevanz der Software, ist hier eine Konkurrenten abheben kann und so für den Förderung von Open Source Projekten nicht zu Kunden ansprechender wird. Differenzierende empfehlen. Darüber hinaus sollte ein Unterneh- Software ist in der Regel nicht quelloffen zu men in diesem Bereich weiterhin proprietäre erhalten, da sonst jedes Unternehmen von ihren Software verwenden, da quelloffene Software zu technologischen Vorteilen profitieren könnte. Die unausgereift ist. Softwarehersteller haben in diesem Bereich Zusammenfassend lässt sich folgern, dass es wenig Interesse ein Produkt quelloffen zu ver- aus Unternehmenssicht durchaus sinnvoll ist in treiben, da die exklusive Entwicklung für ein bestimmten Bereichen Open Source Software Unternehmen hohe Gewinne ermöglicht, welche zu nutzen aber auch zu fördern und zu entwi- mit Standardsoftware nicht zu erreichen wären. ckeln. So verdeutlicht das NIVADIS Projekt der Deswegen veröffentlichen die meisten Soft- Polizei in Niedersachsen, dass quelloffene warehersteller lediglich nicht - differenzierende Software ein vollständiger Ersatz zu proprietä- Software unter einer Open Source Lizenz. In ren Lösungen sein kann. diesem Bereich sparen sie dann durch die Zu- In dem Projekt wer- den sämtliche EDV-Prozesse ausschließlich sammenarbeit mit anderen Unternehmen Kos- durch Open Source Produkte realisiert. Gerade ten und investieren die so frei gewordenen Mittel auch für kleinere Firmen bieten sich der Einsatz in die Entwicklung von differenzierender Software. 51 und die Beteiligung an Open Source Software 49 an, da keine teueren Lizenzen erworben werden müssen und kostenloser Entwicklungssupport 48 49 Empfehlungssystem: "Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, haben auch jenen gekauft." Vgl. Perens 2007, S. 147. 50 51 73 Vgl. Renner et al. 2005, S. 178. Vgl. Polizei Niedersachsen 2007. sowie billige Marketing Kanäle für die Verbrei- insbesondere auf Microsoft Produkte. Den zahl- tung vorhanden sind. Dennoch kann von einer reichen Vorteilen zum Trotz, scheint der Quasi- generellen Empfehlung für Open Source nicht standard von Microsoft noch zu tief im Bewusst- gesprochen werden. Je nach Einsatzgebiet und sein der Nutzer zu sein. Hauptsächlich dadurch Art des Unternehmens macht der Einsatz und ist es zu erklären das Open Source Produkte die Beteiligung an Open Source Sinn oder nicht, wie das sehr gelungen OpenOffice sich nur so dass eine Einzelfallbetrachtung notwendig schwer durchsetzen können. ist. Nachteile wie etwa mögliche Schulungskosten, 52 Denn selbst die aufgrund der hohen Ähnlichkeit von Open 6 Alternative Open Source Source zu proprietärer Software meist geringer Die Zeiten in denen der Begriff Open Source nur zu Buche schlagen als angenommen, sind nicht mit Hobby-Programmierern und kleinen Entwick- so gravierend, dass dadurch die Nutzung von lergemeinschaften in Verbindung gebracht wur- Open Source unmöglich wäre. de sind zu Ende. Die Nutzung und aktive BeteiUm die Verbreitung von Open Source weiter ligung an Open Source Software ist auch für voran zu treiben, müssen die Nutzer von der kommerzielle Firmen lohnenswert geworden. Qualität und der Benutzerfreundlichkeit infor- Sie profitieren dabei nicht nur vom Kostensen- miert und überzeugt werden. Außerdem müssen kungspotential sondern auch von stabilen, si- die Softwareentwickler ihre Ängste in Bezug auf cheren Systemen, die sich an die individuellen den Verlust von Ertragsströmen und intellektuel- Bedürfnisse anpassen lassen und somit die lem Eigentum überwinden. Ob quelloffene Soft- Unabhängigkeit von proprietärer Software si- ware letztendlich proprietäre Produkte dauerhaft chern. Auf Seiten der Entwicklung bietet das verdrängen kann, lässt sich zu diesem Zeitpunkt Prinzip der Collective Invention darüber hinaus nur schwer voraussagen. Marktführer Microsoft ein enormes Innovationspotential gegenüber wird mit seiner monopolistischen Einstellung geschlossenen Systemen. Die Firmen unterstüt- auch in Zukunft versuchen die Verbreitung von zen sich gegenseitig und teilen die Risiken und Open Source zu erschweren. Es bedarf somit in Kosten der Entwicklung untereinander auf. Es den nächsten Jahren weiterhin einer breiten werden Standards geschaffen von denen alle Unterstützung und einer geschlossenen Open beteiligten Unternehmen profitieren und durch Source Gemeinschaft, um den Erfolg von Open die Kombination von Open Source Software und kommerziellen Produkten, Source und die dadurch resultierenden Vorteile lassen sich sogar für alle Beteiligten zu sichern. Gewinne erwirtschaften. Open Source bietet Literaturverzeichnis demnach nicht nur Vorteile für einzelne Firmen, sondern auch für alle an einer Softwareentwick- Alexy, O. (2006): Promoting the Penguin: Who lung beteiligten Unternehmen und trägt somit is advocating Open Source Software in positiv zur Gesamtwohlfahrt bei. commercial settings?, TUM Business Darüber hinaus zeigt die Studie des Fraunhofer School, Technische Universtität München Institutes, dass Open Source Software quali- 2006. tätsmäßig proprietären Produkten, zumindest im Bereich der nicht differenzierenden Software, in nichts nach steht. Dennoch vertrauen viele Unternehmen weiterhin auf proprietäre Lösungen, 52 74 Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 77. Allen, R. C. (1983): Collective Invention, in: (2005): Hype Cycle for Open-Source Soft- Journal of Economic Behavior and Organi- ware, Gartner (22) 2005. sation 4(1) (1983), S. 1-24. Driver, M. / Weiss, G. J. (2005): Predicts 2006: Bessen, J. / Maskin, E. (2000): „Sequential In- The Effects of Open-Source Software on the novation, Patents, and Imitation, Working IT Software Industry, Gartner (5) 2005. 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Auf vielen gründet auf der Tatsache, dass sich Bedürfnisse Märkten bieten zahlreiche Hersteller ähnliche nicht gleichmäßig auf einem Markt entwickeln, Produkte oder Dienstleistungen zu vergleichbaren sondern dass es immer Marktteilnehmer gibt, die Preisen an. Um in diesen Branchen konkurrenz- solche Bedürfnisse zuerst verspüren und somit fähig zu bleiben, ist es unabdingbar, neue Pro- dem Markttrend voraus sind. 4 Diese Individuen dukte zu entwickeln, die sich an den Bedürfnissen oder Firmen werden als Lead User bezeichnet. der Kunden orientieren. 1 Da in einigen Branchen Lead User zeichnen sich dabei laut von Hippel mehr als 90% aller Produktneuentwicklungen durch zwei Kernmerkmale aus, die sie von ge- nicht auf dem Markt bestehen und ein großer Teil wöhnlichen Usern unterscheiden: der Innovationsprojekte bereits in der Entwicklungsphase scheitert, versuchen Hersteller ver- „Lead users face needs that will be general in a mehrt, die Bedürfnisse potentieller Kunden genau market place – but face them month or years be- zu untersuchen, um die Erfolgschancen ihrer Pro- fore the bulk of that market place encounters dukte zu erhöhen. Handelt es sich bei den Inno- them – and vationen lediglich um weniger revolutionäre Pro- Lead users are positioned to benefit significantly duktveränderungen, so stehen den Firmen zahl- by obtaining a solution to those needs.” 5 reiche erprobte Marktforschungsinstrumente zur Die Eigenschaft, dass Lead User dem allgemei- Verfügung, um die Bedürfnisse des Marktes zu nen Trend voraus sind, ermöglicht es, anhand evaluieren. Strebt ein Unternehmen jedoch eine deren heutiger Bedürfnisse die zukünftigen Be- „bahnbrechende“ Innovation an, so ist das Vorge- dürfnisse des Marktes zu prognostizieren. So hen der klassischen Marktforschung mittels Nach- können Unternehmen Produkte entwickeln, die fragerbefragung wenig geeignet. Herkömmliche den Bedürfnissen des zukünftigen Marktes ent- Erhebungsmethoden sind auf die Analyse beste- sprechen und sich somit frühzeitig einen Wettbe- hender Bedürfnisse beschränkt, zukünftige Be- 2 3 4 1 5 Vgl. Nagel 1993, S. 2. 78 Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 554. Vgl. Urban/ von Hippel 1988. Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügel 2007, S. 17. Urban/ von Hippel 1988, S. 569. werbsvorteil gegenüber Konkurrenzunternehmen Phasen untergliedert. Die Benennung der Schritte verschaffen. differiert bezüglich den Darstellungen der einzelnen Autoren, inhaltlich stimmt die Struktur jedoch Lead User erwarten einen Nutzen durch eine weitgehend überein: 7 Innovation, deshalb zeigen sie eine hohe Motivation, bei der Entwicklung eines Innovationskon- In der ersten Phase gilt es einen dominanten zepts mitzuwirken. Häufig haben sie bereits Lö- Trend zu identifizieren. Daraufhin werden dann sungsansätze entwickelt, die in die Produktent- die Lead User dieses Trends identifiziert und de- wicklung eingebunden werden können. 6 ren Bedürfnisse in der dritten Phase in die Entwicklung einer Innovation eingebunden. Zuletzt Anhand dieser beiden zentralen Merkmale kön- wird dann die Übertragbarkeit des Neuproduktes nen Lead User klar von anderen Usern abge- bzw. des Konzeptes auf die Marktbedürfnisse grenzt werden. Dabei ist es wichtig zu beachten, geprüft. dass Lead User nicht zwangsläufig Endverbraucher sein müssen. Häufig handelt es sich um 2.1 Identifikation eines bedeutsamen techno- Unternehmen, die ein Produkt oder eine Dienst- logischen oder marktbezogenen Trends leistung zur Erstellung ihres eigentlichen Produk- Wie bereits im ersten Abschnitt erläutert, sind tes nutzen. Lead User Nachfrager, die dem allgemeinen In diesem Beitrag soll nun zunächst der Ablauf Markttrend in ihren Bedürfnissen voraus sind. Da einer Innovation unter Einbeziehung von Lead es auf jedem Markt in der Regel mehrere Trends Usern schematisch dargestellt werden. Im nächs- gibt, die sich nebeneinander entwickeln, muss ten Schritt sollen dann mehrere praktische Um- sich ein Unternehmen zu Beginn einer Lead-User- setzungen des Konzepts einer gegenübergestellt Innovation auf einen oder mehrere Markttrends und verglichen werden. Der Fokus liegt dabei auf festlegen. Dazu muss zunächst untersucht wer- den Methoden, die zur Identifikation der Lead den, welche unterschiedlichen Trends auf einem User Anwendung finden, da dies der wichtigste Markt vorherrschen. Zur Identifikation der Markt- Bereich und maßgeblich für den „Erfolg“ der An- trends stehen üblicherweise zwei Erhebungsme- wendung des Lead User Konzeptes ist. Ziel ist es thoden zur Verfügung: dabei herauszufinden, ob sich aus den Praxisbei- 1. Sekundärerhebung: spielen typische und bewährte Vorgehensweisen In eine Sekundärerhebung können externe und ableiten lassen. Im nachfolgenden Abschnitt sol- betriebsinterne len dann anhand der Ergebnisse Potentiale, aber Informationen einfließen. Die Trends werden dann durch die Aufbereitung, Ana- auch Grenzen des Lead User Konzepts sowohl lyse und Interpretation bestehender Daten etwa die Theorie als auch die praktische Umsetzung aus Publikationen, Datenbanken oder auch dem betreffend dargestellt werden. Abschließend wer- Internet gewonnen. Dies ist häufig sinnvoll, da auf den die Ergebnisse zusammengefasst und eine vielen Märkten zahlreiche Marktforschungsstudien Gesamtbewertung des Konzepts vorgenommen. und Trendforschungen bereits durchgeführt wur- 2 Ablauf eines von Lead Usern den. Zudem ermöglicht das Internet heute einen gestützten Innovationsvorhabens Der Innovationsprozess unter Einbeziehung von Lead Usern wird in den meisten Studien in vier 7 6 Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 570. 79 Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 561; Urban/ von Hippel 1988, S. 570f.; Springer et al. 2006, S. 6ff; Herstatt/ von Hippel 1992, S. 216ff. schnellen und kostengünstigen Zugriff auf viele dieser Informationsquellen. 2.2 Identifikation der Lead User 8 Dieser Schritt bildet den Betrachtungsschwer- 2. Experteninterviews punkt des dritten Abschnitts, weshalb er hier nur kurz skizziert werden soll. Bei dieser Methode werden Experten zu bestehenden Markttrends befragt. Entscheidend für Bevor die Lead User eines Trends ausgemacht den Erfolg dieser Methode ist die richtige Auswahl werden können, müssen zunächst Indikatoren zur der Experten. Als Experten kommen dabei prinzi- Auswahl der Lead User festgelegt werden. Wie in piell auch Normalanwender oder Extremanwen- Abschnitt 1 erläutert, zeichnen sich Lead User der, neben ausgemachten Fachexperten in Frage. durch eine führende Position im jeweiligen Trend Um möglichst umfassende Ergebnisse zu erhal- und die Erwartung eines hohen Nutzens durch die ten, sollten alle dabei möglichst aus jeder der drei Innovation aus. Da diese Merkmale nicht direkt Kategorien Personen in die Untersuchung einbe- erhoben werden können, müssen Indikatoren zogen werden, da sie aufgrund ihrer unterschied- ermittelt werden, die diese beiden Merkmale wi- lichen Erfahrung verschiedene Erkenntnisse und derspiegeln. Dabei müssen diese Indikatoren die Sichtweisen liefern. Die Experten sollten darüber allgemeinen Charakteristika von Lead Usern mit hinaus aus mehreren Wissensfeldern ausgewählt den spezifischen Trends verbinden. Mögliche werden. Zudem können neben dem vorliegenden Indikatoren sind z. B. eigene Produktenwicklun- Zielmarkt auch analoge Märkte berücksichtigt gen eines Users, Unzufriedenheit mit bestehen- werden. Die Expertise sollte also möglichst breit den Produkten und die Geschwindigkeit der A- angelegt werden, um sicher zu stellen, dass keine daption von Innovationen. Anhand der ausge- wichtigen konkurrierende wählten Indikatoren werden dann durch verschie- Ideen und neue erwachsende Märkte übersehen dene Erhebungsmethoden mögliche Lead User werden. Entwicklungen, wie 9 identifiziert. 11 Die beiden Methoden der Expertenbefragung und Nach der Identifikation möglicher Lead User er- der Analyse von Sekundärdaten schließen sich folgt die Endauswahl geeigneter Lead User. Da- gegenseitig nicht aus. Häufig führen Unterneh- bei sind folgende Kriterien von zentraler Bedeu- men zunächst eine Sekundäranalyse durch, um tung: sich einen Überblick über die Entwicklungen des Motivation des Lead User, an einer Konzept- Marktes zu verschaffen und überprüfen bzw. kon- entwicklung mitzuwirken kretisieren ihre Ergebnisse dann durch Experten Bereitschaft, konkrete Lösungskonzepte beizu- interviews. Anhand der erhobenen Informationen steuern bzw. Informationen und Wissen weiter- werden dann verschiedene Trends identifiziert, zugeben die durch Experten und/oder interne Firmenteams bewertet werden. Abschließend werden ein oder offene Kommunikation im Team mehrere Trends ausgewählt, für die ein innovati- Einhalten ves Produktkonzept entwickelt werden soll. 10 Im von Geheimhaltungs-/ Schweige- pflichten nächsten Schritt werden dann die Lead User zu Ein Lead User ist nicht zwangsläufig zur Einbin- den entsprechend selektierten Trends gesucht. dung in den Innovationsprozess geeignet. Hat ein Unternehmen nicht die Kapazitäten für die Teil8 9 10 Vgl. Pötz et al. 2005, S. 24f. Vgl. Lüthje/Herstatt 2004, S. 562. Vgl Pötz et al. 2005, S. 26ff. 11 80 Vgl. Springer et al. 2006, S. 6. nahme oder aber bereits ein eigenes Lösungs- menarbeit zur Verfügung. Diese lassen sich in konzept entwickelt, das es nicht vermarkten will, vier Gruppen unterteilen: 15 kommt es nicht in Frage. Auch Privatpersonen, Anwenderbeobachtung die als Lead User identifiziert wurden, sind nur Anwenderbefragung dann als Partner geeignet, wenn sie bereit sind, gemeinsame Arbeitsgruppen und Kreativitäts- ihre Erfahrungen und Ideen in den Innovationsprozess einzubringen. Darüber hinaus muss der workshops Lead User vertrauenswürdig sein, da ein Innova- Mitarbeiteraustausch zwischen Hersteller und tionskonzept unbedingt vor der Konkurrenz am Anwender Markt geheim gehalten werden muss. Solche Eigenschaften der Lead User müssen daher von Welche Methode am sinnvollsten ist, ist von der den Interviewern bei der Befragung mit berück- Branche und den speziellen Merkmalen einer sichtigt werden. Innovation abhängig. In der Praxis zeigt sich je- 12 doch folgender Zusammenhang: Je höher der 2.3 Entwicklung eines Innovationskonzeptes Investitionsgrad, also je neuartiger das Produkt In diesem Schritt sollen aus den Erfahrungen und ist, desto enger ist in der Regel die Zusammenar- Bedürfnissen der Lead User Produktkonzepte beit mit den Lead Usern bzw. fruchtbarer er- entwickelt werden, die für den Markt geeignet scheint eine intensive Zusammenarbeit. scheinen. In manchen Fällen haben die Lead 16 Eine häufig genutzte Form der Zusammenarbeit User bereits eigene Konzepte entwickelt, die in ist der Workshop. Da diese Methode auch in den die Konzepterstellung einfließen können. 13 in Abschnitt 3 untersuchten Praxisbeispielen von Bei der Erstellung eines Produktkonzeptes kann besonderer Bedeutung ist, soll sie hier kurz erläu- das Unternehmen entweder aus den erhobenen tert werden. Teilnehmer des Workshops sind in Daten im Team selbstständig Konzepte entwi- der Regel ausgewählte Lead User, Mitarbeiter ckeln oder aber die Lead User aktiv in die Ent- des firmeninternen Teams, externe Experten und wicklung einbeziehen. Der Vorteil einer unter- in einigen Fällen Mitarbeiter des Unternehmens, nehmensinternen Produktentwicklung ist die bes- die nicht direkt in die Produktentwicklung invol- sere Absicherung der Geheimhaltung. Dagegen viert sind. Die Entwicklung von Produktkonzepten spricht, dass die Teilnahme der Lead User an der erfolgt dann üblicherweise in vier Schritten: Konzeptentwicklung und die Interaktion zwischen 17 1. Problemdefinition den Lead Usern häufig zur Gewinnung relevanter 2. Definition der Bedürfnisse hinsichtlich der Informationen erforderlich sind. Zudem sind diese Problemlösungen selbst am besten in der Lage, ihre konkreten Erwartungen an ein Produkt zu formulieren bzw. umzusetzen. 3. Konkretisierung der Anforderungen an das 14 Produkt Entscheidet sich ein Unternehmen für die Einbe- 4. Generierung von Ideen und Lösungskonzep- ziehung der Lead User in die Produktkonzeption, ten stehen ihm zahlreiche Möglichkeiten zur Zusam- 12 13 14 2.4 Test des generierten Produktkonzepts 15 Vgl. Pötz et al. 2005, S. 40f. Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 571. Vgl. Pötz et al. 2005, S. 41. 16 17 81 Vgl. Springer et al. 2006, S. 8. Vgl. Springer et al. 2006, S. 8. Vgl. Pötz et al. 2005, S. 41ff. Die Lead-User-Methode basiert auf der Grundla- 3.1 Projektauswahl der Meta-Analyse ge, dass Lead User bereits Bedürfnisse haben, Im Folgenden sollen zehn Projekte in einer Tabel- die der Markt in Zukunft entwickeln wird und sich le dargestellt werden, in denen die Lead-User- somit zukünftige Trends an den Bedürfnissen der Methode praktisch umgesetzt wurde. Die Tabelle Lead User ablesen lassen. Inwieweit der Markt 1 beschränkt sich auf die Darstellung der Identifi- tatsächlich diese Bedürfnisse entwickelt, ist je- kation von Trends und der Identifikation der Lead doch zu Beginn des Innovationsprozesses nicht User mit den Unterpunkten: verwendete Lead- eindeutig zu erfassen. Daher muss das mit den User-Indikatoren, Methode zur Identifikation und Lead Usern erarbeitete Produktkonzept auf seine beachtete Stichprobe. Die Fallbeispiele stammen Markttauglichkeit getestet werden. Dazu stehen aus verschiedenen Branchen und stammen auch verschiedene Methoden wie Score-Tests, Mini- aus verschiedenen Jahren, um einen möglichst market-Tests und Testmarkt-Simulationen mit differenzierten Überblick über bisherige For- Anwendergruppen zur Verfügung, die eine struk- schungsergebnisse zu gewährleisten. Allerdings turelle Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit mit den stellen die untersuchten Studien nur eine kleine Lead Usern aufweisen. Bestätigen die Tests die Auswahl der existierenden Studien dar, weshalb Attraktivität des Konzeptes für den gesamten kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden Markt, so kann der Unternehmer mit einem Erfolg kann. Dennoch lässt sich anhand der durchge- seines generierten Produktes am Markt rechnen. 3 führten Analyse ein Muster im Vorgehen bei der 18 Identifikation der Lead User ermitteln. Umsetzung des Lead-User-Konzepts in 3.2 Methoden zur Identifikation von Lead U- der Praxis sern Anhand mehrerer konkreter Anwendungsbeispiele Alle untersuchten Fallstudien haben zur Identifika- des verschiedenen tion der Lead User zunächst einen Trend ausge- Branchen soll nun die praktische Umsetzung der wählt. In einigen Studien wurde der Trend mit im zweiten Abschnitt dargestellten Vorgehenswei- Hilfe von Expertengesprächen identifiziert, in an- se näher beleuchtet werden. Dabei sollen in ers- deren wurde vorab Sekundäranalyse durchge- ter Linie die Identifikation von Trends und die führt. Zur Identifikation der Lead User wurden Methoden der Lead-User-Identifikation dargestellt dann zunächst Indikatoren entwickelt, die sie be- werden, da diese Schritte zentral für die Erstel- züglich des ausgewählten Trends charakterisie- lung eines erfolgreichen Produktkonzeptes sind. ren. Für den Suchprozess selbst stehen zwei Zunächst wird das Vorgehen einzelner Studien in Instrumente zur Verfügung, die in den untersuch- Lead-User-Konzepts aus 19 ten Studien häufig kombiniert wurden : einer Übersicht dargestellt. In einem zweiten Schritt soll dann untersucht werden, ob bestimmte Muster im Vorgehen der einzelnen Untersuchungen existieren. Ziel ist es zu überprüfen, in wieweit die theoretischen Vorgaben in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden (können) und welche konkreten Methoden in der Praxis zur Identifikation von Lead Usern angewendet werden. 19 18 Vgl. Franke/Shah (2003), S. 161f; Lüthje/Herstatt/von Hippel (2002) S. 10ff; Herstatt (2003), S. 9f; Pötz et al. (2005), S.37. Vgl. Springer et al. 2006, S. 9. 82 Studie Produktbereich Identifikation Identifikation der Lead User von Trens Urban/von Hippel (1988) CAD Software (USA) Indikatoren Expertenbefragung Entwicklung eigener Konzepte Diskussionsgruppen Zufriedenheit mit bestehenden Systemen Methode Telefonische Befragung Rohraufhängungen Hilti AG (Schweiz, Deutschland, Österreich) Expertenbefragung Trendführerschaft Hoher erwarteter Nutzen Innovationstätigkeit Morrison/ Roberts/ von Hippel (2000) Bibliotheksysteme (Australien) Keine Angaben Zufriedenheit mit bestehenden Lösungen Innovationsbarrieren Leading-edgeStatus Zufallsstichprobe anhand einer Kundenkartei und Liste potenzieller Kunden N=136 Adoptionsverhalten Herstatt/von Hippel (1992) Stichprobe Befragung der Verkaufsabteilung Telefoniterview mit qualifizierten Experten Firmen die Rohraufhängungen einsetzen Prescreening per Telefoninterview Zufallsstichprobe aus öffentlichen und privaten Bibliotheken Halbstrukturierte Interviews Schriftliche Befragung N=74 N=102 Meinungsführerschaft Einzigartigkeit der Bedürfnisse Adopstionsverhalten Lüthje (2000) Franke/Shah (2003) Outdoorsport, Klettern, Wandern, Ski, Moutnainbiking (Deutschland) Sportequipment für Segelfliegen, Canyoning, Boardercross, Behindertensport (Deutschland) Keine Angaben Expertenstatus (Wissen und Erfahrung) Keine Angaben Schriftliche Befragung Bestehende Kunden Pretest mit innovativen Nutzern N=158 Erwarteter Nutzen Erwarteter kommerzieller Erfolg Persönliches Interview Aktive Rolle in der Community Beziehung zu anderen Mitgliedern Befragung von Communityadministratoren und Auswahl geeigneter Communities Zeit in der Community Qualitative Interviews Mitglieder der 4 Communities N=197 Schriftliche Befragung Lüthje/ Herstatt/ von Hippel (2002) Mountainbiking (USA) Literaturrecherche Maß an Erfahrungen Expertenbefragung Technisches Wissen Innovationsverhalten 83 Expertenbefragung Internetrecherche Schriftliche Befragung Mitglieder der MountainbikeClubs und Internetforen N=291 Studie Produktbereich Identifikation Identifikation der Lead User von Trens Franke/ von Hippel (2003) Apache Security Software (International) Indikatoren Keine Angaben ProgrammierFähigkeiten Zufriedenheit mit Apache Lösungen Methode Stichprobe Identifikation aktiver CommunityMitglieder Registrierte Nutzer der Apache-Community Online Befragung N=138 Vorauswahl bereits bekannter Experten Ärzte und Wissenschaftler Zahlungsbereitschaft für verbesserte Lösungen Herstatt (2003) Chirurgische Produkte (Deutschland) Expertendiskussion Innovationsführer Internetrecherche Probleme mit bisherigen Lösungen Befragung von Extremanwendern Hoher erwarteter Nutzen N=50 Internetrecherche Weiterempfehlung durch Lead User Semi-strukturierter Fragebogen Tiez et al. (2004) Kite Surfing (Australien) Expertenbefragung Spezifisches Wissen Schriftlicher Fragebogen Maß an Erfahrungen Interviews mit potenziellen Lead Usern Mitglieder der Australian Kite Surfing Association N=157 Bewertung der Innovationen durch Experten Franke / von Hippel/ Schreier/ (2006) Kite Surfing (International) Literaturrecherche Trendführerschaft Expertenbefragung Hoher erwarteter Nutzen Technisches Wissen Online-Befragung zur Identifikation innovativer Kunden Mitglieder mehrerer OnlineCommunities Bewertung der Konzepte mittels Experten N=456 Verfügbare Kontakte 1. Der Screening-Ansatz 2. Der Pyramiding-Ansatz (Networking-Ansatz) Bei diesem Vorgehen werden Lead User inner- Im Gegensatz zum Screening-Ansatz geht der halb einer Stichprobe anhand der festgelegten Pyramiding-Ansatz nicht von einer festgelegten Lead-User-Indikatoren durch eine Art Rasterfahn- Stichprobe aus. Ausgangspunkt für die Identifika- dung identifiziert. Häufig geschieht dies durch tion der Lead User sind hier eine oder mehrere einen standardisierten Fragebogen, wie er auch in Startpersonen, in der Regel Experten. Diese wer- den analysierten Fallstudien verwendet wurde. de aufgefordert, Marktteilnehmer zu benennen, Die Befragung mit dem standardisierten Fragebo- die ihrer Meinung nach die Kriterien eines Lead gen geschieht in der Regel persönlich, via Internet Users erfüllen. Die so ermittelten Lead User wer- oder per Telefon. Dieses Vorgehen ermöglicht es, den wiederum nach weiteren Lead Usern befragt. viele User in kurzer Zeit zu befragen. Besonders So werden in einer Art Schneeball-Prinzip die empfehlenswert ist dieses Vorgehen bei einer Lead User eines Trends ermittelt. Dieses Vorge- überschaubaren Zahl von Anwendern, da so ein hen ermöglicht die Identifikation von Lead Usern Sceening aller User möglich ist. 20 in Zielmärkten, die für ein Screening zu groß sind. Weiterhin sind Lead User auf vielen Märkten aufgrund ihrer Reputation bereits bekannt, weshalb 20 sie durch wenige Befragungen ressourcenspa- Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 8; Pötz et al. 2005, S. 36ff. 84 rend identifiziert werden können. Ein weiterer ergeben sich zahlreiche Potentiale und Grenzen Vorteil ist die Möglichkeit, durch die Befragung des Vorgehens. Diese sollen in den nächsten einzelner Experten auch Hinweise auf analoge beiden Kapiteln näher untersucht werden. Märkte zu erhalten. Voraussetzung für die An- 4 Potentiale der Lead-User-Analyse wendbarkeit des Pyramiding-Ansatzes sind enge Verbindungen zwischen den Marktteilnehmern. 4.1 Verbesserung der Marktposition Dies ist Bedingung dafür, dass Marktteilnehmer in Wie bereits in Punkt 1 erläutert, kann sich der der Lage sind, Lead User zu identifizieren. 21 Großteil der Produktinnovationen nicht am Markt Die beiden Ansätze schließen einander nicht aus, durchsetzen. Dies ist häufig darauf zurückzufüh- sondern werden in der Praxis häufig kombiniert. ren, dass die Produkte nicht ausreichend auf die Stellt sich ein Ansatz im konkreten Fall als unge- Bedürfnisse des Marktes abgestimmt sind. Um eignet heraus, kann der jeweils andere eingesetzt dieses Risiko zu senken, werden Lead User in werden. Des weiteren kann es sinnvoll sein, die den Innovationsprozess eingebunden. Diese kön- beiden Methoden nacheinander anzuwenden. nen die besten Informationen liefern und sind in Dabei kann sowohl mit dem Screening- als auch der Lage, das Potential von Innovationen am bes- mit dem Pyramiding-Ansatz begonnen werden. ten einzuschätzen, weil sie schon reale Erfahrun- So ist es möglich, durch ein Screening potentielle gen mit neuen Bedürfnissen haben. 23 Durch die Lead User und Experten zu identifizieren und Einbindung der Lead User in den Innovationspro- diese dann, gemäß des Pyramiding-Ansatzes, zess kann somit die Qualität und Einzigartigkeit nach weiteren Lead Usern zu befragen. Dieses eines Produktes gesteigert werden, was zu einer Vorgehen wählt Herstatt (2003) in seiner Studie Steigerung der Marktchancen des Produktes zu chirurgischen Produkten. Zunächst identifiziert führt. 24 Somit wird das Marktrisiko gesenkt und er durch ein Screening die Lead User unter den der Hersteller verschafft sich idealerweise einen bekannten Experten. Diese werden dann per E- Wettbewerbsvorsprung gegenüber seinen Kon- Mail gebeten, Hinweise auf andere Lead User, kurrenten. Weiterhin kann durch das Verfahren Experten oder analoge Suchfelder zu geben. eine Zeit- und somit Kostenersparnis erreicht Weiterhin kann mittels Pyramiding zunächst die werden. 25 Ein weiterer möglicher positiver Effekt Stichprobe evaluiert werden, die dann per Scree- der Einbindung von Lead Usern hält über die ein- Dieses zelne Produktentwicklung hinaus an. Da bei ei- Vorgehen wurde zum Beispiel in den Studien von nem Lead-User-Projekt in der Regel ein firmenin- Franke/Shah (2003) zu Sportequipment und von ternes Team gebildet wird, das aus Mitarbeitern Lüthje/Herstatt/von Hippel (2002) zum Mountain- verschiedener biking verwendet. Zunächst wurden Experten Lead-User-Projekt die Zusammenarbeit zwischen nach Gruppen/Communies befragt, die einen einzelnen Unternehmensabteilungen (z. B. tech- hohen Innovationsgrad aufweisen. Mit Hilfe eines nische Abteilung und Marketingabteilung) nach- Fragebogens erfolgte dann ein Screening der haltig verbessern. Stichprobe zur Identifikation von Lead Usern. User-Integration im Innovationsprozess also zu ning auf Lead User untersucht wird. 22 Abteilungen besteht, kann ein 26 Insgesamt kann die Lead- einer Verbesserung der Marktposition eines UnAus den untersuchten Fallstudien und den theore- ternehmens beitragen. tischen Ausführungen zur Lead-User-Analyse 23 21 22 24 Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 8. und Pötz et al. 2005, S. 36ff. Vgl. Pötz et al. 2005, S. 38. 25 26 85 Vgl. Schreier/ Prügl 2006, S. 27. Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 553ff. Vgl. Pötz et al. 2005, S. 14. Vgl. Herstatt/ von Hippel 1992, S. 221. Entwicklung von Innovationen nutzen. Lead User 4.2 Lead User als Opinion Leader können zudem aufgrund ihrer Vorreiterrolle im Der theoretische Ansatz der Lead-User-Analyse Produktmarketing eingesetzt werden, um die gründet auf der Annahme, dass Lead User bereits Verbreitung eines Produktes zu beschleunigen. heute Bedürfnisse haben, die der Markt erst in Zukunft entwickeln wird. Empirische Studien 5 scheinen diese Annahme zu bestätigen, da Inno- Grenzen der Lead-User-Analyse 5.1 Grenzen der Lead-User-Theorie vationen, die in Zusammenarbeit mit Lead User entwickelt wurden, durchschnittlich erfolgreicher Zur Identifikation von Lead Usern wird zunächst waren als herkömmliche Produktinnovationen. 27 ein Trend ausgewählt, in dem die Lead User eine Es stellt sich nun die Frage, ob dies tatsächlich führende Position einnehmen. Dies setzt jedoch ausschließlich auf die Übertragbarkeit der Bedürf- voraus, dass sich ein Markt entlang dominanter nisse der Lead User auf den Markt zurückzufüh- Trends entwickelt und dass die Position einzelner ren ist. Viele Autoren weisen darauf hin, dass Mitglieder messbar sein muss. Diese Vorausset- dieser höhere Markterfolg auch aus der Tatsache zungen werden in der Realität nicht immer er- resultieren könnte, dass Lead User häufig auch füllt. 30 Weiterhin ist nicht voraussehbar, wie sich Opinion Leader eines Marktsegmentes sind. Substitutionsprodukte und 28 –technologien entwi- 31 Das Konzept des Opinion Leaders basiert auf ckeln. dem Wissen, dass eine Innovation nie von allen Da sich der Lead-User-Status eines Unterneh- Teilnehmern eines Marktes gleich schnell und in mens in der Regel auf eine Produktfacette be- gleichem Maße angenommen wird. Es existieren schränkt, steigt mit zunehmender Produktkomple- stets Schlüsselfiguren, deren Verhalten Vorbild- xität zudem die Gefahr, „falsche“ Lead User zu charakter hat und die so auch andere User zur identifizieren. Ändert sich im Laufe der Untersu- Übernahme der Innovation animieren. 29 Diese chung die Zielsetzung, besteht somit die Gefahr, Schlüsselfiguren werden als Opinion Leader oder dass die Anwender ihren Lead-User-Status verlie- auch Meinungsbildner bezeichnet. Sie sind die ren. 32 ersten, die eine Innovation im Verlauf des Diffusi- Sind die Lead User erfolgreich identifiziert, ergibt onsprozesses annehmen. sich eine weitere Problematik, die in der Theorie Da Lead User Bedürfnisse vor dem Markt verspü- nicht erwähnt wird. In der Realität findet ein Wett- ren, profitieren sie in besonderem Maße von In- bewerb konkurrierender Anbieter novationen, weshalb sie häufig die ersten Markt- User statt, d. h. ein Lead User wird mit dem Her- teilnehmer sind, die Innovationen annehmen. steller kooperieren, der seinen Erwartungen be- Weiterhin haben sie mehr Erfahrungen und damit züglich technologischer Kompetenz und Qualität ein höheres Wissen als andere User, weshalb sie am besten entspricht. diesen als Vorbild dienen, d. h. User orientieren nicht immer erfüllt ist, stellt die Übertragbarkeit Fällen erfüllen die Lead User also die Funktion der Bedürfnisse und Lösungen von Lead Usern von Opinion Leaders. Firmen können somit die auf den gesamten Markt dar. In der Regel sind die Zusammenarbeit mit Lead Usern nicht nur bei der 28 29 33 Ein letzte theoretische Annahme, die in der Praxis sich an den Lead Usern ihres Marktes. In diesen 27 um die Lead Lead-User-Innovationen nicht ohne Veränderun30 Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S.553; Sturmann 1997, S. 51. Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügl 2007, S. 19; Hauschild 2007, S. 267. Vgl. Hauschildt 2007, S. 267. 31 32 33 86 Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügl 2007, S. 28. Vgl. Strumann 1997, S. 49. Vgl. Springer et al. 2006, S. 12. Vgl. Strumann 1997, S. 50. gen auf den Markt übertragbar, da sich die Be- 6 dürfnisse des Marktes normalerweise nicht komplett mit denen der Lead User decken. 34 Lead-User-Analyse als Voraussetzung erfolgreicher Innovationen? Ein Teil Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die dieses Risikos wird durch die Funktion der Lead Lead-User-Anlyse sowohl Potentiale als auch User als Opinion Leader wieder aufgefangen, d. h Grenzen aufweist. Das Konzept ermöglicht eine es setzen sich z. T. Innovationen am Markt nicht bessere Anpassung der Innovationen an die Be- deshalb durch, weil sie den Bedürfnissen des dürfnisse des Marktes und erhöht somit den Marktes entsprechen, sondern weil die Lead User Markterfolg der neuen Produkte. Als Opinion Lea- als Opinion Leader als Vorbilder fungieren. der können Lead User zudem in das Produktmar5.2 Grenzen in der Lead-User-Analyse in der keting involviert werden und als Vorreiter für eine praktischen Umsetzung schnellere Verbreitung des Produktes sorgen. Wie die Untersuchung der Fallstudien gezeigt hat, Die Grenzen der Lead-User-Analyse liegen vor verwenden viele Forscher zur Identifikation von allem in der zum Teil eingeschränkten Übertrag- Lead Usern den Screening-Ansatz. Da dieser nur barkeit der Theorie auf das konkrete Marktge- eine Stichprobe des Marktes untersucht, ist er für schehen. Reale Märkte sind sehr vielschichtig und große Märkte jedoch ungeeignet. Ist die Grund- weisen zahlreiche Wechselwirkungen auf, die in gesamtheit zu groß, besteht die Gefahr, dass die der Theorie nicht beachtet wurden. Stichprobe nicht mehr repräsentativ ist und Lead Dennoch ist der Lead-User-Ansatz insgesamt als User von Anfang an ausgeschlossen werden. 35 fruchtbar zu bewerten. Bei gewissenhafter, strukEin weiterer kritischer Punkt betrifft die Auswahl turierter Umsetzung des Konzepts wirkt sich die der Lead User und Experten, die an der Entwick- Integration der Lead User in den Innovationspro- lung von Lead-User-Konzepten mitwirken. Häufig zess positiv auf den Markterfolg des Produktes erfolgt die Auswahl nicht aufgrund besonderer aus. Auch die untersuchten Fallstudien haben Merkmale, sondern es werden die Lead User und bestätigt, dass eine Lead-User-Analyse bei der Experten eingesetzt, die bereit sind, sich daran zu Entwicklung von Innovationen sinnvoll ist. beteiligen. Stehen zu viele Lead User oder ExperZudem ermöglichen moderne Informations- und ten zur Verfügung, erfolgt die Auswahl häufig Kommunikationstechniken es Anbietern, schnell anhand zweifelhafter Merkmale. So werden bei- und kostengünstig mit mehreren Kunden gleich- spielsweise in der Studie von Urban/von Hippel zeitig zu interagieren. 37 Dabei können sowohl (1988) die fünf Experten ausgewählt, deren Firmen einen Sitz in der Nähe des MIT haben. 36 nicht-interaktive Methoden wie Ideenwettbewerbe Die und Feedbackformulare, als auch interaktive Me- Auswahl erfolgte also aufgrund logistischer Vortei- thoden wie virtuelle Börsen und Herstellerforen le, was kein zulässiges Kriterium ist. zur Identifikation von Lead Usern genutzt werInsgesamt ist das Vorgehen in der Praxis häufig den. 38 Diese Möglichkeiten werden voraussicht- als unstrukturiert zu charakterisieren und Ent- lich in Zukunft noch stärker bei der Lead-User- scheidungen werden primär aufgrund finanzieller Analyse eingesetzt werden. und logistischer Aspekte getroffen werden. 34 35 36 Vgl. Strumann 1997, S. 50. Vgl. Pötz et al. 2005, S. 39. Vgl. Urban/von Hippel 1988, S. 574. 37 38 87 Vgl. Piller 2006, S. 7. Vgl. Ernst/ Soll/ Spann 2004, S. 128. Lüthje, Christian/Herstatt, Cornelius (2004): The Literaturverzeichnis Lead User method: an outline of empirical Ernst, Holger/Soll, Jan Hendrik/Spann, Martin findings and issues for future research, R&D (2004): Möglichkeiten der Lead-User Identifi- Management, Vol. 34, Nr. 5. S. 553-568. kation in Online-Medien, in: Herstatt, Corneli- Lüthje, Christian/Herstatt, Cornelius/von Hippel, us/Sander, Jan G. (Hrsg.): Produktentwicklung mit virtuellen Communities. Wiesbaden. Eric (2002): The dominant role of “local” in- S. 121-144. formation in user innovaton. The Case of mountain biking. MIT Sloan Working Paper Franke, Nikolaus/von Hippel, Eric/Schreier, Martin No. 4377-02. Cambridge. (2006): Finding commercial attractive user in- Lüthje, Christian (2004): Characteristics of inno- novations: A test of lead user theory, Journal of Product Innovation Management, Vol. 23. vating users in a consumer goods field. An S. 301-315. empirical study of sport-related product consumers, Technovation, Vol. 24, Nr. 9. S. 683- Franke, Nikolaus/von Hippel, Eric(2003): Satisfy- 695. ing Heterogeneous User Needs via Innova- Morrison, Pamela D./Roberts, John H./von Hippel, tion Toolkits: A Case of Apache Security Software, Research Policy, Vol. 32, Nr. 7. Eric (2000): Determinants of User Innovation S.1199-1215. and Innovation Sharing in a Local Market, Management Science, Vol. 46, Nr. 12. S. Franke, Nikolaus/Shah, Sonali (2003): How 1513-1527. Communities Support Innovative Activities: Nagel, Rolf (1993): Lead-User-Innovationen: Ent- An Exploration of Assistance and Sharing Among Innovative Users of sporting Equip- wicklungskooperationen am Beispiel der In- ment, Research Policy, Vol. 32, Nr. 1. S. 157- dustrie elektronischer Leiterplatten. Köln. 178. Piller, Frank T.: User Innovation: Der Kunde als Initiator und Beteiligter am Innovationspro- Hauschildt, Jürgen (2007): Innovationsmanage- zess. – In: Drossou, Olga/Krempl, Stefan ment, München. (Hrsg.) (2006): Open Innovation. Freier Aus- Herstatt, Cornelius (2003): Onlinegestützte Suche tausch von wissen als soziales, politisches nach innovativen Anwendern in direkten und und wirtschaftliches Erfolgsmodell. Hannover. analogen Anwendermärkten. Arbeitspapier Pötz, Marion/Steger, Christoph/Mayer, Isabel- Nr. 21. Hamburg-Harburg. la/Schrampf, Jürgen (2005): Evaluierung von Herstatt, Cornelius/Lüthje, Christian/Lettl, Christo- Case Studies zur Lead User Methode. Wien. pher (2001): Fortschrittliche Kunden zu radi- Schreier, Martin/Oberhauser, Stefan/Prügel, kalen Innovationen stimulieren. Arbeitspapier Reinhard (2007): Lead users and the adop- Nr. 9. Hamburg-Harburg. tion an diffusion of new products: Insights Herstatt, Cornelius/von Hippel, Eric (1992): De- from two extreme sports communities, Mar- veloping New Product Concepts Via the Lead keting Letters, Vol. 18, Nr. 1, 2. S. 15-30. User Method: A Case Study in a “Low Tech” Schreier, Martin/Prügl, Reinhard (2006): Extend- Field”, Journal of Product Innovation Man- ing lead user theory: Antecedents and con- agement, Vol. 9, Nr. 3. S. 213-221. 88 cequences of consumers’ lead userness. Tiez, Robert/Morrison, Pamela D./Lüthje, Chris- Wien. tian/Herstatt, Cornelius (2005): The rocess of user-innovation: A case study on user in- Springer, Stefanie/Beuker, Severin/Lang-Koetz, novation in a consumer good setting, Interna- Claus/Bierter, Willy (2006): Lead User Integ- tional Journal of Product Development, Vol. 2, ration. Stuttgart. Nr. 4. S. 321-338. Struman, Ansgar (1997): Vertikale Kooperation Urban, Glen L./von Hippel, Eric (1988): Lead User bei Produktinnovationen im Investitionsgüter- Analyses for the Development of new Indus- bereich. Ein situations-, innovationsphasen- trial Products, Management Science, Vol. 34, und instrumentenbezogener Ansatz zur Ein- Nr. 5. S. 569-582. bindung von Kunden und Lieferanten. Köln. 89 90 Nadine Asel − Dennis Steinmetz User Innovation Toolkits – Wenn Kunden Produkte entwickeln und verbessern 1 „Toolkits für User Innovation“ als Instrument des modernen Innovationsmarketings 2 Problembereiche des konventionellen Innovationsprozesses 3 User Innovation als Antwort auf unzureichende Innovationsleistungen 4 Toolkits für User Innovation 5 Abgrenzungsmöglichkeiten verschiedener Toolkit-Varianten 6 Chancen und Problemfelder der Toolkits für User Innovation 7 Entwicklungsbereiche im Toolkit-Konzept 1 „Toolkits für User Innovation“ als In- Formen der Anwendung dieses Ansatzes. 5 Al- strument des modernen Innovations- lerdings gibt es im Business to Customer (B2C) marketings Marketing erst einige Studien, die sich mit der Möglichkeit der Implementierung dieses Modells Als eine Reaktion innovativer Unternehmen auf beschäftigen. Der nachfolgende Beitrag wird die die Schwächen ihrer eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die den bestehenden Ansätze im B2B Bereich darstellen Marktan- und Wege für eine Umsetzung des Konzepts im forderungen, zu akzeptablen Kosten, nicht aus- B2C Segment aufzeigen. Dabei soll auf die reichend gerecht werden können, und sich in Spezifika der beiden Bereiche eingegangen hohen Flopraten von Neuprodukten äußern, werden, um abschließend zu klären unter wel- findet ein Paradigmenwechsel im Marketing chen Rahmenbedingungen der Einsatz von statt. 1 Dadurch werden Innovationen nicht mehr Toolkits zur Erlangung von Wettbewerbsvortei- nur als Ergebnis von geschlossenen Prozessen len angezeigt ist. in der Unternehmensdomäne angesehen, son- 2 Problembereiche des konventionellen dern versucht, innovative Kunden auf unterschiedliche Weise in die Innovationsprozesses Neuprodukt- entwicklung und Vermarktung zu integrieren Obwohl teilweise hohe Summen für die Gewin- was gemeinhin unter dem Terminus Open Inno- nung von nachfragerseitigen Bedürfnis- 2 vation diskutiert wird. Den Anstoß dazu gaben informationen (z. B. im Rahmen der Markt- zahlreiche Beispiele, von Produkten, die sich am forschung) investiert werden ist der Erfolg von Markt durchsetzen konnten und von unzufriede- Neuprodukten eher die Ausnahme. 6 Dafür zei- 3 nen Kunden entwickelt wurden. Ein Instrument, gen sich zwei zentrale Problembereiche verant- welches diesem Paradigmen-wechsel folgt, ist wortlich: Informations- und Reibungs-verluste der „Toolkit für User Inno-vation“-Ansatz, der bei Lösungsmöglichkeiten für die genannten Prob- informationen vom Kunden zum Unternehmen leme bieten soll und heutzutage bereits vielfach und eine hohe Heterogenität der Kunden- und überaus erfolgreich in der Unternehmens- bedürfnisse, die die Marktchancen von Stan- praxis an-gewandt wird. 4 Im Business to Busi- dardlösungen nach dem Prinzip "one type fits ness (B2B) Marketing finden sich schon länger all" einschränken. 1 2 3 4 Vgl. Henkel/ von Hippel 2005, S. 73ff. Vgl. Quinn 2000, S. 13ff. Vgl. von Hippel 2005, S. 20. Vgl. Franke 2003, S. 365f. 5 6 91 der Übertragung von Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 74ff. Vgl. Henkel/ von Hippel 2005, S.73ff. Bedürfnis- 2.1 Grenzen des traditionellen Neuprodukt- schungsaufwand des Herstellers führt. 8 Eine entwicklungsprozess weitere große Herausforderung der sich die im Manufacturer- klassische Marktforschung gegenübersieht ist Active-Paradigm das Problem der sog. „Sticky Information“ dar, Um dem Problem hoher Neuproduktflopraten entgegenzuwirken, versuchen "Manufacturer-Active-Paradigm" Hersteller auf die im Folgenden näher eingegangen wer- im den soll. Produktinno- vationen, basierend auf den Bedürfnissen ihrer 2.2 Probleme beim Informationstransfer potentiellen Kunden, zu generieren. Eine Markt- Unternehmen benötigen zwei grundlegende analyse die sowohl die eigenen Leistungen als Arten von Informationen um Produkte, den Kun- auch die Konkurrenzangebote umfasst dient denbedürfnissen entsprechend, zu konzipieren dann zur Identifikation interessanter Markt- und und die Konzepte produktions-technisch zu rea- Zielsegmente. Die durchschnittlichen Bedürfnis- lisieren: 9 se des attraktivsten Marktsegments dienen dann Bedürfnisinformation als Vorgabe für die Produktentwicklung. Auf (“need information”) über die Kunden- und Marktbedürfnisse, d. h. diesen Erkenntnissen aufbauend wird versucht, Informationen über die Präferenzen, Wün- Konzepte, entsprechende Prototypen und an- sche, Zufriedenheitsfaktoren und Kaufmotive schließend das serienreife Produkt zu entwi- der aktuellen und potentiellen Kunden bzw. ckeln, welches bestmöglich die Bedürfnisse des Nutzer einer Leistung. Zugang zu Bedürfnisin- Zielsegments erfüllt. formation beruht auf einem intensiven VerIn den einzelnen Prozessschritten muss dabei ständnis der Nutzungs- und Anwendungsum- immer wieder die Meinung des Kunden, sein gebung der Abnehmer. Zwischenfeedback, eingeholt werden. Dadurch Lösungsinformation (“solution information”) verläuft der Entwicklungsprozess nicht linear, beschreibt die technologischen Möglichkeiten sondern in häufigen Iterationen - eine Art Ping- und Potenziale, Kundenbedürfnisse möglichst Pong zwischen Kunde und Hersteller entsteht, effizient und effektiv in eine konkrete Leistung bei welchem der Kunde das noch nicht zufrie- zu überführen. Lösungsinformation ist die denstellende Produkt immer wieder testet, be- Grundlage für die entwerfenden Aktivitäten wertet und Verbesserungsvorschläge unter- von breitet. Dieser Prozess dauert so lange, bis aus Produktentwicklern prozess. Herstellersicht das Produkt ein hinreichendes Erfolgspotential aufweist, um in den Markt eingeführt zu werden, wobei der Kunde in der letzten Phase eine eher passive Rolle einnimmt. 7 Ein Kernproblem dieser Art von Produktentwicklungsprozessen ist in dem hohen Zeit- und damit verbunden Kostenaufwand zu sehen. Darüber hinaus differenzieren sich die Kundenwünsche immer stärker und schneller aus, was wiederum zusätzlich zu einem höheren Marktfor- 8 7 9 Vgl. Franke 2003, S. 3. 92 Vgl. Franke 2003, S. 7. Piller 2006, S. 86. im Innovations- Abb. 1: Prozessablauf im „Manufacturer-Active- expenditure required to transfer that unit of in- Paradigm“ formation to a spezial locus in a form usable by a given information seeker.“ 12 Hinzu kommt der Umstand, dass dem Informationsträger manches Wissen selbst kaum bewusst ist, und entsprechend nicht von ihm artikuliert werden kann. Diese Form von Wissen wird als „tazit“ bezeichnet. 13 Verdeutlicht werden kann dies an dem Umstand, dass es einem normalen Menschen kaum bewusst ist, inwiefern bspw. ein Sofa bequem ist. Des Weiteren besteht das Problem der „absorptive capacity“. 14 Diese tritt auf, wenn Informationen schwer zu transferieren sind, weil der Empfänger den Sender nicht versteht. In diesem Fall fehlen komplementäre Informationen, z. B. das Wissen um die Sprache des Senders. Die Kunden werden als Ort der Bedürfnis- Kommunikation kann, in einem einfachen Fall, information, Unternehmen als Ort der Lösungs- schon alleine daran scheitern, dass einer Partei information angesehen. Im Innovationsprozess entsprechend erforderliche Fachterminologien soll der Hersteller Bedürfnisinformation der gar nicht bekannt sind. Kunden in innovative Lösungen umsetzten. Em2.3 Heterogenität der Kundenbedürfnisse pirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Innovationen nicht nur internen Prozessen der Um ein differenziertes Marketing betreiben zu Hersteller entspringen, sondern in interaktiven können wird der Markt in Kundengruppen von Prozessen mit dem Markt. Dabei sollen externe relativ homogener Präferenzstruktur segmen- Quellen kreatives Potenzial, darunter auch Lö- tiert, die dann gezielt bearbeitet werden können. sungsinformationen, liefern, wobei Kundenbei- Sind die Segmente in sich homogen, so können träge mitunter sogar zu radikalen Innovationen sie mit einem spezifischen Produkt bedient wer- führen können. 10 den. Dies ist jedoch zumeist nicht der Fall, was eine Metaanalyse von Franke und von Hippel Eines der Hauptprobleme, die einem effizienten eindrucksvoll belegt. Sie zeigen, dass bei veröf- Informationsstrom im Wege stehen, bezeichnet fentlichten Anwendungen von Cluster-analysen von Hippel als „Sticky Information“. 11 Dabei eine Fehlinterpretation von durch-schnittlich ca. lassen sich Informationen, die von der Kunden- 50% verbleibt. seite zum Unternehmen transferiert werden 15 Diese ca. 50% der Personen die einem Segment fälschlicher-weise zugeord- sollen, nicht, oder nur zu unwirt-schaftlich hohen net werden, werden durch die, an die Anforde- Kosten vom Kunden lösen. rungen des Segments angepassten, Produkte „We define the stickiness of a given unit of in- nicht befriedigt. formation in a given instance as the incremental 12 13 10 11 14 Vgl. Piller 2006, S. 88. Vgl. von Hippel 1994, S. 431. 15 93 Vgl. ebenda. Vgl. Nelson 1982, S. 76ff. Vgl. Cohen/ Levinthal 1990, S. 141f. Vgl. Franke/ von Hippel 2003, S. 1200f. Die Segmentierung könnte zwar bis hin zu Abb. 2: Ausgewählte Studien zum Anteil von „Segments-of-one“ verfeinert werden, das ginge Kundeninnovationen an allen Innovationen in aber, im „Manufacturer Active“ Paradigma, bei dieser Branche. dem der Hersteller als einzige aktive Partei im Innovationsprozess agiert, mit extrem hohen Kosten einher. 16 Der Misserfolg, der, trotz hoher Aufwendungen, aus der Anwendung konventioneller Marktforschungsmethoden resultiert, zeigt, dass diese mitunter weder sehr effizient noch effektiv sind. Mit dem Betrachtungsschwerpunkt B2C vergrößert sich die Problematik, Produkte herzustellen, die die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich befrie-digen dadurch, dass hier der zu bearbeitende Markt aus einer sehr großen Zahl an Einzelnachfragern besteht. Unter dem Kosten- druck entstehen schließlich auf der einen Seite Kompromisslösungen in Form von relativ günstigen Standardprodukten, die die Kundenbedürfnisse nur bedingt befriedi- 3 User Innovation als Antwort auf unzu- gen, und auf der anderen Seite teure Maßanfer- reichende Innovationsleistungen tigungen. Effizienz und Effektivität lassen sich „User Innovationen“ kaum vereinen. Auf Märkten mit problematischer treten immer dann auf, wenn Nutzer ein großes Bedürfnis nach spezifi- Informationsübertragung und heterogenen, so- schen Lösungen aufweisen, und dabei die Zu- wie dynamischen Kundenbedürfnissen führt dies friedenheit mit den am Markt erhältlichen Lö- vermehrt zu Unzufriedenheit seitens der Kun- sungskonzepten, und die Erwartung, dass sich den, dementsprechend auch zu einem Anwachsen der 17 dieser Zustand alsbald ändern könnte gering Flopraten von Neuprodukten. In der ist. 18 In der Unternehmenspraxis finden sich letzten Konsequenz führt die Nichterfüllung der eine ganze Reihe an Beispielen für Innovationen Nachfragerbedürfnisse durch am Markt verfüg- die von Kunden bzw. Nutzern entwickelt wurden bare Lösungen dazu, dass einige Akteure selbst und dabei auch nennenswerte Erfolge verbu- innovieren und eigene Lösungen speziell für die chen konnten. Abbildung 2 zeigt einen Aus- Bedürfnisstruktur entwickeln. schnitt ausgewählter Studien, die den Anteil von Kundeninnovationen in unterschiedlichen Branchen aufführen. Mit Blick auf die Innovationen im Bereich Mountainbiking, ist anzumerken, dass das Mountainbike selbst auch eine Innovation ist, die nicht aus der Unternehmensdomäne stammt, sondern von Radfahrern, die ihre Räder auch abseits der 17 16 18 Vgl. Franke 2003, S. 360ff. 94 Vgl. Franke 2003, S. 364. Vgl. ebenda, S. 365. befestigten Wege nutzen wollten. Die Idee wur- Einbindung des Kunden in den Innova- de bis zur völligen Marktreife ausschließlich von tionsprozess aktiv befördern können.” 22 einer kleinen Gruppe Enthusiasten weiter ge- Neben diesen bestehen noch weitere Definitio- trieben. Große Fahrradhersteller stiegen erst, nen, die im Kern vor allem auf die Arbeiten von nachdem sie den hier erwachsenden Trend Hippel’s zurückgehen. Allen gemein sind be- erkannt hatten, in die Produktion von Mountain- stimmte Kernmerkmale, wobei es sich bei einem bikes ein. 19 Auch die Innovationstätigkeit im TUI um ein Werkzeug handelt, das den Kunden Bereich von Kompo-nenten und Zubehör wird mit lösungsbezogener Kompetenz des Herstel- nach wie vor, auch von Nutzern, vorangetrieben. lers ausstattet, die sonst den Forschungs- und Ein gutes Beispiel dafür bietet die Freiburger Entwicklungsabteilungen vorbehalten ist. 23 An- Bike-Szene, die als Silicon Valley der deutschen statt die oft schwer zu lösenden Bedürfnisinfor- Bike-Branche gilt. 20 mationen in die Unternehmen zu übertragen, Nur wenige Nutzer haben auch die Lösungs- sollen die Kunden, mit der lösungsbezogenen information, um aus ihren Ideen Innovationen Kompetenz des Herstellers ausgestattet, ihre werden zu lassen. An diesem Punkt bietet sich Ideen, in konkrete Konzepte umsetzen können, den Unternehmen die Chance, ihre Kunden, in und in „learning-by-doing“ Prozessen testen und einem interaktiven Prozess, mit ihrer lösungsbe- konkret-isieren. zogenen Kompetenz auszustatten, damit diese neue Technologien, wie Rapid-Prototyping und ein, für ihre individuellen Bedürfnisse, optimales Computer Produkt entwerfen können, das die Hersteller entwicklung beschleunigen und günstiger ma- anschließend für sie produzieren. Das notwen- chen. Im Gegenzug für die Bereitstellung der dige Werkzeug dazu stellen Toolkits für User Lösungskompetenz überlassen die Nutzer die Innovation dar. Vermarktungsrechte 24 Dazu unterstützen Toolkits Simulationen, ihrer die die Produkt- Innovationen den Herstellern. Ein TUI ist somit eine Art virtueller 4 Toolkits für User Innovation Werkzeugkasten, „meist in Form einer OnlineIn den nächsten Abschnitten wird erläutert, was Software, die dem Kunden die Gestaltung sei- der Begriff Toolkits für User Innovation (TUI) nes eigenen Produkts“ 25 ermöglicht. Nach der beschreibt, welche Bestandteile ein TUI aufweist Spezifikation der Leistung erfolgt die Auftrags- und wie sich verschiedene Formen von TUI übermittlung und der herstellerseitige Produkti- abgrenzen lassen. Die Literatur existieren unter- onsprozess beginnt. 26 schiedliche Definitionen für den Begriff Toolkit, Es gibt aber auch wichtige Merkmale, die nicht z. B. allen Toolkits gleich sind, und deshalb bei der „Toolkits for user innovation are coordi- Betrachtung unterschiedlicher Literaturquellen nated sets of “user-friendly“ design tools für Unklarheiten sorgen können, besonders that enable users to develop new prod- wenn von Toolkits für Open Innovation im All- uct innovations for themselves.” 21 gemeinen gesprochen, im Speziellen aber eine „Toolkits for User Innovation stellen eine bestimmte Ausprägung dieser betrachtet wird. neue Methode dar, mit der Hersteller die 22 23 24 25 19 20 21 29 Vgl. Scheele 2005, S. 144. Vgl. Lesewitz 2007, S. 122f. von Hippel/ Katz 2002, S. 821. 95 Franke 2003, S. 358. Vgl. ebenda, S. 366. Vgl. Piller 2006, S. 93. Schreier/ Mair am Tinkhof/ Franke 2006, S. 186. Vgl. Franke 2003, S. 365. Diese unterscheiden sich stark in der Zielset- menswachstum zung und Begrenztheit des Lösungs-raums ent- chenführerschaft. Zwischen 1980 und heute sprechender Toolkits, welche durch die Formu- wuchs dieser Markt auf ca. 15 Milliarden US $ lierung der Anforderungen an TUIs variieren an, wobei der Schlüssel zu diesem Erfolg auf können. Im folgenden Abschnitt werden die die TUI zurückzuführen ist. 29 Anforderungen an TUIs be-schrieben, bevor zur heutigen Bran- 4.2 Anforderungen an ein Toolkit eine Unterscheidung der Typen von TUIs geGrundsätzlich zeichnet sich eine "echte" Toolkit- macht wird. lösung durch verschiedene An-forderungen aus. 4.1 Historische Entwicklung des Toolkit Die Anforderungen, welche auch als Kernele- Konzeptes mente des Toolkits angesehen werden können, Die Grundidee der Toolkits for User Innovation bestimmen wesentlich die Möglichkeiten der (TUI) stammt ursprünglich aus den 80er Jahren. Leistungsgestaltung für den Kunden. Durch Während den späten 70ern befanden sich die unterschiedliche Ausprägungen der Kernele- Anbieter kundenspezifischer Computerchips in mente ändern sich aber auch die Ansprüche an einer den Kunden. Von Hippel unterscheidet dabei die misslichen Lage. Das Marktsegment schrumpfte und die Kundenwünsche gingen nachfolgenden fünf Kernelemente: stark in Richtung individuellerer Produktion. Da 30 Trial-and-Error Funktionalität der Produktentwicklungsprozess kompliziert und Nutzer sind mit einer Problemlösung tendenziell teuer war, konnten nur Aufträge mit großen zufriedener wenn sie den kompletten Problem- Stückzahlen angenommen werden. Darüber lösungszyklus vom Design einer ersten mögli- hinaus erreichten die Kosten aufgrund spät er- chen Lösung bis hin zur tatsächlichen Problem- kannter Designfehler und des damit verbunde- lösung durchlaufen können. 31 Dabei soll das nen Zeitverlustes für die Hersteller problematische Ausmaße. 27 Toolkit in der Lage sein, dem Kunden ein simu- Junge Start-unternehmen wie liertes Feedback zu geben, damit dieser aus LSI Logic Corporation und VLSI Technology seinen Fehlern lernt, und sein Produkt in iterati- erkannten die unter-nehmerische Gelegenheit ven Prozessen verbessern kann. Während des und boten sowohl größeren als auch kleineren Prozesses werden kognitive und affektive Lern- Kunden die Möglichkeit der Auslagerung des prozesse ausgelöst, die die Qualität der Lö- Produkt-entwicklungsprozesses via TUI an. Dies sungsfindung verbessern und auch tazites Wis- führte zu einer „Win-Win“ Situation sowohl für sen bewusst machen. 32 Dadurch sind, in Bezug die Computerchip-Industrie als auch für deren auf tazites Wissen, vor allem B2C Kunden be- Kunden: Auf der einen Seite profitierten diese vorteilt, da ihre Bedürfnisse nicht auf organisati- von der Tatsache mit Hilfe der Toolkits bedürf- onalen Strukturen basieren, und somit ein relativ niserfüllende Lösungen zu erhalten, auf der schwächeres Bedürfnisbewusstsein entwickeln. anderen Seite profitieren die Unternehmen von Zu den Anforderungen der Geschäftspartner dem reduzierten Abstimmungs- und Informationsaufwand bei der Leistungs-spezifikation. gibt es ansonsten kaum Unterschiede, abgese- 28 hen davon, dass diese in der Regel, im Wettbe- Diese Neuorganisation verkürzte die Produkt- werb, unter größerem zeitlichem Druck stehen, entwicklungszeit deutlich, um etwa zwei Drittel und verhalf LSI Logic mit starkem Unterneh- 29 30 27 28 31 Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 77. Vgl. ebenda. 32 96 Vgl. ebenda. Vgl. von Hippel 2001,S. 247ff. Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 826. Vgl. Reichwald/ Piller2006, S. 168. als die Privatkunden und auf verkürzte Pro- Modulare Designvorlagen duktentwicklungszeiten angewiesen sind. Die Ausgehend von der Annahme, dass Nutzer nicht verkürzte Produktentwicklungszeit ist, im Ver- alle Elemente ihrer Erzeugnisse völlig neu ent- gleich zu anderen Methoden der Neuprodukt- werfen, wird es als hilfreich erachtet, dem Tool- entwicklung, auch ein großer Vorteil von Tool- kit eine Bibliothek an Designvorlagen und Stan- kits, die „Trial-and-Error“ unterstützen. dardkomponenten hinzuzufügen, die als Ausgangsdesign, ergänzende Elemente, oder nur Benutzerfreundlichkeit als Ideengeber fungieren. 36 Ausgangs-designs Die Benutzerfreundlichkeit beschreibt die vom können dabei besonders erfolgreiche Ergebnis- Benutzer wahrgenommene Qualität der Interak- se vergangener Designprozesse anderer Nutzer tion mit dem Toolkit, die durch einen Kosten- sein. Während des Design-prozesses helfen die Nutzen Vergleich determiniert wird. Als Kosten Vorlagen dem Nutzer sich auf die Entwicklung werden in diesem Zusammenhang der zeitliche derjenigen Komponenten zu konzentrieren, die und intellektuelle Aufwand, den das Toolkit an für ihn spezifisch bedeutsam sind. den Nutzer stellt, angesehen. Der Nutzen resultiert aus der Zufriedenheit mit der selbst erstell- Reichwald und Piller interpretieren die Module ten Leistung und dem Spaß bei der Entwick- als Einzelteile des Toolkits, wie z. B. Program- lung. 33 miersprachen, Der Spaß bei der Entwicklung ist dann Hilfe-Menüs, Zeichen- am größten, wenn die Fähigkeiten des Nutzers programme, Textfelder und Visualisierungen. mit den Herausforderungen des Toolkits über- Damit sehen sie in den Modulen und Kompo- einstimmen. In solch einem Fall stellt sich ein nenten den Lösungsraum des Toolkits abgebil- „Flow-Gefühl“ ein, das als intrinsischer Lohn det und die wesentliche Determinante der Be- bezeichnet werden kann. 34 nutzerfreundlichkeit. 37 Dadurch zeigt sich auch eine Interdependenz zwischen den verschiede- Hieraus ergibt sich aber auch eine besondere nen Anforderungen, die an Toolkits gestellt wer- Herausforderung an den Betreiber eines Tool- den. kits in B2C Beziehungen. Die Kunden zeigen nicht nur stark heterogene Bedürfnisse, sondern Die Umsetzung dieser Anforderung spiegelt sich bringen auch höchst unterschiedliche Fähigkei- in besonderem Maße im „Chemiebaukasten“ ten in der Benutzung eines Toolkits mit. Möchte Charakter der Toolkits für User Innovation wider der Betreiber den Fähigkeiten aller Kunden ge- (Vgl. Abb. 5), da die Nutzer mit verschiedenen recht werden, müsste er ihnen auch zahlreiche Elementen an der "Lösung" ihres Problems ar- Toolkits zur Verfügung stellen, die mit unter- beiten können. Angesichts der Schwerpunkt- schiedlichen Anspruchniveaus, den unterschied- betrachtung von Toolkits die die Innovativität der lichen Fähigkeiten der Nutzer in so weit gerecht Unternehmen steigern, sollte aber auch eine werden, dass sich bei einem Großteil der Kun- Kombination der Merkmale von Toolkits für User 35 Ist der Nut- Innovation und Toolkits zum Ideentransfer dis- zer hingegen über- oder unterfordert bleibt ein kutiert werden, um die Vorteile beider zu nutzen. Teil seiner Bedürfnisse unbefriedigt. Die transferierten Ideen aus dem Toolkit zum den dieses „Flow-Gefühl“ einstellt. Ideentransfer können dann als Ausgangspunkt 33 34 35 Vgl. ebenda, S. 166. Vgl. Csikszentmihalyi 1997, S. 46f. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 166. 36 37 97 Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 828. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 166. für Produktentwicklungen im Toolkit für User anderen Feldern. 41 Mit diesen erweiterten Tool- Innovation dienen. kits konnten dann völlig neuartige Elemente, mit äußerst hohem Innovativitätsgrad, programmiert Eine konsequente Umsetzung dieser Idee findet werden, die auch unter den anderen Nutzern sich in der Projektstudie von Adidas. Hier wurde, viel größere Beliebtheit fanden, als die einfa- als eine Anforderung an das Toolkit, Community-Funktionalität formuliert. chen Variationen bestehender Elemente, die mit Commu-nity- dem Hersteller Toolkit möglich waren. Des Wei- Funktionalität beschreibt hierbei die Möglichkeit, teren stieg durch diese Anpassung auch die dass sich die Gemeinschaft aller Nutzer eines Benutzer-freundlichkeit, da die weiterentwickel- Toolkits gegenseitig austauschen kann. Dabei ten Toolkits in ihren Anforderungen auch besser können Innovationen gegenseitig bewertet und den unterschiedlichen Fähigkeiten der Nutzer verbessert werden, sowie Problemlösungen gerecht wurden. Das Beispiel ist aber kaum anderer Nutzer aufgegriffen. Unerfahrene Nut- verallgemeinerbar, da es für Software keine zer können dabei von der Unterstützung erfah- produktionstechnischen Grenzen i. e. S. gibt. rener Nutzer profitieren. Zum Abschluss der Aber in der Softwareindustrie scheint sich durch Studie wurden die eingereichten Konzepte von die Möglichkeit, dass Nutzer die Toolkits auf ihre einem Expertengremium auf ihre Innovativität Bedürfnisse abstimmen können, die Chance zu hin geprüft, wobei die Ergebnisse für Adidas überaus erfreulich waren. bieten, jedem Kunden das optimale Toolkit be- 38 reitzustellen und damit die maximale InnovatiAngemessener Lösungsraum onsfähigkeit aller Kunden zu nutzen. Der Lösungsraum bestimmt die Gesamtheit der Transformation der Kundenlösung in Pro- Variationen und Kombinationen zulässiger Lö- duktionsanweisungen sungsmöglichkeiten und setzt damit die GrenZuletzt muss das User-Design in eine Produkti- zen für die Aktivitäten der Nutzer. Er ist in ho- onsvorgabe übersetzt werden. Das setzt einen hem Maße von den produktionstechnischen fehlerfreien und kostengünstigen Informations- Kapazitäten und Fähigkeiten des Herstellers transfer voraus. Treten bei der Informations- abhängig. 39 Möchte man den Kunden einen übertragung Fehler auf, wird in der Folge das größeren Lösungsraum bieten, um den Marktan- User-Design in der Produktion falsch umgesetzt. forderungen besser gerecht zu werden, muss Durch einen systematisch fehlerbehafteten In- der Aufwand für die Produktion erhöht werden. formationstransfer zwischen Toolkit und Herstel- Es kommt zu einem Trade-off zwischen Produk- ler kommt es zu einer drastischen Erhöhung des tions- und Marktanforderungen. 40 Aufwands des Herstellers und die möglichen Eine erstaunliche Anpassung an einen zu gerin- Effizienzvorteile des Toolkits kehren sich um. 42 gen Lösungsraum haben Nutzer eines Toolkits Erweiterung der Anforderungen eines Tool- für Open Innovation, im Falle des Computer- kits spiels The Sims, durchgeführt. Dort wollten sich die Nutzer nicht auf Nutzung der bereitgestellten Zum Ende der Betrachtung der Anforderungen Toolkits beschränken und entwickelten selbst an Toolkits, sollte man sich, im Hinblick auf die eigene Toolkits oder adaptierten Module aus Umweltbedingungen im B2C Geschäft, fragen, ob die Anforderungen vollständig formuliert sind. 38 39 40 Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 313ff. Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 826. Vgl. Franke 2003, S. 370. 41 42 98 Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 242. Vgl. Franke 2003, S. 371. Ein Merkmal, dass die Toolkits von Adidas und petenz der Community aus den kumulierten EA Games gemeinsam haben, ist Community- Problem-lösungskompetenzen ihrer Mitglieder Funktionalität. Besonders im Falle eines Unter- ergibt. Zudem können die Toolkits zur Lead nehmens im B2C Geschäft macht es Sinn, über User Identifikation genutzt werden (Woll, S. den generellen Anspruch, das Toolkit communi- 81ff.). Die Studien von EA Games und Adidas ty-funktional zu gestalten, nach-zudenken. Die haben empirisch belegen können, dass die In- Zahl an Einzelkunden ist hier in der Regel viel no-vativität der Lösungen einzelner Nutzer, als größer als im B2B Bereich, und dies wirkt sich, Indikator für Lead User Merkmale dienen kön- bei einer Annahme des Toolkits durch die Kun- nen. Diese Lead User, können in der Folge vom den, positiv auf den Nutzen des Toolkits aus. Hersteller in noch anspruchsvollere Projekte Aus den vorangegangen Ausführungen zu den eingebunden werden. 45 beiden Beispielen lässt sich erkennen, dass 5 Lead User die Toolkits weiterentwickeln und in Abgrenzungsmöglichkeiten verschiedener Toolkit-Varianten der Community zur Nutzung bereitstellen, was sich positiv auf die Benutzerfreundlichkeit aus- Der Schwerpunkt der Betrachtung, im Rahmen wirkt, da nicht mehr nur ein einziges Toolkit für dieser Arbeit, soll auf Toolkits liegen, die einen eine große Zahl von Nutzern, mit unterschiedli- wahren Beitrag zur Innovativität der Unterneh- chen Fähigkeiten, bereitsteht. Auch auf die mo- mung und ihrer Produkte leisten können. Durch dularen Designvorlagen hat dies einen positiven verschiedene Eigenschaften die Toolkits gege- Effekt, da durch die Community noch mehr I- ben sein können ergeben sich Unterschiede deen, Module und Vorlagen in das Toolkit ein- bezüglich der Lösungen die mit Toolkits erzeugt gehen, die gegenseitig aufgegriffen und bewer- werden können. Abbildung 5 macht die Unter- tet werden können. Durch die gegenseitige Be- schiede klar. Dem Kunden werden bei Toolkits wertung und gegebenenfalls die Übernahme für von Innovationen in der Community, zeigen sich Customization Instrumente, mit sehr beschränk- Trends, die sich auf die Adoption im Gesamt- tem Lösungsraum, zur Verfügung gestellt. Die markt übertragen lassen. Eine hohe Diffusions- Konsequenz sind veränderte Erscheinungsbil- rate in der Community wird als Zeichen hoher der, von nach wie vor technisch unveränderten Innovativität der Lösung angesehen, und letzt- Produkten, die aber keine wirklichen Innovatio- endlich auch als Indikator des Erfolgs des Tool- nen darstellen. Als Innovation aus Nachfrager- kits, da das Ziel dessen Einsatzes eben genau sicht wäre ein Produkt erst dann zu bezeichnen, 43 User Co-Design lediglich Mass- Der wenn es in der subjektiven Wahrnehmung des steigende Nutzen, den sowohl Hersteller, als Kunden als neuartig empfunden wird und erheb- auch Kunden aus einer wachsenden Zahl von lich von den bisher am Markt angebotenen Leis- Nutzern des Toolkits beziehen, lässt sich durch tungen abweicht. Netzeffekte begründen, die durch die Communi- weichung, der bereits am Markt angebotenen ty auf das Toolkit übertragen werden. 44 Übertra- Leistungen, kann aber, angesichts einer Variati- gen auf die Anwendung von Toolkits steigt der on bereits bestehender Leistungsmerkmale, Nutzen mit der wachsenden Größe einer Com- nicht die Rede sein. Ein Beispiel, das gut zur munity daher, da sich die Problemlösungskom- Veranschaulichung dient, ist das eines Uhren- 43 45 Lösungen mit hoher Innovativität sind. 44 Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 247. Vgl. Katz/ Shapiro 1985, S. 424. 46 99 46 Von einer erheblichen Ab- Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 247. Vgl. Weiber/ Pohl/ Kollmann 1999, S. 9f. herstellers, der seinen Kunden mit einem De- Lösungen, bereitstellt, die ein hohes Maß an sign Toolkit die Möglichkeit gibt, aus einem Set Kreativität und technischem Verständnis vor- von Armbändern, Gehäusen und Ziffernblättern, aussetzen, wird angenommen, dass dieses Tool sein eigenes Design zu kreieren. Dieses Bei- nur für ausgewählte Nutzergruppen (Lead User) spiel basiert auf einer Studie von Franke und geeignet sei. 48 Als Lead User werden solche Piller, die auch darauf hinweisen, dass es sich Nutzer verstanden, die in Bezug auf Consumer um ein B2C Tool handelt welches wenig an- Good Märkte, innovativ und trendsetzend sind. 49 spruchsvoll in der Nutzung ist, gleichzeitig aber Sie adoptieren neue Güter früher als die norma- auch keine wirklichen Inno-vationsaktivitäten len Verbraucher und kommunizieren ihre Erfah- zulässt. Diese Eigenschaft wird den anspruchs- rungen damit aktiv in ihrem sozialen Netzwerk. 47 volleren B2B Toolkits zugeschrieben. Toolkits Neben dem Charakter Vorreiter eines Trends zu für User Innovation und Toolkits für Ideentrans- sein, sind sie in der Lage, Produkte zu verbes- fer haben diese Eigenschaften. Im weiteren sern und Lösungen für funktionell neue Produk- Verlauf wird der Text auch auf Aspekte einge- te, zu formulieren. hen, die für einen Einsatz von Toolkits für User 50 Das Toolkit hilft dem Nutzer Ideen für neue In- Innovation und Toolkits für Ideentransfer im B2C novationen zu entwickeln, oder innovative Leis- Bereich sprechen. tungseigenschaften zu generieren und sich damit aktiv am Innovationsprozess des Herstellers 5.1 Innovativitätssteigernde Toolkits zu beteiligen. Zwei wesentliche Merkmale unter- Mit Verweis auf Abbildung 3 sollen in dieser scheiden diesen Prozess von einer autonomen Arbeit die Toolkits für User Innovation und I- Entwicklungstätigkeit, ohne Unterstützung eines deentransfer im Schwerpunkt der Betrachtung Toolkits. stehen, da sie nicht nur ein Werkzeug einer Mass Customization Strategie darstellen, son- Der Hersteller stellt den Kunden in Form dern die Innovativität eines Unternehmens stei- des Toolkits sein vorhandenes Lö- gern können. Den Toolkits von EA Games und sungswissen bereit, damit die Nutzer Adidas lassen sich Eigenschaften dieser beiden auf einem höheren Niveau innovativ tä- Formen von Toolkits zuordnen, wie auch den tig werden können. Toolkits von STATA und Apache. Diese vier Beispiele werden noch näher betrachtet. Nutzer bekommen in sämtlichen Phasen des Prozesses ein detailliertes (simuliertes) Feedback zu ihrem Lösungs- 5.2 Toolkits für User Innovation konzept. 51 Diese Form des Toolkits bietet ganz im Gegensatz zu dem des Co-Designs einen in der Regel Im Beispiel von EA Games, konnten Nutzer unbegrenzten Lösungsraum. Die Nutzer können schon ca. ein Jahr vor Markteinführung, mit Hilfe in einem aufwendigen „Trial-and-Error-Prozess“ eines Toolkits eigene Elemente für das Spiel ihre Ideen konkretisieren und mit bisher unbe- entwickeln. Die Möglichkeiten der Nutzer streu- kannten Lösungen für ihr Problem solange ex- ten dabei sehr stark, von der einfachen Verän- perimentieren, bis es gelöst ist. Da der Herstel- derung des Aussehens der Charaktere bis hin ler als Lösungsinformationen, z.B. Program- zur Entwicklung völlig neuer Fähigkeiten oder miersprachen, Zeichenprogramme oder CAD48 49 50 47 51 Vgl. Franke/ Piller 2004, S. 410. 100 Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 168. Vgl. von Hippel 1986, S. 791ff. Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 309. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 168. 52 Letztere unter-streichen direkten Kontakt zum Endverbraucher einge- den Beitrag zur Innovativität und die Gesamtheit setzt. Die bereits in Ansätzen, in den vorange- der vorhandenen Möglichkeiten verdeutlicht die gangenen Beispielen, angesprochenen Funktio- Größe des Lösungsraums. Des Weiteren veran- nen der Toolkits ergeben sich aus einem Set schaulicht das Beispiel auch die Anwendbarkeit von Anforderungen, die für alle Toolkits gleich des Toolkits im B2C Bereich. sind 5.3 Toolkits zum Ideentransfer 6 Umweltelementen. Toolkits zum Ideentransfer (externes Chancen und Problemfelder der Toolkits für User Innovation Vor- schlagswesen) setzen ganz zu Beginn des In- Aus Sicht des Produzenten lassen sich einige novationsprozesses, in der Phase der Ideenge- Vorteilspotenziale aufzeigen, wobei hier zu- nerierung ein. Sie bieten innovativen Nutzern nächst die Reduktion der Kosten für die Markt- einen offenen Kanal zu ihrem Unternehmen, der forschung bzw. die Produktentwicklung zu nen- eine strukturierte Eingabe von Verbesserungs- nen sind. Diese können aufgrund des Toolkits vorschlägen und neuen Verfahren unterstützen vernachlässigt werden, da hier wie bereits erläu- soll. Hierbei geht es sowohl um das breite Ab- tert Kunden ihr eigenes Produkt selbst zusam- greifen von Bedürfnisinformationen, als auch um men- bzw. von Grund auf selbst erstellen kön- die Möglichkeit für innovative Nutzer, Verfah- nen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die „poten- rens- oder Produktverbesserungen übermitteln tielle Beschleunigung von Neuproduktentwick- zu können. 53 lungsprozessen“ 55 . Die iterativen Prozesse wer- Adidas hat das Toolkit eingesetzt, um einen den verkürzt, da der Kunde nun direkt in den Ideenwettbewerb unter den Kunden, die High- Entwicklungsprozess mit eingebunden werden end Produkte von Adidas gekauft haben, durch- kann. Ein gutes Beispiel ist hierbei die Firma zuführen. 54 Der Auswahl lag die Annahme zu Nestlé Food Service aus den USA und ihr zent- Grunde, dass die Käufer dieser Produkte ambi- raler Geschäftsbereich der individualisierten tionierte, oder sogar Wettkampfsportler seien, Fertig-gerichte für den Gebrauch im Gastro- die mehr Erfahrung im Gebrauch der Produkte nomiebereich. Hier dauerte der iterative Ent- haben als Gelegenheitssportler. Ziel war nicht wicklungsprozess bis zu 26 Wochen. Heute, via nur die Gewinnung von Bedürfnisinformationen, Toolkit, kann die Entwicklungszeit auf drei Wo- sondern auch die von Lösungsinformationen, chen reduziert werden. 56 die Adidas helfen sollten die verschiedenen Als weitere Chance der TUI lässt sich die Sen- Phasen des Kaufprozesses der Kunden, von der kung des Floprisikos nennen. Bekannte Beispie- Vorkauf- bis zur Nachkaufphase, zu verbessern. le für Fehleinschätzungen der Kundenwünsche Durch Visualisierungen und Einsicht in bereits sind hierbei der BetaMax von Sony oder CD-I bestehende Community- von Philips. 57 Auf der Kundenseite kann sich der Funktionalität, die erlaubte, die Beiträge anderer User besser mit dem Produkt identifizieren, Nutzer zur weiteren Bearbeitung aufzugreifen schließlich hat er es selbst „geschaffen“. Konzepte, sowie und zu bewerten, sollte zusätzlich die Kreativität gesteigert werden. Auch hier wird das Toolkit im 52 53 54 55 Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 243f. Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S.171. Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 311ff. 56 57 101 Franke 2003, S. 19. Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S.16. Vgl. Franke 2003, S. 3. Abb. 3: Arten von Toolkits für Open Innovation Ziel Prinzip Toolkits für User Innovation Generierung von Innovationsideen Generierung innovativer Leistungseigenschaften Toolkits für User Co-Design Leistungsindividualisierung durch ProduktKonfiguration (Verkaufstool) Toolkits zum Ideentransfer Transfer vorhandener Innovationsideen aus der Nutzerdomäne (externes Vorschlagswesen) “Chemiebaukasten” Sehr großer Lösungsraum Hohe Nutzungskosten Vollständiges Trialand-Error Nutzer Nutzer mit Lead-UserEigenschaften “Lego-Baukasten” Vordefinierter Lösungsraum durch technische Restrik- tionen des Herstel-lers Geringe Nutzungskosten durch Standartmodule Trial-and-Error nur teilweise möglich alle Kunden “Black Board” Unbegrenzter Lösungsraum Geringe Nutzungskosten Kein Trial-andError (bzw. nur Feedback durch andere Nutzer) Nutzer mit Lead-UserEigenschaften Dieser Aspekt wirkt sich direkt auf die Leis- zufriedener waren, als jene, die dies nicht getan tungsseite aus. So besitzen Toolkits die Chance hatten. die Preisbereitschaft der Kunden zu erhöhen. Bisher wurde noch nicht geklärt, wie der Herstel- Dieser Sachverhalt wurde in einem Experiment ler seine Kunden dazu motivieren soll sein Tool- von Franke und von Hippel (2002) mit Usern der kit zu nutzen. Die Anreize für die Benutzung „Apache Security Software“ untersucht. Hier sind immer kontextabhängig. Dabei spielt vor wurden zum Einen User befragt, die die nötigen allem die Art der Information die gewonnen wer- technischen Fähigkeiten besitzen, um sich mit den soll eine Rolle. Sollen Bedürfnisinformatio- Hilfe des angewandten Toolkits ihre eigene nen gewonnen werden, spielen extrinsische Software zu entwickeln. Zum Anderen wurden Motive eine Rolle. Der Kunde wird, in dem Zu- jedoch auch jene Nutzer befragt, die sich auf- sammenhang, durch die Erwartung, im An- grund der fehlenden technischen Fähigkeiten, schluss an die Preisgabe der Information, seine einfach „nur“ das fertige Software-Grundgerüst individuelle Lösung nutzen zu können, angetrie- herunterladen. Dabei wurde deutlich, dass An- ben. wender, die technisch geschult sind und sich gewonnen werden besteht diese Aussicht nicht somit ihre eigene Software zusammenstellen mehr, da diese eher für Prozessinnovationen können, eine signifikant höhere Zufriedenheit des Herstellers genutzt werden. Der Nutzer mit dem Produkt aufweisen als die User, die kann also nicht unmittelbar mit einer Gegenleis- nicht dazu in der Lage sind. Daraufhin wurden tung rechnen. In solchen Fällen muss der Her- schließlich nur die User mit technischen Fähig- steller eine Anreizstruktur schaffen, die die Kun- keiten auf ihre Zufriedenheit hin befragt und es den dazu bringt, das Toolkit zu nutzen. 58 Sollen allerdings Lösungsinformationen stellte sich heraus, dass User, die die Software auch tatsächlich modifiziert hatten, wesentlich 58 102 Vgl. Piller 2006, S. 95. Probleme ergeben sich durch den Einsatz des als auch über fit-to-market das Innovationsrisiko Toolkits insbesondere bei Unternehmen, in de- gesenkt. 61 Unter bestimmten Bedingungen soll- nen das „Manufacturer Active“ Paradigma fester ten sich sogar die Vorteile von Toolkits für User Bestandteil der Unternehmensphilosophie ist. Innovation und Ideentransfer in einem Toolkit Diejenigen Unternehmensabteilungen, die zuvor vereinen lassen. Adidas und EA Games waren für die Produktentwicklung zuständig waren, mit den Ergebnissen ihrer Ansätze sehr zufrie- werden ihre Entwicklungskompetenzen nicht den. Beide Toolkits beinhalteten Funktionen, die abgeben wollen. Zudem werden Wertschöp- idealtypisch entweder in Tookits für User Inno- 59 Besonders vation oder zum Ideentransfer zu finden sind, in solch einem Fall, aber auch im Allgemeinen z.B. zeigen beide sowohl „Chemiebaukasten“ empfiehlt sich daher, das Toolkit als komple- und „Blackboardfunktion“. Möglicherweise wird mentäre und nicht als substitutive Methode im sich dieser Ansatz in Kombination mit Communi- fungskompetenzen ausgegliedert. Innovationsmanagement ein-zusetzen. 60 ty-Funktionalität als dominanter Toolkit-Typ im B2C Marketing durchsetzen können und in Zu- Zusätzlich ist zu beachten, dass ein Unterneh- kunft eine wichtige Rolle im Innovationsmarke- men, das sich dazu entscheidet, seinen Innova- ting aller Branchen spielen. tionsprozess für seine Kunden zu öffnen, auch seinen Konkurrenten Einsicht in seine innovati- Innerhalb der Märkte können Toolkits in zwei ven Aktivitäten gibt. Durch die hohen Kosten die unterschiedlichen Funktionen eingesetzt wer- eine produktionstechnische Anpassung an den den. Zum Einen dienen sie als Hilfsmittel zur weiten Lösungsraum des Toolkits für User Inno- Anpassung der Problemlösung an das nutzerin- vation verursacht, bieten sich diese weiten Lö- dividuelle Problem. Der Nutzer hat die Möglich- sungsräume vorerst besonders für die Produ- keit zur Individualisierung seines Produkts. Zum zenten von immateriellen Gütern an, und Start Anderen kann ein Toolkit mit dem nötigen Um- Ups, die ihre Produktionstechnik von vornherein fang hochinnovative Lösungen zum Vorschein an die Anforderungen des Toolkits anpassen bringen. können. 7 Entwicklungsbereiche Zwischen diesen beiden Funktionen besteht im jedoch keine „Entweder-Oder“ Situation, son- Toolkit- dern eine „Untermenge-Obermenge“ Beziehung. Konzept So kann jede Innovation zwar individuell sein, Der Einsatz von TUI im Innovationsprozess ist aber nicht jede Individual-isierung ist auch gleich ein relativ neues Phänomen. Festzuhalten innovativ. Mit dieser Erkenntnis kann der Her- bleibt, dass TUI vor Allem in Märkten Sinn steller das Toolkit sowohl als Medium zur macht, in denen die Bedürfnisse der Nutzer sehr Leistungs-individualisierung für seine Kunden, heterogen ausgeprägt sind und die Schwierig- als auch als Marktforschungstool für Innovatio- keiten der Übertragung bedürfnis-bezogener nen einsetzen. 62 Informationen vom potentiellen Kunden zum Hersteller groß sind. Durch die effizientere Ges- TUI sind kein Allheilmittel und nicht jedes Unter- taltung des Innovations-prozesses und ausge- nehmen wird von einer Investition in diese Form dehnte Erprobung der Ideen durch die Nutzer, der Produktentwicklung profitieren. Etablierte werden sowohl costs-to-market, time-to-market, Unternehmen haben meist aufgrund ihrer festen 59 60 61 Vgl. ebenda, S. 96. Vgl. Franke 2003, S. 376. 62 103 Vgl. Piller 2006, S. 94. Vgl. Franke 2003, S. 17f. Unternehmensstrukturen Schwierig-keiten TUI Csikszentmihalyi, M. (1997): Finding Flow, in: einzuführen. Weitere Gründe hierfür rangieren Psychology Today, Vol.30, Nr. 4, S. 46-48. zwischen psychologischen Gründen wie simple Franke, N. (2003): Toolkits for User Innovation: Arroganz gegenüber neuen Technologien, Bü- Die Einbindung des Kunden in den Innovati- rokratie etc. bis hin zu ökonomischen Gründen onsprozess, in: Hoffman, W.H. (Hrsg.): Die wie beispielsweise hohen Fixkosten, die das Gestaltung der Organisationsdynamik. Kon- Unternehmen an größere Märkte bindet. figuration und Evolution, Festschrift für Oskar Im Gegensatz dazu besitzen junge Unterneh- Grün zum 65. Geburtstag, S. 357-381. men hohe Erfolgschancen, sollten sie sich dazu Franke, N./ Piller, F. (2004): Value Creation by entschließen Toolkits als Produktentwicklungs- Toolkits for User Innovation and Design: The prozess einzusetzen. New Ventures stecken Case of the Watch Market, in: Journal of noch nicht in betriebseigenen Strukturen fest, Product Innovation Management, Vol. 21, Is- sie können kurzerhand mit diesen als integrier- sue 6, 2004, S. 401-415. ten Teil des Businessmodells starten. Wenn das Franke, N./ Schreier, M. (2002): Entrepreneurial Toolkit gut funktioniert und die Kunden ebenfalls opportunities with Toolkits for User Innova- diese neue Form der Interaktion akzeptieren, ist tion and Design. In: The International Journal das Unternehmen in der Lage, sich Marktanteile on Media Management, 4, 4, 225-234 von führenden älteren Unternehmen anzueignen, die dann unter hohem Druck stehen zu Franke, N./ von Hippel, E. (2003): Satisfying reagieren. Heterogeneous User Needs via Innovation Toolkits: The Case of Apache Security Soft- Darüber hinaus werden sich längerfristig auch ware, in: Research Policy, Vol. 32, 2003, die Toolkits in den einzelnen Marktbranchen S.1199-1215. verändern. Auf Druck der Kunden hin werden Unternehmen dazu tendieren, Toolkits zu erstel- Henkel, J./ von Hippel, E. (2005): Welfare impli- len, die unternehmensunabhängig sind. Dies cations of user innovation, in: Journal of bedeutet, dass die Kunden nicht nur an das Technology Transfer, 30, 1-2, S. 73-88. eigene Unternehmen gebunden und damit meh- Katz, M./ Shapiro, C. (1985): Network external- rere Anbieter ins Spiel gebracht werden, um den Wettbewerb zu steigern. 63 ities, Um diese Arbeit ab- competition, and compatibility, in: American Economic Review, 75, 1985, S. zuschließen, soll der Ökonom John M. Keynes 424-440. zitiert werden, der bemerkte: „The difficulties lie Lesewitz, H. (2007): Freiburger Tüftler, in: Bike not in the new ideas, but in escaping from the old ones…“ 2/07, S.122-125. 64 Lühtje, C. (2000): Characteristics of innovating Literaturverzeichnis users in a consumer goods field: An empiriCohen, W./ Levinthal, D. (1990): Absorptive cal study of sport-related product consumers: Capacity: A New Perspective on Learning Arbeitspapier Nr.8, Hamburg 2000. and Innovation, in: Administrative Science Nelson, R. (1982): An evolutiunary theory of Quarterly, March 1990, S. 128-152. economic change, Cambridge 1982. 63 64 Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 80. Piller 2002, S. 388. 104 Quinn, J.B. (2000): Outsourcing Innovation, in: von Hippel, E. (1986): Lead users: a source of MIT Sloan Management Review, 41, S. 13- novel product concepts, in: Management 28. Science, 32, 7, S. 791-805. Piller, F. (2006): User Innovation: Der Kunde als Initiator und Beteiligter im von Hippel, E. (1994): “Sticky Information”” and Innovations- the Locus of Problem Solving: Implications prozess, in: Drossou, Olga/Krempl, Ste- for Innovation, in: Management Science 40, fan/Poltermann, Andreas (Hrsg.): Die wun- no.4, April 1994, S. 429-439. derbare Wissensvermehrung: Wie Open In- von Hippel, E. (2001): Perspective: User Tool- novation unsere Welt revolutioniert, Hanno- kits for Innovation, in: The Journal of Product ver 2006, S. 85-97. Innovation Management, 18 (4), S. 247-257. Piller, F./Walcher, D. (2006): Toolkits for idea von Hippel, E. (2005): Democratizing Innovation, competitions: a novel method to integrate MIT Press, Cambridge, 2005. users in new product development, in: R&D von Hippel, E./ Katz, R. (2002): Shifting Innova- Management 36, 3, 2006, S. 307-318. tion to Users via Toolkits, in: Management Prügl, R./Schreier, M. (2006): Learning from Sience, Vol. 48, no.7, July 2002, S. 821-833. leading-edge customers at The Sims: openWeiber, R./ Pohl, A./ Kollmann, T. (1999): Das ing up the innovation process using toolkits, Management von technologischen Innovati- in: R&D Management 36, 3,2006, S. 237- onen, Trier 1999. 250. Reichwald, R./ Piller, F. (2006): Interaktive Wertschöpfung: Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung, Wiesbaden 2006. Scheele, B. (2005): Hall of fame, in: Bike 7/05, S.144. Schreier, M. (2007): Toolkits for User Innovation and Design, in: URL: http://inna.at/ data/toolkits.ppt (letzter Abruf 23.11.2007). Schreier, M./ Mair am Tinkhof, A./ Franke, N. (2006): Warum „Toolkits for User Innovation and Design“ für ihren Nutzer Wert schaffen: eine qualitative Analyse, in: Die Unternehmung, 2006, 3, S. 185-201. Thomke, S./ von Hippel, E. (2002): Customers as Innovators: A New Way to Create Value, in: Harvard Business Review, April 2002, S. 74-81. 105 Rieke K. Buning Innovationstreiber Community - Konzepte zur Potenzialerschließung 1 Virtuelle Communities: Kundeneinbindung auf einer neuen Ebene 2 Ansätze zur Systematisierung und Identifikation innovationstreibender Communities 3 Grundtypen des Informationstransfers zwischen Community und Hersteller 4 Schnittstellenprobleme zwischen Community und Hersteller 1 Virtuelle Communities: Kunden- zu minimieren. 2 Um diese tiefer gehende Ausrichtung an heutigen oder zukünftigen Marktan- einbindung auf einer neuen Ebene forderungen zu realisieren, bedienen sich UnDas Phänomen 'Community' ist nicht neu. Im- ternehmen zunehmend einer nahezu uner- mer schon gab es Gruppen mit einem gemein- schöpflichen Informations- und Innovationsquel- samen Interesse: Menschen, die sich trafen, le: den VC-Mitgliedern. 3 Dabei wird eine Einbe- vielleicht zusammenschlossen, ziehung von Kunden angestrebt, die über die fachsimpelten, die gleichen Fachzeitschriften Orientierung an Kundenbedürfnissen oder die lasen und sich enthusiastisch über ihr Hobby, Teilnahme an Markttests hinausgeht: Bisherige ein Produkt – Bier vielleicht – oder ein sonstiges oder potenzielle Kunden sollen Innovations- Thema austauschten. Im Rahmen einer Virtuel- ideen, fertige Innovationskonzepte oder sogar len Community (VC) geschieht das gleiche, nur Prototypen in den PEP einbringen. 4 Solch inno- virtuell im Internet. Leimeister/ Krcmar liefern vative Kunden werden in VCs identifiziert und einen guten Überblick über Definitionen aus aktiv (z. B. als Lead User (Woll, S. 81ff.) oder verschiedenen Disziplinen, 1 eine einheitliche Nutzer von Toolkits (Asel/ Steinmetz, S. 94ff.) Definition der "Virtuellen Communitiy" gibt es sowie passiv (Netnography) in den Innovations- nicht. Diesem Beitrag liegt folgende Vorstellung prozess integriert. Doch auch wenn in den einer VC zugrunde: Communities die Innovationsideen vermeintlich Eine VC ist eine Gruppe von Menschen, die sich leicht zugänglich sind, bedarf es einiger Aufbe- an einem bestimmten virtuellen Ort im Internet reitung, um erfolgversprechende Ideen zu sam- interaktiv, in Foren, Chats, Mailing-Listen o.ä., meln, zu strukturieren und in den Innovations- über ein gewisses Themenspektrum austauscht. prozess zu integrieren. Dabei entstehen stärkere oder schwächere so- Um die Methoden, derer es bedarf um Informa- ziale Bindungen zwischen Menschen mit höhe- tionen aus einer VC in ein Unternehmen zu rem oder niedrigerem Expertenstatus. transferieren, in ein Ordnungsgefüge zu bringen, Virtuelle Communities sind eine wertvolle An- werden in diesem Beitrag anhand der Aktivität/ laufstelle für Unternehmen, die im Produktent- Passivität der Kommunikationsteilnehmer Kunde wicklungsprozess (PEP) frühzeitig auf Impulse und Hersteller drei Grundtypen solcher methodi- bzw. konkrete Innovationsvorschläge von Kun- 2 in Vereinen den eingehen wollen, um das Floprisiko eines entstehenden Produktes zu reduzieren oder gar 3 1 4 Leimeister/ Krcmar 2004, S. 47f. 106 Die Zahlen zum Scheitern von Neuprodukten variieren je nach Branche und Autor zwischen 50% und 90%, Vgl. Reichwald/ Ihl/ Seifert 2004, S. 2; Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 4. Vgl. Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 4f. In dieser Arbeit die Begriffe (Community-) Mitglieder, User, Kunden synonym verwendet. Von allen Begriffen wird im Folgenden die männliche Form verwendet, wobei darunter selbstredend Frauen und Männer verstanden sind. Vgl. Reichwald/ Ihl/ Seifert 2004, S. 2. schen Schnittstellen eingeführt: "Beobachtung", 2 Ansätze zur Systematisierung und "Interaktion" und "Outsorcing". Als Schnittstelle Identifikation innovationstreibender werden dabei Methoden verstanden, die früh im Communities PEP einen Kontakt i. S. einer Verbindung zwiVirtuelle Communities, in denen Beschwerden schen dem Hersteller und der ganzen VC oder und Unzufriedenheiten, Konsum- und Produkter- einzelnen Mitgliedern herstellen, um dort gene- fahrungen oder Tipps und Verbesserungsvor- rierte Ideen oder innovative User für den PEP zu schläge über bestimmte Themen oder Produkte gewinnen. 5 ausgetauscht werden, sind für Hersteller eine Als Anhaltspunkte, die bei der Suche nach er- gute Quelle, um mehr über die Bedürfnisse ihrer folgversprechenden VCs bzw. geeigneten Usern Kunden und deren Innovationsideen zu erfah- als Gegenpart für das Unternehmen im Innova- ren. Doch es gibt zahllose VCs mit unzähligen tionsprozess nützlich sein können, werden im Usern, die eine unüberschaubare Anzahl an folgenden Kapitel Systematisierungsmöglichkei- Beiträgen verfassen. Wo kann das Unterneh- ten vorgestellt. Der dritte Abschnitt führt die drei men ansetzen? Wie kann es die Datenflut be- genannten Grundtypen der Kommunikation an wältigen und zum eigenen Nutzen auswerten? Schnittstellen ein und nimmt eine Zuordnung der Verschiedene Modelle helfen dabei, VCs von- drei methodischen Schnittstellen (Netnography, einander abzugrenzen oder ihr "Innenleben" zu Lead-User-Konzept und Toolkit) vor. Dabei wer- strukturieren. 6 den Chancen, Probleme und Kritikpunkte dieser An sich betrachtet grenzen sich VCs durch un- Methoden aufgezeigt. Abschnitt vier gibt einen Mitgliederverhalten, 7 terschiedliches Einblick in die konkreten Kommunikationsprob- schiedliche Mitgliedermotivation leme, die an den jeweiligen Schnittstellen nicht unterschiedliche durch die Methode, sondern erst durch (man- 8 unter- oder durch Themenschwerpunkte 9 von- einander ab. Hagel/Armstrong differenzieren gelnden) Austausch oder Zusammenarbeit zwi- verbraucherorientierte Communities von Bussi- schen dem Unternehmen, seinen Mitarbeitern ness-To-Business-Communities. Die Verbrau- und der VC bzw. ihren Usern auftreten können cherorientierten Communities differenzieren sie und zeigt auf, welche Handlungsmöglichkeiten weiter in geografische VCs (Trier, Eifel,...), de- bestehen. mografische VCs (Frauen, Rentner,...) und theDa eine vollständige Behandlung aller hier an- menbezogene VCs (Sport, Technik,...). Für die gesprochenen Methoden in diesem Rahmen Untersuchung nicht möglich ist, beschränkt sich die Betrach- der Kommunikation an den Schnittstellen zwischen VC und Unternehmen tung auf die relevanten Aspekte für die oben ist es allerdings unerheblich, welcher Unterart beschriebene Schnittstellenthematik. die VC zuzurechnen ist, solange sie Innovationspotenzial besitzt und der Mitarbeit an einer Produktentwicklung mit einem Unternehmen zugetan ist. 10 Darüber hinaus kann die Unter- scheidung zwischen verbraucherorientierter VC und Business-To-Business-Community bei der 6 7 5 8 Zur Einbindung von VCs in verschiedenen Phasen des Produktentwicklungsprozesses siehe Hildebrand, S. 147ff.. 9 10 107 Vgl. Herstatt/ Sander 2004b, S. 106. Figallo 1998, zitiert nach Beinhauer et al. 1999, S. 409f. Beinhauer et al. 1999, S. 413f. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 141 - 147. ebd. Betrachtung der Schnittstellen weitestgehend sowohl starke soziale Bindungen zur vernachlässigt werden, da sich zwar aus der Gruppe, als auch ein hohes Interesse am unterschiedlichen Marktsituation unterschiedli- Thema und sind daher oft Meinungsführer che Voraussetzungen ergeben, die aber letzt- in den VCs. Für die Untersuchung anhand endlich nur minimale methodische Anpassungen des Netnography-Ansatzes sind Devotees mit sich bringen. 11 und Insider wegen ihres hohen thematischen Involvements die besten Informati- Von innen her lassen sich VCs nach ihrer wert- onsquellen. vollsten Ressource strukturieren: VC-Mitglieder verschiedenen Rollen zuzuordnen ist sinnvoll, Eine VC nach ihrer Art und ihre Mitglieder nach um ihre Beiträge hinsichtlich der Verwendung im Rollen zu systematisieren ist kein Selbstzweck. Innovationsprozess zu bewerten oder die Inter- Die Kriterien, nach denen sie untersucht wer- aktion in einer VC zu verstehen. Ebenso wie für den, sollen helfen, eine strukturierte Untersu- VCs selbst gibt es über die Rollen in VCs sehr chung vornehmen zu können. Hat eine Zuord- unterschiedliche Ansichten. 12 nung stattgefunden, wird mit dem Ergebnis weitergearbeitet: Will das Unternehmen mit einer An dieser Stelle seien die vier Rollentypen nach Business-to-Business-VC, einer geografischen Kozinets erwähnt. 13 Seine Einordnung berück- oder einer themenbezogenen VC zusammenar- sichtigt den Grad des sozialen und des themati- beiten? Kann ein VC-Mitglied mit einem Tourist- schen Involvements, beides wichtige Voraussetzungen für eine funktionierende oder einem Mingler-Status im Innovationspro- VC. zess hilfreich sein? Die hier genannten Möglichkeiten der Kategorisierung sind lediglich Bei1. Tourists: Ihr thematisches Involvement ist spiele, sie sollen verdeutlichen, wie wertvolle stärker ausgeprägt als das soziale, mögli- Kooperationspartner von weniger bedeutsamen cherweise sind sie einmalige Besucher. unterschieden werden können. Sie stellen viele Fragen und haben großes 14 Beispiele für konkrete Vorgehensweisen liefert der nachfol- Interesse am Thema, sind aber weniger gende Abschnitt. an sozialen Bindungen zu anderen Mit- 3 gliedern interessiert. Grundtypen des Informationstransfers zwischen Community und Her- 2. Minglers: Sie führt weniger ihr Interesse am steller Thema oder am Konsum eines Produkts in die VC, als vielmehr ihr starkes Interes- In diesem Kapitel werden drei Methoden der se an sozialen Bindungen. Beteiligung von Community Mitgliedern am Innovationsprozess den drei Grundtypen der 3. Devotees: Sie haben hohes Interesse am Kommunikation an der Schnittstelle zwischen Thema, aber eher schwache Bindungen Hersteller und VC zugeordnet. Anschließend zur Community. werden die Methoden näher erläutert, wobei 4. Insider: Die Insider sieht Kozinets als einfluss- neben den Chancen auch methodische Proble- reichste Gruppe mit dem höchsten Anse- me aufgezeigt werden. Die Grundtypen der hen innerhalb der VC. Sie vereinen in sich Kommunikation an Schnittstellen ergeben sich 11 12 13 aus der Aktivität bzw. der Passivität der Kom- Vgl. v. Hippel 2005, S. 3f.; In diesem Beitrag werden die Begriffe Unternehmen und Hersteller synonym verwendet. Vgl. Meyer 2000, S. 53ff. Kozinets 2002, S. 6. Die folgenden Abschnitte beziehen sich auf diese Quelle. 14 108 Vgl. Bartl/ Holger/ Füller 2004, S. 150f. munikationspartner. Ist der Hersteller aktiv, die „Unter Netnography wird die Analyse der Onli- VC-Mitglieder jedoch passiv, liegt der Grundty- ne-Kommunikation von Community-Mitgliedern pus "Beobachtung" vor: Beim Netnography- und Konsumenten verstanden. Der Ansatz er- Ansatz ist der User zwar Gegenstand einer Un- laubt, sowohl die explizit formulierten als auch tersuchung, nimmt an dieser aber lediglich pas- die implizit vorhandenen Bedürfnisse, Wünsche, siv als Objekt einer Beobachtung teil. Kommuni- Erfahrungen, Motivationen, Einstellungen und zieren beide Seiten aktiv, wird vom Grundtypus Wahrnehmungen der Konsumenten und An- "Interaktion" wender hinsichtlich Produkten und Marken qua- gesprochen: Die Lead-User- litativ zu erforschen. [...]“. 16 Methode basiert auf einer Interaktion zwischen User und Unternehmen; zunächst, um über- Dabei haupt Lead User zu identifizieren, und um an- werden vorrangig Konsumenten-VCs untersucht, um Trends und Tendenzen in ano- schließend mit den identifizierten Lead Usern nymen Massenmärkten festzustellen. Kozinets eine Innovation zu entwickeln. Der Grundtypus hält ein Vorgehen in fünf Stufen für sinnvoll: 17 "Outsourcing" liegt vor, wenn ein Unternehmen Entrée: Die Forschungsfrage wird bestimmt und mithilfe von Toolkits Teile des Innovationspro- entsprechend eine oder mehrere virtuelle zesses zum nun aktiven Kunden auslagert. Communities anhand folgender Kriterien Ablaufbeschreibungen sollen einen Einblick untersucht: Liegt der Fokus der Gruppe geben, wie der Informationstransfer gestaltet auf untersuchungsrelevanten Themen? wird, um so die jeweiligen Form der Kommuni- Wenn ja, sind die Menge der Postings, die kation in den VCs als Schnittstellen zwischen Anzahl der aktiven Mitglieder (besonders Kunde und Hersteller zu verstehen. Insider oder Devotees) 18 , der Detailreich- Abb. 1: Grundtypen der Kommunikation an tum der Postings und der Grad der Inter- Schnittstellen aktion zwischen den Mitgliedern bezüglich des relevanten Themas entscheidende Faktoren dafür, inwieweit eine VC aus Unternehmenssicht interessant ist. Data Collection & Analysis: Einerseits werden ganze Texte oder Passagen aus der Kommunikationsflut übernommen, andererseits ist es wichtig, sich mit der Community und ihren Mitgliedern, ihrer Sprache, ihren Interessen, ihrem Verhältnis zum Markt oder zum Produkt gut vertraut 3.1 Netnography als Instrument der Beo- zu machen. Eine gute Quelle für Werte bachtung und Ansichten der Online-Gemeinschaft "Netnography" ist eine Wortschöpfung von Robert Kozinets 15 kann die ‚Netiquette’ sein. Es werden und verbindet die Begriffe "Inter- net" und "Ethnografie". Bartl gibt hierzu eine 16 17 kurze, aber prägnante Beschreibung: 18 15 19 19 Vgl. Kozinets 2002, S. 1; vgl. Bartl 2007, S.1. 109 Bartl 2007, S. 84. Vgl. Kozinets 2002, S. 2ff. Der folgende Abschnitt bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet. Siehe Kapitel 2 dieser Arbeit. Vgl. Kaiser et al. 2000. explizite (Beschwerden, Empfehlungen,...) werden den teilnehmenden Mitgliedern wie auch implizite (Verhalten,...) Äuße- vorgelegt, um diese von ihnen abschlie- rungen erfasst. ßend beurteilen zu lassen. Trustworthy Interpretation: Für diesen Beitrag Die Netnography ist eine sehr unaufdringliche stellt die Interpretation der Postings den Methode: Ohne selbst in der Gruppe aktiv zu entscheidenden Aspekt dar: Informationen werden, beobachtet der Marktforscher die un- der Kundenseite werden in Schlussfolge- verfälschte Kommunikation ("word-of-mouth") rungen und Erkenntnisse auf Unterneh- und Interaktion der Community-Mitglieder. Das mensseite überführt. Natürlich sind auch Umfeld der Untersuchung ist nicht vom Markt- die Arbeitsschritte er- forscher künstlich gestaltet, die Konversation ist folgsentscheidend, aber die Qualität der meist in Alltagssprache abgefasst und gerade interpretierenden Beobachtung - und da- deswegen sehr nahe am Kunden. Diese Metho- mit der "Erfolg" der gesamten Untersu- de ist zwar nicht so kostenintensiv wie Fokus- chung - hängt stark von der Urteilsfähig- Gruppen oder persönliche Interviews, aber we- keit und der Sensibilität des Forschers ab. sentlich umfangreicher und zeitaufwendiger. Nur wenn er fähig ist, den "Bedürfniscode" Füller et al. berichten von einem Untersu- des Users zu entschlüsseln und ihn in chungszeitraum von sechs Monaten in ver- Wunsch, Bedürfnis und Meinung aufzu- schiedenen schlüsseln, ist das Ergebnis der Net- 240.000 Postings in 18.000 Threads ausgewer- nography verlässlich und kann im Innova- tet wurden. vorangehenden tionsprozess verwendet werden. Sport-Communities, in denen 20 Der Netnography-Ansatz dient als Basis für Research Ethics: Der Forscher sollte seine In- weitere Untersuchungsmethoden, beispielswei- tentionen und seine Anwesenheit für die se für die Community Based Innovation. Aller- Dauer der Untersuchung im Forum be- dings unterscheidet sich die Community Based kannt geben. Auch an dieser Stelle ist es Innovation wesentlich vom Netnography-Ansatz, wiederum von zentraler Bedeutung, die da die Forscher mit den Mitgliedern der VC in- VC gut zu kennen, um abschätzen zu teragieren: Sobald die geeignete Community können, wie die Mitglieder auf "Eindring- identifiziert ist, werden User in den Neuprodukt- linge" reagieren. Es ist sinnvoll, zunächst Entwicklungsprozess integriert. Der Forscher beim Moderator, Webmaster oder bei an- bzw. das Unternehmen bleibt also nicht der erkannten Mitgliedern die Einstellung der passive Beobachter im Hintergrund, sondern Community bezüglich seines Vorhabens nimmt aktiv am Gruppenleben z. B. durch Dis- anzufragen. Der Forscher sollte Diskretion kussionsforen, Online-Fragebögen oder Ideen- und Anonymität zusichern, Feedback der wettbewerbe teil. untersuchten Mitglieder mit einbeziehen 21 Die Daten, auf die der Forscher in der Net- und er sollte sich stets bewusst sein, dass nography primär zurückgreift, sind öffentlich und er sich in Online-Communities auf einem frei zugänglich - was die Informationsbeschaf- schmalen Grad zwischen Privatsphäre fung für das Unternehmen vereinfacht. Aber und Öffentlichkeit bewegt. ebenso leicht sind die in den Foren geposteten, Member Checks: Die Ergebnisse der Untersu- 20 21 chung oder einzelne Bestandteile daraus 110 S. Füller/ Javecki/ Mühlbacher 2005, S. 9. Vgl. Bartl/ Holger/ Füller 2004, S.; Genaueres zu Ideenwettbewerben siehe Abschnitt 3.2 dieses Beitrags. innovativen Produktideen für andere Unterneh- te. 23 Zu Beginn wurde die LU-Methode vorran- men und deren Marktforschung verfügbar. Eine gig in Industriegütermärkten angewendet, dort weitere Schwierigkeit, die von Kozinets aufge- ist die Anzahl der Kunden überschaubar. Au- zeigt wird, ist bei reiner Beobachtung das Feh- ßerdem besteht meist ein persönlicher Kontakt len jeglicher Information zu Alter, Geschlecht, durch Außendienstmitarbeiter, deren Hinweise Wohnort, Einkommen etc. So lassen sich die bei der Identifizierung von LUn in Industriegü- gewonnenen Daten zu Bedürfnissen, Wün- termärkten sehr hilfreich sein können. Die Identi- schen, Erfahrungen, Motivationen, Einstellungen fikation von Lead Usern nicht nur ins WWW, und Wahrnehmungen der User nur schwer auf sondern ganz gezielt in die dort angesiedelten Märkte außerhalb des Internets übertragen. VCs zu verlagern, begründet sich durch die Chance, nun auch in Konsumgütermärkten LU Der Netnography-Ansatz ist insgesamt als neue identifizieren zu können. Denn gerade in Kon- Art der Marktforschung im Internet zu sehen, bei sumgütermärkten gestaltet sich die Suche nach der nicht bloß die altbekannten Methoden an- LUn äußerst schwierig, da die Anzahl der Kun- gewendet werden, sondern ein Instrument ent- den für gewöhnlich sehr hoch ist und über die wickelt wurde, das auf die neuartigen Gegeben- einzelnen Kunden keine oder nur wenige Infor- heiten des relativ jungen Mediums "Internet" mationen vorliegen. eingeht. Elemente des Netnography-Ansatzes VCs bieten also momen- tan die besten Voraussetzungen für eine erfolg- werden auch bei der Identifikation von Lead reiche Suche nach LUn in unüberschaubar gro- Usern verwendet, was im folgenden Abschnitt ßen Konsumgütermärkten. erläutert wird. 3.2 24 Die Innovationsleistungen, die LU in verschie- Lead-User-Methode als Variante des densten Konsum- und Industriegütermärkten interaktiven Zusammenspiels erbringen, sind für Unternehmen von hohem Eric von Hippel benennt zwei Hauptcharakteris- Interesse in Bezug auf die Entwicklung von radi- tika von Lead Usern (LU): Zum einen haben sie kalen Innovationen, sog. "Breakthroughs". 25 bestimmte neue Bedürfnisse früher als der Beide Parteien, sowohl der Hersteller als auch Großteil des Marktes und können diese auch der beteiligte Kunde mit LU-Eigenschaften, kön- benennen; sie sind also einem Trend weit vor- nen erheblich von einer erfolgreichen, gemein- aus. Zum anderen ziehen sie einen großen Nut- samen Produktentwicklung profitieren. Der LU zen aus der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. zieht seinen Nutzen aus der Erfüllung seiner Je deutlicher diese Eigenschaften bei Kunden Bedürfnisse bzw. aus der Lösung seiner Prob- ausgeprägt sind, desto höher ist die Wahr- leme, seltener aus monetären Anreizen. 26 Die scheinlichkeit, dass sie vorhandene Produkte Zusammenarbeit mit solchen Pionierkunden ihren Bedürfnissen entsprechend modifizieren oder sogar neue Produkte entwickeln. führt eher zu qualitativen Verbesserungen im 22 PEP, wie Reduzierung des Floprisikos, stärkere Die Lead-User-Methode wurde schon praktiziert, Kundenbindung und verbessertes Verständnis als das World Wide Web (WWW) noch kein der Marktpartner, als zu einer quantitativen Op- öffentlich zugängliches Medium war, also lange bevor von VCs überhaupt die Rede sein konn- 23 24 25 26 22 Vgl. von Hippel 1986; von Hippel 2005, S. 22. 111 Vgl. von Hippel 1986, S. 8 ff. Vgl. von Hippel 1986, S. 8 ff.; Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 4 ff. Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 103 ff. Vgl. von Hippel 2005, S. 93ff.; Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2003, S. 8. timierung wie etwa Zeit- oder Geldersparnis. 27 und Unternehmen bieten. 30 Zur Identifikation Zudem sind die Umsatzprognosen für Produkt- von LUn in virtuellen User Communities bieten entwicklungen mit LU-Beteiligung außerordent- sich unterschiedliche Möglichkeiten an, von lich gut. 28 denen hier die drei zentralen dargestellt seien. Um jedoch in der Zusammenarbeit mit LUn ei- Screening-Fragebögen nen guten Erfolg zu erzielen, müssen einige Screening-Fragebögen 31 werden auf der Websi- Hindernisse bewältigt werden. Die LU-Methode te einer virtuellen Community verankert, um aus sieht vier Phasen vor: In der ersten Phase wer- der Menge von interessierten und engagierten den die personellen Vorrausetzungen geschaf- Community Mitgliedern echte LU herauszufil- fen und Ziele festgelegt, um in der zweiten Pha- tern. Dazu müssen die beiden oben genannten se eine Trendprognose mit beobachtenden Me- Charakteristika operationalisiert werden, wie es thoden, wie sie aus der Netnography bekannt bspw. Franke/ Shah in einer Studie in vier Sport- sind, durchzuführen. Diese Trendprognose wie- Communities taten; sie haben das erste Charak- derum gibt die grobe Richtung für Phase drei teristikum "Trendsetter" wie folgt operationali- vor, in der die geeigneten LU unter den Com- siert: "Von neuen Produkten und Lösungen er- munity Mitgliedern identifiziert werden sollen. fahre ich für gewöhnlich früher als Andere."‚ Phase drei ist wegen ihrer Schnittstellenfunktion "Von der frühen Übernahme und Nutzung neuer zwischen VC und Unternehmen im vorliegenden Produkte habe ich stark profitiert."‚ "Ich habe Beitrag von besonderem Interesse. Eine beson- Prototypen neuer Produkte für Firmen getestet."‚ dere Schwierigkeit stellt die korrekte Identifikati- "In meiner Sportart werde ich als Vorreiter an- on von LUn in Konsumgütermärkten dar. Wäh- gesehen." und schließlich "Im [Sportart ...] habe rend Investitionsgütermärkte meist kleiner und ich alte Techniken verbessert und neue entwi- überschaubarer sind, oft sogar persönlicher ckelt.". Das zweite Merkmal "Hoher Nutzen Kontakt besteht und die Klienten dem Unter- durch Innovation" übersetzten sie in "Ich habe nehmen gut bekannt sind, ist die Auswahl ge- neue Bedürfnisse, die von existierenden Pro- eigneter Kunden keine besondere Hürde. In dukten nicht befriedigt werden können." und "Ich anonymen Massenmärkten hingegen, wie sie im bin unzufrieden mit der existierenden Ausrüs- Konsumgüterbereich üblich sind, ist die Identifi- tung.". Zusätzlich dazu untersuchten Franke/ kation wesentlich schwieriger, da nur in den Shah auch weitere Indikatoren für LU wie die in seltensten Fällen direkter Kontakt besteht oder brauchbare Daten über den Kunden vorliegen; der Community verbrachte Zeit oder die Rolle 29 des Users in der Community. doch erscheint dieses Problem basierend auf Community- bzw. Herstellerforen virtuellen Communities lösbar. Zur Identifikation von LUn sind Online Communities besonders Community- bzw. Herstellerforen ermöglichen geeignet, da sie eine schnelle und kostengüns- den Usern einer Community, unter der Steue- tige Möglichkeit der Interaktion zwischen User rung eines Moderators in themenspezifischen Foren interaktiv miteinander zu kommunizieren (z. B. ip-phone-forum.de). Dies geschieht zu 27 28 29 unterschiedlichen Themen (Unternehmen, MarVgl. Springer et al. 2006, S. 13. Sogar bis zu acht mal höher als Produkte, die nicht mit der Lead User Methode entwickelt wurden. Siehe Lilien et al. 2002, S. 1055. Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 5; Herstatt/ Sander 2004, S. 104. 30 31 112 Jedoch die Gestaltung dieser Interaktion ist nicht unbedingt kostengünstig. Franke/ Shah 2003, Tabelle 3, S. 13; der folgende Abschnitt bezieht sich auf diese Literaturangabe. ken oder Themen) und auf unterschiedliche Art gements kann die LU-Methode dabei nicht er- und Weise (Mailing-Listen, Chats, Diskussions- setzen. 33 foren). LU werden hier über die Qualität der Die LU-Methode ist kein Garant für einen rei- Beiträge und ihre Rolle in der Community identi- bungslosen und erfolgreichen Innovationspro- fiziert und können zu zugangsbeschränkten zess. Es besteht trotz reduziertem Floprisiko die Online-Fokusgruppen eingeladen werden, die Gefahr, dass das frühe Bedürfnis des LUs nie- vom Unternehmen moderiert und strukturiert mals auf dem Massenmarkt bestehen wird. Da- werden. her muss das Unternehmen bereits bei der LU- Ideenwettbewerbe Identifizierung möglichst ausschließen, dass das Ideenwettbewerbe 32 (z. B. Visionenkessel.de) geäußerte Bedürfnis des LUs auf einen Nischenmarkt abzielt. 34 Ein weiterer Grund für sind aus zwei Gründen in den frühen Phasen einen möglichen Misserfolg in der Produktent- der PE attraktiv: Einerseits liefern sie zusätzli- wicklung ist das Problem der "Sticky Informati- che Ideen, die den Ideengenerierungsprozess on". 35 Um diese Hürde zu nehmen, kommen im Unternehmen unterstützen; andererseits liegt auch in Konsumgütermärkten immer öfter soge- die Vermutung nahe, dass Kunden mit beson- nannte Toolkits zum Einsatz, die im nun folgen- ders guten, innovativen Ideen LU-Potenzial be- den Abschnitt thematisiert werden. 36 sitzen. Um das zu überprüfen, lässt das Unternehmen den Einsendern von besonderen Ideen 3.3 Toolkits for User Innovation und zur weiteren Segmentierung einen Screening- ausgelagerte Unternehmensaktivitäten Fragebogen zukommen. Die Durchführung er- Ein Toolkit 37 (TK) ist ein virtuelles Werkzeug, mit folgt dann zumeist in der oben beschrieben dem durch Kombination vorhandener Module Form. und Elemente ein hochindividuelles Produkt Wenn das Unternehmen die LU identifiziert hat, gestaltet werden kann (z. B. spreadshirt.de). folgt in Phase vier die Entwicklung von Produkt- Nachdem der Designvorgang im WWW abge- konzepten. In einem zumeist zwei- bis dreitägi- schlossen ist, wird per Mausklick der Produkti- gen Workshop werden die LU mit den Mitarbei- onsauftrag abgeschickt. Durch die Einbindung tern zusammengebracht. In Teams von drei bis eines Toolkits in eine VC können die User über fünf Personen entwickeln sie die ersten vagen innovative Designs diskutieren, sich gegenseitig Ideen weiter, die im Identifikationsprozess ge- Tipps geben oder Kritik üben . sammelt wurden. Nach dem Workshop werden 38 Nach dem Industriegütermarkt erobert das TK die Ideen, die nun in Skizzen, Modellen oder jetzt auch den Konsumgütermarkt. Es ermög- Konzeptbeschreibungen vorliegen, den Ent- licht den Unternehmen die Bearbeitung von scheidungsträgern präsentiert. Gegebenenfalls "Markets-of-One". 39 Das Unternehmen muss schließt sich dann der normale Entwicklungsund Bewertungsprozess an, den jede Innovati- 33 34 onsidee durchläuft. Die traditionellen Methoden 35 der Marktforschung und des Innovationsmana36 37 32 Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 10 f. Der folgende Abschnitt bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet. 38 39 113 Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2003, S. 6ff. Vgl. Enkel/ Kausch/ Gassmann 2005, S. 209. Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff.; Sticky Information sind schwer transferierbare Informationseinheiten, eine genauere Thematisierung erfolgt in Abschnitt 3.3. Zur eingehenden Betrachtung der Lead User Analyse siehe Woll, S. 81ff. Vgl. Schreier 2004. Der folgende Abschnitt bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet. Näheres zur Einbindung von Toolkits in VCs siehe Kapitel 4. Keenan et al. 2002. also nicht alle denkbaren Produkte den Kun- kann das Produkt nicht mehr zu einem akzep- denbedürfnissen entsprechend entwickeln, son- tablen Preis anbieten. dern der Kunde entwickelt unter bestimmten Die Bedienoberfläche mit allen Anwendungen u. a. produktionstechnischen Restriktionen sein (z. B. eigenes Produkt. 40 Der Einsatz von TK zur Pro- Bezeichnungen intuitiv nachvollziehbar und benutzerfreundlich als die Beteiligung von LU: War bei der Zusam- sein, damit keine Missverständnisse aufkommen menarbeit mit LU das Unternehmen noch aktiv eigentlichen und (Darstellung aller Elemente und Module) muss duktentwicklung geht noch einen Schritt weiter am "drag-and-drop") und keine Einstiegsbarrieren vorherrschen, wie Produktentstehungsprozess etwa eine Fachsprache oder eine komplizierte beteiligt, stellt es dem User jetzt 'nur noch' eine Anwendung, die weniger involvierte Kunden Sammlung von kombinierbaren Elementen be- abschreckt. reit und überlässt diesem das eigentliche DeDem User sollten modulare Designvorlagen zur sign. Auf diese Art und Weise umgeht das Un- Verfügung stehen, damit nicht jeder Kunde bei ternehmen den fehleranfälligen Versuch, Kundenbedürfnisse im Detail zu verstehen. 41 null anfangen muss. Denkbar wäre eine Stan- An dardproduktpalette wie etwa verschiedene Arten dieser Schnittstelle findet also eine indirekte, von T-Shirts, auf denen sich der User mit kreati- standardisierte Kommunikation über das Toolkit ven Elementen 'austoben' kann. statt: 'Der User erklärt nicht was er will, er baut es sich aus vorgegebenen Modulen gleich Die Übersetzung der Designvorlage des Users selbst.' Mit dem TK wird der Kunde aktiv, er muss in der Produktion realisierbar sein. Das wechselt sozusagen die Fronten: Von der passiv bedeutet, dass die komplette Sammlung aller konsumierenden Unbekannten 'Kunde' wird er – nützlichen Module und Optionen vorher gründ- mit einer Reihe von Werkzeugen ausgestattet – lich geprüft und auftretende Fehler behoben selbst zum Innovator. Damit aus dem Einsatz werden müssen, damit der Kunde genau das von TK eine "Win-Win-Situation" 42 entsteht, sollte es fünf zentrale Anforderungen erfüllen: Produkt erhält, das er sich zusammengestellt 43 hat. Durch das Konzept "trial-and-error" bzw. "lear- Der Einsatz von TK ist dann besonders sinnvoll, ning-by-doing" soll der Kunde sein Design fin- wenn in einem Segment sehr unterschiedliche den, indem er während des Designprozesses Bedürfnisse existieren, wenn die Weitergabe über die Anzeige eines virtuellen Prototyps produktionsrelevanter Informationen unbedenk- Feedback erhält und so seinen Fortschritt ver- lich ist und wenn bedürfnisbezogene Informatio- folgen und jederzeit korrigieren kann. nen, die sog. "Sticky Information" 44 schwer zu erheben sind. 45 Die 'Stickyness' einer bestimm- Dabei ist die Größe des Gestaltungsspielraumes ten Informationseinheit wächst mit den Kosten sehr wichtig: Kann der Kunde zu wenig selbst bzw. dem Aufwand, den es für den Forscher gestalten, findet er vielleicht nicht, was er sucht; bedeutet, diese Informationseinheit zu transfe- muss/ darf er zu viel gestalten, überfordert ihn rieren. 46 Da TKs die Kommunikation zur Suche das möglicherweise oder das Unternehmen nach dem Kundenbedürfnis überbrücken oder gar ersetzen, sind sie eine geeignete Methode, 40 41 42 43 Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 74. Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 76. Vgl. von Hippel/Thomke 2002, S. 77. Vgl. von Hippel 2001, S. 14. Die fünf folgenden Absätze beziehen sich auf diese Literaturquelle. 44 45 46 114 Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff.; Schreier 2004, S. 204. Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff. tion besitzen, sondern auch dasselbe darunter das Problem der Sticky Information zu umgehen. 47 verstehen. Der Transfer funktioniert bei Virtuellen Communities meist über das Medium Text, Im Gegensatz zur Lead-User-Methode kann der das weder Mimik, noch Gestik, noch den Tonfall User mit einem TK nur schwerlich radikale Inno- beinhaltet und so die korrekte Interpretation vationen hervorbringen, da trotz aller Freiheit ja einer Botschaft, wie sie beim Netnography- letztendlich nur Elemente aus einer vorgegebe- Ansatz üblich ist, erschwert. Auch Webmaster nen d. h. vom Hersteller auch konkret umzuset- sind sich dieser Schwierigkeit durchaus be- zenden Menge zum Einsatz kommen können. wusst, wie ein Auszug aus der NetNews- Außerdem kann auf diese Art niemals ein tech- Netiquette zeigt: nisch so ausgereiftes Produkt entstehen, wie es von erfahrenen Ingenieuren entwickelt werden „[...] Erst lesen, dann denken, dann noch mal kann. Ingenieure werden also weiterhin hoch- lesen, dann noch mal denken und dann erst wertige Produkte entwickeln, die hohen techni- posten! Die Gefahr von Missverständnissen ist schen Anforderungen genügen aber vorgelagert bei einem geschriebenen, computerisierten Me- einen langen Entwicklungsprozess durchlaufen. dium besonders hoch. Vergewissern Sie sich Daneben existieren dann Toolkit-Produkte, die mehrmals, dass der Autor des Artikels, auf den genau den Kundenanforderungen entsprechen Sie antworten wollen, auch das gemeint hat, und in kurzer Zeit verfügbar sind. 4 48 was Sie denken. Insbesondere sollten Sie darauf achten, ob nicht vielleicht Sarkasmus oder Schnittstellenprobleme zwischen eine ähnliche Abart des Humors :-) benutzt wur- Community und Hersteller de, ohne ihn mit dem Smiley-Symbol „:-)“ zu An der Schnittstelle zwischen Hersteller und kennzeichnen. [...]“ User können neben den oben beschriebenen 49 Das Bewusstsein um die Tücken, welche die methodischen Problemen auch kommunikative Interpretation von Texten in VCs mit sich bringt Probleme auftreten, die sich erst beim konkreten und eine aufmerksame und sensible Auswer- Austausch zwischen beiden Seiten zeigen. Das tung sind für den "Netnographen" unerlässlich, können bei der Netnography z. B. mangelnde um die Botschaft des Users wirklich zu verste- Informationen sein, die die Lesart bspw. eines hen. Postings erschweren, Unsicherheiten im Umgang mit Außenstehenden und deren Ideen wie Eine andere Art der Kommunikation liegt beim bei der Lead-User-Methode oder begrenzter Einsatz von TK vor: 50 Anstatt explizite oder im- Lösungsraum beim Design eines individuellen plizite Kundenbedürfnisse exakt zu analysieren, Produkts bei einem Toolkit. wird dem Kunden eine Reihe von frei kombinierbaren Elementen zur Gestaltung eines indi- Die Netnography kämpft mit einem zentralen viduellen Produkts angeboten. Doch ist der User Problem bei Schnittstellen, dem Überführen von trotzdem nicht frei in seiner Wahl, denn er ist spezifischen Informationen von einem System zumeist an die vorgegebenen Möglichkeiten des (Kunde) in ein anderes (Herstellerunternehmen), TK gebunden. Neben dem Designvorgang, in und zwar so, dass nach dem Informationstrans- dem der Kunde nicht sagt was er will, sondern fer beide Systeme nicht nur die gleiche Informa49 50 47 48 Vgl. von Hippel 2001, S. 16. Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 78. Zur eingehenderen Behandlung des Toolkits siehe Asel/ Steinmetz, S. 94ff. 115 Kaiser et al. 2000, S. 1. Vgl. Schreier 2004, S. 212 ff. Der folgende Abschnitt bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet. es bestmöglich anhand der vorhandenen Ele- ckelt werden, dass auch die anderen User menten zusammenstellt, ist keine weitere Ein- davon profitieren. Damit wäre das TK bindung des Users in die Weiterentwicklung nicht mehr nur ein Mittel zum Zweck, um bzw. Verbesserung des TK vorgesehen. Schrei- dem LU seine innovativen Produkt-Ideen er geht hier noch einen Schritt weiter indem er samt "Sticky-Information" zu entlocken, fragt, warum eigentlich LU nicht schon an der dann wäre das TK selbst der Mittelpunkt Entwicklung des TK beteiligt werden sollten. der Innovationsanstrengung. Diese Beteiligung würde zwei Komponenten deen wurden von "spreadshirt.de" bereits beinhalten: in die Tat umgesetzt: User können ande- 51 Diese I- ren Usern ihre selbst gestalteten Motive I. Entwicklung des TK als virtuelles Werk- zur Verfügung stellen, und damit eine zeug Provision pro verwendetem Motiv verdie- Z. B. in LU-Workshops: Prototypen könn- nen. ten in ausgewählten Communities getestet und bei Bedarf gemeinsam verbessert Die LU-Methode hat keine Probleme mit dem werden. Als radikalste Variante könnte die Fehldeuten von Textpassagen wie die Net- Toolkit-Entwicklung als Ganzes an inno- nography oder der Beschränkung auf inkremen- vative, engagierte User ausgelagert wer- telle Innovationen wie das TK, vorausgesetzt, den, so könnten Communities laufend die der oder die LU wurden bereits richtig identifi- Eigenschaften den sich ändernden Anfor- ziert. Trotzdem gibt es auch hier 'Mechanismen', derungen anpassen. Der Hersteller wäre die dann 'nur noch' für die Machbarkeitsprü- Schnittstelle blockieren: Selbst wenn mit Hilfe fung bzw. die Umsetzung der Designs in des LU gute Produktideen generiert werden, die Produktion zuständig. kann es zu Vorbehalten und sogar Widerstän- das reibungslose Funktionieren dieser den aus den Reihen des Unternehmens kom- II. Auswahl und Gestaltung der Design- men. Wenn Mitarbeiter aus eingespielten Abtei- Elemente lungen dazu neigen, eigene Ideen und Techni- Bisher werden die Design-Elemente vom ken als überlegen anzusehen und dabei von Hersteller bestimmt, wobei das wahre In- vorne herein das Potenzial der Ideen unter- novationspotential der User nur unzurei- schätzen, die von außen beigesteuert werden, chend genutzt wird. User könnten dem spricht man vom "Not-Invented-Here"-Syndrom Hersteller eigene Design-Elemente vor- (NIH). Katz/ Allen sehen den Grund für das NIH- schlagen, die nach einer Prüfung den an- Syndrom in eingefahrenen Strukturen der Abtei- deren Usern zur Verfügung gestellt wer- lungen eines Unternehmens; Mobilität sei das den könnten. So könnte neben der geeignete Gegenmittel: ständige Bewegung in Schnittstelle User – Hersteller eine weite- der Besetzung aller Teams macht es möglich re Schnittstelle User – User geschaffen ausgetretene Pfade zu verlassen und vom fri- werden. Wenn das TK auf diese Art radi- schen Wind neuer Ideen zu profitieren. kal weitergeführt würde, wären mit dem 52 TK auch radikale Innovationen möglich. Je reibungsloser also in Zukunft die Kommuni- Wenn mit der Zeit die ersten Benutzer an kation an den Schnittstellen verläuft und je bes- die Grenzen des TK stoßen, könnte dies ser der Transfer von innovationsrelevanten In- mit Hilfe von Lead-Usern so weiterentwi- 51 52 116 Vgl. Schreier 2004, S. 212 ff. Vgl. Katz/ Allen 1984, S. 14 f. formationen aus der VC mit ihren Usern ins Unternehmen Enkel, E./ Kausch, C./ Gassmann, O.: Managing gelingt, desto besser kann das the Risk of Customer Integration, in: Eupean Unternehmen die Wünsche und Bedürfnisse der Management Journal, April 2005, Vol. 23, Kunden erfüllen. Dazu ist es nötig, hemmende No.2, S. 203-213. Einflüsse und Blockaden, wie z. B. das NIH- Ernst, H./ Soll, J. H./ Spann, M. (2006): Syndrom, früh zu erkennen und ihnen entge- Möglichkeiten der Lead-User-Identifikation in genzuwirken. Das kann bedeuten, dass sich die Online Medien, Online im Internet: Mitarbeiter über Quellen von Missverständnis- http://www.marketing.uni-passau.de/ sen bewusst werden müssen. Vor allem aber fileadmin/pubs/LeadUser_Identifikation_ stellt sich die Frage, ob dass das Management Onlinemedien.pdf dazu bereit ist, einen so wichtigen, prestige- (Stand 29.1.2006, Abfrage: 30.11.2007). trächtigen Teil des Wertschöpfungsprozesses Figallo, C. 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(2004): Kundenbeteiligung an unternehmerischen Innovationsvorhaben. Psychologische Determinanten der Innovationsentscheidung, in: 118 Michael Bathen Virtuelle User- Communities als Mittel zur Unterstützung des Innovationsprozesses 1 Innovation als treibende Kraft der Wirtschaftswelt 2 Informationsgewinnung im Rahmen von Virtual Communities 3 Entwicklungen in der Anbieter-Nachfrager-Beziehung 4 Ansätze zur unternehmensseitigen Steuerung von Community-Aktivitäten 1 Innovation als treibende Kraft der Wirtschaftswelt Abb. 1: Bedeutung der Kundenorientierung in der Produktentwicklung Innovationen sind der Motor der Wirtschaft und auf Grund von globalisiertem Wettbewerb, verkürzten Produktlebenszyklen und stetig wechselnden Konsumentenanforderungen nimmt ihre Bedeutung beständig zu. Das Internet bietet zwar einen vielseitigen Vertriebs- und Kommunikationsweg, doch reicht dies allein nicht aus, um hohe Flopraten bei Innovationen zu kompensieren.1 Aus diesem Grund ist es wichtig Innovationen so ausgereift an den Markt zu Die Einbindung von Kunden in den Leistungser- bringen, dass diese ohne große Nachbesserun- stellungsprozess und vor allem die Integration gen von den Kunden akzeptiert werden. Hierbei von Virtual Communities ist besonders interes- bietet vor allem die Einbindung von Kunden in sant, da sie zum einen noch nicht vollständig den Innovationsprozess ein hohes Potenzial erforscht ist und darüber hinaus noch viele un- Dieser Beitrag befasst sich damit, wie Kunden und im speziellen virtuelle User-Communities, oder auch Virtual Communities (VCs) genannt, unterstützend in den unternehmensseitigen Innovationsprozess eingebunden werden können und welche Vorteile hierüber zu erwarten sind. Unter Innovationsprozess wird dabei neben dem reinen „Erfinden“ neuer Leistungen bzw. Produkte auch die Erschließung neuer erschlossene Entwicklungs- und Erfolgspotenziale bietet. An dieser Stelle sei bspw. das Betriebssystem Linux erwähnt, welches auf Open Source Basis durch eine User-Community entwickelt wird. Dieses Beispiel zeigt, zu welch innovativen Leistungen solche VCs fähig sind. Nun scheint es an der Zeit für Unternehmen, diese Fähigkeiten sinnvoll und vor allem regelmäßig und nicht nur in Einzelfällen zu nutzen. Märkte und die Modifikation von Produkten Der Mehrwert, den diese Virtual Communities durch Kunden für Kunden verstanden. Die früh- den Unternehmen stiften, wird im Zusammen- zeitige Einbindung des Kunden hat sich dabei hang mit dem typischen Ablauf des Innovations- als ein wesentlicher Erfolgsfaktor herausgestellt, prozesses herausgearbeitet. Dabei werden die um Innovationen rechtzeitig, ausgereift und einzelnen Bereiche auf das Integrationspotenzi- 2 marktgerecht einzuführen. al von VCs überprüft und Unterschiede in der Eignung verschiedener Community-Typen herausgearbeitet. Der typische Innovationsprozess, 1 2 Vgl. Lüthje 2007, S. 41. Vgl. Lüthje 2007, S. 41. 119 1. Es nach Weiber, Kollmann und Pohl, setzt sich der sich um ein soziales Gebilde. aus den nachfolgenden vier Phasen zusammen. 1. Festlegung handelt 2. Unter den Mitgliedern wird miteinander strategischen kommuniziert. Suchrichtung (Stoßrichtung) 3. Diese Interaktion findet vorwiegend im 2. Ideenfindung (Produktidee) Internet statt. 3. Forschung und Entwicklung (Invention) Eine auf einen Aspekt fokussierte Betrachtung 4. Markterprobung (Markteinführung)3 ist für diesen Beitrag ungeeignet, da alle drei Die Festlegung der strategischen Stoßrichtung Kernaspekte für den Einfluss auf den Innovati- wird in diesem Beitrag nicht behandelt, da sie onsprozess wesentlich sind. Aus diesem Grund durch Virtual Communities nicht in dem Umfang soll keiner dieser Aspekte im Rahmen dieses beeinflusst wird wie die anderen Phasen des Beitrages als Schwerpunkt herausgearbeitet Innovationsprozesses. Eine Erweiterung des werden, sondern die folgende Definition von Modells scheint in diesem Zusammenhang Virtual Communities als Grundlage dienen. sinnvoll, so soll hier eine fünfte weitere Phase, Virtuelle Gemeinschaften sind Gruppen, die sich die der Adoption, also der Marktentwicklung von aus gemeinsamem Interesse, wie auch immer Innovationen eine besondere Beachtung finden, dieses aussehen mag, zusammenfinden und da diese durch Virtual Communities in hohem vorwiegend über das Internet miteinander kom- Maßes stimuliert werden kann. munizieren. 1.1 Charakteristika virtueller Communities 1.2 Typologisierung von Virtual Communities Virtuelle Gemeinschaften sind vielschichtig und Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden mindestens genauso unterschiedlich sind ihre sich VCs untereinander doch erheblich. So ist Definitionen. So gehen diese vom Fokus auf die nicht nur das Interessensgebiet und das Kom- soziale Komponente einer solchen Gemein- munikationsverhalten der Mitglieder der ver- schaft, „Virtual communities are social aggrega- schiedenen Communities oft sehr unterschied- tions that emerge from the Net when enough lich, sondern auch die mit der Nutzung befriedig- people carry on those public discussion long ten Bedürfnisse variieren. enough , with sufficient human feeling, to form webs of personal relationships in cyberspace.”4, Als erstes Abgrenzungsmerkmal verschiedener über den Betrachtungsansatz der Konsumab- Community-Typen ist die Art der Entstehung zu sicht, bis hin zum Fokus auf den Kommunikati- betrachten. Hierbei kann in abhängige bzw. onsfluss, wobei eine Virtual Community als ein gelenkte und in unabhängige Communities un- nicht radial strukturiertes, ego-zentriertes Netz- terschieden werden, wobei hier unter abhängi- werk im virtuellen Raum betrachtet wird, in dem gen Gemeinschaften, VCs verstanden werden, die Nutzer multidirektional und themenspezifisch die von einem oder mehreren nicht konkurrie- interagieren und so die Basis einer glaubwürdi- renden Unternehmen organisiert werden, um sie 5 gen Kommunikation schaffen. Alle Definitionen für Marketingzwecke einzusetzen. Dabei ist der vereinen dabei jedoch drei Kernaspekte: (oder die) Betreiber gleichzeitig auch Produzent oder Vermarkter des Community-Gegenstandes 3 4 5 Vgl. Weiber/ Kollmann/ Pohl 1999, S. 17. Rheingold 1993, S. XVI. Vgl. Weiber/ Meyer 2002, S. 348. 120 bzw. der zu vermarktenden Leistungen.6 Als on common interests” zu verstehen sind.9 Bei Beispiel für eine abhängige Community lässt dieser Form steht der Aspekt des Lernens und sich die eBay Community anführen. Dieser kön- Entwickelns im Vordergrund. Das vorab ange- nen nur eBay Mitglieder beitreten und sie wird führte Beispiel der Linux- oder Open Source- über die eBay-Plattform bereitgestellt. Besteht Community stellt eine solche CoP dar. Diese bei der unabhängigen Community nicht zwangs- Communities bieten ein hohes Innovationspo- läufig das Bestreben, bei Diskussionen ge- tenzial und ihre Mitglieder zeichnen sich durch schlossen von einer bestimmten Sache über- starke, aktive Beteiligung innerhalb ihrer Com- zeugt zu sein, es mag Ausnahmen, wie bspw. munity aus. bei Fan-Clubs geben, so ist bei einer abhängi- Abb. 2: Fokus der Community-Typen gen Community stets das Bedürfnis des Unternehmens, sein Image positiv zu beeinflussen oder wenigstens dies nicht zu beschädigen, gegeben.7 Auch ist der Zweck der Community, für die Typologisierung entscheidend. Hierbei sind drei Grundtypen von Communities für die folgenden Kapitel von besonderer Bedeutung. Zu beachten ist, dass die drei folgenden Community-Arten sowohl in Form von abhängigen sowie auch unabhängigen Communities auftreten können, was den generellen Charakter aber nicht beeinAls dritte Variante lassen sich grob die „kon- flusst. sumzweckbezogenen“ Als Communities of Interest (CoI) werden VCs Communities nennen. Unter diese Kategorie sollen in diesem Fall verstanden, deren Anliegen es ist, über Themen mehrere Community-Typen eingeordnet wer- zu diskutieren. „Communities of Interest" konsti- den. Wird in der Literatur häufig weiter differen- tuieren sich durch gemeinsame Interessen, ziert, bspw. in Communities of Consumption, Hobbies und Leidenschaften ihrer Mitglieder.“8 Communities of Transaction, etc. soll hier die Sie stellen einen Großteil der Communities dar, Verwendung der übergeordneten Kategorisie- hierzu zählen bspw. Communities mit dem rung genügen. Diese kann als Communities of Schwerpunkt Kochen oder Sport. Es steht weni- Purpose (CoPur) bezeichnet werden. Darunter ger der Lern- oder Schöpfungsprozess im Vor- fallen alle Communities, die das Ziel haben, dergrund, sondern viel mehr der Gemein- Verbraucher bezüglich Kaufentscheidungen zu schaftsgedanke und die Möglichkeit, die eige- unterstützen. Im Gegensatz zu CoI und CoP nen Erlebnisse mit Gleichgesinnten zu teilen. haben diese Communities den Charakter von Eine weitere bedeutsame Form von Virtual Zweckgemeinschaften, da weniger der soziale Communities sind Communities of Practice Kontakt oder das gemeinsame Lernen, sondern (CoP). Wobei hierunter „groups whose members eher die individuelle Informationsbefriedigung im regularly engage in sharing and learning, based Vordergrund steht. Insgesamt ist bei dieser Un6 7 8 Vgl. Weiber/ Meyer 2002, S. 351. Vgl. ebenda 2002, S. 350f. Kunz/ Mangold 2004, S. 74. 9 121 Vgl. Lesser/ Stork 2001, S. 831. terteilung zu vermerken, dass, trotz der ver- B2B Bereich der Fall ist. Dies liegt unter ande- schiedenen der rem daran, dass diese Anpassung an die indivi- einzelnen Community-Typen, Überschneidun- duellen Wünsche mit höheren Kosten einher- gen bestehen. geht und sich der zusätzliche Aufwand auf ei- Betrachtungsschwerpunkte nem Massenmarkt mit vielen Einzelnachfragern 2 Informationsgewinnung im Rahmen i. d. R. nicht rentiert. Eine Möglichkeit, diesem von Virtual Communities Problem zu begegnen, ist, einzelne Konsumen- Im Folgenden werden drei Potenzialbereiche ten stellvertretend für die Gesamtheit aller Kon- von Virtual Communities aus Unternehmens- sumenten an der Entwicklung neuer Produkte sicht näher betrachtet. Wesentlich bei der Ein- partizipieren zu lassen. Diese Konsumenten bindung von Virtual Communities in den Unter- können dann als Lead User bezeichnet werden, nehmenskontext ist, dass nicht ein einseitiger wenn sie folgende zwei Bedingungen erfüllen Profit durch Ausbeutung der anderen Partei (Woll, S 81ff.). erzielt wird, sondern eine Art Win-Win-Situation „1. Lead users face needs that will be general in geschaffen wird, in der sowohl der wirtschaftli- a market place - but face them months or years che Erfolg des Unternehmens als auch die Be- before the bulk of that marketplace encounters dürfnisse der Community-Mitglieder berücksich- them, and tigt werden.10 Ziele für Unternehmen werden bei der Einbindung von VCs vor allem die Ideenge- 2. Lead users are positioned to benefit signifi- nerierung für neue Lösungskonzepte, die Ge- cantly by obtaining a solution to those needs.“12 winnung von Markt- und Nachfragerdaten sowie Ein Beispiel für die Einbindung von Lead Usern eine Verbesserung der Kundenansprache und in den Produktentwicklungsprozess bei Kon- Kundenbindung sein.11 sumgütern ist der Videospielehersteller Electro- 2.1 Gewinnung von Schlüsselinformationen nic Arts. Bei diesem arbeiten die internen Ent- mittels VCs wicklungsabteilungen regelmäßig mit Konsumenten zusammen an neuen Spielen und Spiel- Die Einbindung von Kunden in den Leistungser- konzepten.13 Eine Einbindung von Lead-Usern stellungsprozess erleichtert die spezifische An- empfiehlt sich besonders, wenn es sich um Ziel- passung des Produktes an die Kundenwünsche. gruppen handelt, die sich von der Masse abhe- Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass der ben. Bspw. wurde von Johnson & Johnson Me- Kunde meist eine genauere Vorstellung als der dical mit Hilfe von Chirurgen, OP-Schwestern Hersteller davon hat, wie das Produkt im Endef- und weiterem Krankenhauspersonal ein Projekt fekt aussehen soll bzw. welche Eigenschaften zur Entwicklung von chirurgischen Hygienepro- es aufweisen soll. Im B2B Bereich ist diese dukten gestartet. Auch in diesem Fall waren die Form der Anpassung üblich, so werden bspw. Anwender (Krankenhauspersonal) wesentlich Industrie-Großanlagen nicht standardisiert, son- für die Produktentwicklung, da sie auf Grund dern auf Kundenwunsch gefertigt, wobei An- ihrer Praxiserfahrung und ihrem Wissen über sprüche und Wünsche Berücksichtigung finden. ihre Bedürfnisse, J&J Medical Informationen zur Auf Konsumgütermärkten gibt es diese Art der Verfügung stellen und Entwicklungsvorschläge Anpassung an die Kundenwünsche auch, sie ist aber nicht in dem Maße verbreitet, wie es im 10 11 12 Vgl. Panten 2005, S. 42. Vgl. Meyer 2004, S. 157. 13 122 von Hippel 1988, S. 117. Vgl. Garber 2007, S. 11. machen konnten.14 Ist diese Vorgehensweise Abb. 3: Überblick über Möglichkeiten zur Identi- bei der Entwicklung von OP-Material verhält- fikation von Lead Usern in Onlinemedien nismäßig einfach, da die entsprechenden Zielgruppen mit Hilfe des Screening-Ansatzes auf Märkten mit überschaubarer Kundenzahl leicht zu lokalisieren sind, demgegenüber gibt es jedoch auch Märkte, auf denen dies erheblich Für Projekte, bei denen Lead User eingesetzt schwieriger ist.15 Gerade bei diesen weniger werden sollen, sind Communities of Practice zugänglichen Märkten bietet es sich an, auf besonders geeignet, da die Mitglieder gar nicht Virtual Communities zurückzugreifen. Diese oder nur minimal stimuliert werden müssen, um haben den Vorteil, das sonst schwierige Auffin- kreativ Neuerungen voranzutreiben. Mitglieder den von Lead Usern zu vereinfachen. In einer einer CoP befassen sich schon aus Eigeninte- VC finden sich Personen zusammen, die ähnli- resse so intensiv mit ihren Themen, dass neue che oder gleiche Interessen haben, da sie sich und innovative Ideen sowie Lösungskonzepte von den anderen Mitgliedern verstanden fühlen. teilweise schon entwickelt wurden und lediglich Dies führt dazu, dass der Kundenmarkt schon von einem entsprechendem Unternehmen um- themenspezifisch vorsegmentiert ist. Es müssen gesetzt werden müssen.17 Um diese aktive und nicht erst aufwendige Marktanalysen durchge- äußerst wertvolle Beteiligung der Kunden auf führt werden, um eine bestimmte Konsumen- längere Zeit zu sichern, ist es sinnvoll, die „Kun- tengruppe zu identifizieren, die für den Innovati- den- Erfinder“ auch am Gewinn zu beteiligen. onsprozess von Bedeutung sein könnte. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. So können Kunden für ihre Mitarbeit nachträg- Die Identifikation der Lead User kann mit Hilfe lich entlohnt werden, Erwähnung auf der Inter- des Networking-Ansatzes erfolgen. Bei diesem netseite des Unternehmens finden oder auch werden zunächst einige wenige Kunden einbe- die von ihnen geschaffenen Innovationen in zogen und dabei gefragt, ob sie weitere Pro- Form von Patenten an sie zurückgegeben wer- duktanwender kennen, die neue Bedürfnisse den.18 Diese Entlohnung ist auf jeden Fall emp- haben oder bereits innovativ tätig geworden fehlenswert für das Unternehmen, da es sich so sind. Derartige Weiterempfehlungen führen übli- besonders kreative Innovatoren sichern kann, cherweise sehr schnell zu Personen mit den deren Wert für das Unternehmen wesentlich interessierenden Lead-User Merkmalen.16 Die- höher ist als die damit verbundenen Kosten. ser Vorgang wird durch die rege Kommunikation Auch kann eine solche Entlohnung zu Motivati- der Community-Mitglieder untereinander unter- on und Anreiz für andere Konsumenten werden, stützt. Auf diese Weise lassen sich Zeit- und welche sich dann auch an der Produktentwick- Kostenaufwand im Vergleich zu anderen Me- lung beteiligen wollen. thoden der Lead-User Identifikation reduzieren. Das Konzept des Networking-Ansatzes kann 2.2 Kundenbindung mittels Virtual Communi- man in den Bereich der interaktiven Methoden ties ohne Leistungsanreize einordnen. Neben dem Spezialwissen und den Lösungsvorschlägen innovativer Community-Mitglieder, welche die Grundlage für die Produktentwick- 14 15 16 Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2002, S. 60-68. Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2007, S. 67f. Vgl. ebenda, S. 67. 17 18 123 Vgl. Tomczak/ Schögel 2005, S. 1. Vgl. von Krogh 2006, S. 16-18. lung bieten, sind Informationen über die poten- Community und somit AFG anzusprechen. Dies ziellen Verwender und ihre Bedürfnisse eben- wäre ohne VCs auf Grund der Dislokalität der falls von Bedeutung. Diese Informationen lassen Affinitygroups nicht möglich. Diese Bündelung sich auf verschiedenen Wegen erlangen, doch der Nachfrager zieht eine Vereinfachung der bieten gerade Affinitygroups (AFGs) und Brand Organisationsabläufe Communities (BCs) einen besonders guten Zu- Marktforschungsdaten durch das Unternehmen gang. Unter Affinitygroups werden dabei Grup- leichter erhoben und Kunden gezielter ange- pen von Personen mit ähnlichem Interessens- sprochen werden. gebiet (Affinität) verstanden. Diese Gruppen mit sich. So können Ein weiterer, bedeutender Aspekt, den diese müssen weder lokal zentriert sein, noch müssen VCs unterstützen, ist die Erhöhung der Kunden- ihre Mitglieder in Kontakt miteinander stehen. bindung. Auf Grund themenspezifischer Struktu- Dieser letzte Punkt unterscheidet sie wesentlich rierung und der Bereitstellung von glaubwürdi- von VCs. Brand Communities können als Spe- gen, da von allen Mitgliedern einseh- und kom- zialfall von AFGs verstanden werden, hier liegt mentierbaren Informationsangeboten, sowie der die Gemeinsamkeit in der Wertschätzung einer Möglichkeit, schnell und unbürokratisch prakti- bestimmten Marke. „Auch wenn sich Brand- sche Community-Mitglieder noch nie getroffen haben, Hilfestellungen zu erlangen, werden Wechselbarrieren gegenüber konkurrierenden glauben sie einander zu kennen, und betonen Anbietern aufgebaut.20 Ziel des Affinitygroup- damit den „Link Value“. Dieses geteilte Be- und Brandmarketing ist es weniger, Produktin- wusstsein ist auch dafür verantwortlich, dass novationen mit Hilfe von Konsumenten zu ent- sich, aus der Perspektive der Mitglieder einer wickeln. Vielmehr steht die Ermittlung von Kun- Brand Community betrachtet, Nutzer einer Mar- denbedürfnissen und die Kundenakquisition- ke klar von Nutzern einer anderen Marke unter- und Bindung im Vordergrund. Dass solche scheiden.“19 Communities ein enormes Potenzial bieten und Von zentraler Bedeutung, sowohl bei Affini- sich das Betreiben einer solchen Community für tygroups als auch bei Brand Communities, ist, ein Unternehmen lohnen kann, zeigt ein Expe- dass ihre Mitglieder häufig VCs beitreten oder riment von Algesheimer und Dolakia, bei dem gründen, die ihren Interessen entsprechen. So- eBay-Mitglieder durch kleine Anreize dazu be- mit spiegelt sich eine AFG oder BC häufig in wogen wurden, der eBay-Community beizutre- einer VC wieder. Diese VCs können nach der in ten. Diese, der Community beigetretenen Mit- Abschnitt 1.2 vorgenommenen Typologisierung, glieder, zeigten gegenüber der Kontrollgruppe, den CoI zugeordnet werden. Dass sich AFGs die aus eBay-Mitgliedern bestand, die nicht der und BCs in entsprechenden Communities abbil- Community beigetreten waren, eine deutlich den hat zur Folge, dass Unternehmen ihre In- höhere Beteiligung an Auktionen, sowohl beim formationen nicht mehr mit Hilfe der AFGs oder Kauf wie auch Verkauf, als auch eine höhere BCs sammeln müssen, sondern diese über die Preisbereitschaft für die erstandenen Produk- entsprechenden CoI erhalten können. Dies bie- te.21 In dem Zusammenhang sei auch noch der tet den Vorteil, dass sowohl Informationen viel soziale Nutzen erwähnt, der besonders inner- kompakter vorhanden sind, als auch die Mög- halb einer solchen Community zu einer stärke- lichkeit, einzelne Mitglieder oder die gesamte ren Kundenbindung führt. Dieser Nutzen besteht 20 19 21 Herrmann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S. 7. 124 Vgl. Meyer 2004, S. 159ff. Vgl. Algesheimer/ Dholakia 2006, S. 16. darin, dass der Konsum oder Besitz von ver- 2.3 Erfahrungsberichte der Adoptoren als schiedenen Gütern die Zugehörigkeit zu ande- Basis der Kundenpflege ren Gruppen ausdrücken kann. „Viele Kaufent- In diesem Abschnitt soll die Bedeutung von Vir- scheidungen sind daher bewusst oder unbe- tual Communities im Zusammenhang mit der wusst davon geprägt, die eigene Position inner- Pflege von Kundenbeziehungen betrachtet wer- halb des sozialen Kontinuums zu signalisie- den. Das Customer Relationship Management ren.“22 Gelingt es einem Unternehmen, einen (CRM) hat zum Ziel, Kunden langfristig zu bin- solchen Nutzen zu generieren, so führt dies zu den. Im Gegensatz zur Akquisition sind die Kos- einer besseren Kundenbindung. Auch dies lässt ten der Beziehungspflege vergleichsweise ge- sich am Beispiel eBay verdeutlichen. Durch den ring.25 Hinzu kommt, dass eine Erhöhung der Aufbau des Reputationssystems ist es eBay Kundenzufriedenheit auch zu einer erhöhten gelungen, diesen sozialen Nutzen herbeizufüh- Kundenloyalität, sowie teilweise auch zu einer ren. So signalisiert eine hohe Anzahl an Trans- höheren Preisbereitschaft der Kunden führt.26 aktionen den Status unter den eBay-Mitgliedern. Der Nutzen eines gut funktionierenden CRM für eBay ist somit ein gutes Beispiel, wie es gelin- ein Unternehmen ist somit hoch und die Einbin- gen kann, durch die Einbindung von sozialem dung von VCs zur Unterstützung vergleichswei- Nutzen wirtschaftlich zu profitieren. Zusätzlich se einfach. Darum ist es für ein Unternehmen dazu weisen Communities „eine hohe Kommu- sinnvoll, die durch VCs zu erwartenden Vorteile nikationsintensität auf und versuchen oftmals zur Verbesserung des CRM zu nutzen. Zu die- neue Kunden für die Gemeinschaft zu begeis- sem Zweck bieten sich die Communities of Pur- tern. [...] Diese Art der Peer-Propaganda kann pose in besonderer Weise an. Da ihr Sinn für sehr effektiv sein.“23 Dieser Punkt ist allerdings die Mitglieder darin liegt, produktbezogene In- auch kritisch zu betrachten, so wirkt sich Mund- formationen in Form von Erfahrungsberichten propaganda oder auch Word-of-Mouth (WoM), oder Bewertungen zu erlangen, sind diese In- bei abhängigen, also von Unternehmen geleite- formationen i. d. R. stark gebündelt und inhalt- ten Communities, meist positiv aus, bei unab- lich auf das Wesentliche komprimiert. Dies bie- hängigen Communities kann es aber auch in die tet Unternehmen einen entscheidenden Vorteil: Gegenrichtung umschlagen und sich im Extrem- Ist es häufig so, dass Kunden eher abwandern fall eine Front verärgerter Community-Mitglieder 24 gegen das Unternehmen bilden. als sich zu beschweren,27 so bieten CoPur Generell aber durch die Vielzahl an Berichten und Bewertun- ist festzuhalten, dass das Betreiben von Brand gen, den Unternehmen die Möglichkeit, sich Communities für Unternehmen viele Vorteile über negative Bewertungen, welche als indirekte bietet. Es ist nicht nur leichter neue Produkte in Beschwerden verstanden werden können, zu den Markt einzuführen, sondern auch Kunden- informieren. Dadurch ist es dem Unternehmen wünsche zu ermitteln und Kunden direkt anzu- möglich, besser die vom Kunden wahrgenom- sprechen. Dies führt dazu, dass eine Nähe oder menen Mängeln aufzudecken und im Idealfall zu Verbindung zum Kunden geschaffen wird, die beheben um das Ziel der Herstellung bzw. Wie- sich positiv auf die Loyalität und z. B. das Wie- derherstellung der Kundenzufriedenheit zu er- derkaufverhalten auswirken sollte. 22 25 23 26 Herrmann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S. 9. Schögel/ Tomczak/ Wentzel 2005, S. 3. 24 Vgl. McWilliam 2001, S. 72. 27 125 Vgl. Kotler/ Keller/ Bliemel 2007, S. 60. Vgl. Homburg/ Krohmer 2003, S. 105ff. Vgl. Homburg/ Krohmer 2003, S. 105. reichen.28 Ein weiterer positiver Effekt in allen len und mitunter deren Loyalität sicheren. Be- drei genannten Kategorien von VCs, aber spe- günstigt wird dies auch durch die Weiterentwick- ziell in den Communities of Purpose, ist das lung Word-of-Mouth. Ist in der Offline-Welt die Be- Speziellen kann hier die Verbreitung des UMTS- deutung von Mundpropaganda nicht zu unter- Standards genannt werden, der es ermöglicht, schätzen, so besteht die besondere Bedeutung das Internet in vollem Umfang mittels eines Mo- im Internet darin, dass die in einer Community biltelefons zu nutzen und somit den Mitgliedern abgegebenen Meinungen zu einem Thema oder einer Community erlaubt, sich unabhängig von zu einem Produkt für jeden einsehbar sind und ihrem geografischen Standort zu integrieren. Im bis zur expliziten Entfernung mitunter sehr lange Gegenzug bietet diese Entwicklung Unterneh- Zeit bestehen bleiben. Wird bspw. ein Produkt men eine Vielzahl an Möglichkeiten, so können bewertet, so ist für jeden erkennbar, was die diese Kunden ortsunabhängig erreichen, lokali- anderen Mitglieder über dieses Produkt ge- sieren und individualisierte Marketingmaßnah- schrieben haben, dies kann einen positiven men im Sinne des One-to-One-Marketings Effekt für das entsprechende Unternehmen ha- durchführen.30 Heutige Communities können ben, bei Kritik allerdings auch einen sehr negati- somit als Grundstein für die zukünftige Entwick- ven. Aus diesem Grund gilt es für ein Unter- lung des Unternehmen-Kunden-Verhältnisses nehmen möglichst schnell und angemessen auf erachtet werden. Dadurch, dass Kunden sich solche Kritik zu reagieren. In jedem Fall ist die immer mehr an den Kontakt mit Unternehmen Auswirkung langanhaltender als entsprechende gewöhnen, eröffnet dies für die Zukunft neue Aussagen in der Offline-Welt, da in diesen Aus- Möglichkeiten. Auch lässt sich die Bedeutung sagen zu Produkten, solange sie nicht in Zeit- von Virtual Communities anhand der Beteiligung schriften festgehalten werden, nach dem Aus- Microsofts an der Internetplattform Facebook sprechen für alle anderen, als für den speziellen erkennen. Microsoft investierte 240 Millionen US 29 der Kommunikationsmöglichkeiten. Im Dollar für einen Anteil von 1,6%. Microsoft ver- Adressaten, nicht mehr verfügbar sind. spricht sich zukünftig effektiv Werbung innerhalb 3 Entwicklungen in der Anbieter- Nach- der Facebook-Community schalten zu können.31 frager-Beziehung Dies soll Microsoft, aber auch anderen Firmen Virtual Communities sind, wie in den vorherigen wie Coca-Cola Informationen über die Interes- Abschnitten gezeigt, heute ein wichtiger „Er- sen einzelner Mitglieder sichern und darüber folgsfaktor“ für moderne Unternehmen, sowohl hinaus die Effekte des Viral-Marketings ausnut- in der Produktentwicklung, wie auch bezogen zen. So ist eine Variante, Community-Mitglieder auf die Kundenbindung. Auch in Zukunft werden über Produkte zu informieren und gleichzeitig diese Faktoren weiterhin bestehen bleiben bzw. die positive Wirkung des WoM auszunutzen.32 sich erweitern. Durch das gezielte Einsetzen Mit Hilfe von Nachrichtensystemen können von VCs besteht für Unternehmen die Möglich- Freunde bzw. andere Community-Mitglieder keit, sich von der Konkurrenz abzuheben, indem darüber informiert werden, welche Produkte sich es die durch die Community generierte Informa- ein anderes Mitglied angesehen hat. Dies hat tionspotenziale nutzt und mit Hilfe dieser Leis- den Effekt, dass die Mitteilung den Charakter tungen bereitstellt, die Kundenbedürfnisse erfül- einer Empfehlung erhält und somit eine weitaus 30 28 31 Vgl. Günter 2006, S. 374. 29 Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42ff. 32 126 Vgl. Buse 2002, 92ff. Vgl. o.V. 2007, S. 1. Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42f. höhere Stellung in der Wahrnehmung des Ande- Um die Community-Mitglieder extrinsisch zu ren erfährt als direkte Informationen des Anbie- motivieren, gilt es, geeignete Anreize zu schaf- ters, welcher die Werbung geschaltet hat. 4 Ansätze zur 33 fen. Als Anreize können sowohl materielle, wie auch immateriell Faktoren verwendet werden. unternehmensseitigen Als materielle Faktoren wären das Entlohnen Steuerung von Community-Aktivitäten von Usern mit guten Ideen oder die Beteiligung Die meisten Kundenaktivitäten, die später zum an Erfindungen zu nennen. Immaterielle Fakto- Nutzen des Unternehmens führen, finden auf ren wären bspw. das Bereitstellen der Commu- Seiten der Community statt (vgl. Abb. 4). Aus nity-Plattform, Zusatzfunktionen auf dieser, Er- diesem Grund gilt es, diese Aktivitäten auf ge- wähnung auf der Homepage der an einem Pro- eignete Weise zu unterstützen und zu fördern. jekt beteiligten User, die Rückgabe von Paten- Zwar können Communities auch ohne Einwirken ten an die User-Community aber auch Tool- von Unternehmensseite, wie bereits in Abschnitt kits.34 „Toolkits for user innovation are coordi- 2.1 im Zusammenhang mit CoP beschrieben, für nated sets of “user-friendly” design tools that dieses von Nutzen sein, doch ist das Unterneh- enable users to develop new product innova- men dann auf die intrinsische Motivation der tions for themselves.”35 Diese Anreizsysteme Community-Mitglieder mit sollen weniger der dauerhaften extrinsischen einem Thema zu befassen und mit dem Unter- Motivation dienen. Vielmehr sollen sie die nehmen zu kooperieren. Hinzukommt ergän- Community-Mitglieder stimulieren, sich mit ei- zend, dass, auch wenn diese gerade genannten nem Thema zu beschäftigen, sodass sich eine Punkte erfüllt sind, noch nicht gesichert ist, dass intrinsische Motivation bildet.36 Als weiterer we- es sich um ein, für das Unternehmen, attraktives sentlicher Punkt für die effektive Nutzung von Themengebiet handelt. Damit sich die Aktivitä- VCs sollte eine hohe Interaktivität der Mitglieder ten der Community-Mitglieder auf ein für das vorhanden sein. Diese erleichtert die Identifika- Unternehmen lukratives tion von Lead-Usern mit Hilfe des Networking- Thema beziehen, gilt es, die Community in ge- Ansatzes.37 Allerdings ergibt sich die Interaktivi- eigneter Weise zu steuern und ihr Interesse für tät der Mitglieder durch das Interesse, das sie diese Themen zu wecken. dem entsprechenden Thema beimessen bzw. Abb. 4: Nutzen virtueller Communities für Unter- indirekt von den gesetzten Anreizfaktoren. Diese nehmen Interaktivität und das eigene Interesse sollten angewiesen, interessantes oder sich Startpunkt Anreizsystem reziprokes Verhalten intrinsische Motivation Positive Einstellung Kooperation Interaktivität Markentreue Innovation User-Nutzen 33 lassen sich Interaktivität, also der soziale Kontakt zu anderen Mitgliedern und Innovationen, also der kreative Lern- und Schaffensprozess, Nutzen Unternehmen Interesse Information einer Community darstellen. Zusammenfassend als den entscheidenden Nutzen für die CommuCommunity-Aktivitäten extrinsische Motivation Unternehmens-Aktivitäten wesentliche Faktoren für den Innovationsgrad 34 Vgl. von Krogh 2006, S. 16-18. von Hippel/ Katz 2002, S. 821. 36 Optimalerweise werden die Community-Mitglieder bei der Beschäftigung mit einem Thema gefordert, jedoch nicht überfordert. Dieses Niveau an Forderung kann zu einem Flow führen. Hierbei handelt es sich um einen sehr produktiven zustand. Dieses Phänomen wurde z. B. bei Sportlern beobachtet. Siehe Csikszentmihalyi 1975. 37 Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2007, S. 67. 35 reziprokes Verhalten Vgl. Schmidt 2007, S. 21. 127 nity und ihre Mitglieder herausstellen. Auch der Garber, T. (2007): Unsere Spiele bilden Mei- sich aus der Interaktivität ergebende Informati- nungen, in: Absatzwirtschaft 2007, S. 10-15. onsaustausch ist ein für die User wichtiger Nut- Günter, B. (2006): Beschwerdemanagement als zenaspekt. Dadurch, dass die User der Com- Schlüssel der Kundenzufriedenheit, in: munity, einen Nutzen aus der Teilnahme an Homburg, C. (Hrsg.): Kundenzufriedenheit – einer Community erzielen, werden sie sich ge- Konzepte – Methoden– Erfahrungen, 6. nerell reziprok verhalten und dem Unternehmen Auflage, Wiesbaden 2006, S. 369-390. mit einer positiven Grundeinstellung begegnen. Herrmann, A./ Algesheimer, R./ Heitmann, M. Hinzu kommt, dass speziell CoP allein aus Ei- (2005): Brand Community Management – geninteresse an das Unternehmen herantreten Ansatz für eine netzwerkorientierte werden um ihre Innovationen umsetzen zu las- Perspektive im Marketing, in: Thexis, sen, wenn sie sie nicht selbst realisieren kön- 3(2005), S. 6-10. nen. Werden diese dann umgesetzt, so sollte sich dann hier eine positive Grundeinstellung Herstatt, C./ Lüthje, C./ Lettl, C. (2002): Wie etablieren. Voraussetzung jedoch ist, dass auch fortschrittlich Kunden zu Innovationen das Unternehmen sich reziprok verhält und die stimulieren, in: Harvard Business Manager, Mitglieder der Community nicht übervorteilt oder 1(2002), S. 60-68. gar ausbeutet. Dann sollte sich eine für beide Herstatt, C./ Lüthje, C./ Lettl, C. (2007): Seiten fruchtbare Beziehung in Form einer Win- Fortschrittliche Kunden zu Breakthrough- Win-Situation einstellen. Innovationen stimulieren, in: Herstatt, C./ Literaturverzeichnis Verworn B. 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(2002): Shifting Innovation to Users via Toolkits, in: Management Science, 48 (2002), 7, S. 821-833. 129 Johanna Katharina Leite Ferreira Vorteilspotenziale virtueller User Communities aus Nachfragersicht 1 Der aktiv-moderne Kunde als Voraussetzung für Virtual Communities 2 Virtual Communities – Neue Möglichkeiten für den Kunden 3 Die Betrachtung des Kaufprozesses unter Berücksichtigung der Beurteilbarkeit des Leistungsangebotes 4 Der Einsatz von Virtual Communities im Kundenprozess 5 Nutzenstiftung für Mitglieder von Virtual Communities 6 Ausblick auf Potenziale und Chancen von Virtual Communities 1 Der aktiv-moderne Kunde als Vor- vielen Bereichen. Das zentrale Merkmal ist da- aussetzung für Virtual Communities bei stets die Selbstbedienung oder Selbsthilfe, wie z. B. bei der Selbstorganisation von Reisen „Zu allen Zeiten haben Menschen die für ihr Leben erforderlichen Güter gezielt produziert und aktiv ge- oder verbraucht. Insoweit hat es so etwas wie Konsum, gerade auch unter Einsatz aktiver Leistung der Betroffenen, in der Menschheitsgeschichte schon immer gege- ben“. 1 Jedoch entwickelte sich der moderne Konsum und unsere Konsumgesellschaft mit den Jahren weiter. Der Kunde von heute ist anders. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung liegt oder das internetbasierte Er- und Versteigern von Produkten und Dienstleistungen. Vor allem aber ist die Suche von Selbsthilfe in Diskussionsforen und die aktive Teilnahme an Gemeinschaften im Internet, die gemeinsame Interessen teilen, erwähnenswert. Dabei sind gerade moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere das Internet, sinnvolle Hilfsmittel zur Stärkung der Selbstständigkeit des Kunden. 3 die Individualität, sein persönlicher Lebensstil. Er will sich von der Masse abheben und ist be- Eine zentrale Voraussetzung für fortgeschrittene reit Prozesse, selbst zu gestalten, sich aktiv in Formen der Selbstbedienung auf Seiten der diese einzugliedern. So ist es nicht verwunder- Nachfrager ist eine hinreichende Kompetenz lich, dass der erwerbende und konsumierende und ein entsprechendes Selbstbewusstsein. Kunde immer öfter in die betriebliche Arbeit Kunden, die dem Paradigma der "Modern Con- integriert wird. Es entwickelt sich ein neuer Kon- sumption" folgen handeln verantwortungsbe- sumententypus, der arbeitende Kunde. 2 wusst und informieren sich im Vorfeld der Kaufentscheidung intensiv über Produkte und Leis- Erste Anfänge eines aktiven Kunden finden sich bereits in den 1950er Jahren, wo betriebliche Leistungen auf den Kunden ausgelagert wurden (z. B. Selbstbedienung in Kaufhäusern oder Automatenverkauf). Diese Entwicklung setzte sich verstärkt fort, so sind Konsumenten heute auch als Co- Produzenten in die (End-) Fertigung von Produkten involviert. Es entwickelt tungen, Hersteller und sogar Preisentwicklungen werden ins Kalkül gezogen. 4 Das primäre Ziel ist dabei, Unsicherheiten im Kaufprozess zu verringern und Informationsvorteile zu sichern, wobei hier sog. User-Communities im Internet in der jüngsten Zeit eine zentrale und zunehmende Rolle beizumessen ist. Diese Form der Kundenbündelung, bei der Konsumenten miteinander sich eine neue Form des aktiven Konsums in 1 2 Voß/ Rieder 2005, S. 42. Vgl. Voß/ Rieder 2005, S. 45ff. 3 4 130 Vgl. ebenda, S. 14f. Vgl. ebenda, S. 32. interagieren und sich gegenseitig bzgl. Kaufent- Bezeichnungen ist der nachfolgenden Abbildung scheidungen unterstützen, ist elementar und für 1 zu entnehmen. den einzelnen Konsumenten ein großer Vorteil. Wurden VCs Anfang der 90er Jahre eher als Meist durch Interessenschwerpunkte geleitet soziologische können die Kunden gemeinsam auch als ein Phänomene des Zusammen- schlusses verschiedener Individuen verstan- großer Nachfrager auftreten und viele Vorteile den 7 , so gelangten sie in der zweiten Hälfte der (z. B. günstigere Preise) gegenüber Herstellern 90er Jahre durch das Aufkommen der New E- und Verkäufern erzielen. conomy in den Fokus kommerzieller Betrach- Das Ziel dieses Beitrags besteht darin aufzuzei- tungen. 8 gen, welcher Nutzen Kunden aus derartigen Netzwerkgedanke und die Auswirkungen ent- Gemeinschaften erwachsen kann, wobei hier sprechender Strukturen stärker thematisiert. der Kunde als ein arbeitender Kunde verstanden Dabei wird ein Netzwerk laut Diaz-Bone als ein wird, der sich selbst in die Leistungserstellung abgegrenztes Set von Einheiten verstanden, der einer welche in Verbindung zueinander stehen. 9 Mit schematischen Aufteilung des Kundenprozes- Verbindungen ist dabei die Beziehung, die zwei ses, der in die Phasen Vorkauf, Kauf und Nach- Akteure (Einheiten) zueinander aufweisen und kauf strukturiert ist, werden phasenbezogen die Transaktionen, die sie tätigen, verstanden. Vorteile der Interaktion von Kunden im Rahmen Diese Transaktionen können dabei sehr vielfäl- von Virtual Communities (VCs) aufgezeigt. tig sein und den Austausch von Gütern, Wissen, Unternehmen einbringt. Anhand Heute wird der dahinterstehende Kommunikation etc. betreffen. Bei der Betrach- 2. Virtual Communities – Neue Möglich- tung von Netzwerken im Zusammenhang mit keiten für den Kunden VCs ergeben sich neue Geschäftsmodelle, bei Das Internet bietet Konsumenten heutzutage denen im Idealfall allen Beteiligten ein Mehrnut- viele Möglichkeiten, Meinungen und Erfahrun- zen aus der Teilnahme erwächst. gen mit anderen Konsumenten auf virtuellen Meinungsplattformen oder im Rahmen von VCs Abb. 1: Die Geschichte der Communities auszutauschen. Eine einheitliche Definition dieser Communities lässt sich in der Literatur allerdings nicht finden. 5 Vielmehr existiert eine Vielfalt an Bezeichnungen, so werden Begriffe wie User-Communities, Online-Communities, virtuelle Gemeinschaft, Cyber-Communities verwendet. Die Verwendung der Definitionen ist primär abhängig vom Untersuchungsgegenstand und umfasst daher viele Dimensionen. Die oftmals unterschiedliche Verwendung machte aus der virtuellen Gemeinschaft ein inflationär gebrauch6 Eine Typologisierung von VCs kann anhand Community- verschiedener Kriterien vorgenommen werden. tes Modewort, das nur schwer abzugrenzen ist. Die Entwicklung verschiedener Formen und entsprechender Zielsetzungen bzw. 7 5 6 8 Vgl. Schoberth/ Schrott 2001, S. 519. Vgl. Leimeister/ Krcmar 2004, S. 47. 9 131 Vgl. Rheingold 1994. Siehe Hagel/ Armstrong 1997. Vgl. Diaz-Bone 1997, S. 39. Abb. 2: Die drei Phasen des Kaufprozesses Alle Formen von VCs befriedigen stets in gewisser Weise folgende menschliche Bedürfnisse, auch wenn, abhängig vom Typ, das ein oder andere Kriterium überwiegen kann: 10 Das Verfolgen eigener Interessen (Information) Den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen (Kommunikation) Die Vorkaufphase beginnt mit der Identifikation Den Besitz bzw. Erwerb von Gütern, Dienst- bzw. der Konkretisierung eines Bedürfnisses leistungen, Wissen (Transaktion) durch den Konsumenten. Das Ausleben der eigenen Phantasie (Unter- Abgängig vom Be- dürfnis beginnt nun die Suche nach Informatio- haltung) nen, wobei Alternativen in Erwägung gezogen Für die nachfolgenden Ausführungen sei eine und relevante Entscheidungskriterien identifiziert VC verstanden, als ein Netzwerk von Men- werden. Die Suche nach Informationen soll das schen, die sich auf einer sozialen, virtuellen wahrgenommene Kaufrisiko reduzieren und im Plattform treffen und beginnen, miteinander zu Idealfall in einer als akzeptabel beurteilten Ent- kommunizieren und zu interagieren. scheidungsgrundlage münden. In der Kaufpha- 3 se erfolgt die Abwicklung des Kaufes. Diese Die Betrachtung des Kaufprozesses wird im Folgenden eher als rechtliche Handlung unter Berücksichtigung der Beurteil- gesehen und daher nicht näher in die Betrach- barkeit des Leistungsangebots tung einbezogen. Die nachfolgende Nachkauf- Bevor der Nutzen, der für den einzelnen Kon- und Nutzungsphase ist entscheidend für den sumenten aus der Teilnahme an einer VC er- Verlauf der Kundenbeziehung. Diese Phase wächst, betrachtet werden kann, ist es zweck- beginnt mit der Nutzung des Produktes. Hier mäßig, zunächst eine detaillierte Betrachtung kann der Kunde zum ersten Mal die erworbene des Kundenprozesses vorzunehmen. Leistung beurteilen. Das moderne Kaufverhalten stellt i. d. R. ein In jeder Phase des Kaufprozesses empfindet überlegtes Handeln dar, welches auf die Befrie- der Kunde Unsicherheiten über die Konsequen- digung eines Bedürfnisses abzielt und das Er- zen seiner Handlungen. Dabei kann aus infor- 11 Der mationsökonomischer Sicht in zwei grundlegen- eigentlichen de Unsicherheiten unterschieden werden. Zum Kaufakt vorgelagert und durch dessen Ergebnis einen die Umweltunsicherheit, die auch als determiniert. Nach der durch den Kaufakt erfolg- technologische Unsicherheit bezeichnet wird, ten Übertragung der Leistung folgt die Phase welche dann vorliegt, wenn die Informationsde- des Konsums, bei dem die eigentliche Nut- fizite der Austauschpartner sich in der exogenen zungsentfaltung seitens des Konsumenten er- Umwelt befinden. Dagegen besteht Markt- oder folgt. Verhaltensunsicherheit, wenn die Austausch- gebnis eines Entscheidungsprozesses ist. Entscheidungsprozeß ist dem partner innerhalb der Beziehung asymmetrisch über die relevanten Marktbedingungen, wie 10 11 Vgl. Beier 2001, S. 250. Vgl. Müller-Hagedorn 1998, S. 328. 132 Preis oder Qualität informiert sind. 12 Die bedeu- cherheit zu beurteilen. Es empfiehlt sich, gemäß tendste Unsicherheit innerhalb dieser Kategorie der Dynamik der Beurteilung, die Kategorie der ist die Verhaltensunsicherheit, welche aus der Sucheigenschaften noch weiter zu unterteilen in Tatsache resultiert, dass in der Realität Informa- vor dem Kauf beurteilbare Eigenschaften auf der tionen unvollkommen, nicht kostenlos und auch einen und bereits sicher beurteilte Merkmale auf 13 Für den Kunden ist es der anderen Seite. Den Merkmalen, die bereits überaus schwierig, mit vertretbarem Aufwand an sicher beurteilt werden können, kommt eine neutrale und unabhängige Informationen zu Sonderstellung zu. Eigenschaften, die der Nach- gelangen, welche nicht mit opportunistischen frager bereits mit einer als hoch empfundenen Verhalten der Anbieter in Zusammenhang ge- Verlässlichkeit beurteilt, nennt man Wissensei- bracht werden. VCs bieten da ein großes Poten- genschaften. Sie sind eine Teilmenge der Su- tial, die Unsicherheit des Nachfragers zu senken cheigenschaften 18 nicht gleichverteilt sind. und damit das wahrgenommene Kaufrisiko zu Erfahrungseigenschaften: minimieren. Die Beurteilbarkeit des Leistungsniveaus eines Transaktionsobjek- „Die Beurteilung eines Leistungsangebotes und tes ist aus Sicht des Kunden erst nach dem die damit verbundene Verbesserung des Infor- Kauf möglich, da der Kunde erst in der Nut- mationsniveaus ist in entscheidendem Maße zungsphase eine Beurteilung der Leistung vor- von den Beurteilungsmöglichkeiten des Nach- nehmen kann. fragers bezüglich der einzelnen Leistungseigen- Vertrauenseigenschaften: Die Beurteilung der schaften abhängig.“ 14 Die Beurteilbarkeit eines Leistungseigenschaften Merkmals ist eine dynamische Größe, denn im ist dem Nachfrager weder vor, noch nach dem Kauf möglich. Um Zuge von veränderten Erfahrungen kann die eine Kaufentscheidung treffen zu können, muss Wahrnehmung der Beurteilbarkeit jedes einzel- der Kunde auf Informationssubstitute (z. B. Re- nen sich verändern. 15 Das Ausmaß der Beur- putation eines Anbieters) ausweichen, die als teilbarkeit ist somit abhängig von der Natur des Indikator für die Bereitstellung einer adäquaten Merkmals, des Beurteilers und der jeweiligen Leistung dienen. Situation und damit stark subjektiv. EntscheiDie drei Eigenschaftskategorien gehen aus ei- dend ist hierbei lediglich, ob ein Nachfrager nem individuellen Beurteilungsvermögens jedes meint, eine Eigenschaft beurteilen zu können. Kunden hervor und werden bestimmt durch das Unwichtig ist dabei, wie er sie beurteilt oder ob individuelle er objektiv überhaupt in der Lage ist, dies zu Anspruchsniveau Informationsstandes. tun. 16 In Anlehnung an Weiber/Adler oder 19 bezüglich des Jedoch kann man davon ausgehen, dass jeder Kaufakt immer alle drei Schönborn ergeben sich drei Typen der Eigen- Eigenschaftskategorien aufweist. So kann man schaftsbeurteilung von Leistungsbündeln: 17 einen Kauf, der überwiegend SucheigenschafSucheigenschaften: Aus Sicht des Nachfragers ten aufweist, auch als Suchkauf bezeichnen, ist es möglich, bspw. durch Informationssuche wobei auch hier zumeist auch Erfahrungs- und die Leistungseigenschaft vor dem Kauf mit Si- Vertrauenseigenschaften, wenn auch in untergeordnetem Maße, vorhanden sind. 12 13 14 15 16 17 Vgl. Hirshleifer/ Riley 1979, S. 1377. Vgl. Akerlof 1970, S. 489ff. Weiber 2006, S. 96. Vgl. Schönborn 2001, S. 85. Vgl. ebenda, S. 87. Vgl. Weiber/ Adler 1995a, S. 54; Schönborn 2001, S. 87. 18 19 133 Vgl. Schönborn 2001, S. 88f. Vgl. Weiber 2006, S. 102. VCs bieten grundsätzlich Hilfestellungen zur auch in der Nachkaufphase nützlich sein für den Beurteilung von Leistungseigenschaften. Durch Abbau von Unsicherheiten. In dem Fall können eine Vielfalt an unabhängigen und leicht zu- VCs Hilfestellungen bei der Nutzung und Hand- gänglichen Information kann der prozentuale habung des Produktes bieten. Betreibt ein Un- Anteil an Sucheigenschaften der Leistung er- ternehmen eine eigene VC, so ist davon auszu- höht werden. Dadurch wird das wahrgenommen gehen, dass besondere Angebote oder ein er- Kaufrisiko aus Sicht des Käufers gemindert, da weitertes Serviceangebot den Mitgliedern gebo- er durch die Meinung und Erfahrungen Dritter ten wird. die Leistung vor dem Kauf subjektiv besser be- 4 urteilen kann. 20 Als Beispiel kann hier der Kauf von Unterhaltungselektronik dienen. Der Einsatz von Virtual Communities im Kundenprozess Dieser weist in unseren heutigen Zeit einen großen Auf der Grundlage der vorangegangenen Ab- Bedarf an Sucheigenschaften auf. Internetsei- schnitte soll nun der Einsatz von virtuellen Com- ten, wie günstiger.de oder idealo.de helfen mit munities im Kaufprozess betrachtet werden. Erfahrungsberichten von Community-Mitgliedern Dabei soll verdeutlicht werden, dass der Kunde oder Preisübersichten der Anbieter bis hin zu durch die Teilnahme an VCs viele Vorteile reali- technischen Daten der Hersteller. Der Anteil an sieren kann. Dabei wird die Vorkauf- und die Erfahrungseigenschaften beim Kauf von Unter- Nachkaufphase einzeln betrachtet, da es hier, haltungselektronik kann somit reduziert werden. wie bereits angedeutet, die meisten Potenziale Denn bereits bei der Suche nach Informationen gibt. Der Kaufakt selbst, also die rechtliche zur Beurteilung des Leistungsangebotes wird Handlung, wird nicht betrachtet. Während in der man hier auf Erfahrungen anderer Community- Vorkaufphase VCs überwiegend eine Hilfestel- Mitglieder stoßen, die wiederum die Kaufent- lung zur Reduktion des Kaufrisikos bieten, liegt scheidung des Einzelnen beeinflussen können. der Nutzen in der Nachkaufphase eher in der Der Einzelne wird in seiner subjektiven Wahr- Gestaltung der eigenen Individualität. nehmung der Beurteilung der Leistung gestärkt 4.1 Betrachtung des Einsatzes von Virtual und mag für sich persönlich den darauffolgen- Communities in der Vorkaufphase den Kauf als nur mit geringen Unsicherheiten Der Entscheidung für oder gegen den Kauf ei- behaftet empfinden. Damit kann für einzelne nes Produktes oder einer Dienstleistung geht Personen ein Kauf mit ausgeprägten Erfah- ein mehr oder weniger intensiv durchlaufener rungseigenschaften zu einem Suchkauf werden. Kaufentscheidungsprozess in der Vorkaufphase Das Beispiel zeigt deutlich, dass die Wahrneh- voran. mung der einzelnen Eigenschaften nicht zementiert ist und somit sich bspw. Erfahrungseigen- Jedoch muss man hier zwei unterschiedliche schaften zu Sucheigenschaften wandeln kön- Ausgangsituationen einzeln betrachten. Einmal nen. die Vorkaufphase, in welcher der Kunde von einem Unternehmen begleitet wird. Durch die Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Beur- Institution der VC kann das Mitglied seine Be- teilbarkeit einer Leistung bzw. verschiedener dürfnisse direkt an das Unternehmen weiterlei- Leistungsmerkmale vor dem Kauf wichtiger ist ten. Der Kunde kann hier in die Produktentwick- als diese nach dem Kauf, jedoch können VCs lung involviert werden. Die Suche nach einem Produkt, das seine Bedürfnisse deckt, fällt somit 20 Vgl. Ludwig 2000, S. 32. 134 weg. Durch die Mitentwicklung steigt das Invol- erst in der Markterprobungsphase ergeben. 22 vement und die Verbundenheit für das Produkt Kunden haben keine unreifen Produkte mehr, und das Unternehmen. Ein Produkt, welches der denen sie misstrauen könnten. Kunde selbst entwickelt hat, bindet diesen be- Der klassische Kaufprozess beginnt gemäß der reits in der Entwicklungsphase an das Unter- Informationsökonomie mit der Informationssu- nehmen. 21 Die klassischen Eigenschaften von che, bei der die schlechter informierte Seite Kaufunsicherheiten, die den Kunden zur Infor- versucht, dieses Defizit vor der Transaktion zu mationssuche normalerweise animieren, wie vermindern. VCs bieten hier einen guten Aus- Such-, Erfahrungs-, Vertrauenseigenschaften, gangspunkt zur leistungsbezogenen Informati- fallen hier weg. So gesehen sind Produkte, die onssuche. Kaufentscheidungen von Leistungen der Kunde mitentwickelt hat, Produkte mit Wis- mit starken Sucheigenschaften können durch senseigenschaften, also Produkte, über die der VCs vereinfacht werden, da in einer VC die leis- Kunde Bescheid weiß und die gebotene Leis- tungsbezogenen Informationen meist themen- tung einschätzen kann. Das Bewusstsein über spezifisch gebündelt werden. So hat der einzel- die Leistung erfolgt durch die Anteilnahme an ne Kunde, neben Informationen der Hersteller, Informationen, die über den üblichen Informati- auch Testberichte und vor allem die Möglichkeit onsstand eines klassischen Käufers hinaus ge- der direkten Rückkopplung auf persönliche An- hen. Der Kunde sieht sich mit höchster Wahr- fragen in Diskussionsforen. Gerade bei Erfah- scheinlichkeit nicht als benachteiligte Person im rungskäufen ist diese Form des Erfahrungsaus- Transaktionsprozess an, sondern fühlt sich tausches wichtig, denn insbesondere hier ach- gleichberechtigt, vielleicht dem Unternehmen ten die Kunden in der Entscheidungsphase auf sogar überlegen, da er das entsprechende Wis- die Meinung Dritter, da sie selbst keine Möglich- sen über die Leistung eingebracht hat. Der keit zur Beurteilung der Kaufalternativen vor langwierige und zeitintensive Prozess der Infor- dem Kauf haben. mationssuche und -Verarbeitung kann über- 23 Die Reputation, die durch die Kommunikation innerhalb der VC entsteht, sprungen werden. Dies führt zu Einsparung von kann Transaktionskosten, insbesondere von Zeit aber als substitut auch von Geld, bspw. für den Kauf von Fach- 24 leistungsbezogenes (z. B. Garantien oder Rückggabe- recht) dienen. Der Anbieter versucht Unsicher- zeitschriften, wie der Stiftung Warentest. Durch heiten potenzieller Nachfrager durch das Aus- die Teilnahme an einer VC fallen Kontaktbarrie- senden von Signalen zu reduzieren. Die Garan- ren, wie die geografische Ferne oder auch die tie dient neben der (scheinbaren) Sicherheit zur Kosten der Kontaktaufnahme, wie etwa der Kon- Vermeidung unerwünschter Kauffolgen vor al- takt per Brief zum Unternehmen, weg. Vor allem lem als Zeichen für die Qualität der Leistungen, ist der Zeitaufwand hierfür gering, denn wenn da für einen Anbieter minderer Qualität das An- eine VC existiert, so kann schnell über Foren gebot einer Garantie, welches dann häufig in und Chats Kontakt aufgenommen werden. Jeder Anspruch genommen würde, ruinös wäre. In Kunde kann klar seine Bedürfnisse formulieren VCs kann der Einzelne von den kumulierten und wird so immer früher in den Wertschöp- Erfahrungen aller Mitglieder Gebrauch machen fungsprozess der Unternehmen integriert. Wenn und erspart sich somit eigene schlechte Erfah- der Kunde aktiv mitwirkt, können von Anfang an Fehler frühzeitig behoben werden, die sich meist 22 23 21 Informations- 24 Vgl. von Krogh 2006, S. 16. 135 Vgl. Mcwilliam 2001, S. 73. Vgl. Schönborn 2001, S. 88. Vgl. Adler 1996, S. 105. rungen. So kann die Kommunikation und der Individuum einen eigenen Lebensstil und damit Wissens- und Erfahrungsaustausch innerhalb die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Der 25 dienen. Bei Konsum wird nicht mehr verstanden als der diesen Schlüsselinformationen handelt es sich reine Ge- und Verbrauch von Gütern, sondern um Informationen, die der Empfänger als be- als kollektiver Konsum mit dem Ziel, ein Grup- sonders wichtig einstuft, weil sie für ihn andere penerlebnis zu erzeugen. Dabei möchte sich der Informationen ersetzen oder bündeln können Konsument gewisser Produkte und Marken klar und damit die Informationsverarbeitung erleich- von anderen Konsumenten unterscheiden. VCs tern. Es sind „höherwertige Informationen“, die besitzen in der Regel einen Interessenschwer- einen Rückschluss auf entsprechende Leis- punkt und werden bestärkt durch eine Gruppen- tungsmerkmale zulassen, weshalb sie als Sub- identität, welche sich meist aus ähnlichen Ein- stitut für verschiedene Einzelinformationen an- stellungen und Verhaltensweisen ableitet. Sol- der VC als Chunk Information 26 Gerade in der Phase der che VCs, die in erster Linie das gemeinsame Evaluation von Kaufentscheidungskriterien bzw. Konsumerlebnis einer bestimmten Marke in den Kaufalternativen und der darauf folgenden Al- Vordergrund gesehen werden. stellen, werden 27 als Brand- In der Konsumpha- ternativenbewertung kann der Nachfrager auf Communities bezeichnet. das kumulierte Wissen der Community zurück- se bieten diese die Möglichkeit, den Nutzungs- greifen. Erfahrungen und Beurteilungen zahlrei- prozess zu erweitern. Durch Austauschmöglich- cher Individuen werden gebündelt und schaffen keiten mit Gleichgesinnten kann man sich bei so einen erheblichen Mehrwert für den Nachfra- Problemen helfen und neue Anregungen bezüg- ger, der weit über die Informationen des Herstel- lich der Nutzung erlangen. Dabei ist der Herstel- lers oder bspw. der Stiftung Warentest hinaus- ler des Produktes daran interessiert, dass der geht. Kunde sich mit seinem Produkt identifiziert und wird daher Maßnahmen treffen zur Stabilisie- 4.2 Betrachtung des Einsatzes von Virtual rung und Erhaltung der Marke. Ziel dabei ist es, Communities in der Nachkaufphase über den funktionalen Nutzen des Produktes Die Nachkauf- oder Nutzungsphase ist maßge- hinaus einen emotionalen und sozialen Nutzen bend für den weiteren Verlauf der Geschäftsbe- für den Konsumenten zu bilden. ziehung zwischen Kunde und Anbieter. Jedoch 28 Ein erfolgrei- ches Beispiel ist hier die Marke Maggi. Diese wird gerade hier dem Kunden von Unterneh- bietet auf ihrer Homepage Kunden die Möglich- mensseite kaum Aufmerksamkeit entgegenge- keit sich auszutauschen. Es gibt eine Rezept- bracht. In dieser Phase wird die Nutzung des börse mit vielen Anregungen rund um das Mag- gekauften Produktes vollzogen. Erst jetzt lassen gi-Sortiment. Die Kunden werden dazu animiert, sich die Leistungseigenschaften der Erwerbung Rezepte zu kreieren. Das tun sie auch und tatsächlich beurteilen. Der Kunde bildet sich schaffen immer wieder neue Möglichkeiten, das unmittelbar eine Meinung über das Produkt und Maggi-Sortiment in die Nutzung der anderen den Hersteller. Hobby Köche zu integrieren. Brand-Communties In der heutigen Gesellschaft kann das Konsum- sind in der Regel kommerzielle unternehmens- verhalten als Ausdruck der eigenen Persönlich- betriebene Communities, in die der Betreiber ein keit angesehen werden und ermöglicht dem investiert und sogar Events und Treffen für die 27 25 26 28 Vgl. Weiber/ Adler 1995b, S. 50. Vgl. Kroebel-Riel/ Weinberg 2003, S. 286. 136 Siehe McAlexander/ Schouten/ Koenig 2002, S. 38ff. Siehe auch Hermann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S. 10. Mitglieder organisiert. Bezogen auf das Beispiel Vergeltung: Absicht des Konsumenten durch Maggi werden hier Nachmittage im Maggi Koch- bewusste Äußerungen dem Unternehmen zu studio oder Kurse mit berühmten Fernsehkö- schaden, um so einen Ausgleich zu der als chen initiiert. unfair empfundenen Behandlung zu erzielen. Doch auch für die Bewertung von Leistungen 5 sind VCs für den Nachfrager sehr nützlich. War Nutzenstiftung für Mitglieder von Virtual Communities in der Vorkaufphase gerade der Informationsas5.1 Virtual Communtities als Instrument der pekt von hoher Relevanz, besteht hier die Mög- Nachfragerbündelung lichkeit, seine Meinung zu äußern und damit denjenigen Mitgliedern, die sich in der Vorkauf- Nachfragebündelungen treten dann auf, wenn phase sich befinden, Nutzungs- oder Nachkauf- Konsumenten ihren Bedarf in zeitlicher oder informationen bereitzustellen. VCs vereinfachen inhaltlicher Hinsicht vereinheitlichen und somit die Kommunikation der einzelnen Verbraucher gegenüber Unternehmen als ein Nachfrager untereinander und ermöglichen so durch virtuel- auftreten. 30 VCs werden in dieser Arbeit als le Meinungsplattformen eine reibungslose Kun- Nachfragerbündelungen verstanden, da sie als denartikulation. Dabei lassen sich sechs we- Kundengruppen 31 hinsichtlich eines Interessen- sentliche Motive der Kundenartikulation identifi- schwerpunktes bereits gebündelt sind und daher 29 zieren : dem Anbieter gegenüber als ein Nachfrager auftreten könnten. Auf diese Weise sind sie in Altruismus durch Empfehlungen/ Warnungen: der Lage, eine Machtverlagerung von der Anbie- Der einzelne kann durch seine Schilderungen ter- zur Nachfragerseite zu bewirken, in deren den anderen Konsumenten bei Kaufentschei- Verlauf der Mehrwert von den Anbietern zu- dungen helfen. Er kann sie vor negativen Er- nehmend auf die Kunden übergeht. Hagel und fahrungen bewahren. Armstrong sprechen in diesem Kontext von um- Abbau positiver/negativer Spannung: Konsu- gekehrten Märkten. 32 Dies bringt nachfragersei- menten artikulieren sich, um anderen ihre tig zwei wesentliche Vorteile mit sich. Zum einen Freude/Frust über einen gelungenen oder können durch Bündelungen Preisvorteile reali- misslungenen Kauf mitzuteilen und auf die- siert werden. Dies war bspw. der Fall bei der sem Weg, die mit dem Kauferlebnis verbun- transaktionsorientierten denen Spannungen, abzubauen. buyit.com, Selbstwertsteigerung: Artikulation erfolgt, um 33 Community lets- jedoch war dieses Modell in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen wie z. B. das eigene Bild bei anderen Personen zu dem Nichterreichen von kritischen Teilnehmer- verbessern und als Konsumexperte angese- zahlen, rechtlichen Problemen oder zu geringen hen zu werden. Preisnachlässen, die seitens der Hersteller ge- Ratsuche: Artikulation von Konsumenten, um währt wurden, nicht erfolgreich. Hilfe zu erfahren bei negativen Kaufentschei- Zum anderen, und hier sind wesentlich mehr dungen. Unterstützung des Unternehmens: Auf Grund Potenziale vorhanden, sind verschiedene Leis- seiner Zufriedenheit über die erworbene Leis- tungsvorteile für Kunden realisierbar. So ist es tung möchte der Kunde dazu beitragen, dass möglich, dass für einzelne Gruppen mit speziel- das Unternehmen am Markt bleibt. 30 31 32 29 33 Vgl. Henning-Thurau/ Hansen 2001, S. 565. 137 Vgl. Voeth/ Klein 2002, S. 115. Vgl. Tomczak/ Schögel 2005, S. 1. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 31f. Vgl. Panteon 2005, S. 47. len Bedürfnissen bestimmte Produkte durch den men so individualisierte Rückmeldung auf ihre Anbieter zur Verfügung gestellt werden. Hier hat persönliche Anfrage. Die Auswirkungen solcher der Kunde die Möglichkeit, individuelle Produkte Beiträge auf die Kaufentscheidung des Einzel- zu fordern, wobei dies vom Kernprodukt bis hin nen sind in der Regel von großer Bedeutung. 36 zum erweiterten Produkt, wie bspw. Events oder Denn es wird von den Mitgliedern unterstellt, Treffen gehen kann. In der Praxis wird dies dass schon von verschieden erfolgreichen Communi- glaubwürdig und vor allem nicht opportunistisch tiy- Betreibern realisiert (z. B. ebay). handeln. Zusammenfassend lässt sich sagen, die anderen Mitgliedern unabhängig, dass in Zukunft der größte Anreiz, sich einer Ein weiterer Vorteil ist in der Einflussnahme auf virtuellen Gemeinschaft anzuschließen, darin die Produktgestaltung zu sehen. Das innovative bestehen wird, mehr Informationen zu besitzen Potenzial von VCs wird zunehmend auch von und somit mehr Profit von den Anbietern abzu- den Anbietern erkannt. So werden gezielt ziehen. Communities bzw. deren Teilnehmer in die Gestaltung und Entwicklung neuer Produkte integ- 6 riert, was in der Konsequenz zu markt- und 37 Ausblick auf Potentiale und Chancen von Virtual Communities nachfragergerechteren Lösungen führt. Die prinzipiellen Vorteile und Potenziale der 5.2 Kundenmacht durch Informationsvorteile neuen Informations- und Kommunikationstech- VCs ermöglichen den Mitgliedern verschiedene nologien, insbesondere des Internet, ermögli- Arten von Informationen und verbessern damit chen die Vernetzung einzelner Akteure und deren Informationsstand. Die Besonderheit ist, bieten den Beteiligten nahezu unbegrenzte dass Informationen bereitgestellt werden, die in Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten. der realen Welt nicht oder nur durch hohe Kos- Gerade die Kommunikation zwischen den Nach- ten zugänglich sind. Es ist den Mitgliedern nun fragern, also das Konzept von VCs, verändert auch möglich, ihr Urteil zusätzlich zu den anbie- die traditionellen Spielregeln erheblich. In Zu- terorientierten Informationen durch das gesamte kunft werden Nachfrager-Communities immer Wissen der Mitglieder in Form von Meinungen stärker den Charakter von ad hoc Netzwerken 38 und Erfahrungsberichten zu erweitern. 34 annehmen und die diskutierten Themen werden In VCs kann eine enorme Vielfalt an Sachkenntnis kon- immer spezifischer. 39 zentriert werden, die von einem einzelnen, un- VCs nicht nur bedarfsfallspezifisch Verbraucher abhängig davon, ob er erfahren oder geübt ist, miteinander, sondern statten diese auch mit sprich Expertenwissen besitzt, nie erreicht wer- immer mehr Informationen aus, an die sie sonst den kann. Der Mehrwert liegt also nicht so sehr nur unter großem Aufwand gelangen könnten. in den Erfahrungen und dem Wissen jedes ein- Dies führt zu einem Verschiebung der traditio- zelnen, sondern in den Erfahrungen und Per- nellen Macht- und Informationsverhältnisse zwi- Dennoch versammeln Zusätzlich schen Anbieter und Nachfrager, die sich als wird in vielen VCs ein Dialog, in Form von Dis- umgekehrte Märkte konstituieren, in denen die kussionsforen, zwischen den Mitgliedern ermög- Macht nun stärker auf den Nachfrager verlagert licht. Die einzelnen Mitglieder können also viel ist. Durch die ständig wachsende Kundenartiku- spektiven zahlreicher Individuen. 35 deutlicher ihr Anliegen darstellen und bekom- 36 37 38 34 35 Vgl. Panteon 2005, S. 48. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 45. 39 138 Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42f. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 32. Ad hoc Netzwerke sind spontane, kurzfristige, für einen Zweck gebildete Verbindungen einzelner Personen. Vgl. Weiber/ Fälsch 2007, S. 38. lation im Netz werden Kaufentscheidungen immer stärker durch die Meinung anderer Nach- Literaturverzeichnis frager bestimmt. Auf lange Sicht verlagert sich also der Wettbewerb von der Produkt- auf die Adler, J. (1996): Informationsökonomische Fun- Kommunikationsebene. 40 Trotz der vielen unbe- dierung von Austauschprozessen: eine grenzten Möglichkeiten, die geboten werden, nachfrageorientierte Analyse, Wiesbaden. darf man nicht vergessen, dass der Nutzen, der Akerlof, G. A. (1970): The market for „Lem- dem einzelnen Nachfrager daraus erwächst, mons“: Quality Uncertainty and the Market stark vom entsprechenden Involvement deter- Mechanism, The Quartely Journal of Eco- miniert wird. Laut einer Allensbacher Computer- nomics, 84 (1970), S. 488-500. und Technik-Analyse ist die Web-Nutzung stark Bauer, H./Brünner, D./Grether, M./Leach, M. altersgebunden. Die Kriterien waren hier unter (2001): Die virtuelle Gemeinschaft als In- anderem das Einstellen von Videos auf Video- strument des Customer Relationship Mana- portalen, der Besuch von Chatrooms oder das Erstellen von Profilen auf gement, in: Fritz, Wolfgang (Hrsg.): Internet- Community- Marketing, 2. Auflage, Stuttgart 2001, S. Plattformen. Die Nutzung solcher Angebote war 325-371. mit steigendem Alter sinkend. Die Partizipation der jüngeren Bevölkerung (14-20 Jährige) war Beier, M. (2001): Virtual Communities- eierle- knapp 13 mal so hoch, wie die der 55-64 Jähri- gende Wollmilchsäue für das One-to-One gen. 41 Marketing, in: Hermanns, Arnold/Sauter, Mi- Gerade bei diesen Communities ist er- sichtlich, dass der Nutzen stark abhängig ist von chael. (Hrsg.): Management Handbuch e- den jeweiligen Bedürfnissen der einzelnen Al- lectronic Commerce, München 2001, S. tersstufen. Die Dimension des Nutzens liegt 246-263. eher im jugendspezifischem Dialog und dem Billen, P. (2003): Unsicherheit des Nachfragers Erstellen von Beiträgen, sowie der Selbstdar- bei Wiederholungskäufen- Ein informations- stellung. Ganz anders sieht es bei der Nutzung ökonomischer und verhaltenswissenschaftli- von Communities aus, wo im Vordergrund die cher Ansatz, Wiesbaden. Kundenartikulation steht und der Nutzen vorBruhn, M. (2001): Relationship Marketing, wiegend aus der Informationsbeschaffung und - München. verarbeitung generiert wird. Hier sind die Unter- Bullinger, H.-J. (2002): Business Communities- schiede zwischen Jung und Alt nur noch im Verhältnis von 2 zu 1. Dies zeigt, dass die Moti- professionelles Beziehungsmanagement vation sich an Kundenartikulation im Internet zu von Kunden, Mitarbeitern und B2B-Partnern beteiligen, Erfahrungen mit anderen zu teilen im Internet, Bonn. und Bewertungen über Marken, Produkte und Chesbrough, H. W. (2006): Open Innovation- Dienstleistungen zu verfassen, einen hohen The new imparative for creating and Profit- Wert über alle Altersstufen darstellt. VCs sind ing from Technology, Massachusetts. somit nicht, wie oft kritisiert, nur für jüngere ZielDiaz-Bone, R. (1997): Ego-zentrierte Netzwerk- gruppen interessant, vielmehr bergen sie ein analyse und familiäre Beziehungssysteme, hohes Potenzial für alle Nachfrager. Wiesbaden 1997. 40 41 Vgl. ebenda, S. 38. Vgl. Köcher/ Schneller 2007, S. 26. 139 Grün, O./ Brunner, J.-C. (2003): Wenn der Kun- Ludwig, M. A. (2000): Beziehungsmanagement de mit anpackt- Wertschöpfung durch Co- im Internet, Köln. produktion, zfo, 72(2003), 2, S. 87-93. Manhartsberger, Martina/Musil, Sabine (2001): Hagel, J./ Armstrong, A. (1997): Net Gain- Profit Web Usability, Bonn. im Netz: Märkte erobern mit virtuellen com- McAlexander, J. H./Schouten, J. W./Koenig, H. munities, Wiesbaden. F. (2002): Building Brand Community, Jour- Henning-Thurau, T./ Hansen, U. (2001): Kun- nal of Marketing, Vol. 66, S. 38-54. denartikulation im Internet, Die Betriebswirt- McWilliam, G. (2001): Online-Communities ge- schaft, 61(2001), 5, S. 560-580. ben Marken mehr Schub, Harvard Business Hermann, A./Algesheimer, R./Heitmann, M. Manager, 2(2001), S. 72-85. (2005): Brand Community Management- Müller-Hagedorn, L. (1998): Der Handel, Stutt- Ansatz für eine netzwerkorientierte Perspek- gart. tive im Marketing, in: Thexis, 22 (2005), 3, Panten, G. (2005): Internet-Geschäftsmodell S. 6-10. virtuelle Community, Wiesbaden. Herstatt, C./Sander, J. (2004): Einführung: virtuRheingold, H. (1994): Virtuelle Gemeinschaften- elle Communities, in: Herstatt, C./Sander, J. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Com- (Hrsg.): Produktentwicklung mit Virtual Com- puters, Bonn. munities, Wiesbaden, S. 1-16. Schoberth, T./Schrott, G. (2001): Virtual Com- Hirshleifer, J./ Riley, J. G. 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Auflage, Mün- ence, 48(2002), 7, S. 821-833. chen. von Krogh, G. (2006): Bezahlen Sie ihren KunLeimeister, J. M. /Krcmar, H. (2004): Das Ge- den, Harvard Business Manager, Februar schäftsmodell Virtual Community- Revisted, 2006, S. 16-17. in: Herstatt, C./Sander, J. (Hrsg.): ProduktVoß, G. /Rieder, K. (2005): Der arbeitende Kun- entwicklung mit Virtual Communities, Wies- de- wenn Konsumenten zu unbezahlten Mit- baden, S. 45-68. arbeitern werden, Frankfurt am Main. 140 Weiber, Rolf (2006): Was ist Marketing?- Grundlagen des Marketing und informationsökonomische Fundierung, 3. Auflage, Arbeitspapier zur Marketingtheorie, Trier. Weiber, R./Fälsch, H. (2007): Paradigmawechsel im Marketing- Technologietrends und Konsequenzen für das Marketing, Akademie, 52, 2, S. 35-39. Weiber, R./Adler, J. (1995a): Informationsökonomisch begründete Typologisierung von Kaufprozessen, zfbf, 47, 1, S. 43-64. Weiber, R. /Adler, J. (1995b): Der Einsatz von Unsicherheitsreduktionsstrategien im Kaufprozeß: Eine informationsökonomische Analyse, zfbf, Sonderheft 35 (1995), S. 6177. Weiber, R./Meyer, J. (2005): Grundlagen des Community-Marketing: Bezugsrahmen und empirische Prüfung des virtuell CommunityKonzepts, Thexis, Vol. 3, 2, S. 42-46. 141 Christian Hildebrand Produktentwicklung mit Virtual Communities - kritische Reflexion und prozessuale Fundierung interaktiver Wertschöpfungsprozesse 1 Die Permeabilität unternehmerischer Grenzen in der Produktentwicklung 2 Der Einsatz von Virtual Communities im Marketing 3 Prozessorientierte Analyse community-basierter Entwicklungsleistungen 4 Revision moderner Produktentwicklungsprozesse durch Virtual Communities 1 Die Permeabilität unternehmerischer ermöglichen. Dies auf den Forschungsgegens- Grenzen in der Produktentwicklung tand hin konkretisierend, zeigt sich demnach die implizite Herausforderung und Chance zugleich, Während die betrieblichen Forschungs- und externe Wissenspotentiale zu internalisieren5 Entwicklungsabteilungen bisweilen ihre originäre und somit die Nutzung nachfragerspezifischer Aufgabe in der unabhängigen Entwicklung inno- Bedürfnisinformationen in der Produktentwick- vativer Produkte und Kundenlösungen sahen, lung um nutzerzentrierte Lösungsinformationen wird seit nunmehr einigen Jahren ein neues zu erweitern.6 Feld ökonomischer Forschung zunehmend erschlossen. Im Fokus der Betrachtung steht hier- Daraus ergibt sich jedoch ein grundlegend ver- bei eine kundenorientierte Produktentwicklung ändertes Verständnis des Nachfragers in der als unternehmerischen Betriebswirtschaft. Potentielle Nachfrager be- Markterfolgs1 und der zugleich wirksamen Mög- trieblicher Leistungen und Produkte sind zu- lichkeit zur Reduktion oftmals hoher Misserfolgs- nehmend herausgelöst aus dem begrenzten raten in der Produktinnovation.2 Somit steht in Bezugsrahmen des originären Informationsträ- zunehmenden Maße weniger die Betrachtung gers innovativer, technisierter Entwicklungen, als unternehmerischen Produkt ingenieurwissenschaftlicher Leistungen werden vielmehr in erweiternder Weise als Mit- im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage, entwickler, „Co-Produzent“7 und „Prosumer“8 wie in dynamischen Wirtschaftssystemen, kon- zugleich betrachtet. So spricht Chesbrough in stituiert durch global organisierte Märkte, ver- diesem Zusammenhang vom Bruch traditioneller kürzte Produktlebenszyklen3 und moderne For- Closed-Innovation-Prozesse und der Öffnung men des Consumer Empowerment,4 eine maxi- unternehmerischer Grenzen, hin zum Open- male Kongruenz nachfragerspezifischer Bedürf- Innovation-Ansatz,9 in dessen Rahmen jene nisse und anbieterseitiger Leistungsbündel er- Grenzen der Unternehmung zunehmend durch- zielt werden kann. Hierbei kommt den modernen lässig werden und externe Wissenspotentiale IuK-Technologien eine zentrale Bedeutung zu. (z. B. durch Kunden) in einer symbiotisch ge- Unternehmungen werden nunmehr in die Lage prägten Beziehung betriebsintern genutzt wer- versetzt, in gezielter Art und Weise eine aktive den.10 Diesen Aspekt zeitlich gesehen bereits Kundenintegration in die betrieblichen Ent- früher aufgreifend, wies von Hippel in ähnlicher Voraussetzung des wicklungs- und Leistungserstellungsprozesse zu 5 6 1 2 3 4 7 Vgl. Lüthje 2007, S. 41. Vgl. Christensen/ Raynor 2003, S. 73. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95. Vgl. Shankar/ Cherrier/ Canniford 2006, S. 1014. 8 9 10 142 respektive Untersuchungsobjektes Marktforschung, Vgl. Boutellier/ Gassmann 1996, S. 290. Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 569. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95. Vgl. Toffler 1980, S. 273. Vgl. hierzu den Beitrag von Adlunger (S. 27ff.) Vgl. Chesbrough 2003, S. 29f. der sondern Weise auf die zunehmenden Veränderungspro- leistungen ausgeweitet. Insbesondere jene Pro- zesse und Tendenzen zum sog. Customer- zessperspektive erlaubt es somit den differen- 11 Diese grundsätzliche ziert zu betrachtenden Möglichkeitsraum virtuel- Hinführung zu den derzeitigen Umgestaltungs- ler Gemeinschaften abzubilden, denn von ent- prozessen in Wissenschaft und Praxis sei nun scheidender Bedeutung ist weniger die An- illustratorisch pointiert und der bisherige Gedan- sammlung vernetzter Partizipienten, als viel- kengang in Anlehnung an Chesbrough zusam- mehr das komplexe Wirkungsgefüge ihrer Inter- mengefasst. aktion und der ihnen inhärenten, voneinander Active-Paradigm hin. verschiedenen Fähigkeiten als Grundlage er- Abb. 1: Vom Closed-Innovation-Paradigma zum folgreicher, kollaborationsgestützter Produktent- Open-Innovation-Paradigma wicklungsprozesse. 2 Der Einsatz von Virtual Communities im Marketing Nachdem nun der konkrete Bezugsrahmen des Beitrags kritisch motiviert sowie die manifesten Veränderungen der betrieblichen Umwelt dargeBevor nun jedoch eine sich inhaltlich ausweiten- stellt und durch die klassischen Ansätze von de Thematisierung von virtuellen Gemeinschaf- Chesbrough und von Hippel sublimiert wurden, ten, als mögliche Form dieser i. S. Chesbroughs erfolgt nun eine einführende Darstellung und externen, gruppenbasierten Entwicklungspartner Theorieübersicht zum Forschungsobjekt virtuel- erfolgt, stellt sich zu Beginn mithin die Frage ler Gemeinschaften, bevor die sich daraus er- welchen wissenschaftlichen Beitrag vorliegende gebenden Vorteilspotentiale herausgearbeitet Arbeit zu leisten im Stande ist. Eine mögliche und im weiteren Verlauf um eine spezifische Antwort lässt sich hierbei im Besonderen aus Betrachtung der Individualebene jeweiliger Teil- den bisherigen Erklärungsansätzen herleiten, nehmer ergänzt wird. denn obgleich seit nunmehr einer Dekade die 2.1 Genese und Systematisierung des Com- Anzahl publizierter Beiträge im Kontext virtueller munitybegriffs Gemeinschaften stetig gestiegen ist, gilt dies Die begriffliche Prägung und den thematischen nicht gleichsam für deren explikative Aussagekraft. Die wesentlichen Anfang einer zunächst nicht-wissenschaftlichen modelltheoretischen Betrachtung von Virtual Communities (VC’s) Leitlinien finden sich zwar im Rahmen des vor- findet sich bei Rheingold. Rheingold beschreibt liegenden Beitrages, doch werden sie stärker dabei in allgemeiner Form die persönlichen Er- als zuvor miteinander verbunden und in einen lebnisse in der privaten Community „The Well“. schlüssigen Gesamtkontext eingebettet. Somit Er umschreibt virtuelle Gemeinschaften hierbei werden einerseits systematisch bestehende als soziale Zusammenschlüsse, die auf compu- Vorteilspotentiale im Rahmen der betrieblichen tervermittelnder Kommunikation beruhen und Produktentwicklung herausgearbeitet und im ein Geflecht persönlicher Beziehungen entste- weiteren Verlauf um eine prozessorientierte Analyse 11 community-basierter hen lassen.12 Die Anzahl wissenschaftlicher Entwicklungs- Publikationen im Kontext virtueller Gemein12 Vgl. von Hippel 1979, S. 83f. 143 Vgl. Rheingold 1994, S. 16. schaften stieg darauf folgend insbesondere im können die von u. a. Hagel/Armstrong und Mu- Anschluss an die publizierten Beiträge von Ha- niz/O’Guinn beschriebenen Merkmale virtueller 13 gel/Armstrong Gemeinschaften letztlich auf die in dem nachfol- und der ab Mitte der 90er Jahre zunehmenden Erweiterung Kommunikationsmittel, wie genden internetbasierter Bulletin Systematisierungsansatz illustrierten Kernelemente reduziert werden. Boards, Chats, Newsrooms oder bspw. IRC’s an. Die Abb. 2: Kernelemente virtueller Gemeinschaften Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen zeichnet sich hierbei erwartungsgemäß durch eine ebenso hohe Vielzahl verschiedenartiger Perspektiven und Gegenstandsbereiche aus. Ein möglicher Systematisierungsansatz der Kernelemente verschiedenartiger Ansätze sei daher an dieser Stelle aufgezeigt. So zeigen Ha- Nachdem nun die für die weitere Betrachtung gel/Armstrong14 und Muniz/O’Guinn15 insbeson- wesentlichen Kernelemente virtueller Gemein- dere allgemeingültige, eine virtuelle Gemein- schaften herausgearbeitet wurden, ist nun der schaft grundsätzlich konstituierende, Merkmale mögliche, konkrete Beitrag von VC’s für den auf. Diese Kernelemente lassen sich hierbei unternehmerischen Innovationserfolg aufzuzei- zunächst, global betrachtet, auf grundlegende gen. Basiseigenschaften virtueller Gemeinschaften 2.2 Immanente Vorteilspotentiale der „Com- reduzieren,16 wie gemeinsames Interesse und munity Based Innovation“ eine Art innerer Verbundenheit, definiert über einen spezifischen Kontext, sowie technologi- Aufgrund der einführend erläuterten Problematik sche Basisfunktionen, die wiederum auf die verkürzter Möglichkeit der und Marktsättigungstendenzen und hohen Misser- endogenen Informationsdiffusion rückwirken. folgsraten in der Produktinnovation, gilt es nun Darüber hinaus soll weiterhin zwischen einer die Überlegung anzustellen, welche möglichen Community- sowie Individualebene unterschie- Vorteilspotentiale sich aus community-basierten den werden. So wird Erstere insbesondere Innovationen ergeben können. Zur Abbildung durch intertemporal aus der Community gene- der konkreten Vorteilsdimensionen wird an die- rierte Traditionen und Normen konstituiert und ser Stelle z. T. auf bestehende Ergebnisse em- umfasst in einem weiter gefassten Sinne ein für pirischer Forschungsarbeiten sowie insbesonde- das Bestehen von Gemeinschaften notwendiges re theoretische Ansätze zurückgegriffen und Zusammengehörigkeitsgefühl. Individual- diese nun nachfolgend in eine Art „Conceptual ebene konkretisiert sich demgegenüber das Framework of Advantage“ (siehe Abbildung) Verhalten der jeweiligen Partizipienten. Die Be- integriert. Der Betrachtungsfokus ist hierbei reitschaft zur Verantwortungsübernahme und stark anbieterorientiert und somit an insbeson- Informationsweitergabe17 kann hierbei als not- dere ökonomische Beurteilungskriterien ange- wendige Bedingung angesehen werden. Somit lehnt. Eine teilnehmerbasierte Untersuchung Informationsweitergabe Auf Produktlebenszyklen, erhöhten erfolgt jedoch ergänzend im Rahmen des 13 14 15 16 17 Vgl. Hagel/ Armstrong 1995, S. 127ff.; Dies. 1997, S. 3ff. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 8ff. Vgl. Muniz/ O'Guinn 2001, S. 413. Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 8ff. Vgl. Muniz/ O'Guinn 2001, S. 413. nächsten Unterkapitels. 144 Zu Beginn eröffnet sich infolge moderner IuK- seren Bedürfnis-Leistungs-Fit, eine deutliche Technologien und netnographischen Methoden Reduktion jeweiliger Misserfolgsraten möglich.25 zunächst die Möglichkeit, bereits frühzeitig et- Im Hinblick auf die erfolgskritische Phase der waige Marktchancen und -potentiale durch eine Markteinführung können darüber hinaus öko- systematische Content- nomische Erfolgspotentiale derart realisiert wer- Informationen, z. B. bestehender Brand Com- den, dass die jeweiligen Community-Mitglieder munities oder Communities of Consumption, zu als Innovationspromotoren im Diffusionsprozess 18 Untersuchung von bei gleichzeitig geringen Kommu- agieren.26 McAlexander/Schouten/Koenig wei- nikations- und Informations-verarbeitungskosten sen ebenso darauf hin, dass der marktliche Er- im Vergleich zur klassischen Marktforschung.19 folg zugleich infolge einer steigenden Produkt- Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich bzw. Markenloyalität erzielt werden kann.27 Jep- hieraus ebenso erhöhte Anforderungen an effi- pesen/Molin zeigen zusätzlich auf, dass Com- ziente Selektions- und Identifikationsalgorithmen munities ebenfalls dazu beitragen können, die realisieren, 20 Prahalad/Ramaswamy weisen dar- Länge bestehender Produktlebenszyklen deut- über hinaus auf die zunehmende Bedeutung lich auszuweiten.28 Etwaige Auswirkungen auf von Communities als „Experience Environ- die Reputation und das Image der Unterneh- ergeben. 21 und betonen somit die immanente mung sowie mögliche Konsequenzen hinsicht- Bedeutung spezifischen, userzentrierten Pro- lich der liquidatorischen Anerkennung auf Kapi- duktwissens als möglicher Katalysator innovati- talmärkten könnten letztlich weitere interessan- ver Produktlösungen. Zugleich zeigt von Hippel te, moderierende Größen darstellen. Die darge- die Absorption nur schwerlich zugänglicher Be- stellten Ausführungen sind abschließend in ei- dürfnisinformationen bzw. sticky information nem entsprechend aufbereiteten Bezugsrahmen potentieller Nachfrager auf und zeigt ebenso auf präsentiert. ments“ hin 22 empirischer Ebene, dass eine frühzeitige Er- fassung zu den im Weiteren erläuterten Vorteilen eines höheren fit-to-market führen kann.23 Die bisher beschriebenen Vorteilsdimensionen zielen hierbei insbesondere auf die externe Effektivität der jeweiligen Entwicklungsprozesse ab. Demgegenüber ergeben sich jedoch ebenso intern orientierte Effizienzpotentiale, die somit betont kostenorientiert sind. So kann infolge der Reduktion iterativer Prozesse insbesondere die Zeit bis zur Markteinführung (time-to-market) erheblich reduziert und somit ebenso Kostenvorteile im Entwicklungsprozess (cost-to-market) erzielt werden.24 Gleichsam ist, infolge des bes18 19 20 21 22 23 24 Vgl. Kozinets 2002, S. 61f. Vgl. Bartl/ Ernst/ Füller 2004, S. 143. Vgl. Herstatt/ Sander 2004, S. 116. Vgl. Prahalad/ Ramaswamy 2003, S. 15. Vgl. von Hippel 1994, S. 429ff. Vgl. Brown/ Eisenhardt 1995, S. 366. Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 150ff. 25 26 27 28 145 Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 76f. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 166f. Vgl. McAlexander/ Schouten/ Koenig 2002, S. 48. Vgl. Jeppesen/ Molin 2003, S. 378. Abb. 3: „Conceptual Framework of Advantage“ virtueller Gemeinschaften Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die tierten Ansätzen.29 Demzufolge sind die gängi- Berücksichtigung individueller wie gruppenbe- gen Erklärungsansätze zur Teilnahmemotivation zogener Teilnahmemotive letztlich unerlässlich einerseits an perspektivisch stärker betriebswirt- für die differenzierte Beurteilung und Realisie- schaftlich rationalen Kosten-Nutzen-Vergleichen rung von Vorteilspotentialen erscheint. Eine und diversen Formen von materieller Belohnung komprimierte Übersicht erfolgt daher nachfol- bzw. spezieller Incentives ausgerichtet30 oder gend in ergänzender Weise. aber an psycho- und soziologisch geprägte Sichtweisen angelehnt, wonach eher kollektiv normorientierte bzw. Aspekte zwischenmensch- 2.3 Implikationen und zentrale Problemfelder licher Beziehungen sowie Gemeinschaftsaspek- im Anreiz-Beitrags-Gefüge aus Individu- te im Fokus der Betrachtungen stehen.31 Dar- alperspektive über hinaus finden sich ebenso Ansätze, die Nachdem nun aus unterschiedlich geprägten einen kondensierten Zusammenschnitt anstre- Dimensionen relevante Vorteilspotentiale com- ben und soziale wie ökonomische Faktoren in munity-basierter Innovationen aufgezeigt und einem entsprechenden Gesamtkontext aufzei- deren Beitrag für den – nicht nur – ökonomi- gen.32 Somit stellt sich für die Unternehmung die schen Erfolg der Unternehmung hervorgehoben grundsätzliche Frage nach der Adäquanz der wurde, sei nun ein kompakter Überblick hinsicht- Anreizstiftung, denn so kann der falsche Stimu- lich der zu berücksichtigenden Implikationen lus sowohl die falschen Community-Mitglieder und möglichen Hemmnisse aus Individualper- attrahieren (z. B. sog. Lurker33), als auch abträg- spektive dargestellt. lich auf das erwünschte Ergebnis rückwirken. Zunächst gilt es herauszustellen, welche implizi- Zugleich ergibt sich für die in die Entwicklungs- ten Anreize jeweilige Mitglieder letztlich dazu prozesse involvierten User jedoch ebenfalls die bewegen können, an einem durch eine beliebige Problematik potentieller, psychologischer Kos- Unternehmung initiierten Entwicklungsprozess ten. Kaplan et al. zeigen in diesem Zusammen- zu partizipieren. Der theoretische Bezugsrah- 29 men ergibt sich in diesem Zusammenhang zu- 30 meist aus der Motivationsforschung und somit 31 im Allgemeinen eher ex- oder intrinsisch orien32 33 146 Vgl. Bitzer, 2004, S. 3; Lakhani/ Wolf 2005, S. 4ff. Vgl. Lüthje 2002, S. 5f.; Shah 2004, S. 4f.; von Hippel 2001, S. 85; Reichwald/ Piller 2006, S. 135f.; von Krogh/ Spaeth/ Lakhani 2003, S. 1234. Vgl. Klandermans 1997, S. 25f.; Hemetsberger/ Pieters 2001, S. 275f. Vgl. Bonaccorsi/ Rossi 2003, S. 5; Rossi/ Bonaccorsi 2005, S. 5. Vgl. Stegbauer/ Rausch 2006, S. 121. nomisch erfolgreichen Innovation und dessen hang aus einer prozessorientierten Sichtweise 34 mögliche Problemfelder auf, die ebenso in Auslobung beeinträchtigt wird. virtueller Hinsicht als mögliche Störgröße auf die 3 Prozessorientierte Analyse communi- Phase der Produktentwicklung einwirken können. So könnten attraktive ty-basierter Entwicklungsleistungen Community- Teilnehmer infolge eines erhöhten Leistungsrisi- Nachdem nun die konzeptuellen Leitlinien im kos Kontext bereits zu Beginn der Community- virtueller Gemeinschaften inhaltlich Integration von einer Teilnahme absehen, auf- spezifiziert und die derzeitigen Anforderungen grund persönlicher Bedenken einen möglichen an das betriebliche Management hervorgehoben Innovationsbeitrag leisten zu können. Darüber wurden, erfolgt nun eine prozessbezogene Ana- hinaus sind ebenfalls soziale und psychologi- lyse sche Risiken zu berücksichtigen, die sich letzt- leistungen. Es stellt sich hierbei mithin die Fra- lich in der Befürchtung ausbleibender Anerken- ge, nung durch Dritte und einer steigenden Alltags- kostentheoretisch grundsätzlich effizienten Or- belastung manifestieren. Daher sollte möglichst ganisation der Closed-Innovation die Inkauf- frühzeitig der durch die User zu leistende Ent- nahme steigender Unsicherheit und Koordinati- wicklungsumfang bestimmt werden, denn an- ons- sowie Abstimmungskosten37 zugunsten sonsten können sich die subjektiv empfundenen einer community-basierten Entwicklung als för- Interaktions- und Opportunitätskosten explizit derlich für den Innovationserfolg der Unterneh- erfolgskritisch auf die Teilnahmemotivation aus- mung erweist. Es erfolgt daher nun eine diffe- wirken.35 Überlegungen hinsichtlich etwaiger renzierte und kritische Betrachtung in welcher Aufwandsentschädigungen Art und Weise hierbei mögliche Innovationspo- sind demzufolge community-basierter wann sich aus einer Entwicklungs- transaktions- ebenfalls vor dem Hintergrund eines finanziellen tentiale und -beiträge evoziert werden können. Risikos anzustellen. 3.1 Prozessuale Interaktionsoptionen com- Bevor nun im Weiteren eine prozessorientierte munity-gestützter Entwicklungsprozesse Untersuchung community-basierter Innovatio- Um eine möglichst generalisierbare Untersu- nen durchgeführt wird, sei abschließend auf die chung zu erzielen, orientiert sich hierbei die bedeutsame Problematik der Intellectual Proper- Zweckdienlichkeit eines adäquaten und aussa- ty Rights (IPR) für Unternehmen wie Communi- gefähigen Prozessmodells zunächst am Kriteri- 36 Letztlich könnten um eines optimalerweise geringen Detaillie- einerseits Unternehmen von weiteren Koopera- rungs- und Spezialisierungsgrades. Hierzu fin- tionen absehen, da empfindliches Unterneh- den sich in der Literatur verschieden umfangrei- menswissen über interne Prozesse und Verfah- che jedoch inhaltlich zumeist ähnliche Prozess- ren transferiert werden müsste und andererseits modelle.38 Aufgrund der vereinfachten Prozess- die Attraktivität der Teilnahme auf User-Ebene orientierung dient als Grundlage der weiteren insbesondere durch das mögliche Missverhält- Betrachtungen eine Modifikation des klassi- nis des kreativen Eigenbeitrages zu einer öko- schen Stage-Gate-Modells nach Cooper.39 34 37 ty-Mitglieder hingewiesen. 35 36 Vgl. Kaplan et al. 1974, S. 287ff. Vgl. Hui/ Bateson 1991, S. 181f.; Lerner/ Tirole 2002, S. 197ff. Vgl. West/ Vanhaverbeke/ Chesbrough 2006, S. 285ff.; Nambisan 2002, S. 410ff. 38 39 147 Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 24; Coase 1937, S. 388. Vgl. hierzu bspw. Herstatt 1999, S. 73; Cooper 1996, S. 479; Pleschak/ Sabisch 1996, S. 24; Hughes/ Chafin 1996, S. 93. Vgl. Cooper 1996, S. 478f. Nutzung global-reziproker Kreativitätspotentiale Abb. 4: Generalisierte Phaseneinteilung im In- infolge der Austauschprozesse zwischen den novationsprozess jeweiligen Usern. So tragen hierbei Formen des kreativen Lernens zur eigentlichen Neuartigkeit möglicher Konzeptvorschläge bei,42 entgegen den klassischerweise auf das Potential des Ein- Es gilt sogleich zu Beginn deutlich darauf hin- zelnen beschränkten Ideenwettbewerben. Die zuweisen, dass eine differenzierte Betrachtung größte Schwierigkeit ergibt sich jedoch während des Community-Einsatzes auf prozessorientier- dieser Anfangsphase potentiell aus der Identifi- ter Basis bisher keine oder eine nur unzurei- kation geeigneter Communities, den dabei anfal- chende Beachtung in wissenschaftlichen Publi- lenden Suchkosten sowie der gezielten Auswahl kationen findet. Obgleich diverse Autoren mögli- jeweiliger Konzeptvorschläge.43 Ein systemati- che Ansätze entlang des Innovationsprozesses sches Monitoring und methodengestützte Aus- 40 aufzeigen, wahlprozesse sind daher insbesondere in dieser fehlt weithin eine fundierte empiri- sche Untersuchung und es werden vielmehr frühen Phase unabdingbar. z. T. bekannte Konzepte in den virtuellen Kon- In der sich daran anschließenden Entwicklungs- text transferiert. Eine entsprechende empirisch phase erfolgt sodann die funktionale Bestim- orientierte Untersuchung des Möglichkeitsrau- mung und Entwicklung des Produktes und somit mes von Communities und den notwendigerwei- die Realisierung der im Vorfeld zu bestimmen- se zu unterscheidenden Fähigkeiten ihrer jewei- den, konkreten Ausprägungen von Kern- und ligen Mitglieder fehlt indes vollends. Eine Be- Zusatznutzen. User-Designs und virtuelle Tool- rücksichtigung des Vernetzungscharakters und kits44 können hierbei einen wertvollen Beitrag zu der daraus resultierenden Implikationen wird innovativen Inventionen leisten. Die Bereitstel- somit zumeist systematisch vernachlässigt. Es lung von Toolkits sowie die Zugänglichkeit bis- erfolgt daher nun eine differenzierte Darstellung heriger Designs sind, ähnlich wie im Falle der der jeweiligen konzeptuellen Ansätze entlang Ideengenerierung, aus lerntheoretischer Sicht der generalisierten Phasen des Innovationspro- potentiell dann vorteilhaft, wenn sie die Möglich- zesses und eine darauf hin kanalisierte, mögli- keit der gegenseitigen Inspiration eröffnen und che Darstellung ihrer spezifischen Wirkungs- somit den oftmals begrenzten Kreativitätspoten- zusammenhänge. tialen des Einzelnen den Möglichkeitsraum der Eine Betrachtung der anfänglichen Ideenfin- Gemeinschaft eröffnen. Spätestens während dungs- und Ideenbewertungsphase konzentriert dieser Phase sollten für eine intensivere Zu- sich zunächst auf die umfangreiche Sammlung sammenarbeit nun diejenigen User-Typen iden- kreativer Beiträge über eine möglichst hohe tifiziert werden, die sich über innovative Beiträge Anzahl an Usern hinweg. Die Selektion zahlrei- und ein hohes Objekt- und Verwendungswissen cher Konzeptvorschläge kann dabei auf einem auszeichnen (siehe hierzu die eng zulaufende Kontinuum von bereits vorhandenen, betriebsin- Trichterform in Abb. 5). In Anlehnung an Kozi- tern wie -extern entwickelten Beiträgen erfol- nets könnte man hierbei von Devotees und In- gen.41 Der zentrale Vorteil in dieser Frühphase sidern sprechen, aufgrund ihres erhöhten Pro- des Innovationsprozesses entsteht durch die 42 40 41 43 Vgl. Bartl et al. 2004, S. 3; Nambisan 2002, S. 393ff. Vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 798f. 44 148 Vgl. Prandelli/ Verona/ Raccagni 2006, S. 111. Vgl. Brockhoff 2005, S. 873. Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 821ff. könnten somit zugleich zu neuen Co-Sellern im dukt- und Verwendungswissens sowie ihrer zumeist hohen Problemlösungs-kompetenz. 45 Vertriebssystem werden. Eine Fallunterscheidung je Produktkategorie und eindeutige Auslo- Obgleich nun einige Restriktionen hinsichtlich bungsmodalitäten wären hierbei jedoch zwin- der Testphase und Markterprobung im Falle von gend notwendig. insbesondere tangiblen Gütern bestehen, ist dennoch eine virtuelle Darstellung von Funkti- Nachdem nun aus insbesondere prozessorien- onszusammenhängen und zentralen Produktei- tierter Perspektive mögliche Anwendungsfelder genschaften möglich sowie etwaige Anwen- aufgezeigt wurden, schließt sich nun eine Dar- dungsprobleme frühzeitig erfass- und um aus stellung der in wissenschaftlichen Publikationen der Community generierte Lösungsvorschläge diskutierten Methoden der virtuellen Kundenin- 46 ergänzbar. Während dieser Phase sollte die tegration Kollaboration nun wieder großflächig auf die im Neuproduktentwicklungsprozess an. gesamte Community ausgeweitet werden (siehe 3.2 Methodenbasierte Fundierung und in- wiederum die nun breite Trichterform im An- strumentelle Umsetzung der virtuellen schluss an die Entwicklungsphase gemäß Abb. Kundenintegration 5), denn entgegen diverser Publikationen47 ist Im Anschluss an die aufgezeigten Community- davon auszugehen, dass eben nicht Insider und Beiträge in der Neuproduktentwicklung, erfolgt Launching Customers in adäquater Weise der nun eine Einführung in die Methodik hinsichtlich Vielzahl an Anwendern und späteren Adoptoren der konkreten Entwicklungskollaboration. entsprechen, sondern eine gemeinsame, community-basierte Diskussion von bspw. Anwen- Insbesondere während der frühen Phasen des dungsproblemen usw. hierbei wesentlich zweck- Innovationsprozesses können die von Kozinets mäßiger erscheint und gleichsam die Potentiale beschriebenen 49 der Community berücksichtigt. angewandt werden. dürfnis- und Motivationsstrukturen sowie der Entwicklungskosten angefallen sind und betrieb- Erfassung von Verwendungsgewohnheiten und liche Ressourcen aufgewandt wurden. Als zent- innovativen Beiträgen zu neuartigen Produkt- ral sollte hierbei eine aktive Nutzung von besteals konzepten. Somit ist insbesondere während der Innovations- Anfangsphase eine methodisch fundierte Unter- promotoren48 angesehen werden. Um nun eine suchung von Bulletin Boards, News- und U- möglichst breite und schnelle Bekanntheit sowie sergroups oder Blogs möglich und eine entspre- den erwünschten Markterfolg zu erzielen, sind chende Kategorisierung nach Insidern und De- bspw. mögliche Entlohnungssysteme und Ver- votees i. S. Kozinets realisierbar. Nachdem so- kaufsförderungen denkbar, die von konkreten Umsatzbeteiligungen der Diese qualitativ und in- bei im virtuellen Kontext der Analyse von Be- als hoch erfolgskritisch anzusehen, da bereits Communities Methoden haltsanalytisch geprägten Ansätze dienen hier- Die letzte Phase der Markteinführung ist mithin henden netnographischen dann relevante Communities und deren User Community- ausgewählt wurden, bspw. durch Kriterien wie Teilnehmer bis zur Partizipation an exklusiven Hit-Rates oder Qualität der Posts, erfolgt die Events hinreichen. Bisherige Co-Produzenten eigentliche Entwicklungsleistung. Im Rahmen 45 46 47 48 des inderdisziplinär ausgerichteten Forschungs- Vgl. Kozinets 2002, S. 61ff. Vgl. Jeppesen/ Molin 2003, S. 374. Vgl. Ulhøi 2004, S. 1107f.; Brockhoff 2005, S. 864. Vgl. Witte 1973, S. 15f.; Jeppesen/ Frederiksen 2006, S. 45f. 49 149 Vgl. Kozinets 2002, S. 61ff. projektes der Virtual Customer Initiative des verschiedenartigen Fähigkeiten, zu unterschei- MIT, schlagen hierzu Dahan/Hauser nun sechs denden Community-Mitglieder entlang der spe- 50 zifischen Phasen des Innovations-prozesses Dabei erfolgt im ersten Schritt die Durchführung zumeist ausbleibt. Doch ergeben sich eben aus eines sog. Informationpump, zur Reduktion der der Vielfalt jener Mitglieder die zu Beginn des oftmals komplexen und hoch unsicheren Fuzzy Beitrags genannten Vorteilspotentiale und ent- nacheinander anwendbare 51 Methoden vor. Die Methode basiert letztlich falten hierbei ihre eigentümliche Innovativität im auf dem Konzept virtueller Fokus-Gruppen und Wirkungsgefüge reziproker Interaktionsprozes- des interaktiven Austausches mehrerer Com- se. Dies zeigt sich nunmehr pointiert anhand der munity-Teilnehmer. Dies zeigt sich hierbei ex- bereits erwähnten Abbildung, denn so ist neben emplarisch anhand der breiten Trichterform zu einem phasenspezifischen Einsatz jeweiliger Beginn Methoden eine Orientierung an der Breite des Front End Phase. der Ideenfindungs- und - bewertungsphase in der nachfolgenden, die Such- und Lösungsraumes unabdingbar. bisherigen Ausführungen nun zusammenfas- Es gilt darüber hinaus insgesamt darauf hinzu- senden Abbildung. Daran anknüpfend kann im weisen, dass die dargestellten Methoden an weiteren Verlauf eine Web-Based Conjoint Ana- diesem Punkt lediglich einen Ausschnitt mögli- lysis sowie Fast-PACE52 je User angewandt cher Anwendungen abzubilden vermögen und werden, zur zügigen und differenzierten Erfas- sich insbesondere im Rahmen aktueller Trans- sung individueller Präferenzen, für die weitere formationsprozesse hin zu verstärkt interaktiven Gestaltung des Kernprodukts und immanenten Internettechnologien zukünftig potentiell weitere Zusatznutzens. Die daran anknüpfende, konkre- Interaktionsmöglichkeiten und te Umsetzung im Entwicklungsprozess kann neue Methoden der virtuellen Kundenintegration schließlich durch spezielle User-Designs und und Toolkits erfolgen, bevor in der zum Ende statt- community-basierten Entwicklungs- kollaboration eröffnen werden. findenden Phase der Markterprobung letztlich 3.3 Anwendungsbeispiele community- virtuell gestaltete Produkttests durchgeführt und basierter Innovationsleistungen diese im Anschluss auf virtuellen Markt- bzw. Börsenplätzen gehandelt werden,53 um bereits Im Anschluss an die nun bisher eher modellhaft frühzeitig über einen Preismechanismus mögli- und che Präferenzen und Forecasts auf User-Ebene schließt sich nachfolgend eine Übersicht aktuel- ex ante abbilden zu können. ler Anwendungsbeispiele tangibler und intan- konzeptuell geprägten Ausführungen gibler Güter an. Es gilt an dieser Stelle jedoch explizit darauf hinzuweisen, dass entgegen der Vielzahl der Im Besonderen sollen hierbei zunächst die bisher dargestellten Ansätze eine differenzierte Community-Aktivitäten der Lego Group sowie Betrachtung und Nutzung der, hinsichtlich ihrer Electronic Arts Inc. (EA) im Falle der Entwicklung des Computerspiels „The Sims“ aufgezeigt 50 51 52 53 Vgl. Dahan/ Hauser 2001, S. 332ff. Vgl. Reid/ de Brentani 2004, S. 171f. Die sog. Fast-PACE (Fast Polyhedral Adaptive Conjoint Estimation) gehört zu den neueren Methoden der Präferenzmessung. Im Kern können hierbei durch adaptive Fragensets und moderne Algorithmen relativ robuste Parameter bei geringerem Befragungsaufwand geschätzt werden, im Vergleich zu den klassischen Ansätzen der Conjoint-Analyse. Vgl. hierzu ausführlich Toubia et al 2003, S. 273ff. Vgl. Spann/Skiera 2003, S. 1310ff. werden. Eine systematische Zusammenstellung dieser und weiterer Beispiele erfolgt sodann anschließend in übersichtlicher, tabellarischer Form. 150 Abb. 5: Intertemporale Abfolge community-basierter Entwicklungsleistungen bildet die EA-Community57 den eigentlichen Nuc- Die Aktivitäten der Lego Group sind hierbei im leus der Gemeinschaft. Dabei gilt indes deutlich Hinblick auf community-gestützte Entwicklungs54 prozesse ebenso umfangreich wie fortschrittlich. hervorzuheben, dass sich der Erfolg des Compu- So finden sich über alle Phasen des Innovations- terspiels nahezu direkt aus der Community er- prozess hinweg zahlreiche Instrumente zur Ges- gibt,58 da über lokal zu installierende Toolkits die taltung aktiver Austauschprozesse zwischen den eigentliche Entwicklungsarbeit der Spielewelt über Usern. Neben Foren, Messageboards und Com- alle User hinweg erfolgt. Die User sind zugleich munity-Blogs sind ebenso Club-Pages verfügbar, über eine Exchange Schnittstelle miteinander auf denen aktive Mitglieder ihre eigene, communi- vernetzt und können aus dem Spielgeschehen ty-basierte Homepage einrichten können. Zahlrei- heraus Objekte und Designs anderen Usern zur che Videos von speziellen Lead-Usern, sog. Lego Verfügung stellen, die wiederum durch die Com- 55 Certified Professionals, finden sich auf den In- munity bewertet und ggf. „awarded“ werden kön- ternetseiten und motivieren gleichsam zur Nut- nen. Entwickler-Blogs und Offline Events tragen 56 zung des CAD-Toolkits „Lego-Digital-Designer“. zusätzlich zur Vernetzung der Community bei und Die damit entworfenen Objekte können anschlie- erhöhen die ohnehin hohe Bindungsqualität zwi- ßend unmittelbar an Lego gesandt, im Shop an- schen bestehenden sowie potentiellen Mitentwick- geboten sowie in der Community diskutiert wer- lern und Electronic Arts. den. Insgesamt schafft die Lego Group mit ihren Im Anschluss an diesen kurzen Zusammenschnitt umfangreichen community-basierten Interaktions- der beiden Anwendungsbeispiele sei nun eine optionen somit eine breite Basis für community- extensive Darstellung weiterer Praxisbeispiele getriebene Entwicklungsprozesse. vorgenommen. Hierbei wird zunächst in tabellari- Im Falle von „The Sims“ findet sich demgegen- scher Form eine knappe Kurzbeschreibung voll- über eine ebenso komplexe wie umfangreiche zogen, woran sich eine Abgrenzung der Prozess- Community-Struktur. Neben zahlreichen Fansites phasen, den eingesetzten Methoden sowie deren ökonomischer 54 55 56 Vgl. Schultz/ Hatch 2003, S. 8. Vgl. Lego Group 2007a. ebenda. 57 58 151 Konsequenz Vgl. Electronic Arts Inc. 2007. Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 240. anschließt. Unternehmung 59 60 61 62 User als Promotoren der lateralen Diversifikation (Becks Lifestyle, Fashion, Musik) steigende User-Zahlen und Hit-Rates; über Logo-Entwicklung hinausgehende Effekte jedoch spekulativ und nicht belegt User Designs, Toolkit (online) sowie anschließende Workshops Ideenwettbewerb Ideenwettbewerb (via Online Toolkit und/oder userspezifische Applikationen) Ideenwettbewerb Ideenwettbewerb Ideen- und Designwettbewerb zur Generierung neuer MotivVorlagen „Beck’s it!“ Designwettbewerb (Open) Logo Designwettbewerb Erschließung neuer Goldvorkommen Vgl. Lego Group 2007b. Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 240. Vgl. Füller/ Mühlbacher/ Rieder 2003, S. 40. Vgl. Tapscott/ Williams 2006, S. 9. 152 Initiative „Innovate with Kraft“ (Ideenwettbewerb hinsichtlich neuer Produkte, Prozesse und Verpackungen) nicht bekannt; es fehlt jedoch Vernetzung zu existierenden Kraft-Communities (z. B. über bereits bestehende „My Recipe Exchange“) Identifikation 110 neuer Goldvorkommen 62 und zunehmende Marktkapitalisierung Generierung 263 neue Designs sowie Erfassung neuer Trends (z. B. TierMotive)61 weltweit erfolgreichstes Computerspiel60 User Designs, Toolkits, Conventions und spez. Workshops Inventionen und neue Produktlinien / -varianten;59 Cross-Selling via Lego Mindstorms ökon. Konsequenz / wirtsch. Erfolg Entwicklung innovativer Spielobjekte Methoden User Designs, Toolkits (offline), Lead-User-Integration Prozessphasen Identifikation 110 neuer Goldvorkommen und zunehmende Marktkapitalisierung62 Produktentwicklung via CADToolkits und systematische Lead-User-Entwicklung Kurzbeschreibung Inventionen und neue Produktlinien /-varianten;59 weltweit erfolgreichstes Computerspiel60 Generierung 263 neue Designs sowie Erfassung neuer Trends (z. B. Tier-Motive)61 Die deskriptiv orientierte Übersicht der Fallbei- und virtuelle Gemeinschaften hierbei ein mögli- spiele fällt somit erwartungsgemäß heterogen ches Instrument darstellen, zur Verwirklichung aus und bestätigt sogleich die Tendenz der häu- intensiver Kundenbindung und somit ceteris fig nur mäßigen Nutzung community-basierter paribus längerfristigem Markterfolg. respektive interaktiver IuK-Technologien. 63 Es 4 gilt darüber hinaus zusätzlich im Besonderen zu Revision moderner Produktentwicklungsprozesse durch beachten, dass eine aktive Nutzung von Com- Virtual Communities munities im Rahmen der Produktentwicklung nicht mit temporär stattfindenden Ideen- oder Nachdem nun aus insbesondere prozessorien- Designwettbewerben gleichzusetzen ist. Denn tierter Perspektive eine Untersuchung communi- es wird hierbei nicht an den Potentialen einer ty-basierter Innovations-potentiale nebst prakti- vernetzten Community angesetzt, sondern viel- kabler Umsetzung anhand der zuvor dargestell- mehr eine kurzfristig orientierte Abschöpfung ten Unternehmensbeispiele erfolgte, schließt geistigen Eigentums vollzogen und somit gleich- sich nunmehr eine kritische wie differenzierte sam die Fülle an weiteren Erfolgspotentialen Rück- und Vorschau zum Betrachtungsobjekt virtueller Gemeinschaften vertan. Darüber hin- virtueller Communities in der Produktentwick- 64 aus sei entgegen empirischer Ergebnisse lung an und beschließt gleichsam vorliegenden an- Beitrag. gemerkt, dass die kommerzielle Orientierung von jeweiligen Nachfragern und Community- 4.1 Diskurs zur Anwendungseignung virtuel- Mitgliedern als potentiell nicht zu vernachlässi- ler Communities in der Produktentwick- gende, moderierende Variable berücksichtigt lung und zwischen verschiedenen Branchen differenDie bisherigen Ausführungen machten letztlich ziert betrachtet werden sollte. So eröffnen die eines besonders deutlich: die markt- und be- jeweiligen Anbieter, insbesondere im Fall physi- trieblichen Bedingungen moderner Unterneh- scher Konsumgüter, in steigendem Maße die mungen verändern sich zusehends. Technologi- Option der Angebotseinstellung auf entspre- sche chenden Shop-Seiten sowie die etwaige Auslo- Transformationsprozesse, dynamische Konkurrenzgefüge und die Genese eines bis bung spezifischer Produktideen. Problematisch dato unbekannten Consumer Empowerments ist hierbei jedoch ebenfalls die z. T. praktizierte forcieren gleichsam die implizite Notwendigkeit Aberkennung von Verfügungsrechten sowie einer adäquaten Reaktion und Anpassung des oftmals der Abtretung aller Ansprüche geistigen betrieblichen Managements. Doch so stellt sich Eigentums. mithin die Frage, welchen Beitrag virtuelle Zusammenfassend zeigt die kompakte Über- Communities hierbei zu leisten imstande sind. sicht derzeitiger Anwendungsbeispiele, dass Einerseits zeigte sich, dass eine Integration und sich infolge community-basierter Entwicklungs- Zusammenarbeit mit virtuellen Communities gemeinschaften insbesondere für diejenigen entlang aller Phasen des Innovationsprozesses Unternehmungen bedeutsame Vorteilspotentiale explizite Vorteilspotentiale eröffnet.65 Die effi- realisieren lassen, die sich in Märkten stetig ziente Absorption nur schwerlich zugänglicher steigender Wettbewerbsintensität bei gleichzei- „sticky information“, die Reduktion hoher Misser- tiger Multioptionalität der Konsumenten befinden 63 64 folgsraten in Innovationsprozessen bei gleich- Vgl. Prandelli/ Verona/ Raccagni 2006, S. 124. Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158ff. 65 153 Vgl. Paustian 2001, S. 15. zeitiger Erhöhung des individuellen Bedürfnis- onsbereiche stärker als zuvor hin zu einem inte- Leistungs-Fit mit Hilfe von User Designs und grativen Entwicklungsprogramm auszu-richten,67 spezieller Toolkits, die Realisierung erhöhter da Programmierer von Plattformen und Toolkits Kundenloyalität oder die breite, community- die technische Machbarkeit mit den Mitarbeitern getriebene Diffusion neuer Produkte waren hier- der Produktion abstimmen müssen, zugleich gilt bei lediglich ein Ausschnitt dieser Möglichkeiten. mit den Abteilungen des operativen Marketing zu prüfen, welche Schnittstellen mit der Unter- Doch wäre eine ausschließliche Fokussierung nehmung rückgekoppelt werden (z. B. direkte dieser Potentiale ebenso einseitig, wie den Er- Preisausgabe i. S. d. Pricing oder ad hoc Selek- folg der Unternehmung gefährdend. Denn ob- tionsmechanismen zur Bildung innovativer User- gleich jene dargestellten Methoden eine z. T. Cluster) und letztlich Rechtsabteilungen, welche effiziente Option bieten, konsumentenorientierte die Freigabe des unternehmensinternen und bzw. konsumenteninduzierte Produkte zu entwi- Nutzung des userspezifischen, externen geisti- ckeln, so fallen dennoch zu Beginn nicht uner- gen Eigentums beurteilen müssen. Andererseits hebliche Suchkosten an, im Hinblick auf die ist jenes interne, funktional orientierte Schnitt- Auswahl adäquater Communities und deren stellenmanagement ebenso an den externen User, es werden zugleich Personalkapazitäten Schnittstellen der Community auszurichten. Die und betriebliche Ressourcen gebunden sowie Community insgesamt, nicht nur aus techni- oftmals hohe Investitionen66 in die jeweiligen scher Sicht, bedarf hierbei der stetigen Pflege, technischen Infrastrukturen notwendig. Darüber des Monitorings und der Analyse von Content- hinaus stehen vermeintlich geringeren Entwick- Informationen sowie Motivation besonders wert- lungskosten neben anfallenden Investitionen voller Mitentwickler. Darüber hinaus sind techni- zusätzlich erhöhte Koordinations- und Abstim- sche, methodische und funktionale Kompeten- mungskosten im Entwicklungsprozess gegen- zen wiederum um motivatorische Aspekte der über. Unternehmungen sehen sich somit zu- betrieblichen Mitarbeiter aus formeller wie in- sammenfassend einem zu Beginn beträchtli- formeller Hinsicht zu prüfen. So gilt es ebenfalls chen Unsicherheitsfaktor gegenüber. So stehen bewährte Unternehmensstrategien, die Bedeu- den zu leistenden Investitionen und erhöhten tung der betrieblichen Kultur und Struktur auf die Aufwendungen ein nur schwerlich abschätzba- notwendige Kongruenz dieser neuen Anforde- rer Erfolg und eben genannte Vorteilsdimensio- rungen und eines etwaigen Veränderungsma- nen entgegen. Zu berück-sichtigende Schnitt- nagements zu hinterfragen.68 Interne Wider- stellenaspekte werden daher nun nachfolgend in stände i. S. d. „not-invented-here Syndroms“69 abschließender Weise betrachtet. sind dabei insbesondere in den frühen Phasen 4.2 Anforderungen und Implikationen für das der Entwicklungsarbeit zu prüfen und Lösungs- betriebliche Schnittstellenmanagement strategien abzuleiten. Dieser grundsätzliche Falls nun infolge spezifischer Kooperationsgefü- Gedankengang manifestiert sich ebenso in der ge mit virtuellen Communities letztlich steigende Umgestaltung derzeitiger Unternehmensfunktio- Abstimmungs- und Koordinationskosten resultie- nen. So ist es u. a. eine Konsequenz der vorhe- ren, hat dies wiederum fundamentale Konse- rigen Beschreibungen, dass Unternehmungen quenzen für die Organisation der Unterneh- wie Procter & Gamble ein Rebranding bisheriger mung. So sind einerseits die jeweiligen Funkti- 67 68 66 69 Vgl. Franke/ Piller 2003, S. 584. 154 Vgl. Lagrosen 2005, S. 431. Vgl. Wecht 2006, S. 126ff. Vgl. Katz/ Allen 182, S. 7. Boutellier, „R&D“ hin zu „C&D“ Abteilungen vollziehen und R./Gassmann, O. (1996): Inter- somit auf die im Vordergrund stehende Außen- nationales Innovationsmanagement – Trends orientierung i. S. e. „Connect and Develop“ mit und Gestaltungsmöglichkeiten, externen Mitentwicklern und Kunden hinwei- mann, Oliver / von Zedtwitz, Maximilian 70 (Hrsg.): sen. Internationales in: Gass- Innovations- management, München 1996. Es gilt somit abschließend zu konstatieren, dass potentiell nicht diejenigen Unternehmungen das Brockhoff, K. (2005): Konflikte bei der Einbezie- Tor zu neuen Erfolgen aufstoßen werden, die hung von Kunden in die Produktentwicklung, der Vielfalt und dem Glanz neuer Methoden der in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 75(2005), „community-based Innovation“ erliegen, sondern Heft 9, S. 859-877. jene, die imstande sind, die richtigen User, an Brown, S. L./Eisenhardt, K. M. 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