- Universität Trier

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UNIVERSITÄT TRIER
FORSCHUNGSBERICHTE
zum
MARKETING
Nr. 7
Trier 2008
Alexander Pohl/Daniel Mühlhaus (Hrsg.)
Modernes Innovationsmarketing im Kontext
von Open Innovation
Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber
Pohl, Alexander/Mühlhaus, Daniel (Hrsg.):
Modernes Innovationsmarketing im Kontext von Open Innovation,
Trier 2008.
Zu den Herausgebern:
Prof. Dr. habil. Alexander Pohl ist Honorarprofessor an der Universität Trier
und Adjunct Professor an der European Business School. Er ist Vorstand der
Scopevisio AG und Partner der HW Partners AG, Bonn.
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Volksw. Dipl.-Kfm. Daniel Mühlhaus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und
Doktorand an der Professur für Marketing, Innovation und E-Business der
Universität Trier.
E-Mail: [email protected]
Kontaktadresse
Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber
Universität Trier
Lehrstuhl für Marketing, Innovation und E-Business
Fachbereich IV: BWL-AMK
Universitätsring 15
D-54286 Trier
Tel.:
0049-201-2619
Fax:
0049-201-3910
E-Mail: [email protected]
Internet: www.innovation.uni-trier.de
Copyright: Eigenverlag der Professur für Marketing, Innovation und E-Business
an der Universität Trier
Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber
Trier 2008
ISBN 3-930230-26-7
I
OpenInnovation
Innovation
Open
Bedürfnisinformationen
Bedürfnisinformationen
Forschungseinrichtungen
Forschungseinrichtungen
UserToolkits
Toolkitsfor
forInnovation
Innovation
User
Demokratisierung
Demokratisierungvon
vonInnovationen
Innovationen
Innovationsprozess
Innovationsprozess
Tacit
TacitKnowledge
Knowledge
CollectiveInvention
Invention
Collective
Virtual
VirtualCommunity
Community
Ideenwettbewerb
Ideenwettbewerb
StickyInformation
Information
Sticky
Marktforschung
Marktforschung
VirtuelleBörsen
Börsen
Virtuelle
Hersteller
Hersteller
Netnography
Netnography
Anbieter
Anbieter
Erfinder
Erfinder
Lead User
Lead User
Kunde
Kunde
Internet
Internet
„Wer will, dass ihm die anderen sagen, was sie wissen, der muss ihnen sagen, was er weiß.
Denn das beste Mittel Informationen zu erhalten, ist Informationen zu geben.“
(Niccolo Machiavelli 1469-1527)
II
III
Vorwort
Innovationen stehen seit jeher im Fokus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher
Betrachtungen, sind sie doch als Triebfeder von Wachstum und wirtschaftlichem Fortschritt
anzusehen. Der Bereich der Innovationsgenerierung ist dabei nachhaltig im Wandel
begriffen. So erkennen und nutzen immer mehr Unternehmen das große Potenzial, welches
außerhalb der Unternehmung zu finden ist und öffnen ihre Innovationsprozesse. Dabei
verspricht gerade die Integration von externen Akteuren ein große Bandbreite an Vorteilen:
So sind etwa über die aktive Einbindung von führenden Kunden mit spezifischem
Anwenderwissen verbesserte Marktlösungen zu erzielen, die den nachfragerseitigen
Anforderungen besser entsprechen als rein intern generierte Lösungen (Fit-to-Market). Auch
kann die Entwicklungszeit über einen zielgerichteten Einsatz Externer verkürzt (Time-toMarket) und Kosten deutlich reduziert werden (Cost-to-Market).
Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis findet sich unter dem Label der “Open
Innovation” eine Vielzahl an Forschungsansätzen und Umsetzungskonzepten, die sich mit
dem Wert, der Ausgestaltung und den Potenzialen offener, d. h. externe Akteure
integrierender, Innovationsvorhaben befassen. Der hohe Stellenwert, der diesem
Themenfeld derzeit beigemessen wird, schlägt sich dabei in vielfältigen Publikationen in
international hochrangigen Journals und Sonderheften zu diesem Thema nieder. Dabei sind
sie aber auch als ein Beleg für die noch immer große Zahl ungeklärter Fragen und das
erwartete Potenzial zur Veränderung der Wirtschaftsgefüge zu sehen, in dem man, so
scheint es, "nur weiß, dass man nichts weiß."
Dem Themenumfeld der "Open Innovation" wurden in den Jahren 2007 und 2008 zwei
Seminare im Hauptstudium der Betriebswirtschaftslehre gewidmet – der Maßgabe der Open
Innovation folgend – mit dem Ziel der kooperativen Generierung neuen Wissens. Aus den
dabei entstandener Seminararbeiten wurden für diesen Forschungsbericht die "besten"
Arbeiten ausgewählt und in dem vorliegenden Werk in ein Gesamtgefüge integriert. Die
insgesamt elf studentenseitig beigesteuerten Beiträge beleuchten unterschiedliche Facetten
im Themenumfeld der Open Innovation, die in „Grundlagen und Quellen von Open
Innovation“ und „Instrumente und Umsetzung von Open Innovation“ strukturiert wurden.
Unser Dank gilt zunächst den Studierenden, die erst über ihre engagierte Mitarbeit ein
solches Werk ermöglicht haben und in vielen Diskussionen sowohl ihren als auch unseren
Kenntnisstand in diesem stetig im Wandel begriffenen Themenfeld nachhaltig gesteigert
haben. Darüber hinaus gilt unser Dank Herrn Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber, der neben der
fortwährenden und fruchtbaren Diskussion über die Reihe "Forschungsberichte zum
Marketing" ein geeignetes Publikationsmedium für das vorliegende Werk offeriert hat.
Weiterhin möchten wir den wissenschaftlichen Hilfskräften des Lehrstuhls für Marketing,
Innovation und E-Business, Frau Katharina Ferreira und Herrn Philip Wegmann danken, die
immer wieder neue Textfassungen gelesen, konstruktive Verbesserungsvorschläge
unterbreitet und die mühsame Zusammenstellung und Formatierung vorgenommen haben.
Trier, im September 2008
Alexander Pohl und Daniel Mühlhaus
IV
V
Inhaltsverzeichnis
1. Innovationen als Zünglein an der Wettbewerbswaage
1
Daniel Mühlhaus − Alexander Pohl
Teil A: Grundlagen und Quellen von Open Innovation
2. Open Innovation - Researching an enforcing Paradigm?
8
Joachim Jardin − Arne Rehm
3. Open Innovation - Möglichkeitspotenziale und Problemfelder offener
Innovationsprozesse
27
Kirsten Adlunger
4. "Demokratisierung von Innovationen": Innovative User-Communities
40
Katrin Peters
5. Collective Invention als Imparativ für moderne Innovationstätigkeit
51
Kurt Uwe Stoll
6. Potentiale und Risiken von Open Source aus Sicht der Unternehmenspraxis
62
Karsten Hardick
Teil B: Instrumente und Konzepte der Open Innovation
7. Potentiale und Grenzen der Lead-User-Analyse zur Neuproduktentwicklung
78
Rebecca Woll
8. User Innovation Toolkits - Wenn Kunden Produkte entwickeln und verbessern
91
Nadine Asel − Dennis Steinmetz
9. Innovationstreiber Community - Konzepte zur Potenzialerschließung
106
Rieke K. Buning
10. Virtuelle User-Communities als Mittel zur Unterstützung des
Innovationsprozesses
119
Michael Bathen
11. Vorteilspotenziale virtueller User Communities aus Nachfragersicht
130
Johanna Katharina Leite Ferreira
12. Produktentwicklung mit Virtual Communities - kritische Reflexion und
prozessuale Fundierung interaktiver Wertschöpfungsprozesse
Christian Hildebrand
VI
142
VII
Daniel Mühlhaus − Alexander Pohl
Innovationen als Zünglein an der Wettbewerbswaage
Innovationen stehen seit jeher im Fokus wirt-
von der Deckung des alltäglichen Bedarfs als
schafts- und sozialwissenschaftlicher Betrach-
vielmehr von sozialen Bedürfnissen geprägt ist,
tungen, sind sie doch als Triebfeder von Wachs-
wandelte sich das Kunden(selbst)bild hin zu
tum, wirtschaftlichem Fortschritt und (für einen
einem selektiven Typus. Wobei ausgestattet mit
Teil der Weltbevölkerung) als Grundlage des
den erforderlichen finanziellen Kapazitäten die
Wohlstands
bereits
eigenen Wünsche und Anforderungen stärker
Schumpeter (1939) fest, dass Innovationen die
durchgesetzt und von der Anbieterseite abver-
Basis für ökonomischen Wandel und Wohlstand
langt wurden. Als Reaktion hierauf erwuchs eine
bilden und damit den dominanten Faktor zur
steigende Angebotsvielfalt und damit einherge-
Sicherung der Überlebensfähigkeit von Unter-
hend Auswahl- und Differenzierungspotenziale
nehmen darstellen. Drucker (1955, S. 37) geht
der Nachfragerseite. Woraus zunehmend auch
noch einen Schritt weiter indem er postuliert,
die Erhebung und Analyse von Nachfragerbe-
dass „There is only one valid definition of busi-
dürfnissen in den Betrachtungsfokus rückte. Der
ness purpose: to create a customer. [...] It is the
Fortschritt im Bereich der Informations- und
customer who determines what the business is.
Kommunikationstechnologie und damit einher-
[...] Because it is its purpose to create a cus-
gehend die breite Verfügbarkeit von Informatio-
tomer, any business enterprise has two - and
nen über Produkte, Lösungen und auch die
only these two - basic functions: marketing and
damit verbundene "Entdeckung" neuer Bedürf-
innovation. They are the entrepreneurial functi-
nisse versetzten die Nachfrager in die Lage aus
ons.“
der Vielzahl an Angeboten, diejenigen mit dem
Diesem
anzusehen.
Postulat
ist
der
So
stellte
vorliegende
For-
höchsten Bedürfnisfit auszuwählen. Insbesonde-
schungsbericht unterworfen. So werden hier in
re die Verbreitung des Internets und das Auf-
dem Begriffsungetüm des “Modernen Innovati-
kommen von sog. “Social Software”, die eine
onsmarketing” diese beiden zentralen Unter-
umfassende, raumübergreifend und unrestrin-
nehmensfunktionen fusioniert und unter Rück-
gierte Vernetzung nahezu aller Teilnehmer er-
griff auf die bedeutenden Veränderungen der
möglicht, lässt den Kunden zusehends in die
jüngeren Zeit in einem neuen Licht betrachtet.
Rolle eines “mündigen Kunden” hereinwachsen.
Dabei gilt das Hauptaugenmerk auf den Verän-
Dabei bezieht sich der Terminus nicht aus-
derungen die der Konsument sowohl aus Unter-
schließlich auf das Selbstverständnis eines hyb-
nehmenssicht als auch in der Selbstsicht im
riden und aktiv selektierenden Kunden (vgl.
Laufe der Zeit durchlaufen hat. Auf den sog.
Schmalen 1994; Evanschitzky/Ahlert 2006), der
“Verkäufermärkten” früherer Zeiten stand ledig-
zur bedürfnisadäquaten Transaktionsgestaltung
lich die “Abnehmerfunktion” des Nachfragers im
selbst auch aktiv wird. Er tritt dabei nicht nur als
Blickpunkt der Unternehmensbetrachtung, bei
Lieferant von Bedürfnisinformationen, etwa im
dem ausgehend von möglichst kostenoptimal
Sinne einer individuellen Auftragserteilung oder
bereitgestellten Angeboten ein Markt geschaffen
Teilnahme an Marktforschungsstudien, sondern
und damit eine Nachfrage generiert wird. Ein-
auch als aktiver Part im Wertschöpfungsprozess
hergehend mit dem auch noch postindustriellen
auf. Neben der Preisgabe von Bedürfnisinforma-
Wohlstandszuwachs in einer Welt, die weniger
tionen werden nun auch eigene Lösungskon1
zepte co-produziert. 1 Diese Entwicklung, die auf
Management (IJTM) nieder. 6 Auch die Special
Business-Märkten, in denen kommerzielle Ak-
Issues der Zeitschrift für Betriebswirtschaft („O-
teure miteinander in Interaktion stehen, bereits
pen Innovation between and within Organizati-
seit jeher üblich ist, findet nun auch auf End-
ons“) und des IJTM („Broadening the Scope of
verbraucher- oder sog. Consumer-Märkten Ein-
Open Innovation“) der Jahre 2007 und 2008
2
Der Terminus des “mündigen Kunden”
belegen das hohe wissenschaftliche Potenzial
beschreibt darüber hinaus auch die Unterneh-
und dokumentieren die gegenwärtige Relevanz.
mens- oder Anbietersicht, wo hohe Neuprodukt-
Dabei sind sie aber auch als ein Beleg für die
flopraten und Akzeptanzschwierigkeiten signali-
noch immer große Zahl ungeklärter Fragen und
sieren, dass kostenintensive Innovationsprozes-
das erwartete Potenzial zur Veränderung der
se ohne Integration potenzieller Kunden nicht
Wirtschaftsgefüge zu sehen, in dem man, so
zug.
nur riskant, sondern gar fahrlässig sind.
3
Die
scheint es: "Nur weiß, dass man nichts weiß."
Zeit der geschlossenen, primär anbieterzentrier-
In diesem Forschungsbericht werden in elf Bei-
ten Innovationsvorhaben, bei denen unterstützt
trägen unterschiedliche Facetten im Themenum-
durch Bedürfnisstudien im Rahmen klassischer
feld der Open Innovation betrachtet. Strukturiert
Marktforschungsvorhaben Forschung und Ent-
ist der vorliegende Bericht dabei in zwei Teilbe-
wicklung unter Ausschluss externen und hier
reiche, wobei die einleitenden Beiträge zum
speziell
wird,
Thema „Grundlagen und Quellen von Open
scheinen überholt. So ist heutzutage ein ausge-
Innovation“ allgemeine Arbeiten zu offenen In-
wogenes Innovationskonzept, bestehend aus
novationsleistungen, wie Demokratisierung von
internen Kompetenzen ergänzt um externe Fak-
Innovationen oder Collective Invention darstel-
toren (z. B. unabhängige Forschungseinrichtun-
len. Der zweite Teil „Instrumente und Umset-
gen, Kunden und sogar Konkurrenten) aus-
zung von Open Innovation“ ist konkreten Kon-
schlaggebend für den Markterfolg zukunftsorien-
zepten der Open Innovation gewidmet, wobei
Nachfragerwissens
tierter Unternehmen.
vollzogen
4
neben Toolkits for User Innovation, dem Kon-
Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Pra-
zept und der Umsetzung von Lead User Analy-
xis finden sich unter dem Label der “Open Inno-
sen insbesondere Ansätze zur Erzielung von
vation” eine Vielzahl an Forschungsansätzen
Vorteilspotenzialen über die integrative Zusam-
und Umsetzungskonzepten, die sich mit dem
menarbeit mit virtuellen Gemeinschaften be-
Wert, der Ausgestaltung und Potenzialen offe-
trachtet werden.
ner Innovationsvorhaben befassen.
5
Der hohe
Stellenwert, der diesem Themenfeld derzeit
Teil A: Grundlagen und Quellen von
beigemessen wird, schlägt sich dabei in den
Open Innovation
unzähligen Publikationen in international hoch-
In ihrem Beitrag „Open Innovation – Resear-
rangigen Journals, wie Research Policy, dem
ching an enforcing Paradigm?“ nehmen Jar-
Journal of Product Innovation Management so-
din/Rehm eine systematische Bestandsaufnah-
wie dem International Journal of Technology
me verschiedener Open Innovation Verständnisse z. B. der frühen Arbeiten von Hippels
1
2
3
4
5
(1978, 1988) bis hin zu aktuellen Arbeiten von
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95; Prahalad/ Ramaswamy
2004.
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002.
Vgl. von Hippel 2005.
Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005; West/ Gallagher
2004; Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006.
Vgl. Chesbrough 2003; Gassman/ Enkel 2006.
Brown/Hagel 2006 oder Gassmann/Enkel 2006
6
2
Z. B. Franke/ Piller 2004; Franke/ Shah 2003; Franke/ von
Hippel 2003; Osterloh/ Rota 2007.
vor. Basierend auf einer umfassenden Literatur-
jeweils aus der Beteiligung an offenen Innovati-
analyse leiten sie einen Kriterienkatalog ab,
onsvorhaben erwachsenden Vorteilspotenziale
anhand dessen eine Differenzierung unter-
aber auch der entsprechenden Grenzen und
schiedlicher Verständnisse erfolgen kann. Hier-
Risiken auf.
auf aufbauend entwickeln sie ein Open Innova-
Von Hippel (2005) spricht im Kontext offener
tion Portfolio anhand dessen eine Abgrenzung
Innovationsprozesse auch von einer „Demokra-
verschiedener Open Innovation Instrumente, wie
tisierung von Innovationen“ und geht damit ei-
Toolkits,
7
Communities of Innovation
8
vorge-
nen Schritt weiter als viele andere Autoren. In-
nommen werden kann.
wieweit dieser Bezeichnung in der derzeitigen
Viele Arbeiten (eine Ausnahme stellt hier das
und primär internetgestützten Innovationszu-
Konzept der „Interaktiven Wertschöpfung“ von
sammenarbeit zuzustimmen ist, betrachtet der
Reichwald/Piller 2006 dar, die primär das Zu-
Beitrag von Peters "Demokratisierung von Inno-
(1)
Joachim Jardin − Arne Rehm
Open Innovation –
Researching an enforcing
Paradigm?
(2)
Kirsten Adlunger
Möglichkeitspotenziale und
Problemfelder offener
Innovationsprozesse
(3)
(4)
(5)
Teil B
Instrumente und Konzepte der
Open Innovation
Grundlagen und Quellen von
Open Innovation
Teil A
Katrin Peters
Demokratisierung von
Innovationen
Kurt Uwe Stoll
Collective Invention
Karsten Hardick
Open Source
(6)
Rebecca Woll
Lead User Analyse
(7)
Nadine Asel − Dennis
Steinmetz
User Innovation Toolkits
(8)
Rieke K. Buning
Innovationstreiber Community
(9)
Michael Bathen
Virtual Communities - Die
Unternehmensperspektive
(10)
J. Katharina L. Ferreira
Virtual Communities – Die
Nachfragerperspektive
(11)
Christian Hildebrand
Produktentwicklung mit
Virtual Communities
sammenspiel von Anbieter und Kunde betrach-
vationen". Aufbauend auf den Grundlagen offe-
ten) zum Konzept oder Verständnis von Open
ner Innovationsprozesse werden sukzessive die
Innovation ist gemein, dass bei der Integration
Einschränkungen einer umfassenden Demokra-
externen Wissens in einen unternehmensgelei-
tisierung aufgezeigt, die im letzten Abschnitt
teten Innovationsprozess eine Vielzahl an Ak-
„Begrenzte Demokratisierung [...] im Internet“
teuren als Quellen dieses Wissens, wie Konkur-
kulminieren.
renten, unabhängige (Forschungs-) Institute
Am ehesten dem Terminus der „Demokratisie-
oder Kunden bzw. Nachfrager bestehen. Der
rung“ kommt die von Allen (1983) als „Collective
Beitrag von Adlunger "Open Innovation - Mög-
Invention“ eingeführte Beschreibung, die von
lichkeitspotenziale und Problemfelder" nimmt
Cowan/Jonard (2003) konkretisiert wird nach.
hierauf aufbauend eine differenzierte Betrach-
Hierunter werden kooperative Innovationspro-
tung der Akteursstrukturen vor und zeigt die
zesse unabhängiger Akteure verstanden, die
7
gemeinsam und unter Offenlegung von Wissen
8
Vgl. von Hippel/ Katz 2002.
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007.
3
aus F&E-Vorhaben innovieren. Der Beitrag von
schiedlich verteilten Kenntnisse ist die Interakti-
Stoll "Collective Invention als Imperativ für mo-
on problembehaftet. So sind die Bedürfnisinfor-
derne Innovationstätigkeit" liefert hierzu eine
mationen i. d. R. nur mit großem Kommunikati-
Einführung, wobei unter Rückgriff auf Konzepte
onsaufwand reibungslos zu er- bzw. übermitteln,
der Spieltheorie, der Netzwerkökonomie und
da sie einerseits gar nicht in konkreter Form,
Evolutionsbiologie aufgezeigt wird, weshalb und
sondern vielmehr diffus beim Nachfrager vorlie-
wann diese Form der kooperativen Wertschöp-
gen. Auch die mangelnde Kenntnis des tech-
fung funktionieren kann.
nisch Machbaren kann zu Unzufriedenheit mit
Paradebeispiele für offene und kollektive Inno-
der bereitgestellten Lösung und entsprechend
vationsleistungen finden sich im Bereich der
negativen Marktkonsequenzen wie hohen Flop-
Open Source Bewegung. Hier werden Grundla-
raten oder langwierigen Abstimmungsprozessen
gen der Lösungskonzepte, im Softwarebereich
führen. 11 In ihrem Beitrag „User Innovation Tool-
ist dies der Quellcode, anderen Akteuren offen
kits“ zeigen Asel/Steinmetz, wie in Business-
zugänglich und zur Bearbeitung bzw. Modifikati-
märkten bereits seit langer Zeit üblich bspw.
9
on bereitgestellt. Der große Erfolg von Anwen-
über anbieterseitig bereitgestellte Design- oder
dungen im Softwarebereich, wie dem Betriebs-
Innovationswerkzeuge einige der Interaktions-
system Linux, dem Apache Webserver oder
probleme vermieden werden können. Dabei
auch das vielversprechende OsCar-Projekt, bei
geben sie einen umfassenden Überblick über
dem ein Automobil unter der Maßgabe offenen
verschiedene Toolkitvarianten und zeigen aktu-
Entwicklung bis hin zur Prototypreife von unab-
elle Entwicklungen in verschiedenen Branchen
hängigen Ingenieuren konzipiert wurde, belegen
auf.
10
Der Beitrag
Kunden- und Marktentwicklungen in unterneh-
von Hardick "Potenziale und Risiken von Open
mensseitige Innovationsprozesse einzubinden,
Source" nimmt eine Bestandsaufnahme im Be-
ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Jedoch besteht
reich der Open Source vor und zeigt auf, welche
insbesondere bei der Entwicklung neuer Lö-
Vorteile Unternehmen bei der Teilnahme an
sungskonzepte für mitunter am Markt noch gar
Open Source Bewegungen erwachsen und wo
nicht bekannter Probleme oder bisher unbe-
zentrale Problemfelder bestehen.
kannter Bedürfnisse eine hohe Unsicherheit
die Tragfähigkeit dieses Konzepts.
bzgl. der Fortentwicklung. Deshalb gilt es die
Teil B: Instrumente und Konzepte der
Quellen externen Wissens mit Bedacht auszu-
Open Innovation
wählen, wobei hier dem Lead User Konzept eine
12
Die Interaktion von Anbieter und Nachfrager ist
zentrale Rolle beizumessen ist.
seit jeher durch Informationsasymmetrien ge-
User stellen Akteure dar, deren gegenwärtige
kennzeichnet. So verfügt der Nachfrager zu-
Bedürfnisse denen entsprechen, die später am
meist über eine mehr oder minder genaue Vor-
Gesamtmarkt bestehen und deren Anforderun-
stellung seiner Bedürfnisse. Die Anbieterseite
gen daher den zukünftigen Marktanforderungen
hingegen verfügt neben der entsprechenden
entsprechen. In ihrem Beitrag „Potenziale und
Infrastruktur auch über das Wissen zur Erfüllung
Grenzen der Lead User Analyse“ zeigt Woll die
der Bedürfnisse. Aufgrund dieser oftmals und
Grundlagen und idealtypischen Ablaufschritte
insbesondere in Konsumentenmärkten unter-
der Lead User Analyse auf und gibt, basierend
9
11
10
Vgl. Raymond 1999.
Vgl. Honsig 2006.
12
4
Unter Lead
Vgl. von Hippel 1994.
Vgl. Urban/ von Hippel 1988; Herstatt/ von Hippel 1992.
auf einer Metastudie, Einblicke in die Umset-
keting. Dabei fokussiert sich der Beitrag von
zung in der Unternehmens- und Forschungspra-
Buning "Innovationstreiber Community" auf die
xis. Wobei zwei zentrale Problembereiche iden-
Schnittstellenproblematik zwischen Unterneh-
tifiziert werden, die zum einen den theoretischen
men und Community im Innovationskontext und
Grundlagen des Lead User Konzepts und dar-
zeigt auf, wie Unternehmen innovationsbezoge-
über hinaus forschungsökonomischen Erwä-
nes Wissen aus Communities absorbieren bzw.
gungen entstammen.
generieren können. Dabei werden abhängig
Die vorab skizzierte Entwicklung zum „mündigen
davon, welche Seite den aktiven Part übernimmt
Kunden“ manifestiert sich neben dem immer
drei Kernansätze: dargestellt und einer kriti-
stärker werdenden nachfragerseitigen Informati-
schen Betrachtung unterzogen.
onsbedarf auch in der gesteigerten Aktivität im
Der
Zusammenspiel mit anderen Konsumenten. Hier
Communities" zeigt auf, welche Vorteile einem
bilden unterschiedliche Formen virtueller Ge-
Unternehmen aus funktionierenden Communi-
meinschaften, zumeist konstituiert über das
ties insb. im Innovationsprozess erwachsen und
Internet (sog. Virtual Communities, wie z. B.
wie unternehmensseitig eine Steuerung von
Brand Communities oder Communities of Inte-
Entwicklungen der Community vorgenommen
rest)
13
die Grundlage. Diese Interaktionsge-
Beitrag
von
Bathen
"Virtuelle
User-
werden kann.
meinschaften weisen dabei, neben den offen-
Eine entgegen gesetzte Sichtweise und damit
kundigen Vorteilen für die Teilnehmer, die im
das komplementäre Gegenstück nimmt der Bei-
sozialen Austausch bzw. der Kommunikation zu
trag von Ferreira "Vorteilspotenziale Virtueller
sehen sind, eine ganze Reihe weiterer Aspekte
Communities aus Nachfragersicht" ein. Hier wird
auf. So stellen sie oftmals einen großen Pool
ebenfalls eine Betrachtung der Vorteilspotenzia-
verfügbaren Anwenderwissens bereit, der un-
le der Interaktion mit Communities vorgenom-
ternehmensseitig Anhaltspunkte zur Modifikation
men, jedoch nur aus der Kunden- bzw. Nachfra-
bestehender Produkte oder der Entwicklung
gerperspektive. Ausgehend von einem schema-
neuer Lösungen genutzt werden kann. Neben
tisierten Kundenprozess mit Entscheidungspha-
diesen Bedürfnisinformationen zeigt sich jedoch,
se, Kaufakt und Nutzungsphase werden hier
dass oftmals auch Lösungsvorschläge entwi-
unter Rückgriff auf Ansätze der Informationsö-
ckelt und bereitgestellt werden. Diese können
konomie
einerseits direkt von den Unternehmen absor-
ausgestellt.
biert werden, darüber hinaus aber auch zur I-
Im Rahmen seines Beitrags „Produktentwick-
dentifikation besonders geeigneter Innovations-
lung mit Virtual Communities“ nimmt Hildebrand
partner, mit denen eine integrative Zusammen-
unter Rückgriff auf die strukturelle Phaseneintei-
arbeit besonders fruchtbar erscheint, genutzt
lung des Innovationsprozesses nach Cooper
werden.
14
15
im Detail Informationsvorteile her-
(1996) eine detaillierte Betrachtung der Interak-
Im Rahmen der letzten vier Beiträge dieses
tions- und Aktionsphasen im Zusammenspiel
Forschungsbandes erfolgt eine systematische
von Community und der innovationsleitenden
und differenzierte Betrachtung der Funktions-
Unternehmung vor. Dabei werden je Prozess-
weise und erwachsender Vorteilspotenziale von
phase sowohl Anforderungen herausgearbeitet
Communities für ein modernes Innovationsmar-
als auch entsprechende Umsetzungskonzepte
13
14
bzw. geeignete Instrumente dargestellt, sodass
Vgl. McAlexander/ Shouten/ Koenig 2002; Schubert/
Ginsburg 2000; Rheingold 1993.
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007; Füller et al. 2006.
15
5
Zur Informationsökonomie siehe Weiber/ Adler 1995.
im Kern ein „Interaktionskatalog“ entsteht, der
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als Anhaltspunkt zur innovativen und innovati-
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7
Joachim Jardin − Arne Rehm
Open Innovation – Researching an enforcing Paradigm?
1
Open Innovation – ein überschätzter Hype?
2
Ursprünge von Open Innovation
3
Aktuelle Entwicklungen der Open Innovation Ansätze
4
Entwicklung eines Open Innovation Verständnisses
1
Open Innovation – ein überschätzter
Hype?
gieintensität zwingt Unternehmen durch vermehrt auftretende Kompetenzlücken nach externen Quellen zu suchen um diese zu füllen.
Open Innovation, gilt als ein neuer Ansatz für
Hier können durch Interaktion nicht nur explizi-
das moderne Innovationsmanagement und hat
tes, also eindeutig kommunizierbares, Wissen
in den letzten Jahren einen großen Bedeu-
sondern auch implizites, schwer vermittelbares
tungszuwachs erlangt. Doch es lässt sich fest-
Wissen erfasst werden. 3 Als Beispiele können
stellen, dass viele Ansätze, die in unterschiedli-
hier Kunden, Zulieferer, Konkurrenten, Universi-
cher Art und Weise unter dem Begriff Open
täten usw. genannt werden. Von herausragen-
Innovation subsumiert werden, schon vor dem
der Bedeutung ist auch die Veränderung der
aktuellen Hype, sowohl in Theorie als auch Pra-
Informations- und Wissensumwelt. 4 Nicht nur,
xis, bekannt waren (siehe Abschnitt 2). Somit ist
dass die allgemeine Steigerung der Mobilität der
ein Ziel dieses Beitrages die Frage zu beantwor-
Mitarbeiter zu starken Wissenstransfers zwi-
ten, ob der Bedeutungszuwachs begründet ist
schen Unternehmen führt und die Fähigkeiten
oder lediglich alte Ansätze neu aufbereitet wur-
und das Angebot externen Wissens gestiegen
den. Diese Frage wird verständlicherweise auch
sind, 5 sondern auch die Entwicklung der IuK-
durch die heutige Innovationslandschaft stark
Technologien und die damit einhergehenden
beeinflusst. Immer kürzere Innovationszyklen,
neuen Wege der Nutzung und Erschließung von
bei längeren Pay-Off-Zeiten und sich verstär-
externem Wissen sind hier zu erwähnen. 6 Auf
kender Preiserosion erhöhen die Risiken von
dieser Basis wird der weltweite Zugriff auf In-
1
Innovationsaktivitäten. Um der ohnehin schon
formationen und globale Zusammenarbeit er-
hohen Floprate von Neuprodukten vor dem Hin-
möglicht. Communities, Open Source Software
tergrund solcher Szenarien entgegenzuwirken,
(OSS), Virtuelle Unternehmungen, die Vernet-
ist die Suche nach neuen Gestaltungsmöglich-
zung der vertikalen Wertschöpfungsstufen sind
keiten für das Innovationsmanagement unerlässlich.
Nach
Gassmann
können
2
nur einige relevante Schlagworte. Zusätzlich
weitere
ermöglicht moderne Software, Teile des Innova-
Trends und Entwicklungen im Zusammenhang
tionsprozesses digital darzustellen und zu ver-
der wachsenden Bedeutung von Open Innovati-
arbeiten. So können zum Beispiel Produkte mit
on genannt werden. So bedingt seiner Ansicht
Computer Aided Design (CAD) und Virtual Pro-
nach die Globalisierung einen stärkeren Wett-
totyping entworfen und getestet werden und
bewerb und erhöht dadurch die Vorteile offener
stehen dabei zeit- und ortsunabhängig zur Ver-
Innovationsprozesse vor allem dadurch, dass in
einer Zusammenarbeit Größenvorteile (mehr
Kapital, mehr Personal, mehr Know How) ge-
2
nutzt werden können. Die steigende Technolo-
3
4
5
6
1
Vgl. Weiber/ Kollmann/ Pohl 1999, S. 2ff.
8
Vgl. Gassmann 2006, S. 224.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 57ff.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff.; Gassmann, 2006, S. 224.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff.
Vgl. Dodgson/ Gann/ Salter 2006, S. 333ff.; Reichwald/
Piller 2006, S.80.
fügung. Dies wiederum ermöglicht, dass Kunden
market) verringert werden. 9 Um allerdings An-
und andere externe Quellen Anpassungen, Vor-
wender aus der Praxis von dem Open Innovati-
schläge und Weiterentwicklungen kostengünstig
on Konzept zu überzeugen und auch für eine
in diesen Prozess einbringen können. So ge-
sinnvolle weitere Forschung ist es notwendig
nannte Innovations- oder Design-Toolkits stellen, je nach Kenntnisstand des Benutzers,
den scheinbaren Widerspruch, dass viele unter-
Schnittstellen zur Verfügung, um auch „unerfah-
schiedliche Konzepte Open Innovation darstel-
rene Quellen“ integrieren zu können (siehe hier-
len, aufzuklären. Bevor jedoch darauf eingegan-
zu den Beitrag von Asel/ Steinmetz, S. 94ff.).
7
gen werden kann, sollten zunächst die Ursprün-
Bei diesen Toolkits sollte jedoch erwähnt wer-
ge von Open Innovation dargestellt werden.
den, dass teilweise Ansätze von Mass Customization und Open Innovation vermischt werden.
2
Ein Produkt, dass der Kunde mit Hilfe eines
Ursprünge von Open Innovation
Toolkits aus verschiedenen Modulen nach seinen Vorstellungen zusammensetzt, hat oft we-
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts spielte die
nig mit einer echten Innovation gemein. Ähnlich
Integration externen Wissens in den unterneh-
verhält es sich mit neuen Entwicklungen der
merischen Innovationsprozess keine nennens-
Marktforschung. Neue Möglichkeiten, zum Bei-
werte Rolle. Dies lag vor allem daran, dass die
spiel durch statistische Analysesoftware, sind
ersten industriellen Forschungslaboratorien, und
vielleicht ein Werkzeug für Open Innovation,
somit eine Forcierung von Forschung und Ent-
aber keinesfalls automatisch aus der klassi-
wicklung (F&E), erst gegen Ende des 19. Jahr-
schen Marktforschung herauszunehmen und in
hunderts in Deutschland und wenig später in
Open Innovation einzubetten.
den Vereinigten Staaten etabliert wurden. 10
Unter dem Begriff Open Innovation werden ins-
Diese Laboratorien wurden vor allem in großen,
gesamt viele verschiedene Ansätze und Metho-
vertikal integrierten Unternehmen eingerichtet,
den dargestellt. Einige davon bieten neue und
welche eine dominante Position im Markt besa-
vor allem effektive Prozesse und Handlungsan-
ßen. Grund für das plötzliche Interesse an F&E
weisungen neue Produkte mit einer geringeren
war insbesondere der unzuverlässige Schutz
Floprate und höheren Marktakzeptanz zu entwi-
geistigen Eigentums außerhalb der nationalen
ckeln. Dies wird z. B. durch den Zugriff auf einen
Grenzen, da dort lokale Regelungen diesbezüg-
größeren Pool an Bedürfnisinformationen („Was
lich gelten und diese, wenn sie liberaler ausge-
will der Kunde“) und auch gleichzeitig Lösungs-
legt sind, die Regelungen des Ursprungslandes
informationen („Wie setze ich die Bedürfnisse in
der Innovation verwässern können. Der einzige
ein passendes Produkt um“) möglich. 8 Darüber
Weg weiterhin eine dominante Position zu hal-
hinaus können Innovationsprozesse auch effi-
ten ging über kontinuierliche Weiterentwicklung.
zienter gestaltet werden und die Zeit bis zur
Aufgrund fehlender Erwähnung, lässt sich zu-
Markteinführung (time-to-market) als auch Kos-
mindest für die Vereinigten Staaten eine Un-
ten
wichtigkeit externen Wissens im Betrieb dieser
7
8
des
Entwicklungsprozesses
(costs-to-
9
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 821ff.; Reichwald/ Piller,
2006, S. 163.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 55ff.
10
9
Vgl. ebenda, S. 150ff.
Vgl. Chandler 1990, S. 161f.; Hounshell 1996, S. 13 sowie
S. 19f.
Sicherheit bereits davor erste Ansätze zur Nut-
Laboratorien konstatieren, jedoch nicht, dass
11
Zwi-
zung externen Wissens in der Innovation, wenn
schen den Weltkriegen war die Hauptaufgabe
auch nicht so ausgeprägt, z. B. gab es insb. in
der F&E Abteilungen die Kommerzialisierung
Deutschland schon ab ca. 1871 Ansätze von
von Erfindungen anderer sowie die Effizienz-
Forschungskooperationen zwischen Unterneh-
steigerung der Produktion. Nach dem zweiten
men und Universitäten. 14 Ein weiterer Ansatz
Weltkrieg begann sich die Aufgabe der F&E zu
der Innovation unter Zuhilfenahme externen
wandeln. Aufgrund der immensen Fortschritte in
Wissens,
der Forschung wie z. B. der Atombombe, Antibi-
Abteilungen oder Universitäten auskam, war die
otika, digitaler Computertechnik und vielen an-
Collective Invention, welche von Allen in die
deren Entdeckungen begann die Grundlagen-
Literatur eingeführt wurde. Er erklärt diese am
forschung immer mehr an Wichtigkeit zu gewin-
Beispiel der Weiterentwicklung von Hochöfen in
nen. Dies lag vor allem daran, dass gut finan-
der englischen Eisenindustrie im 19. Jahrhun-
zierte
neue
dert. Es wird beschrieben, wie neue Hochofen-
Technologien entwickeln konnten. Es wurde im
designs eines Unternehmens sowie die Effi-
Glauben an ein lineares Innovationsmodell ge-
zienzwerte des mit dem neuen Design veränder-
forscht, bzw. in Anlehnung an das Say’sche
ten Brennstoffverbrauchs, Wettbewerbern zu-
Theorem – Jedes Angebot schaffte sich seine
gänglich gemacht werden, wodurch diese in
keinerlei externes Wissen genutzt wurde.
Wissenschaftler
Nachfrage selbst.
einschneidend
12
welcher
gänzlich
ohne
F&E-
ihrer nächsten Generation von Hochöfen Erweiterungen dieses Designs übernehmen können
Als ein möglicher Erklärungsansatz für die nicht-
(Stoll, 53ff.). Eine kollektive Invention liegt vor,
Nutzung von externem Wissen wird das sog.
wenn dieser Vorgang fortgeführt wird, der Wett-
Not-Invented-Here (NIH) Syndrom angeführt.
bewerber selbst seine Öfen auf diese Weise
Dieses beschreibt, dass Gruppen von Ingenieu-
weiterentwickelt und neues Wissen wiederum
ren die über einen längeren Zeitraum in der
öffentlich zugänglich macht, dass auch dessen
gleichen Besetzung bestehen immer weniger
Wettbewerber darauf Zugriff haben.
auf externe Quellen zugreifen, da sie das Gefühl
entwickeln ein Wissensmonopol in ihrem Gebiet
In der Hinsicht das Unternehmen und nicht indi-
zu besitzen. Als Folge daraus, werden externe
viduelle Erfinder neues technisches Wissen
Quellen nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezo-
generierten, hatte Collective Invention bereits
gen in der Lage zu sein für die Gruppe wichtiges
Charakteristika
oder ergänzendes Wissen beisteuern zu können
F&E. „Jeder moderne Konzern richtet sich –
zu können. Dabei ist anzunehmen, dass die
sobald er das Gefühl hat, daß er es sich leisten
Belegschaft der zentralen Forschungslaborato-
kann – als erstes eine Forschungsabteilung ein,
rien aus genau solchen sich über längere Zeit-
in der jeder Mitarbeiter weiß, daß sein tägliches
räume nicht verändernden Gruppen bestand.
13
der
modernen,
industriellen
Brot von seinem Erfolg in der Erfindung von
Verbesserungen abhängt.“ 15 Diese Aussage
Dennoch gab es schon zu dieser Zeit und mit
von Schumpeter lässt bereits den Unterschied
11
12
13
Vgl. Chandler 1978, S. 345ff.
Vgl. Chandler 1990, S. 190; Hounshell 1996, S. 41ff.
Vgl. Katz/ Allen 1982, S. 7.
14
15
10
Vgl. Hounshell 1996, S. 19f.
Schumpeter 1975, S. 158.
von Collective Invention zur modernen, indus-
von Innovationen aus zentralen Forschungsla-
triellen F&E erahnen. Nelson definierte 1959
boratorien großer Konzerne wie sie weiter oben
industrielle F&E durch das Vorhandensein von
beschrieben wurde in Frage, da er im Laufe
Forschungslaboratorien in einem Unternehmen,
seiner Forschung Anhaltspunkte für „Innovation
welche u. a. für Entwicklung, Qualitätskontrolle,
von Außen“ gefunden hatte. In diesem Zusam-
Verbesserung bestehender Produkte, etc. zu-
menhang zeigt er im Verlauf seiner Arbeit an-
ständig waren. Im Beispiel der Collective Inven-
hand von Beispielen auf (z. B. Entwicklung von
tion wurden von Unternehmensseite her keiner-
wissenschaftlichem Instrumentarium durch Nut-
lei Ressourcen speziell für F&E bereitgestellt –
zer) 21 , dass Innovationen auch extern entstehen
Innovationen geschahen, im Beispiel der engli-
können und dann ihren Weg zum Hersteller zu
schen Hochofenindustrie, als Nebenprodukt des
finden. Der Trend hin zu einem offeneren Inno-
Tagesgeschäfts. Diese Abwesenheit eins For-
vationsprozess ist bereits klar zu erkennen. Er
schungslaboratoriums für F&E dient als Abgren-
konnte als externe Quellen der Innovation hier,
zung zur modernen, industriellen F&E. Darüber
aber auch bereits zuvor, Nutzer 22 , Zulieferer 23
hinaus ist anzunehmen, dass es nicht im Sinne
und informellen Know-how Austausch 24 (Koope-
industrieller F&E ist wenn Innovationen eines
ration zwischen Wettbewerben und/oder nicht-
Unternehmens ohne Gegenleistung von ande-
Wettbewerbern, welche der Collective Invention
ren genutzt werden.
16
ähnelt) 25
ausmachen. In seinem auf dem
Customer Active Paradigm basierenden Kon-
Nicht nur die „Collective Invention“, auch andere
zept geht er davon aus, dass Innovationen an
Kernprozesse der Open Innovation sind bereits
das Herstellerunternehmen herangetragen wer-
seit längerem in der Literatur bekannt und un-
den, dieses also meist passiv ist. Sollte das
tersucht. Von Hippel schrieb bereits 1976 über
Unternehmen dennoch aktiv nach Innovationen
das Customer Active Paradigm, welches den
suchen, befinden sich diese meist in einer spä-
Kunden/Nutzer als treibende, aktive Kraft im
ten Phase des Innovationsprozesses und müs-
Innovationsprozess sieht. 17 Diesen Gedanken
sen oft nur noch kommerzialisiert werden. 26 In
führte er dann 1986 mit dem Lead User Ansatz
seinen späteren Arbeiten konzentriert sich von
weiter. 18 Kogut beschrieb 1988 organisationales
Hippel jedoch ausschließlich auf durch Nutzer
Lernen als eines der Hauptmotive für Joint-
generierte Innovationen (insb. Lead User und
Ventures 19 und Brandenburger/Nalebuff führten
User Communities), was vor allem in seinem
1996 das spieltheoretische Konzept der Co-
Buch Democratizing Innovation und seinen wei-
Opetition, eine Form der Kooperation unter anhaltender Konkurrenz, ein. 20
In seinem 1988 veröffentlichten Buch The Sour-
21
ces of Innovation stellte von Hippel die bis dahin
22
23
verfolgte gängige Meinung über die Herkunft
24
25
16
17
18
19
20
Vgl. Allen 1983, S. 1f.; Nelson 1959, S. 119ff.
Vgl. von Hippel 1978.
Vgl. derselbe 1986.
Vgl. Kogut 1986.
Vgl. Brandenburger / Nalebuff 1996.
26
11
Vgl. von Hippel 1988, S. 11ff.
Vgl. von Hippel 1978, passim; Derselbe 1988, S. 11ff.
Vgl. Derselbe 1988, S. 35ff.
Vgl. von Hippel 1987, passim; Derselbe 1988, S. 76ff.
Der Unterschied liegt darin begründet, dass in der Collective Invention alle Wettbewerber und potentiellen Wettbewerber Zugriff auf das proprietäre Wissen haben müssen
(vgl. Allen 1982, S. 2), wohingegen beim informellen
Know-how Austausch kein Zwang zur Veröffentlichung
besteht (vgl. von Hippel 1987, S. 297; Derselbe 1988, S.
84).
Vgl. von Hippel 1988, passim.
teren Aufsätzen 27 zum Ausdruck kommt. Auch
on deutlich wird. 31
hier wird im Lead User Ansatz weiterhin die
Sawhney/Prandelli führten 2000 ihr Konzept der
hauptsächlich passive Rolle des Unternehmens
Community
während des Nutzer-Innovationsprozesses im
System mit sich immer verändernden Grenzen.
Infektionskontrolle im OP-Bereich. Zur Lösung
Diese Eigenschaften kommen daher, dass die-
dieses Problems wurden Lead User aus ver-
ses Modell zwischen den klassischen Gover-
schiedenen Disziplinen gesucht und zu einem
nance-Mechanismen der Transaktionskosten-
dieses
theorie Markt und Hierarchie anzusiedeln. Als
Workshops wurde von den Lead Usern schließ-
Transaktionskosten sind Kosten zu verstehen
lich eine mögliche Lösung für dieses Problem
die mit der Ausführung von Markttransaktionen
gefunden. Die dort erarbeitete Lösung wurde
entstehen, hierbei gibt es Kosten die bereits vor
von Unternehmensseite aus übernommen, es
der Transaktion während der Anbahnung ent-
fand dabei jedoch keine Interaktion zwischen
stehen, aber auch Kosten die nach der Transak-
Unternehmen und Lead User während des Lö-
tion während der Abwicklung und noch danach
sungsfindungsprozesses statt (Woll, 81ff.). 29
zustande kommen. Steigen die Transaktiosn-
Darüber hinaus geht von Hippel auf sog. Innova-
kosten über ein bestimmtes Niveau, wird es
tion Communities ein. Da von Hippel kein Kon-
günstiger Produktionsaktivitäten innerhalb des
trollorgan, welches Regeln der Mitgliedschaft
Unternehmens durchzuführen und zu koordinie-
aufstellt, in seiner Definition erwähnt, hat dies
ren, anstatt dies über den Markt zu erledigen. 32
zur Folge, dass es keinerlei Beschränkungen
Modelle die zwischen den Positionen Markt und
zur Mitgliedschaft in einer Innovation Communi-
Hierarchie liegen, wie das vorliegende von
ty gibt. Außerdem wird davon ausgegangen,
Sawhney/Prandelli, werden auch als hybride
dass es sich um reine Nutzer-Communities
Kooperationform bzw. Kooperationslösung be-
handelt und somit auch nur eine Nutzer-zu-
zeichnet. 33 In Anlehung an von Hippels Custo-
Nutzer Kooperation stattfindet, was wiederum
mer Active und Manufacturer Active Paradigm
der oben dargestellten Meinung des Customer
wird diese Struktur von Nagel als Joint Active
Active Paradigm entspricht. 30 Dennoch ist ein
Paradigm bezeichnet. 34 Laut Benkler begann
Trend in von Hippels Meinung hin zu einer Ko-
das Erscheinen dieser Form und somit das En-
operation zwischen Herstellerunternehmen und
de der Dominanz der reinen hierarchie- oder
Nutzer zu erkennen, was insb. durch seine Ar-
marktbasierten Modelle mit Erscheinung der
beiten im Bereich der Toolkits for User Innovati-
Open Source Software Community, da diese als
31
27
28
29
30
Governance-
Community of Creation als ein durchlässiges
lich, auf der Suche nach einer neuen, günstigen
Während
als
vation in die Literatur ein. Sie definieren eine
ten. 28 Dies wird auch am Beispiel von 3M deut-
eingeladen.
Creation
Mechanismus zum steuen von distributed inno-
Sinne des Customer Active Paradigm vertre-
Workshop
of
Siehe hierzu bspw. von Hippel 1989; Derselbe 1998; von
Hippel/ Thomke/ Sonnack 1999; Morrison/ Roberts/ von
Hippel 2000; von Hippel 2001a; Derselbe 2001b.
Vgl. Derselbe 2005, S. 19ff.
Vgl. von Hippel/ Thomke/ Sonnack 1999.
Vgl. von Hippel 2005, S. 93ff.
32
33
34
12
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, passim; von Hippel/ Katz
2002, passim; von Hippel 2005, S. 147ff.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 32; Nambisan/ Sawhney
2007, S. 30f.
Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000S. 25f.; Reichwald/ Piller
2006, S. 35ff.; Nagel 1993, S. 39.
Vgl. Nagel 1993, S. 39.
weder noch ist. 35
auch in der Flexibilität sowie der Selbstorganisation. Damit einher gehen jedoch auch einige
Die hierarchische Struktur wird bei Sawh-
Schwachstellen, wie z. B. die nur geringen Kon-
ney/Prandelli genau wie bei Chesbrough am
trollmöglichkeiten, Screeningmechanismen zur
Beispiel von Xerox PARC erklärt. Um Störungen
Qualitätssicherung,
im Innovationsprozess zu vermeiden, sowie die
da ein Anreiz für Entwickler geschaffen werden
klären, wird in dieser Strukturform externes Wis-
muss ihr wissen mit einem Unternehmen zu
sen meist komplett in das eigene Unternehmen
teilen. Diese Anreize zu schaffen ist mitunter
integriert, was soviel bedeutet, dass Firmen,
nicht einfach und wird versucht über verschie-
welche wertvolles Wissen besitzen gekauft wer-
dene Lizenzierungsmodelle herzustellen. Im
den oder zumindest eine Mehrheitsposition an
Falle von IBM werden kostenlose kommerzielle
diesen gehalten wird. Da der Innovationspro-
Lizenzen
zess in dieser Form nur von einem Unterneh-
einem
eigener
Entwicklungsumgebungen
angeboten und im Falle von Linux wird erlaubt
men ausgeht bzw. sämtliche Teilnehmer am
zu
Motivationsmecha-
nismen. Letztere sind besonders problematisch,
Frage des geistigen Eigentums problemlos zu
Innovationsprozess
sowie
Beiträge, welche als unabhängige Arbeiten an-
Unternehmen
gesehen werden können, auch ausserhalb der
gehören, ist die Planung der Innovation stets
für Linux geltenden Lizenzen anwenden zu dür-
klar und größtenteils befreit von Störfaktoren.
fen. 37
Darüber hinaus kommt es auch nicht zu Problemen des geistigen Eigentums, da die Eigen-
Dies ist der Punkt wo Sawhney/Prandelli anset-
tumgsrechte hier klar definiert und unstrittig
zen. In Ihrem Modell der Community of Creation
sind.
36
gehört das geistige Eigentum zu gleichen Teilen
allen Mitgliedern der Community. Die Communi-
Im Gegensatz zum hierarchischen Modell steht
das
(offene)
Marktmodell,
welches
ty wird von einem zentralen Unternehmen gere-
Sawh-
gelt, welches als Sponsor auftritt und die grund-
ney/Prandelli am Bespiel von IBM AlphaWorks
legenden Regeln für die Teilnahme bestimmt.
und Linux aufzeigen. Offen ist hier im Sinne von
Mitglieder einer Community of Creation können
Kooperation und Handel mit potentiellen Part-
Kunden, Zulieferer aber auch Wettbewerber
nern auf einem offenen Wissensmarkt zu ver-
sein. Der Innovationsprozess läuft somit nicht
stehen. Dies bedeutet, dass Teile von Projekten
mehr im Unternehmen, sondern in der Commu-
oder ganze Projekte der Öffentlichkeit zugäng-
nity ab, wobei jedes Mitglied Zugriff auf das
lich gemacht werden, so dass diese daran arbei-
Wissen der Community hat und dazu beitragen
ten kann. Die Ergebnisse die mit dem zur Verfü-
kann. Ziel dieses Ansatzes ist die co-creation
gung gestellten Material erzielt werden, müssen
von Wissen mit Kunden; der Kunde wird in den
wiederum öffentlich gemacht werden, so dass
Innovationsprozess integriert und als Partner
andere an dieser Stelle weiterentwickeln kön-
angesehen. 38 Sawhney/Prandelli erläutern ihr
nen. Vorteile des Marktmodells sind vor allem in
Konzept am Beispiel des Jini Projects von Sun
der Innovationsgeschwindigkeit zu sehen, aber
Microsystems. Hierbei handelt es sich um eine
35
36
Vgl. Benkler 2002, S. 381.
Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 36ff.; Chesbrough 2003,
S. 1ff.
37
38
13
Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 38ff.
Vgl. ebenda, S. 24ff.
„gated community“, da die Mitgliedschaft in der
migen Buch den Begriff der Open Innovation.
Community durch Zustimmung zu den Lizenz-
Bei der Open Innovation nach Chesbrough han-
bestimmungen von Sun geregelt ist, somit also
delt es sich um ein Innovationsnetzwerk. 42 Er
nicht automatisch jeder Mitglied sein kann wie
grenzt Open Innovation mit Hilfe des, von ihm
im Marktmodell. Diese Lizenz ist dermaßen
als Closed Innovation Paradigm bezeichneten
aufgebaut, dass nicht alles veröffentlicht werden
Verständnisses
muss. Während Fehlerkorrekturen an der lizen-
Innovationsprozesses ab, welches von einer
zierten Technologie an die Community weiter-
zentralisierten F&E in stark vertikal ausgerichte-
gegeben werden müssen, können andere Modi-
ten Unternehmen ausgeht.. 43 Wertvolle Ideen
fikationen weiterhin proprietär bleiben. Es müs-
können von innen wie von außen in den Innova-
sen lediglich die Schnittstellen zur Verfügung
tionsprozess gelangen. Wobei zu beachten ist,
gestellt werden. In diesem Modell sind somit die
dass interne wie externe Quellen, im Gegensatz
Vorteile des hierarchischen Modells, wie z. B.
zum Closed Innovation Paradigm, als gleichge-
größere Kontrolle, sowie klarer definiertes geis-
wichtig betrachtet werden. Darüber hinaus legt
tiges Eigentum, mit den Vorteilen des Marktmo-
Chesbrough besonderen Wert darauf, dass
dells, wie z. B. Selbstorganisation und Innovati-
Ideen bzw. Innovationen nicht nur intern, über
onsgeschwindigkeit, kombiniert.
39
die
Der Commu-
früherer
unternehmenseigenen
Entwicklungen
Kanäle,
des
sondern
44
nity Ansatz unterstützt somit das gemeinsame
auch über externe Kanäle , außerhalb des
voneinander Lernen, sowie die gemeinsame
derzeitigen Kerngeschäfts, auf den Markt gelan-
Wertschaffung mit den Kunden.
40
gen, sofern sie intern nicht verwertet werden
können. 45 Dabei liegt ein besonderer Fokus auf
Im Jahr 2002 veröffentlichten Rigby/Zook ihren
dem Geschäftsmodell eines Unternehmens.
Artikel Open-Market Innovation. Bei der Open
Chesbrough sieht in den sog. Spillovers, Tech-
Market Innovation handelt es sich nicht um ein
nologien die nicht in das derzeitige Geschäfts-
Community, sondern um ein Netzwerk Konzept
modell passen, die Chance für ein Unternehmen
indem allgemein auf die rapide steigende Nut-
entweder sein Geschäftsmodell zu erweitern
zung externen Wissens hingewiesen wird. Als
Quellen
dieses
Wissens
werden
oder einen Spin-Off mit einem neuen dazu pas-
Lieferan-
senden Geschäftsmodell zu gründen. 46
ten/Verkäufer, Kunden und Wettbewerber genannt. Darüber hinaus erwähnen Rigby/Zook,
Als
dass das Wissen nicht nur in eine Richtung flie-
Chesbrough u. a. das Anwerben von geschulten
ßen kann, sondern über den Export neuer Ideen
(Zeit-)Arbeitskräften, Universitäten, nationalen
Quellen
externen
Wissens
nennt
in Form von Lizenzierung oder Verkauf, sowie
Kooperationen wie Joint Ventures und strategi-
42
43
sche Allianzen, auch nach außen gelangen
44
kann. 41
Chesbrough prägte 2003 mit seinem gleichna-
39
40
41
Vgl. ebenda, S. 40ff.
Vgl. ebenda, S. 47.
Vgl. Rigby/ Zook 2002, S. 82.
45
46
14
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 116f.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 21ff.; Derselbe 2006a, S. 2f.
Unter externen Kanälen auf den Markt versteht
Chesbrough neben den klassischen Wegen, wie z. B. Lizenzierung eigener Technologien an andere Unternehmen, auch noch andere Wege wie z. B. durch Spin-Off
Ventures, welche unter der Kontrolle des Unternehmens
stehen können und so zusätzlichen Wert schaffen, oder
durch ehemalige Mitarbeiter die mit ihrem Wissen ein eigenes Unternehmen gründen (Vgl. Chesbrough, 2003, S.
xxiv; Derselbe 2006a, S. 1ff.).
Vgl. Chesbrough 2003, S. 43.
Vgl. Derselbe 2006a, S. 4.
Laboratorien, spezialisierten kleinen Firmen,
mit und ohne interne F&E untersucht. Dabei
Zulieferer sowie Wagniskapitalbeteiligungen in
kamen sie zu dem Schluss, dass Unternehmen
Start-up Firmen, individuelle Erfinder, bereits
mit interner F&E in den meisten Fällen bessere
pensionierte Mitarbeiter oder sogar Studenten
Ergebnisse erzielen konnten, was daran lag,
im fortgeschrittenen Studium, aber auch, mit
dass sie die externen Lösungsinformationen
einem Verweis auf von Hippel, Kunden.
47
besser nachvollziehen und verstehen konnten.
Dies führt wiederum dazu, dass Innovationen
Weiterhin wichtig für dieses Open Innovation
schneller und meist besser fertig gestellt werden
Verständnis ist der Umgang mit geistigem Ei-
können. Darüber hinaus ist es Unternehmen mit
gentum, da dieses entgeltlich angeboten, gegen
interner F&E möglich die durch externe Informa-
anderes wertvolles Wissen getauscht oder so-
tionen unterstützten Innovation aus eigener
gar unentgeltlich veröffentlicht werden kann.
Kraft weiterzuentwickeln. 51 Die Absorptive Ca-
Dieser Wechsel der Sichtweise von Patenten als
pacity erlaubt es einem Unternehmen die Zu-
reinem „Abwehrmechanismus“ hin zu einem
sammenhänge besser zu verstehen und vor
handelbaren Gut führt zur Etablierung von Zwi-
allem herauszufinden welche Technologien für
schenmärkten für geistiges Eigentum. 48
die geplante Innovation kritisch sind. Durch die
Nach Chesbrough vereinen Open Innovation
Entwicklung dieses Verständnisses wird es dem
Prozesse interne wie externe Ideen zu Architek-
Unternehmen ermöglicht einzelne funktionale
turen und Systemen, deren Anforderungen mit
Bereiche abzustecken und den Informations-
Hilfe von Geschäftsmodellen bestimmt wer-
fluss in diesen zu fördern. Anfangs herrscht hier
den. 49 Eine Architektur stellt eine Hierarchie von
noch eine vertikale Orientierung vor, jedoch mit
Verbindungen ungleicher Funktionen innerhalb
fortschreitendem Innovationsverlauf und sinken-
eines Systems dar und verbindet diese zu ei-
den Interdependenzen bildet sich eine modulare
nem sinnvollen, nützlichen System. Im Anfangs-
Architektur heraus und ein Übergang von verti-
stadium einer Innovation gilt es die Komplexität
kaler zu horizontaler Integration. Dies bedeutet,
sowie die Interdependenzen der externen Quel-
dass externe Quellen einzelne Module zur Ge-
len zu Reduzieren. Dies liegt vor allem daran,
samtinnovation beisteuern, welche vom initiie-
dass es eine Vielzahl externer Quellen gibt, die
renden Unternehmen zu einem System verar-
in den verschiedensten Kombinationen mögliche
beitet werden. Daher gilt es für ein Unterneh-
Lösungsinformationen bieten können. Daher ist
men welches sich für den Gebrauch von Open
in diesem Stadium die interne F&E als Koordi-
Innovation
nierungsorgan von sehr großer Bedeutung. 50
Mechanismen
nach
Chesbrough
entscheidet, in erster Linie herauszufinden, wel-
Dies lässt sich u. a. anhand der Absorptive Ca-
che fehlenden Teile einer Innovation intern be-
pacity nach Cohen/Levinthal erklären. Sie haben
reitgestellt werden sollten und wie interne wie
in ihrer Arbeit Innovationen mit von Unterneh-
externe Teile zu System und Architekturen in-
men unter Zuhilfenahme externer Information
tegriert werden können. 52
Gassmann/Enkel orientieren sich mit ihrem O-
47
48
49
50
Vgl. Derselbe 2003, S. 49ff.; Derselbe 2006a, S. 10.
Vgl. Chesbrough 2006a. S. 10; Derselbe 2007, passim.
Vgl. Derselbe 2006a, S. 1.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 58ff.
51
52
15
Vgl. Cohen/ Levinthal 1990, passim.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 58ff.
pen Innovation Verständnis an Chesbrough, 53
menstellt, wer teilnehmen kann, wie Konflikte
teilen den Open Innovation Ansatz aber in drei
gelöst werden und wie Leistung gemessen
Prozesse
und
wird. 56 Es gibt zwei Formen von Creation Nets,
Coupled. Outside-In bedeutet, dass ein Unter-
sog. practice networks, welche auf einer locke-
ein:
Outside-In,
Inside-Out
nehmen vorrangig in Kooperationen
54
mit Zulie-
ren Form der Koordination aufbauen (z. B. Open
ferern und Kunden investiert um externes Wis-
Source Projekte) und sog. process networks,
sen in Innovationen zu integrieren. Inside-Out
welche eine aktivere Form der Koordination
bedeutet für ein Unternehmen den Verwertungs-
benötigen (z. B. Design Netzwerke von Original
fokus von Innovationen über externe Wege auf
Design Manufacturers). Die Prozesse eines
den Markt zu lenken, was insb. durch Lizenzie-
Creation Nets werden aufgrund der großen An-
rung geschieht. Der Coupled Prozess ist eine
zahl von Teilnehmern in Module eingeteilt. Dies
Kombination aus Outside-In und Inside-Out
vereinfacht ihre Einbindung in den Gesamtinno-
Prozess, der vor allem in strategischen Netz-
vationsprozess und gibt ihnen darüber hinaus
werken
Gass-
die Freiheit in ihrem eigenen Modulbereich In-
mann/Enkel eignet sich der Open Innovation
novationen zu erarbeiten. Trotz dieser Freihei-
Ansatz insb. für Unternehmen mit einer hohen
ten in den Modulbereichen sind Creation Nets in
Produktmodularität, kurzen Innovationszyklen,
anderen Bereichen jedoch relativ strikt, z. B.
Innovationen die implizites Wissen benötigen
wenn es darum geht festzulegen bis wann Er-
und eine hohe Komplexität der Schnittstellen
gebnisse geliefert werden müssen. 57
zum
tragen
kommt.
Nach
aufweisen, sowie für Firmen die positive externe
Reichwald/Piller verfolgen mit ihrem 2006 veröf-
Effekte wie Spillover durch Lizenzierung ihres
fentlichten Buch eine etwas andere Sichtweise
geistigen Eigentums nutzen können. 55
von Open Innovation. Open Innovation geht
Brown/Hagel sind mit ihrem Modell der Creation
ihrem Verständnis nach vor allem um „Nutzer
Nets auch den Innovationsnetzwerken zuzuord-
und Kunden als Quelle und Co-Produzent von
nen. Creation Nets bestehen aus hunderten
Innovationen“. 58 Wobei dieser Prozess von
oder tausenden verschiedenen Teilnehmern aus
Reichwald/Piller als interaktive Wertschöpfung
unterschiedlichen Bereichen. Ziel ist eine de-
bezeichnet wird. 59 Das Verständnis von interak-
zentralisierte, kollaborative und kumulative In-
tiver Wertschöpfung ist sehr eng mit dem Lead
novation, welche auf Zusammenarbeit und ge-
User Ansatz und Customer Active Paradigm von
meinsames voneinander Lernen, mit dem Ziel
Hippels verbunden, ergänzt diesen aber um die
neues Wissen zu generieren, aufbaut. Um die-
Annahme einer Aktivierbarkeit und (partiellen)
ses Ziel zu erreichen werden institutionelle Me-
Steuerbarkeit von Kundeninnovation durch Her-
chanismen in Form eines Netzwerkorganisators
stellerunternehmen. 60 Kern dieses Open Inno-
benötigt, die klären wer das Netzwerk zusam-
vation Verständnisses ist, dass es zu „einer
systematischen Integration von Kundenaktivitä-
53
54
55
Vgl. Gassmann/ Enkel 2004, S. 2 und 5.
“Co-operation refers to the joint-development of knowledge through relationships with specific partners such as
consortia of competitors, supplier and customers, joint
ventures and alliances as well as universities and research institutes.” (Gassmann/ Enkel 2004, S. 12).
Vgl. Gassmann/ Enkel 2004, S. 7ff.
56
57
58
59
60
16
Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 45.
Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 45ff.
Reichwald/ Piller 2006, S. 95 (Hervorhebung im Original).
Vgl. ebenda, S. 1.
Vgl. ebenda, S. 131.
innovations.“ 66
ten und Kundenwissen innerhalb eines Kontinuums von einer Ideengenerierung über die
3
Entwicklung erster konzeptionell technischer
Innovation Ansätze
Lösungen bis hin zum Design und der Fertigung
erster Prototypen [kommt]“.
61
Aktuelle Entwicklungen der Open
Die Integration
des Kunden in den Innovationsprozess soll,
Seit Beginn des Bedeutungszuwachses von
neben den klassischen Organisationsprinzipien
Open Innovation haben sich zwei Hauptrichtun-
Markt und Hierarchie, durch die Commons-
gen herauskristallisiert. Zum einen der nutzer-
based peer production koordiniert und verein-
orientierte Ansatz welcher vor allem durch von
facht werden.
62
Hippel, sowie die Verwendung von Innovations-
Commons-based peer produc-
tion, [...] relies on decentralized information
netzwerken,
gathering and exchange to reduce the uncer-
Chesbrough repräsentiert wird.
tainty of participants. [...] It depends on very
welche
hauptsächlich
durch
Der nutzerorientierte Ansatz geht vor allem auf
large aggregations of individuals independently
die Arbeiten von Hippels zum Customer Active
scouring their information environment in search
Paradigm und zum Lead-User zurück. Verfech-
of opportunities to be creative in small or large
ter dieses Ansatzes beziehen sich meist auch
increments. These individuals then self-identify
auf diese, wobei es auch hier unterschiedliche
for tasks and perform them for a variety of moti-
Ansichten der Auslegung gibt. Lange Zeit wurde
vational reasons” 63 .
allein der Kunde als aktive Kraft gesehen, der
Ein weiterer neuer Ansatz zu einer Definition
seine Innovation an ein Unternehmen zur Kom-
von Open Innovation stammt von West auf sei-
merzialisierung heranträgt, ein Punkt den Reich-
64
Dieser nutzte bis dato die
wald/Piller in ihrem Verständnis insb. an von
Definition von Chesbrough (2006), formulierte
Hippel kritisieren. 67 Jedoch spätestens seit Auf-
jedoch auf Nachfrage folgende Open Innovation
kommen des Instruments der Toolkits scheint
Definition, welche aus einer Diskussion mit Mar-
sich dieses Bild zu ändern, da hier Nutzer und
cel Bogers hervorging: „Open innovation means
Hersteller kooperieren müssen. 68
nem Internet-Blog.
treating innovation like anything else – some-
Bei den Innovationsnetzwerken lässt sich nicht
thing that can be bought and sold on the open
ohne weiteres eine eindeutige Quelle nennen
market, not just produced and used within the
bzw. wer den meisten Einfluss darauf ausübt.
boundaries of the firm.“ 65 Um dem Faktor
Dies liegt vor allem daran, dass es auch hier
gespendeter Innovationen entgegenzukommen
eine Vielzahl verschiedener Ansätze gibt, wovon
veränderte West diese Definition zu: „Firms that
die in diesem Beitrag behandelten Beiträge von
embrace open innovation employ markets rather
Sawhney/Prandelli,
than hierarchies to obtain and commercialize
Chesbrough,
Rigby/Zook
und Brown/Hagel von den Autoren als besonders bedeutsam auf dem Weg zum heutigen
61
62
63
64
65
Ebenda, S. 132.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 132.
Benkler 2002, S. 375f.
blog.openinnovation.net.
West 2007.
66
67
68
17
Ebenda.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 163ff.
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, passim.; Reichwald/ Piller
2006, S. 163ff.
Open Innovation Verständnis erachtet werden.
eine Entwicklung in Richtung des Customer
Von
insb.
Active Paradigm nicht nur die Integration von
Brown/Hagel die Unterschiede ihres Creation
Kunden sondern auch von sonstigen externen
Nets Ansatzes zu den anderen Ansätzen, die
Quellen. Übertragen auf die Transaktionskos-
ihrer Meinung nach nur ungenügend ergiebige,
tentheorie bedeutet dies eine Bewegung weg
nachhaltige Interaktionen und Kollaborationen
vom hierarchischen Modell näher an das
fördern. Joint Ventures z. B. bestehen aus einer
Marktmodell.
beschränkten Anzahl an Teilnehmern, wohinge-
ney/Prandelli zu nennen, was aus der obigen
gen Creation Nets hunderte oder tausende mo-
Darstellung der verschiedenen Ansätze deutlich
bilisieren. Die Lizenzierung von Technologie ist
wird.
diesen
Beiträgen
erwähnen
meist auf Transaktionen zwischen unabhängi-
Nets
auf
langfristige
sind
vor
allem
Sawh-
Während im nutzerorientierten Ansatz, wie der
gen Geschäftspartnern ausgelegt, wohingegen
Creation
Hier
Name schon anklingen lässt, der Nutzer als
(Geschäfts-
zentrale Quelle von externen Informationen im
)Beziehungen ausgelegt sind. Während einige
Innovationsprozess und als „der“ Interaktions-
Open Innovation Ansätze ihren Fokus nur auf
partner angesehen wird, spielt dieser in einem
Lead User und Nutzer allgemein haben, invol-
Innovationsnetzwerk lediglich eine Rolle neben
viert Creation Nets ein viel breiteres Spektrum
einer Vielzahl verschiedener externer Quellen.
an Teilnehmern, wie z. B. spezialisierte Techno-
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Nutzer
logieanbieter, talentierte Amateure, Zulieferer
bzw. Kunde eine unbedeutende Rolle spielt.
und Kunden. 69 Hieraus wird deutlich, dass es
Auch hier sind die Bedürfnis- und Lösungsin-
auch innerhalb des Verständnisses von Innova-
formationen von Kundenseite ein sehr wichtiger
tionsnetzwerken durchaus sehr unterschiedliche
Bestandteil des Verständnisses von Open Inno-
Meinungen über die Auslegung von Open Inno-
vation. 71
vation gibt, es aber auch versucht wird sich von
Ein weiterer Unterschied liegt in der Bedeutung
den rein nutzerorientierten Ansätzen zu diffe-
von geistigem Eigentum in den verschiedenen
renzieren.
Ansätzen. Für von Hippel spielen Patente eine
Ziel des nutzerorientierten Ansatzes ist eine
untergeordnete Rolle, werden sogar als unwirk-
Annäherung an das Customer Active Paradigm,
sam angesehen bzw. er nennt Gründe für das
woraus sich auch der Hauptkritikpunkt von
free revealing 72 , also der Freigabe ohne Pfand,
Reichwald/Piller am Verständnis von Innovati-
von
onsnetzwerken ergibt, die Vernachlässigung der
Nutzerwissen, 73
wohingegen
Sawh-
ney/Prandelli das geistige Eigentum gleichmä-
Nutzer, sowie das weiterhin vorherrschende
ßig auf alle Mitglieder einer Community of Crea-
Manufacturer Active Paradigm. 70 Allerdings gibt
tion verteilt sehen, 74 was sich bei einer Kom-
es bei Innovationsnetzwerken auch jene, welche
zwischen Customer Active Paradigm und Manu-
71
72
facturer Active Paradigm einzuordnen sind. Jedoch bedeutet bei den Innovationsnetzwerken
73
69
70
Vgl. Brown/ Hagel 2006, S. 43f.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 120.
74
18
Vgl. Chesbrough 2003, S. 34ff.; Derselbe 2007, S. 57f.
Free revealing bedeutet, dass ein Innovator all seine
eigenen Informationen (geistiges Eigentum und potentielles Eigentumsrechte), freiwillig aufgibt und allen daran interessierten Parteien als öffentliches Gut zugänglich
macht (Vgl. Harhoff/ Henkel/ von Hippel 2003, S. 1753).
Vgl. Harhoff/ Henkel/ von Hippel 2003, passim; von Hippel/ von Krogh 2006, passim.
Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 25.
merzialisierung als problematisch darstellen
wie in Schweden durch den Psychologen
könnte. Daher ist das geistige Eigentum für
Kristensson, in Japan durch Ogawa oder in den
Chesbrough ein wichtiger Bestandteil von Open
Vereinigten Staaten vor allem durch Lakhani. 77
Innovation, was zur Folge hat, dass nach Mög-
Chesbrough mag zwar momentan der populärs-
lichkeit die Eigentumsrechte externer Quellen in
te Autor im Bereich der Innovationsnetzwerke
Form von Patenten oder Lizenzen an das Un-
sein, dennoch lässt sich hier nicht von einer
ternehmen gehen. 75
„Chesbrough Schule“ reden, da die verschiede-
Es gibt weitaus mehr Unterschiede im Ver-
nen Vertreter zu sehr in ihren Aussagen diver-
ständnis von Innovationsnetzwerken als bei den
gieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Pro-
nutzerorientierten Ansätzen, was zu einem gro-
zesse welche hier behandelt werden, teils schon
ßen Teil aber am breiteren Spektrum von exter-
sehr lange bekannt sind, aber auch durch die
nen Quellen liegen dürfte und den jeweiligen
unterschiedlichen Ansichten welche Prozesse
Schwierigkeiten die sich bei der Koordination mit
Open Innovation ausmachen und welche nicht,
den Unternehmen resultieren.
aber auch ob Open Innovation nur in einer
Community stattfindet oder nicht.
Für beide Ansätze gibt es eine Reihe von Autoren, wobei sich nach Meinung der Verfasser nur
Das Verständnis von Open Innovation als Inno-
für von Hippel und die Forschungsgruppe um
vationsnetzwerk hingegen ist international ver-
ihn herum der Begriff „von Hippel Schule“ ver-
breiteter. Verfechter dieses Ansatzes sind ne-
wenden lassen kann. Dies liegt vor allem daran,
ben Chesbrough u. a. Birkinshaw, Brown, Ha-
dass von Hippel mit seiner Lead User Theorie,
gel, Christensen, Dodgson, Fabrizio, Gallagher,
seinem Customer Active Paradigm, sowie seiner
Gassmann, Enkel, Kirschbaum, O’Connor, Van-
Arbeit im Bereich der Toolkits, einen nachhalti-
haverbeke, West. 78
gen Einfluss auf die Arbeiten dieser Gruppe
Folgende Abbildung dient dazu einige der
geleistet hat. Darüber hinaus besteht ein reger
Hauptunterscheidungsmerkmale der in diesem
Austausch von visiting scholars zwischen deut-
Beitrag vorgestellten Verständnisarten von O-
schen Universitäten und dem Institut von Hip-
pen Innovation zu veranschaulichen.
pels, der selbst eine zeitlang an einer deutschen
Universität war. Dies mag zum Teil auch die
Beliebtheit seines Ansatzes im deutschsprachigen Raum erklären. 76
Einige der Hauptvertreter des nutzerorientierten
Ansatz im deutschsprachigen Raum sind z. B.
Franke, Füller, Harhoff, Henkel, Herstatt, Lüthje,
77
Reichwald, Piller, Thomke und von Krogh. Aber
auch international wird diese Sichtweise geteilt,
78
75
76
Vgl. Chesbrough 2003, S. 56ff.; Derselbe 2007, passim.
Vgl. von Hippel 2005, S. ix f.; Reichwald/ Piller 2006, S.
163ff.
19
Siehe hierzu bspw. Franke/ Piller 2004; Füller/ Mühlbacher/ Rieder 2003; Lüthje/ Herstatt, 2004; Harhoff/ Henkel/
von Hippel 2003; Reichwald/ Piller 2006; Thomke/ von
Hippel, 2002; Kristensson/ Magnusson/ Matthing 2002;
Ogawa 1998; von Hippel/ von Krogh 2006; von Krogh/
Spaeth/ Lakhani 2003.
Siehe hierzu bspw. Birkinshaw/ Bessant/ Delbridge 2007;
Brown/ Hagel 2006; Christensen 2006; O’Connor 2006;
West/ Gallagher 2006; Fabrizio 2006; Vanhaverbeke
2006; Gassmann/ Enkel 2004; Kirschbaum 2005; Dodgson/ Gann/ Salter 2006.
Abb. 1: Unterschiedliche Ansichten
nition zu finden die es ermöglicht wichtige Kern-
4
Entwicklung eines Open Innovation
bereiche der erwähnten Ansätze sinnvoll zu
Verständnisses
integrieren und abschließend das Konzept Open
Innovation genauer als bisher einzugrenzen.
Aus der historischen Entwicklung offener Inno-
Warum diese Problembereiche so ausführlich
vationsprozesse, der kurzen Darstellung der
erläutert werden, lässt sich zum Beispiel an der
teils divergierenden Ansätze hierzu und der
klassischen Marktforschung leicht verdeutlichen.
neuen Bedeutung von Open Innovation erklärt
So ist die Frage, ob die standardisierte Befra-
sich die Notwendigkeit, eine einheitliche Defini-
gung der Kunden, die schon lange vor einer
tion hierzu zu finden. Doch der Versuch einen
Diskussion von Open Innovation praktiziert wur-
gemeinsamen Nenner zu finden gestaltet sich in
de, zu Open Innovation gehören sollte, gar nicht
einem solch komplexen Umfeld nicht einfach
so einfach zu beantworten wie es vielleicht auf
und wird erschwert durch die fast schon polemi-
den ersten Blick scheint. Schließlich werden hier
schen Gegenüberstellungen unterschiedlicher
auch externe Informationen für das Unterneh-
Ansätze. Von Paradigmen und im Vergleich zur
men gesammelt, um sie in den Innovationspro-
nahe liegenden Vergangenheit drastischen Veränderungen
des
Innovationsprozesses
zess einfließen zu lassen, aber ist dies ausrei-
wird
chend? Mit der folgenden Darstellung, soll es
gerne berichtet. 79 Um die Bedeutung und Mög-
möglich sein Überschneidungen mit anderen
lichkeiten von Open Innovation aufzuzeigen und
Begrifflichkeiten zu erläutern oder eindeutige
eine Basis für zukünftige Forschung zu legen,
Abgrenzungen vorzunehmen, und somit diese
bedarf es einer Revision dieses Begriffes, da es
Frage zu beantworten.
bisher, nach Meinung der Verfasser, nur unzuWie in Abschnitt 3 aufgezeigt wurde, liegt ein
reichende Definitionen gibt. Ziel ist es eine Defi-
Schwerpunkt der aktuellen Literatur bei den
79
Akteuren. Daher wird die grundlegende Frage
Siehe hierzu zum Beispiel Chesbrough 2003, passim.
20
betrachtet, welche Akteure für Open Innovation
so dass neben Bedürfnissinformationen auch
bedeutsam sind. Hier sind die Nutzer im weite-
Lösungsinformationen und implizites Wissen in
an erster Stelle zu nennen, da sie
den Innovationsprozess einfließen können. 84
wohl den größten Wandel und einen deutlich
Somit ergibt sich eine vom Unternehmen direkt
erweiterten Einflussbereich im Innovationspro-
beeinflussbare Dimension der Offenheit für ex-
ren Sinne
80
zess erfahren haben.
81
Doch im Gegensatz zu
ternen Input und eine vom Unternehmen nur
Reichwald/Piller und von Hippel dürfen andere
indirekt beeinflussbare Dimension des Ausma-
externe Quellen, wie Unternehmen der gleichen
ßes an Innovationsaktivitäten der externen
Wertschöpfungsstufe (Konkurrenz, Partner), der
Quellen. Des Weiteren kann in diesem Zusam-
vorgelagerten Wertschöpfungsstufe (Zulieferer),
menhang auch der anfangs erwähnte Bedeu-
wissenschaftliche Einrichtungen (Universitäten)
tungszuwachs von Open Innovation, im Kontext
und weitere nicht unbeachtet bleiben, da Open
moderner IuK-Technologien eingeordnet wer-
Innovation nicht nur eine Erweiterung des Lead
den. Sowohl mit steigendem Aktivitätsniveau
User Konzeptes sein sollte. Auch die Aktivitäten
von externen Quellen, als auch bei der Einbin-
mit denen sich externe Quellen in den Innovati-
dung dieser durch das Unternehmen muss auf
onsprozess einbringen können, müssen eher
technologische Entwicklungen wie Internet, Si-
umfassend betrachtet werden. Diese reichen
mulationssoftware, CAD, Virtual/ Rapid Prototy-
von der Ideenfindung und -bewertung über For-
ping und weitere zurückgegriffen werden. 85 Nur
schung und Entwicklung bis hin zur Markterpro-
durch diese wird eine breite Interaktion möglich
bung und -einführung.
82
Die externe Dimension
und Lernprozesse innerhalb und außerhalb des
umfasst also sämtliche externen Quellen und
Unternehmens werden verbessert. Abbildung 2
diese können sich mit unterschiedlicher Intensi-
stellt diese Zusammenhänge in Form eines
tät einbringen. Doch stellt dies nur eine Dimen-
Portfolios dar.
sion des Open Innovation Begriffes dar. Unser
Abb. 2: Open Innovation Portfolio
Verständnis von Open Innovation kann nur dann
vollständig erschlossen werden, wenn ein Unternehmen, in Anlehnung an Chesbroughs Betonung der Geschäftsmodelle, 83 die entsprechende Ausrichtung der Innovationsprozesse
auf externe Quellen mit sich bringt. Ein Unternehmen kann also Einflüsse von außen komplett ablehnen und dann würde auch ein vermarktungsfähiger Prototyp, der von Kunden an
Da ein Mindestmaß der Offenheit des Unter-
das Unternehmen herangetragen wird nicht von
nehmens für dieses Open Innovation Verständ-
Nutzen sein. Oder externe Quellen können aktiv
nis vorausgesetzt wird, kann die gesamte linke
gesucht, unterstützt und eingebunden werden,
Hälfte nicht dazu gehören und ist davon ausge-
80
81
82
83
Vgl. von Hippel 2005, S. 3.
Vgl. ebenda, S. 1ff.
In Anlehnung an Reichwald/ Piller 2006, S. 44.
Vgl. Chesbrough 2003, S. 63ff.; Derselbe 2006b, passim.
84
85
21
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 55ff.; Sawhney/ Prandelli
2000, S. 25ff.
Vgl. Dodgson/ Gann/ Salter 2006, passim.
gewählten Ansatz rechts oben ihren Platz.
nommen. Der eigentliche Kernbereich ist im
Quadrant rechts oben anzusiedeln. Die Intensi-
Auch die Positionen der bekannten Vertreter
tät von Open Innovation nimmt von diesem Be-
von Open Innovation Ansätzen lassen sich auf
reich ausgehend mit sinkender Innovationsakti-
dieser Basis darstellen. So deckt Chesbroughs
vität der externen Quellen schließlich stetig ab.
Verständnis von Open Innovation den gesamten
So hat zum Beispiel die Einbindung von Lead
rechten Bereich ab, da er seine Argumentation
Usern durch diese neuen Technologien eine
besonders auf die Öffnung des Unternehmens
ganz neue Qualität bekommen und das relativ
und darauf angepasste Geschäftsmodelle aus-
neue Phänomen von Online-Communities und
richtet. 88 Da Gassmann/Enkel sich größtenteils
deren betriebswirtschaftliche Nutzung sind erst
an Chesbrough orientieren sind sie ebenfalls
dadurch entstanden.
dort anzusiedeln, wie auch Rigby/Zook aufgrund
Ferner sind in Abb. 2 verschiedene Konzepte,
ihres sehr allgemein gehaltenen und dadurch
die für Open Innovation bedeutsam sind, sche-
sehr umfassenden Verständnisses. Hippel hin-
matisch angeordnet. Durch die hohe Variations-
gegen sieht die Aktivitäten des Nutzers im Vor-
vielfalt innerhalb dieser Sammelbegriffe ist es
dergrund, die durchaus auch vom Unternehmen
nicht beabsichtigt, die genauen Grenzen aufzu-
losgelöst sein können weshalb er im oberen
zeigen. Vielmehr soll eine grobe Positionierung
Bereich, jedoch weiter links als Reichwald/Piller
ermöglicht werden und das Potenzial, auch den
anzusiedeln ist, die wiederum die Integrations-
praktischen Einzelfall einordnen zu können.
leistung des Unternehmens betonen. Sawh-
Zum Beispiel zeichnen sich Lead User meist
ney/Prandelli und Brown/Hagel decken mit ihren
durch ein besonders hohes Aktivitätsniveau
Ansätzen den oberen Bereich wieder breiter ab.
aus.
86
Ob deren Ergebnisse jedoch tatsächlich
Abb. 3: Einordnungsbeispiele
vom Unternehmen genutzt werden, ist rein von
diesem abhängig und auf der gesamten Bandbreite dieser Dimension möglich. Der Vollständigkeit halber wurde in dem Zusammenhang
von Open Innovation auch der Open Source
Ansatz eingegliedert. 87 Aber da häufig in diesem
Bereich ein „reales“ Unternehmen gar nicht beteiligt ist, stellt sich die Frage, ob der gewählte
Ansatz zu rechtfertigen ist? Die Lösung dieses
Problems wird dadurch möglich, dass OSS
Communities
als
eigenständige
Non-Profit-
Unternehmen gezählt werden können, bei wel-
Sowohl die wichtigsten Ansätze als auch deren
chem die Grenzen des Unternehmens und der
Vertreter lassen sich trotz gewisser Unterschie-
externen Quellen weniger trennscharf sind. Da-
de in diesem Ansatz integrieren und auch die
mit finden solche OSS-Communities in dem
Bedeutung neuer IuK-Technologien für Open
86
87
Vgl. von Hippel 1986, S. 800ff.
Vgl. West/ Gallagher 2006, S. 91ff.
88
22
Vgl. Chesbrough 2003, S. 63ff.; Derselbe 2006b, passim.
Innovation lassen sich hiermit integrieren. Ver-
(2007):Finding, Forming, and Performing:
einfacht lässt er sich folgendermaßen zusam-
Creating Networks for Discontinuous Inno-
menfassen:
vation, in: California Management Review,
49(2007)3, S. 67-84.
Die Integration externen Wissens im Sinne von
Open Innovation erfordert somit ein Mindestmaß
Brandenburger, A. M. / Nalebuff, B. J. (1996):
an Innovationsaktivität externer Quellen, in Ab-
Coopetition: kooperativ konkurrieren – Mit
hängigkeit von der Bereitschaft eines Unter-
der
nehmens diese auch zu verwerten.
Frankfurt, New York 2008.
Spieltheorie
zum
Geschäftserfolg,
Verschiedene Aktivitäten der externen Quellen
Brown, J. S./ Hagel, J. (2006): Creation nets:
sind in der Literatur dargestellt, jedoch sollten
Getting the most from open innovation, in:
sie systematisch nebeneinander gestellt werden
McKinsey Quarterly, (2006)2, S. 40-51.
und entsprechend ihrer Eignung für verschiede-
Chandler, A. D. (1978): The Visible Hand, 2.
ne Szenarien verglichen werden. Wie diese
Aufl., Cambridge, MA, London 1978.
möglichst effizient durch das Unternehmen einChandler, A. D. (1990): Scale and Scope. The
gebunden werden können und auch welche
Dynamics of Industrial Capitalism, Cam-
Technologien dazu wie eingesetzt werden kön-
bridge, MA 1990.
nen ist unmittelbar davon abhängig. Somit bietet
dieser Beitrag auf der historisch abgeleiteten
Chesbrough, H. W. (2003): Open Innovation:
Grundlage eine gemeinsame Basis um einen
The New Imperative for Creating and Profit-
umfassenden, praktikablen Open Innovation
ing from Technology, Boston, 2003.
Prozess zu entwickeln. Die Öffnung des Unter-
Chesbrough, H. W. (2006a): Open Innovation: A
nehmens verlangt die Entwicklung von internen
New Paradigm for Understanding Industrial
Innovationsprozessen die an vorhandene Com-
Innovation, in: Chesbrough, H. W./ Van-
munity- und Lead User Konzepte angepasst
haverbeke, W./ West, J. (Hrsg.): Open In-
werden müssen und schließlich in einen Open
novation: Researching a New Paradigm.
Innovation Prozess überführt werden können.
Oxford, New York 2006, S. 1-12.
Diesbezüglich besteht weiterhin ein großer theoChesbrough, H. W. (2006b): Open Business
retischer aber vor allem empirischer For-
Models: How to Thrive in the New Innova-
schungsbedarf und dann wird Open Innovation
tion Landscape, Boston 2006.
auch noch in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Chesbrough, H. W. (2007): The Market for Inno-
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26
Kirsten Adlunger
Open Innovation – Möglichkeitspotenziale und Problemfelder offener Innovationsprozesse
1
Offene Innovationsprozesse zur Optimierung der Innovationsfähigkeit
2
Grundlagen zu Open Innovation
3
Möglichkeiten und Potenziale offener Innovationsprozesse
4
Grenzen und Problemfelder offener Innovationsprozesse
5
Fazit
1
Offene Innovationsprozesse zur
Zugang zu Lösungsinformationen 3 zu erhalten.
Optimierung der Innovationsfähigkeit
Der Innovationsprozess wird dabei für externen
Input geöffnet. In der Literatur wird diese Ent-
Die Bedeutung von Innovationen für den wirt-
wicklung als Open Innovation bezeichnet. 4
schaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist unbestreitbar. Bereits der Ökonom Schumpeter hat
Die hohe Bedeutung der Beschäftigung mit dem
1934 offen gelegt, dass die Bewegungsenergie
Themenkomplex Open Innovation ergibt sich
eines
Neuartigen
aus der starken Aktualität sowie dem Erfolgs-
stammt. 1 Daraus ergibt sich, dass Innovationen
charakter dieser neuen Innovationsform. Wäh-
als zentrale Voraussetzung für wirtschaftliches
rend in der Theorie bereits eine intensive Ausei-
Wachstum und Unternehmensprofilierung anzu-
nandersetzung mit dieser Thematik stattfindet,
sehen sind. In Zeiten schrumpfender Produktle-
ist es ebenso von Relevanz, auch die Unter-
benszyklen sowie steigenden Kundenanforde-
nehmen verstärkt in die Diskussion mit einzube-
rungen und -bedürfnissen ist es jedoch immer
ziehen, da diese in der Praxis noch am Anfang
schwieriger „echte“ Innovationen auf den Markt
des Prozesswandels stehen. Open Innovation
zu bringen. Hier können externe Akteure, insbe-
bietet für sie die Gelegenheit, absolute Wettbe-
sondere Kunden, einen echten Mehrwert für die
werbsvorteile zu erlangen, indem sie sich durch
Anbieter stiften, indem sie ihre Anregungen an
die Öffnung des Innovationsprozesses sowohl
das Unternehmen weitergeben.
Effektivitäts- als auch Effizienzvorteile verschaf-
Unternehmens
aus
dem
fen.
5
Die Kundenintegration ist jedoch kein neuer
Gedanke. Im Rahmen von Marktforschungsana-
Ein besonderer Schwerpunkt liegt in dem fol-
lysen werden ihre Bedürfnisse ermittelt, um
genden Beitrag auf den Potenzialen und Prob-
diese bei der Erstellung neuer Produkte oder
lemfeldern offener Innovationsprozesse. Wäh-
Dienstleistungen zu berücksichtigen. Allerdings
rend zunächst der Begriff Open Innovation mit
hat sich hinsichtlich der Innovationsprozesse in
seiner Entstehungsgeschichte, den beteiligten
den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. Be-
Akteuren,
sonders fortschrittliche Unternehmen ziehen
näher vorgestellt wird, werden im Hauptteil in-
Kunden sowie weitere externe Akteure heutzu-
tensiv die Möglichkeiten offener Innovationspro-
tage nicht nur zur Erhaltung von Bedürfnisinformationen
1
2
2
heran, sondern ebenso, um einen
3
4
Vgl. Schumpeter 1934, S. 116.
Bedürfnisinformationen setzen sich aus Wünschen, Präferenzen und Anforderungen aktueller sowie potentieller
Kunden an ein neues Produkt oder eine neue Leistung
5
27
Kernprozessen
und
Instrumenten
sowie an deren Leistungsfähigkeit, Qualität, Design oder
Preis zusammen.
Lösungsinformationen beinhalten Wissen zur Transformation von Bedürfnissen in ein konkretes Leistungsangebot,
wie bspw. durch den Einsatz von Wissen oder Technologien.
Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S. 24ff.; Piller
2006, S. 85ff.; Reichwald/ Piller 2006, S. 107f.
Vgl. Weiber 2007, S. 13ff.
zesse für die Unternehmens- und Kundenseite
gleich zum „Closed Innovation Paradigm“ 7 , bei
beschrieben. Darüber hinaus erfolgt eine kriti-
dem sich die Innovationstätigkeit innerhalb der
sche Betrachtung von Open Innovation, indem
unternehmenseigenen Forschungs- und Ent-
die Grenzen und Nachteile dieser Form aufge-
wicklungsabteilung (F&E) vollzieht, wird die
zeigt werden. Abschließend finden eine Zu-
Veränderung und Schwerpunktverschiebung im
sammenfassung der wesentlichen Bestandteile
Innovationsprozess deutlich. Während beim
sowie eine Darstellung der Zukunftsaussichten
Closed Innovation Modell die Unternehmens-
offener Innovationsprozesse statt.
grenzen geschlossen sind und die Innovationen
2
rein intern generiert werden, sind die Unterneh-
Grundlagen zu Open Innovation
mensgrenzen beim Open Innovation Modell
Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern,
geöffnet. Es wird Input von außen aufgenom-
erfolgt zunächst eine Vorstellung des Begriffs
men, verarbeitet und in Form neuer Produkte
Open Innovation mit seinen Kernprozessen,
auf den Markt gebracht. Es zeigt sich, dass auf
Instrumenten und Akteuren. Die beteiligten Ak-
diese Weise neue Produkte einfacher entwickelt
teure sind hierbei besonders von Bedeutung, da
und somit neue Märkte auch leichter erschlos-
sie im Hauptteil der Arbeit schwerpunktmäßig
sen werden können.
behandelt werden.
soll die Unterschiede zwischen dem Open- und
2.1 Begriffsabgrenzung
und
8
Die folgende Abbildung
Closed Innovation Modell schematisch veran-
Entwicklung
schaulichen.
von Open Innovation
Abb. 1: Closed versus Open Innovation Modell
Open Innovation stellt eine neue Form der „Arbeitsteilung“ dar, bei der externe Akteure mit in
den Innovationsprozess einbezogen werden.
Der Begriff wurde erstmals 2003 durch den
Wirtschaftswissenschaftler Chesbrough geprägt.
Gemeinsam mit Vanhaverbeke und West definierte er diesen Prozess als
„[…] the use of purposive inflows and outflows of
knowledge to accelerate internal innovation, and
Seit der Einführung des Begriffes Open Innova-
expand the markets for external use of innova-
tion hat sich dessen Definition jedoch gewan-
tion. Open Innovation is a paradigm that as-
delt. Während bei der Ursprungsdefinition die
sumes that firms can and should use external
Kunden als Bestandteil der externen Akteure
ideas as well as internal ideas”. 6
noch unberücksichtigt bleiben und nur von ei-
Es wird deutlich, dass sich der Innovationspro-
nem allgemeinen externen Input die Rede ist,
zess für externen Input öffnet und eine Verbin-
hat sich diese Sichtweise geändert. Laut Reich-
dung von internen und externen Ideen ange-
wald und Piller besteht Open Innovation über-
strebt wird, um das Innovationspotenzial zu
wiegend aus der Integration von Kundenwissen
vergrößern. Es gilt somit nicht, die bestehenden
und -aktivitäten in den Innovationsprozess. Sie
innerbetrieblichen Innovationsvorgänge abzulö-
beschreiben den Prozess als
sen, sondern diese um die Einbeziehung exter-
7
8
ner Akteure zu ergänzen. Insbesondere im Ver6
Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006, S. 1.
28
Chesbrough 2003a, S. 21.
Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S. 24ff.; Chesbrough 2003a, S. 21ff.; Chesbrough 2003b, S. 35ff.;
Chesbrough/ Vanhaverbeke/ West 2006, S. 1ff.; Open Innovaton.EU (Hrsg.) 2007, o.S.
„[…]
eine
Wertschöpfungspartnerschaft,
infolgedessen die Unternehmensgrenzen für
die
durch eine integrierte System- und Problemlö-
externen Input zu öffnen. 10
sungskompetenz charakterisiert ist. Kunden […]
Bevor die „Era of Open Innovation“ 11 angebro-
konkretisieren ihr implizites Wissen über neue
chen ist, wurden bereits ähnliche Ansätze ver-
Produktideen und Konzepte, unter Verwendung
bestimmter
Hilfswerkzeuge
des
folgt, die inhaltlich einen interaktiven Wertschöp-
Unterneh-
fungsprozess behandeln. Hier ist besonders das
mens.“ 9
„Customer-Active-Paradigm“ (CAP) von von
Darüber hinaus betont Piller, dass Open Innova-
Hippel zu erwähnen, welches ungefähr der Vor-
tion auch eine Einbeziehung weiterer externer
stellung von Open Innovation nach Reichwald
Akteure wie bspw. Universitäten, Forschungs-
und Piller entspricht. Hierbei wird der Kunde
einrichtungen oder Zulieferern im Innovations-
erstmals als Wertschöpfer und nicht nur Wert-
prozess darstellen kann. Diese Beschreibungen
empfänger betrachtet. Diesem Ansatz geht das
sind
von
„Manufacturing-Active-Paradigm“ (MAP) voraus,
Chesbrough. Essenzielle Unterschiede beste-
welches mit dem Closed Innovation Modell zu
hen in der Spezifikation der Akteure und der
vergleichen ist.
wesentlich
konkreter
als
die
Schwerpunktsetzung auf den Kunden, der expli-
12
2.2 Beteiligte Akteure
ziten Betonung einer WertschöpfungspartnerWie bei der Begriffsabgrenzung und der Darstel-
schaft, von der somit beide Seiten profitieren
lung der Entwicklung von Open Innovation be-
können, sowie der Ausweisung der übermittel-
reits herausgestellt worden ist, gelten die Kun-
ten Wissensform (implizites Wissen) und der
den als die wichtigsten Akteure bei der Integra-
dafür bereitgestellten Werkzeuge, welche den
tion in offene Innovationsprozesse. Generell
Akteuren die Einbringung ihrer Ideen und Lö-
wird jedoch zwischen drei Akteursgruppen diffe-
sungsvorschläge erleichtern.
renziert, welche im Folgenden vorgestellt werDiese beschriebene Öffnung des Innovations-
den.
prozesses, die einen Wandel von geschlosse2.2.1 Akteursgruppen
nen zu offenen Innovationsprozessen darstellt,
ist erst durch die modernen Informations- und
Eine erste Gruppe bilden die Unternehmen/
Kommunikationstechniken (IuK) ermöglicht wor-
bzw. Anbieter, die ihre Forschungsfragen der
den. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, um die
Öffentlichkeit vorstellen und externe Akteure zur
Akteure über die Problemstellung der Unter-
Problemlösung mit in den Innovationsprozess
nehmen zu informieren und umgekehrt die Bei-
einbeziehen (siehe Innocentive-Beispiel, Kapitel
träge der Akteure an die Unternehmen weiter-
3.3) oder ihr Konzept sogar gänzlich auf die
zugeben. Einhergehend mit den modernen IuK-
Innovationsbereitschaft externer Akteure abstel-
Techniken spielen verkürzte Produktlebenszyk-
len (siehe Threadless-Beispiel, Kapitel 3.1).
len, zunehmender Wettbewerbsdruck und ein
Eine zweite Gruppe bilden die Kunden bzw.
geringeres F&E-Etat eine entscheidende Rolle
Nutzer. Hier sind zum einen die Kunden zu
für die neue Entwicklung im Innovationsmana-
nennen, die aus eigenem Antrieb an ein Unter-
gement. Die Unternehmen sind zunehmend
nehmen herantreten (siehe Kitesurf-Beispiel,
gezwungen, ihre Innovationsprozesse zu opti10
mieren und vor allem zu beschleunigen und
11
9
12
Reichwald/ Piller 2006, S. 315.
29
Vgl. Burmeister/ Neef/ Linnebach 2006, S 30ff.; Enkel/
Gassmann/ Kausch 2005, S. 1ff.; vgl. Piller 2006, S.75ff.;
Reichwald/ Piller 2006, S. 117ff.
Chesbrough 2003b, S. 35.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 120ff.
Kapitel 3.1), oder jene, die sich an einem her-
Abb. 2: Anteil der Open Innovation betreibenden
stellerinitiierten Prozess beteiligen und ihre
Unternehmen in Bezug auf die beteiligten Akteu-
Ideen preisgeben.
re
Für die Unternehmen sind besonders die so
genannten „Lead User“ 13 von Bedeutung. Dies
sind besonders fortschrittliche Kunden, die in
der Lage sind, frühzeitig sowohl Bedürfnis- als
auch Lösungsinformationen für Produkte oder
2.3 Kernprozesse von Open Innovation
Dienstleistungen zu generieren, die für den
Großteil der Kunden erst sehr viel später rele-
Die Identifizierung der Kernprozesse von Open
vant werden. Im Rahmen von Open Innovation
Innovation geht auf die Wirtschaftswissenschaft-
versucht das Unternehmen gezielt, diese Pio-
ler Enkel und Gassmann zurück. Die folgende
nierkunden zu analysieren, um von deren Ideen
Abbildung gibt zunächst einen Überblick über
und Lösungsvorschlägen zu profitieren.
die verschiedenen Prozesse, die in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben werden.
Eine letzte Gruppe stellen schließlich die unab-
Abb. 3: Kernprozesse von Open Innovation
hängigen Akteure dar. Zu diesen zählen bspw.
Experten, unabhängige Forschungseinrichtungen oder auch Universitäten. 14
2.2.2 Anteile der Open Innovation betreibenden Unternehmen hinsichtlich der Akteursgruppen
Franke,
Leiter
der
Unternehmensstudie
„Top100“ bezeichnet externe Akteure allgemein
als „unverzichtbare Ideengeber“ 15 . Die Ergebnisse seiner Studie haben ergeben, dass Kunden bei den Kooperationen an erster Stelle stehen, wie auch aus der nachstehenden Tabelle
hervorgeht. Darüber hinaus wird ersichtlich,
1) Der Outside-In-Prozess zielt auf die Erweite-
dass der geringste Wissensaustausch mit Wett-
rung der internen Wissensbasis durch den Ein-
bewerbern erfolgt. 16
bezug externen Wissens ab. Neben der Integration des Know-hows kann auch ein aktiver
Transfer von Technologien stattfinden. Beispiele
hierfür sind unter anderen Forschungskooperationen mit anderen Unternehmen, der Zukauf
von Lizenzen für technische Lösungen, die in
anderen Unternehmen bereits angewendet werden oder auch die Umsetzung neuer Kundenideen.
13
14
15
16
2) Als Inside-Out-Prozess wird die Externalisie-
von Hippel 1988, S. 102.
Vgl. Gaul/ Gastes 2007, S. 6ff.; Piller 2006, S. 89ff.; von
Hippel 1988, S. 11ff.
Franke 2007, o.S.
Vgl. Franke 2007, o.S.
rung internen Wissens bezeichnet. Dies geschieht beispielsweise in Form von Lizenzierun30
gen oder durch den Verkauf von Produkten oder
Ideen entwickelt werden sollen, einzubinden.
Technologien an andere Unternehmen.
Die Identifikation selbst erfolgt durch gezielte
Suchverfahren, wie beispielsweise dem Scree-
3) Unter dem Coupled-Prozess wird letztlich
ning 19 oder Pyramiding 20 .
eine Verknüpfung der beiden erstgenannten
Formen verstanden. Er dient besonders der
Als Toolkits for Open Innovation werden meist
gemeinsamen Entwicklung von Produkten und
internetgestützte Instrumente bezeichnet, die
ist daher durch ein gegenseitiges „Geben und
dem Kunden bzw. Nutzer die Möglichkeit offerie-
17
gekennzeichnet, bei dem besonders
ren, seine Bedürfnisse in neue Konzepte zu
die komplementären Fähigkeiten der beteiligten
übertragen. Die Handlungen erfolgen dabei
Unternehmen gefordert werden. Er wird vor
jedoch in einem von dem Hersteller vorgegebe-
allem in Form von strategischen Allianzen, Joint
nen Lösungsraum.
Nehmen“
Ventures oder Innovationsnetzwerken prakti-
Ideen- oder Innovationswettbewerbe dienen
ziert.
der Generierung von Input in den frühen Phasen
Bei Betrachtung dieser Kernprozesse, stellt sich
des Innovationsprozesses. Es ist ein Aufruf ei-
die Frage, inwiefern die hier vorgestellten Pro-
nes Unternehmens an die Allgemeinheit oder
zesse und Kooperationen einen Unterschied zu
eine spezielle Nutzergruppe, themenbezogene
herkömmlichen Kooperationsformen darstellen.
Beiträge innerhalb einer bestimmten Zeitspanne
Hier sei erwähnt, dass der wesentliche Unter-
einzureichen. Die von der Unternehmung oder
schied darin besteht, dass die Kooperationen
von einer Community am besten bewerteten
von Open Innovation im Gegensatz zu traditio-
Beiträge werden schließlich prämiert. Das Un-
nellen Kooperationsformen neben dem Erhalt
ternehmen kann die Anregungen aufgreifen und
von Bedürfnisinformationen besonders auf den
in die eigene Entwicklung integrieren.
Erhalt
sind.
von
Lösungsinformationen
bedacht
Communities of Open Innovation zielen auf
18
die Generierung und Bewertung von Ideen in
einer virtuellen Gemeinschaft ab. Wesentliche
2.4 Instrumente von Open Innovation
Aspekte einer Community liegen in der Beo-
Nachdem erläutert wurde, dass beim Open In-
bachtung der Beiträge der anderen Mitglieder,
novation Prozess eine Integration von außen
stammender
Ideen
und
der gegenseitigen Hilfestellung und Unterstüt-
Lösungsvorschläge
zung sowie der gemeinsamen Weiterentwick-
erfolgt, ist zu klären, auf welche Art und Weise
lung. Dabei stützt sich das Instrument auf die
die Unternehmen den Akteuren ihre Beteiligung
These, dass eine Gemeinschaft mehr produktive
erleichtern, wie sie den Input aufnehmen und
Ideen hervorbringt als ein Individuum.
letztlich in ihre betrieblichen Abläufe einsetzen.
21
Für diese Zwecke verwendet das Unternehmen
verschiedene Instrumente, die im Folgenden
19
kurz vorgestellt werden.
Die Lead User Analyse zielt darauf ab, innovative Nutzer zu identifizieren und diese in Innova-
20
tionsworkshops, bei denen Vorschläge und
17
18
Enkel/ Gassmann 2006, S. 7ff.
Vgl. Enkel/ Gassmann 2006, S. 7ff.; Enkel/ Gassmann, S.
6ff.; Gaul/ Gastes 2007, S. 7f.
21
31
Das Screening ist ein Suchverfahren, bei dem einer repräsentativen Stichprobe bzw. einer Grundgesamtheit ein
umfangreicher, komplexer Fragebogen zu den Merkmalen
innovativer Kunden vorgelegt wird, anhand dessen die
Auswahl erfolgt.
Das Pyramiding ist ein Suchverfahren, das auf der Existenz sozialer Netzwerke beruht. Es findet eine Befragung
eines beliebigen Mitgliedes dieses Netzwerkes statt. Dieses soll eine Empfehlung geben, welches andere Mitglied
aus dessen Sicht die Kriterien eines innovativen Nutzers
erfüllt.
Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 7; Reichwald/
Piller 2006, S. 155ff.
3
Möglichkeiten und Potenziale offener
(Sport, Hobby, etc.), erkennen sie teilweise
Innovationsprozesse
schneller spezifische Bedürfnisse und versuchen für deren Realisierung eine Lösung zu
Die neue Innovationsstrategie Open Innovation
finden, die sie dann an das Unternehmen wei-
hat sich als ein Bestandteil des Innovationsma-
tergeben. Dies lässt sich am Beispiel der Kite-
nagements bei den Top-Unternehmen inzwi-
Surf-Entwicklung gut verdeutlichen. Die Trend-
schen zu einem durchschlagenden Erfolg entwi-
sportart Kitesurfen ist ursprünglich von experi-
ckelt. Dies belegen die Ergebnisse der Unter-
mentierfreudigen Surfern ins Leben gerufen
nehmensvergleichsstudie „Top 100“. Es wurde
worden, die das Drachenfliegen mit dem Surfen
festgestellt, dass sich die Unternehmen unter
kombinierten, um auf diese Weise höhere und
anderem durch das Öffnen des Innovationspro-
weitere Sprünge ausführen zu können. Einige
zesses nachhaltige Wettbewerbsvorteile ver-
der begeisterten Sportler haben „Innovation
schafft haben. 22 Auf welche Art und Weise die
Communities“ gegründet, in denen die Mitglie-
Unternehmen sowie die externen Akteure von
der mit Hilfe einer speziellen Software neue
Open Innovation profitieren, ist Gegenstand der
Designs für Drachensegel erarbeiten und wei-
folgenden Ausführungen.
terentwickeln lassen können. In diesen Commu-
3.1 Unternehmens- bzw. anbieterspezifische
nities treffen häufig eine Vielzahl unterschiedli-
Potenziale
cher Akteure mit diversifizierten Talenten und
Allgemein bietet diese neue Innovationsstrategie
Fähigkeiten aufeinander, so dass am Ende eine
den Unternehmen die Chance, eine Reihe von
bemerkenswerte Anzahl an produktiven Ent-
Wettbewerbsvorteilen zu erlangen. Ein wesentli-
wicklungen entsteht. Für die letztendliche Her-
cher Aspekt ist der Zugang sowohl zu Bedürfnis-
stellung des Produktes treten die Kunden häufig
wie auch insbesondere zu Lösungsinformatio-
an die Kite-Surf-Industrien heran. Das Unter-
nen, wie er allein durch die klassische Marktfor-
nehmen profitiert von dem Engagement der
schung nicht möglich wäre. Die Bedürfnisinfor-
Entwickler, da in ihren eigenen F&E-Abteilungen
mationen werden von Reichwald und Piller auch
meistens nur wenige Mitarbeiter mit einem stär-
als „sticky information“ 23 bezeichnet. Sticky be-
ker
begrenzten
25
Kenntnisstand
beschäftigt
Mit diesem intensiven Wissens- und
deutet in diesem Zusammenhang, dass der
sind.
Zugang zu diesen Informationen „klebrig“ bzw.
Lösungstransfer geht die Verbesserung von vier
schwer zugänglich ist. Die Ursache hierfür liegt
Erfolgskennziffern des Unternehmens einher,
in der Erscheinungsform der Bedürfnisinformati-
die die Wettbewerbsfähigkeit enorm stärken:
onen, welche meist in Form von implizitem Wis-
Zum einen sei die Verkürzung der Entwick-
sen (unartikuliert, unbewusst) vorliegt. Toolkits
lungszeit (oder auch Reduzierung der Time-
können hier bspw. als Hilfestellung dienen, um
to-Market) erwähnt. Durch die Arbeitsteilung
das implizite Wissen der Kunden zu konkretisie-
und das „Outsourcen“ bestimmter Wertschöp-
ren und dem Unternehmen leichter zugänglich
fungsaufgaben an externe Akteure werden
zu machen.
24
langwierige Iterationen 26 zwischen dem Hersteller und dem Kunden vermieden. Bei Open Inno-
Da Kunden sich oftmals mit einer Thematik aus
eigenem Antrieb intensiv auseinandersetzen
25
26
22
23
24
Vgl. Franke 2007, o.S.
Reichwald/ Piller 2006, S. 57.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 57f.
32
Vgl. Piller 2006, S. 85ff.; von Hippel 2005, S. 103ff.
Ein iteratives Verfahren ist durch zahlreiche Feedbackschleifen und Veränderungen gekennzeichnet bis das
gewünschte Produkt hergestellt ist, wodurch ein erheblicher Zeitaufwand eintritt.
vation wird diese zeitraubende Suche nach
Des Weiteren ist die Steigerung des Neuig-
Ideen und Lösungen zusätzlich an Außenste-
keitsgrades (oder Erhöhung des New-To-
hende übertragen. Die Ausführung kann dabei
Market) von elementarer Bedeutung. Während
von der reinen Ideengenerierung über Lösungs-
traditionelle Herstellerinnovationen häufig Wei-
konzepte bis hin zu fertigen Prototypen reichen.
terentwicklungen und Verbesserungen sind,
Diese Zeiteinsparung verhilft dem Unternehmen
zeichnen sich Nutzerinnovationen in der Regel
dazu, seine Innovationen schneller auf den
eher durch „funktional neue Innovationen“ 27 aus.
Markt zu bringen, wodurch die Chance besteht,
Für das Unternehmen bedeuten solche innova-
größere Marktanteile zu erhalten. Besonders in
tiven Produkte häufig einen starken Imagege-
Zeiten sich stetig verkürzender Produktlebens-
winn. 28
zyklen gewinnt die Reduzierung der Entwick-
Nicht zuletzt kann ein intensiv betriebener Open
lungszeiten zusehends an Bedeutung.
Innovation Prozess auch zu einer Verbesserung
Neben der Reduktion der Entwicklungszeit tritt
des Custom-Relationship-Managements (CMR)
auch eine Kostensenkung (oder Reduktion
beitragen. Dieses Management ist durch eine
der Cost-to-Market) ein. Diese ist ebenfalls
meist IT-unterstützte Geschäftsstrategie ge-
durch die Übernahme bestimmter oder aller
kennzeichnet, bei der lang anhaltende und profi-
Aufgaben eines Innovationsprozesses durch
table Kundenbeziehungen angestrebt werden. 29
externe Akteure bedingt und ist besonders ef-
Teilweise stellen die Unternehmen ihr Ge-
fektiv, wenn die Innovationstätigkeiten über die
schäftsmodell auch gänzlich auf die Innovati-
Ideenfindung hinausgehen, bspw. wenn Kunden
onsbereitschaft externer Akteure ab, wodurch
einen ersten Prototyp entwickeln und in die da-
die obigen Vorteile verstärkt werden. Dies lässt
für benötigten Ressourcen investieren. Durch
sich am Beispiel der Online-Unternehmung
die Senkung der Kosten für F&E wird schließlich
Threadless verdeutlichen, welche moderne T-
die Rentabilität eines Produktes gesteigert so-
Shirts vertreibt. Das Prinzip des Unternehmens
wie die Wirtschaftlichkeit und das Wachstum
basiert auf den extremen Einbezug potenzieller
eines Unternehmens langfristig gesichert.
Kunden und Nutzer. Diese designen mit einer
Ein weiterer Vorteil ist die Erhöhung der Markt-
von dem Betrieb zur Verfügung gestellten Soft-
akzeptanz
Fit-To-
ware T-Shirts nach ihren persönlichen Vorstel-
Market). Da die Kunden selbst an der Gestal-
lungen und Ideen. Im nächsten Schritt lassen
tung der neuen Produkte beteiligt sind, wird ein
die „Designer“ ihre Entwürfe von den übrigen
besserer „Fit“ zwischen den Nutzerbedürfnissen
Mitgliedern der Community bewerten. Die am
und den Produkteigenschaften hergestellt, wo-
besten prämierten Modelle werden schließlich
durch auch die Unsicherheit eines Flop-Risikos
produziert. Die Designer, deren T-Shirts tatsäch-
des Unternehmens von Vorneherein reduziert
lich gedruckt werden, erhalten eine Prämie von
wird, vor allem wenn die Einbeziehung in der
2.000 Dollar. Die Kunden übernehmen bei die-
frühen Phase des Innovationsprozesses erfolgt.
sem
Darüber hinaus resultieren aus einem den Kun-
somit die Gestaltung und auch die Werbung
denbedürfnissen bestmöglich entsprechendem
(Erstellung von persönlichen Fotos für den Onli-
(oder
Steigerung
des
gemeinsamen
Wertschöpfungsprozess
Produkt eine positive Kaufeinstellung und eine
höhere Zahlungsbereitschaft.
27
28
29
33
Reichwald/ Piller 2006, S. 153.
Vgl. Kuhlen 2006, S. 17.; Reichwald/ Piller 2006, S. 150ff.;
Work.Innovation (Hrsg.) 2007, o.S.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 155.
ne-Katalog), das Unternehmen die Herstellung
den jeweiligen Motivationen, welche sich in
und den Verkauf. Die einzelnen Abläufe von der
extrinsische und intrinsische Motive unterteilen
Idee bis zum fertigen Produkt werden in der
lassen. 33
folgenden Abbildung veranschaulicht. 30
Extrinsische Motive sind solche, die durch die
Abb. 4: Schematische Darstellung der Kunden-
Belohnung einer Tätigkeit befriedigt werden.
integration bei Threadless
Dabei stellen nicht nur monetäre Leistungen
eine Belohnung dar, sondern häufig auch die
Erwartung der Kunden eine Produkt- oder
Dienstleistungsinnovation selbst nutzen zu können. Piller bezeichnet dies auch als „[…] Streben nach dem bestmöglichen Produkt zur Eigennutzung“ 34 . Des Weiteren stellen auch mo-
Das Geschäftsmodell lässt sich als sehr erfolg-
netäre oder materielle Gegenleistungen, wie
reich bezeichnen, wie die folgenden Zahlen
bspw. Rabatte, Gratisprodukte oder freiwillige
belegen: Das Unternehmen weist inzwischen
Zahlungen des Unternehmens Belohnungen
eine Community von mehr als 400.000 Mitglie-
dar. Teilweise treten die Kunden auch von
dern auf, die bereits über 120.000 Designs ein-
selbst an ein Unternehmen heran, da eine ge-
gereicht haben. Von diesen sind bisher ungefähr
meinsame Entwicklung für sie günstiger ist als
550 gedruckt worden. Neben dieser großen,
eine komplette Eigenproduktion.
aktiven Community sprechen auch die Umsatzzahlen für das Unternehmen. Allein im Jahr
Eine besondere Rolle bei den extrinsischen
2006 lagen die Umsätze der Firma bei rund 15
Motiven, aus denen sich Potenziale für den Kun-
Millionen Dollar mit gut 1,2 Millionen verkauften
den bzw. Nutzer ableiten lassen, spielen letztlich
T-Shirts. Die Ausschichten für die Zukunft be-
die sozialen Belange oder auch „personal
trachten die Unternehmer ebenfalls als sehr
needs“ 35 der Akteure. Sie treten auf, wenn die
Erfolg versprechend.
Handlungen der Akteure durch andere beein-
31
flusst werden oder selbst auf andere Personen
3.2 Kunden- bzw. nutzerspezifische
Einfluss nehmen. Dies ist bspw. in Communities
Potenziale
der Fall, in denen die Beiträge und Aktionen
Nachdem die Potenziale auf der Unternehmer-
gegenseitig beobachtet und bewertet werden.
seite aufgezeigt worden sind, stellt sich die Fra-
Für den Kunden ergeben sich hier überwiegend
ge, welchen Nutzen die Kunden von Open Inno-
die Möglichkeiten der Anerkennung, Aufmerk-
vation haben. Dabei ist besonders erstaunlich,
samkeit und Selbstentfaltung. Aber auch die
dass Kunden dem Hersteller ihre Ideen oder
Aussichten auf eine Anstellung oder die Erlan-
sogar fertigen Prototypen teilweise ohne jede
gung eines vorteilhaften Rufes kann dieser Ka-
vermeintliche Gegenleistung überlassen. Dieser
tegorie zugeordnet werden.
Vorgang wird auch als „free revealing“
32
be-
Als intrinsische Motive werden Motive be-
zeichnet. Die Gründe für dieses Handeln und
zeichnet, die durch die Tätigkeit an sich befrie-
die Möglichkeiten und Potenziale, die sich für
digt werden. Die Aufgabe wird somit aus Freude
die Kunden und Nutzer ergeben, resultieren aus
30
31
32
bzw. um ihrer selbst Willen ausgeführt. Im Vor-
Vgl. Openeur (Hrsg.) 2007, o.S.; Reichwald/ Piller 2006,
S. 2f.; Threadless (Hrsg.) 2007, o.S.
Vgl. Krisch (Hrsg.) 2008, o.S.
Henkel 2004, S. 12.
33
34
35
34
Vgl. Henkel 2004, S. 12f.; von Hippel 2005, S. 77ff.
Piller 2006, S. 93.
Hars/ Ou 2002, S. 25.
dergrund steht dabei das „Interaktionserleb-
4
36
nis“ , welches sich durch ein Gefühl von Spaß,
Grenzen und Problemfelder offener
Innovationsprozesse
Kreativität, Erkundung und Kompetenz ausDas vorangegangene Kapitel zeigte, dass die
zeichnet. Dabei zählen nicht nur der Spaß an
Öffnung des Innovationsprozesses die Leis-
der Aktivität selbst, sondern auch der Kontakt zu
tungsfähigkeit des Unternehmens optimieren
„Gleichgesinnten“ und die Freude am sozialen
und darüber hinaus auch bei den Kunden und
Austausch (bspw. in Communities). Teilweise
unabhängigen Akteuren eine Vielzahl an positi-
bieten nutzerfreundliche und interessant gestal-
ven Nutzen hervorrufen kann. Jedoch ist Open
tete Toolkits, wie z.B. bei Threadless dem Nut-
Innovation sowohl auf der Anbieter- als auch auf
zer auch die Möglichkeit zum Zeitvertreib oder
der Nutzerseite mit einer Reihe von Problemen
die Gelegenheit für „Spielereien“. 37
und Nachteilen verbunden, welche im Folgen3.3 Potenziale unabhängiger, externer
den kritisch betrachtet werden. Reichwald und
Akteure
Piller bezeichnen die aus den Nachteilen poten-
Bei den unabhängigen Akteuren (bspw. Exper-
ziell resultieren Grenzen auch als die „Grenzen
ten) ist besonders ein Zusammenwirken der
der grenzenlosen Organisation“ 40 .
sozialen und monetären Beweggründe im Be-
4.1 Nachteile und Probleme auf der
reich der extrinsischen Motive festzustellen. Die
Unternehmerseite
sozialen Motive bzw. Möglichkeiten lassen sich
Die Beschäftigung mit dem Themenfeld Innova-
anhand der Beobachtung von Communities
tion lässt einige Innovationsbarrieren deutlich
ausmachen. Neben dem Streben nach Aner-
werden, welche die Innovationen auf der Unter-
kennung, Aufmerksamkeit und Profilierung ist
nehmerseite verhindern, verzögern oder umfor-
hier auch die moralische Verpflichtung zur ge-
men. In Anlehnung an die von Mirow, Hölzle und
genseitigen Hilfeleistung und Unterstützung bei
Gemünden vorgestellten allgemeinen Innovati-
der Problemlösung von Bedeutung. Die Hoff-
onsbarrieren werden im Folgenden die Hinder-
nung auf monetäre Leistungen lässt sich am
Beispiel der Innovationsplattform „Innocentive“
nisse und Grenzen offener Innovationsprozesse
38
von diesen abgeleitet. Dabei liegt der Ursprung
verdeutlichen. An diesem virtuellen Ort werden
von hinderlichen Barrieren sowohl im externen
Unternehmen und Forscher anonym zusam-
Bereich (Marktkräfte, politische Regelungen,
mengebracht. Die Unternehmen können hier
Widerstandsgruppen, etc.) als auch im internen
ihre Forschungsfragen veröffentlichen und die
Bereich (Eigenschaften der Organisation, des
Nutzer sich per Selbstselektion aussuchen, wel-
Managements und der Mitglieder der Organisa-
che Aufgaben sie lösen möchten. Der Anreiz zur
tion). In den folgenden Ausführungen wird der
Teilnahme ist das hohe Preisgeld. Für den Er-
Schwerpunkt auf die internen Barrieren gesetzt,
finder der schnellsten und besten Lösung wartet
da diese von der Unternehmung beeinflusst
eine Prämie zwischen 10.000 und 100.000 Dollar.
werden können.
39
Hier seien zunächst die Willensbarrieren bzw.
Motivationsprobleme der Mitarbeiter eines Un36
37
38
39
Reichwald/ Piller 2006, S. 75.
Vgl. Hars/ Ou 2002, S. 26ff.; Piller 2006, S. 93ff.; Reichwald/ Piller 2006, S. 75
Der Name setzt sich aus den Wörtern Innovation und
incentive (Anreiz) zusammen.
Vgl. Innocentive (Hrsg.) 2007, o.S.; Piller 2006, S. 95.;
Reichwald/ Piller 2006, S. 96f.
ternehmens erwähnt. Diese äußern sich darin,
dass die Mitglieder einer Organisation sowohl
40
35
Reichwald/ Piller 2006, S. 39.
unbewusst als auch gezielt (bspw. durch Mani-
ganisation sowie das Unternehmen selbst ne-
pulation) die Innovationstätigkeit hemmen an-
ben Fachkompetenzen auch Interaktionskompe-
statt zu fördern. Die Gründe hierfür sind vielfäl-
tenzen bzw. -infrastrukturen aneignen. 44
tig. Durch den Einbezug externer Akteure sehen
Unter der Interaktionskompetenz von Open In-
die Mitarbeiter die Gefahr, entbehrlich zu wer-
novation werden die gesamten Kompetenzen
den und dadurch im schlimmsten Fall ihren Ar-
und Fähigkeiten verstanden, die für ein Unter-
beitsplatz zu verlieren. Darüber hinaus halten
nehmen notwendig sind, um die Prinzipien von
Individuen gerne am „berechenbaren Status
Open Innovation erfolgreich anwenden zu kön-
Quo“ 41 fest, welcher ihnen ein Gefühl der Si-
nen. Dazu zählen insbesondere interaktionsför-
cherheit vermittelt. Diese Sicherheit kann beim
derliche Organisationsstrukturen, wie spezifi-
Öffnen des Innovationsprozesses verloren ge-
sche Kommunikations-, Anreiz- und Ablaufstruk-
hen, da die Öffnung mit einigen Veränderungen
turen. Wesentliche Aspekte sind hierbei unter
im Unternehmensablauf und in der Organisati-
anderem die unter Kapitel 2.4 aufgeführten In-
onsstruktur verbunden ist. Des Weiteren sehen
strumente sowie die Gewährleistung der Modu-
es die Mitarbeiter häufig als Schwäche an, Hilfe
larität und Granularität 45 der Teilaufgaben. Die
von außen einzuholen und bevorzugen es ei-
Schaffung einer solchen Interaktionskompetenz
genständig F&E zu betreiben anstatt externe
ist neben dem hohen Aufwand, der sich aus den
Beiträge aufzunehmen und weiter zu verwerten.
oben beschriebenen Anforderungen ergibt, mit
Diese Aspekte werden in der Literatur als „Not
Invented Here (NIH)-Syndrom“
42
hohen Kosten verbunden, welche sich aus den
bezeichnet. 43
internen und externen Transaktionskosten 46
Ebenfalls großen Einfluss kann die Organisati-
zusammensetzen. Die internen Transaktions-
onsstruktur und -koordination auf die Innovati-
kosten beinhalten dabei unter anderem Ausga-
onsfähigkeit
ausüben.
ben für die Granularität und Modularität der
Beispiele hierfür sind unter anderem zu starke
Teilaufgaben, die Qualitätskontrolle der Beiträge
Formalisierungen, welche Offenheit und innova-
und die Integration des Inputs. Besonders da es
tives Verhalten beeinträchtigen oder Koordinati-
sich bei der Wissensübermittlung der Bedürfnis-
onsprobleme, die die Kommunikation erschwe-
informationen, wie bereits erwähnt, meistens um
ren. Insbesondere bei offenen Innovationspro-
„sticky information“ bzw. implizites Wissen han-
zessen ist die Anzahl der beteiligten Personen
delt, kann die notwendige Umwandlung in eine
größer als bei geschlossenen Innovationspro-
geeignete Form so kostspielig und aufwändig
zessen, sodass auch die Zahl der notwendigen
sein, dass sich der interaktive Prozess für das
Interaktionen und dadurch wiederum das Poten-
Unternehmen nicht rentiert. Bei den externen
zial für Missverständnisse zunimmt. Darüber
Transaktionskosten fallen Ausgaben für die
hinaus
Kommunikationsaufwand
Erstellung der verschiedenen Instrumente (z.B.
durch die einzelnen Schritte der Integration der
Lead User Analysen, Toolkits) sowie für die
externen Akteure (Aufnahme, Bewertung, Ver-
Schaffung von Anreizstrukturen und Aufwands-
eines
steigt
der
Unternehmens
arbeitung und Exploitation der Beiträge). Um
dieses Problem zu bewältigen, ist es von großer
44
Bedeutung, dass sich die Mitarbeiter einer Or-
45
41
42
43
Mirow/ Hölzle/ Gemünden 2007, S. 115.
Platt 2007, S. 41.
Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 4ff .; Mirow/
Hölzle/ Gemünden 2007, S. 114ff.; Platt 2007, S. 40f.
46
36
Vgl. Mirow/ Hölzle/ Gemünden 2007, S. 116ff.; Schweizer
2007, S. 25f.
Zerlegung der Aufgaben in kleine, lösbare Einzelaufgaben, sodass der Akteur die Möglichkeit hat, sich kleine
Teilbereiche, je nach eigener Motivation und Befähigung,
frei auszusuchen.
Unter internen/ externen Transaktionskosten werden die
Kosten verstanden, die bei der Nutzung der Organisation/
des Marktes als Koordinationsinstrument anfallen.
entschädigungen für die Akteure an. Zwischen
ist als die entstehenden Kosten und der Auf-
diesen beiden Kosten zeigt sich ein Trade-Off,
wand. Der Nutzen kann, wie in Kapitel 3.2 und
der auch die Grenzen von Open Innovation be-
3.3 gezeigt wurde, sehr vielfältig sein (Spaß an
schreibt. Denn je besser sich eine Aufgabe in
der Problemlösung, monetäre Gegenleistungen,
kleine Teilbereiche gliedern lässt, desto einfa-
Freude am sozialen Austausch, etc.). Da sich
cher kann ein größerer Aufgabenumfang zu
dieses Kapitel jedoch mit den Nachteilen be-
geringeren externen Kosten realisiert werden
fasst, gilt es im Folgenden den Aufwand und die
(es sind bspw. weniger Anreize oder Belohnun-
Kosten aufzuzeigen, die für die Akteure anfallen
gen notwendig). Bei einer hohen Anzahl an Bei-
und diese gegebenenfalls von ihrer Beteiligung
trägen steigt jedoch die innerbetriebliche Koor-
abhalten. Die Kosten werden dabei in Interakti-
dination, sodass hohe interne Kosten entstehen.
onskosten, psychologische und monetäre Kos-
Es ist schwierig, einen optimalen Grad zwischen
ten unterteilt und werden somit von den Akteu-
diesen Kosten zu erreichen. Die folgende Abbil-
ren nicht zwangsläufig als finanzielle Aufwen-
dung zeigt die negative wechselseitige Bezie-
dungen wahrgenommen.
hung zwischen den beiden Kostenformen.
47
Unter den Interaktionskosten werden Zeitein-
Abb. 5: Trade-Off zwischen internen und exter-
satz und Aufwand zusammengefasst. Sind die
nen Transaktionskosten
Beteiligungsschritte für den Kunden oder unabhängigen Nutzer zu zeitintensiv, komplex und
aufwändig, entscheidet sich der Akteur möglicherweise gegen eine Teilnahme.
Während die Interaktionskosten rational abgewogen werden, geschieht die Abwägung der
psychologischen Kosten emotional auf Basis
der wahrgenommenen Risiken. Hier können
Anhand der Ausführungen wurde deutlich, dass
eine Vielzahl verschiedenster Risiken auftreten
mit der Einführung offener Innovationsprozesse
und wahrgenommen werden: psychologisches
eine Reihe von Problemen einhergehen, die im
Risiko (Stress), soziales Risiko (Angst, sich zu
Zweifelsfall eine Grenze für Open Innovation
blamieren), physisches Risiko (Verletzungsge-
darstellen können. Im Folgenden soll erläutert
fahr bei Produkttests), Leistungsrisiko (Unsi-
werden, welche Nachteile und Probleme auf
cherheit, ob das Engagement zum gewünschten
Seiten der externen Akteure auftreten.
Ergebnis führt), finanzielles Risiko (zu geringer
Anreiz seitens des Unternehmens, kein An-
4.2 Nachteile und Probleme seitens der
spruch auf Urheberrechte), Zeitrisiko (Befürch-
externen Akteure
Externe Akteure 48 nehmen nur am Open Inno-
tung, Zeit zu verschwenden).
vation Prozess teil, wenn der Nutzen, den sie
Letztlich können noch die real auftretenden,
sich von ihrer Beteiligung versprechen, größer
monetären Kosten eine Barriere darstellen.
Diese sind besonders dann beträchtlich, wenn
47
48
die Nutzer bspw. hohe Investitionen in die Er-
Vgl. Enkel/ Gassmann/ Kausch 2005, S. 4ff.; Reichwald/
Piller 2006, S.81ff.
Die Kunden bzw. Nutzer und die unabhängigen Akteure
werden in diesem Abschnitt gemeinsam behandelt und zu
den externen Akteuren zusammengefasst, da zwischen
den Gruppen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich
der Probleme existieren.
stellung eines Prototyps tätigen müssen. 49
49
37
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 147f.
5
keit und die Form einer Öffnung für sich ent-
Fazit
scheiden muss.
Abschließend ist festzuhalten, dass Open Inno-
Literaturverzeichnis
vation eine Innovationsstrategie ist, die sowohl
effektiv als auch effizient sein kann und den
Burmeister, K./ Neef, A./ Linnebach, P. (2006):
Unternehmen dadurch zu wertvollen Wettbe-
Innovation im Kontext: Ansätze zu einer of-
werbsvorteilen verhelfen kann. Wie am Beispiel
fenen Innovationsstrategie, in: Drossou, O./
der Unternehmensvergleichsstudie „Top 100“
Krempl, S./ Poltermann, A. (Hrsg.): Die wun-
verdeutlicht wurde, weisen so gut wie alle der
derbare Wissensvermehrung, Wie Open In-
prämierten Betriebe einen fortschrittlichen, ge-
novation unsere Welt revolutioniert, Hanno-
öffneten Innovationsprozess auf, worin sich der
Erfolgscharakter
dieser
ver, S. 24-33.
Innovationsstrategie
Chesbrough, H. W. (2003a): Open Innovation:
widerspiegelt. Neben dem Zugang zu Bedürfnis-
The New Imperative for Creating and Profit-
informationen erhalten die Unternehmen auch
ing from Technology, Boston.
einen erleichterten Zugang zu Lösungsinformationen aus der Kundendomäne. Darüber hinaus
Chesbrough, H. W. (2003b): The era of open
können Entwicklungszeit und -kosten reduziert
innovation, in: Sloan Management Review,
werden sowie eine erhöhte Marktakzeptanz des
44(2003) S. 35-41.
Produktes oder der Dienstleistung wie auch ein
Chesbrough, H. W./ Vanhaverbeke, W./ West,
höherer Neuigkeitsgrad der Innovation erreicht
J.(2006): Open Innovation: Researching an
werden. Für die Kunden und unabhängigen
New Paradigm, Oxford, New York.
Akteure eröffnen sich eine Reihe von MöglichEnkel, E./ Gassmann, O. (2006): Open Innovati-
keiten im Bereich des intrinsischen, extrinsi-
on: Externe Hebeleffekte in der Innovation
schen und sozialen Nutzens.
erzielen, St. Gallen.
Um die Öffnung des Innovationsprozesses jeEnkel, E./ Gassmann, O. (2005): Open Innovati-
doch erfolgreich umzusetzen, müssen seitens
des Unternehmens einige Voraussetzungen
on Forschung, Forschungsfragen und erste
erfüllt werden. Hierzu gehören bspw. die Granu-
Erkenntnisse, St. Gallen.
larität und Modularität der Aufgaben für den
Enkel, E./ Gassmann, O./ Kausch, C. (2005):
Kunden sowie die Schaffung einer Interaktions-
Einbeziehung des Kunden in einer frühen
kompetenz.
Phase des Innovationsprozesses, St. Gallen.
Aufgrund der Erfolgsaussichten und der praxis-
Franke, N. (2007): Die 100 innovativsten Unter-
nahen Relevanz ist dem Open Innovation Pro-
nehmen im Mittelstand: URL:
zess eine starke zukunftsträchtige Bedeutung
<http://www.top100.de/documents_top100/ak
zuzuschreiben. Es bleibt jedoch festzuhalten,
tuel-
dass die Öffnung des Innovationsprozesses
les.asp?action=press_article_show&article_i
keinesfalls eine Ablösung der bestehenden Pro-
d=B15C8A44BD69E8AC&record_page=2>
zesse, sondern allenfalls eine Erweiterung die-
(Abfrage am: 06.11.07).
ser darstellt. Hierbei ist von Bedeutung, dass
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„Demokratisierung von Innovationen“: Innovative User-Communities
1
Orientierung am Nutzerbedürfnis – Innovationen „demokratisieren“
2
Gemeinschaftswerke mit Informationsvorsprung
3
Inspiration für die Hersteller
4
Begrenzte Demokratisierung von Innovationen im Internet
1
Orientierung am Nutzerbedürfnis –
User Innovatoren – also Nutzer, die gleichzeitig
Innovatoren sind – haben diese Probleme nicht.
Innovationen „demokratisieren“
Sie entwickeln Lösungen für ihre eigenen Be-
Innovation – auf manche Unternehmer und In-
dürfnisse, die von den Anbietern auf dem Markt
vestoren wirkt der Begriff wie eine Zauberformel.
nicht befriedigt werden. Dabei sind sie ihrer Zeit
Ständige Erneuerung und Weiterentwicklung
einen Schritt voraus, denn die Bedürfnisse der
von Produkten und Prozessen gehören zu den
User Innovatoren werden später oft von einer
wichtigsten strategischen Zielen, die Manager
größeren Gruppe potenzieller Kunden geteilt,
für ihre Unternehmen angeben.
1
Doch hinter
wie es auch bei Lead Usern (Woll, S. 81ff.) der
dem auf den ersten Blick eindeutigen Ziel „Inno-
Fall ist. Für Unternehmen, die nicht zur eigenen
vationen vorantreiben“ verbergen sich eine gan-
Nutzung sondern zum Verkauf produzieren,
ze Reihe an Problemen und Unklarheiten. For-
macht es Sinn, Kunden frühzeitig in die Neu-
schungs- und Entwicklungsvorhaben binden
und Weiterentwicklung von Produkten und
große finanzielle Mittel bei oft unklarem Gegen-
Dienstleistungen einzubinden. Dazu besonders
wert der erforderlichen Investitionen. Immerhin
geeignet erscheinen User Innovatoren, weil sie
30 Prozent der befragten Unternehmen gaben
sich aus eigener Initiative bereits mit Lösungen
bei der BCG Senior Management Survey an,
ihrer spezifischen Probleme befassen und ein
ihre Investitionen in Innovationen noch deutlich
besonders hohes Interesse an individuellen
2
steigern zu wollen. Allerdings sind die Erwar-
Problemlösungen haben. Mit ihrer Hilfe kann
tungen an die scheinbare Zauberformel Innova-
das
tion häufig höher als die erreichte Rendite. Nur
seiner Abnehmer erkennen, kann das Produkt
46 Prozent der befragten Führungskräfte waren
auf seinen späteren Nutzer anpassen und so
zufrieden mit den Ergebnissen, während sich
eine möglichst hohe Zufriedenheit und Preisbe-
mehr als die Hälfte unsicher oder sogar unzu-
reitschaft beim Kunden erreichen.
frieden zeigte
.3
Zwei wichtige Hindernisse bei
Mit
der Einführung von Innovationen sahen die Ma-
Kommerzialisierung
auszusuchen“
Hilfe
von
die
Data Mining
Bedürfnisse
und
Custo-
mer Integration können Unternehmen alte Kun-
nager in der „Schwierigkeit, die richtigen Ideen
zur
Herstellerunternehmen
den binden und neue Märkte erschließen. Rea-
und
listisch geworden ist der Traum vom „gläsernen
„mangelnder Kundenkenntnis“ 4 – beides Prob-
Kunden“, dessen Bedürfnisse man „nur noch“
leme, die sich auf zu geringe Kenntnisse des
ablesen muss, durch neue Kommunikations-
Marktes und der Kunden zurückführen lassen.
und Informationstechniken, die immer kostengünstiger und dabei leistungsstärker werden.
1
2
3
4
5
Erst durch diese Entwicklung wurde es möglich,
Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 8.
Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 8.
Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 11.
Vgl. Boston Consulting Group 2007, S. 11.
5
40
Vgl. von Hippel 2004, S. 64.
die Datenflut zu bändigen, die durch die Erfas-
einem "Demand Pull", also einer Gegenbewe-
sung individueller Kundendaten ausgelöst wird.
gung von Nachfragerseite, funktionieren kann. 7
Das Internet erleichtert zudem eine Kontaktauf-
Die Orientierung am Kunden ist daher ein wich-
nahme mit Endnutzern, die vor wenigen Jahren
tiger Schwerpunkt der Innovationsforschung
noch mit erheblichem Aufwand verbunden ge-
geworden, wobei hier ein besonderes Augen-
wesen wäre. In manchen Branchen beginnen
merk auf den Nutzerinnovationen liegt. Eric von
Unternehmen, die Möglichkeiten von Web 2.0
Hippel spricht gar von einer „Demokratisierung
und Social Software systematisch zu nutzen, um
von Innovationen“ 8 und beschreibt dies folgen-
Kunden bei Innovationen einzubinden. Das in-
dermaßen: „When researchers say that innova-
zwischen fast klassische, wenn auch sehr spe-
tion is being democratized, we mean that users
6
O-
of products and services – both firms and indi-
pen Source Software (OSS), die von unabhän-
vual consumers – are increasingly able to inno-
gigen Nutzern weiterentwickelt und vertrieben
vate for themselves“.9 Tatsächlich hat eine Rei-
wird. Gemeinsam ist der OSS und allen anderen
he von empirischen Studien gezeigt, dass die
Produktbereichen, dass der Ausbau der Breit-
wichtigsten Erneuerungen und Verbesserungen
bandtechnik ein hohes Potential für die gemein-
in vielen Produktbereichen von den Nutzern
same und kooperative Zusammenarbeit vieler
selbst entdeckt und eingeführt werden. 10 In allen
Akteure auch im Rahmen offener Innovations-
untersuchen Fällen hat sich herausgestellt, dass
prozesse erschließt. Die Möglichkeit, große
User Communities, also Nutzergemeinschaften,
Datenmengen zwischen einzelnen Mitgliedern
eine wichtige Rolle bei der Reifung einer Innova-
eines Netzwerkes hin- und herzusenden und
tion oder Neuerung spielen. Dieser Beitrag soll
Endnutzer direkt ansprechen zu können, macht
die Eigenschaften von User Communities zu-
es einfacher, neue Produktideen zu finden, e-
sammenfassen
ventuell
Grenzen
zielle
Beispiel
zu
ist
die
übernehmen
so
und
genannte
Innovationen
der
(Kapitel 2),
Potentiale
Zusammenarbeit
für
Unternehmen
mit
und
U-
aufzeigen
schon frühzeitig prozessbegleitend zu evaluie-
ser Communities
ren.
(Kapitel 3) und schließlich den Begriff „Demokratisierung“ im Zusammenhang mit innovativen
Jahrzehntelang stand das Herstellerunterneh-
User Communities kritisch durchleuchten (Kapi-
men im Mittelpunkt und war zumeist Ausgangs-
tel 4).
punkt der Innovation. Erfindungen und Weiterentwicklungen wurden nach dem Prinzip des
2
"Technology Push" von den Unternehmen auf
Gemeinschaftswerk mit Informationsvorsprung
den entsprechenden Absatzmärkten eingeführt
Unternehmen, die Innovationen anstreben, ha-
und versucht eine entsprechende Nachfrage zu
ben einen bedeutenden Informationsnachteil
generieren. Wurden dabei die Bedürfnisse ihrer
gegenüber den späteren Nutzern dieser Innova-
Nachfrager vernachlässigt, so blieb die erforder-
tionen. Sie verfügen zunächst nicht über die
liche Nachfrage aus und die entsprechenden
Information, was genau sich der Nutzer und
Produkte waren ein finanzieller Flop. Inzwischen
damit der Kunde eigentlich wünscht. Diese Be-
sind sich Ökonomen darüber einig, dass Tech-
dürfnis-Information des Kunden ändert sich re-
nology Push-Innovationen nur in Verbindung mit
7
8
6
9
Warum das Beispiel Open Source Software als Spezialfall
anzusehen ist, wird in Abschnitt 2 dieses Beitrags erläutert.
10
41
Vgl. Hauschildt 2003, S. 257.
Von Hippel 2004.
Von Hippel 2004, S. 64.
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002; Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007; Franke/ Shah 2003.
gelmäßig, ist hoch komplex, möglicherweise
stützt. 17 Man kann also davon ausgehen, dass
dem potentiellen Kunden gar nicht bewusst und
die meisten Innovationen innerhalb von Nutzer-
daher oft schwer vermittelbar. Dazu kommen
gemeinschaften oder User Communities entwi-
Informationen über die mögliche Lösung des
ckelt werden. In Unternehmen finden sich oft
Problems, die ebenfalls beim Nutzer vorliegen
Teams und Arbeitsgruppen, die an innovativen
11
In beiden Fällen spricht man von ver-
Lösungen arbeiten. Auch schließen sich nut-
decktem Wissen oder „sticky information“, die
zende Unternehmen zu Kooperationen zusam-
sprichwörtlich dem Nutzer anhaftet und sich für
men, die Innovationen entwickeln. Im weiteren
Unternehmen nur unter hohen Kosten erschlie-
Sinne könnte man beide Organisationsformen
ßen lässt. 12 Unter „Nutzer“ bzw. „User“ werden
als „User Communities“ bezeichnen, da sich
Unternehmen oder Konsumenten verstanden,
jeweils mehrere Nutzer gemeinschaftlich der
die direkt davon profitieren, dass sie ein Gut
Lösung eines Innovationsproblems widmen. 18
nutzen. Im Gegensatz dazu profitieren „Herstel-
Hier
ler“ bzw. „Manufacturer“ vom Verkauf des Gu-
ser Communities im Sinne von informellen und
kann.
13
soll
es
allerdings
mehr
um
U-
Neben den Informationen sind auch die
formellen Zusammenschlüssen privater Nutzer
Interessen von Nutzern und Herstellern asym-
gehen, da diese erst seit kurzer Zeit intensiver
metrisch verteilt. Es besteht also die Gefahr
untersucht und von Wirtschaftsunternehmen für
opportunistischen Verhaltens von Herstellern
ihre Zwecke entdeckt werden. Es lassen sich
gegenüber ihren Kunden, die das Gut nutzen.
jedoch viele Parallelen zwischen privaten User
Unter dem Begriff der Innovation werden hier
Communities und unternehmensinternen Inno-
neuartige Produkte und Verfahren von der ers-
vationsteams ziehen, da beide eine ähnliche
ten Idee bis zur Etablierung auf einem Markt
Funktion ausüben und zum Teil ähnliche Struk-
verstanden. In diesem Beitrag wird von einem
turen aufweisen.
tes.
inkrementellen Innovationsbegriff ausgegangen,
Ein
das heißt Innovationen stellen eher kleine
untersuchtes
Beispiel
ser Communities der informellen
Schritte und Modifikationen dar und weniger
vollkommen neue Erfindungen.
häufig
19
20
für
U-
Art sind im
Bereich der Open Source Software (OSS) zu
14
finden (z. B. Linux, Apache oder Mozilla 21). Sie
Häufig entwickeln Nutzer, sowohl in Unterneh-
sind aus mehreren Gründen relativ einfach zu
men als auch privat, eigene Lösungsansätze für
erforschende und gleichzeitig interessante Fälle.
ihre Problemstellung und begründen so eine
Zum einen ist das entwickelte Produkt virtuell,
15
Dies ist insbesondere der Fall,
also nicht-physisch und Lösungskozepte i. S. v.
wenn das Bedürfnis nach einer Lösung noch
Programmcodes können reibungsfrei und ohne
nicht weit verbreitet ist und der Markt daher
Informationsverlust übertragen werden. Zum
keine annehmbare oder gar optimale Lösung
anderen entwickeln die Mitglieder der Communi-
Innovation.
16
Die meisten Innovatoren arbeiten
ty das Produkt auf ihren Rechnern und im Inter-
nicht isoliert an Lösungen, sondern werden von
net und kommunizieren gleichzeitig mit Hilfe
anderen Nutzern durch Rat und Tat unter-
dieses Mediums mit anderen Mitgliedern der
bereitstellt.
Community, was den Prozess im Vergleich zu
11
12
13
14
15
16
17
Vgl. Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 2
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 76.
Vgl. von Hippel 2004, S. 65.
Vgl. Hauschildt 2003, S. 15.
Vgl. von Hippel 2004, S. 65f.
Dies ist auch eine Lead User-Eigenschaft.
18
19
20
21
42
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158.
Die Communities selbst sind zwar normalerweise informell, aber dennoch z. T. von Software-Firmen kontrolliert.
Hamerly/ Paquin/ Walton 1999.
physischen Produkten extrem erleichtert und für
Innovation mit Hilfe von User Communities zu
Forscher gut dokumentierbar macht. Zudem
entwickeln.
profitieren User Innovatoren im OSS-Bereich im
2.1 Ihrer Zeit voraus – User Innovatoren
Normalfall sofort von ihren Neuentwicklungen. 22
Innerhalb der User Communities kann man ver-
Dies ist bei vielen Innovationen physischer Pro-
schiedene Nutzertypen unterscheiden. Allen
dukte oder Dienstleistungen nicht der Fall. Neue
Mitgliedern der Community ist gemeinsam, dass
Ideen können nicht virtuell umgesetzt und sofort
sie sich zur Ausübung einer bestimmten Tätig-
ausprobiert werden, sondern müssen physisch
keit, beispielsweise einer Sportart, und zum
umgesetzt also produziert werden. Ein solcher
Erfahrungsaustausch
physischer Prozess setzt oft größere physische,
freiwillig
zusammenge-
schlossen haben. Dieser Zusammenschluss
monetäre und temporäre Ressourcen voraus als
kann formell durch die Mitgliedschaft in einem
ein virtueller Prozess, bei dem alle Ressourcen
Verein oder Ähnlichem begründet sein oder
– außer der Zeit – schon beim User Innovator
völlig informell sein. Einige der Nutzer entwi-
vorhanden sind.
ckeln zunächst für den eigenen Gebrauch InnoAls Beispiel kann die Verbesserung eines Koch-
vationen und werden daher User Innovatoren
rezepts dienen. In einem Internetforum oder aus
genannt. Diese User Innovatoren werden von
dem Freundeskreis bekommt ein Hobbykoch die
weiteren Mitgliedern der Community bei ihren
Anregung, seine Schokoladensauce mit Chili zu
Innovationen durch Kritik und Ratschläge unter-
verfeinern. Um diese Idee umzusetzen, muss
stützt.
der Hobbykoch zunächst die benötigten Zutaten
Empirische Untersuchungen in den unterschied-
einkaufen – also Zeit und Geld investieren – und
lichsten Innovationsfeldern haben übereinstim-
anschließend in der Küche verschiedene Kom-
mend herausgefunden, dass User Innovatoren
binationen ausprobieren, um ein zufriedenstel-
im Gegensatz zu Nicht-Innovatoren die Charak-
lendes Ergebnis zu erzielen. Um seine Innovati-
teristika von Lead Usern (Woll, S. 81ff.) aufwei-
on im Internetforum mit anderen Hobbyköchen
sen. 23 Erstens erwarten Lead User und damit
zu teilen, muss er zurück zu seinem Rechner
User Innovatoren einen relativ hohen Nutzen
gehen und das Rezept aufschreiben und auf der
davon, eine Lösung für ihre Bedürfnisse zu ent-
Online-Plattform veröffentlichen. Allerdings ist
wickeln. Zweitens sind sie Vorreiter eines wich-
dadurch noch nicht garantiert, dass die anderen
tigen Trends in einem Markt und haben daher
Nutzer verstehen, wie die neue Kreation genau
Bedürfnisse, die später auf viele Nutzer zutref-
schmeckt. Der OSS-Entwickler dagegen kann
fen
während des gesamten Innovationsprozesses
werden. 24
Innerhalb
innovativer
U-
ser Communities bilden Lead User eine Kern-
am Rechner sitzen bleiben, seine Neuentwick-
gruppe, die sich aktiv um Innovationen bemüht
lung sofort ausprobieren, anderen Usern das
und sich auf verschiedene Weise an der Ent-
Produkt und sogar den Entwicklungsprozess in
wicklung beteiligt. Dabei kann man die Mitglie-
Form eines Protokolls zur Verfügung stellen.
der mit Lead User-Eigenschaften in zwei Grup-
Aus diesen Gründen, die den Fall der OSS so
pen unterteilen, die sich überschneiden. Zum
interessant und einfach dokumentierbar ma-
einen gibt es die User Innovatoren, die selber
chen, ist er als untypisch und daher problematisch anzusehen, um generelle Ansätze der
23
22
24
Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61.
43
Vgl. Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 3f., Morrison/
Roberts/ von Hippel 2000, S. 1518f., Lüthje/ Herstatt/ von
Hippel 2002.
Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 3.
Innovationen entwickeln. 25 Diese werden von
zum User Innovator. Zusätzlich zu den eigenen
der zweiten Gruppe mit Ideen und Verbesse-
Ressourcen nutzen User Innovatoren – wieder-
rungsvorschlägen
unterstützt,
26
wobei
um zu sehr geringen Kosten – das Wissen und
einer
die Ideen Gleichgesinnter in der Community.
Studie von Franke/Shah folgend mehr als zwei
Drittel der assistierenden Gruppe selber auch
2.2 Informationstransfer in innovativen User-
User Innovatoren darstellen. 27
Communities
Die Erwartung eines relativ hohen Nutzens,
Wie in jedem sozialen Netzwerk gibt es auch
beispielsweise eine entscheidende Verbesse-
innerhalb von User Communities unterschiedli-
rung bei der Ausübung der bevorzugten Sportart
che Kommunikationswege. Hierzu gehören die
und dadurch möglicherweise Vorteile bei Wett-
Face-to-Face-Kommunikation, schriftliche Kom-
bewerben, 28 führt dazu, dass Lead User hoch
munikation, Telefonate und das Internet mit
motiviert sind, Problemlösungen zu entwickeln.
seinen
Zudem wissen sie genau, was sie mit der Inno-
unterschiedlichen
Möglichkeiten
wie
Nutzerforen, E-Mail und Chatfunktionen.
vation erreichen wollen. Ökonomisch gesehen
Gerade im Bereich physischer Produkte und
haben sie hier also einen Kostenvorteil gegen-
ihrer Nutzung ist das persönliche Treffen jedoch
über Herstellern, die nicht von der Nutzung son-
nach wie vor von großer Bedeutung. Oft ist es
dern vom Verkauf profitieren, da hier die kosten-
für User Innovatoren viel einfacher, ihre Innova-
und zeitintensive Akquisition von Bedürfnisin-
tionsideen zu demonstrieren als sie mit Worten
formationen entfällt. Obwohl User Innovatoren
zu umschreiben oder Informationen anderweitig
ihre Bedürfnisse genau kennen, benötigen sie
aufzubereiten. Auch das entsprechende Feed-
oftmals weitere Informationen, um eine konkrete
back ist einfacher zu geben. Ein Beispiel aus
Problemlösung zu entwickeln. Durch Erfahrung
dem Sport soll das Problem, das dem Bereich
und intensive Beschäftigung mit ihrem Bereich,
„sticky information“
der bei Endkunden meist ein intensiv betriebe-
Kajakfahrer einen Kajak-Typ, der an das Kör-
eine Art Expertenwissen aufgebaut. Innerhalb
pergewicht des Fahrers individuell angepasst
der Community verbringen sie üblicherweise
29
zuzuordnen ist, veran-
schaulichen. In den 1980er Jahren entwickelten
nes Hobby ist, haben sie sich über längere Zeit
deutlich mehr Zeit als andere Mitglieder.
30
werden konnte. 31 Dieser neue Typ bot Vorteile
Die
beim Fahren von Tricks, war aber für weniger
größten Kosten, die einem User Innovator bei
erfahrene Sportler schlechter zu beherrschen,
der Ideengenerierung entstehen, sind also der
da das Boot weniger stabil im Wasser lag als
eigene Zeitaufwand und die damit verbundenen
herkömmliche Kajaks. Diese Vor- und Nachteile
Opportunitätskosten. Überschreitet der erwarte-
für einzelne Nutzer ließen sich am einfachsten
te Nutzen der Innovation die Opportunitätskos-
durch reale Testfahrten, beispielsweise bei
ten, so wird der Lead User aktiv und beginnt –
Wettkämpfen und Treffen mit anderen Kajakfah-
bewusst oder unbewusst – mit dem Entwick-
rern, herausfinden. Schriftlich oder telefonisch
lungsprozess, wenn er auf dem Markt keine für
wäre die Erfahrung wesentlich schwieriger zu
ihn passende Lösung gefunden hat und wird so
vermitteln gewesen und vor allem weitere Ver25
26
27
28
29
besserungen kaum möglich gewesen.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162f.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 165.
Auf die möglichen Negativ-Auswirkungen von Wettbewerb
innerhalb von User Communities wird in Abschnitt 3 dieses Beitrags eingegangen.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164.
30
31
44
Siehe auch Abschnitt 2 dieses Beitrags.
Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 6.
Das Internet und besonders die immer schnelle-
frei verbreitet werden. 36 In der Fachliteratur
ren Breitbandverbindungen erleichtern heutzu-
findet sich hierzu das Stichwort „free revealing“
tage den Informationsaustausch und die Kon-
– freie Preisgabe von Information. Allen be-
takterhaltung unter Nutzern außerhalb von per-
schreibt dieses Phänomen für Unternehmen im
sönlichen Treffen. Das World Wide Web ermög-
Zusammenhang mit der „Collective Invention“ 37
licht den Aufbau von sozialen Strukturen unter
der Hochöfen in der Zeit der Industrialisierung.
Nutzern mit speziellen, vielleicht seltenen Inte-
Offenkundig entstehen User Innovatoren Vortei-
ressen über große geographische und gesell-
le, wenn sie Informationen der Gemeinschaft frei
schaftliche Entfernungen. Erfahrungsaustausch
zur Verfügung stellen.
kann zunehmend über Bilder und Videos erfol-
Innovatoren haben abgesehen von der Offenle-
gen, ohne dass dadurch nennenswerte Kosten
gung ihrer Ideen zwei Alternativen. Sie können
entstehen. 32 „Für fast alle Produktkategorien
sie komplett für sich behalten oder durch Paten-
(z. B. Wein, Kameras und Autos), Hobbies (z. B.
te bzw. Lizenzen schützen lassen. Im ersten Fall
Klettern, Musik und Schach) und Lebenssituationen
(z. B.
Ruhestand,
Schwangerschaft)
Krankheiten
können sie ihre Idee in Isolation weiterentwi-
und
existieren
ckeln, profitieren aber nicht vom Austausch mit
Onli-
anderen Nutzern. Letzteres ist relativ kostspie-
ne Communities, die einen großen Pool an Wissen und Nutzungserfahrung darstellen.“
33
lig, zumal der daraus resultierende finanzielle
Für
Nutzen eher gering und unsicher ist. Patente
die freiwilligen Software-Entwickler der OSS-
und Lizenzen lassen sich zu einfach umgehen,
Szene bieten die Online Communities Arbeits-
um einen wirksamen Schutz für den Innovator
platz, Werkzeug und Treffpunkt zugleich. Physi-
zu bieten.
sche Produkte können dagegen nicht online
38
Zudem sind User Innovatoren zu-
nächst weniger daran interessiert, ihre Idee zu
produziert und verbreitet werden. 34 Deren Nut-
vermarkten und so finanzielle Gewinne zu erzie-
zer verwenden vor allem Internetforen (sog.
len. Vielmehr geht es darum, von der Nutzung
Message Boards) und Chat Rooms, um Kontakt
der eigenen Innovation zu profitieren, da der
miteinander aufzunehmen, zu kommunizieren
Nutzer mit den vom Markt verfügbaren Lösun-
und Informationen in Form von Beschreibungen,
gen nicht zufrieden ist. 39
Skizzen, Videos oder Ähnlichem. Einige OnliDie Mitgliedschaft in einer Community bietet den
ne Communities organisieren auch Treffen in
Innovatoren laut Franke und Shah zwei Schlüs-
der realen Welt, damit die Mitglieder sich per-
selvorteile:
sönlich kennen lernen. Laut Füller zeigt dies,
wie stark die sozialen Bindungen unter Nutzern
auch in der virtuellen Welt sein können.
35
„(1) other community members offer assistance
Ein
directly; and
weiterer Grund für den Weg in die reale Welt
(2) other community members refer the innova-
könnte das Bedürfnis oder die Notwendigkeit
tor to individuals they know outside of the com-
direkten Austauschs sein.
munity.” 40
Für Ökonomen etwas überraschend war die
Wenn die User Innovatoren Angaben über den
Erkenntnis, dass Informationen innerhalb von
Fortbestand ihrer Innovation offenlegen, setzen
User Communities grundsätzlich kostenlos und
36
32
33
34
35
37
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61.
Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 61.
Vgl. Abschnitt 2 dieses Beitrags.
Füller/Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 64.
38
39
40
45
Vgl. von Hippel 2004, S. 12f.
Vgl. Allen 1983, S. 11.
Vgl. Lüthje/ Herstatt/ von Hippel 2002, S. 4f.
Vgl. Lüthje 2000, S. 5.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 164.
Wertgewinn gegenüber steht. Beispiele für zu
sie das vorläufige Ergebnis damit dem Lob und
41
Diese tragen
kostenintensive Kommunikation könnten unan-
aber zumeist konstruktiv zum Innovationspro-
gemessen hohe Mitgliedsbeiträge für formelle
zess bei und verhelfen dem Innovator mit Ideen
User Communities oder hohe Sprachbarrieren
und eigenen Erfahrungen zu weiteren Produkt-
sein. Zum anderen verringert Konkurrenz zwi-
verbesserungen. Bei der Untersuchung ver-
schen den Mitgliedern die Wahrscheinlichkeit
schiedener
entdeckten
der Preisgabe von Informationen. Franke und
Franke und Shah, dass zwei Drittel der „assistie-
Shah zeigen am Beispiel verschiedener Sport-
renden“ Community-Mitglieder selbst Innovato-
ler-Communities, dass die Bereitschaft Informa-
ren waren und von den Innovatoren fast die
tionen frei zur Verfügung zu stellen und anderen
der Kritik anderer Nutzer aus.
Sportler-Communities
42
Insge-
bei Innovationen zu assistieren in Gruppen mit
samt unterstützten in der Studie fast 40 Prozent
stärkerem Wettbewerb weniger ausgeprägt ist
der Community-Mitglieder andere bei Innovatio-
als in Gruppen, in denen wenig Konkurrenz-
nen, und die Zufriedenheit mit der Hilfeleistung
druck herrscht.
war äußerst hoch. 80 Prozent der befragten
eine
Innovatoren gaben an, die Hilfe derselben „As-
ser Communities anstreben, sollten sich im Vor-
sistenten“ gerne wieder in Anspruch zu neh-
feld mit deren Eigenschaften und Spielregeln
Hälfte anderen Innovatoren weiterhalf.
men.
43
46
Hersteller-Unternehmen, die
Zusammenarbeit
mit
privaten
U-
vertraut machen.
Beide Seiten – also Innovatoren und die „assis-
3
tierenden“ User – erhoffen sich durch die Mitar-
Inspiration für die Hersteller
Eines der größten Probleme innovativer Herstel-
beit an Innovationen auch eine Verbesserung
ler ist die mangelnde Nähe zum Markt. 47 Innova-
ihres Ansehens bei anderen Mitgliedern der
tive Bedürfnisse der Nutzer sind oft nicht be-
Community. Sie wollen sozusagen in der sozia-
kannt und werden daher spät oder gar nicht mit
len Rangfolge ein Stück höher klettern und ge-
neuen Produkten oder Dienstleistungen bedient.
nießen die Anerkennung, die ihnen von anderen
Von Hippel sieht die Gründe dafür im Informati-
Nutzern zuteil wird. 44 Neben diesen sozialen
onstransfer zwischen Nutzern und Herstellern:
Faktoren, zu denen auch die Vorstellungen von
„When information is sticky, innovators tend to
Fairness und Solidarität in einer Gemeinschaft
rely largely on information they already have in
zählen, stehen für viele Innovatoren Spaß und
stock.” 48 Als Konsequenz dieser Informationsa-
Freude am Problemlösen und an der Aufgabe
symmetrie gibt es einen qualitativen Unterschied
selbst im Vordergrund. 45 Bei Endkunden gehört
zwischen User- und Manufacturer-Innovationen.
das Erweitern und Ergänzen bestehender Lö-
Nutzer entwickeln eher Innovationen, die neuar-
sungskonzepte oft zum Hobby.
tig in ihrer Funktionalität sind und eine große
Zwei Faktoren können eine fruchtbare Zusam-
Menge Nutzerbedürfnis-Informationen und Nut-
menarbeit bezüglich der Innovationen in der
zungskontext-Informationen erfordern. Im Ge-
Community jedoch unterminieren. Zum einen
gensatz dazu tendieren Manufacturer dazu,
sollte die Kommunikation keine zusätzlichen
Innovationen zu entwickeln, die bereits bekann-
Kosten verursachen, denen kein adäquater
te Bedürfnisse besser befriedigen und vor allem
41
42
43
44
45
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 66.
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 165.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 166.
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 65.
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 66.
46
47
48
46
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 169.
Siehe Abschnitt 1 dieses Beitrags.
Von Hippel 2004, S. 70.
Informationen zur Problemlösung erfordern. 49
Lead User-Eigenschaften nutzen Franke et al.
Neuartige Funktionen, die neuartige Bedürfnisse
die ressourcenbasierten Variablen „technical
der Nutzer befriedigen, dürften für Hersteller
expertise“ und „availability of support from a
also am ehesten bei User Innovatoren zu finden
user community“. 53 Abhängig davon, was genau
sein. Diese lassen sich über User Communities
man herausfinden möchte, empfehlen sie unter-
ausfindig machen, in denen sie aktiv sind. U-
schiedliche Kombinationen und Schwerpunkt-
ser Communities sind nicht nur leichter zu fin-
setzungen bei den Suchkriterien. Um besonders
den als isolierte Innovatoren oder Erfinder, sie
attraktive User Innovationen aus einem be-
bieten auch den Vorteil, mehrere Nutzer mit
grenzten Feld von innovativen Usern zu ermit-
gleichen oder wenigstens ähnlichen Bedürfnis-
teln, empfehlen sie nach zukünftigen Markt-
sen zu vereinen
50
trends Ausschau zu halten. 54 Es ist jedoch frag-
und somit schon einen klei-
nen Markt darzustellen.
lich, inwieweit sich diese Instrumente als praxistauglich herausstellen werden. Insbesondere
Hersteller, die sich an Innovationen aus U-
Markttrends sind im Vorhinein nicht leicht zu
ser Communities wagen, sollten das Marktpo-
identifizieren.
tenzial möglichst genau abschätzen, bevor sie
Die
Beobachtung
von
U-
ser Communities und deren Entwicklung kann
mit der Innovation an den Markt gehen. Ein Vor-
aber zumindest erste Orientierungsansätze bie-
teil der etablierten Hersteller gegenüber U-
ten.
ser Manufacturers liegt darin, dass sie bereits
über kapitalintensive Technologien – also bei-
Das Internet eröffnet neue und vor allem kos-
spielsweise automatisierte Produktionsmaschi-
tengünstige Möglichkeiten für Hersteller, inte-
51
ressante User Communities online ausfindig zu
Allerdings muss der Markt mit zahlungswilligen
machen und zu beobachten. Schon eine Stich-
potenziellen Nutzern entsprechend groß sein,
wortsuche nach dem entsprechenden Produkt-
damit sich die Massenproduktion lohnt und die
bzw. Aktivitätsfeld dürfte eine Auswahl von In-
Herstellerunternehmen mit User Manufacturers,
ternetplattformen als Ergebnis haben, die in
die „nebenher“ kleinere Stückzahlen herstellen
einem nächsten Schritt näher untersucht und
und an Gleichgesinnte verkaufen, konkurrieren
dann gemäß ihrer Attraktivität beurteilt werden
können. Franke et al. versuchten auf Grundlage
kann. Eine erste Analyse kann dabei von außen
ihrer Studie über Innovationen bei Kitesurfern
– also ohne Einverständnis der Plattform-
eine Methode zu entwickeln, mit der sich kom-
Betreiber und ihrer Mitglieder – über die Eigen-
merziell besonders attraktive User Innovationen
schaften der gesamten User Community vorge-
nen – für die Massenproduktion verfügen.
52
Zu diesem Zweck zeigen
nommen werden. Alternativ bzw. in einem weite-
sie vier Suchkriterien auf, nach denen U-
ren Schritt kann das Einverständnis der Betrei-
ser Communities bzw. deren Mitglieder selek-
ber und Nutzer eingeholt werden, so dass indi-
tiert werden sollen. Zum einen sollen die
viduelle Eigenschaften beispielsweise anhand
Lead User-Eigenschaften
von Nutzerprofilen analysiert werden können.
identifizieren lassen.
„ahead
of
market
trends“ und „high expected benefits from innova-
Wenn nicht nur nach den neuesten Trends am
tion“ auf eine erhöhte kommerzielle Attraktivität
hindeuten.
49
50
51
52
Ergänzend
zu
den
Markt geforscht werden soll, steht im Anschluss
klassischen
an eine Analyse der potenziell in Frage kommenden Online Communities die Entscheidung
Vgl. von Hippel 2004, S. 70.
Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 3.
Vgl. Baldwin/ Hienerth/ von Hippel 2006, S. 22.
Vgl. Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 3.
53
54
47
Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 22.
Franke/ von Hippel/ Schreier 2006, S. 22.
über eine mögliche Zusammenarbeit mit einer
schaft sich auflöst und ihr Potenzial damit verlo-
oder mehrerer solcher User Communities. Füller
ren geht.
et al. unterscheiden zwei Möglichkeiten der In-
Im Fall der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit
tegration von User Communities: „(1) the virtual
User Communities ist die Gefahr einer Commu-
integration of community members for specific
nity-Auflösung auf Grund von Konkurrenzdruck
innovation tasks from time to time, and (2) the
ebenfalls sehr gering. Da eine konsequente und
continuous collaboration with online communi-
umfassende Beobachtung und Auswertung des
ties as a permanent source of new ideas and
Geschehens innerhalb der Gruppe von dem
co-developers of new products”. 55 Um spezielle
beteiligten Unternehmen große personelle und
Aufgaben von User Innovatoren lösen zu las-
finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen
sen, können Hersteller-Firmen Anreize setzen.
würde, schlagen Füller et al. vor, einen perma-
Beispielsweise können sie virtuelle Toolkits (A-
nenten Link auf den virtuellen Plattformen der
sel/ Steinmetz, 94ff.) zur Verfügung stellen, die
betreffenden Communities zu etablieren. 56 Die
die Entwicklung von Innovationen erleichtern
Mitglieder der Community können dadurch bei
und möglicherweise auch den „Spaßfaktor“ auf
Bedarf unkompliziert Kontakt mit dem Hersteller-
Seiten der Nutzer erhöhen können. Mit sog.
Unternehmen aufnehmen und sich aktiv einbrin-
Innovations- oder Designwettbewerben können
interessierte
User Innovatoren
zu
gen. Bei diesem Vorgehen besteht allerdings die
kreativen
Gefahr, dass wichtige Entwicklungen verpasst
Höchstleistungen angespornt werden. Herstel-
werden, weil sie nicht von Usern an das Unter-
ler-Unternehmen, die mit User Communities
nehmen weitergeleitet wurden. Es empfiehlt sich
zusammenarbeiten, müssen sich jedoch im
also zusätzlich eine regelmäßige Beobachtung
Klaren darüber sein, dass sie in diesem Moment
der Aktivitäten innerhalb der Community.
einen Eingriff in die Community vornehmen, der
ihre
Eigenschaften
entscheidend
Längst nicht alle User Communities – auch nicht
verändern
alle virtuellen – dürften so leicht zugänglich sein,
kann. Ein Wettbewerb oder allein das Bewusst-
wie die von Füller et al. beschriebenen Basket-
sein, dass ein renommierter Hersteller den Ent-
ball-Communities. In bestimmten Produktberei-
wicklungsprozess beobachtet, kann zu einem
chen legen Nutzer großen Wert auf Unabhän-
verstärkten Konkurrenzdruck unter den Mitglie-
gigkeit und reagieren möglicherweise sehr miss-
dern führen. Konkurrenz wiederum verringert die
trauisch gegenüber kooperations-willigen Her-
Bereitschaft, sein Wissen mit anderen freiwillig
stellerfirmen. Ein Beispiel könnte der Bereich
und kostenlos zu teilen. Damit gehen die ent-
Bio-Lifestyle sein, in dem Nutzer große Vorbe-
scheidenden Synergieeffekte der Gruppe – kon-
halte gegenüber bestimmten Konzernen hegen.
struktive Kritik, kein redundantes Suchverhalten
Dennoch gibt es auch in solchen Bereichen ein
von einzelnen Innovatoren usw. – verloren, und
die Fruchtbarkeit der Zusammenarbeit sinkt und
damit verbunden die Attraktivität der entwickel-
Kommerzialisierungspotenzial.
Hersteller-
Unternehmen
mit
können
hier
ser Manufacturern kooperieren und bestimmt
ten Lösungen. So lange allerdings nur ein Teil
Produktionsschritte übernehmen oder Teile zu-
der Community beteiligt ist und Wettbewerbe
liefern.
nicht ausufernd ausgefochten werden, ist die
Wahrscheinlichkeit gering, dass die Gemein-
55
U-
56
Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 70.
48
Vgl. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007, S. 70.
4
Begrenzte Demokratisierung von
ternet sollte man jedoch nach wie vor auf
Innovationen im Internet
Schwierigkeiten bei der Suche nach einer repräsentativen User Community mit hohem Senio-
Zusammenfassend kann man feststellen, dass
renanteil stoßen. Die ältere Generation ist bei
durch die stetig zunehmende Verbreitung des
den so genannten „Onlinern“ weiterhin unterrep-
Internet große Potenziale im Bereich der innova-
räsentiert. 61 Der Trend geht jedoch zum „Silver
tiven User Communities entstanden sind. Der
Surfer“, da immer mehr über 60-Jährige das
Wissenschaft steht nun ein weites Feld zur Er-
Internet für sich entdecken. 62 Auch die weibliche
forschung von User Communities im WWW
Bevölkerung scheint bisherigen Studien zu Fol-
offen. Bisher sind allerdings erst wenige Studien
ge nicht besonders innovationsfreudig zu sein.
bekannt 57 , die sich mit der Verbindung von Online User Communities
und
In der Studie von Franke und Shah liegt der
Hersteller-
durchschnittliche
Unternehmen im Internet außerhalb der OSS-
23 Prozent.
Problematik befasst. Da sich die Forschung zu
63
Frauenanteil
bei
nur
Auch hier wären Vergleichsstu-
dien aus anderen Bereichen, wie beispielsweise
innovativen User Communities bisher vor allem
Hand-, Haus- oder Bastelarbeiten vermutlich
auf Sportenthusiasten konzentrierte, ist eine
aufschlussreich.
Vergleichsstudie aus anderen Produktbereichen
dringend notwendig, um die Übertragbarkeit der
Selbst wenn in der Forschung alle Bevölke-
bisherigen Erkenntnisse auf andere Bereiche zu
rungsgruppen in Bezug auf ihre Beteiligung an
prüfen. Zu diesem Vergleichbarkeitsproblem
innovativen User Communities untersucht wä-
gesellt sich mit dem Internet die Problematik des
ren, würde sich wahrscheinlich zeigen, dass
Digital Divide. In Deutschland sind derzeit knapp
insbesondere bei den User Innovatoren ver-
61 Prozent der Bevölkerung online, 58 weltweit
schiedene demographische Merkmale sehr un-
nur etwa 19 Prozent.59 Von einer echten De-
gleich verteilt sind. Wer sich innovativ betätigt
mokratisierung, die alle Bevölkerungsteile und
braucht Ressourcen wie Zeit und Geld, die nicht
damit alle potenziellen Kunden einbezieht, kann
allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Zu-
also keine Rede sein.
dem ist es gut möglich, dass User Innovatoren
sich von eher passiven Nutzern in bestimmten
Eine für die Zukunft zumindest der westlichen
Charaktereigenschaften unterscheiden,
Märkte äußerst bedeutsame Zielgruppe fällt bei
64
ähn-
lich wie manche Theorien dies von Entrepre-
der User Community-Forschung bisher durch
neur-Persönlichkeiten behaupten.
alle Raster: die Gruppe der Älteren, bisweilen
als 55Plus bezeichnet. Bei den von Franke und
Unternehmer, die Kooperationen mit innovativen
Shah untersuchten vier User Communities aus
User Communities anstreben, sollten sich be-
dem Sportbereich lag das Durchschnittsalter der
wusst sein, dass nicht alle relevanten Zielgrup-
Befragten stets unter 40 Jahren, in zwei Fällen
pen in solchen Netzwerken vertreten sein wer-
mit etwa 25 Jahren und knapp 23 Jahren sogar
den. Dennoch macht es Sinn das innovative
Dies könnte mögli-
Potenzial, das sich insbesondere durch die
cherweise am Produktbereich Sport liegen. Eine
Ausbreitung des Internet erschließt, auszu-
Vergleichsstudie wäre also angebracht. Im In-
schöpfen. Um zukünftig wettbewerbsfähig zu
sehr deutlich darunter.
57
58
59
60
60
Z. B. Füller/ Jawecki/ Mühlbacher 2007.
Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 364.
http://www.internetworldstats.com/stats.htm (letzter Abruf:
31.11.2007)
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162.
61
62
63
64
49
Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 364.
Vgl. van Eimeren/ Frees 2007, S. 363.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 162.
Vgl. Lüthje 2000, S. 21.
bleiben ist eine Orientierung an den potentiellen
communities, in: Journal of Business Re-
Kunden
search 60 (2007), S. 60-71.
notwendig,
wobei
innovative
U-
ser Communities dabei zumindest Anhaltspunk-
Hamerly, J./ Paquin, T./ Walton, S. (1999): Free-
te liefern, wenn nicht sogar „vollwertige Koope-
ing the Source: The Story of Mozilla, in:
rationspartner“ sein können.
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50
Kurt Uwe Stoll
Collective Invention als Imperativ für moderne Innovationstätigkeit
1
Innovation als Quelle der Prosperitäton Unternehmen
2
Collective Invention – Definition und Abgrenzung
3
Theoretische Erklärungsansätze für das Auftreten der CI
4
Software-Development-Kits und Crowdsourcing als moderne Treiber der CI
5
CI als Bestandteil einer „Balanced Scorecard“ moderner Innovationstätigkeiten
1
Innovation als Quelle der Prosperität
onsprozess angereichert werden kann: Kunden,
von Unternehmen
Lieferanten, unabhängige Forschungsinstitute
und andere, sogar konkurrierende Unternehmen
Zur Erreichung der Kundenorientierung, die als
werden in den Innovationsprozess einbezogen.
zentrale Maxime im Marketing fungieren sollte, 1
Das Paradigma "Offene Innovation" und die
stellt die Herausarbeitung komparativer Konkur-
dahinterstehenden Überlegungen und Konzepte
renzvorteile durch innovative Produkte oder
sind dabei jedoch, ungeachtet des in der jüngs-
Dienstleistungen die zentrale Handlungsanfor-
ten Zeit gestiegenen Bedeutungszuwachses,
derung an Unternehmen dar. 2 In einer unter-
der sich in einer großen Zahl an Publikationen
nehmerischen Wirklichkeit, die sich aufgrund
und Spezialausgaben renommierter Wissen-
exponentiell wachsender Geschwindigkeit tech-
schaftsmagazine widerspiegelt, alles andere als
nologischer Entwicklungen mit immer kürzer
werdenden
Produktlebenszyklen
neu. Bereits Anfang der achtziger Jahre wurde
konfrontiert
eine Ausprägung offener Innovationstätigkeit
sieht, sind Innovationen Kernbestandteil des
von Robert Allen im Rahmen der "Collective
Marketing als Unternehmensfunktion. 3 So er-
Invention" (CI) beschrieben. 5
kannte Schumpeter bereits 1939 eine bis heute
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, im folgen-
gültige betriebswirtschaftliche Wahrheit:
den das Phänomen der CI flankiert von realen
"Innovationen bilden die Basis für ökonomischen
Beispielen zu definieren und entscheidende
Wandel und Wohlstand und stellen deshalb den
Wirkmechanismen aufzuzeigen. Im dritten Teil
hervorstechenden Faktor zur Sicherung der
der Arbeit wird sodann versucht die CI theore-
Überlebensfähigkeit von Unternehmen dar. Sie
tisch zu fundieren. Dabei werden neben Erklä-
liegen allen anderen Erfolgsfaktoren wirtschaftli-
rungsmodellen aus der Spieltheorie Konzepte
chen Handelns zugrunde."
4
der Netzwerkökonomie sowie evolutionäre An-
Nun erfolgt die Innovationstätigkeit in einer klas-
sätze integriert. Hiernach erfolgt eine Diskussion
sischen Betrachtungsweise ausschließlich an-
von Vorteilen und Gefahren die aus einer Betei-
hand
In
ligung an Prozessen der CI erwachsen. Im vier-
einem strukturierten Prozess werden Leistungen
ten Abschnitt erfolgt eine Betrachtung des Phä-
generiert mit dem Ziel Preisbereitschaft beim
nomens kollektiver Innovationen aus aktueller
Nachfrager
Sicht.
unternehmensinterner
abzuschöpfen.
Ressourcen:
Eine
modernere
Sichtweise eröffnet dem Unternehmen aber
auch externe Quellen, mit denen der Innovati1
2
3
4
Weiber 2002, S. 17.
Weiber 2002, S. 17.
Weiber 2002, S. 7.
Vgl. Schumpeter 1939, S. 86.
5
51
Allen 1983, S. 12.
gen, die zu verschmelzenden Teile wurden ver-
2 Collective Invention - Definition und
wechselt. Magritte will auf die Gefahren und
Abgrenzung
Schwierigkeiten hinweisen, die entstehen, wenn
Collective Invention als "kollektive Erfindung" zu
Innovation nicht durch einen einzelnen Erfinder
übersetzen führt nur über Umwege zum Ziel.
mit dem Blick für den Gesamtkontext geschieht,
Der deutsche Terminus „Offene Innovation“ trifft
sondern auf der Zusammenarbeit mehrerer Er-
am ehesten das, was in der Literatur darunter
finder beruht.
verstanden wird. Wichtige Anmerkung: Offene
Aus betriebswirtschaftlicher Betrachtung um-
Innovation sei hier ausdrücklich vom Begriff
fasst Collective Invention im Wesentlichen die
„Open Innovation“ abgegrenzt, der in seiner
Offenlegung technischer Fortschritte in einem
engeren Definition vor allem den Einbezug von
Produktverbesserungs- oder Erfindungsprozess.
Konsumenten in den Innovationsprozess be-
Dies umfasst dabei neben der Bereitstellung von
schreibt. 6
Output- oder Ergebnisgrößen wie Effizienzwer-
Eine über die Ökonomie hinaus gehende Be-
ten bzw. Leistungsspezifika auch und in beson-
trachtung führt dazu, dass die Erstverwendung
derer Weise die Inputseite, also Angaben zur
des Begriffs „Collective Invention“ dem Surrea-
Erstellung der entsprechenden Lösungen.
listen René Magritte zuzuordnen ist. Er stellt in
Allen führt 1983 den Begriff Collective Invention
seinem 1935 entstandenen Werk „L’invention
als vierte erfindende Institution neben nicht
collective“ eine an den Strand gespülte Chimäre
kommerziellen Institutionen wie Universitäten
aus Mensch und Fisch dar.
oder staatlichen Forschungseinrichtungen, Forschungsabteilungen in Firmen oder dem Erfinder als Person in die Literatur ein. 7 Als Beispiel
verweist er auf die historische Zusammenarbeit
der Stahlindustrie im englischen Distrikt Cleveland Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei damals
primär die Steigerung der Effizienz von Hochöfen durch Verringerung des erforderlichen
Werkstoffeinsatzes bzw. eine Verbesserung der
Bei der Betrachtung dieses Bildes springt vor
Brenneigenschaften im Innovationsfokus stand. 8
allem ins Auge, dass Magritte sich von der gän-
Für das Entstehen von Collective Invention wa-
gigen Konvention der Darstellung der Meerjung-
ren damals zwei Besonderheiten entscheidend,
frau mit menschlichem Oberkörper und einem
die diese Entwicklung begünstigten: Zum einen
aus einer Fischflosse bestehenden Unterkörper
ist die Funktionsweise des Produktionsprozes-
lossagt und die Kombination umdreht: Seine
ses nicht deterministisch abzubilden, es gibt
Meerjungfrau hat menschliche Beine und eine
also keine physikalische Beschreibung der me-
fischartigen Oberkörper. Ein Interpretationsver-
tallurgischen Prozesse, die sich beherrschbar
such könnte sich hier wie folgt ergeben: Magrit-
9
und zielführend optimieren ließe. Effizienzstei-
tes Anliegen ist die Darstellung der Komplikatio-
gerungen sind also nur im Trial-and-Error Ver-
nen, die beim gemeinsamen Erfinden entstehen
fahren zu erreichen, welches unternehmensin-
können. So ist in diesem Fall etwas beim Zu-
tern weniger dynamisch und fruchtbar ist als
sammensetzen der Meerjungfrau schief gegan7
8
6
9
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 96.
52
Allen 1983, S. 1.
Allen 1983, S. 3.
Vgl. Allen 1983, S. 12.
unter Beteiligung vieler Firmen. Darüber hinaus
Speziallösungen Open Source zu ihrem KKV
war das Verfahren nicht patentierbar, sodass
gemacht haben. 16 Das Neue an OSS ist, dass
eine Nicht-Offenlegung von Fortschritten Pio-
sich die Entwicklung derselben durch das Auf-
nierunternehmen keine oder nur kurzfristige
kommen des Internets globalisiert hat: Durch
monetäre Vorteile verschafft hätte.
10
moderne Kommunikationsformen und die Imma-
Der zweite populäre Fall betrifft die Entwicklung
terialität des Produktes zerschmelzen geogra-
des Personal Computer im Silicon Valley wäh-
phische Hindernisse, die Entwicklergemeinde ist
rend der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahr-
international verstreut. 17
hunderts. 11 Der initialen Erfindung des Mikro-
Zusammenfassend erscheinen folgende Kern-
prozessors folgte die Bildung einer Community
aspekte für Collective Invention charakteris-
um das Thema herum: Der „Homebrew Compu-
tisch: 18
ter Club“. 12 In vereinsartiger Manier trafen sich
Eine neue Technologie oder Erfindung entsteht
Interessierte und tauschten sich, unter dem
um diese Technologie herum bildet sich eine
Vorzeichen allgemeinen Teilens der Fortschritte
Interessengemeinschaft unterschiedlicher Ak-
beim Experimentieren mit Computertechnologie,
teure, wobei diese nicht zwingend wirtschaftlich
aus. In diesem Fall geht es nicht um das Erzie-
motiviert sein muss
len von Kostenvorteilen durch Effizienzsteige-
in einem informellen Prozess wird die Technolo-
rungen, sondern um den festen Glauben an eine
gie weiterentwickelt und sowohl Input- als auch
neue Technologie und ihr Potential. Hervorzu-
Outputdaten offengelegt durch die Offenheit des
heben ist hierbei, dass gerade die Unsicherheit,
Prozesses wird eine höhere Innovations- oder
in welche Richtung sich die Technologie entwi-
Inventionsdynamik realisiert
ckeln würde, hierbei konstituierend für das Auf-
Collective Invention erfordert zumindest bei
treten von CI war.
13
einem treibenden Teil der Akteure reziproke
Das dritte Beispiel beschäftigt sich mit einem
Austauschbeziehungen
Phänomen, das heutzutage weite Verbreitung
das Auftreten von CI kann man häufig in Zu-
gefunden hat und mehr denn je im Betrach-
sammenhang mit der Schaffung einer Basis-
tungsfokus von Wissenschaft und Unterneh-
technologie bringen, die einen Paradigmen-
menspraxis
wechsel einläutet
steht:
Open
Source
Software
(OSS). Ausgehend von einem rechtlichen Rah-
Zu Stufe 1: „Eine bestimmte Technologie ent-
men, der die freie Weitergabe und -entwicklung
steht“.
14
ent-
Das Auftreten der neuen Technologie stellt bild-
standen in jüngerer Zeit Produkte, welche kom-
lich gesprochen die Initialzündung dar. Eine
merziellen Lösungen in vielfacher Hinsicht e-
patentrechtliche Beschränkung würde weitere
benbürtig sind. Zentral ist hier das produktive
offene Entwicklungen im Keim ersticken. Die
Nebeneinander
nicht
Unsicherheit über den Fortgang des Innovati-
zwangsläufig nur altruistisch motiviert an der
onsvorhabens wird im Fall 2 als entscheidend
von Softwarequelltext fördert und fordert,
von
Individuen,
die
15
und
angesehen: Würden klare Lösungsspezifikatio-
Firmen, welche mit dienstleistungsorientierten
nen bestehen, so ist eine "geschlossene" Ent-
Weiterentwicklung der Software arbeiten
wicklung wirtschaftlich sinnvoller.
10
11
12
13
14
15
Allen 1983, S. 2.
Meyer 2003, S. 12.
Meyer 2003, S. 12.
Meyer 2003, S. 15.
Henkel 2003, S. 6.
Meyer 2003, S. 21; Hars/ Ou 2003; Rossi 2006
16
17
18
19
53
Henkel 2003, S. 2.
Meyer 2003, S. 6.
Vgl. Meyer 2003, S. 15.
Vgl. Meyer 2003, S. 15.
19
Zu Stufe 2: „Um sie herum bildet sich eine Inte-
zu betreten, dürfte frühe "Kollektive Innovatoren"
ressengemeinschaft von Firmen oder Perso-
beseelt haben. Ähnlich stellt sich die Beantwor-
nen“. Die sich darum bildende Gemeinschaft
tung der Frage nach der Motivation im "Ho-
von Interessierten ist durch die Offenlegung
mebrew Computer Club" dar: Eine gemeinsame
prinzipiell zwar nicht beschränkt, wird jedoch
Faszination für Technologie und die Auslotung
durch den Fokus der Teilnehmenden definiert.
der sich daraus ergebenden Möglichkeiten führ-
Als interessanten Aspekt ist hierbei weiterhin zu
te zu einem gemeinsamen "Spirit", der die wei-
nennen, dass die Globalisierung der Zusam-
tere Entwicklung beflügelte. 23
menarbeit erst durch Senkung der kommunikati-
Zu 4: „in einem informellen Prozess wird die
ven Transaktionskosten, die durch die Fort-
Technologie weiterentwickelt“
schritte der modernen Kommunikationstechno-
Die eigentliche Offenlegung macht den Kern von
logie, ermöglicht wurde. Abbildung 1 erläutert
CI aus. Wichtig hierbei ist, dass CI keinen insti-
den Zusammenhang: Während die Transakti-
tutionellen Rahmen erfordert, sondern auch frei
onskosten für Informationsübertragung im spä-
ablaufen kann. Hier sind auch klare Grenzen zu
ten 20. Jahrhundert noch hoch waren, ist seit-
verwandten Themen aus dem Bereich anzu-
dem eine kontinuierliche Abnahme festzustellen.
merken. "Open Innovation" als Metabegriff zu CI
Diese erfuhren einen weiteren dramatischen
anzusehen wäre sodann zulässig, wenn deren
Einbruch mit dem Aufkommen des Internets,
enge Definition in der Literatur dahingehend
welches Daten- und damit zuerst Nachrichten-
erweitert würde, dass anstatt Kunden nun auch
sowie heute auch Sprachübermittlung quasi
verschiedene andere Akteure den Innovations-
20
Gerade die nahezu kosten-
prozess aktiv begleiten und der Fokus vom Un-
lose globale Kommunikation über das Internet
ternehmen auf den Innovationsprozess an sich
schaffte die Voraussetzung, auf denen die Ar-
richtet.
kostenlos macht.
beit von Open-Source-Communities beruht.
21
Zu 5: „durch die Offenheit des Prozesses wird
Die Motivationen, an einem CI-Prozess teilzu-
eine höhere Innovations- oder Inventionsdyna-
nehmen, sind heterogen auseinanderzuhalten.
mik realisiert“
Zum Einen lässt sich am klassischen Beispiel
Dieser Punkt bekommt beim Betrachten der bei
von Allen der augenfällige Vorteil erkennen, den
CI potentiell auftretenden Risiken ein Profil: Man
Unternehmen haben, wenn sie Zugriff auf Er-
sollte mögliches illoyales Verhalten von Teil-
kenntnisgewinne
nehmern
anderer
Unternehmen
be-
einkalkulieren,
Transaktionskosten,
kommen. Weiterhin steigert eine maßgebliche
welche durch die interinstitutionale Kommunika-
Rolle in einem solchen Prozess als "primus inter
tion entstehen, berücksichtigen. Grundsätzlich
pares" oder an der technologischen Spitze Ste-
ist aber leicht ersichtlich, dass bei einem zielof-
hender Akteure das Selbstwertgefühl, was nicht
fenen, kreativen Prozess die Dynamik durch die
nur auf Einzelpersonen sondern auch auf Un-
Beteiligung vieler Akteure verbessert werden
ternehmen bzgl. der Selbstwahrnehmung zu-
kann.
22
Ein Aspekt, der auch nicht zu vernach-
Zu 6: Wenn sich Firmen oder Personen an CI
lässigen ist, ist mit einem entrepreneurhaften
beteiligen, erwarten sie von anderen Teilneh-
Antrieb verbunden: Das Gefühl, technologisches
mern eine Gegenleistung für das von ihnen of-
Neuland zum Wohle der Nation oder der Region
fengelegte Wissen. Damit kann man zusam-
trifft.
20
21
22
menfassend sagen, dass CI ein Prozess ist,
Weiber 2002, S. 285.
Lerner/ Tirole 2004, S. 6.
Meyer 2003, S. 21.
23
54
Meyer 2003, S. 13.
welcher auf Gegenseitigkeit beruht. Befürchtet
dung 1 dargestellt wird. Die Betrachtung setzt
eine teilnehmende Institution übervorteilt zu
die Annahme voraus, dass die Einführung mo-
werden, so wird sie sich aus dem Prozess der
derner Kommunikationsmittel einen, die Trans-
Offenlegung zurückziehen bzw. das Engage-
aktionskosten für CI senkenden Einfluss hat.
ment reduzieren.
Durch die Möglichkeiten dieser „modernen“
Zu 7: „das Auftreten von CI kann man häufig in
Kommunikationsformen wurde der Aktionsradius
Zusammenhang mit der Schaffung einer Basis-
von CI stark ausgedehnt. In der in dieser Heuris-
technologie bringen, die einen Paradigmen-
tik dargestellten Phase 1, der vortelekommuni-
wechsel einläutet“
kativen Phase, sind die Transaktionskosten für
Dieser Sachverhalt ist in Bezug auf den Fall
CI hoch und CI findet vornehmlich lokal statt.
"Personal Computer" naheliegend. Die moderne
Phase 2 bildet die Ausbreitung des Telefons ab,
Informationstechnologie kann als "Schrittma-
durch welche die Transaktionskosten für CI
cher" der heutigen Wirtschaftssysteme sowie als
schon erheblich gesenkt wurden und die Be-
Basistechnologie und Ausgangspunkt für viele
schränkung des Phänomens auf lokale Zusam-
24
Das
menarbeit abgeschwächt wurde. Phase 3 mar-
Aufkommen von Open Source Software bildete
kiert nun den Eintritt in das „globale Dorf“ ver-
die Basis einzelner bedeutender Technologien,
netzter Zusammenarbeit, die Phase der Inter-
auf denen unsere Kommunikation über das In-
net-Kommunikation. Diese Phase, in der wir uns
weitere Innovationen angesehen werden.
25
Auch der Stahlindustrie
zur Zeit befinden, führt zu einer radikalen Ver-
kann eine solche Bedeutung zugeschrieben
einfachung von Zusammenarbeit durch gesun-
werden: Sie legte das Fundament für den Aus-
kene Transaktionskosten. Beispielhaft sei hier
bau des Bahnverkehrs, der die Warenströme
das Potential kostengünstiger globaler Video-
des frühen 20. Jahrhunderts beförderte.
konferenzen im Vergleich zu früher anzutreten-
ternet heute beruht.
den Geschäftsreisen erwähnt. Insgesamt ergibt
sich hieraus durch verbesserte KommunikatiAbb. 1: 3-Phasenmodell der bei CI auftretenden
Transaktionskosten
onstechnologien ein sich im Zeitverlauf vergrößernder Aktionsradius für CI bei gleichzeitig
sinkenden
Transaktionskosten.
Ein
weiterer
zentraler Punkt der Einflüsse von Kommunikationstechnologie auf CI ist das Aufkommen des
Internets seit Ende der 1980er Jahre. Kein anderes Medium hatte so eruptive Auswirkungen
auf die Geschäftswelt.
26
Der augenfällige Knick
hin zu einer stark beschleunigten Abnahme der
Transaktionskosten bzw. der Globalisierung von
CI wird durch den Einzug des Internets in die
Geschäftswelt
ausgelöst.
Geschäftsmodelle,
Ein weiterer Aspekt im Rahmen der Schrittma-
welche den Geist der kollektiven Erfindung ver-
chertechnologien ist die Auswirkung von Kom-
sprühen, machen einen vielversprechenden
munikationstechnologie auf CI, welche in Abbil-
Eindruck.
24
25
Weiber 2002, S. 272.
Henkel 2003, S. 3.
26
55
Vgl. Weiber 2002, S. 287.
Gewinn (hier kein Haftantritt) belohnt werden
3 Theoretische Erklärungsansätze für
kann. 28
das Auftreten der CI
Übertragen auf die Situation bei CI lassen sich
Beim Versuch, das Phänomen Collective Inven-
folgende Parallelen ziehen: Teilnehmer im CI-
tion theoretisch zu untermauern, stößt man dar-
Prozess sollten eine loyale Strategie verfolgen:
auf, dass sich ein klassisches Theorem aus der
Sämtliche Fortschritte werden offengelegt. Eine
Entscheidungs- bzw. Spieltheorie anwenden
illoyale Strategie ließe sich folgendermaßen
lässt: Das Gefangenendilemma. Von Hippel
konstruieren: Ein Teilnehmer am CI-Prozess
diskutiert dieses ausführlich in seinem Beitrag
vereinnahmt Fortschritte von anderen zu seinen
zum angrenzenden Thema „Informal Know-
Gunsten, behält jedoch seine eigenen Fort-
How-Trading. 27 Die Übertragbarkeit auf CI ist
schritte für sich. Diese Konstellation ist so aus-
aufgrund der Ähnlichkeit beider Phänomene
zuwerten: Auf kurze Sicht kann das illoyale Ver-
gegeben. In der klassischen Form stellt sich das
Gefangenendilemma
folgendermassen
halten zwar Vorteile bringen, langfristig untermi-
dar:
niert es aber den ganzen Prozess und entzieht
Zwei Verbrecher werden nach einer Tat festge-
ihm die Dynamik. Beispielhaft sei dies nun er-
nommen und einer Tat beschuldigt. Sie können
klärt an einer Open-Source-Software, deren
sich nicht absprechen, und haben jeweils 3 er-
Lizenz es erlaubt, sie zu kommerzialisieren
gebnisbekannte Verhaltensmöglichkeiten: Sie
(BSD-Lizenz
können den Anderen belasten und selbst leug-
29
): Dadurch, dass das Unterneh-
men beschließt, die Software fortan nur noch
nen oder zur Tat schweigen. Dafür drohen ihnen
intern weiterzuentwickeln, schließt es alle exter-
Haftstrafen der folgenden Länge:
nen Entwickler aus. Die bis dahin offen entwickelte Software bekommt so den Charakter
eines extern zugekauften Produktes, und unter-
Abb. 2: Klassisches Gefangenendilemma und
Übertragung auf CI
liegt nicht mehr den Vorteilen, die Open-SourceEntwicklung mit sich bringt.
Hier kristallisiert sich ein Kernproblem von CI
heraus: Loyale Weitergabe von Fortschritten ist
eine Prämisse für faire Umsetzung. Abbildung 2
stellt den Sachverhalt dar: Die möglichen Strafen für die verschiedenen Verhaltensweisen im
Gefangendilemma und die Übertragung auf den
Fall der CI.
Eine weitere theoretische Erklärungsmöglichkeit
für CI stellt die Netzwerkökonomie dar. Weiber
Entscheidend für unsere Betrachtung hier ist,
stellt dabei heraus, dass in einer netzwerkba-
dass Kooperation (beide geben die Tat zu) bei
sierten Informationsgesellschaft vom Paradigma
mehrmaliger Wiederholung des Spiels die auf
abnehmender Grenzerträge, welches die Indust-
Dauer beste Alternative für die Tatverdächtigen
riegesellschaft prägte, Abstand zu nehmen ist.
ist, den anderen zu belasten jedoch bei einmali-
Die
ger Durchführung des Spiels mit dem größten
Basistechnologie
„Informationstechnik“
schafft die Voraussetzung für empirische Ge-
28
27
29
Hippel 1987, S. 18.
56
Vgl. Mankiw 2001, S. 379
Vgl. Henke 2003, S. 5.
setzmäßigkeiten, 30
dazu
desto weniger Energie braucht es prozentual zur
führen, dass die Netzwerkökonomie Gesetzmä-
Erhaltung seiner Lebensfunktionen. Nun über-
ßigkeiten zunehmender Grenzerträge unter-
prüft er diese Erkenntnis an den „Organismen
liegt.
31
welche
schließlich
In einer idealtypischen Betrachtung folgt
hieraus,
dass
die
Funktion
der Moderne“, den Großstädten, wobei er auch
Inputgröße-
hier zu dem Ergebnis gelangt, dass ein loga-
Outputgröße exponentiell verläuft. Ungeachtet
rithmischer Zusammenhang zwischen Größe
der Kritik, die man an solch einem „Traumbild“
und Ressourcenbedarf vorliegt. Bei der Betrach-
betriebswirtschaftlicher Realität äußern könnte,
tung sozialer Phänomene in Städten stellt er
haftet diesem Standpunkt ein hoher Reiz an. Als
darüber hinaus fest, dass die Stadtgröße und
Voraussetzung für die folgende Überlegung sei
die relative Innovationsrate, also die Zahl der
nun der Analogieschluss zwischen „Wirtschafts-
Innovationen pro Kopf, einem exponentiellen
system Netzwerkökonomie“ und „Sozioökono-
Zusammenhang gehorcht. Dies unterstreicht die
misches System Collective Invention“ erlaubt.
anfängliche Behauptung, Innovation korreliere
Auf dessen Grundlage folgt: In einem innovativ-
positiv mit der Größe der betrachteten Innovati-
kreativen Prozess steigt die Dynamik mit der
onsstruktur. Diese Erkenntnis weist in dieselbe
Anzahl der Teilnehmer.
Richtung wie der oben angesprochene Analogieschluss zur Netzwerkökonomie. Eine große
Zahl beteiligter Individuen führt zu einer Steige-
Abb. 3: Innovation aus Perspektive der Netzwerkökonomie
rung der Geschwindigkeit und damit der Leistung des CI-Prozesses.
Als letzten, vordergründig etwas abwegigen
Erklärungsansatz für den Erfolg von CI soll ein
evolutionärer Erklärungsansatz herangezogen
werden. Aus einer entfernten Betrachtung erweisen sich Gemeinsamkeiten zwischen der
Schumpeterischen "kreativen Zerstörung", der
Innovation, welche die Vitalkraft unseres Wirtschaftssystems darstellt, und der biologischen
Evolution. Der zentrale Mechanismus der Evolution im Darwinschen Sinne sind natürliche Selektion aus einer durch Mutation und Rekombi-
Abbildung 3 veranschaulicht diesen Zusam-
nation entstandenen Gesamtheit genetischer
menhang: Die Geschwindigkeit des Innovati-
Vielfalt. Unter natürlicher Selektion das allge-
onsprozesses wächst mit steigender Anzahl der
mein bekannte Prinzip "survival of the fittest"
Teilnehmer exponentiell. Einen weiteren Beleg
und unter Mutation und Rekombination die
hierfür liefert West: Er stellt einen grundsätzli-
Durchmischung des Erbgutes bei Entstehen
chen Zusammenhang zwischen Größe einer
neuer Generationen zu verstehen.
Stadt und Innovationsrate fest. 32 So beginnt
33
Als Paralle-
le in der Innovation findet im Zuge der Entwick-
seine Erklärung bei der Beobachtung biologi-
lung eines Produktes ein ständiges Entwerfen
scher "economies of scale": Je größer ein Tier,
und Ergänzen von neuen Lösungskonzepten
30
31
32
statt (Mutation und Rekombination), welches
Vgl. Weiber 2002, S. 275.
Vgl. Weiber 2002, S. 287.
Vgl. West 2007, S.35.
33
57
Sauermost/ Freudig 2000, S. 276
Aussortieren
den generativen Algorithmen innewohnenden
schlechter Ergebnisse zu dem gewünschten Ziel
Gesetzmäßigkeiten taucht eine "fundamental
führt ("survival of the fittest"). Dieses Beispiel
intuition of genetic algorithms" und damit eine
lässt sich gut an Allens Fall der Hochofenopti-
"innovative intuition" auf, 36 der bei der weiteren
mierung verdeutlichen: Der genaue Wirkungs-
Erforschung des Innovationsprozesses eine
mechanismus des Prozesses war unklar, das
große Bedeutung beizumessen ist. Denn je
Ziel war eine Ressourceneinsparung und damit
besser die innere Logik und damit die Funkti-
Kostenreduktion. Also wurden die Parameter
onsweise von Innovationsprozessen verstanden
(v. a. Höhe des Hochofens und Betriebstempe-
wird, desto effizienter können diese geplant und
ratur) solange variiert, bis sich nach und nach
gesteuert werden, was mit positiven Effekten
Hochofendesigns mit den gewünschten Leis-
sowohl für einzelne Unternehmen als auch dem
tungseigenschaften einstellten. Wenig fruchtba-
Fortgang ganzer Volkswirtschaften einhergehen
re Parameteränderungen wurden verworfen und
sollte.
langfristig
bei
gleichzeitigem
erfolgreiche Ansätze weiterverfolgt und fortent-
4 Software-Development-Kits und
wickelt. Als weiteres bekanntes Beispiel soll
Crowdsourcing als moderne Treiber
zusätzlich die Entwicklung des "Flugapparates"
der CI
der Gebrüder Wright anführt werden. Ohne die
Gesetze der Aerodynamik, welche ein Flugzeug
Als aktuelle, der CI verwandte Form offener
fliegen lässt, präzise verstanden zu haben, wur-
Innovationen möchte ich die Bereitstellung von
den experimentell so lange verschiedene Lö-
Software Development Kits (SDK) durch Unter-
sungen variiert, bis ein flugfähiges Vehikel ent-
nehmen ins Feld führen. Dabei wird Kunden ein
34
Um den Zusammenhang zur CI
„Werkzeugkasten“ zur Hand gegeben, mit dem
wiederherzustellen: Ein der Evolutionstheorie
sie sich in beschränktem Maße an der Gestal-
immanenter Tatbestand ist, dass der Populati-
tung von Produkten beteiligen können (Asel/
onsfortschritt und damit die Dynamik mit der
Steinmetz, S. 94ff.). Bei SDK bieten Unterneh-
Anzahl der Individuen steigt, wobei dies unter
men Entwicklern nun eine umfassende Entwick-
bestimmten Rahmenbedingungen als ein weite-
lungsplattform an, auf deren Basis diese eigene
rer Beleg für die Vorteilhaftigkeit von offenen
Software entwickeln können. Der dynamische
Innovationsprozessen verstanden werden kann.
Prozess, den sich die Unternehmen zu Nutze
Dieser evolutionäre Ansatz erlangt auch in an-
machen, ist als „Crowdsourcing“ bekannt: Man
deren
benutzt die „Masse“ (Crowd) von interessierten
standen ist.
Wissenschaftsbereichen
zunehmende
Bedeutung. So werden formale Modelle zur
Entwicklern als externe Ressource (Source).
Optimierung von Problemen, welche sich gene-
Die Offenlegung von Quelltexten bis dahin ge-
rativer Algorithmen bedienen auch zur Be-
schützter Programmcodes stellt eine ähnliche
schreibung von Innovationsprozessen ange-
Vorgehensweise dar, mit der sich Unternehmen
35
Dabei werden die der Evolution
das Potential, welches in der (Weiter-) Entwick-
zugrundeliegenden Mechanismen computerba-
lung von Programmcodes durch die Program-
siert nachempfunden. Bei der Betrachtung der
mierer aus der Open-Source-Community liegt
wandt.
zunutze machen. Bekannte Beispiele aus der
34
35
Unternehmenspraxis sind hier die Entscheidung
Erstaunlicherweise führte die Recherche zum Thema
zum Ergebnis, dass auch bei dieser Erfindung die Kräfte
von CI am Wirken waren: Die Gebrüder Wright wurden
bei ihren Flugexperimenten unentgeltlich von einer Koryphäe im Flugzeugbau unterstützt. (Wikipedia)
Vgl. Goldberg 2002, S.1
von IBM, den Webserver Apache unter eine
36
58
Goldberg 2002, S.4
offene Lizenz zu stellen sowie die Überführung
Zukunft ein entscheidender Faktor bei der In-
des Webbrowserveteranen Netscape in das
formationsbeschaffung sein wird. Anstelle eines
Mozilla Project, aus dem seither verschiedene
eigenen Endgerätes, dessen Entwicklung au-
marktpotente
ßerhalb der eigentlichen Kernkompetenzen des
sind.
Internet-Browser
entstanden
37
Unternehmens gelegen hätte, wird eine Platt-
Der Unterschied bei der Bereitstellung von
form bereitgestellt, auf der Entwickler ein Mobil-
SDKs im Vergleich zur Offenlegung eines be-
telefon rund herum um Google Dienste entwer-
kannten Produktes besteht darin, dass es sich
fen können. Die strategischen Beweggründe
bei SDKs nur um eine Plattform für weitere Ent-
liegen auf der Hand. Ein Pool an interessierten
wicklungen handelt, die per se noch nicht auf
Entwicklern erzeugt das eigentlich avisierte
ein spezielles Produkt abzielen muss. Als Bei-
Zielprodukt, nämlich ein Mobiltelefon, das auf
spiel für ein SDK kann das jüngst vom Unter-
den Funktionen der von Google angebotenen
nehmen Google lancierte Projekt „Android“ an-
Dienste basiert und damit diesen Diensten wei-
geführt werden. Von seiner Gründung an konnte
tere Popularität verschafft. Der Bezug zu CI ist
Google
„Internet-
so zu verorten: Wurden früher eigene Technolo-
Suchmaschine“ einen kometenhaften wirtschaft-
gien zur Verbesserung geöffnet oder in einem
lichen Erfolg verbuchen. Die damalige Innovati-
kreativen Prozess gemeinsam entwickelt, so
on eines auf mathematischen Algorithmen ba-
geben Unternehmen heute strategisch „vorprä-
sierten „Page Ranks“, welcher die Verweise von
parierte“ Baukästen an Entwickler, aus denen
Webseiten auf andere als das für Suchergeb-
diese daraus im Idealfall kreativ innovieren.
mit
der
Kernleistung
nisse relevante Kriterium heranzog, verhalf
5 CI als Bestandteil einer „Balanced
Google innerhalb kurzer Zeit zu einem ausge-
Scorecard“ moderner Innovationstä-
zeichneten Ruf und damit zu einer marktbeherr-
tigkeiten
schenden Stellung. Unbeeindruckt von den Turbulenzen um die sog. „Internet-Blase“ gelang es
Offene Innovation in Form von CI ist kein Phä-
Google anschließend, durch eine dominante
nomen, das erst in jüngerer Zeit und auf Basis
Stellung im Markt für Internetwerbung exzellente
von moderner Kommunikationstechnologie ent-
Umsätze zu erzielen. Dies führte dazu, das
standen ist, sondern wurde schon zu Anfang der
Google heute aus einem Wirtschaftszweig her-
industriellen Revolution praktiziert. Jedoch bie-
aus, der vor 20 Jahren quasi noch nicht existier-
ten sich durch die Voraussetzungen, die das
te, heute unter den Unternehmen mit der größ-
Informationszeitalter mit sich bringt, neue Chan-
ten Marktkapitalisierung einen der oberen Plätze
cen, da die potenzielle Dynamik und Leistungs-
belegt. Um das Kernprodukt Suchmaschine
fähigkeit offener und vor allem kollektiver Inno-
gruppieren sich mittlerweile zahlreiche intern
vationsprozesse gestiegen sind. Aus den voran-
entwickelte Dienste wie Googlemail, Google
gegangenen Ausführungen wird deutlich, dass
Maps und Adsense sowie zugekaufte wie Blog-
Unternehmen externe Ressourcen in ihre Inno-
ger oder Youtube. Man kann von einer nahezu
vationsprozesse integrieren sollten. Die genaue
beängstigenden Dominanz von Google in der
Ausprägung der Öffnung, also die Wahl des
Informationswirtschaft sprechen.
richtigen Instrumentes oder einer Kombination
Google Android markiert nun Googles Eintritt ins
derselbigen, seien es CI, User Integration, Inno-
Geschäft mit mobiler Kommunikation, welche in
vation Toolkits, SDKs, Lead-User-Einsatz oder
37
Vgl. Henkel 2003, S. 3
59
Forschungskooperation 38 , ist genauso klug zu
Abb. 4: Integrierte Nutzung von Techniken „offener Innovation“
wählen wie die richtigen strategischen Betätigungsfelder: Eine „Balanced Scorecard“ moderner Innovationstätigkeiten sei hier vorgeschlagen, wie sie in Abbildung 4 dargestellt wird.
Entscheidend ist hierbei eine ausgewogene und
abgestimmte Komposition der einzelnen Maßnahmen zu treffen. Die genannten Konzepte
moderner Innovationstätigkeiten müssen sich
wie in einem Puzzle ergänzen. So ist davon
Literaturverzeichnis
auszugehen, dass ein erfolgreicher Einsatz dieser Konzepte nicht mit dem punktuellen, einma-
Allen, R. C. (1983): Collective Invention, in:
ligen Einsatz von bspw. Lead Usern getan ist.
Journal of Economic Behaviour and Or-
Vielmehr besteht die Forderung nach einer stra-
ganization, Vol. 4
tegischen Planung der Nutzung moderner Innovationsformen, welche die strategische Rah-
Goldberg, D. E. (2002): The Design of Innova-
menplanung der herkömmlichen Innovationstä-
tion - Lessons from and for Competent Ge-
tigkeit eines Unternehmens ergänzen sollte. Die
netic Algorithms, Illinios 2002
Hars, A./Ou, S. (2002): Working for free? Moti-
Werkzeuge zum Erfolg liegen bereit, nun sollten
sich Führungskräfte daran machen, ihre Fähig-
vations for participating in Open Source pro-
keiten in deren Gebrauch zu schulen. Dem
jects, International Journal of Electronic
Themenfeld CI – hier sei noch einmal an eine
Commerce, 6, S. 25-39.
weitere Begriffsauffassung angeknüpft - fällt
Henkel, J. (2003): Open Source Software from
hierbei ein besonderer Reiz zu. War es in der
Commercial Firms - Tools, Complements,
Vergangenheit schon möglich, unter Ausnut-
and Collective Invention, in: Zeitschrift für
zung kollaborativer Synergieeffekte ohne welt-
Betriebswirtschaft, 2004
weite Vernetzung durch das Internet Innovationen großer Tragweite aus der Taufe zu heben,
Hippel, E. von (1987): Cooperation Between
nährt das Potential des Informationszeitalters
Rivals: Informal Know-How Trading, Re-
die Hoffnung, dass durch evolvierte Formen
search Policy 16, S. 291-302.
menschlicher Zusammenarbeit die InnovationsHiebel, Hans H. (1999): Große Medienchronik,
dynamik und damit der Kern unternehmerischer
München 1999, S. 1061ff.
Prosperität auf ein neues Niveau gehoben wer-
Lerner, J. / Tirole, J. (2004): The Economics of
den könnte.
Technology Sharing: Open Source and Beyond, NBER Working Paper No. 10956,
Cambridge 2004.
Mankiw, N. G. (2001): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2. Auflage, Stuttgart 2001.
Meyer, P. B. (2003): Episodes of collective in38
Auf diese Methoden sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, ausführliche Darstellungen finden sich u. a. bei
Reichwald/ Piller 2006.
vention, Working Paper 368, Office of Pro60
ductivity and Technology, U.S. Department
of Labour, Bureau of Labour Statistics, August 2003.
Reichwald, R. / Piller, F. (2006): Interaktive
Wertschöpfung, 1. Auflage, Wiesbaden
2006.
Rossi, M. A. (2006): Decoding the free/open
source software puzzle: A survey of theoretical and empirical contributions, in: Bitzer,
J. and Schröder, P. J. H. (Hrsg.): The Economics of Open Source Software Development, Amsterdam, S. 15-55.
Schumpeter, J. A. (1939): Business Cycles, A
Theoretical, Historical, and Statistical Analysis of the Capitalist Process, Bd. 1, New
York u.a. 1939, S. 86
Sauermost, R. / Freudig, D. (Red.) (2000): Lexikon der Biologie: in fünfzehn Bänden, Bd.
5. Elektivitätsindex bis Flitterzellen, Heidelberg 2000.
Weiber, R. (2002): Die empirischen Gesetze der
Netzwerkökonomie, in: Die Unternehmung,
56. Jg. (2002) Heft 5, 2002, S. 269-294
Weiber, R. (2006): Was ist Marketing? Grundlagen des Marketing und informationsökonomische Fundierung, Trier 2006
West, Geoffrey B. (2007): Innovation and
Growth: Size Matters, in: Harvard Business
Review, Februar 2007, S.34-35
61
Karsten Hardick
Potentiale und Risiken von Open Source aus Sicht der Unternehmenspraxis
1
Open Source ist bei Unternehmen beliebt
2
Grundlagen von Open Source
3
Vorteile und Potentiale von Open Source
4
Nachteile und Risiken von Open Source
5
Reifegrad und Einsatzstrategien von Open Source
6
Alternative Open Source
Trotz der darauf folgenden Ernüchterung bei
1 Open Source ist bei Unternehmen
den Kursentwicklungen, war der Siegeszug von
beliebt
Open Source nicht mehr aufzuhalten. HeutzutaEine im Jahre 2004 durchgeführte Umfrage der
ge wird Open Source Software im Unterneh-
Meta Group unter 345 deutschen Unternehmen
mensbereich derart häufig genutzt, dass ein
ergab, dass 10 % der Betriebe mit 50 bis 99
Verzicht den Zusammenbruch der IT – Infra-
Mitarbeitern und sogar über 50% der Betriebe
strukturen
mit mehr als 1000 Mitarbeitern das Open Sour-
hätte.
ce Betriebssystem Linux nutzen. 1 Prognosen
in vielen Unternehmen zur Folge
5
rechnen für das Jahr 2010 zudem mit einer
Die Gründe für den Einsatz von Open Source
Marktführerschaft von Linux in Unternehmen. 2
Software, wie beispielsweise die geringen Kos-
Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass quell-
ten, erscheinen dabei durchaus logisch. Die
offene Software auf dem Vormarsch ist und sich
Tatsache, dass kommerzielle Firmen Open
vor allem im Unternehmensbereich in Zukunft
Source Produkte entwickeln und vertreiben,
immer weiter etablieren wird.
mag jedoch auf den ersten Blick paradox wirken. Wieso sollte ein Unternehmen dessen Ziel
Die Verbreitung von Open Source Software war
das Erwirtschaften von Gewinnen ist, ein kost-
in den vergangenen Jahren von unterschiedli-
bares Gut wie hoch entwickelte Software prak-
chen Entwicklungsphasen geprägt. 3 So wurde
tisch verschenken? Dieser und weitere Aspekte
Open Source Ende der 90er noch als Kuriosum
von Open Source im Unternehmensbereich
betrachtet, dessen Möglichkeiten und Potentiale
werden im Folgenden näher beschrieben. Zu-
weitgehend unbekannt waren. Jedoch entwi-
nächst erfolgt eine kurze Übersicht, die die In-
ckelte sich in den Folgejahren schnell ein regel-
halte der weiteren Kapitel zusammenfasst.
rechter Hype um quelloffene Software und die
Aktienwerte von Open Source Anbietern stiegen
Im zweiten Kapitel werden der Begriff Open
drastisch an. So konnte die Aktie des Unter-
Source und die dazugehörigen Lizenzen genau-
nehmens VA Linux im Jahr 1999 am Tag ihrer
er definiert. Darüber hinaus erfolgt eine kurze
Erstemission eine Steigerung von sagenhaften
Beschreibung der Entwicklung von Open Source
733 % aufweisen und damit einen Rekord unter
Software in den letzten Jahren. Das darauf fol-
den amerikanischen Erstemissionen aufstellen.
gende Kapitel beschäftigt sich mit den Vorteilen
4
und Potentialen von Open Source gegenüber
1
2
3
4
geschlossenen Systemen. In diesem Zusam-
Vgl. Computerwoche 2004.
Vgl. ZwahlenDesign 2006.
Vgl. Alexy 2006, S. 4, in Anlehnung an Driver et al.
2005.
Vgl. Heise Online 1999.
5
62
Vgl. Alexy 2006, S. 4, in Anlehnung an Driver/ Weiss
2005.
menhang werden unter anderem das Kosten-
Richard Stallmann 1983 durch seine Free-
senkungspotential durch die Nutzung sowie der
Software-Kampagne prägte, wurde aus Marke-
Sinn einer aktiven Beteiligung an Open Source
tinggründen durch Open Source ersetzt, da mit
nachgewiesen.
Aufmerksamkeit
dem Begriff „frei“ oft „kostenlos“ anstatt „quellof-
erfährt dabei die Zusammenarbeit der beteilig-
fen“ assoziiert wurde. Stallmann sprach mit sei-
ten Unternehmen im Entwicklungsprozess von
ner Kampagne eher Hobby-Programmierer an,
Open Source Software. Darüber hinaus wird in
wohingegen die OSI es sich zur Aufgabe mach-
Kapitel drei ein Geschäftsmodell beschrieben,
te Open Source im Wettbewerb mit proprietärer
welches Open Source sowie kommerzielle Pro-
Software auch für die Wirtschaft interessant zu
dukte miteinander kombiniert und somit Gewin-
machen. Nach der Definition der OSI muss eine
ne ermöglicht.
Softwarelizenz im Wesentlichen folgende Ei-
Besondere
genschaften haben um als Open Source aner-
Kapitel vier thematisiert die Nachteile und Risi-
kannt zu werden:
ken von Open Source. Auch hier wird zwischen
•
Nutzung und aktiver Beteiligung unterschieden.
7
Der Quellcode der Software muss in einer
Dabei spielen die Unsicherheit von Open Sour-
für den Menschen verständlichen Form vor-
ce Software in Bezug auf Support und Weiter-
liegen, d.h. in Form einer Programmierspra-
entwicklung sowie der mögliche Verlust von
che und nicht als binärer Code.
intellektuellem Eigentum eine besondere Rolle.
•
Im fünften Kapitel wird der Reifegrad von Open
Die Software darf von jedermann kopiert,
verteilt und genutzt werden. Eine Forderung
Source Software im Vergleich zu kommerziellen
von Lizenzgebühren ist dabei nicht erlaubt.
Produkten näher untersucht. Darüber hinaus
•
wird die Frage geklärt, in welchen Bereichen
Der Quellcode der Software darf verändert
eine Nutzung oder Beteiligung an Open Source
und in der veränderten Form weitergegeben
sinnvoll ist.
werden.
Darüber hinaus darf die Lizenz nicht auf einer
2 Grundlagen von Open Source
bestimmten Technologie oder einem Standard
Zunächst soll die Entstehung und Definition des
basieren und keine Personen sowie Gruppen
Begriffes Open Source erläutert werden. Dar-
vom Nutzerkreis einer Anwendung ausschlie-
über hinaus werden im Weiteren die wichtigsten
ßen. Zu den bedeutendsten, der mittlerweile
Lizenzen sowie die bisherige Entwicklung von
über 60 von der OSI anerkannten,
Open Source vorgestellt.
Lizenzen
gehört die General Puplic Licence (GPL), die
Open-Source (engl. quelloffen) ist Software mit
bereits 1989 von Richard Stallman entworfen
frei veränderbarem Quellcode, der für jeder-
wurde. Sie ist diejenige Lizenz, die die Quellof-
mann zugänglich ist. Ihr gegenüber steht prop-
fenheit von Software am effektivsten sicher-
rietäre Software deren Quellcode geheim ist und
stellt. 8 Neben den Anforderungen durch die OSI
für die eine Lizenzgebühr bezahlt werden muss.
trägt das sog. Copyleft-Prinzip maßgeblich dazu
Der Begriff Open Source entstand im Jahre
bei. Das Prinzip besagt, dass jeder der Software
1998 als Eric Raymond und Bruce Perens die
unter einer GPL verändert, sie nur unter dersel-
6
Die
ben Lizenz weiter verbreiten darf. Damit wird
ursprüngliche Bezeichnung „Freie Software“, die
das Ziel verfolgt, die Quelloffenheit einer Soft-
Open Source Initiative (OSI) gründeten.
7
6
8
Vgl. Perens 2007, S. 133.
63
Vgl. Open Source Initiative 2006.
Vgl. Henkel 2003, S. 5.
ware auch nach der Weiterentwicklung von an-
nur die Nutzung von Open Source Alternativen
deren zu gewährleisten. Da die Lizenz somit die
rasch voran. In den letzten Jahren gelangten
private Aneignung von Software unmöglich
auch viele kommerzielle Firmen zu der Über-
macht, stellt die GPL praktisch die Geburtsstun-
zeugung, dass neben der Nutzung eine aktive
9
de von Open Source dar. Bekannte Vertreter
Beteiligung an Open Source lohnenswert ist. So
von Software unter einer GPL sind Linux oder
investierte im Jahr 2004 der Chiphersteller AMD
OpenOffice. Eine weitere bedeutende Open-
5 Mio. US-Dollar in die Open Source Develop-
Source-Lizenz ist die Berkeley Systems Distri-
ment Labs, eine Vereinigung die gegründet
bution (BSD). Sie kann jedoch im Gegensatz zur
wurde um Linux zu fördern. Hauptkonkurrent
GPL in eine proprietäre Lizenz umgewandelt
Intel oder auch Firmen aus anderen Branchen
werden, die dann die Kommerzialisierung einer
wie Unilever sind ebenfalls Mitglieder der Open
Ein Beispiel hierzu ist
Source Development Laps. 12 Darüber hinaus
das hauseigene kommerzielle Betriebssystem
entwickeln aber auch immer mehr Firmen Open
Mac OS X der Firma Apple, welches unter ande-
Source Software und vertreiben sie kostenlos
rem auf BSD - lizenzierten Softwareprodukten
per Download im Internet. Bekannte Beispiele
basiert.
hierzu sind die börsennotierten Unternehmen
Software ermöglicht.
10
Sun Microssystems mit der Programmierspra-
In den Anfangszeiten von Open Source beteilig-
che Java 13 und die schwedische MySQL AB mit
ten sich größtenteils Hobby-Programmierer an
ihrer Open Source Datenbank MySQL. 14
Open Source Projekten. Sie schlossen sich in
Entwicklergemeinschaften zusammen und motivierten
sich
durch
den
Spaß
am
3
Code-
Vorteile und Potentiale von Open
Source
Schreiben und die Verbesserung der Software
3.1 Die Nutzung von Open Source ist nicht
für die eigene Nutzung. Besonders durch das
nur kostengünstig
quelloffene Betriebssystem Linux wurde aber
auch das Interesse der breiten Öffentlichkeit an
Die einfachste Möglichkeit von Open Source
Open Source geweckt. Zum ersten Mal gab es
Software zu profitieren liegt sicherlich in deren
eine Alternative zu Microsofts Betriebssystem
Verwendung. So bietet quelloffene im Vergleich
Windows, die dazu noch kostenlos erhältlich
zu proprietärer Software ein enormes Kosten-
war. Aber auch auf anderen Gebieten konnte
senkungspotential. Es fallen weder Lizenz- noch
sich Open Source Software etablieren. So be-
Upgradekosten an, da die Software und mögli-
sitzt der Open Source Internetbrowser Firefox
che Upgrades kostenlos per Download erhältlich
nach Schätzungen in Europa bereits einen
sind. Darüber hinaus sind die Ausgaben für
Marktanteil von 27,8 %, was als beachtlicher
Administration nach Schätzungen ca. 25-50 %
Teilerfolg im Wettbewerb mit dem Internet Ex-
geringer als bei proprietärer Software.
plorer von Microsoft (66,5%) gewertet werden
Open Source Software in der Regel ressourcen-
kann.
11
15
Da
schonender ist, sind auch die Kosten für die
Der Open Source Webserver Apache
konnte sogar proprietäre Produkte weitgehend
Anschaffung von Hardware niedriger.
verdrängen und ist momentan der meistgenutzte
Dieses Kostensenkungspotential wurde von
Webserver im Internet. Jedoch schreitet nicht
vielen Studien belegt. So untersuchte das Com12
9
10
11
13
Vgl. Osterloh/ Rota/ Lüthi 2006, S. 69.
Vgl. Henkel 2003, S. 5.
Vgl. XitiMonitor 2007.
14
15
64
Vgl. Heise Online 2004.
Vgl. Golem.de 2007.
Vgl. Heise Online 2007.
Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75.
petence Center Electronic Business am Fraun-
Standards. 18 Eben diese Alternative zu den
hofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisa-
Produkten von Microsoft war für den Mitbegrün-
tion im Jahr 2005 in einer Studie die Migration
der der OSI Bruce Perens der Hauptgrund,
von Mitarbeiterrechnern mit aktueller Software
weshalb die Initiative in den Jahren nach ihrer
von Microsoft auf Open Source Software. Hierzu
Gründung solchen Erfolg hatte. 19
wurden
auf
Basis
Ownership-Analyse
einer
Total-Cost-of-
Ein großer Nachteil von kommerzieller Software,
(TCO-Analyse) alle rele-
die für den Vertrieb konzipiert wurde ist die Tat-
vanten Kostentreiber ermittelt und monetär be-
sache, dass sie immer ein Massenprodukt ist.
wertet. Man gelangte zu dem Ergebnis, dass die
So muss die Software einen breiten Nutzerkreis
TCO der Open Source Software um 6,9 % nied-
ansprechen, um hohe Verkaufszahlen zu errei-
riger waren als die der Windows Software. 16
chen und damit die Entwicklungskosten zu de-
Cybersource stellte sogar in einer Vergleichs-
cken. Dementsprechend ist sie nicht speziell auf
studie ca. 19 bis 36 Prozent niedrigere TCO von
ein Unternehmen zugeschnitten, so dass ca.
Linux gegenüber Windows fest. 17 Angesichts
50% der über den Handel erworbenen Software
der Schwankungen in den Ergebnissen hängt
nicht vollständig und effizient genutzt werden
die Wirtschaftlichkeit von Open Source somit
und die Anschaffung sich als Fehlinvestition
stark vom jeweiligen Einsatzgebiet ab. So sind
herausstellen kann.
die Vorteile insbesondere dann sehr hoch, wenn
20
Ein möglicher Weg, um
eine speziell an das Unternehmen angepasste
geringe Schulungskosten für die neue Open-
Software zu erhalten, ist eine unternehmensin-
Source Software anfallen und gleichzeitig hohe
terne Neuentwicklung oder eine externe Auf-
Lizenzkosten gespart werde können.
tragsentwicklung. Beide Lösungen sind jedoch
Ein weiterer Vorteil von quelloffener gegenüber
mit hohem Aufwand und Kosten verbunden.
proprietärer Software ist die in der Regel höhere
Falls die Mitarbeiter eines Unternehmens über
Stabilität und Sicherheit. Der Grund hierfür liegt
die technischen Kenntnisse verfügen Software
im offenen Quellcode den jedermann einsehen
selbst zu entwickeln, ist die Modifikation von
kann, so dass Probleme oder Sicherheitslücken
Open Source Produkten oft der einfachste und
von vielen Testern erkannt und schnell behoben
kostengünstigste Weg die benötigte Software zu
werden können. Die höhere Stabilität und Si-
erhalten. Durch die Quelloffenheit und meist
cherheit hat zur Folge, dass der Aufwand für die
gute Dokumentation von Open Source Software,
Entwicklung, Optimierung und Verwaltung einer
kann sie an die eigenen Bedürfnisse angepasst
Anwendung gesenkt werden kann.
werden und lässt sich so effektiver nutzen. Dabei muss die Lösung nicht komplett neu entwi-
Ein weiterer Grund weshalb viele Firmen Open
ckelt werden, sondern baut auf der Vorarbeit
Source Software nutzen ist die dadurch sinken-
anderer Entwickler auf.
de Abhängigkeit von proprietärer Software. So
stellte der deutsche Bundestag im Jahr 2005 die
3.2 Die gemeinsame Entwicklung schafft
Server in der Verwaltung auf das Betriebssys-
neue Standards
tem Linux um und senkte damit nicht nur die
Neben der reinen Nutzung von Open Source
Abhängigkeit von Microsoft, sondern setzte
Software kann ein Unternehmen aber auch aktiv
auch ein Zeichen für die Unterstützung offener
an deren Entwicklung und Förderung teilneh18
16
17
19
Vgl. Renner et al. 2005, S. 167.
Vgl. Cybersource 2002, S. 5 f.
20
65
Vgl. Deutscher Bundestag 2005.
Vgl. Perens 2007, S. 135.
Vgl. Krass 2002.
men. Dabei widerspricht die Quelloffenheit der
tausch von Softwareentwicklern fördern. Dar-
Software
traditioneller
über hinaus veröffentlicht Google auf der Websi-
ökonomischer Thesen, welche besagen, dass
te Informationen zu eigenen Tools und hofft
Firmen ihr innovatives Wissen vor den Konkur-
durch externen Entwicklungssupport Wege auf-
renten geheim halten oder es durch Patente
gezeigt zu bekommen, wie der eigene Quellco-
schützen lassen sollten. Überall dort wo dies
de zu verbessern wäre. 23
dem
Grundgedanken
nicht möglich ist, sei es schwierig Gewinne
Die Zusammenarbeit von Firmen auf diese Wei-
durch die Innovationen zu erzielen, so dass
se wurde bereits 1983 von Robert C. Allen be-
Anreize für neue Innovationen langfristig sin-
schrieben. Er erklärte den raschen Fortschritt in
ken. 21
der Hochofentechnologie im 19 Jhdt., durch die
Die immer weiter fortschreitende Verbreitung
Kooperation der beteiligten Firmen. 24 Dieses
von Open Source beweist jedoch das Gegenteil.
Innovationsmodell, das von ihm als Collective
Durch die weit reichenden Lizenzen unter denen
Invention bezeichnet wurde, fand ebenfalls bei
Open Source Software steht wird das intellektu-
der Entwicklung von Flachbildschirmen in den
elle Eigentum welches in die Entwicklung der
Jahren 1969 bis 1989 Anwendung. Hier erziel-
Software mit einfließt für jedermann sichtbar.
ten die Firmen, die ihr Wissen publizierten, e-
Die einzelnen Softwareanbieter entwickeln so
benfalls eine höhere Innovationsleistung als
eine neue Beziehung zueinander, da sie nun
diejenigen, die es geheim hielten.
über das Wissen ihrer Konkurrenz verfügen und
schied zu den historischen Beispielen, ist jedoch
gemeinsam an Open Source Projekten arbeiten,
der Open Source Bereich selbst nach der Ent-
um sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Ko-
wicklungsphase noch oft durch Collective Inven-
operation bringt für die beteiligten Firmen ein
tion gekennzeichnet. 26 Dies wird maßgeblich
immenses Entwicklungspotential mit sich. Die
durch das Copyleft-Prinzip der GPL ermöglicht,
Zahl der Entwickler für ein Produkt wird erhöht,
da es sicherstellt, dass quelloffene Software
wobei jeder von den Verbesserungen des ande-
auch nach mehreren Entwicklungsstufen für
ren profitiert. Innovationen erfolgen dabei se-
jedermann quelloffen bleibt. Eine Kommerziali-
quenziell, d.h. jede Innovation baut auf der In-
sierung der Software wird so nicht mehr mög-
22
25
Im Unter-
Diese gegensei-
lich. Nach Franck & Jungwirth kann Coplyleft
tige Unterstützung führt so zu niedrigeren Kos-
deshalb als geniale institutionelle Innovation
ten und kürzeren Entwicklungszeiten. Darüber
bezeichnet werden. 27
novation des Vorgängers auf.
hinaus achten alle Teilnehmer darauf den Quell-
Ein weiterer Grund für die Beteiligung von vielen
code derart zu schreiben, dass Erweiterungen
Unternehmen an Open Source, ist die Senkung
leicht möglich sind. Dies hat einen strukturierten
der Transaktionskosten bei Geschäften. 28 Da
Quellcode und eine gute Dokumentation zur
die Software kostenlos angeboten wird, gibt es
Folge, was bei Projekten an denen nur ein Un-
keine Verträge über Kaufbedingungen oder
ternehmen arbeitet oft vernachlässigt wird. Ein
Zahlungsabwicklungen. Darüber hinaus fallen
Beispiel für eine derartige Kooperation liefert der
Suchmaschinengigant Google. Seine Website
23
Google Code dient als Entwicklungsplattform für
24
Open Source Projekte und soll den Wissensaus-
25
26
21
22
27
Vgl. Henkel 2003, S. 4.
Vgl. Bessen/ Maskin 2000, S. 2.
28
66
Vgl. PC-Welt 2005.
Vgl. Osterloh et al. 2006,S. 66 in Anlehnung an Allen
1983.
Vgl. Osterloh et al. 2006, S. 67 in Anlehnung an Spencer 2003.
Vgl. Osterloh/ Rota/ Lüthi 2006, S. 65.
Vgl. Frank/ Jungwirth 2003, S. 19.
Vgl. Henkel 2003, S. 8.
auch die Distributionskosten sehr niedrig aus.
das größte Hemmnis, sodass sich nur durch
Open Source Software kann im Internet, mittels
eine offene Plattform herstellerübergreifend die
Download, günstig und sehr schnell verbreitet
passenden Produkte entwickeln lassen. 30
werden, wohingegen proprietäre Software in der
Amigo profitieren letztendlich nicht nur die End-
Regel immer noch in einer Verpackung und über
nutzer, sondern auch die Hersteller aller Güter
einen Händler den Weg zum Endabnehmer
die an der Heimvernetzung beteiligt sind.
findet.
An
Ein durchaus beachtenswerter Grund weshalb
Diese Art der Verbreitung ist nicht nur teuerer,
viele Firmen Open Source Software entwickeln
sondern dämpft auch die Innovationskraft von
und verbreiten, ist der Imagegewinn der dadurch
Entwicklungen. So sind viele Softwareprodukte
erlangt werden kann. Open Source wird, im
für den kommerziellen Vertrieb ungeeignet, weil
Gegensatz zu proprietärer Software, von vielen
ihr Markt nicht groß genug wäre, um die Ent-
Programmierern als „cool“ angesehen, sodass
wicklungskosten zu decken. Viele Unternehmen
eine Firma die sich an Open Source Projekten
lehnen diese Produkte ab, weil es nicht gelingt
beteiligt mit attraktiven Stellenbeschreibungen
Investoren davon zu überzeugen, dass der
aufwarten kann. Dies war für die Investment
betreffende Markt entwicklungsfähig ist oder
Bank Dresdner Kleinwort Wasserstein einer der
29
Im Zuge des
Hauptgründe wieso sie ihr Integrations-Tool
Collective Invention Prozesses bei Open Source
Open Adaptor, das 5 Mio. Dollar Entwicklungs-
Software, werden hingegen die Risiken und
kosten verschlang, zu einer quelloffenen Soft-
Kosten unter den beteiligten Firmen aufgeteilt,
ware machte.
so dass Investitionen in die betreffende Soft-
sache, dass die Beteiligung an Open Source
ware attraktiver sind.
den Firmen ein hohes Renommee bezüglich der
weil die Risiken zu hoch sind.
31
Ein weiterer Vorteil ist die Tat-
technischen Fähigkeiten verleiht und sie so als
Durch die gemeinsame Entwicklung sowie die
produktive Mitglieder der Open Source Gemein-
schnelle und weite Verbreitung von Open Sour-
schaft geachtet werden. 32
ce Software können darüber hinaus neue Technologiestandards geschaffen werden, die für
Durch Open Source Software kann letztendlich
Softwarehersteller eine wichtige Entwicklungs-
nicht nur die Abhängigkeit von proprietären Pro-
basis darstellen. Eine Bedingung hierzu ist je-
dukten gesenkt, sondern auch wirtschaftlicher
doch, dass die Software für einen Großteil des
Druck auf deren Hersteller ausgeübt werden. So
Marktes von Interesse ist. Ein aussagekräftiges
beschloss das Unternehmen Sun seine Büro-
Beispiel ist die Open Source Software Amigo.
software OpenOffice quelloffen und kostenlos zu
Die Europäische Union unterstützt seit Oktober
vertreiben, um so gezielt die Marktposition von
2007 die Entwicklung dieses Standards für die
Microsoft und seiner Office-Software anzugrei-
Heimvernetzung
fen.
von
Hausautomatisierung,
33
Darüber hinaus gelang es durch die Ver-
Unterhaltungselektronik, mobilen Geräten und
öffentlichung von OpenOffice, die Marke Sun
Computern. Beteiligt sind Hersteller von Unter-
einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen
haltungselektronik sowie Universitäten und For-
und somit nachhaltig das Unternehmensimage
schungseinrichtungen. Die Inkompatibilität der
zu steigern. Da auch heutzutage die Vormacht-
bereits zahlreich vorhandenen Ansätze und
Technologien zur Hausvernetzung war bisher
30
31
32
29
33
Vgl. Perens 2007, S. 141.
67
Vgl. Diedrich 2007.
Vgl. Howe 2002.
Vgl. Henkel 2003, S. 10 f.
Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75.
stellung von Microsoft in den meisten Software-
dem komplementären Gut verknüpft sein. Nur
bereichen sehr hoch ist, eifern viele Unterneh-
dann führen Verbesserungen der Software zu
men dem Vorbild Sun nach und veröffentlichen
höheren Absatzzahlen beim Gut. Ist diese Be-
ihre Software quelloffen. Diese Unternehmen
dingung erfüllt, stellt die Kombination von Open
verzichten dabei bewusst auf mögliche Einnah-
Source und kommerziellen Produkten ein inte-
men durch den Verkauf der Software, um sich
ressantes Konzept dar, welches offene und
auf dem hart umkämpften Softwaremarkt neben
geschlossene Systeme vereinigt.
Microsoft einen Namen zu machen.
4
3.3 Gewinne durch Open Source sind
Nachteile und Risiken von Open
Source
möglich
4.1 Open Source gibt keine Garantie
Wie bereits beschrieben bietet Open Source
Den zahlreichen Vorteilen von Open Source,
viele Möglichkeiten im Bereich der Kostensen-
stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. So
kung. Dies gilt sowohl für die lizenzfreie Nutzung
lässt sich Software erst durch das Zusammen-
als auch für den günstigen Vertrieb. Jedoch ist
spiel mit dem entsprechenden Humankapital,
es darüber hinaus auch möglich durch Open
d.h. mit einem versierten Anwender, effektiv
Source Software Gewinne zu erwirtschaften.
nutzen. 36 Durch den täglichen Umgang mit der
So ist es oft zu beobachten, dass Firmen Open
Software lernt der Nutzer diese immer besser
Source Software in Kombination mit kommer-
kennen und steigert so die Produktivität der
ziellen Produkten anbieten. Ein Beispiel hierzu
Software. In vielen Geschäftsbereichen fehlt
liefert die Firma IBM, die seit 1998 ihre proprie-
jedoch das nötige Humankapital für den Um-
täre Software, den WebSphere Application Ser-
gang mit quelloffener Software. Die meisten
ver, zusammen mit dem Open Source Webser-
Anwender haben Windows Know-how, während
ver Apache anbietet. 34 Der Grund hierfür liegt
beispielsweise Linux Kenntnisse noch ver-
darin, dass IBM damals einen Webserver benö-
gleichsweise selten sind.
tigte um sein Angebot zu vervollständigen. Der
Wechsel von proprietärer zu Open Source Soft-
eigene Webserver hatte jedoch nur noch einen
ware in einem Unternehmen hohe Schulungs-
35
Deshalb kann der
so
kosten verursachen. Da die Umstellung auf O-
dass man sich dazu entschied, den populären
pen Source Software einen Großteil der Mitar-
Apache Webserver und seine weitere Entwick-
beiter betrifft, können Netzwerkeffekte darüber
lung zu unterstützen.
hinaus zu erheblichen kollektiven Wechselkos-
IBM beteiligt sich demzufolge an Open Source
ten führen, die durch die Kombination der indivi-
Software, um mit dem Verkauf eines komple-
duellen Wechselkosten eines jeden Anwenders
mentären Gutes Gewinne zu erwirtschaften.
entstehen.
Dieses Gut kann wie im genannten Beispiel
ter im Umgang mit Open Source Software ist
Software sein, aber auch Hardware oder eine
ebenfalls darauf zu achten, dass die neue
Serviceleistung wie etwa Benutzersupport.
Technologie allgemeine Akzeptanz im Unter-
Marktanteil von weniger als einem Prozent,
Damit
dieses
Geschäftsmodell
35
Neben der Schulung der Mitarbei-
nehmen findet. Häufig sind die Mitarbeiter nicht
funktioniert,
offen für die Einführung neuer Softwareproduk-
muss die Open Source Software jedoch eng mit
34
37
te, weil sie den Lernaufwand bedingt durch die
36
Vgl. Moody 2002, S. 205 ff.
Vgl. Moody 2002, S. 206.
37
68
Vgl. von Engelhardt 2006, S. 16.
Vgl. Farrell/ Klemperer 2006, S. 91.
Umstellung fürchten. Die genannten Nachteile
Nachteil als auch ein Vorteil von Open Source
können jedoch teilweise entkräftet werden, da
Software sein kann.
die Mehrheit aller Open Source Produkte sich in
Ein gravierendes Problem bei der Nutzung von
ihrer Bedienbarkeit von kommerziellen Produk-
Open Source Software kann hingegen die
ten, wie etwa denen von Microsoft, kaum unter-
schlechte Kompatibilität zu proprietärer Software
scheidet. Die Wechselkosten können demnach
sein. Kommerzielle Softwareanbieter haben in
stark schwanken und sind somit kein generelles
der Regel kein Interesse an einer Zusammenar-
Problem von Open Source Software.
beit mit Open Source Produkten und veröffentli-
Bezüglich der Supportleistungen bei offener
chen weder Spezifikationen von Formaten noch
Software ist eine differenzierende Betrach-
von Schnittstellen. Dadurch kann der Datenaus-
tungsweise ebenfalls notwendig. So sind Hilfe
tausch zwischen proprietären und quelloffenen
und Beratung bei manchen Open Source Pro-
Systemen schwierig oder auch unmöglich wer-
dukten schwierig zu erhalten und keinesfalls
den. Diese Inkompatibilität ist jedoch ein Prob-
garantiert. Bei anderen hingegen wird durch die
lem, welches in der Regel nur von proprietärer
Entwicklungsgemeinschaft in Internetforen eine
Software ausgeht. Viele Open Source Produkte
breite Unterstützung gewährleistet, die im Ge-
haben keine Probleme proprietäre Dateiformate
gensatz zum offiziellen Support eines kommer-
zu lesen, so dass in den meisten Fällen von
ziellen Softwareentwicklers oft kostenlos ist. Ein
einer einseitigen Inkompatibilität gesprochen
ähnliches Bild liefert die Weiterentwicklung von
werden kann. Ein bekanntes Beispiel, welches
Open Source Produkten. Wie auch beim Sup-
dieses Problem verdeutlicht, sind die Microsoft
port ist die Wartung, Pflege und Weiterentwick-
Office und OpenOffice Dateiformate. So ist es
lung dauerhaft nicht sichergestellt und kann
nicht möglich mit der Software von Microsoft das
jederzeit eingestellt werden. Jedoch kann dies
Open Office Dateiformat zu lesen. Andererseits
auch für kommerzielle Software zutreffen. Die
hat OpenOffice keinerlei Probleme die Dateifor-
Gefahr ist besonders hoch, wenn ein Nachfol-
mate von Microsoft zu verarbeiten. Obwohl die-
geprodukt auf dem Markt erscheint, denn dann
ses Problem demnach nur durch proprietäre
werden die Weiterentwicklungen und der Sup-
Software verursacht wird, ist es dennoch ein
port für das ältere Produkt oft vernachlässigt
Nachteil mit dem Nutzer von Open Source Soft-
oder eingestellt. So endete beispielsweise der
ware im alltäglichen Gebrauch konfrontiert wer-
Mainstream Support für Windows 2000 bereits
den.
vier Jahre nach Markeinführung.
38
Bei promi-
Ein weiteres Problem, welches nicht vernach-
nenten Open Source Projekten ist die Gefahr
lässigt werden sollte, ist die Tatsache, dass der
einer Einstellung der Leistungen hingegen sehr
geplante Einsatz von Open Source Software
gering, weil eine breite Entwicklergemeinschaft
nicht immer zu realisieren ist. Beispielsweise
beteiligt ist und wie im Fall von Open Office oder
kann ein Unternehmen, welches Linux als Be-
MySQL renommierte Unternehmen den Support
triebssystem einsetzen möchte, Probleme be-
sichern. Es lässt sich also folgern, dass der
kommen, weil bestimmte dringend benötigte
Bereich Support und Weiterentwicklung im Ein-
Anwendungen nur auf Windows abgestimmt
zelfall betrachtet werden muss und sowohl ein
sind. Das Unternehmen wird somit praktisch
gezwungen das Betriebssystem von Microsoft
38
Vgl. Renner et al. 2005, S. 174.
69
einzusetzen und von Open Source Lösungen
Wettbewerb geführt wird. Wenn es außerdem
Abstand zu halten.
kaum alternative Software auf dem Markt gibt,
ist die Veröffentlichung unter einer Open Source
4.2 Verlust von Ertragsströmen und
Lizenz nicht immer die beste Lösung.
intellektuellem Eigentum
Das Teilen von intellektuellem Eigentum bietet,
Unternehmen die Open Source Software entwi-
wie bereits erläutert, viele Möglichkeiten. Unter
ckeln und vertreiben sehen sich ebenfalls mit
bestimmten Bedingungen kann es jedoch auch
einigen Nachteilen konfrontiert. Der offensicht-
nachteilig
lichste Nachteil ist dabei die Tatsache, dass für
sein.
Wenn
eine
Firma
BSD-
lizenzierte Software in einen Collectiv-Invention-
Open Source Software keine Lizenzgebühr ver-
Prozess gibt, besteht die Gefahr, dass ein Kon-
langt werden kann. Firmen die vor der Entschei-
kurrent die Lizenz in eine proprietäre umwandelt
dung stehen, ob sie entwickelte Software prop-
und so die Software gegen eine Gebühr verkau-
rietär oder quelloffen verbreiten, sollten daher
fen kann. Um dies zu verhindern, sollte die Ba-
den möglichen Profit gegen die Vorteile von
sissoftware die weiterentwickelt wird unter einer
Open Source abwägen.
GPL stehen. Darüber hinaus sind viele UnterFür Firmen, die Software ursprünglich zur eige-
nehmen immer noch verunsichert, wenn es um
nen Nutzung entwickelt haben und daraufhin
die Veröffentlichung des Quellcodes ihrer Soft-
veröffentlichen wollen, ist Open Source oft die
ware geht. Trotz der Vorteile wird das Teilen von
beste Wahl. So ist es schwierig Software die für
Wissen oft auch als Verlust interpretiert. Jedoch
den Eigengebrauch gedacht war zu verkaufen,
sind die Regelungen zur Offenlegung des Quell-
da der Rollenwechsel vom Nutzer zum Verkäu-
codes weniger streng als allgemein angenom-
fer nicht ohne weiteres möglich ist. 39 Oft fehlt es
men. Die GPL besagt zwar, dass der Quellcode
an nötigen Verkaufskanälen, Service oder kom-
jedem zugänglich gemacht werden muss, je-
plementären Gütern. 40 Daher sind die Transak-
doch muss dies nicht auf Eigeninitiative gesche-
tionskosten um einen Absatzmarkt zu finden in
hen. So ergab eine Umfrage unter Herstellern
den meisten Fällen zu hoch. Darüber hinaus ist
von „Embedded Linux“, dass 45 % der Firmen in
nach Raymond 90 % des Quellcodes sehr spe-
einigen Fällen den Quellcode nur dann veröf-
ziell und nur für die unternehmensinterne Nutzung und nicht für den Verkauf bestimmt,
41
fentlichen, wenn danach verlangt wird.
so
geheim zu halten, wenn keine Anfrage erfolgt,
einer Open Source Lizenz in diesem Fall keine
jedoch widerspricht es auch den grundlegender
Ertragsströme gefährdet.
Intention von Open Source.
Allerdings besteht die Gefahr, dass eine Firma
Bei der Verbreitung von Open Source Software
wettbewerbsorientierte Vorteile verliert, da die
sollten außerdem die möglichen Kosten berück-
Funktionen der Software nun auch von der Kon-
sichtigt werden. So sind im Vergleich zu proprie-
kurrenz genutzt werden können. 42 Diese Gefahr
tärer Software die Distributionskosten von Open
ist umso größer, desto höher der Konkurrenz-
Source Software zwar geringer, jedoch nicht
grad ist und desto stärker die Software mit dem
gleich null. Die Veröffentlichung sollte gut vorbe-
Geschäftsbereich verbunden ist in dem der
40
41
42
Dieses
Vorgehen bietet die Möglichkeit den Quellcode
dass die Veröffentlichung von Software unter
39
43
reitet sein, sonst ist schlechte Publicity die Folge. So muss der Quellcode strukturiert und gut
Vgl. von Hippel 1988, S. 45.
Vgl. Teece 1986, S. 288.
Vgl. Raymond 1999, S. 142.
Vgl. Henkel 2003, S. 12.
43
70
Vgl. Henkel 2006, S. 11.
dokumentiert werden. Außerdem ist darauf zu
der Befragten zur Reife von Open Source Soft-
achten, dass der Quellcode keine Anteile enthält
ware ermittelt. Die Befragten konnten anhand
44
einer fünfstufigen Ratingskala den Reifegrad für
Darüber hinaus sollte die Website auf der die
einen bestimmten Softwarebereich, relativ zu
Software zum Download verfügbar ist, immer
kommerziellen Produkten, bewerten (1 = Reife-
auf dem neuesten Stand sein, was ebenfalls
grad sehr gering, 5 = Reifegrad sehr hoch).
Kosten verursacht.
Darüber hinaus wurden die einzelnen Software-
die unter einer proprietären Lizenz stehen.
bereiche ihrer Bedeutung nach mit einer Rele-
Die Möglichkeit Software bewusst unter einer
vanzkennzahl versehen (1 = sehr niedrige Rele-
Open Source Lizenz zu veröffentlichen um
vanz, 5 = sehr hohe Relevanz), welche darüber
Druck auf einen Wettbewerber auszuüben wur-
Auskunft gibt, wie wichtig ein bestimmter Soft-
de bereits beschrieben. Jedoch geschieht diese
warebereich für die Nutzer ist. Anhand von bei-
Maßnahme nicht immer ganz freiwillig. Oft sind
den Charakteristika, lässt sich ein Relevanz-
Firmen gezwungen ihre Software quelloffen zu
Reifegrad-Portfolio ableiten, welches es ermög-
verbreiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So
licht Empfehlungen bezüglich des Einsatzes und
erging es beispielsweise IBM. Das Unterneh-
der Beteiligung an Open Source Software zu
men bekam immer mehr Schwierigkeiten bei der
Vermarktung
seiner
geben.
Entwicklungsumgebung
VisualAge. Daraufhin beschloss man das Open
Source Projekt Eclipse zu starten, um nicht vollständig die Kontrolle am Markt für Entwicklungsumgebungen an die Konkurrenz zu verlieren.
45
Dieses Beispiel zeigt, dass die Veröffent-
lichung von Software unter einer Open Source
Lizenz in einigen Fällen der letzte Ausweg ist,
um im Bewusstsein der Kunden zu bleiben.
5
Reifegrad und Einsatzstrategien von
Open Source
Angesichts der Vorteile von Open Source gegenüber geschlossenen Systemen stellt sich die
Frage, ob der Reifegrad von kostenloser Software mit dem eines kommerziellen Produktes
vergleichbar ist. Darüber hinaus soll diese Kapitel Aufschluss über mögliche Softwarebereiche
geben, in denen eine Nutzung bzw. aktive Beteiligung an Open Source sinnvoll ist.
Um die Qualität von Open Source im Vergleich
zu proprietärer Software zu bewerten, wird erneut die Studie des Fraunhofer Institutes herangezogen. In der Studie wurden die Meinungen
44
45
Vgl. Hamerly/ Paquin/ Walton 1999, S. 199.
Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 75.
71
Abb. 1: Relevanz-Reifegrad-Portfolio von Open Source Software
.
nicht – differenzierende Standartsoftware
Chance auf Erfolg, da genügend quelloffene
Alternativen vorhanden sind und die Monopol-
Open Source Software, die im oberen, rechten
stellung von Microsoft gerade im Bereich der
Quadrant angesiedelt ist, zählt größtenteils zu
Betriebsysteme oder Officeanwendungen zu
nicht – differenzierender Standartsoftware. Ver-
stark ist. Darüber hinaus würde das Unterneh-
treter aus diesem Bereich sind beispielsweise
Betriebssysteme,
Officeanwendungen
men keine neue oder herausragende Technolo-
oder
gie anbieten, so dass kaum ein Nutzer bereit
auch Grafiksoftware. Diese Art der Software ist
wäre, für ein solches Produkt Lizenzgebühren
von allgemeinem Interesse und besitzt eine
zu zahlen. Bei nicht differenzierender Software,
hohe Relevanz, da sie die grundlegenden IT –
zu der etwa 90 % aller Software gehört,
Bedürfnisse eines jeden Unternehmens erfüllt.
46
sind
die Interessen der einzelnen Unternehmen oft
Jedoch kann ihr Einsatz einem Unternehmen
ähnlich und der Konkurrenzkampf gering, so-
keinen Vorteil gegenüber einem anderen ver-
dass eine Beteiligung an einer gemeinsamen
schaffen. So können weder Betriebssysteme
Entwicklung oft lohnenswert ist. Deshalb ist es
noch Grafiksoftware dazu beitragen ein Unter-
nicht verwunderlich, dass beispielsweise HP
nehmen von anderen zu differenzieren, da sie
und IBM gemeinsam an Software arbeiten, die
jedem zur Verfügung stehen.
beiden Unternehmen dabei hilft ihre Produkte zu
Unternehmen, die sich auf dem Softwaremarkt
verkaufen, und in anderen Bereichen weiterhin
etablieren wollen, werden davon Abstand halten
Konkurrenten sind. 47
für diese Art der Software eine Lizenzgebühr zu
verlangen. Dieses Vorhaben hätte nur wenig
46
47
72
Vgl. Perens 2007, S. 138.
Vgl. Perens 2007, S. 138.
Die hohe Relevanz von Open Source Software
qualitativ hochwertige Software mit geringer
in diesem Bereich führt dazu, dass sich viele
Relevanz
Entwickler an der Verbesserung der Software
Der obere, linke Quadrant in dem sich bei-
beteiligen und somit qualitativ hochwertige und
spielsweise Content- oder Dokumentenmana-
benutzerfreundliche Produkte entstehen. Die
gementsysteme befinden, kennzeichnet sich
Verwendung der Software ist deshalb zu emp-
einerseits durch einen hohen Reifegrad der
fehlen und durch ihre hohe Einsatzhäufigkeit
Software, andererseits jedoch auch durch eine
wird das Einsparpotential zudem erhöht. Dar-
geringe Relevanz, so dass aufgrund der einge-
über hinaus sollte die weitere Entwicklung ge-
schränkten Verbreitung der Software kaum Ein-
fördert werden, um noch benötigte Funktionen in
sparpotentiale vorhanden sind. Unternehmen
die Software zu integrieren.
können die vorhandene Open Source Produkte
differenzierende Individualsoftware
aus diesem Bereich nutzen, sollten sich aber
mangels Perspektiven nicht aktiv an deren Wei-
Der untere, rechte Quadrant zeichnet sich zwar
terentwicklung beteiligen. 50
durch eine hohe Relevanz aus, jedoch fehlen
ausgereifte Open Source Produkte. Dieser Be-
qualitativ schlechte Software mit geringer Rele-
reich kann zu differenzierender Individualsoft-
vanz
ware gezählt werden. Ein Beispiel hierzu ist die
Ein ähnliches Bild gibt der untere, linke Quad-
Collaborative Filtering Funktion 48 , die speziell
rant wieder, in dem Produkte wie Video- oder
für den Online-Shop Amazon angefertigt wurde.
Sprachsoftware angesiedelt sind. Aufgrund der
Sie sorgt dafür, dass Amazon sich von seinen
niedrigen Relevanz der Software, ist hier eine
Konkurrenten abheben kann und so für den
Förderung von Open Source Projekten nicht zu
Kunden ansprechender wird. Differenzierende
empfehlen. Darüber hinaus sollte ein Unterneh-
Software ist in der Regel nicht quelloffen zu
men in diesem Bereich weiterhin proprietäre
erhalten, da sonst jedes Unternehmen von ihren
Software verwenden, da quelloffene Software zu
technologischen Vorteilen profitieren könnte. Die
unausgereift ist.
Softwarehersteller haben in diesem Bereich
Zusammenfassend lässt sich folgern, dass es
wenig Interesse ein Produkt quelloffen zu ver-
aus Unternehmenssicht durchaus sinnvoll ist in
treiben, da die exklusive Entwicklung für ein
bestimmten Bereichen Open Source Software
Unternehmen hohe Gewinne ermöglicht, welche
zu nutzen aber auch zu fördern und zu entwi-
mit Standardsoftware nicht zu erreichen wären.
ckeln. So verdeutlicht das NIVADIS Projekt der
Deswegen veröffentlichen die meisten Soft-
Polizei in Niedersachsen, dass quelloffene
warehersteller lediglich nicht - differenzierende
Software ein vollständiger Ersatz zu proprietä-
Software unter einer Open Source Lizenz. In
ren Lösungen sein kann.
diesem Bereich sparen sie dann durch die Zu-
In dem Projekt wer-
den sämtliche EDV-Prozesse ausschließlich
sammenarbeit mit anderen Unternehmen Kos-
durch Open Source Produkte realisiert. Gerade
ten und investieren die so frei gewordenen Mittel
auch für kleinere Firmen bieten sich der Einsatz
in die Entwicklung von differenzierender Software.
51
und die Beteiligung an Open Source Software
49
an, da keine teueren Lizenzen erworben werden
müssen und kostenloser Entwicklungssupport
48
49
Empfehlungssystem: "Kunden, die diesen Artikel gekauft
haben, haben auch jenen gekauft."
Vgl. Perens 2007, S. 147.
50
51
73
Vgl. Renner et al. 2005, S. 178.
Vgl. Polizei Niedersachsen 2007.
sowie billige Marketing Kanäle für die Verbrei-
insbesondere auf Microsoft Produkte. Den zahl-
tung vorhanden sind. Dennoch kann von einer
reichen Vorteilen zum Trotz, scheint der Quasi-
generellen Empfehlung für Open Source nicht
standard von Microsoft noch zu tief im Bewusst-
gesprochen werden. Je nach Einsatzgebiet und
sein der Nutzer zu sein. Hauptsächlich dadurch
Art des Unternehmens macht der Einsatz und
ist es zu erklären das Open Source Produkte
die Beteiligung an Open Source Sinn oder nicht,
wie das sehr gelungen OpenOffice sich nur
so dass eine Einzelfallbetrachtung notwendig
schwer durchsetzen können.
ist.
Nachteile wie etwa mögliche Schulungskosten,
52
Denn selbst
die aufgrund der hohen Ähnlichkeit von Open
6 Alternative Open Source
Source zu proprietärer Software meist geringer
Die Zeiten in denen der Begriff Open Source nur
zu Buche schlagen als angenommen, sind nicht
mit Hobby-Programmierern und kleinen Entwick-
so gravierend, dass dadurch die Nutzung von
lergemeinschaften in Verbindung gebracht wur-
Open Source unmöglich wäre.
de sind zu Ende. Die Nutzung und aktive BeteiUm die Verbreitung von Open Source weiter
ligung an Open Source Software ist auch für
voran zu treiben, müssen die Nutzer von der
kommerzielle Firmen lohnenswert geworden.
Qualität und der Benutzerfreundlichkeit infor-
Sie profitieren dabei nicht nur vom Kostensen-
miert und überzeugt werden. Außerdem müssen
kungspotential sondern auch von stabilen, si-
die Softwareentwickler ihre Ängste in Bezug auf
cheren Systemen, die sich an die individuellen
den Verlust von Ertragsströmen und intellektuel-
Bedürfnisse anpassen lassen und somit die
lem Eigentum überwinden. Ob quelloffene Soft-
Unabhängigkeit von proprietärer Software si-
ware letztendlich proprietäre Produkte dauerhaft
chern. Auf Seiten der Entwicklung bietet das
verdrängen kann, lässt sich zu diesem Zeitpunkt
Prinzip der Collective Invention darüber hinaus
nur schwer voraussagen. Marktführer Microsoft
ein enormes Innovationspotential gegenüber
wird mit seiner monopolistischen Einstellung
geschlossenen Systemen. Die Firmen unterstüt-
auch in Zukunft versuchen die Verbreitung von
zen sich gegenseitig und teilen die Risiken und
Open Source zu erschweren. Es bedarf somit in
Kosten der Entwicklung untereinander auf. Es
den nächsten Jahren weiterhin einer breiten
werden Standards geschaffen von denen alle
Unterstützung und einer geschlossenen Open
beteiligten Unternehmen profitieren und durch
Source Gemeinschaft, um den Erfolg von Open
die Kombination von Open Source Software und
kommerziellen Produkten,
Source und die dadurch resultierenden Vorteile
lassen sich sogar
für alle Beteiligten zu sichern.
Gewinne erwirtschaften. Open Source bietet
Literaturverzeichnis
demnach nicht nur Vorteile für einzelne Firmen,
sondern auch für alle an einer Softwareentwick-
Alexy, O. (2006): Promoting the Penguin: Who
lung beteiligten Unternehmen und trägt somit
is advocating Open Source Software in
positiv zur Gesamtwohlfahrt bei.
commercial settings?, TUM Business
Darüber hinaus zeigt die Studie des Fraunhofer
School, Technische Universtität München
Institutes, dass Open Source Software quali-
2006.
tätsmäßig proprietären Produkten, zumindest im
Bereich der nicht differenzierenden Software, in
nichts nach steht. Dennoch vertrauen viele Unternehmen weiterhin auf proprietäre Lösungen,
52
74
Vgl. Dürr/ Weske 2004, S. 77.
Allen, R. C. (1983): Collective Invention, in:
(2005): Hype Cycle for Open-Source Soft-
Journal of Economic Behavior and Organi-
ware, Gartner (22) 2005.
sation 4(1) (1983), S. 1-24.
Driver, M. / Weiss, G. J. (2005): Predicts 2006:
Bessen, J. / Maskin, E. (2000): „Sequential In-
The Effects of Open-Source Software on the
novation, Patents, and Imitation, Working
IT Software Industry, Gartner (5) 2005.
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Dürr, C. / Weske, D. (2004): Einfluss von Open-
chusetts Institute Of Technology, Cambridge
Source-Software in kommerziellen Soft-
2000.
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Computerwoche (2004) (Hrsg.): Meta Group
(Hrsg.): Open-Source-Software, 2004, S. 72
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– 82.
Online im Internet: URL <
Farrell, J. / Klemperer, P. (2006): Coordination
http://www.computerwoche.de/nachrichten/5
and Lock-In: Competition with Switching
50309/ > (Stand: 22.10.2004, Abfrage:
Costs and Network Effects, Institute of Busi-
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77
Rebecca Woll
Potentiale und Grenzen der Lead-User-Analyse zur Neuproduktentwicklung
1
Die Bedeutung der Lead-User-Analyse bei der Entwicklung von Innovationen
2
Ablauf eines Lead Usern gestützten Innovationsvorhabens
3
Umsetzung des Lead-User-Konzepts in der Praxis
4
Potentiale der Lead-User-Analyse
5
Grenzen der Lead-User-Analyse
6
Lead-user-Analyse als Voraussetzung erfolgreicher Innovationen?
1
dürfnisse und Trends können mit ihnen nicht oder
Die Bedeutung der Lead-User-Analyse
nur sehr eingeschränkt prognostiziert werden. 2
für die Entwicklung von
Aus dem Wunsch heraus, auch zukünftige Be-
Innovationen
dürfnisse des Marktes voraussagen zu können
Innovationen sind heute, da in vielen Branchen
und diese Erkenntnisse in den Innovationspro-
ein hoher Konkurrenzdruck und geringe Wachs-
zess einzubinden, hat Eric von Hippel 1986 das
tumsraten vorherrschen, ein wesentlicher Faktor
Konzept der Lead-User-Analyse entwickelt. 3 Es
für den Erfolg eines Unternehmens. Auf vielen
gründet auf der Tatsache, dass sich Bedürfnisse
Märkten bieten zahlreiche Hersteller ähnliche
nicht gleichmäßig auf einem Markt entwickeln,
Produkte oder Dienstleistungen zu vergleichbaren
sondern dass es immer Marktteilnehmer gibt, die
Preisen an. Um in diesen Branchen konkurrenz-
solche Bedürfnisse zuerst verspüren und somit
fähig zu bleiben, ist es unabdingbar, neue Pro-
dem Markttrend voraus sind. 4 Diese Individuen
dukte zu entwickeln, die sich an den Bedürfnissen
oder Firmen werden als Lead User bezeichnet.
der Kunden orientieren. 1 Da in einigen Branchen
Lead User zeichnen sich dabei laut von Hippel
mehr als 90% aller Produktneuentwicklungen
durch zwei Kernmerkmale aus, die sie von ge-
nicht auf dem Markt bestehen und ein großer Teil
wöhnlichen Usern unterscheiden:
der Innovationsprojekte bereits in der Entwicklungsphase scheitert, versuchen Hersteller ver-
„Lead users face needs that will be general in a
mehrt, die Bedürfnisse potentieller Kunden genau
market place – but face them month or years be-
zu untersuchen, um die Erfolgschancen ihrer Pro-
fore the bulk of that market place encounters
dukte zu erhöhen. Handelt es sich bei den Inno-
them – and
vationen lediglich um weniger revolutionäre Pro-
Lead users are positioned to benefit significantly
duktveränderungen, so stehen den Firmen zahl-
by obtaining a solution to those needs.” 5
reiche erprobte Marktforschungsinstrumente zur
Die Eigenschaft, dass Lead User dem allgemei-
Verfügung, um die Bedürfnisse des Marktes zu
nen Trend voraus sind, ermöglicht es, anhand
evaluieren. Strebt ein Unternehmen jedoch eine
deren heutiger Bedürfnisse die zukünftigen Be-
„bahnbrechende“ Innovation an, so ist das Vorge-
dürfnisse des Marktes zu prognostizieren. So
hen der klassischen Marktforschung mittels Nach-
können Unternehmen Produkte entwickeln, die
fragerbefragung wenig geeignet. Herkömmliche
den Bedürfnissen des zukünftigen Marktes ent-
Erhebungsmethoden sind auf die Analyse beste-
sprechen und sich somit frühzeitig einen Wettbe-
hender Bedürfnisse beschränkt, zukünftige Be-
2
3
4
1
5
Vgl. Nagel 1993, S. 2.
78
Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 554.
Vgl. Urban/ von Hippel 1988.
Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügel 2007, S. 17.
Urban/ von Hippel 1988, S. 569.
werbsvorteil gegenüber Konkurrenzunternehmen
Phasen untergliedert. Die Benennung der Schritte
verschaffen.
differiert bezüglich den Darstellungen der einzelnen Autoren, inhaltlich stimmt die Struktur jedoch
Lead User erwarten einen Nutzen durch eine
weitgehend überein: 7
Innovation, deshalb zeigen sie eine hohe Motivation, bei der Entwicklung eines Innovationskon-
In der ersten Phase gilt es einen dominanten
zepts mitzuwirken. Häufig haben sie bereits Lö-
Trend zu identifizieren. Daraufhin werden dann
sungsansätze entwickelt, die in die Produktent-
die Lead User dieses Trends identifiziert und de-
wicklung eingebunden werden können.
6
ren Bedürfnisse in der dritten Phase in die Entwicklung einer Innovation eingebunden. Zuletzt
Anhand dieser beiden zentralen Merkmale kön-
wird dann die Übertragbarkeit des Neuproduktes
nen Lead User klar von anderen Usern abge-
bzw. des Konzeptes auf die Marktbedürfnisse
grenzt werden. Dabei ist es wichtig zu beachten,
geprüft.
dass Lead User nicht zwangsläufig Endverbraucher sein müssen. Häufig handelt es sich um
2.1 Identifikation eines bedeutsamen techno-
Unternehmen, die ein Produkt oder eine Dienst-
logischen oder marktbezogenen Trends
leistung zur Erstellung ihres eigentlichen Produk-
Wie bereits im ersten Abschnitt erläutert, sind
tes nutzen.
Lead User Nachfrager, die dem allgemeinen
In diesem Beitrag soll nun zunächst der Ablauf
Markttrend in ihren Bedürfnissen voraus sind. Da
einer Innovation unter Einbeziehung von Lead
es auf jedem Markt in der Regel mehrere Trends
Usern schematisch dargestellt werden. Im nächs-
gibt, die sich nebeneinander entwickeln, muss
ten Schritt sollen dann mehrere praktische Um-
sich ein Unternehmen zu Beginn einer Lead-User-
setzungen des Konzepts einer gegenübergestellt
Innovation auf einen oder mehrere Markttrends
und verglichen werden. Der Fokus liegt dabei auf
festlegen. Dazu muss zunächst untersucht wer-
den Methoden, die zur Identifikation der Lead
den, welche unterschiedlichen Trends auf einem
User Anwendung finden, da dies der wichtigste
Markt vorherrschen. Zur Identifikation der Markt-
Bereich und maßgeblich für den „Erfolg“ der An-
trends stehen üblicherweise zwei Erhebungsme-
wendung des Lead User Konzeptes ist. Ziel ist es
thoden zur Verfügung:
dabei herauszufinden, ob sich aus den Praxisbei-
1. Sekundärerhebung:
spielen typische und bewährte Vorgehensweisen
In eine Sekundärerhebung können externe und
ableiten lassen. Im nachfolgenden Abschnitt sol-
betriebsinterne
len dann anhand der Ergebnisse Potentiale, aber
Informationen
einfließen.
Die
Trends werden dann durch die Aufbereitung, Ana-
auch Grenzen des Lead User Konzepts sowohl
lyse und Interpretation bestehender Daten etwa
die Theorie als auch die praktische Umsetzung
aus Publikationen, Datenbanken oder auch dem
betreffend dargestellt werden. Abschließend wer-
Internet gewonnen. Dies ist häufig sinnvoll, da auf
den die Ergebnisse zusammengefasst und eine
vielen Märkten zahlreiche Marktforschungsstudien
Gesamtbewertung des Konzepts vorgenommen.
und Trendforschungen bereits durchgeführt wur-
2
Ablauf
eines
von
Lead
Usern
den. Zudem ermöglicht das Internet heute einen
gestützten Innovationsvorhabens
Der Innovationsprozess unter Einbeziehung von
Lead Usern wird in den meisten Studien in vier
7
6
Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 570.
79
Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 561; Urban/ von Hippel 1988,
S. 570f.; Springer et al. 2006, S. 6ff; Herstatt/ von Hippel
1992, S. 216ff.
schnellen und kostengünstigen Zugriff auf viele
dieser Informationsquellen.
2.2 Identifikation der Lead User
8
Dieser Schritt bildet den Betrachtungsschwer-
2. Experteninterviews
punkt des dritten Abschnitts, weshalb er hier nur
kurz skizziert werden soll.
Bei dieser Methode werden Experten zu bestehenden Markttrends befragt. Entscheidend für
Bevor die Lead User eines Trends ausgemacht
den Erfolg dieser Methode ist die richtige Auswahl
werden können, müssen zunächst Indikatoren zur
der Experten. Als Experten kommen dabei prinzi-
Auswahl der Lead User festgelegt werden. Wie in
piell auch Normalanwender oder Extremanwen-
Abschnitt 1 erläutert, zeichnen sich Lead User
der, neben ausgemachten Fachexperten in Frage.
durch eine führende Position im jeweiligen Trend
Um möglichst umfassende Ergebnisse zu erhal-
und die Erwartung eines hohen Nutzens durch die
ten, sollten alle dabei möglichst aus jeder der drei
Innovation aus. Da diese Merkmale nicht direkt
Kategorien Personen in die Untersuchung einbe-
erhoben werden können, müssen Indikatoren
zogen werden, da sie aufgrund ihrer unterschied-
ermittelt werden, die diese beiden Merkmale wi-
lichen Erfahrung verschiedene Erkenntnisse und
derspiegeln. Dabei müssen diese Indikatoren die
Sichtweisen liefern. Die Experten sollten darüber
allgemeinen Charakteristika von Lead Usern mit
hinaus aus mehreren Wissensfeldern ausgewählt
den spezifischen Trends verbinden. Mögliche
werden. Zudem können neben dem vorliegenden
Indikatoren sind z. B. eigene Produktenwicklun-
Zielmarkt auch analoge Märkte berücksichtigt
gen eines Users, Unzufriedenheit mit bestehen-
werden. Die Expertise sollte also möglichst breit
den Produkten und die Geschwindigkeit der A-
angelegt werden, um sicher zu stellen, dass keine
daption von Innovationen. Anhand der ausge-
wichtigen
konkurrierende
wählten Indikatoren werden dann durch verschie-
Ideen und neue erwachsende Märkte übersehen
dene Erhebungsmethoden mögliche Lead User
werden.
Entwicklungen,
wie
9
identifiziert.
11
Die beiden Methoden der Expertenbefragung und
Nach der Identifikation möglicher Lead User er-
der Analyse von Sekundärdaten schließen sich
folgt die Endauswahl geeigneter Lead User. Da-
gegenseitig nicht aus. Häufig führen Unterneh-
bei sind folgende Kriterien von zentraler Bedeu-
men zunächst eine Sekundäranalyse durch, um
tung:
sich einen Überblick über die Entwicklungen des
ƒ Motivation des Lead User, an einer Konzept-
Marktes zu verschaffen und überprüfen bzw. kon-
entwicklung mitzuwirken
kretisieren ihre Ergebnisse dann durch Expertenƒ Bereitschaft, konkrete Lösungskonzepte beizu-
interviews. Anhand der erhobenen Informationen
steuern bzw. Informationen und Wissen weiter-
werden dann verschiedene Trends identifiziert,
zugeben
die durch Experten und/oder interne Firmenteams
bewertet werden. Abschließend werden ein oder
ƒ offene Kommunikation im Team
mehrere Trends ausgewählt, für die ein innovati-
ƒ Einhalten
ves Produktkonzept entwickelt werden soll.
10
Im
von
Geheimhaltungs-/
Schweige-
pflichten
nächsten Schritt werden dann die Lead User zu
Ein Lead User ist nicht zwangsläufig zur Einbin-
den entsprechend selektierten Trends gesucht.
dung in den Innovationsprozess geeignet. Hat ein
Unternehmen nicht die Kapazitäten für die Teil8
9
10
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 24f.
Vgl. Lüthje/Herstatt 2004, S. 562.
Vgl Pötz et al. 2005, S. 26ff.
11
80
Vgl. Springer et al. 2006, S. 6.
nahme oder aber bereits ein eigenes Lösungs-
menarbeit zur Verfügung. Diese lassen sich in
konzept entwickelt, das es nicht vermarkten will,
vier Gruppen unterteilen: 15
kommt es nicht in Frage. Auch Privatpersonen,
ƒ Anwenderbeobachtung
die als Lead User identifiziert wurden, sind nur
ƒ Anwenderbefragung
dann als Partner geeignet, wenn sie bereit sind,
ƒ gemeinsame Arbeitsgruppen und Kreativitäts-
ihre Erfahrungen und Ideen in den Innovationsprozess einzubringen. Darüber hinaus muss der
workshops
Lead User vertrauenswürdig sein, da ein Innova-
ƒ Mitarbeiteraustausch zwischen Hersteller und
tionskonzept unbedingt vor der Konkurrenz am
Anwender
Markt geheim gehalten werden muss. Solche
Eigenschaften der Lead User müssen daher von
Welche Methode am sinnvollsten ist, ist von der
den Interviewern bei der Befragung mit berück-
Branche und den speziellen Merkmalen einer
sichtigt werden.
Innovation abhängig. In der Praxis zeigt sich je-
12
doch folgender Zusammenhang: Je höher der
2.3 Entwicklung eines Innovationskonzeptes
Investitionsgrad, also je neuartiger das Produkt
In diesem Schritt sollen aus den Erfahrungen und
ist, desto enger ist in der Regel die Zusammenar-
Bedürfnissen der Lead User Produktkonzepte
beit mit den Lead Usern bzw. fruchtbarer er-
entwickelt werden, die für den Markt geeignet
scheint eine intensive Zusammenarbeit.
scheinen. In manchen Fällen haben die Lead
16
Eine häufig genutzte Form der Zusammenarbeit
User bereits eigene Konzepte entwickelt, die in
ist der Workshop. Da diese Methode auch in den
die Konzepterstellung einfließen können. 13
in Abschnitt 3 untersuchten Praxisbeispielen von
Bei der Erstellung eines Produktkonzeptes kann
besonderer Bedeutung ist, soll sie hier kurz erläu-
das Unternehmen entweder aus den erhobenen
tert werden. Teilnehmer des Workshops sind in
Daten im Team selbstständig Konzepte entwi-
der Regel ausgewählte Lead User, Mitarbeiter
ckeln oder aber die Lead User aktiv in die Ent-
des firmeninternen Teams, externe Experten und
wicklung einbeziehen. Der Vorteil einer unter-
in einigen Fällen Mitarbeiter des Unternehmens,
nehmensinternen Produktentwicklung ist die bes-
die nicht direkt in die Produktentwicklung invol-
sere Absicherung der Geheimhaltung. Dagegen
viert sind. Die Entwicklung von Produktkonzepten
spricht, dass die Teilnahme der Lead User an der
erfolgt dann üblicherweise in vier Schritten:
Konzeptentwicklung und die Interaktion zwischen
17
1. Problemdefinition
den Lead Usern häufig zur Gewinnung relevanter
2. Definition der Bedürfnisse hinsichtlich der
Informationen erforderlich sind. Zudem sind diese
Problemlösungen
selbst am besten in der Lage, ihre konkreten Erwartungen an ein Produkt zu formulieren bzw.
umzusetzen.
3. Konkretisierung der Anforderungen an das
14
Produkt
Entscheidet sich ein Unternehmen für die Einbe-
4. Generierung von Ideen und Lösungskonzep-
ziehung der Lead User in die Produktkonzeption,
ten
stehen ihm zahlreiche Möglichkeiten zur Zusam-
12
13
14
2.4 Test des generierten Produktkonzepts
15
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 40f.
Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 571.
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 41.
16
17
81
Vgl. Springer et al. 2006, S. 8.
Vgl. Springer et al. 2006, S. 8.
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 41ff.
Die Lead-User-Methode basiert auf der Grundla-
3.1 Projektauswahl der Meta-Analyse
ge, dass Lead User bereits Bedürfnisse haben,
Im Folgenden sollen zehn Projekte in einer Tabel-
die der Markt in Zukunft entwickeln wird und sich
le dargestellt werden, in denen die Lead-User-
somit zukünftige Trends an den Bedürfnissen der
Methode praktisch umgesetzt wurde. Die Tabelle
Lead User ablesen lassen. Inwieweit der Markt
1 beschränkt sich auf die Darstellung der Identifi-
tatsächlich diese Bedürfnisse entwickelt, ist je-
kation von Trends und der Identifikation der Lead
doch zu Beginn des Innovationsprozesses nicht
User mit den Unterpunkten: verwendete Lead-
eindeutig zu erfassen. Daher muss das mit den
User-Indikatoren, Methode zur Identifikation und
Lead Usern erarbeitete Produktkonzept auf seine
beachtete Stichprobe. Die Fallbeispiele stammen
Markttauglichkeit getestet werden. Dazu stehen
aus verschiedenen Branchen und stammen auch
verschiedene Methoden wie Score-Tests, Mini-
aus verschiedenen Jahren, um einen möglichst
market-Tests und Testmarkt-Simulationen mit
differenzierten Überblick über bisherige For-
Anwendergruppen zur Verfügung, die eine struk-
schungsergebnisse zu gewährleisten. Allerdings
turelle Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit mit den
stellen die untersuchten Studien nur eine kleine
Lead Usern aufweisen. Bestätigen die Tests die
Auswahl der existierenden Studien dar, weshalb
Attraktivität des Konzeptes für den gesamten
kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden
Markt, so kann der Unternehmer mit einem Erfolg
kann. Dennoch lässt sich anhand der durchge-
seines generierten Produktes am Markt rechnen.
3
führten Analyse ein Muster im Vorgehen bei der
18
Identifikation der Lead User ermitteln.
Umsetzung des Lead-User-Konzepts in
3.2 Methoden zur Identifikation von Lead U-
der Praxis
sern
Anhand mehrerer konkreter Anwendungsbeispiele
Alle untersuchten Fallstudien haben zur Identifika-
des
verschiedenen
tion der Lead User zunächst einen Trend ausge-
Branchen soll nun die praktische Umsetzung der
wählt. In einigen Studien wurde der Trend mit
im zweiten Abschnitt dargestellten Vorgehenswei-
Hilfe von Expertengesprächen identifiziert, in an-
se näher beleuchtet werden. Dabei sollen in ers-
deren wurde vorab Sekundäranalyse durchge-
ter Linie die Identifikation von Trends und die
führt. Zur Identifikation der Lead User wurden
Methoden der Lead-User-Identifikation dargestellt
dann zunächst Indikatoren entwickelt, die sie be-
werden, da diese Schritte zentral für die Erstel-
züglich des ausgewählten Trends charakterisie-
lung eines erfolgreichen Produktkonzeptes sind.
ren. Für den Suchprozess selbst stehen zwei
Zunächst wird das Vorgehen einzelner Studien in
Instrumente zur Verfügung, die in den untersuch-
Lead-User-Konzepts
aus
19
ten Studien häufig kombiniert wurden :
einer Übersicht dargestellt. In einem zweiten
Schritt soll dann untersucht werden, ob bestimmte
Muster im Vorgehen der einzelnen Untersuchungen existieren. Ziel ist es zu überprüfen, in wieweit die theoretischen Vorgaben in der Praxis
tatsächlich umgesetzt werden (können) und welche konkreten Methoden in der Praxis zur Identifikation von Lead Usern angewendet werden.
19
18
Vgl. Franke/Shah (2003), S. 161f; Lüthje/Herstatt/von Hippel
(2002) S. 10ff; Herstatt (2003), S. 9f; Pötz et al. (2005), S.37.
Vgl. Springer et al. 2006, S. 9.
82
Studie
Produktbereich
Identifikation
Identifikation der Lead User
von Trens
Urban/von Hippel
(1988)
CAD Software
(USA)
Indikatoren
Expertenbefragung
Entwicklung eigener Konzepte
Diskussionsgruppen
Zufriedenheit mit
bestehenden
Systemen
Methode
Telefonische Befragung
Rohraufhängungen Hilti AG
(Schweiz, Deutschland, Österreich)
Expertenbefragung
Trendführerschaft
Hoher erwarteter
Nutzen
Innovationstätigkeit
Morrison/ Roberts/ von Hippel
(2000)
Bibliotheksysteme
(Australien)
Keine Angaben
Zufriedenheit mit
bestehenden
Lösungen
Innovationsbarrieren
Leading-edgeStatus
Zufallsstichprobe
anhand einer
Kundenkartei und
Liste potenzieller
Kunden
N=136
Adoptionsverhalten
Herstatt/von
Hippel (1992)
Stichprobe
Befragung der
Verkaufsabteilung
Telefoniterview mit
qualifizierten Experten
Firmen die
Rohraufhängungen einsetzen
Prescreening per
Telefoninterview
Zufallsstichprobe
aus öffentlichen
und privaten
Bibliotheken
Halbstrukturierte
Interviews
Schriftliche Befragung
N=74
N=102
Meinungsführerschaft
Einzigartigkeit der
Bedürfnisse
Adopstionsverhalten
Lüthje (2000)
Franke/Shah
(2003)
Outdoorsport,
Klettern, Wandern,
Ski, Moutnainbiking (Deutschland)
Sportequipment für
Segelfliegen,
Canyoning, Boardercross, Behindertensport
(Deutschland)
Keine Angaben
Expertenstatus
(Wissen und Erfahrung)
Keine Angaben
Schriftliche Befragung
Bestehende
Kunden
Pretest mit innovativen Nutzern
N=158
Erwarteter Nutzen
Erwarteter kommerzieller Erfolg
Persönliches
Interview
Aktive Rolle in der
Community
Beziehung zu
anderen Mitgliedern
Befragung von
Communityadministratoren
und Auswahl
geeigneter Communities
Zeit in der Community
Qualitative Interviews
Mitglieder der 4
Communities
N=197
Schriftliche Befragung
Lüthje/ Herstatt/
von Hippel (2002)
Mountainbiking
(USA)
Literaturrecherche
Maß an Erfahrungen
Expertenbefragung
Technisches Wissen
Innovationsverhalten
83
Expertenbefragung
Internetrecherche
Schriftliche Befragung
Mitglieder der
MountainbikeClubs und Internetforen
N=291
Studie
Produktbereich
Identifikation
Identifikation der Lead User
von Trens
Franke/ von
Hippel (2003)
Apache Security
Software (International)
Indikatoren
Keine Angaben
ProgrammierFähigkeiten
Zufriedenheit mit
Apache Lösungen
Methode
Stichprobe
Identifikation aktiver CommunityMitglieder
Registrierte
Nutzer der Apache-Community
Online Befragung
N=138
Vorauswahl bereits
bekannter Experten
Ärzte und Wissenschaftler
Zahlungsbereitschaft für verbesserte Lösungen
Herstatt (2003)
Chirurgische Produkte (Deutschland)
Expertendiskussion
Innovationsführer
Internetrecherche
Probleme mit
bisherigen Lösungen
Befragung von
Extremanwendern
Hoher erwarteter
Nutzen
N=50
Internetrecherche
Weiterempfehlung
durch Lead User
Semi-strukturierter
Fragebogen
Tiez et al. (2004)
Kite Surfing (Australien)
Expertenbefragung
Spezifisches Wissen
Schriftlicher Fragebogen
Maß an Erfahrungen
Interviews mit
potenziellen Lead
Usern
Mitglieder der
Australian Kite
Surfing Association
N=157
Bewertung der
Innovationen durch
Experten
Franke / von
Hippel/ Schreier/
(2006)
Kite Surfing (International)
Literaturrecherche
Trendführerschaft
Expertenbefragung
Hoher erwarteter
Nutzen
Technisches Wissen
Online-Befragung
zur Identifikation
innovativer Kunden
Mitglieder mehrerer OnlineCommunities
Bewertung der
Konzepte mittels
Experten
N=456
Verfügbare Kontakte
1. Der Screening-Ansatz
2. Der Pyramiding-Ansatz (Networking-Ansatz)
Bei diesem Vorgehen werden Lead User inner-
Im Gegensatz zum Screening-Ansatz geht der
halb einer Stichprobe anhand der festgelegten
Pyramiding-Ansatz nicht von einer festgelegten
Lead-User-Indikatoren durch eine Art Rasterfahn-
Stichprobe aus. Ausgangspunkt für die Identifika-
dung identifiziert. Häufig geschieht dies durch
tion der Lead User sind hier eine oder mehrere
einen standardisierten Fragebogen, wie er auch in
Startpersonen, in der Regel Experten. Diese wer-
den analysierten Fallstudien verwendet wurde.
de aufgefordert, Marktteilnehmer zu benennen,
Die Befragung mit dem standardisierten Fragebo-
die ihrer Meinung nach die Kriterien eines Lead
gen geschieht in der Regel persönlich, via Internet
Users erfüllen. Die so ermittelten Lead User wer-
oder per Telefon. Dieses Vorgehen ermöglicht es,
den wiederum nach weiteren Lead Usern befragt.
viele User in kurzer Zeit zu befragen. Besonders
So werden in einer Art Schneeball-Prinzip die
empfehlenswert ist dieses Vorgehen bei einer
Lead User eines Trends ermittelt. Dieses Vorge-
überschaubaren Zahl von Anwendern, da so ein
hen ermöglicht die Identifikation von Lead Usern
Sceening aller User möglich ist.
20
in Zielmärkten, die für ein Screening zu groß sind.
Weiterhin sind Lead User auf vielen Märkten aufgrund ihrer Reputation bereits bekannt, weshalb
20
sie durch wenige Befragungen ressourcenspa-
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 8; Pötz et al. 2005, S.
36ff.
84
rend identifiziert werden können. Ein weiterer
ergeben sich zahlreiche Potentiale und Grenzen
Vorteil ist die Möglichkeit, durch die Befragung
des Vorgehens. Diese sollen in den nächsten
einzelner Experten auch Hinweise auf analoge
beiden Kapiteln näher untersucht werden.
Märkte zu erhalten. Voraussetzung für die An-
4
Potentiale der Lead-User-Analyse
wendbarkeit des Pyramiding-Ansatzes sind enge
Verbindungen zwischen den Marktteilnehmern.
4.1 Verbesserung der Marktposition
Dies ist Bedingung dafür, dass Marktteilnehmer in
Wie bereits in Punkt 1 erläutert, kann sich der
der Lage sind, Lead User zu identifizieren.
21
Großteil der Produktinnovationen nicht am Markt
Die beiden Ansätze schließen einander nicht aus,
durchsetzen. Dies ist häufig darauf zurückzufüh-
sondern werden in der Praxis häufig kombiniert.
ren, dass die Produkte nicht ausreichend auf die
Stellt sich ein Ansatz im konkreten Fall als unge-
Bedürfnisse des Marktes abgestimmt sind. Um
eignet heraus, kann der jeweils andere eingesetzt
dieses Risiko zu senken, werden Lead User in
werden. Des weiteren kann es sinnvoll sein, die
den Innovationsprozess eingebunden. Diese kön-
beiden Methoden nacheinander anzuwenden.
nen die besten Informationen liefern und sind in
Dabei kann sowohl mit dem Screening- als auch
der Lage, das Potential von Innovationen am bes-
mit dem Pyramiding-Ansatz begonnen werden.
ten einzuschätzen, weil sie schon reale Erfahrun-
So ist es möglich, durch ein Screening potentielle
gen mit neuen Bedürfnissen haben. 23 Durch die
Lead User und Experten zu identifizieren und
Einbindung der Lead User in den Innovationspro-
diese dann, gemäß des Pyramiding-Ansatzes,
zess kann somit die Qualität und Einzigartigkeit
nach weiteren Lead Usern zu befragen. Dieses
eines Produktes gesteigert werden, was zu einer
Vorgehen wählt Herstatt (2003) in seiner Studie
Steigerung der Marktchancen des Produktes
zu chirurgischen Produkten. Zunächst identifiziert
führt. 24 Somit wird das Marktrisiko gesenkt und
er durch ein Screening die Lead User unter den
der Hersteller verschafft sich idealerweise einen
bekannten Experten. Diese werden dann per E-
Wettbewerbsvorsprung gegenüber seinen Kon-
Mail gebeten, Hinweise auf andere Lead User,
kurrenten. Weiterhin kann durch das Verfahren
Experten oder analoge Suchfelder zu geben.
eine Zeit- und somit Kostenersparnis erreicht
Weiterhin kann mittels Pyramiding zunächst die
werden. 25 Ein weiterer möglicher positiver Effekt
Stichprobe evaluiert werden, die dann per Scree-
der Einbindung von Lead Usern hält über die ein-
Dieses
zelne Produktentwicklung hinaus an. Da bei ei-
Vorgehen wurde zum Beispiel in den Studien von
nem Lead-User-Projekt in der Regel ein firmenin-
Franke/Shah (2003) zu Sportequipment und von
ternes Team gebildet wird, das aus Mitarbeitern
Lüthje/Herstatt/von Hippel (2002) zum Mountain-
verschiedener
biking verwendet. Zunächst wurden Experten
Lead-User-Projekt die Zusammenarbeit zwischen
nach Gruppen/Communies befragt, die einen
einzelnen Unternehmensabteilungen (z. B. tech-
hohen Innovationsgrad aufweisen. Mit Hilfe eines
nische Abteilung und Marketingabteilung) nach-
Fragebogens erfolgte dann ein Screening der
haltig verbessern.
Stichprobe zur Identifikation von Lead Usern.
User-Integration im Innovationsprozess also zu
ning auf Lead User untersucht wird.
22
Abteilungen besteht, kann ein
26
Insgesamt kann die Lead-
einer Verbesserung der Marktposition eines UnAus den untersuchten Fallstudien und den theore-
ternehmens beitragen.
tischen Ausführungen zur Lead-User-Analyse
23
21
22
24
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 8. und Pötz et al. 2005,
S. 36ff.
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 38.
25
26
85
Vgl. Schreier/ Prügl 2006, S. 27.
Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S. 553ff.
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 14.
Vgl. Herstatt/ von Hippel 1992, S. 221.
Entwicklung von Innovationen nutzen. Lead User
4.2 Lead User als Opinion Leader
können zudem aufgrund ihrer Vorreiterrolle im
Der theoretische Ansatz der Lead-User-Analyse
Produktmarketing eingesetzt werden, um die
gründet auf der Annahme, dass Lead User bereits
Verbreitung eines Produktes zu beschleunigen.
heute Bedürfnisse haben, die der Markt erst in
Zukunft entwickeln wird. Empirische Studien
5
scheinen diese Annahme zu bestätigen, da Inno-
Grenzen der Lead-User-Analyse
5.1 Grenzen der Lead-User-Theorie
vationen, die in Zusammenarbeit mit Lead User
entwickelt wurden, durchschnittlich erfolgreicher
Zur Identifikation von Lead Usern wird zunächst
waren als herkömmliche Produktinnovationen. 27
ein Trend ausgewählt, in dem die Lead User eine
Es stellt sich nun die Frage, ob dies tatsächlich
führende Position einnehmen. Dies setzt jedoch
ausschließlich auf die Übertragbarkeit der Bedürf-
voraus, dass sich ein Markt entlang dominanter
nisse der Lead User auf den Markt zurückzufüh-
Trends entwickelt und dass die Position einzelner
ren ist. Viele Autoren weisen darauf hin, dass
Mitglieder messbar sein muss. Diese Vorausset-
dieser höhere Markterfolg auch aus der Tatsache
zungen werden in der Realität nicht immer er-
resultieren könnte, dass Lead User häufig auch
füllt. 30 Weiterhin ist nicht voraussehbar, wie sich
Opinion Leader eines Marktsegmentes sind.
Substitutionsprodukte und
28
–technologien entwi-
31
Das Konzept des Opinion Leaders basiert auf
ckeln.
dem Wissen, dass eine Innovation nie von allen
Da sich der Lead-User-Status eines Unterneh-
Teilnehmern eines Marktes gleich schnell und in
mens in der Regel auf eine Produktfacette be-
gleichem Maße angenommen wird. Es existieren
schränkt, steigt mit zunehmender Produktkomple-
stets Schlüsselfiguren, deren Verhalten Vorbild-
xität zudem die Gefahr, „falsche“ Lead User zu
charakter hat und die so auch andere User zur
identifizieren. Ändert sich im Laufe der Untersu-
Übernahme der Innovation animieren. 29 Diese
chung die Zielsetzung, besteht somit die Gefahr,
Schlüsselfiguren werden als Opinion Leader oder
dass die Anwender ihren Lead-User-Status verlie-
auch Meinungsbildner bezeichnet. Sie sind die
ren. 32
ersten, die eine Innovation im Verlauf des Diffusi-
Sind die Lead User erfolgreich identifiziert, ergibt
onsprozesses annehmen.
sich eine weitere Problematik, die in der Theorie
Da Lead User Bedürfnisse vor dem Markt verspü-
nicht erwähnt wird. In der Realität findet ein Wett-
ren, profitieren sie in besonderem Maße von In-
bewerb konkurrierender Anbieter
novationen, weshalb sie häufig die ersten Markt-
User statt, d. h. ein Lead User wird mit dem Her-
teilnehmer sind, die Innovationen annehmen.
steller kooperieren, der seinen Erwartungen be-
Weiterhin haben sie mehr Erfahrungen und damit
züglich technologischer Kompetenz und Qualität
ein höheres Wissen als andere User, weshalb sie
am besten entspricht.
diesen als Vorbild dienen, d. h. User orientieren
nicht immer erfüllt ist, stellt die Übertragbarkeit
Fällen erfüllen die Lead User also die Funktion
der Bedürfnisse und Lösungen von Lead Usern
von Opinion Leaders. Firmen können somit die
auf den gesamten Markt dar. In der Regel sind die
Zusammenarbeit mit Lead Usern nicht nur bei der
28
29
33
Ein letzte theoretische Annahme, die in der Praxis
sich an den Lead Usern ihres Marktes. In diesen
27
um die Lead
Lead-User-Innovationen nicht ohne Veränderun30
Vgl. Lüthje/ Herstatt 2004, S.553; Sturmann 1997, S. 51.
Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügl 2007, S. 19; Hauschild
2007, S. 267.
Vgl. Hauschildt 2007, S. 267.
31
32
33
86
Vgl. Schreier/ Oberhauser/ Prügl 2007, S. 28.
Vgl. Strumann 1997, S. 49.
Vgl. Springer et al. 2006, S. 12.
Vgl. Strumann 1997, S. 50.
gen auf den Markt übertragbar, da sich die Be-
6
dürfnisse des Marktes normalerweise nicht komplett mit denen der Lead User decken.
34
Lead-User-Analyse als Voraussetzung
erfolgreicher Innovationen?
Ein Teil
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die
dieses Risikos wird durch die Funktion der Lead
Lead-User-Anlyse sowohl Potentiale als auch
User als Opinion Leader wieder aufgefangen, d. h
Grenzen aufweist. Das Konzept ermöglicht eine
es setzen sich z. T. Innovationen am Markt nicht
bessere Anpassung der Innovationen an die Be-
deshalb durch, weil sie den Bedürfnissen des
dürfnisse des Marktes und erhöht somit den
Marktes entsprechen, sondern weil die Lead User
Markterfolg der neuen Produkte. Als Opinion Lea-
als Opinion Leader als Vorbilder fungieren.
der können Lead User zudem in das Produktmar5.2 Grenzen in der Lead-User-Analyse in der
keting involviert werden und als Vorreiter für eine
praktischen Umsetzung
schnellere Verbreitung des Produktes sorgen.
Wie die Untersuchung der Fallstudien gezeigt hat,
Die Grenzen der Lead-User-Analyse liegen vor
verwenden viele Forscher zur Identifikation von
allem in der zum Teil eingeschränkten Übertrag-
Lead Usern den Screening-Ansatz. Da dieser nur
barkeit der Theorie auf das konkrete Marktge-
eine Stichprobe des Marktes untersucht, ist er für
schehen. Reale Märkte sind sehr vielschichtig und
große Märkte jedoch ungeeignet. Ist die Grund-
weisen zahlreiche Wechselwirkungen auf, die in
gesamtheit zu groß, besteht die Gefahr, dass die
der Theorie nicht beachtet wurden.
Stichprobe nicht mehr repräsentativ ist und Lead
Dennoch ist der Lead-User-Ansatz insgesamt als
User von Anfang an ausgeschlossen werden. 35
fruchtbar zu bewerten. Bei gewissenhafter, strukEin weiterer kritischer Punkt betrifft die Auswahl
turierter Umsetzung des Konzepts wirkt sich die
der Lead User und Experten, die an der Entwick-
Integration der Lead User in den Innovationspro-
lung von Lead-User-Konzepten mitwirken. Häufig
zess positiv auf den Markterfolg des Produktes
erfolgt die Auswahl nicht aufgrund besonderer
aus. Auch die untersuchten Fallstudien haben
Merkmale, sondern es werden die Lead User und
bestätigt, dass eine Lead-User-Analyse bei der
Experten eingesetzt, die bereit sind, sich daran zu
Entwicklung von Innovationen sinnvoll ist.
beteiligen. Stehen zu viele Lead User oder ExperZudem ermöglichen moderne Informations- und
ten zur Verfügung, erfolgt die Auswahl häufig
Kommunikationstechniken es Anbietern, schnell
anhand zweifelhafter Merkmale. So werden bei-
und kostengünstig mit mehreren Kunden gleich-
spielsweise in der Studie von Urban/von Hippel
zeitig zu interagieren. 37 Dabei können sowohl
(1988) die fünf Experten ausgewählt, deren Firmen einen Sitz in der Nähe des MIT haben.
36
nicht-interaktive Methoden wie Ideenwettbewerbe
Die
und Feedbackformulare, als auch interaktive Me-
Auswahl erfolgte also aufgrund logistischer Vortei-
thoden wie virtuelle Börsen und Herstellerforen
le, was kein zulässiges Kriterium ist.
zur Identifikation von Lead Usern genutzt werInsgesamt ist das Vorgehen in der Praxis häufig
den. 38 Diese Möglichkeiten werden voraussicht-
als unstrukturiert zu charakterisieren und Ent-
lich in Zukunft noch stärker bei der Lead-User-
scheidungen werden primär aufgrund finanzieller
Analyse eingesetzt werden.
und logistischer Aspekte getroffen werden.
34
35
36
Vgl. Strumann 1997, S. 50.
Vgl. Pötz et al. 2005, S. 39.
Vgl. Urban/von Hippel 1988, S. 574.
37
38
87
Vgl. Piller 2006, S. 7.
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89
90
Nadine Asel − Dennis Steinmetz
User Innovation Toolkits – Wenn Kunden Produkte entwickeln und verbessern
1
„Toolkits für User Innovation“ als Instrument des modernen Innovationsmarketings
2
Problembereiche des konventionellen Innovationsprozesses
3
User Innovation als Antwort auf unzureichende Innovationsleistungen
4
Toolkits für User Innovation
5
Abgrenzungsmöglichkeiten verschiedener Toolkit-Varianten
6
Chancen und Problemfelder der Toolkits für User Innovation
7
Entwicklungsbereiche im Toolkit-Konzept
1
„Toolkits für User Innovation“ als In-
Formen der Anwendung dieses Ansatzes. 5 Al-
strument des modernen Innovations-
lerdings gibt es im Business to Customer (B2C)
marketings
Marketing erst einige Studien, die sich mit der
Möglichkeit der Implementierung dieses Modells
Als eine Reaktion innovativer Unternehmen auf
beschäftigen. Der nachfolgende Beitrag wird die
die Schwächen ihrer eigenen Forschungs- und
Entwicklungstätigkeiten,
die
den
bestehenden Ansätze im B2B Bereich darstellen
Marktan-
und Wege für eine Umsetzung des Konzepts im
forderungen, zu akzeptablen Kosten, nicht aus-
B2C Segment aufzeigen. Dabei soll auf die
reichend gerecht werden können, und sich in
Spezifika der beiden Bereiche eingegangen
hohen Flopraten von Neuprodukten äußern,
werden, um abschließend zu klären unter wel-
findet ein Paradigmenwechsel im Marketing
chen Rahmenbedingungen der Einsatz von
statt. 1 Dadurch werden Innovationen nicht mehr
Toolkits zur Erlangung von Wettbewerbsvortei-
nur als Ergebnis von geschlossenen Prozessen
len angezeigt ist.
in der Unternehmensdomäne angesehen, son-
2 Problembereiche des konventionellen
dern versucht, innovative Kunden auf unterschiedliche
Weise
in
die
Innovationsprozesses
Neuprodukt-
entwicklung und Vermarktung zu integrieren
Obwohl teilweise hohe Summen für die Gewin-
was gemeinhin unter dem Terminus Open Inno-
nung
von
nachfragerseitigen
Bedürfnis-
2
vation diskutiert wird. Den Anstoß dazu gaben
informationen (z. B. im Rahmen der Markt-
zahlreiche Beispiele, von Produkten, die sich am
forschung) investiert werden ist der Erfolg von
Markt durchsetzen konnten und von unzufriede-
Neuprodukten eher die Ausnahme. 6 Dafür zei-
3
nen Kunden entwickelt wurden. Ein Instrument,
gen sich zwei zentrale Problembereiche verant-
welches diesem Paradigmen-wechsel folgt, ist
wortlich: Informations- und Reibungs-verluste
der „Toolkit für User Inno-vation“-Ansatz, der
bei
Lösungsmöglichkeiten für die genannten Prob-
informationen vom Kunden zum Unternehmen
leme bieten soll und heutzutage bereits vielfach
und eine hohe Heterogenität der Kunden-
und überaus erfolgreich in der Unternehmens-
bedürfnisse, die die Marktchancen von Stan-
praxis an-gewandt wird. 4 Im Business to Busi-
dardlösungen nach dem Prinzip "one type fits
ness (B2B) Marketing finden sich schon länger
all" einschränken.
1
2
3
4
Vgl. Henkel/ von Hippel 2005, S. 73ff.
Vgl. Quinn 2000, S. 13ff.
Vgl. von Hippel 2005, S. 20.
Vgl. Franke 2003, S. 365f.
5
6
91
der
Übertragung
von
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 74ff.
Vgl. Henkel/ von Hippel 2005, S.73ff.
Bedürfnis-
2.1 Grenzen des traditionellen Neuprodukt-
schungsaufwand des Herstellers führt. 8 Eine
entwicklungsprozess
weitere große Herausforderung der sich die
im
Manufacturer-
klassische Marktforschung gegenübersieht ist
Active-Paradigm
das Problem der sog. „Sticky Information“ dar,
Um dem Problem hoher Neuproduktflopraten
entgegenzuwirken,
versuchen
"Manufacturer-Active-Paradigm"
Hersteller
auf die im Folgenden näher eingegangen wer-
im
den soll.
Produktinno-
vationen, basierend auf den Bedürfnissen ihrer
2.2 Probleme beim Informationstransfer
potentiellen Kunden, zu generieren. Eine Markt-
Unternehmen benötigen zwei grundlegende
analyse die sowohl die eigenen Leistungen als
Arten von Informationen um Produkte, den Kun-
auch die Konkurrenzangebote umfasst dient
denbedürfnissen entsprechend, zu konzipieren
dann zur Identifikation interessanter Markt- und
und die Konzepte produktions-technisch zu rea-
Zielsegmente. Die durchschnittlichen Bedürfnis-
lisieren: 9
se des attraktivsten Marktsegments dienen dann
ƒ Bedürfnisinformation
als Vorgabe für die Produktentwicklung. Auf
(“need
information”)
über die Kunden- und Marktbedürfnisse, d. h.
diesen Erkenntnissen aufbauend wird versucht,
Informationen über die Präferenzen, Wün-
Konzepte, entsprechende Prototypen und an-
sche, Zufriedenheitsfaktoren und Kaufmotive
schließend das serienreife Produkt zu entwi-
der aktuellen und potentiellen Kunden bzw.
ckeln, welches bestmöglich die Bedürfnisse des
Nutzer einer Leistung. Zugang zu Bedürfnisin-
Zielsegments erfüllt.
formation beruht auf einem intensiven VerIn den einzelnen Prozessschritten muss dabei
ständnis der Nutzungs- und Anwendungsum-
immer wieder die Meinung des Kunden, sein
gebung der Abnehmer.
Zwischenfeedback, eingeholt werden. Dadurch
ƒ Lösungsinformation (“solution information”)
verläuft der Entwicklungsprozess nicht linear,
beschreibt die technologischen Möglichkeiten
sondern in häufigen Iterationen - eine Art Ping-
und Potenziale, Kundenbedürfnisse möglichst
Pong zwischen Kunde und Hersteller entsteht,
effizient und effektiv in eine konkrete Leistung
bei welchem der Kunde das noch nicht zufrie-
zu überführen. Lösungsinformation ist die
denstellende Produkt immer wieder testet, be-
Grundlage für die entwerfenden Aktivitäten
wertet und Verbesserungsvorschläge unter-
von
breitet. Dieser Prozess dauert so lange, bis aus
Produktentwicklern
prozess.
Herstellersicht das Produkt ein hinreichendes
Erfolgspotential aufweist, um in den Markt eingeführt zu werden, wobei der Kunde in der letzten Phase eine eher passive Rolle einnimmt.
7
Ein Kernproblem dieser Art von Produktentwicklungsprozessen ist in dem hohen Zeit- und damit verbunden Kostenaufwand zu sehen. Darüber hinaus differenzieren sich die Kundenwünsche immer stärker und schneller aus, was wiederum zusätzlich zu einem höheren Marktfor-
8
7
9
Vgl. Franke 2003, S. 3.
92
Vgl. Franke 2003, S. 7.
Piller 2006, S. 86.
im
Innovations-
Abb. 1: Prozessablauf im „Manufacturer-Active-
expenditure required to transfer that unit of in-
Paradigm“
formation to a spezial locus in a form usable by
a given information seeker.“ 12
Hinzu kommt der Umstand, dass dem Informationsträger manches Wissen selbst kaum bewusst ist, und entsprechend nicht von ihm artikuliert werden kann. Diese Form von Wissen
wird als „tazit“ bezeichnet. 13 Verdeutlicht werden
kann dies an dem Umstand, dass es einem
normalen Menschen kaum bewusst ist, inwiefern bspw. ein Sofa bequem ist.
Des Weiteren besteht das Problem der „absorptive capacity“. 14 Diese tritt auf, wenn Informationen schwer zu transferieren sind, weil der
Empfänger den Sender nicht versteht. In diesem
Fall fehlen komplementäre Informationen, z. B.
das Wissen um die Sprache des Senders. Die
Kunden
werden
als
Ort
der
Bedürfnis-
Kommunikation kann, in einem einfachen Fall,
information, Unternehmen als Ort der Lösungs-
schon alleine daran scheitern, dass einer Partei
information angesehen. Im Innovationsprozess
entsprechend erforderliche Fachterminologien
soll der Hersteller Bedürfnisinformation der
gar nicht bekannt sind.
Kunden in innovative Lösungen umsetzten. Em2.3 Heterogenität der Kundenbedürfnisse
pirische Untersuchungen haben gezeigt, dass
Innovationen nicht nur internen Prozessen der
Um ein differenziertes Marketing betreiben zu
Hersteller entspringen, sondern in interaktiven
können wird der Markt in Kundengruppen von
Prozessen mit dem Markt. Dabei sollen externe
relativ homogener Präferenzstruktur segmen-
Quellen kreatives Potenzial, darunter auch Lö-
tiert, die dann gezielt bearbeitet werden können.
sungsinformationen, liefern, wobei Kundenbei-
Sind die Segmente in sich homogen, so können
träge mitunter sogar zu radikalen Innovationen
sie mit einem spezifischen Produkt bedient wer-
führen können. 10
den. Dies ist jedoch zumeist nicht der Fall, was
eine Metaanalyse von Franke und von Hippel
Eines der Hauptprobleme, die einem effizienten
eindrucksvoll belegt. Sie zeigen, dass bei veröf-
Informationsstrom im Wege stehen, bezeichnet
fentlichten Anwendungen von Cluster-analysen
von Hippel als „Sticky Information“. 11 Dabei
eine Fehlinterpretation von durch-schnittlich ca.
lassen sich Informationen, die von der Kunden-
50% verbleibt.
seite zum Unternehmen transferiert werden
15
Diese ca. 50% der Personen
die einem Segment fälschlicher-weise zugeord-
sollen, nicht, oder nur zu unwirt-schaftlich hohen
net werden, werden durch die, an die Anforde-
Kosten vom Kunden lösen.
rungen des Segments angepassten, Produkte
„We define the stickiness of a given unit of in-
nicht befriedigt.
formation in a given instance as the incremental
12
13
10
11
14
Vgl. Piller 2006, S. 88.
Vgl. von Hippel 1994, S. 431.
15
93
Vgl. ebenda.
Vgl. Nelson 1982, S. 76ff.
Vgl. Cohen/ Levinthal 1990, S. 141f.
Vgl. Franke/ von Hippel 2003, S. 1200f.
Die Segmentierung könnte zwar bis hin zu
Abb. 2: Ausgewählte Studien zum Anteil von
„Segments-of-one“ verfeinert werden, das ginge
Kundeninnovationen an allen Innovationen in
aber, im „Manufacturer Active“ Paradigma, bei
dieser Branche.
dem der Hersteller als einzige aktive Partei im
Innovationsprozess agiert, mit extrem hohen
Kosten einher. 16 Der Misserfolg, der, trotz hoher
Aufwendungen, aus der Anwendung konventioneller
Marktforschungsmethoden
resultiert,
zeigt, dass diese mitunter weder sehr effizient
noch effektiv sind. Mit dem Betrachtungsschwerpunkt B2C vergrößert sich die Problematik, Produkte herzustellen, die die Bedürfnisse
der Kunden bestmöglich befrie-digen dadurch,
dass hier der zu bearbeitende Markt aus einer
sehr großen Zahl an Einzelnachfragern besteht.
Unter dem Kosten- druck entstehen schließlich
auf der einen Seite Kompromisslösungen in
Form von relativ günstigen Standardprodukten,
die die Kundenbedürfnisse nur bedingt befriedi-
3 User Innovation als Antwort auf unzu-
gen, und auf der anderen Seite teure Maßanfer-
reichende Innovationsleistungen
tigungen. Effizienz und Effektivität lassen sich
„User Innovationen“
kaum vereinen. Auf Märkten mit problematischer
treten immer dann auf,
wenn Nutzer ein großes Bedürfnis nach spezifi-
Informationsübertragung und heterogenen, so-
schen Lösungen aufweisen, und dabei die Zu-
wie dynamischen Kundenbedürfnissen führt dies
friedenheit mit den am Markt erhältlichen Lö-
vermehrt zu Unzufriedenheit seitens der Kun-
sungskonzepten, und die Erwartung, dass sich
den, dementsprechend auch zu einem Anwachsen der
17
dieser Zustand alsbald ändern könnte gering
Flopraten von Neuprodukten. In der
ist. 18 In der Unternehmenspraxis finden sich
letzten Konsequenz führt die Nichterfüllung der
eine ganze Reihe an Beispielen für Innovationen
Nachfragerbedürfnisse durch am Markt verfüg-
die von Kunden bzw. Nutzern entwickelt wurden
bare Lösungen dazu, dass einige Akteure selbst
und dabei auch nennenswerte Erfolge verbu-
innovieren und eigene Lösungen speziell für die
chen konnten. Abbildung 2 zeigt einen Aus-
Bedürfnisstruktur entwickeln.
schnitt ausgewählter Studien, die den Anteil von
Kundeninnovationen in unterschiedlichen Branchen aufführen.
Mit Blick auf die Innovationen im Bereich Mountainbiking, ist anzumerken, dass das Mountainbike selbst auch eine Innovation ist, die nicht
aus der Unternehmensdomäne stammt, sondern
von Radfahrern, die ihre Räder auch abseits der
17
16
18
Vgl. Franke 2003, S. 360ff.
94
Vgl. Franke 2003, S. 364.
Vgl. ebenda, S. 365.
befestigten Wege nutzen wollten. Die Idee wur-
Einbindung des Kunden in den Innova-
de bis zur völligen Marktreife ausschließlich von
tionsprozess aktiv befördern können.” 22
einer kleinen Gruppe Enthusiasten weiter ge-
Neben diesen bestehen noch weitere Definitio-
trieben. Große Fahrradhersteller stiegen erst,
nen, die im Kern vor allem auf die Arbeiten von
nachdem sie den hier erwachsenden Trend
Hippel’s zurückgehen. Allen gemein sind be-
erkannt hatten, in die Produktion von Mountain-
stimmte Kernmerkmale, wobei es sich bei einem
bikes ein. 19 Auch die Innovationstätigkeit im
TUI um ein Werkzeug handelt, das den Kunden
Bereich von Kompo-nenten und Zubehör wird
mit lösungsbezogener Kompetenz des Herstel-
nach wie vor, auch von Nutzern, vorangetrieben.
lers ausstattet, die sonst den Forschungs- und
Ein gutes Beispiel dafür bietet die Freiburger
Entwicklungsabteilungen vorbehalten ist. 23 An-
Bike-Szene, die als Silicon Valley der deutschen
statt die oft schwer zu lösenden Bedürfnisinfor-
Bike-Branche gilt. 20
mationen in die Unternehmen zu übertragen,
Nur wenige Nutzer haben auch die Lösungs-
sollen die Kunden, mit der lösungsbezogenen
information, um aus ihren Ideen Innovationen
Kompetenz des Herstellers ausgestattet, ihre
werden zu lassen. An diesem Punkt bietet sich
Ideen, in konkrete Konzepte umsetzen können,
den Unternehmen die Chance, ihre Kunden, in
und in „learning-by-doing“ Prozessen testen und
einem interaktiven Prozess, mit ihrer lösungsbe-
konkret-isieren.
zogenen Kompetenz auszustatten, damit diese
neue Technologien, wie Rapid-Prototyping und
ein, für ihre individuellen Bedürfnisse, optimales
Computer
Produkt entwerfen können, das die Hersteller
entwicklung beschleunigen und günstiger ma-
anschließend für sie produzieren. Das notwen-
chen. Im Gegenzug für die Bereitstellung der
dige Werkzeug dazu stellen Toolkits für User
Lösungskompetenz überlassen die Nutzer die
Innovation dar.
Vermarktungsrechte
24
Dazu unterstützen Toolkits
Simulationen,
ihrer
die
die
Produkt-
Innovationen
den
Herstellern. Ein TUI ist somit eine Art virtueller
4 Toolkits für User Innovation
Werkzeugkasten, „meist in Form einer OnlineIn den nächsten Abschnitten wird erläutert, was
Software, die dem Kunden die Gestaltung sei-
der Begriff Toolkits für User Innovation (TUI)
nes eigenen Produkts“ 25 ermöglicht. Nach der
beschreibt, welche Bestandteile ein TUI aufweist
Spezifikation der Leistung erfolgt die Auftrags-
und wie sich verschiedene Formen von TUI
übermittlung und der herstellerseitige Produkti-
abgrenzen lassen. Die Literatur existieren unter-
onsprozess beginnt. 26
schiedliche Definitionen für den Begriff Toolkit,
Es gibt aber auch wichtige Merkmale, die nicht
z. B.
allen Toolkits gleich sind, und deshalb bei der
„Toolkits for user innovation are coordi-
Betrachtung unterschiedlicher Literaturquellen
nated sets of “user-friendly“ design tools
für Unklarheiten sorgen können, besonders
that enable users to develop new prod-
wenn von Toolkits für Open Innovation im All-
uct innovations for themselves.” 21
gemeinen gesprochen, im Speziellen aber eine
„Toolkits for User Innovation stellen eine
bestimmte Ausprägung dieser betrachtet wird.
neue Methode dar, mit der Hersteller die
22
23
24
25
19
20
21
29
Vgl. Scheele 2005, S. 144.
Vgl. Lesewitz 2007, S. 122f.
von Hippel/ Katz 2002, S. 821.
95
Franke 2003, S. 358.
Vgl. ebenda, S. 366.
Vgl. Piller 2006, S. 93.
Schreier/ Mair am Tinkhof/ Franke 2006, S. 186.
Vgl. Franke 2003, S. 365.
Diese unterscheiden sich stark in der Zielset-
menswachstum
zung und Begrenztheit des Lösungs-raums ent-
chenführerschaft. Zwischen 1980 und heute
sprechender Toolkits, welche durch die Formu-
wuchs dieser Markt auf ca. 15 Milliarden US $
lierung der Anforderungen an TUIs variieren
an, wobei der Schlüssel zu diesem Erfolg auf
können. Im folgenden Abschnitt werden die
die TUI zurückzuführen ist. 29
Anforderungen an TUIs be-schrieben, bevor
zur
heutigen
Bran-
4.2 Anforderungen an ein Toolkit
eine Unterscheidung der Typen von TUIs geGrundsätzlich zeichnet sich eine "echte" Toolkit-
macht wird.
lösung durch verschiedene An-forderungen aus.
4.1 Historische Entwicklung des Toolkit
Die Anforderungen, welche auch als Kernele-
Konzeptes
mente des Toolkits angesehen werden können,
Die Grundidee der Toolkits for User Innovation
bestimmen wesentlich die Möglichkeiten der
(TUI) stammt ursprünglich aus den 80er Jahren.
Leistungsgestaltung für den Kunden. Durch
Während den späten 70ern befanden sich die
unterschiedliche Ausprägungen der Kernele-
Anbieter kundenspezifischer Computerchips in
mente ändern sich aber auch die Ansprüche an
einer
den Kunden. Von Hippel unterscheidet dabei die
misslichen
Lage. Das
Marktsegment
schrumpfte und die Kundenwünsche gingen
nachfolgenden fünf Kernelemente:
stark in Richtung individuellerer Produktion. Da
30
Trial-and-Error Funktionalität
der Produktentwicklungsprozess kompliziert und
Nutzer sind mit einer Problemlösung tendenziell
teuer war, konnten nur Aufträge mit großen
zufriedener wenn sie den kompletten Problem-
Stückzahlen angenommen werden. Darüber
lösungszyklus vom Design einer ersten mögli-
hinaus erreichten die Kosten aufgrund spät er-
chen Lösung bis hin zur tatsächlichen Problem-
kannter Designfehler und des damit verbunde-
lösung durchlaufen können. 31 Dabei soll das
nen Zeitverlustes für die Hersteller problematische Ausmaße.
27
Toolkit in der Lage sein, dem Kunden ein simu-
Junge Start-unternehmen wie
liertes Feedback zu geben, damit dieser aus
LSI Logic Corporation und VLSI Technology
seinen Fehlern lernt, und sein Produkt in iterati-
erkannten die unter-nehmerische Gelegenheit
ven Prozessen verbessern kann. Während des
und boten sowohl größeren als auch kleineren
Prozesses werden kognitive und affektive Lern-
Kunden die Möglichkeit der Auslagerung des
prozesse ausgelöst, die die Qualität der Lö-
Produkt-entwicklungsprozesses via TUI an. Dies
sungsfindung verbessern und auch tazites Wis-
führte zu einer „Win-Win“ Situation sowohl für
sen bewusst machen. 32 Dadurch sind, in Bezug
die Computerchip-Industrie als auch für deren
auf tazites Wissen, vor allem B2C Kunden be-
Kunden: Auf der einen Seite profitierten diese
vorteilt, da ihre Bedürfnisse nicht auf organisati-
von der Tatsache mit Hilfe der Toolkits bedürf-
onalen Strukturen basieren, und somit ein relativ
niserfüllende Lösungen zu erhalten, auf der
schwächeres Bedürfnisbewusstsein entwickeln.
anderen Seite profitieren die Unternehmen von
Zu den Anforderungen der Geschäftspartner
dem reduzierten Abstimmungs- und Informationsaufwand bei der Leistungs-spezifikation.
gibt es ansonsten kaum Unterschiede, abgese-
28
hen davon, dass diese in der Regel, im Wettbe-
Diese Neuorganisation verkürzte die Produkt-
werb, unter größerem zeitlichem Druck stehen,
entwicklungszeit deutlich, um etwa zwei Drittel
und verhalf LSI Logic mit starkem Unterneh-
29
30
27
28
31
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 77.
Vgl. ebenda.
32
96
Vgl. ebenda.
Vgl. von Hippel 2001,S. 247ff.
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 826.
Vgl. Reichwald/ Piller2006, S. 168.
als die Privatkunden
und auf verkürzte Pro-
Modulare Designvorlagen
duktentwicklungszeiten angewiesen sind. Die
Ausgehend von der Annahme, dass Nutzer nicht
verkürzte Produktentwicklungszeit ist, im Ver-
alle Elemente ihrer Erzeugnisse völlig neu ent-
gleich zu anderen Methoden der Neuprodukt-
werfen, wird es als hilfreich erachtet, dem Tool-
entwicklung, auch ein großer Vorteil von Tool-
kit eine Bibliothek an Designvorlagen und Stan-
kits, die „Trial-and-Error“ unterstützen.
dardkomponenten hinzuzufügen, die als Ausgangsdesign, ergänzende Elemente, oder nur
Benutzerfreundlichkeit
als Ideengeber fungieren. 36 Ausgangs-designs
Die Benutzerfreundlichkeit beschreibt die vom
können dabei besonders erfolgreiche Ergebnis-
Benutzer wahrgenommene Qualität der Interak-
se vergangener Designprozesse anderer Nutzer
tion mit dem Toolkit, die durch einen Kosten-
sein. Während des Design-prozesses helfen die
Nutzen Vergleich determiniert wird. Als Kosten
Vorlagen dem Nutzer sich auf die Entwicklung
werden in diesem Zusammenhang der zeitliche
derjenigen Komponenten zu konzentrieren, die
und intellektuelle Aufwand, den das Toolkit an
für ihn spezifisch bedeutsam sind.
den Nutzer stellt, angesehen. Der Nutzen resultiert aus der Zufriedenheit mit der selbst erstell-
Reichwald und Piller interpretieren die Module
ten Leistung und dem Spaß bei der Entwick-
als Einzelteile des Toolkits, wie z. B. Program-
lung.
33
miersprachen,
Der Spaß bei der Entwicklung ist dann
Hilfe-Menüs,
Zeichen-
am größten, wenn die Fähigkeiten des Nutzers
programme, Textfelder und Visualisierungen.
mit den Herausforderungen des Toolkits über-
Damit sehen sie in den Modulen und Kompo-
einstimmen. In solch einem Fall stellt sich ein
nenten den Lösungsraum des Toolkits abgebil-
„Flow-Gefühl“ ein, das als intrinsischer Lohn
det und die wesentliche Determinante der Be-
bezeichnet werden kann.
34
nutzerfreundlichkeit. 37 Dadurch zeigt sich auch
eine Interdependenz zwischen den verschiede-
Hieraus ergibt sich aber auch eine besondere
nen Anforderungen, die an Toolkits gestellt wer-
Herausforderung an den Betreiber eines Tool-
den.
kits in B2C Beziehungen. Die Kunden zeigen
nicht nur stark heterogene Bedürfnisse, sondern
Die Umsetzung dieser Anforderung spiegelt sich
bringen auch höchst unterschiedliche Fähigkei-
in besonderem Maße im „Chemiebaukasten“
ten in der Benutzung eines Toolkits mit. Möchte
Charakter der Toolkits für User Innovation wider
der Betreiber den Fähigkeiten aller Kunden ge-
(Vgl. Abb. 5), da die Nutzer mit verschiedenen
recht werden, müsste er ihnen auch zahlreiche
Elementen an der "Lösung" ihres Problems ar-
Toolkits zur Verfügung stellen, die mit unter-
beiten können. Angesichts der Schwerpunkt-
schiedlichen Anspruchniveaus, den unterschied-
betrachtung von Toolkits die die Innovativität der
lichen Fähigkeiten der Nutzer in so weit gerecht
Unternehmen steigern, sollte aber auch eine
werden, dass sich bei einem Großteil der Kun-
Kombination der Merkmale von Toolkits für User
35
Ist der Nut-
Innovation und Toolkits zum Ideentransfer dis-
zer hingegen über- oder unterfordert bleibt ein
kutiert werden, um die Vorteile beider zu nutzen.
Teil seiner Bedürfnisse unbefriedigt.
Die transferierten Ideen aus dem Toolkit zum
den dieses „Flow-Gefühl“ einstellt.
Ideentransfer können dann als Ausgangspunkt
33
34
35
Vgl. ebenda, S. 166.
Vgl. Csikszentmihalyi 1997, S. 46f.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 166.
36
37
97
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 828.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 166.
für Produktentwicklungen im Toolkit für User
anderen Feldern. 41 Mit diesen erweiterten Tool-
Innovation dienen.
kits konnten dann völlig neuartige Elemente, mit
äußerst hohem Innovativitätsgrad, programmiert
Eine konsequente Umsetzung dieser Idee findet
werden, die auch unter den anderen Nutzern
sich in der Projektstudie von Adidas. Hier wurde,
viel größere Beliebtheit fanden, als die einfa-
als eine Anforderung an das Toolkit, Community-Funktionalität
formuliert.
chen Variationen bestehender Elemente, die mit
Commu-nity-
dem Hersteller Toolkit möglich waren. Des Wei-
Funktionalität beschreibt hierbei die Möglichkeit,
teren stieg durch diese Anpassung auch die
dass sich die Gemeinschaft aller Nutzer eines
Benutzer-freundlichkeit, da die weiterentwickel-
Toolkits gegenseitig austauschen kann. Dabei
ten Toolkits in ihren Anforderungen auch besser
können Innovationen gegenseitig bewertet und
den unterschiedlichen Fähigkeiten der Nutzer
verbessert werden, sowie Problemlösungen
gerecht wurden. Das Beispiel ist aber kaum
anderer Nutzer aufgegriffen. Unerfahrene Nut-
verallgemeinerbar, da es für Software keine
zer können dabei von der Unterstützung erfah-
produktionstechnischen Grenzen i. e. S. gibt.
rener Nutzer profitieren. Zum Abschluss der
Aber in der Softwareindustrie scheint sich durch
Studie wurden die eingereichten Konzepte von
die Möglichkeit, dass Nutzer die Toolkits auf ihre
einem Expertengremium auf ihre Innovativität
Bedürfnisse abstimmen können, die Chance zu
hin geprüft, wobei die Ergebnisse für Adidas
überaus erfreulich waren.
bieten, jedem Kunden das optimale Toolkit be-
38
reitzustellen und damit die maximale InnovatiAngemessener Lösungsraum
onsfähigkeit aller Kunden zu nutzen.
Der Lösungsraum bestimmt die Gesamtheit der
Transformation der Kundenlösung in Pro-
Variationen und Kombinationen zulässiger Lö-
duktionsanweisungen
sungsmöglichkeiten und setzt damit die GrenZuletzt muss das User-Design in eine Produkti-
zen für die Aktivitäten der Nutzer. Er ist in ho-
onsvorgabe übersetzt werden. Das setzt einen
hem Maße von den produktionstechnischen
fehlerfreien und kostengünstigen Informations-
Kapazitäten und Fähigkeiten des Herstellers
transfer voraus. Treten bei der Informations-
abhängig. 39 Möchte man den Kunden einen
übertragung Fehler auf, wird in der Folge das
größeren Lösungsraum bieten, um den Marktan-
User-Design in der Produktion falsch umgesetzt.
forderungen besser gerecht zu werden, muss
Durch einen systematisch fehlerbehafteten In-
der Aufwand für die Produktion erhöht werden.
formationstransfer zwischen Toolkit und Herstel-
Es kommt zu einem Trade-off zwischen Produk-
ler kommt es zu einer drastischen Erhöhung des
tions- und Marktanforderungen. 40
Aufwands des Herstellers und die möglichen
Eine erstaunliche Anpassung an einen zu gerin-
Effizienzvorteile des Toolkits kehren sich um.
42
gen Lösungsraum haben Nutzer eines Toolkits
Erweiterung der Anforderungen eines Tool-
für Open Innovation, im Falle des Computer-
kits
spiels The Sims, durchgeführt. Dort wollten sich
die Nutzer nicht auf Nutzung der bereitgestellten
Zum Ende der Betrachtung der Anforderungen
Toolkits beschränken und entwickelten selbst
an Toolkits, sollte man sich, im Hinblick auf die
eigene Toolkits oder adaptierten Module aus
Umweltbedingungen im B2C Geschäft, fragen,
ob die Anforderungen vollständig formuliert sind.
38
39
40
Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 313ff.
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 826.
Vgl. Franke 2003, S. 370.
41
42
98
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 242.
Vgl. Franke 2003, S. 371.
Ein Merkmal, dass die Toolkits von Adidas und
petenz der Community aus den kumulierten
EA Games gemeinsam haben, ist Community-
Problem-lösungskompetenzen ihrer Mitglieder
Funktionalität. Besonders im Falle eines Unter-
ergibt. Zudem können die Toolkits zur Lead
nehmens im B2C Geschäft macht es Sinn, über
User Identifikation genutzt werden (Woll, S.
den generellen Anspruch, das Toolkit communi-
81ff.). Die Studien von EA Games und Adidas
ty-funktional zu gestalten, nach-zudenken. Die
haben empirisch belegen können, dass die In-
Zahl an Einzelkunden ist hier in der Regel viel
no-vativität der Lösungen einzelner Nutzer, als
größer als im B2B Bereich, und dies wirkt sich,
Indikator für Lead User Merkmale dienen kön-
bei einer Annahme des Toolkits durch die Kun-
nen. Diese Lead User, können in der Folge vom
den, positiv auf den Nutzen des Toolkits aus.
Hersteller in noch anspruchsvollere Projekte
Aus den vorangegangen Ausführungen zu den
eingebunden werden. 45
beiden Beispielen lässt sich erkennen, dass
5
Lead User die Toolkits weiterentwickeln und in
Abgrenzungsmöglichkeiten verschiedener Toolkit-Varianten
der Community zur Nutzung bereitstellen, was
sich positiv auf die Benutzerfreundlichkeit aus-
Der Schwerpunkt der Betrachtung, im Rahmen
wirkt, da nicht mehr nur ein einziges Toolkit für
dieser Arbeit, soll auf Toolkits liegen, die einen
eine große Zahl von Nutzern, mit unterschiedli-
wahren Beitrag zur Innovativität der Unterneh-
chen Fähigkeiten, bereitsteht. Auch auf die mo-
mung und ihrer Produkte leisten können. Durch
dularen Designvorlagen hat dies einen positiven
verschiedene Eigenschaften die Toolkits gege-
Effekt, da durch die Community noch mehr I-
ben sein können ergeben sich Unterschiede
deen, Module und Vorlagen in das Toolkit ein-
bezüglich der Lösungen die mit Toolkits erzeugt
gehen, die gegenseitig aufgegriffen und bewer-
werden können. Abbildung 5 macht die Unter-
tet werden können. Durch die gegenseitige Be-
schiede klar. Dem Kunden werden bei Toolkits
wertung und gegebenenfalls die Übernahme
für
von Innovationen in der Community, zeigen sich
Customization Instrumente, mit sehr beschränk-
Trends, die sich auf die Adoption im Gesamt-
tem Lösungsraum, zur Verfügung gestellt. Die
markt übertragen lassen. Eine hohe Diffusions-
Konsequenz sind veränderte Erscheinungsbil-
rate in der Community wird als Zeichen hoher
der, von nach wie vor technisch unveränderten
Innovativität der Lösung angesehen, und letzt-
Produkten, die aber keine wirklichen Innovatio-
endlich auch als Indikator des Erfolgs des Tool-
nen darstellen. Als Innovation aus Nachfrager-
kits, da das Ziel dessen Einsatzes eben genau
sicht wäre ein Produkt erst dann zu bezeichnen,
43
User
Co-Design
lediglich
Mass-
Der
wenn es in der subjektiven Wahrnehmung des
steigende Nutzen, den sowohl Hersteller, als
Kunden als neuartig empfunden wird und erheb-
auch Kunden aus einer wachsenden Zahl von
lich von den bisher am Markt angebotenen Leis-
Nutzern des Toolkits beziehen, lässt sich durch
tungen abweicht.
Netzeffekte begründen, die durch die Communi-
weichung, der bereits am Markt angebotenen
ty auf das Toolkit übertragen werden. 44 Übertra-
Leistungen, kann aber, angesichts einer Variati-
gen auf die Anwendung von Toolkits steigt der
on bereits bestehender Leistungsmerkmale,
Nutzen mit der wachsenden Größe einer Com-
nicht die Rede sein. Ein Beispiel, das gut zur
munity daher, da sich die Problemlösungskom-
Veranschaulichung dient, ist das eines Uhren-
43
45
Lösungen mit hoher Innovativität sind.
44
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 247.
Vgl. Katz/ Shapiro 1985, S. 424.
46
99
46
Von einer erheblichen Ab-
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 247.
Vgl. Weiber/ Pohl/ Kollmann 1999, S. 9f.
herstellers, der seinen Kunden mit einem De-
Lösungen, bereitstellt, die ein hohes Maß an
sign Toolkit die Möglichkeit gibt, aus einem Set
Kreativität und technischem Verständnis vor-
von Armbändern, Gehäusen und Ziffernblättern,
aussetzen, wird angenommen, dass dieses Tool
sein eigenes Design zu kreieren. Dieses Bei-
nur für ausgewählte Nutzergruppen (Lead User)
spiel basiert auf einer Studie von Franke und
geeignet sei. 48 Als Lead User werden solche
Piller, die auch darauf hinweisen, dass es sich
Nutzer verstanden, die in Bezug auf Consumer
um ein B2C Tool handelt welches wenig an-
Good Märkte, innovativ und trendsetzend sind. 49
spruchsvoll in der Nutzung ist, gleichzeitig aber
Sie adoptieren neue Güter früher als die norma-
auch keine wirklichen Inno-vationsaktivitäten
len Verbraucher und kommunizieren ihre Erfah-
zulässt. Diese Eigenschaft wird den anspruchs-
rungen damit aktiv in ihrem sozialen Netzwerk.
47
volleren B2B Toolkits zugeschrieben. Toolkits
Neben dem Charakter Vorreiter eines Trends zu
für User Innovation und Toolkits für Ideentrans-
sein, sind sie in der Lage, Produkte zu verbes-
fer haben diese Eigenschaften. Im weiteren
sern und Lösungen für funktionell neue Produk-
Verlauf wird der Text auch auf Aspekte einge-
te, zu formulieren.
hen, die für einen Einsatz von Toolkits für User
50
Das Toolkit hilft dem Nutzer Ideen für neue In-
Innovation und Toolkits für Ideentransfer im B2C
novationen zu entwickeln, oder innovative Leis-
Bereich sprechen.
tungseigenschaften zu generieren und sich damit aktiv am Innovationsprozess des Herstellers
5.1 Innovativitätssteigernde Toolkits
zu beteiligen. Zwei wesentliche Merkmale unter-
Mit Verweis auf Abbildung 3 sollen in dieser
scheiden diesen Prozess von einer autonomen
Arbeit die Toolkits für User Innovation und I-
Entwicklungstätigkeit, ohne Unterstützung eines
deentransfer im Schwerpunkt der Betrachtung
Toolkits.
stehen, da sie nicht nur ein Werkzeug einer
ƒ
Mass Customization Strategie darstellen, son-
Der Hersteller stellt den Kunden in Form
dern die Innovativität eines Unternehmens stei-
des Toolkits sein vorhandenes Lö-
gern können. Den Toolkits von EA Games und
sungswissen bereit, damit die Nutzer
Adidas lassen sich Eigenschaften dieser beiden
auf einem höheren Niveau innovativ tä-
Formen von Toolkits zuordnen, wie auch den
tig werden können.
Toolkits von STATA und Apache. Diese vier
ƒ
Beispiele werden noch näher betrachtet.
Nutzer bekommen in sämtlichen Phasen des Prozesses ein detailliertes (simuliertes) Feedback zu ihrem Lösungs-
5.2 Toolkits für User Innovation
konzept. 51
Diese Form des Toolkits bietet ganz im Gegensatz zu dem des Co-Designs einen in der Regel
Im Beispiel von EA Games, konnten Nutzer
unbegrenzten Lösungsraum. Die Nutzer können
schon ca. ein Jahr vor Markteinführung, mit Hilfe
in einem aufwendigen „Trial-and-Error-Prozess“
eines Toolkits eigene Elemente für das Spiel
ihre Ideen konkretisieren und mit bisher unbe-
entwickeln. Die Möglichkeiten der Nutzer streu-
kannten Lösungen für ihr Problem solange ex-
ten dabei sehr stark, von der einfachen Verän-
perimentieren, bis es gelöst ist. Da der Herstel-
derung des Aussehens der Charaktere bis hin
ler als Lösungsinformationen, z.B. Program-
zur Entwicklung völlig neuer Fähigkeiten oder
miersprachen, Zeichenprogramme oder CAD48
49
50
47
51
Vgl. Franke/ Piller 2004, S. 410.
100
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 168.
Vgl. von Hippel 1986, S. 791ff.
Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 309.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 168.
52
Letztere unter-streichen
direkten Kontakt zum Endverbraucher einge-
den Beitrag zur Innovativität und die Gesamtheit
setzt. Die bereits in Ansätzen, in den vorange-
der vorhandenen Möglichkeiten verdeutlicht die
gangenen Beispielen, angesprochenen Funktio-
Größe des Lösungsraums. Des Weiteren veran-
nen der Toolkits ergeben sich aus einem Set
schaulicht das Beispiel auch die Anwendbarkeit
von Anforderungen, die für alle Toolkits gleich
des Toolkits im B2C Bereich.
sind
5.3 Toolkits zum Ideentransfer
6
Umweltelementen.
Toolkits
zum
Ideentransfer
(externes
Chancen und Problemfelder der Toolkits für User Innovation
Vor-
schlagswesen) setzen ganz zu Beginn des In-
Aus Sicht des Produzenten lassen sich einige
novationsprozesses, in der Phase der Ideenge-
Vorteilspotenziale aufzeigen, wobei hier zu-
nerierung ein. Sie bieten innovativen Nutzern
nächst die Reduktion der Kosten für die Markt-
einen offenen Kanal zu ihrem Unternehmen, der
forschung bzw. die Produktentwicklung zu nen-
eine strukturierte Eingabe von Verbesserungs-
nen sind. Diese können aufgrund des Toolkits
vorschlägen und neuen Verfahren unterstützen
vernachlässigt werden, da hier wie bereits erläu-
soll. Hierbei geht es sowohl um das breite Ab-
tert Kunden ihr eigenes Produkt selbst zusam-
greifen von Bedürfnisinformationen, als auch um
men- bzw. von Grund auf selbst erstellen kön-
die Möglichkeit für innovative Nutzer, Verfah-
nen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die „poten-
rens- oder Produktverbesserungen übermitteln
tielle Beschleunigung von Neuproduktentwick-
zu können.
53
lungsprozessen“ 55 . Die iterativen Prozesse wer-
Adidas hat das Toolkit eingesetzt, um einen
den verkürzt, da der Kunde nun direkt in den
Ideenwettbewerb unter den Kunden, die High-
Entwicklungsprozess mit eingebunden werden
end Produkte von Adidas gekauft haben, durch-
kann. Ein gutes Beispiel ist hierbei die Firma
zuführen. 54 Der Auswahl lag die Annahme zu
Nestlé Food Service aus den USA und ihr zent-
Grunde, dass die Käufer dieser Produkte ambi-
raler Geschäftsbereich der individualisierten
tionierte, oder sogar Wettkampfsportler seien,
Fertig-gerichte für den Gebrauch im Gastro-
die mehr Erfahrung im Gebrauch der Produkte
nomiebereich. Hier dauerte der iterative Ent-
haben als Gelegenheitssportler. Ziel war nicht
wicklungsprozess bis zu 26 Wochen. Heute, via
nur die Gewinnung von Bedürfnisinformationen,
Toolkit, kann die Entwicklungszeit auf drei Wo-
sondern auch die von Lösungsinformationen,
chen reduziert werden. 56
die Adidas helfen sollten die verschiedenen
Als weitere Chance der TUI lässt sich die Sen-
Phasen des Kaufprozesses der Kunden, von der
kung des Floprisikos nennen. Bekannte Beispie-
Vorkauf- bis zur Nachkaufphase, zu verbessern.
le für Fehleinschätzungen der Kundenwünsche
Durch Visualisierungen und Einsicht in bereits
sind hierbei der BetaMax von Sony oder CD-I
bestehende
Community-
von Philips. 57 Auf der Kundenseite kann sich der
Funktionalität, die erlaubte, die Beiträge anderer
User besser mit dem Produkt identifizieren,
Nutzer zur weiteren Bearbeitung aufzugreifen
schließlich hat er es selbst „geschaffen“.
Konzepte,
sowie
und zu bewerten, sollte zusätzlich die Kreativität
gesteigert werden. Auch hier wird das Toolkit im
52
53
54
55
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 243f.
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S.171.
Vgl. Piller/ Walcher 2006, S. 311ff.
56
57
101
Franke 2003, S. 19.
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S.16.
Vgl. Franke 2003, S. 3.
Abb. 3: Arten von Toolkits für Open Innovation
Ziel
Prinzip
Toolkits für User
Innovation
Generierung von
Innovationsideen
Generierung innovativer
Leistungseigenschaften
Toolkits für User
Co-Design
Leistungsindividualisierung durch ProduktKonfiguration (Verkaufstool)
Toolkits zum
Ideentransfer
Transfer vorhandener
Innovationsideen aus
der Nutzerdomäne (externes Vorschlagswesen)
ƒ “Chemiebaukasten”
ƒ Sehr großer
Lösungsraum
ƒ Hohe Nutzungskosten
ƒ Vollständiges Trialand-Error
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Nutzer
Nutzer mit Lead-UserEigenschaften
“Lego-Baukasten”
Vordefinierter Lösungsraum durch
technische Restrik- tionen des Herstel-lers
Geringe Nutzungskosten durch Standartmodule
Trial-and-Error nur
teilweise möglich
alle Kunden
ƒ
ƒ
“Black Board”
Unbegrenzter
Lösungsraum
Geringe Nutzungskosten
Kein Trial-andError (bzw. nur
Feedback durch
andere Nutzer)
Nutzer mit Lead-UserEigenschaften
Dieser Aspekt wirkt sich direkt auf die Leis-
zufriedener waren, als jene, die dies nicht getan
tungsseite aus. So besitzen Toolkits die Chance
hatten.
die Preisbereitschaft der Kunden zu erhöhen.
Bisher wurde noch nicht geklärt, wie der Herstel-
Dieser Sachverhalt wurde in einem Experiment
ler seine Kunden dazu motivieren soll sein Tool-
von Franke und von Hippel (2002) mit Usern der
kit zu nutzen. Die Anreize für die Benutzung
„Apache Security Software“ untersucht. Hier
sind immer kontextabhängig. Dabei spielt vor
wurden zum Einen User befragt, die die nötigen
allem die Art der Information die gewonnen wer-
technischen Fähigkeiten besitzen, um sich mit
den soll eine Rolle. Sollen Bedürfnisinformatio-
Hilfe des angewandten Toolkits ihre eigene
nen gewonnen werden, spielen extrinsische
Software zu entwickeln. Zum Anderen wurden
Motive eine Rolle. Der Kunde wird, in dem Zu-
jedoch auch jene Nutzer befragt, die sich auf-
sammenhang, durch die Erwartung, im An-
grund der fehlenden technischen Fähigkeiten,
schluss an die Preisgabe der Information, seine
einfach „nur“ das fertige Software-Grundgerüst
individuelle Lösung nutzen zu können, angetrie-
herunterladen. Dabei wurde deutlich, dass An-
ben.
wender, die technisch geschult sind und sich
gewonnen werden besteht diese Aussicht nicht
somit ihre eigene Software zusammenstellen
mehr, da diese eher für Prozessinnovationen
können, eine signifikant höhere Zufriedenheit
des Herstellers genutzt werden. Der Nutzer
mit dem Produkt aufweisen als die User, die
kann also nicht unmittelbar mit einer Gegenleis-
nicht dazu in der Lage sind. Daraufhin wurden
tung rechnen. In solchen Fällen muss der Her-
schließlich nur die User mit technischen Fähig-
steller eine Anreizstruktur schaffen, die die Kun-
keiten auf ihre Zufriedenheit hin befragt und es
den dazu bringt, das Toolkit zu nutzen.
58
Sollen allerdings Lösungsinformationen
stellte sich heraus, dass User, die die Software
auch tatsächlich modifiziert hatten, wesentlich
58
102
Vgl. Piller 2006, S. 95.
Probleme ergeben sich durch den Einsatz des
als auch über fit-to-market das Innovationsrisiko
Toolkits insbesondere bei Unternehmen, in de-
gesenkt. 61 Unter bestimmten Bedingungen soll-
nen das „Manufacturer Active“ Paradigma fester
ten sich sogar die Vorteile von Toolkits für User
Bestandteil der Unternehmensphilosophie ist.
Innovation und Ideentransfer in einem Toolkit
Diejenigen Unternehmensabteilungen, die zuvor
vereinen lassen. Adidas und EA Games waren
für die Produktentwicklung zuständig waren,
mit den Ergebnissen ihrer Ansätze sehr zufrie-
werden ihre Entwicklungskompetenzen nicht
den. Beide Toolkits beinhalteten Funktionen, die
abgeben wollen. Zudem werden Wertschöp-
idealtypisch entweder in Tookits für User Inno-
59
Besonders
vation oder zum Ideentransfer zu finden sind,
in solch einem Fall, aber auch im Allgemeinen
z.B. zeigen beide sowohl „Chemiebaukasten“
empfiehlt sich daher, das Toolkit als komple-
und „Blackboardfunktion“. Möglicherweise wird
mentäre und nicht als substitutive Methode im
sich dieser Ansatz in Kombination mit Communi-
fungskompetenzen ausgegliedert.
Innovationsmanagement ein-zusetzen.
60
ty-Funktionalität als dominanter Toolkit-Typ im
B2C Marketing durchsetzen können und in Zu-
Zusätzlich ist zu beachten, dass ein Unterneh-
kunft eine wichtige Rolle im Innovationsmarke-
men, das sich dazu entscheidet, seinen Innova-
ting aller Branchen spielen.
tionsprozess für seine Kunden zu öffnen, auch
seinen Konkurrenten Einsicht in seine innovati-
Innerhalb der Märkte können Toolkits in zwei
ven Aktivitäten gibt. Durch die hohen Kosten die
unterschiedlichen Funktionen eingesetzt wer-
eine produktionstechnische Anpassung an den
den. Zum Einen dienen sie als Hilfsmittel zur
weiten Lösungsraum des Toolkits für User Inno-
Anpassung der Problemlösung an das nutzerin-
vation verursacht, bieten sich diese weiten Lö-
dividuelle Problem. Der Nutzer hat die Möglich-
sungsräume vorerst besonders für die Produ-
keit zur Individualisierung seines Produkts. Zum
zenten von immateriellen Gütern an, und Start
Anderen kann ein Toolkit mit dem nötigen Um-
Ups, die ihre Produktionstechnik von vornherein
fang hochinnovative Lösungen zum Vorschein
an die Anforderungen des Toolkits anpassen
bringen.
können.
7
Entwicklungsbereiche
Zwischen diesen beiden Funktionen besteht
im
jedoch keine „Entweder-Oder“ Situation, son-
Toolkit-
dern eine „Untermenge-Obermenge“ Beziehung.
Konzept
So kann jede Innovation zwar individuell sein,
Der Einsatz von TUI im Innovationsprozess ist
aber nicht jede Individual-isierung ist auch gleich
ein relativ neues Phänomen. Festzuhalten
innovativ. Mit dieser Erkenntnis kann der Her-
bleibt, dass TUI vor Allem in Märkten Sinn
steller das Toolkit sowohl als Medium zur
macht, in denen die Bedürfnisse der Nutzer sehr
Leistungs-individualisierung für seine Kunden,
heterogen ausgeprägt sind und die Schwierig-
als auch als Marktforschungstool für Innovatio-
keiten der Übertragung bedürfnis-bezogener
nen einsetzen.
62
Informationen vom potentiellen Kunden zum
Hersteller groß sind. Durch die effizientere Ges-
TUI sind kein Allheilmittel und nicht jedes Unter-
taltung des Innovations-prozesses und ausge-
nehmen wird von einer Investition in diese Form
dehnte Erprobung der Ideen durch die Nutzer,
der Produktentwicklung profitieren. Etablierte
werden sowohl costs-to-market, time-to-market,
Unternehmen haben meist aufgrund ihrer festen
59
60
61
Vgl. ebenda, S. 96.
Vgl. Franke 2003, S. 376.
62
103
Vgl. Piller 2006, S. 94.
Vgl. Franke 2003, S. 17f.
Unternehmensstrukturen Schwierig-keiten TUI
Csikszentmihalyi, M. (1997): Finding Flow, in:
einzuführen. Weitere Gründe hierfür rangieren
Psychology Today, Vol.30, Nr. 4, S. 46-48.
zwischen psychologischen Gründen wie simple
Franke, N. (2003): Toolkits for User Innovation:
Arroganz gegenüber neuen Technologien, Bü-
Die Einbindung des Kunden in den Innovati-
rokratie etc. bis hin zu ökonomischen Gründen
onsprozess, in: Hoffman, W.H. (Hrsg.): Die
wie beispielsweise hohen Fixkosten, die das
Gestaltung der Organisationsdynamik. Kon-
Unternehmen an größere Märkte bindet.
figuration und Evolution, Festschrift für Oskar
Im Gegensatz dazu besitzen junge Unterneh-
Grün zum 65. Geburtstag, S. 357-381.
men hohe Erfolgschancen, sollten sie sich dazu
Franke, N./ Piller, F. (2004): Value Creation by
entschließen Toolkits als Produktentwicklungs-
Toolkits for User Innovation and Design: The
prozess einzusetzen. New Ventures stecken
Case of the Watch Market, in: Journal of
noch nicht in betriebseigenen Strukturen fest,
Product Innovation Management, Vol. 21, Is-
sie können kurzerhand mit diesen als integrier-
sue 6, 2004, S. 401-415.
ten Teil des Businessmodells starten. Wenn das
Franke, N./ Schreier, M. (2002): Entrepreneurial
Toolkit gut funktioniert und die Kunden ebenfalls
opportunities with Toolkits for User Innova-
diese neue Form der Interaktion akzeptieren, ist
tion and Design. In: The International Journal
das Unternehmen in der Lage, sich Marktanteile
on Media Management, 4, 4, 225-234
von führenden älteren Unternehmen anzueignen, die dann unter hohem Druck stehen zu
Franke, N./ von Hippel, E. (2003): Satisfying
reagieren.
Heterogeneous User Needs via Innovation
Toolkits: The Case of Apache Security Soft-
Darüber hinaus werden sich längerfristig auch
ware, in: Research Policy, Vol. 32, 2003,
die Toolkits in den einzelnen Marktbranchen
S.1199-1215.
verändern. Auf Druck der Kunden hin werden
Unternehmen dazu tendieren, Toolkits zu erstel-
Henkel, J./ von Hippel, E. (2005): Welfare impli-
len, die unternehmensunabhängig sind. Dies
cations of user innovation, in: Journal of
bedeutet, dass die Kunden nicht nur an das
Technology Transfer, 30, 1-2, S. 73-88.
eigene Unternehmen gebunden und damit meh-
Katz, M./ Shapiro, C. (1985): Network external-
rere Anbieter ins Spiel gebracht werden, um den
Wettbewerb zu steigern.
63
ities,
Um diese Arbeit ab-
competition,
and
compatibility,
in:
American Economic Review, 75, 1985, S.
zuschließen, soll der Ökonom John M. Keynes
424-440.
zitiert werden, der bemerkte: „The difficulties lie
Lesewitz, H. (2007): Freiburger Tüftler, in: Bike
not in the new ideas, but in escaping from the
old ones…“
2/07, S.122-125.
64
Lühtje, C. (2000): Characteristics of innovating
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Nelson, R. (1982): An evolutiunary theory of
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economic change, Cambridge 1982.
63
64
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 80.
Piller 2002, S. 388.
104
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28.
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74-81.
105
Rieke K. Buning
Innovationstreiber Community - Konzepte zur Potenzialerschließung
1
Virtuelle Communities: Kundeneinbindung auf einer neuen Ebene
2
Ansätze zur Systematisierung und Identifikation innovationstreibender Communities
3
Grundtypen des Informationstransfers zwischen Community und Hersteller
4
Schnittstellenprobleme zwischen Community und Hersteller
1
Virtuelle Communities: Kunden-
zu minimieren. 2 Um diese tiefer gehende Ausrichtung an heutigen oder zukünftigen Marktan-
einbindung auf einer neuen Ebene
forderungen zu realisieren, bedienen sich UnDas Phänomen 'Community' ist nicht neu. Im-
ternehmen zunehmend einer nahezu uner-
mer schon gab es Gruppen mit einem gemein-
schöpflichen Informations- und Innovationsquel-
samen Interesse: Menschen, die sich trafen,
le: den VC-Mitgliedern. 3 Dabei wird eine Einbe-
vielleicht
zusammenschlossen,
ziehung von Kunden angestrebt, die über die
fachsimpelten, die gleichen Fachzeitschriften
Orientierung an Kundenbedürfnissen oder die
lasen und sich enthusiastisch über ihr Hobby,
Teilnahme an Markttests hinausgeht: Bisherige
ein Produkt – Bier vielleicht – oder ein sonstiges
oder potenzielle Kunden sollen Innovations-
Thema austauschten. Im Rahmen einer Virtuel-
ideen, fertige Innovationskonzepte oder sogar
len Community (VC) geschieht das gleiche, nur
Prototypen in den PEP einbringen. 4 Solch inno-
virtuell im Internet. Leimeister/ Krcmar liefern
vative Kunden werden in VCs identifiziert und
einen guten Überblick über Definitionen aus
aktiv (z. B. als Lead User (Woll, S. 81ff.) oder
verschiedenen Disziplinen, 1 eine einheitliche
Nutzer von Toolkits (Asel/ Steinmetz, S. 94ff.)
Definition der "Virtuellen Communitiy" gibt es
sowie passiv (Netnography) in den Innovations-
nicht. Diesem Beitrag liegt folgende Vorstellung
prozess integriert. Doch auch wenn in den
einer VC zugrunde:
Communities die Innovationsideen vermeintlich
Eine VC ist eine Gruppe von Menschen, die sich
leicht zugänglich sind, bedarf es einiger Aufbe-
an einem bestimmten virtuellen Ort im Internet
reitung, um erfolgversprechende Ideen zu sam-
interaktiv, in Foren, Chats, Mailing-Listen o.ä.,
meln, zu strukturieren und in den Innovations-
über ein gewisses Themenspektrum austauscht.
prozess zu integrieren.
Dabei entstehen stärkere oder schwächere so-
Um die Methoden, derer es bedarf um Informa-
ziale Bindungen zwischen Menschen mit höhe-
tionen aus einer VC in ein Unternehmen zu
rem oder niedrigerem Expertenstatus.
transferieren, in ein Ordnungsgefüge zu bringen,
Virtuelle Communities sind eine wertvolle An-
werden in diesem Beitrag anhand der Aktivität/
laufstelle für Unternehmen, die im Produktent-
Passivität der Kommunikationsteilnehmer Kunde
wicklungsprozess (PEP) frühzeitig auf Impulse
und Hersteller drei Grundtypen solcher methodi-
bzw. konkrete Innovationsvorschläge von Kun-
2
in
Vereinen
den eingehen wollen, um das Floprisiko eines
entstehenden Produktes zu reduzieren oder gar
3
1
4
Leimeister/ Krcmar 2004, S. 47f.
106
Die Zahlen zum Scheitern von Neuprodukten variieren je
nach Branche und Autor zwischen 50% und 90%, Vgl.
Reichwald/ Ihl/ Seifert 2004, S. 2; Ernst/ Soll/ Spann
2006, S. 4.
Vgl. Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 4f.
In dieser Arbeit die Begriffe (Community-) Mitglieder,
User, Kunden synonym verwendet. Von allen Begriffen
wird im Folgenden die männliche Form verwendet, wobei
darunter selbstredend Frauen und Männer verstanden
sind.
Vgl. Reichwald/ Ihl/ Seifert 2004, S. 2.
schen Schnittstellen eingeführt: "Beobachtung",
2
Ansätze zur Systematisierung und
"Interaktion" und "Outsorcing". Als Schnittstelle
Identifikation innovationstreibender
werden dabei Methoden verstanden, die früh im
Communities
PEP einen Kontakt i. S. einer Verbindung zwiVirtuelle Communities, in denen Beschwerden
schen dem Hersteller und der ganzen VC oder
und Unzufriedenheiten, Konsum- und Produkter-
einzelnen Mitgliedern herstellen, um dort gene-
fahrungen oder Tipps und Verbesserungsvor-
rierte Ideen oder innovative User für den PEP zu
schläge über bestimmte Themen oder Produkte
gewinnen. 5
ausgetauscht werden, sind für Hersteller eine
Als Anhaltspunkte, die bei der Suche nach er-
gute Quelle, um mehr über die Bedürfnisse ihrer
folgversprechenden VCs bzw. geeigneten Usern
Kunden und deren Innovationsideen zu erfah-
als Gegenpart für das Unternehmen im Innova-
ren. Doch es gibt zahllose VCs mit unzähligen
tionsprozess nützlich sein können, werden im
Usern, die eine unüberschaubare Anzahl an
folgenden Kapitel Systematisierungsmöglichkei-
Beiträgen verfassen. Wo kann das Unterneh-
ten vorgestellt. Der dritte Abschnitt führt die drei
men ansetzen? Wie kann es die Datenflut be-
genannten Grundtypen der Kommunikation an
wältigen und zum eigenen Nutzen auswerten?
Schnittstellen ein und nimmt eine Zuordnung der
Verschiedene Modelle helfen dabei, VCs von-
drei methodischen Schnittstellen (Netnography,
einander abzugrenzen oder ihr "Innenleben" zu
Lead-User-Konzept und Toolkit) vor. Dabei wer-
strukturieren. 6
den Chancen, Probleme und Kritikpunkte dieser
An sich betrachtet grenzen sich VCs durch un-
Methoden aufgezeigt. Abschnitt vier gibt einen
Mitgliederverhalten, 7
terschiedliches
Einblick in die konkreten Kommunikationsprob-
schiedliche Mitgliedermotivation
leme, die an den jeweiligen Schnittstellen nicht
unterschiedliche
durch die Methode, sondern erst durch (man-
8
unter-
oder durch
Themenschwerpunkte 9
von-
einander ab. Hagel/Armstrong differenzieren
gelnden) Austausch oder Zusammenarbeit zwi-
verbraucherorientierte Communities von Bussi-
schen dem Unternehmen, seinen Mitarbeitern
ness-To-Business-Communities. Die Verbrau-
und der VC bzw. ihren Usern auftreten können
cherorientierten Communities differenzieren sie
und zeigt auf, welche Handlungsmöglichkeiten
weiter in geografische VCs (Trier, Eifel,...), de-
bestehen.
mografische VCs (Frauen, Rentner,...) und theDa eine vollständige Behandlung aller hier an-
menbezogene VCs (Sport, Technik,...). Für die
gesprochenen Methoden in diesem Rahmen
Untersuchung
nicht möglich ist, beschränkt sich die Betrach-
der
Kommunikation
an
den
Schnittstellen zwischen VC und Unternehmen
tung auf die relevanten Aspekte für die oben
ist es allerdings unerheblich, welcher Unterart
beschriebene Schnittstellenthematik.
die VC zuzurechnen ist, solange sie Innovationspotenzial besitzt und der Mitarbeit an einer
Produktentwicklung mit einem Unternehmen
zugetan ist.
10
Darüber hinaus kann die Unter-
scheidung zwischen verbraucherorientierter VC
und Business-To-Business-Community bei der
6
7
5
8
Zur Einbindung von VCs in verschiedenen Phasen des
Produktentwicklungsprozesses siehe Hildebrand, S.
147ff..
9
10
107
Vgl. Herstatt/ Sander 2004b, S. 106.
Figallo 1998, zitiert nach Beinhauer et al. 1999, S. 409f.
Beinhauer et al. 1999, S. 413f.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 141 - 147.
ebd.
Betrachtung der Schnittstellen weitestgehend
sowohl starke soziale Bindungen zur
vernachlässigt werden, da sich zwar aus der
Gruppe, als auch ein hohes Interesse am
unterschiedlichen Marktsituation unterschiedli-
Thema und sind daher oft Meinungsführer
che Voraussetzungen ergeben, die aber letzt-
in den VCs. Für die Untersuchung anhand
endlich nur minimale methodische Anpassungen
des Netnography-Ansatzes sind Devotees
mit sich bringen.
11
und Insider wegen ihres hohen thematischen Involvements die besten Informati-
Von innen her lassen sich VCs nach ihrer wert-
onsquellen.
vollsten Ressource strukturieren: VC-Mitglieder
verschiedenen Rollen zuzuordnen ist sinnvoll,
Eine VC nach ihrer Art und ihre Mitglieder nach
um ihre Beiträge hinsichtlich der Verwendung im
Rollen zu systematisieren ist kein Selbstzweck.
Innovationsprozess zu bewerten oder die Inter-
Die Kriterien, nach denen sie untersucht wer-
aktion in einer VC zu verstehen. Ebenso wie für
den, sollen helfen, eine strukturierte Untersu-
VCs selbst gibt es über die Rollen in VCs sehr
chung vornehmen zu können. Hat eine Zuord-
unterschiedliche Ansichten.
12
nung stattgefunden, wird mit dem Ergebnis weitergearbeitet: Will das Unternehmen mit einer
An dieser Stelle seien die vier Rollentypen nach
Business-to-Business-VC, einer geografischen
Kozinets erwähnt. 13 Seine Einordnung berück-
oder einer themenbezogenen VC zusammenar-
sichtigt den Grad des sozialen und des themati-
beiten? Kann ein VC-Mitglied mit einem Tourist-
schen Involvements, beides wichtige Voraussetzungen
für
eine
funktionierende
oder einem Mingler-Status im Innovationspro-
VC.
zess hilfreich sein? Die hier genannten Möglichkeiten der Kategorisierung sind lediglich Bei1. Tourists: Ihr thematisches Involvement ist
spiele, sie sollen verdeutlichen, wie wertvolle
stärker ausgeprägt als das soziale, mögli-
Kooperationspartner von weniger bedeutsamen
cherweise sind sie einmalige Besucher.
unterschieden werden können.
Sie stellen viele Fragen und haben großes
14
Beispiele für
konkrete Vorgehensweisen liefert der nachfol-
Interesse am Thema, sind aber weniger
gende Abschnitt.
an sozialen Bindungen zu anderen Mit-
3
gliedern interessiert.
Grundtypen des Informationstransfers zwischen Community und Her-
2. Minglers: Sie führt weniger ihr Interesse am
steller
Thema oder am Konsum eines Produkts
in die VC, als vielmehr ihr starkes Interes-
In diesem Kapitel werden drei Methoden der
se an sozialen Bindungen.
Beteiligung von Community Mitgliedern am Innovationsprozess den drei Grundtypen der
3. Devotees: Sie haben hohes Interesse am
Kommunikation an der Schnittstelle zwischen
Thema, aber eher schwache Bindungen
Hersteller und VC zugeordnet. Anschließend
zur Community.
werden die Methoden näher erläutert, wobei
4. Insider: Die Insider sieht Kozinets als einfluss-
neben den Chancen auch methodische Proble-
reichste Gruppe mit dem höchsten Anse-
me aufgezeigt werden. Die Grundtypen der
hen innerhalb der VC. Sie vereinen in sich
Kommunikation an Schnittstellen ergeben sich
11
12
13
aus der Aktivität bzw. der Passivität der Kom-
Vgl. v. Hippel 2005, S. 3f.; In diesem Beitrag werden die
Begriffe Unternehmen und Hersteller synonym verwendet.
Vgl. Meyer 2000, S. 53ff.
Kozinets 2002, S. 6. Die folgenden Abschnitte beziehen
sich auf diese Quelle.
14
108
Vgl. Bartl/ Holger/ Füller 2004, S. 150f.
munikationspartner. Ist der Hersteller aktiv, die
„Unter Netnography wird die Analyse der Onli-
VC-Mitglieder jedoch passiv, liegt der Grundty-
ne-Kommunikation von Community-Mitgliedern
pus "Beobachtung" vor: Beim Netnography-
und Konsumenten verstanden. Der Ansatz er-
Ansatz ist der User zwar Gegenstand einer Un-
laubt, sowohl die explizit formulierten als auch
tersuchung, nimmt an dieser aber lediglich pas-
die implizit vorhandenen Bedürfnisse, Wünsche,
siv als Objekt einer Beobachtung teil. Kommuni-
Erfahrungen, Motivationen, Einstellungen und
zieren beide Seiten aktiv, wird vom Grundtypus
Wahrnehmungen der Konsumenten und An-
"Interaktion"
wender hinsichtlich Produkten und Marken qua-
gesprochen:
Die
Lead-User-
litativ zu erforschen. [...]“. 16
Methode basiert auf einer Interaktion zwischen
User und Unternehmen; zunächst, um über-
Dabei
haupt Lead User zu identifizieren, und um an-
werden
vorrangig
Konsumenten-VCs
untersucht, um Trends und Tendenzen in ano-
schließend mit den identifizierten Lead Usern
nymen Massenmärkten festzustellen. Kozinets
eine Innovation zu entwickeln. Der Grundtypus
hält ein Vorgehen in fünf Stufen für sinnvoll: 17
"Outsourcing" liegt vor, wenn ein Unternehmen
Entrée: Die Forschungsfrage wird bestimmt und
mithilfe von Toolkits Teile des Innovationspro-
entsprechend eine oder mehrere virtuelle
zesses zum nun aktiven Kunden auslagert.
Communities anhand folgender Kriterien
Ablaufbeschreibungen
sollen
einen
Einblick
untersucht: Liegt der Fokus der Gruppe
geben, wie der Informationstransfer gestaltet
auf untersuchungsrelevanten Themen?
wird, um so die jeweiligen Form der Kommuni-
Wenn ja, sind die Menge der Postings, die
kation in den VCs als Schnittstellen zwischen
Anzahl der aktiven Mitglieder (besonders
Kunde und Hersteller zu verstehen.
Insider oder Devotees) 18 , der Detailreich-
Abb. 1: Grundtypen der Kommunikation an
tum der Postings und der Grad der Inter-
Schnittstellen
aktion zwischen den Mitgliedern bezüglich
des relevanten Themas entscheidende
Faktoren dafür, inwieweit eine VC aus Unternehmenssicht interessant ist.
Data Collection & Analysis: Einerseits werden
ganze Texte oder Passagen aus der
Kommunikationsflut übernommen, andererseits ist es wichtig, sich mit der Community und ihren Mitgliedern, ihrer Sprache, ihren Interessen, ihrem Verhältnis
zum Markt oder zum Produkt gut vertraut
3.1
Netnography als Instrument der Beo-
zu machen. Eine gute Quelle für Werte
bachtung
und Ansichten der Online-Gemeinschaft
"Netnography" ist eine Wortschöpfung von Robert Kozinets
15
kann die ‚Netiquette’ sein.
Es werden
und verbindet die Begriffe "Inter-
net" und "Ethnografie". Bartl gibt hierzu eine
16
17
kurze, aber prägnante Beschreibung:
18
15
19
19
Vgl. Kozinets 2002, S. 1; vgl. Bartl 2007, S.1.
109
Bartl 2007, S. 84.
Vgl. Kozinets 2002, S. 2ff. Der folgende Abschnitt bezieht
sich überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet.
Siehe Kapitel 2 dieser Arbeit.
Vgl. Kaiser et al. 2000.
explizite (Beschwerden, Empfehlungen,...)
werden den teilnehmenden Mitgliedern
wie auch implizite (Verhalten,...) Äuße-
vorgelegt, um diese von ihnen abschlie-
rungen erfasst.
ßend beurteilen zu lassen.
Trustworthy Interpretation: Für diesen Beitrag
Die Netnography ist eine sehr unaufdringliche
stellt die Interpretation der Postings den
Methode: Ohne selbst in der Gruppe aktiv zu
entscheidenden Aspekt dar: Informationen
werden, beobachtet der Marktforscher die un-
der Kundenseite werden in Schlussfolge-
verfälschte Kommunikation ("word-of-mouth")
rungen und Erkenntnisse auf Unterneh-
und Interaktion der Community-Mitglieder. Das
mensseite überführt. Natürlich sind auch
Umfeld der Untersuchung ist nicht vom Markt-
die
Arbeitsschritte er-
forscher künstlich gestaltet, die Konversation ist
folgsentscheidend, aber die Qualität der
meist in Alltagssprache abgefasst und gerade
interpretierenden Beobachtung - und da-
deswegen sehr nahe am Kunden. Diese Metho-
mit der "Erfolg" der gesamten Untersu-
de ist zwar nicht so kostenintensiv wie Fokus-
chung - hängt stark von der Urteilsfähig-
Gruppen oder persönliche Interviews, aber we-
keit und der Sensibilität des Forschers ab.
sentlich umfangreicher und zeitaufwendiger.
Nur wenn er fähig ist, den "Bedürfniscode"
Füller et al. berichten von einem Untersu-
des Users zu entschlüsseln und ihn in
chungszeitraum von sechs Monaten in ver-
Wunsch, Bedürfnis und Meinung aufzu-
schiedenen
schlüsseln, ist das Ergebnis der Net-
240.000 Postings in 18.000 Threads ausgewer-
nography verlässlich und kann im Innova-
tet wurden.
vorangehenden
tionsprozess verwendet werden.
Sport-Communities,
in
denen
20
Der Netnography-Ansatz dient als Basis für
Research Ethics: Der Forscher sollte seine In-
weitere Untersuchungsmethoden, beispielswei-
tentionen und seine Anwesenheit für die
se für die Community Based Innovation. Aller-
Dauer der Untersuchung im Forum be-
dings unterscheidet sich die Community Based
kannt geben. Auch an dieser Stelle ist es
Innovation wesentlich vom Netnography-Ansatz,
wiederum von zentraler Bedeutung, die
da die Forscher mit den Mitgliedern der VC in-
VC gut zu kennen, um abschätzen zu
teragieren: Sobald die geeignete Community
können, wie die Mitglieder auf "Eindring-
identifiziert ist, werden User in den Neuprodukt-
linge" reagieren. Es ist sinnvoll, zunächst
Entwicklungsprozess integriert. Der Forscher
beim Moderator, Webmaster oder bei an-
bzw. das Unternehmen bleibt also nicht der
erkannten Mitgliedern die Einstellung der
passive Beobachter im Hintergrund, sondern
Community bezüglich seines Vorhabens
nimmt aktiv am Gruppenleben z. B. durch Dis-
anzufragen. Der Forscher sollte Diskretion
kussionsforen, Online-Fragebögen oder Ideen-
und Anonymität zusichern, Feedback der
wettbewerbe teil.
untersuchten Mitglieder mit einbeziehen
21
Die Daten, auf die der Forscher in der Net-
und er sollte sich stets bewusst sein, dass
nography primär zurückgreift, sind öffentlich und
er sich in Online-Communities auf einem
frei zugänglich - was die Informationsbeschaf-
schmalen Grad zwischen Privatsphäre
fung für das Unternehmen vereinfacht. Aber
und Öffentlichkeit bewegt.
ebenso leicht sind die in den Foren geposteten,
Member Checks: Die Ergebnisse der Untersu-
20
21
chung oder einzelne Bestandteile daraus
110
S. Füller/ Javecki/ Mühlbacher 2005, S. 9.
Vgl. Bartl/ Holger/ Füller 2004, S.; Genaueres zu Ideenwettbewerben siehe Abschnitt 3.2 dieses Beitrags.
innovativen Produktideen für andere Unterneh-
te. 23 Zu Beginn wurde die LU-Methode vorran-
men und deren Marktforschung verfügbar. Eine
gig in Industriegütermärkten angewendet, dort
weitere Schwierigkeit, die von Kozinets aufge-
ist die Anzahl der Kunden überschaubar. Au-
zeigt wird, ist bei reiner Beobachtung das Feh-
ßerdem besteht meist ein persönlicher Kontakt
len jeglicher Information zu Alter, Geschlecht,
durch Außendienstmitarbeiter, deren Hinweise
Wohnort, Einkommen etc. So lassen sich die
bei der Identifizierung von LUn in Industriegü-
gewonnenen Daten zu Bedürfnissen, Wün-
termärkten sehr hilfreich sein können. Die Identi-
schen, Erfahrungen, Motivationen, Einstellungen
fikation von Lead Usern nicht nur ins WWW,
und Wahrnehmungen der User nur schwer auf
sondern ganz gezielt in die dort angesiedelten
Märkte außerhalb des Internets übertragen.
VCs zu verlagern, begründet sich durch die
Chance, nun auch in Konsumgütermärkten LU
Der Netnography-Ansatz ist insgesamt als neue
identifizieren zu können. Denn gerade in Kon-
Art der Marktforschung im Internet zu sehen, bei
sumgütermärkten gestaltet sich die Suche nach
der nicht bloß die altbekannten Methoden an-
LUn äußerst schwierig, da die Anzahl der Kun-
gewendet werden, sondern ein Instrument ent-
den für gewöhnlich sehr hoch ist und über die
wickelt wurde, das auf die neuartigen Gegeben-
einzelnen Kunden keine oder nur wenige Infor-
heiten des relativ jungen Mediums "Internet"
mationen vorliegen.
eingeht. Elemente des Netnography-Ansatzes
VCs bieten also momen-
tan die besten Voraussetzungen für eine erfolg-
werden auch bei der Identifikation von Lead
reiche Suche nach LUn in unüberschaubar gro-
Usern verwendet, was im folgenden Abschnitt
ßen Konsumgütermärkten.
erläutert wird.
3.2
24
Die Innovationsleistungen, die LU in verschie-
Lead-User-Methode als Variante des
densten Konsum- und Industriegütermärkten
interaktiven Zusammenspiels
erbringen, sind für Unternehmen von hohem
Eric von Hippel benennt zwei Hauptcharakteris-
Interesse in Bezug auf die Entwicklung von radi-
tika von Lead Usern (LU): Zum einen haben sie
kalen Innovationen, sog. "Breakthroughs". 25
bestimmte neue Bedürfnisse früher als der
Beide Parteien, sowohl der Hersteller als auch
Großteil des Marktes und können diese auch
der beteiligte Kunde mit LU-Eigenschaften, kön-
benennen; sie sind also einem Trend weit vor-
nen erheblich von einer erfolgreichen, gemein-
aus. Zum anderen ziehen sie einen großen Nut-
samen Produktentwicklung profitieren. Der LU
zen aus der Befriedigung ihrer Bedürfnisse.
zieht seinen Nutzen aus der Erfüllung seiner
Je deutlicher diese Eigenschaften bei Kunden
Bedürfnisse bzw. aus der Lösung seiner Prob-
ausgeprägt sind, desto höher ist die Wahr-
leme, seltener aus monetären Anreizen. 26 Die
scheinlichkeit, dass sie vorhandene Produkte
Zusammenarbeit mit solchen Pionierkunden
ihren Bedürfnissen entsprechend modifizieren
oder sogar neue Produkte entwickeln.
führt eher zu qualitativen Verbesserungen im
22
PEP, wie Reduzierung des Floprisikos, stärkere
Die Lead-User-Methode wurde schon praktiziert,
Kundenbindung und verbessertes Verständnis
als das World Wide Web (WWW) noch kein
der Marktpartner, als zu einer quantitativen Op-
öffentlich zugängliches Medium war, also lange
bevor von VCs überhaupt die Rede sein konn-
23
24
25
26
22
Vgl. von Hippel 1986; von Hippel 2005, S. 22.
111
Vgl. von Hippel 1986, S. 8 ff.
Vgl. von Hippel 1986, S. 8 ff.; Ernst/ Soll/ Spann 2006,
S. 4 ff.
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2001, S. 103 ff.
Vgl. von Hippel 2005, S. 93ff.; Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2003,
S. 8.
timierung wie etwa Zeit- oder Geldersparnis. 27
und Unternehmen bieten. 30 Zur Identifikation
Zudem sind die Umsatzprognosen für Produkt-
von LUn in virtuellen User Communities bieten
entwicklungen mit LU-Beteiligung außerordent-
sich unterschiedliche Möglichkeiten an, von
lich gut.
28
denen hier die drei zentralen dargestellt seien.
Um jedoch in der Zusammenarbeit mit LUn ei-
Screening-Fragebögen
nen guten Erfolg zu erzielen, müssen einige
Screening-Fragebögen 31 werden auf der Websi-
Hindernisse bewältigt werden. Die LU-Methode
te einer virtuellen Community verankert, um aus
sieht vier Phasen vor: In der ersten Phase wer-
der Menge von interessierten und engagierten
den die personellen Vorrausetzungen geschaf-
Community Mitgliedern echte LU herauszufil-
fen und Ziele festgelegt, um in der zweiten Pha-
tern. Dazu müssen die beiden oben genannten
se eine Trendprognose mit beobachtenden Me-
Charakteristika operationalisiert werden, wie es
thoden, wie sie aus der Netnography bekannt
bspw. Franke/ Shah in einer Studie in vier Sport-
sind, durchzuführen. Diese Trendprognose wie-
Communities taten; sie haben das erste Charak-
derum gibt die grobe Richtung für Phase drei
teristikum "Trendsetter" wie folgt operationali-
vor, in der die geeigneten LU unter den Com-
siert: "Von neuen Produkten und Lösungen er-
munity Mitgliedern identifiziert werden sollen.
fahre ich für gewöhnlich früher als Andere."‚
Phase drei ist wegen ihrer Schnittstellenfunktion
"Von der frühen Übernahme und Nutzung neuer
zwischen VC und Unternehmen im vorliegenden
Produkte habe ich stark profitiert."‚ "Ich habe
Beitrag von besonderem Interesse. Eine beson-
Prototypen neuer Produkte für Firmen getestet."‚
dere Schwierigkeit stellt die korrekte Identifikati-
"In meiner Sportart werde ich als Vorreiter an-
on von LUn in Konsumgütermärkten dar. Wäh-
gesehen." und schließlich "Im [Sportart ...] habe
rend Investitionsgütermärkte meist kleiner und
ich alte Techniken verbessert und neue entwi-
überschaubarer sind, oft sogar persönlicher
ckelt.". Das zweite Merkmal "Hoher Nutzen
Kontakt besteht und die Klienten dem Unter-
durch Innovation" übersetzten sie in "Ich habe
nehmen gut bekannt sind, ist die Auswahl ge-
neue Bedürfnisse, die von existierenden Pro-
eigneter Kunden keine besondere Hürde. In
dukten nicht befriedigt werden können." und "Ich
anonymen Massenmärkten hingegen, wie sie im
bin unzufrieden mit der existierenden Ausrüs-
Konsumgüterbereich üblich sind, ist die Identifi-
tung.". Zusätzlich dazu untersuchten Franke/
kation wesentlich schwieriger, da nur in den
Shah auch weitere Indikatoren für LU wie die in
seltensten Fällen direkter Kontakt besteht oder
brauchbare Daten über den Kunden vorliegen;
der Community verbrachte Zeit oder die Rolle
29
des Users in der Community.
doch erscheint dieses Problem basierend auf
Community- bzw. Herstellerforen
virtuellen Communities lösbar. Zur Identifikation
von LUn sind Online Communities besonders
Community- bzw. Herstellerforen ermöglichen
geeignet, da sie eine schnelle und kostengüns-
den Usern einer Community, unter der Steue-
tige Möglichkeit der Interaktion zwischen User
rung eines Moderators in themenspezifischen
Foren interaktiv miteinander zu kommunizieren
(z. B. ip-phone-forum.de). Dies geschieht zu
27
28
29
unterschiedlichen Themen (Unternehmen, MarVgl. Springer et al. 2006, S. 13.
Sogar bis zu acht mal höher als Produkte, die nicht mit
der Lead User Methode entwickelt wurden. Siehe Lilien et
al. 2002, S. 1055.
Ernst/
Soll/
Spann
2006,
S.
5;
Herstatt/ Sander 2004, S. 104.
30
31
112
Jedoch die Gestaltung dieser Interaktion ist nicht unbedingt kostengünstig.
Franke/ Shah 2003, Tabelle 3, S. 13; der folgende Abschnitt bezieht sich auf diese Literaturangabe.
ken oder Themen) und auf unterschiedliche Art
gements kann die LU-Methode dabei nicht er-
und Weise (Mailing-Listen, Chats, Diskussions-
setzen. 33
foren). LU werden hier über die Qualität der
Die LU-Methode ist kein Garant für einen rei-
Beiträge und ihre Rolle in der Community identi-
bungslosen und erfolgreichen Innovationspro-
fiziert und können zu zugangsbeschränkten
zess. Es besteht trotz reduziertem Floprisiko die
Online-Fokusgruppen eingeladen werden, die
Gefahr, dass das frühe Bedürfnis des LUs nie-
vom Unternehmen moderiert und strukturiert
mals auf dem Massenmarkt bestehen wird. Da-
werden.
her muss das Unternehmen bereits bei der LU-
Ideenwettbewerbe
Identifizierung möglichst ausschließen, dass das
Ideenwettbewerbe 32 (z. B. Visionenkessel.de)
geäußerte Bedürfnis des LUs auf einen Nischenmarkt abzielt. 34 Ein weiterer Grund für
sind aus zwei Gründen in den frühen Phasen
einen möglichen Misserfolg in der Produktent-
der PE attraktiv: Einerseits liefern sie zusätzli-
wicklung ist das Problem der "Sticky Informati-
che Ideen, die den Ideengenerierungsprozess
on". 35 Um diese Hürde zu nehmen, kommen
im Unternehmen unterstützen; andererseits liegt
auch in Konsumgütermärkten immer öfter soge-
die Vermutung nahe, dass Kunden mit beson-
nannte Toolkits zum Einsatz, die im nun folgen-
ders guten, innovativen Ideen LU-Potenzial be-
den Abschnitt thematisiert werden. 36
sitzen. Um das zu überprüfen, lässt das Unternehmen den Einsendern von besonderen Ideen
3.3 Toolkits for User Innovation und
zur weiteren Segmentierung einen Screening-
ausgelagerte Unternehmensaktivitäten
Fragebogen zukommen. Die Durchführung er-
Ein Toolkit 37 (TK) ist ein virtuelles Werkzeug, mit
folgt dann zumeist in der oben beschrieben
dem durch Kombination vorhandener Module
Form.
und Elemente ein hochindividuelles Produkt
Wenn das Unternehmen die LU identifiziert hat,
gestaltet werden kann (z. B. spreadshirt.de).
folgt in Phase vier die Entwicklung von Produkt-
Nachdem der Designvorgang im WWW abge-
konzepten. In einem zumeist zwei- bis dreitägi-
schlossen ist, wird per Mausklick der Produkti-
gen Workshop werden die LU mit den Mitarbei-
onsauftrag abgeschickt. Durch die Einbindung
tern zusammengebracht. In Teams von drei bis
eines Toolkits in eine VC können die User über
fünf Personen entwickeln sie die ersten vagen
innovative Designs diskutieren, sich gegenseitig
Ideen weiter, die im Identifikationsprozess ge-
Tipps geben oder Kritik üben .
sammelt wurden. Nach dem Workshop werden
38
Nach dem Industriegütermarkt erobert das TK
die Ideen, die nun in Skizzen, Modellen oder
jetzt auch den Konsumgütermarkt. Es ermög-
Konzeptbeschreibungen vorliegen, den Ent-
licht den Unternehmen die Bearbeitung von
scheidungsträgern präsentiert. Gegebenenfalls
"Markets-of-One". 39 Das Unternehmen muss
schließt sich dann der normale Entwicklungsund Bewertungsprozess an, den jede Innovati-
33
34
onsidee durchläuft. Die traditionellen Methoden
35
der Marktforschung und des Innovationsmana36
37
32
Ernst/ Soll/ Spann 2006, S. 10 f. Der folgende Abschnitt
bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe.
Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies
gekennzeichnet.
38
39
113
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2003, S. 6ff.
Vgl. Enkel/ Kausch/ Gassmann 2005, S. 209.
Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff.; Sticky Information sind
schwer transferierbare Informationseinheiten, eine genauere Thematisierung erfolgt in Abschnitt 3.3.
Zur eingehenden Betrachtung der Lead User Analyse
siehe Woll, S. 81ff.
Vgl. Schreier 2004. Der folgende Abschnitt bezieht sich
überwiegend auf diese Literaturangabe. Wurden andere
Literaturquellen verwendet, so ist dies gekennzeichnet.
Näheres zur Einbindung von Toolkits in VCs siehe
Kapitel 4.
Keenan et al. 2002.
also nicht alle denkbaren Produkte den Kun-
kann das Produkt nicht mehr zu einem akzep-
denbedürfnissen entsprechend entwickeln, son-
tablen Preis anbieten.
dern der Kunde entwickelt unter bestimmten
Die Bedienoberfläche mit allen Anwendungen
u. a. produktionstechnischen Restriktionen sein
(z. B.
eigenes Produkt. 40 Der Einsatz von TK zur Pro-
Bezeichnungen
intuitiv nachvollziehbar und benutzerfreundlich
als die Beteiligung von LU: War bei der Zusam-
sein, damit keine Missverständnisse aufkommen
menarbeit mit LU das Unternehmen noch aktiv
eigentlichen
und
(Darstellung aller Elemente und Module) muss
duktentwicklung geht noch einen Schritt weiter
am
"drag-and-drop")
und keine Einstiegsbarrieren vorherrschen, wie
Produktentstehungsprozess
etwa eine Fachsprache oder eine komplizierte
beteiligt, stellt es dem User jetzt 'nur noch' eine
Anwendung, die weniger involvierte Kunden
Sammlung von kombinierbaren Elementen be-
abschreckt.
reit und überlässt diesem das eigentliche DeDem User sollten modulare Designvorlagen zur
sign. Auf diese Art und Weise umgeht das Un-
Verfügung stehen, damit nicht jeder Kunde bei
ternehmen den fehleranfälligen Versuch, Kundenbedürfnisse im Detail zu verstehen.
41
null anfangen muss. Denkbar wäre eine Stan-
An
dardproduktpalette wie etwa verschiedene Arten
dieser Schnittstelle findet also eine indirekte,
von T-Shirts, auf denen sich der User mit kreati-
standardisierte Kommunikation über das Toolkit
ven Elementen 'austoben' kann.
statt: 'Der User erklärt nicht was er will, er baut
es sich aus vorgegebenen Modulen gleich
Die Übersetzung der Designvorlage des Users
selbst.' Mit dem TK wird der Kunde aktiv, er
muss in der Produktion realisierbar sein. Das
wechselt sozusagen die Fronten: Von der passiv
bedeutet, dass die komplette Sammlung aller
konsumierenden Unbekannten 'Kunde' wird er –
nützlichen Module und Optionen vorher gründ-
mit einer Reihe von Werkzeugen ausgestattet –
lich geprüft und auftretende Fehler behoben
selbst zum Innovator. Damit aus dem Einsatz
werden müssen, damit der Kunde genau das
von TK eine "Win-Win-Situation"
42
entsteht,
sollte es fünf zentrale Anforderungen erfüllen:
Produkt erhält, das er sich zusammengestellt
43
hat.
Durch das Konzept "trial-and-error" bzw. "lear-
Der Einsatz von TK ist dann besonders sinnvoll,
ning-by-doing" soll der Kunde sein Design fin-
wenn in einem Segment sehr unterschiedliche
den, indem er während des Designprozesses
Bedürfnisse existieren, wenn die Weitergabe
über die Anzeige eines virtuellen Prototyps
produktionsrelevanter Informationen unbedenk-
Feedback erhält und so seinen Fortschritt ver-
lich ist und wenn bedürfnisbezogene Informatio-
folgen und jederzeit korrigieren kann.
nen, die sog. "Sticky Information" 44 schwer zu
erheben sind. 45 Die 'Stickyness' einer bestimm-
Dabei ist die Größe des Gestaltungsspielraumes
ten Informationseinheit wächst mit den Kosten
sehr wichtig: Kann der Kunde zu wenig selbst
bzw. dem Aufwand, den es für den Forscher
gestalten, findet er vielleicht nicht, was er sucht;
bedeutet, diese Informationseinheit zu transfe-
muss/ darf er zu viel gestalten, überfordert ihn
rieren. 46 Da TKs die Kommunikation zur Suche
das möglicherweise oder das Unternehmen
nach dem Kundenbedürfnis überbrücken oder
gar ersetzen, sind sie eine geeignete Methode,
40
41
42
43
Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 74.
Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 76.
Vgl. von Hippel/Thomke 2002, S. 77.
Vgl. von Hippel 2001, S. 14. Die fünf folgenden Absätze
beziehen sich auf diese Literaturquelle.
44
45
46
114
Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff.;
Schreier 2004, S. 204.
Vgl. von Hippel 1995, S. 14 ff.
tion besitzen, sondern auch dasselbe darunter
das Problem der Sticky Information zu umgehen.
47
verstehen. Der Transfer funktioniert bei Virtuellen Communities meist über das Medium Text,
Im Gegensatz zur Lead-User-Methode kann der
das weder Mimik, noch Gestik, noch den Tonfall
User mit einem TK nur schwerlich radikale Inno-
beinhaltet und so die korrekte Interpretation
vationen hervorbringen, da trotz aller Freiheit ja
einer Botschaft, wie sie beim Netnography-
letztendlich nur Elemente aus einer vorgegebe-
Ansatz üblich ist, erschwert. Auch Webmaster
nen d. h. vom Hersteller auch konkret umzuset-
sind sich dieser Schwierigkeit durchaus be-
zenden Menge zum Einsatz kommen können.
wusst, wie ein Auszug aus der NetNews-
Außerdem kann auf diese Art niemals ein tech-
Netiquette zeigt:
nisch so ausgereiftes Produkt entstehen, wie es
von erfahrenen Ingenieuren entwickelt werden
„[...] Erst lesen, dann denken, dann noch mal
kann. Ingenieure werden also weiterhin hoch-
lesen, dann noch mal denken und dann erst
wertige Produkte entwickeln, die hohen techni-
posten! Die Gefahr von Missverständnissen ist
schen Anforderungen genügen aber vorgelagert
bei einem geschriebenen, computerisierten Me-
einen langen Entwicklungsprozess durchlaufen.
dium besonders hoch. Vergewissern Sie sich
Daneben existieren dann Toolkit-Produkte, die
mehrmals, dass der Autor des Artikels, auf den
genau den Kundenanforderungen entsprechen
Sie antworten wollen, auch das gemeint hat,
und in kurzer Zeit verfügbar sind.
4
48
was Sie denken. Insbesondere sollten Sie darauf achten, ob nicht vielleicht Sarkasmus oder
Schnittstellenprobleme zwischen
eine ähnliche Abart des Humors :-) benutzt wur-
Community und Hersteller
de, ohne ihn mit dem Smiley-Symbol „:-)“ zu
An der Schnittstelle zwischen Hersteller und
kennzeichnen. [...]“
User können neben den oben beschriebenen
49
Das Bewusstsein um die Tücken, welche die
methodischen Problemen auch kommunikative
Interpretation von Texten in VCs mit sich bringt
Probleme auftreten, die sich erst beim konkreten
und eine aufmerksame und sensible Auswer-
Austausch zwischen beiden Seiten zeigen. Das
tung sind für den "Netnographen" unerlässlich,
können bei der Netnography z. B. mangelnde
um die Botschaft des Users wirklich zu verste-
Informationen sein, die die Lesart bspw. eines
hen.
Postings erschweren, Unsicherheiten im Umgang mit Außenstehenden und deren Ideen wie
Eine andere Art der Kommunikation liegt beim
bei der Lead-User-Methode oder begrenzter
Einsatz von TK vor: 50 Anstatt explizite oder im-
Lösungsraum beim Design eines individuellen
plizite Kundenbedürfnisse exakt zu analysieren,
Produkts bei einem Toolkit.
wird dem Kunden eine Reihe von frei kombinierbaren Elementen zur Gestaltung eines indi-
Die Netnography kämpft mit einem zentralen
viduellen Produkts angeboten. Doch ist der User
Problem bei Schnittstellen, dem Überführen von
trotzdem nicht frei in seiner Wahl, denn er ist
spezifischen Informationen von einem System
zumeist an die vorgegebenen Möglichkeiten des
(Kunde) in ein anderes (Herstellerunternehmen),
TK gebunden. Neben dem Designvorgang, in
und zwar so, dass nach dem Informationstrans-
dem der Kunde nicht sagt was er will, sondern
fer beide Systeme nicht nur die gleiche Informa49
50
47
48
Vgl. von Hippel 2001, S. 16.
Vgl. von Hippel/ Thomke 2002, S. 78. Zur eingehenderen
Behandlung des Toolkits siehe Asel/ Steinmetz, S. 94ff.
115
Kaiser et al. 2000, S. 1.
Vgl. Schreier 2004, S. 212 ff. Der folgende Abschnitt
bezieht sich überwiegend auf diese Literaturangabe.
Wurden andere Literaturquellen verwendet, so ist dies
gekennzeichnet.
es bestmöglich anhand der vorhandenen Ele-
ckelt werden, dass auch die anderen User
menten zusammenstellt, ist keine weitere Ein-
davon profitieren. Damit wäre das TK
bindung des Users in die Weiterentwicklung
nicht mehr nur ein Mittel zum Zweck, um
bzw. Verbesserung des TK vorgesehen. Schrei-
dem LU seine innovativen Produkt-Ideen
er geht hier noch einen Schritt weiter indem er
samt "Sticky-Information" zu entlocken,
fragt, warum eigentlich LU nicht schon an der
dann wäre das TK selbst der Mittelpunkt
Entwicklung des TK beteiligt werden sollten.
der Innovationsanstrengung.
Diese Beteiligung würde zwei Komponenten
deen wurden von "spreadshirt.de" bereits
beinhalten:
in die Tat umgesetzt: User können ande-
51
Diese I-
ren Usern ihre selbst gestalteten Motive
I. Entwicklung des TK als virtuelles Werk-
zur Verfügung stellen, und damit eine
zeug
Provision pro verwendetem Motiv verdie-
Z. B. in LU-Workshops: Prototypen könn-
nen.
ten in ausgewählten Communities getestet und bei Bedarf gemeinsam verbessert
Die LU-Methode hat keine Probleme mit dem
werden. Als radikalste Variante könnte die
Fehldeuten von Textpassagen wie die Net-
Toolkit-Entwicklung als Ganzes an inno-
nography oder der Beschränkung auf inkremen-
vative, engagierte User ausgelagert wer-
telle Innovationen wie das TK, vorausgesetzt,
den, so könnten Communities laufend die
der oder die LU wurden bereits richtig identifi-
Eigenschaften den sich ändernden Anfor-
ziert. Trotzdem gibt es auch hier 'Mechanismen',
derungen anpassen. Der Hersteller wäre
die
dann 'nur noch' für die Machbarkeitsprü-
Schnittstelle blockieren: Selbst wenn mit Hilfe
fung bzw. die Umsetzung der Designs in
des LU gute Produktideen generiert werden,
die Produktion zuständig.
kann es zu Vorbehalten und sogar Widerstän-
das
reibungslose
Funktionieren
dieser
den aus den Reihen des Unternehmens kom-
II. Auswahl und Gestaltung der Design-
men. Wenn Mitarbeiter aus eingespielten Abtei-
Elemente
lungen dazu neigen, eigene Ideen und Techni-
Bisher werden die Design-Elemente vom
ken als überlegen anzusehen und dabei von
Hersteller bestimmt, wobei das wahre In-
vorne herein das Potenzial der Ideen unter-
novationspotential der User nur unzurei-
schätzen, die von außen beigesteuert werden,
chend genutzt wird. User könnten dem
spricht man vom "Not-Invented-Here"-Syndrom
Hersteller eigene Design-Elemente vor-
(NIH). Katz/ Allen sehen den Grund für das NIH-
schlagen, die nach einer Prüfung den an-
Syndrom in eingefahrenen Strukturen der Abtei-
deren Usern zur Verfügung gestellt wer-
lungen eines Unternehmens; Mobilität sei das
den könnten. So könnte neben der
geeignete Gegenmittel: ständige Bewegung in
Schnittstelle User – Hersteller eine weite-
der Besetzung aller Teams macht es möglich
re Schnittstelle User – User geschaffen
ausgetretene Pfade zu verlassen und vom fri-
werden. Wenn das TK auf diese Art radi-
schen Wind neuer Ideen zu profitieren.
kal weitergeführt würde, wären mit dem
52
TK auch radikale Innovationen möglich.
Je reibungsloser also in Zukunft die Kommuni-
Wenn mit der Zeit die ersten Benutzer an
kation an den Schnittstellen verläuft und je bes-
die Grenzen des TK stoßen, könnte dies
ser der Transfer von innovationsrelevanten In-
mit Hilfe von Lead-Usern so weiterentwi-
51
52
116
Vgl. Schreier 2004, S. 212 ff.
Vgl. Katz/ Allen 1984, S. 14 f.
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Reichwald, R./ Ihl, C./ Seifert, S. (2004): Kundenbeteiligung an unternehmerischen Innovationsvorhaben. Psychologische Determinanten der Innovationsentscheidung, in:
118
Michael Bathen
Virtuelle User- Communities als Mittel zur Unterstützung des Innovationsprozesses
1
Innovation als treibende Kraft der Wirtschaftswelt
2
Informationsgewinnung im Rahmen von Virtual Communities
3
Entwicklungen in der Anbieter-Nachfrager-Beziehung
4
Ansätze zur unternehmensseitigen Steuerung von Community-Aktivitäten
1 Innovation als treibende Kraft der Wirtschaftswelt
Abb. 1: Bedeutung der Kundenorientierung in
der Produktentwicklung
Innovationen sind der Motor der Wirtschaft und
auf Grund von globalisiertem Wettbewerb, verkürzten Produktlebenszyklen und stetig wechselnden Konsumentenanforderungen nimmt ihre
Bedeutung beständig zu. Das Internet bietet
zwar einen vielseitigen Vertriebs- und Kommunikationsweg, doch reicht dies allein nicht aus,
um hohe Flopraten bei Innovationen zu kompensieren.1 Aus diesem Grund ist es wichtig
Innovationen so ausgereift an den Markt zu
Die Einbindung von Kunden in den Leistungser-
bringen, dass diese ohne große Nachbesserun-
stellungsprozess und vor allem die Integration
gen von den Kunden akzeptiert werden. Hierbei
von Virtual Communities ist besonders interes-
bietet vor allem die Einbindung von Kunden in
sant, da sie zum einen noch nicht vollständig
den Innovationsprozess ein hohes Potenzial
erforscht ist und darüber hinaus noch viele un-
Dieser Beitrag befasst sich damit, wie Kunden
und im speziellen virtuelle User-Communities,
oder auch Virtual Communities (VCs) genannt,
unterstützend
in
den
unternehmensseitigen
Innovationsprozess eingebunden werden können und welche Vorteile hierüber zu erwarten
sind. Unter Innovationsprozess wird dabei neben dem reinen „Erfinden“ neuer Leistungen
bzw. Produkte auch die Erschließung neuer
erschlossene Entwicklungs- und Erfolgspotenziale bietet. An dieser Stelle sei bspw. das Betriebssystem Linux erwähnt, welches auf Open
Source Basis durch eine User-Community entwickelt wird. Dieses Beispiel zeigt, zu welch
innovativen Leistungen solche VCs fähig sind.
Nun scheint es an der Zeit für Unternehmen,
diese Fähigkeiten sinnvoll und vor allem regelmäßig und nicht nur in Einzelfällen zu nutzen.
Märkte und die Modifikation von Produkten
Der Mehrwert, den diese Virtual Communities
durch Kunden für Kunden verstanden. Die früh-
den Unternehmen stiften, wird im Zusammen-
zeitige Einbindung des Kunden hat sich dabei
hang mit dem typischen Ablauf des Innovations-
als ein wesentlicher Erfolgsfaktor herausgestellt,
prozesses herausgearbeitet. Dabei werden die
um Innovationen rechtzeitig, ausgereift und
einzelnen Bereiche auf das Integrationspotenzi-
2
marktgerecht einzuführen.
al von VCs überprüft und Unterschiede in der
Eignung verschiedener Community-Typen herausgearbeitet. Der typische Innovationsprozess,
1
2
Vgl. Lüthje 2007, S. 41.
Vgl. Lüthje 2007, S. 41.
119
1. Es
nach Weiber, Kollmann und Pohl, setzt sich
der
sich
um
ein
soziales
Gebilde.
aus den nachfolgenden vier Phasen zusammen.
1. Festlegung
handelt
2. Unter den Mitgliedern wird miteinander
strategischen
kommuniziert.
Suchrichtung (Stoßrichtung)
3. Diese Interaktion findet vorwiegend im
2. Ideenfindung (Produktidee)
Internet statt.
3. Forschung und Entwicklung (Invention)
Eine auf einen Aspekt fokussierte Betrachtung
4. Markterprobung (Markteinführung)3
ist für diesen Beitrag ungeeignet, da alle drei
Die Festlegung der strategischen Stoßrichtung
Kernaspekte für den Einfluss auf den Innovati-
wird in diesem Beitrag nicht behandelt, da sie
onsprozess wesentlich sind. Aus diesem Grund
durch Virtual Communities nicht in dem Umfang
soll keiner dieser Aspekte im Rahmen dieses
beeinflusst wird wie die anderen Phasen des
Beitrages als Schwerpunkt herausgearbeitet
Innovationsprozesses. Eine Erweiterung des
werden, sondern die folgende Definition von
Modells scheint in diesem Zusammenhang
Virtual Communities als Grundlage dienen.
sinnvoll, so soll hier eine fünfte weitere Phase,
Virtuelle Gemeinschaften sind Gruppen, die sich
die der Adoption, also der Marktentwicklung von
aus gemeinsamem Interesse, wie auch immer
Innovationen eine besondere Beachtung finden,
dieses aussehen mag, zusammenfinden und
da diese durch Virtual Communities in hohem
vorwiegend über das Internet miteinander kom-
Maßes stimuliert werden kann.
munizieren.
1.1 Charakteristika virtueller Communities
1.2 Typologisierung von Virtual Communities
Virtuelle Gemeinschaften sind vielschichtig und
Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden
mindestens genauso unterschiedlich sind ihre
sich VCs untereinander doch erheblich. So ist
Definitionen. So gehen diese vom Fokus auf die
nicht nur das Interessensgebiet und das Kom-
soziale Komponente einer solchen Gemein-
munikationsverhalten der Mitglieder der ver-
schaft, „Virtual communities are social aggrega-
schiedenen Communities oft sehr unterschied-
tions that emerge from the Net when enough
lich, sondern auch die mit der Nutzung befriedig-
people carry on those public discussion long
ten Bedürfnisse variieren.
enough , with sufficient human feeling, to form
webs of personal relationships in cyberspace.”4,
Als erstes Abgrenzungsmerkmal verschiedener
über den Betrachtungsansatz der Konsumab-
Community-Typen ist die Art der Entstehung zu
sicht, bis hin zum Fokus auf den Kommunikati-
betrachten. Hierbei kann in abhängige bzw.
onsfluss, wobei eine Virtual Community als ein
gelenkte und in unabhängige Communities un-
nicht radial strukturiertes, ego-zentriertes Netz-
terschieden werden, wobei hier unter abhängi-
werk im virtuellen Raum betrachtet wird, in dem
gen Gemeinschaften, VCs verstanden werden,
die Nutzer multidirektional und themenspezifisch
die von einem oder mehreren nicht konkurrie-
interagieren und so die Basis einer glaubwürdi-
renden Unternehmen organisiert werden, um sie
5
gen Kommunikation schaffen. Alle Definitionen
für Marketingzwecke einzusetzen. Dabei ist der
vereinen dabei jedoch drei Kernaspekte:
(oder die) Betreiber gleichzeitig auch Produzent
oder Vermarkter des Community-Gegenstandes
3
4
5
Vgl. Weiber/ Kollmann/ Pohl 1999, S. 17.
Rheingold 1993, S. XVI.
Vgl. Weiber/ Meyer 2002, S. 348.
120
bzw. der zu vermarktenden Leistungen.6 Als
on common interests” zu verstehen sind.9 Bei
Beispiel für eine abhängige Community lässt
dieser Form steht der Aspekt des Lernens und
sich die eBay Community anführen. Dieser kön-
Entwickelns im Vordergrund. Das vorab ange-
nen nur eBay Mitglieder beitreten und sie wird
führte Beispiel der Linux- oder Open Source-
über die eBay-Plattform bereitgestellt. Besteht
Community stellt eine solche CoP dar. Diese
bei der unabhängigen Community nicht zwangs-
Communities bieten ein hohes Innovationspo-
läufig das Bestreben, bei Diskussionen ge-
tenzial und ihre Mitglieder zeichnen sich durch
schlossen von einer bestimmten Sache über-
starke, aktive Beteiligung innerhalb ihrer Com-
zeugt zu sein, es mag Ausnahmen, wie bspw.
munity aus.
bei Fan-Clubs geben, so ist bei einer abhängi-
Abb. 2: Fokus der Community-Typen
gen Community stets das Bedürfnis des Unternehmens, sein Image positiv zu beeinflussen
oder wenigstens dies nicht zu beschädigen,
gegeben.7
Auch ist der Zweck der Community, für die Typologisierung entscheidend. Hierbei sind drei
Grundtypen von Communities für die folgenden
Kapitel von besonderer Bedeutung. Zu beachten
ist, dass die drei folgenden Community-Arten
sowohl in Form von abhängigen sowie auch
unabhängigen Communities auftreten können,
was den generellen Charakter aber nicht beeinAls dritte Variante lassen sich grob die „kon-
flusst.
sumzweckbezogenen“
Als Communities of Interest (CoI) werden VCs
Communities
nennen.
Unter diese Kategorie sollen in diesem Fall
verstanden, deren Anliegen es ist, über Themen
mehrere Community-Typen eingeordnet wer-
zu diskutieren. „Communities of Interest" konsti-
den. Wird in der Literatur häufig weiter differen-
tuieren sich durch gemeinsame Interessen,
ziert, bspw. in Communities of Consumption,
Hobbies und Leidenschaften ihrer Mitglieder.“8
Communities of Transaction, etc. soll hier die
Sie stellen einen Großteil der Communities dar,
Verwendung der übergeordneten Kategorisie-
hierzu zählen bspw. Communities mit dem
rung genügen. Diese kann als Communities of
Schwerpunkt Kochen oder Sport. Es steht weni-
Purpose (CoPur) bezeichnet werden. Darunter
ger der Lern- oder Schöpfungsprozess im Vor-
fallen alle Communities, die das Ziel haben,
dergrund, sondern viel mehr der Gemein-
Verbraucher bezüglich Kaufentscheidungen zu
schaftsgedanke und die Möglichkeit, die eige-
unterstützen. Im Gegensatz zu CoI und CoP
nen Erlebnisse mit Gleichgesinnten zu teilen.
haben diese Communities den Charakter von
Eine weitere bedeutsame Form von Virtual
Zweckgemeinschaften, da weniger der soziale
Communities sind Communities of Practice
Kontakt oder das gemeinsame Lernen, sondern
(CoP). Wobei hierunter „groups whose members
eher die individuelle Informationsbefriedigung im
regularly engage in sharing and learning, based
Vordergrund steht. Insgesamt ist bei dieser Un6
7
8
Vgl. Weiber/ Meyer 2002, S. 351.
Vgl. ebenda 2002, S. 350f.
Kunz/ Mangold 2004, S. 74.
9
121
Vgl. Lesser/ Stork 2001, S. 831.
terteilung zu vermerken, dass, trotz der ver-
B2B Bereich der Fall ist. Dies liegt unter ande-
schiedenen
der
rem daran, dass diese Anpassung an die indivi-
einzelnen Community-Typen, Überschneidun-
duellen Wünsche mit höheren Kosten einher-
gen bestehen.
geht und sich der zusätzliche Aufwand auf ei-
Betrachtungsschwerpunkte
nem Massenmarkt mit vielen Einzelnachfragern
2 Informationsgewinnung im Rahmen
i. d. R. nicht rentiert. Eine Möglichkeit, diesem
von Virtual Communities
Problem zu begegnen, ist, einzelne Konsumen-
Im Folgenden werden drei Potenzialbereiche
ten stellvertretend für die Gesamtheit aller Kon-
von Virtual Communities aus Unternehmens-
sumenten an der Entwicklung neuer Produkte
sicht näher betrachtet. Wesentlich bei der Ein-
partizipieren zu lassen. Diese Konsumenten
bindung von Virtual Communities in den Unter-
können dann als Lead User bezeichnet werden,
nehmenskontext ist, dass nicht ein einseitiger
wenn sie folgende zwei Bedingungen erfüllen
Profit durch Ausbeutung der anderen Partei
(Woll, S 81ff.).
erzielt wird, sondern eine Art Win-Win-Situation
„1. Lead users face needs that will be general in
geschaffen wird, in der sowohl der wirtschaftli-
a market place - but face them months or years
che Erfolg des Unternehmens als auch die Be-
before the bulk of that marketplace encounters
dürfnisse der Community-Mitglieder berücksich-
them, and
tigt werden.10 Ziele für Unternehmen werden bei
der Einbindung von VCs vor allem die Ideenge-
2. Lead users are positioned to benefit signifi-
nerierung für neue Lösungskonzepte, die Ge-
cantly by obtaining a solution to those needs.“12
winnung von Markt- und Nachfragerdaten sowie
Ein Beispiel für die Einbindung von Lead Usern
eine Verbesserung der Kundenansprache und
in den Produktentwicklungsprozess bei Kon-
Kundenbindung sein.11
sumgütern ist der Videospielehersteller Electro-
2.1 Gewinnung von Schlüsselinformationen
nic Arts. Bei diesem arbeiten die internen Ent-
mittels VCs
wicklungsabteilungen regelmäßig mit Konsumenten zusammen an neuen Spielen und Spiel-
Die Einbindung von Kunden in den Leistungser-
konzepten.13 Eine Einbindung von Lead-Usern
stellungsprozess erleichtert die spezifische An-
empfiehlt sich besonders, wenn es sich um Ziel-
passung des Produktes an die Kundenwünsche.
gruppen handelt, die sich von der Masse abhe-
Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass der
ben. Bspw. wurde von Johnson & Johnson Me-
Kunde meist eine genauere Vorstellung als der
dical mit Hilfe von Chirurgen, OP-Schwestern
Hersteller davon hat, wie das Produkt im Endef-
und weiterem Krankenhauspersonal ein Projekt
fekt aussehen soll bzw. welche Eigenschaften
zur Entwicklung von chirurgischen Hygienepro-
es aufweisen soll. Im B2B Bereich ist diese
dukten gestartet. Auch in diesem Fall waren die
Form der Anpassung üblich, so werden bspw.
Anwender (Krankenhauspersonal) wesentlich
Industrie-Großanlagen nicht standardisiert, son-
für die Produktentwicklung, da sie auf Grund
dern auf Kundenwunsch gefertigt, wobei An-
ihrer Praxiserfahrung und ihrem Wissen über
sprüche und Wünsche Berücksichtigung finden.
ihre Bedürfnisse, J&J Medical Informationen zur
Auf Konsumgütermärkten gibt es diese Art der
Verfügung stellen und Entwicklungsvorschläge
Anpassung an die Kundenwünsche auch, sie ist
aber nicht in dem Maße verbreitet, wie es im
10
11
12
Vgl. Panten 2005, S. 42.
Vgl. Meyer 2004, S. 157.
13
122
von Hippel 1988, S. 117.
Vgl. Garber 2007, S. 11.
machen konnten.14 Ist diese Vorgehensweise
Abb. 3: Überblick über Möglichkeiten zur Identi-
bei der Entwicklung von OP-Material verhält-
fikation von Lead Usern in Onlinemedien
nismäßig einfach, da die entsprechenden Zielgruppen mit Hilfe des Screening-Ansatzes auf
Märkten mit überschaubarer Kundenzahl leicht
zu lokalisieren sind, demgegenüber gibt es jedoch auch Märkte, auf denen dies erheblich
Für Projekte, bei denen Lead User eingesetzt
schwieriger ist.15 Gerade bei diesen weniger
werden sollen, sind Communities of Practice
zugänglichen Märkten bietet es sich an, auf
besonders geeignet, da die Mitglieder gar nicht
Virtual Communities zurückzugreifen. Diese
oder nur minimal stimuliert werden müssen, um
haben den Vorteil, das sonst schwierige Auffin-
kreativ Neuerungen voranzutreiben. Mitglieder
den von Lead Usern zu vereinfachen. In einer
einer CoP befassen sich schon aus Eigeninte-
VC finden sich Personen zusammen, die ähnli-
resse so intensiv mit ihren Themen, dass neue
che oder gleiche Interessen haben, da sie sich
und innovative Ideen sowie Lösungskonzepte
von den anderen Mitgliedern verstanden fühlen.
teilweise schon entwickelt wurden und lediglich
Dies führt dazu, dass der Kundenmarkt schon
von einem entsprechendem Unternehmen um-
themenspezifisch vorsegmentiert ist. Es müssen
gesetzt werden müssen.17 Um diese aktive und
nicht erst aufwendige Marktanalysen durchge-
äußerst wertvolle Beteiligung der Kunden auf
führt werden, um eine bestimmte Konsumen-
längere Zeit zu sichern, ist es sinnvoll, die „Kun-
tengruppe zu identifizieren, die für den Innovati-
den- Erfinder“ auch am Gewinn zu beteiligen.
onsprozess von Bedeutung sein könnte.
Dies kann auf verschiedene Weise geschehen.
So können Kunden für ihre Mitarbeit nachträg-
Die Identifikation der Lead User kann mit Hilfe
lich entlohnt werden, Erwähnung auf der Inter-
des Networking-Ansatzes erfolgen. Bei diesem
netseite des Unternehmens finden oder auch
werden zunächst einige wenige Kunden einbe-
die von ihnen geschaffenen Innovationen in
zogen und dabei gefragt, ob sie weitere Pro-
Form von Patenten an sie zurückgegeben wer-
duktanwender kennen, die neue Bedürfnisse
den.18 Diese Entlohnung ist auf jeden Fall emp-
haben oder bereits innovativ tätig geworden
fehlenswert für das Unternehmen, da es sich so
sind. Derartige Weiterempfehlungen führen übli-
besonders kreative Innovatoren sichern kann,
cherweise sehr schnell zu Personen mit den
deren Wert für das Unternehmen wesentlich
interessierenden Lead-User Merkmalen.16 Die-
höher ist als die damit verbundenen Kosten.
ser Vorgang wird durch die rege Kommunikation
Auch kann eine solche Entlohnung zu Motivati-
der Community-Mitglieder untereinander unter-
on und Anreiz für andere Konsumenten werden,
stützt. Auf diese Weise lassen sich Zeit- und
welche sich dann auch an der Produktentwick-
Kostenaufwand im Vergleich zu anderen Me-
lung beteiligen wollen.
thoden der Lead-User Identifikation reduzieren.
Das Konzept des Networking-Ansatzes kann
2.2 Kundenbindung mittels Virtual Communi-
man in den Bereich der interaktiven Methoden
ties
ohne Leistungsanreize einordnen.
Neben dem Spezialwissen und den Lösungsvorschlägen innovativer Community-Mitglieder,
welche die Grundlage für die Produktentwick-
14
15
16
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2002, S. 60-68.
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2007, S. 67f.
Vgl. ebenda, S. 67.
17
18
123
Vgl. Tomczak/ Schögel 2005, S. 1.
Vgl. von Krogh 2006, S. 16-18.
lung bieten, sind Informationen über die poten-
Community und somit AFG anzusprechen. Dies
ziellen Verwender und ihre Bedürfnisse eben-
wäre ohne VCs auf Grund der Dislokalität der
falls von Bedeutung. Diese Informationen lassen
Affinitygroups nicht möglich. Diese Bündelung
sich auf verschiedenen Wegen erlangen, doch
der Nachfrager zieht eine Vereinfachung der
bieten gerade Affinitygroups (AFGs) und Brand
Organisationsabläufe
Communities (BCs) einen besonders guten Zu-
Marktforschungsdaten durch das Unternehmen
gang. Unter Affinitygroups werden dabei Grup-
leichter erhoben und Kunden gezielter ange-
pen von Personen mit ähnlichem Interessens-
sprochen werden.
gebiet (Affinität) verstanden. Diese Gruppen
mit
sich.
So
können
Ein weiterer, bedeutender Aspekt, den diese
müssen weder lokal zentriert sein, noch müssen
VCs unterstützen, ist die Erhöhung der Kunden-
ihre Mitglieder in Kontakt miteinander stehen.
bindung. Auf Grund themenspezifischer Struktu-
Dieser letzte Punkt unterscheidet sie wesentlich
rierung und der Bereitstellung von glaubwürdi-
von VCs. Brand Communities können als Spe-
gen, da von allen Mitgliedern einseh- und kom-
zialfall von AFGs verstanden werden, hier liegt
mentierbaren Informationsangeboten, sowie der
die Gemeinsamkeit in der Wertschätzung einer
Möglichkeit, schnell und unbürokratisch prakti-
bestimmten Marke. „Auch wenn sich Brand-
sche
Community-Mitglieder noch nie getroffen haben,
Hilfestellungen
zu
erlangen,
werden
Wechselbarrieren gegenüber konkurrierenden
glauben sie einander zu kennen, und betonen
Anbietern aufgebaut.20 Ziel des Affinitygroup-
damit den „Link Value“. Dieses geteilte Be-
und Brandmarketing ist es weniger, Produktin-
wusstsein ist auch dafür verantwortlich, dass
novationen mit Hilfe von Konsumenten zu ent-
sich, aus der Perspektive der Mitglieder einer
wickeln. Vielmehr steht die Ermittlung von Kun-
Brand Community betrachtet, Nutzer einer Mar-
denbedürfnissen und die Kundenakquisition-
ke klar von Nutzern einer anderen Marke unter-
und Bindung im Vordergrund. Dass solche
scheiden.“19
Communities ein enormes Potenzial bieten und
Von zentraler Bedeutung, sowohl bei Affini-
sich das Betreiben einer solchen Community für
tygroups als auch bei Brand Communities, ist,
ein Unternehmen lohnen kann, zeigt ein Expe-
dass ihre Mitglieder häufig VCs beitreten oder
riment von Algesheimer und Dolakia, bei dem
gründen, die ihren Interessen entsprechen. So-
eBay-Mitglieder durch kleine Anreize dazu be-
mit spiegelt sich eine AFG oder BC häufig in
wogen wurden, der eBay-Community beizutre-
einer VC wieder. Diese VCs können nach der in
ten. Diese, der Community beigetretenen Mit-
Abschnitt 1.2 vorgenommenen Typologisierung,
glieder, zeigten gegenüber der Kontrollgruppe,
den CoI zugeordnet werden. Dass sich AFGs
die aus eBay-Mitgliedern bestand, die nicht der
und BCs in entsprechenden Communities abbil-
Community beigetreten waren, eine deutlich
den hat zur Folge, dass Unternehmen ihre In-
höhere Beteiligung an Auktionen, sowohl beim
formationen nicht mehr mit Hilfe der AFGs oder
Kauf wie auch Verkauf, als auch eine höhere
BCs sammeln müssen, sondern diese über die
Preisbereitschaft für die erstandenen Produk-
entsprechenden CoI erhalten können. Dies bie-
te.21 In dem Zusammenhang sei auch noch der
tet den Vorteil, dass sowohl Informationen viel
soziale Nutzen erwähnt, der besonders inner-
kompakter vorhanden sind, als auch die Mög-
halb einer solchen Community zu einer stärke-
lichkeit, einzelne Mitglieder oder die gesamte
ren Kundenbindung führt. Dieser Nutzen besteht
20
19
21
Herrmann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S. 7.
124
Vgl. Meyer 2004, S. 159ff.
Vgl. Algesheimer/ Dholakia 2006, S. 16.
darin, dass der Konsum oder Besitz von ver-
2.3 Erfahrungsberichte der Adoptoren als
schiedenen Gütern die Zugehörigkeit zu ande-
Basis der Kundenpflege
ren Gruppen ausdrücken kann. „Viele Kaufent-
In diesem Abschnitt soll die Bedeutung von Vir-
scheidungen sind daher bewusst oder unbe-
tual Communities im Zusammenhang mit der
wusst davon geprägt, die eigene Position inner-
Pflege von Kundenbeziehungen betrachtet wer-
halb des sozialen Kontinuums zu signalisie-
den. Das Customer Relationship Management
ren.“22 Gelingt es einem Unternehmen, einen
(CRM) hat zum Ziel, Kunden langfristig zu bin-
solchen Nutzen zu generieren, so führt dies zu
den. Im Gegensatz zur Akquisition sind die Kos-
einer besseren Kundenbindung. Auch dies lässt
ten der Beziehungspflege vergleichsweise ge-
sich am Beispiel eBay verdeutlichen. Durch den
ring.25 Hinzu kommt, dass eine Erhöhung der
Aufbau des Reputationssystems ist es eBay
Kundenzufriedenheit auch zu einer erhöhten
gelungen, diesen sozialen Nutzen herbeizufüh-
Kundenloyalität, sowie teilweise auch zu einer
ren. So signalisiert eine hohe Anzahl an Trans-
höheren Preisbereitschaft der Kunden führt.26
aktionen den Status unter den eBay-Mitgliedern.
Der Nutzen eines gut funktionierenden CRM für
eBay ist somit ein gutes Beispiel, wie es gelin-
ein Unternehmen ist somit hoch und die Einbin-
gen kann, durch die Einbindung von sozialem
dung von VCs zur Unterstützung vergleichswei-
Nutzen wirtschaftlich zu profitieren. Zusätzlich
se einfach. Darum ist es für ein Unternehmen
dazu weisen Communities „eine hohe Kommu-
sinnvoll, die durch VCs zu erwartenden Vorteile
nikationsintensität auf und versuchen oftmals
zur Verbesserung des CRM zu nutzen. Zu die-
neue Kunden für die Gemeinschaft zu begeis-
sem Zweck bieten sich die Communities of Pur-
tern. [...] Diese Art der Peer-Propaganda kann
pose in besonderer Weise an. Da ihr Sinn für
sehr effektiv sein.“23 Dieser Punkt ist allerdings
die Mitglieder darin liegt, produktbezogene In-
auch kritisch zu betrachten, so wirkt sich Mund-
formationen in Form von Erfahrungsberichten
propaganda oder auch Word-of-Mouth (WoM),
oder Bewertungen zu erlangen, sind diese In-
bei abhängigen, also von Unternehmen geleite-
formationen i. d. R. stark gebündelt und inhalt-
ten Communities, meist positiv aus, bei unab-
lich auf das Wesentliche komprimiert. Dies bie-
hängigen Communities kann es aber auch in die
tet Unternehmen einen entscheidenden Vorteil:
Gegenrichtung umschlagen und sich im Extrem-
Ist es häufig so, dass Kunden eher abwandern
fall eine Front verärgerter Community-Mitglieder
24
gegen das Unternehmen bilden.
als sich zu beschweren,27 so bieten CoPur
Generell aber
durch die Vielzahl an Berichten und Bewertun-
ist festzuhalten, dass das Betreiben von Brand
gen, den Unternehmen die Möglichkeit, sich
Communities für Unternehmen viele Vorteile
über negative Bewertungen, welche als indirekte
bietet. Es ist nicht nur leichter neue Produkte in
Beschwerden verstanden werden können, zu
den Markt einzuführen, sondern auch Kunden-
informieren. Dadurch ist es dem Unternehmen
wünsche zu ermitteln und Kunden direkt anzu-
möglich, besser die vom Kunden wahrgenom-
sprechen. Dies führt dazu, dass eine Nähe oder
menen Mängeln aufzudecken und im Idealfall zu
Verbindung zum Kunden geschaffen wird, die
beheben um das Ziel der Herstellung bzw. Wie-
sich positiv auf die Loyalität und z. B. das Wie-
derherstellung der Kundenzufriedenheit zu er-
derkaufverhalten auswirken sollte.
22
25
23
26
Herrmann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S. 9.
Schögel/ Tomczak/ Wentzel 2005, S. 3.
24
Vgl. McWilliam 2001, S. 72.
27
125
Vgl. Kotler/ Keller/ Bliemel 2007, S. 60.
Vgl. Homburg/ Krohmer 2003, S. 105ff.
Vgl. Homburg/ Krohmer 2003, S. 105.
reichen.28 Ein weiterer positiver Effekt in allen
len und mitunter deren Loyalität sicheren. Be-
drei genannten Kategorien von VCs, aber spe-
günstigt wird dies auch durch die Weiterentwick-
ziell in den Communities of Purpose, ist das
lung
Word-of-Mouth. Ist in der Offline-Welt die Be-
Speziellen kann hier die Verbreitung des UMTS-
deutung von Mundpropaganda nicht zu unter-
Standards genannt werden, der es ermöglicht,
schätzen, so besteht die besondere Bedeutung
das Internet in vollem Umfang mittels eines Mo-
im Internet darin, dass die in einer Community
biltelefons zu nutzen und somit den Mitgliedern
abgegebenen Meinungen zu einem Thema oder
einer Community erlaubt, sich unabhängig von
zu einem Produkt für jeden einsehbar sind und
ihrem geografischen Standort zu integrieren. Im
bis zur expliziten Entfernung mitunter sehr lange
Gegenzug bietet diese Entwicklung Unterneh-
Zeit bestehen bleiben. Wird bspw. ein Produkt
men eine Vielzahl an Möglichkeiten, so können
bewertet, so ist für jeden erkennbar, was die
diese Kunden ortsunabhängig erreichen, lokali-
anderen Mitglieder über dieses Produkt ge-
sieren und individualisierte Marketingmaßnah-
schrieben haben, dies kann einen positiven
men im Sinne des One-to-One-Marketings
Effekt für das entsprechende Unternehmen ha-
durchführen.30 Heutige Communities können
ben, bei Kritik allerdings auch einen sehr negati-
somit als Grundstein für die zukünftige Entwick-
ven. Aus diesem Grund gilt es für ein Unter-
lung des Unternehmen-Kunden-Verhältnisses
nehmen möglichst schnell und angemessen auf
erachtet werden. Dadurch, dass Kunden sich
solche Kritik zu reagieren. In jedem Fall ist die
immer mehr an den Kontakt mit Unternehmen
Auswirkung langanhaltender als entsprechende
gewöhnen, eröffnet dies für die Zukunft neue
Aussagen in der Offline-Welt, da in diesen Aus-
Möglichkeiten. Auch lässt sich die Bedeutung
sagen zu Produkten, solange sie nicht in Zeit-
von Virtual Communities anhand der Beteiligung
schriften festgehalten werden, nach dem Aus-
Microsofts an der Internetplattform Facebook
sprechen für alle anderen, als für den speziellen
erkennen. Microsoft investierte 240 Millionen US
29
der
Kommunikationsmöglichkeiten.
Im
Dollar für einen Anteil von 1,6%. Microsoft ver-
Adressaten, nicht mehr verfügbar sind.
spricht sich zukünftig effektiv Werbung innerhalb
3 Entwicklungen in der Anbieter- Nach-
der Facebook-Community schalten zu können.31
frager-Beziehung
Dies soll Microsoft, aber auch anderen Firmen
Virtual Communities sind, wie in den vorherigen
wie Coca-Cola Informationen über die Interes-
Abschnitten gezeigt, heute ein wichtiger „Er-
sen einzelner Mitglieder sichern und darüber
folgsfaktor“ für moderne Unternehmen, sowohl
hinaus die Effekte des Viral-Marketings ausnut-
in der Produktentwicklung, wie auch bezogen
zen. So ist eine Variante, Community-Mitglieder
auf die Kundenbindung. Auch in Zukunft werden
über Produkte zu informieren und gleichzeitig
diese Faktoren weiterhin bestehen bleiben bzw.
die positive Wirkung des WoM auszunutzen.32
sich erweitern. Durch das gezielte Einsetzen
Mit Hilfe von Nachrichtensystemen können
von VCs besteht für Unternehmen die Möglich-
Freunde bzw. andere Community-Mitglieder
keit, sich von der Konkurrenz abzuheben, indem
darüber informiert werden, welche Produkte sich
es die durch die Community generierte Informa-
ein anderes Mitglied angesehen hat. Dies hat
tionspotenziale nutzt und mit Hilfe dieser Leis-
den Effekt, dass die Mitteilung den Charakter
tungen bereitstellt, die Kundenbedürfnisse erfül-
einer Empfehlung erhält und somit eine weitaus
30
28
31
Vgl. Günter 2006, S. 374.
29
Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42ff.
32
126
Vgl. Buse 2002, 92ff.
Vgl. o.V. 2007, S. 1.
Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42f.
höhere Stellung in der Wahrnehmung des Ande-
Um die Community-Mitglieder extrinsisch zu
ren erfährt als direkte Informationen des Anbie-
motivieren, gilt es, geeignete Anreize zu schaf-
ters, welcher die Werbung geschaltet hat.
4
Ansätze
zur
33
fen. Als Anreize können sowohl materielle, wie
auch immateriell Faktoren verwendet werden.
unternehmensseitigen
Als materielle Faktoren wären das Entlohnen
Steuerung von Community-Aktivitäten
von Usern mit guten Ideen oder die Beteiligung
Die meisten Kundenaktivitäten, die später zum
an Erfindungen zu nennen. Immaterielle Fakto-
Nutzen des Unternehmens führen, finden auf
ren wären bspw. das Bereitstellen der Commu-
Seiten der Community statt (vgl. Abb. 4). Aus
nity-Plattform, Zusatzfunktionen auf dieser, Er-
diesem Grund gilt es, diese Aktivitäten auf ge-
wähnung auf der Homepage der an einem Pro-
eignete Weise zu unterstützen und zu fördern.
jekt beteiligten User, die Rückgabe von Paten-
Zwar können Communities auch ohne Einwirken
ten an die User-Community aber auch Tool-
von Unternehmensseite, wie bereits in Abschnitt
kits.34 „Toolkits for user innovation are coordi-
2.1 im Zusammenhang mit CoP beschrieben, für
nated sets of “user-friendly” design tools that
dieses von Nutzen sein, doch ist das Unterneh-
enable users to develop new product innova-
men dann auf die intrinsische Motivation der
tions for themselves.”35 Diese Anreizsysteme
Community-Mitglieder
mit
sollen weniger der dauerhaften extrinsischen
einem Thema zu befassen und mit dem Unter-
Motivation dienen. Vielmehr sollen sie die
nehmen zu kooperieren. Hinzukommt ergän-
Community-Mitglieder stimulieren, sich mit ei-
zend, dass, auch wenn diese gerade genannten
nem Thema zu beschäftigen, sodass sich eine
Punkte erfüllt sind, noch nicht gesichert ist, dass
intrinsische Motivation bildet.36 Als weiterer we-
es sich um ein, für das Unternehmen, attraktives
sentlicher Punkt für die effektive Nutzung von
Themengebiet handelt. Damit sich die Aktivitä-
VCs sollte eine hohe Interaktivität der Mitglieder
ten der Community-Mitglieder auf ein für das
vorhanden sein. Diese erleichtert die Identifika-
Unternehmen
lukratives
tion von Lead-Usern mit Hilfe des Networking-
Thema beziehen, gilt es, die Community in ge-
Ansatzes.37 Allerdings ergibt sich die Interaktivi-
eigneter Weise zu steuern und ihr Interesse für
tät der Mitglieder durch das Interesse, das sie
diese Themen zu wecken.
dem entsprechenden Thema beimessen bzw.
Abb. 4: Nutzen virtueller Communities für Unter-
indirekt von den gesetzten Anreizfaktoren. Diese
nehmen
Interaktivität und das eigene Interesse sollten
angewiesen,
interessantes
oder
sich
Startpunkt
Anreizsystem
reziprokes
Verhalten
intrinsische
Motivation
Positive Einstellung
Kooperation
Interaktivität
Markentreue
Innovation
User-Nutzen
33
lassen sich Interaktivität, also der soziale Kontakt zu anderen Mitgliedern und Innovationen,
also der kreative Lern- und Schaffensprozess,
Nutzen
Unternehmen
Interesse
Information
einer Community darstellen. Zusammenfassend
als den entscheidenden Nutzen für die CommuCommunity-Aktivitäten
extrinsische
Motivation
Unternehmens-Aktivitäten
wesentliche Faktoren für den Innovationsgrad
34
Vgl. von Krogh 2006, S. 16-18.
von Hippel/ Katz 2002, S. 821.
36
Optimalerweise werden die Community-Mitglieder bei der
Beschäftigung mit einem Thema gefordert, jedoch nicht
überfordert. Dieses Niveau an Forderung kann zu einem
Flow führen. Hierbei handelt es sich um einen sehr produktiven zustand. Dieses Phänomen wurde z. B. bei
Sportlern beobachtet. Siehe Csikszentmihalyi 1975.
37
Vgl. Herstatt/ Lüthje/ Lettl 2007, S. 67.
35
reziprokes
Verhalten
Vgl. Schmidt 2007, S. 21.
127
nity und ihre Mitglieder herausstellen. Auch der
Garber, T. (2007): Unsere Spiele bilden Mei-
sich aus der Interaktivität ergebende Informati-
nungen, in: Absatzwirtschaft 2007, S. 10-15.
onsaustausch ist ein für die User wichtiger Nut-
Günter, B. (2006): Beschwerdemanagement als
zenaspekt. Dadurch, dass die User der Com-
Schlüssel der Kundenzufriedenheit, in:
munity, einen Nutzen aus der Teilnahme an
Homburg, C. (Hrsg.): Kundenzufriedenheit –
einer Community erzielen, werden sie sich ge-
Konzepte – Methoden– Erfahrungen, 6.
nerell reziprok verhalten und dem Unternehmen
Auflage, Wiesbaden 2006, S. 369-390.
mit einer positiven Grundeinstellung begegnen.
Herrmann, A./ Algesheimer, R./ Heitmann, M.
Hinzu kommt, dass speziell CoP allein aus Ei-
(2005): Brand Community Management –
geninteresse an das Unternehmen herantreten
Ansatz für eine netzwerkorientierte
werden um ihre Innovationen umsetzen zu las-
Perspektive im Marketing, in: Thexis,
sen, wenn sie sie nicht selbst realisieren kön-
3(2005), S. 6-10.
nen. Werden diese dann umgesetzt, so sollte
sich dann hier eine positive Grundeinstellung
Herstatt, C./ Lüthje, C./ Lettl, C. (2002): Wie
etablieren. Voraussetzung jedoch ist, dass auch
fortschrittlich Kunden zu Innovationen
das Unternehmen sich reziprok verhält und die
stimulieren, in: Harvard Business Manager,
Mitglieder der Community nicht übervorteilt oder
1(2002), S. 60-68.
gar ausbeutet. Dann sollte sich eine für beide
Herstatt, C./ Lüthje, C./ Lettl, C. (2007):
Seiten fruchtbare Beziehung in Form einer Win-
Fortschrittliche Kunden zu Breakthrough-
Win-Situation einstellen.
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129
Johanna Katharina Leite Ferreira
Vorteilspotenziale virtueller User Communities aus Nachfragersicht
1
Der aktiv-moderne Kunde als Voraussetzung für Virtual Communities
2
Virtual Communities – Neue Möglichkeiten für den Kunden
3
Die Betrachtung des Kaufprozesses unter Berücksichtigung der Beurteilbarkeit des
Leistungsangebotes
4
Der Einsatz von Virtual Communities im Kundenprozess
5
Nutzenstiftung für Mitglieder von Virtual Communities
6
Ausblick auf Potenziale und Chancen von Virtual Communities
1
Der aktiv-moderne Kunde als Vor-
vielen Bereichen. Das zentrale Merkmal ist da-
aussetzung für Virtual Communities
bei stets die Selbstbedienung oder Selbsthilfe,
wie z. B. bei der Selbstorganisation von Reisen
„Zu allen Zeiten haben Menschen die für ihr
Leben erforderlichen Güter gezielt produziert
und aktiv ge- oder verbraucht. Insoweit hat es
so etwas wie Konsum, gerade auch unter Einsatz aktiver Leistung der Betroffenen, in der
Menschheitsgeschichte
schon
immer
gege-
ben“. 1 Jedoch entwickelte sich der moderne
Konsum und unsere Konsumgesellschaft mit
den Jahren weiter. Der Kunde von heute ist
anders. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung liegt
oder das internetbasierte Er- und Versteigern
von Produkten und Dienstleistungen. Vor allem
aber ist die Suche von Selbsthilfe in Diskussionsforen und die aktive Teilnahme an Gemeinschaften im Internet, die gemeinsame Interessen teilen, erwähnenswert. Dabei sind gerade
moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere das Internet, sinnvolle Hilfsmittel zur Stärkung der Selbstständigkeit des Kunden.
3
die Individualität, sein persönlicher Lebensstil.
Er will sich von der Masse abheben und ist be-
Eine zentrale Voraussetzung für fortgeschrittene
reit Prozesse, selbst zu gestalten, sich aktiv in
Formen der Selbstbedienung auf Seiten der
diese einzugliedern. So ist es nicht verwunder-
Nachfrager ist eine hinreichende Kompetenz
lich, dass der erwerbende und konsumierende
und ein entsprechendes Selbstbewusstsein.
Kunde immer öfter in die betriebliche Arbeit
Kunden, die dem Paradigma der "Modern Con-
integriert wird. Es entwickelt sich ein neuer Kon-
sumption" folgen handeln verantwortungsbe-
sumententypus, der arbeitende Kunde.
2
wusst und informieren sich im Vorfeld der Kaufentscheidung intensiv über Produkte und Leis-
Erste Anfänge eines aktiven Kunden finden sich
bereits in den 1950er Jahren, wo betriebliche
Leistungen auf den Kunden ausgelagert wurden
(z. B. Selbstbedienung in Kaufhäusern oder
Automatenverkauf). Diese Entwicklung setzte
sich verstärkt fort, so sind Konsumenten heute
auch als Co- Produzenten in die (End-) Fertigung von Produkten involviert. Es entwickelt
tungen, Hersteller und sogar Preisentwicklungen
werden ins Kalkül gezogen. 4 Das primäre Ziel
ist dabei, Unsicherheiten im Kaufprozess zu
verringern und Informationsvorteile zu sichern,
wobei hier sog. User-Communities im Internet in
der jüngsten Zeit eine zentrale und zunehmende
Rolle beizumessen ist. Diese Form der Kundenbündelung, bei der Konsumenten miteinander
sich eine neue Form des aktiven Konsums in
1
2
Voß/ Rieder 2005, S. 42.
Vgl. Voß/ Rieder 2005, S. 45ff.
3
4
130
Vgl. ebenda, S. 14f.
Vgl. ebenda, S. 32.
interagieren und sich gegenseitig bzgl. Kaufent-
Bezeichnungen ist der nachfolgenden Abbildung
scheidungen unterstützen, ist elementar und für
1 zu entnehmen.
den einzelnen Konsumenten ein großer Vorteil.
Wurden VCs Anfang der 90er Jahre eher als
Meist durch Interessenschwerpunkte geleitet
soziologische
können die Kunden gemeinsam auch als ein
Phänomene
des
Zusammen-
schlusses verschiedener Individuen verstan-
großer Nachfrager auftreten und viele Vorteile
den 7 , so gelangten sie in der zweiten Hälfte der
(z. B. günstigere Preise) gegenüber Herstellern
90er Jahre durch das Aufkommen der New E-
und Verkäufern erzielen.
conomy in den Fokus kommerzieller Betrach-
Das Ziel dieses Beitrags besteht darin aufzuzei-
tungen. 8
gen, welcher Nutzen Kunden aus derartigen
Netzwerkgedanke und die Auswirkungen ent-
Gemeinschaften erwachsen kann, wobei hier
sprechender Strukturen stärker thematisiert.
der Kunde als ein arbeitender Kunde verstanden
Dabei wird ein Netzwerk laut Diaz-Bone als ein
wird, der sich selbst in die Leistungserstellung
abgegrenztes Set von Einheiten verstanden,
der
einer
welche in Verbindung zueinander stehen. 9 Mit
schematischen Aufteilung des Kundenprozes-
Verbindungen ist dabei die Beziehung, die zwei
ses, der in die Phasen Vorkauf, Kauf und Nach-
Akteure (Einheiten) zueinander aufweisen und
kauf strukturiert ist, werden phasenbezogen
die Transaktionen, die sie tätigen, verstanden.
Vorteile der Interaktion von Kunden im Rahmen
Diese Transaktionen können dabei sehr vielfäl-
von Virtual Communities (VCs) aufgezeigt.
tig sein und den Austausch von Gütern, Wissen,
Unternehmen
einbringt.
Anhand
Heute
wird
der
dahinterstehende
Kommunikation etc. betreffen. Bei der Betrach-
2. Virtual Communities – Neue Möglich-
tung von Netzwerken im Zusammenhang mit
keiten für den Kunden
VCs ergeben sich neue Geschäftsmodelle, bei
Das Internet bietet Konsumenten heutzutage
denen im Idealfall allen Beteiligten ein Mehrnut-
viele Möglichkeiten, Meinungen und Erfahrun-
zen aus der Teilnahme erwächst.
gen mit anderen Konsumenten auf virtuellen
Meinungsplattformen oder im Rahmen von VCs
Abb. 1: Die Geschichte der Communities
auszutauschen. Eine einheitliche Definition dieser Communities lässt sich in der Literatur allerdings nicht finden. 5 Vielmehr existiert eine Vielfalt an Bezeichnungen, so werden Begriffe wie
User-Communities, Online-Communities, virtuelle Gemeinschaft, Cyber-Communities verwendet. Die Verwendung der Definitionen ist primär
abhängig vom Untersuchungsgegenstand und
umfasst daher viele Dimensionen. Die oftmals
unterschiedliche Verwendung machte aus der
virtuellen Gemeinschaft ein inflationär gebrauch6
Eine Typologisierung von VCs kann anhand
Community-
verschiedener Kriterien vorgenommen werden.
tes Modewort, das nur schwer abzugrenzen ist.
Die
Entwicklung
verschiedener
Formen und entsprechender Zielsetzungen bzw.
7
5
6
8
Vgl. Schoberth/ Schrott 2001, S. 519.
Vgl. Leimeister/ Krcmar 2004, S. 47.
9
131
Vgl. Rheingold 1994.
Siehe Hagel/ Armstrong 1997.
Vgl. Diaz-Bone 1997, S. 39.
Abb. 2: Die drei Phasen des Kaufprozesses
Alle Formen von VCs befriedigen stets in gewisser Weise folgende menschliche Bedürfnisse,
auch wenn, abhängig vom Typ, das ein oder
andere Kriterium überwiegen kann: 10
ƒ Das Verfolgen eigener Interessen (Information)
ƒ Den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen (Kommunikation)
Die Vorkaufphase beginnt mit der Identifikation
ƒ Den Besitz bzw. Erwerb von Gütern, Dienst-
bzw. der Konkretisierung eines Bedürfnisses
leistungen, Wissen (Transaktion)
durch den Konsumenten.
ƒ Das Ausleben der eigenen Phantasie (Unter-
Abgängig vom Be-
dürfnis beginnt nun die Suche nach Informatio-
haltung)
nen, wobei Alternativen in Erwägung gezogen
Für die nachfolgenden Ausführungen sei eine
und relevante Entscheidungskriterien identifiziert
VC verstanden, als ein Netzwerk von Men-
werden. Die Suche nach Informationen soll das
schen, die sich auf einer sozialen, virtuellen
wahrgenommene Kaufrisiko reduzieren und im
Plattform treffen und beginnen, miteinander zu
Idealfall in einer als akzeptabel beurteilten Ent-
kommunizieren und zu interagieren.
scheidungsgrundlage münden. In der Kaufpha-
3
se erfolgt die Abwicklung des Kaufes. Diese
Die Betrachtung des Kaufprozesses
wird im Folgenden eher als rechtliche Handlung
unter Berücksichtigung der Beurteil-
gesehen und daher nicht näher in die Betrach-
barkeit des Leistungsangebots
tung einbezogen. Die nachfolgende Nachkauf-
Bevor der Nutzen, der für den einzelnen Kon-
und Nutzungsphase ist entscheidend für den
sumenten aus der Teilnahme an einer VC er-
Verlauf der Kundenbeziehung. Diese Phase
wächst, betrachtet werden kann, ist es zweck-
beginnt mit der Nutzung des Produktes. Hier
mäßig, zunächst eine detaillierte Betrachtung
kann der Kunde zum ersten Mal die erworbene
des Kundenprozesses vorzunehmen.
Leistung beurteilen.
Das moderne Kaufverhalten stellt i. d. R. ein
In jeder Phase des Kaufprozesses empfindet
überlegtes Handeln dar, welches auf die Befrie-
der Kunde Unsicherheiten über die Konsequen-
digung eines Bedürfnisses abzielt und das Er-
zen seiner Handlungen. Dabei kann aus infor-
11
Der
mationsökonomischer Sicht in zwei grundlegen-
eigentlichen
de Unsicherheiten unterschieden werden. Zum
Kaufakt vorgelagert und durch dessen Ergebnis
einen die Umweltunsicherheit, die auch als
determiniert. Nach der durch den Kaufakt erfolg-
technologische Unsicherheit bezeichnet wird,
ten Übertragung der Leistung folgt die Phase
welche dann vorliegt, wenn die Informationsde-
des Konsums, bei dem die eigentliche Nut-
fizite der Austauschpartner sich in der exogenen
zungsentfaltung seitens des Konsumenten er-
Umwelt befinden. Dagegen besteht Markt- oder
folgt.
Verhaltensunsicherheit, wenn die Austausch-
gebnis eines Entscheidungsprozesses ist.
Entscheidungsprozeß
ist
dem
partner innerhalb der Beziehung asymmetrisch
über die relevanten Marktbedingungen, wie
10
11
Vgl. Beier 2001, S. 250.
Vgl. Müller-Hagedorn 1998, S. 328.
132
Preis oder Qualität informiert sind. 12 Die bedeu-
cherheit zu beurteilen. Es empfiehlt sich, gemäß
tendste Unsicherheit innerhalb dieser Kategorie
der Dynamik der Beurteilung, die Kategorie der
ist die Verhaltensunsicherheit, welche aus der
Sucheigenschaften noch weiter zu unterteilen in
Tatsache resultiert, dass in der Realität Informa-
vor dem Kauf beurteilbare Eigenschaften auf der
tionen unvollkommen, nicht kostenlos und auch
einen und bereits sicher beurteilte Merkmale auf
13
Für den Kunden ist es
der anderen Seite. Den Merkmalen, die bereits
überaus schwierig, mit vertretbarem Aufwand an
sicher beurteilt werden können, kommt eine
neutrale und unabhängige Informationen zu
Sonderstellung zu. Eigenschaften, die der Nach-
gelangen, welche nicht mit opportunistischen
frager bereits mit einer als hoch empfundenen
Verhalten der Anbieter in Zusammenhang ge-
Verlässlichkeit beurteilt, nennt man Wissensei-
bracht werden. VCs bieten da ein großes Poten-
genschaften. Sie sind eine Teilmenge der Su-
tial, die Unsicherheit des Nachfragers zu senken
cheigenschaften 18
nicht gleichverteilt sind.
und damit das wahrgenommene Kaufrisiko zu
Erfahrungseigenschaften:
minimieren.
Die
Beurteilbarkeit
des Leistungsniveaus eines Transaktionsobjek-
„Die Beurteilung eines Leistungsangebotes und
tes ist aus Sicht des Kunden erst nach dem
die damit verbundene Verbesserung des Infor-
Kauf möglich, da der Kunde erst in der Nut-
mationsniveaus ist in entscheidendem Maße
zungsphase eine Beurteilung der Leistung vor-
von den Beurteilungsmöglichkeiten des Nach-
nehmen kann.
fragers bezüglich der einzelnen Leistungseigen-
Vertrauenseigenschaften: Die Beurteilung der
schaften abhängig.“ 14 Die Beurteilbarkeit eines
Leistungseigenschaften
Merkmals ist eine dynamische Größe, denn im
ist
dem
Nachfrager
weder vor, noch nach dem Kauf möglich. Um
Zuge von veränderten Erfahrungen kann die
eine Kaufentscheidung treffen zu können, muss
Wahrnehmung der Beurteilbarkeit jedes einzel-
der Kunde auf Informationssubstitute (z. B. Re-
nen sich verändern. 15 Das Ausmaß der Beur-
putation eines Anbieters) ausweichen, die als
teilbarkeit ist somit abhängig von der Natur des
Indikator für die Bereitstellung einer adäquaten
Merkmals, des Beurteilers und der jeweiligen
Leistung dienen.
Situation und damit stark subjektiv. EntscheiDie drei Eigenschaftskategorien gehen aus ei-
dend ist hierbei lediglich, ob ein Nachfrager
nem individuellen Beurteilungsvermögens jedes
meint, eine Eigenschaft beurteilen zu können.
Kunden hervor und werden bestimmt durch das
Unwichtig ist dabei, wie er sie beurteilt oder ob
individuelle
er objektiv überhaupt in der Lage ist, dies zu
Anspruchsniveau
Informationsstandes.
tun. 16 In Anlehnung an Weiber/Adler oder
19
bezüglich
des
Jedoch kann man davon
ausgehen, dass jeder Kaufakt immer alle drei
Schönborn ergeben sich drei Typen der Eigen-
Eigenschaftskategorien aufweist. So kann man
schaftsbeurteilung von Leistungsbündeln: 17
einen Kauf, der überwiegend SucheigenschafSucheigenschaften: Aus Sicht des Nachfragers
ten aufweist, auch als Suchkauf bezeichnen,
ist es möglich, bspw. durch Informationssuche
wobei auch hier zumeist auch Erfahrungs- und
die Leistungseigenschaft vor dem Kauf mit Si-
Vertrauenseigenschaften, wenn auch in untergeordnetem Maße, vorhanden sind.
12
13
14
15
16
17
Vgl. Hirshleifer/ Riley 1979, S. 1377.
Vgl. Akerlof 1970, S. 489ff.
Weiber 2006, S. 96.
Vgl. Schönborn 2001, S. 85.
Vgl. ebenda, S. 87.
Vgl. Weiber/ Adler 1995a, S. 54; Schönborn 2001, S. 87.
18
19
133
Vgl. Schönborn 2001, S. 88f.
Vgl. Weiber 2006, S. 102.
VCs bieten grundsätzlich Hilfestellungen zur
auch in der Nachkaufphase nützlich sein für den
Beurteilung von Leistungseigenschaften. Durch
Abbau von Unsicherheiten. In dem Fall können
eine Vielfalt an unabhängigen und leicht zu-
VCs Hilfestellungen bei der Nutzung und Hand-
gänglichen Information kann der prozentuale
habung des Produktes bieten. Betreibt ein Un-
Anteil an Sucheigenschaften der Leistung er-
ternehmen eine eigene VC, so ist davon auszu-
höht werden. Dadurch wird das wahrgenommen
gehen, dass besondere Angebote oder ein er-
Kaufrisiko aus Sicht des Käufers gemindert, da
weitertes Serviceangebot den Mitgliedern gebo-
er durch die Meinung und Erfahrungen Dritter
ten wird.
die Leistung vor dem Kauf subjektiv besser be-
4
urteilen kann. 20 Als Beispiel kann hier der Kauf
von
Unterhaltungselektronik
dienen.
Der Einsatz von Virtual Communities
im Kundenprozess
Dieser
weist in unseren heutigen Zeit einen großen
Auf der Grundlage der vorangegangenen Ab-
Bedarf an Sucheigenschaften auf. Internetsei-
schnitte soll nun der Einsatz von virtuellen Com-
ten, wie günstiger.de oder idealo.de helfen mit
munities im Kaufprozess betrachtet werden.
Erfahrungsberichten von Community-Mitgliedern
Dabei soll verdeutlicht werden, dass der Kunde
oder Preisübersichten der Anbieter bis hin zu
durch die Teilnahme an VCs viele Vorteile reali-
technischen Daten der Hersteller. Der Anteil an
sieren kann. Dabei wird die Vorkauf- und die
Erfahrungseigenschaften beim Kauf von Unter-
Nachkaufphase einzeln betrachtet, da es hier,
haltungselektronik kann somit reduziert werden.
wie bereits angedeutet, die meisten Potenziale
Denn bereits bei der Suche nach Informationen
gibt. Der Kaufakt selbst, also die rechtliche
zur Beurteilung des Leistungsangebotes wird
Handlung, wird nicht betrachtet. Während in der
man hier auf Erfahrungen anderer Community-
Vorkaufphase VCs überwiegend eine Hilfestel-
Mitglieder stoßen, die wiederum die Kaufent-
lung zur Reduktion des Kaufrisikos bieten, liegt
scheidung des Einzelnen beeinflussen können.
der Nutzen in der Nachkaufphase eher in der
Der Einzelne wird in seiner subjektiven Wahr-
Gestaltung der eigenen Individualität.
nehmung der Beurteilung der Leistung gestärkt
4.1 Betrachtung des Einsatzes von Virtual
und mag für sich persönlich den darauffolgen-
Communities in der Vorkaufphase
den Kauf als nur mit geringen Unsicherheiten
Der Entscheidung für oder gegen den Kauf ei-
behaftet empfinden. Damit kann für einzelne
nes Produktes oder einer Dienstleistung geht
Personen ein Kauf mit ausgeprägten Erfah-
ein mehr oder weniger intensiv durchlaufener
rungseigenschaften zu einem Suchkauf werden.
Kaufentscheidungsprozess in der Vorkaufphase
Das Beispiel zeigt deutlich, dass die Wahrneh-
voran.
mung der einzelnen Eigenschaften nicht zementiert ist und somit sich bspw. Erfahrungseigen-
Jedoch muss man hier zwei unterschiedliche
schaften zu Sucheigenschaften wandeln kön-
Ausgangsituationen einzeln betrachten. Einmal
nen.
die Vorkaufphase, in welcher der Kunde von
einem Unternehmen begleitet wird. Durch die
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Beur-
Institution der VC kann das Mitglied seine Be-
teilbarkeit einer Leistung bzw. verschiedener
dürfnisse direkt an das Unternehmen weiterlei-
Leistungsmerkmale vor dem Kauf wichtiger ist
ten. Der Kunde kann hier in die Produktentwick-
als diese nach dem Kauf, jedoch können VCs
lung involviert werden. Die Suche nach einem
Produkt, das seine Bedürfnisse deckt, fällt somit
20
Vgl. Ludwig 2000, S. 32.
134
weg. Durch die Mitentwicklung steigt das Invol-
erst in der Markterprobungsphase ergeben. 22
vement und die Verbundenheit für das Produkt
Kunden haben keine unreifen Produkte mehr,
und das Unternehmen. Ein Produkt, welches der
denen sie misstrauen könnten.
Kunde selbst entwickelt hat, bindet diesen be-
Der klassische Kaufprozess beginnt gemäß der
reits in der Entwicklungsphase an das Unter-
Informationsökonomie mit der Informationssu-
nehmen. 21 Die klassischen Eigenschaften von
che, bei der die schlechter informierte Seite
Kaufunsicherheiten, die den Kunden zur Infor-
versucht, dieses Defizit vor der Transaktion zu
mationssuche normalerweise animieren, wie
vermindern. VCs bieten hier einen guten Aus-
Such-, Erfahrungs-, Vertrauenseigenschaften,
gangspunkt zur leistungsbezogenen Informati-
fallen hier weg. So gesehen sind Produkte, die
onssuche. Kaufentscheidungen von Leistungen
der Kunde mitentwickelt hat, Produkte mit Wis-
mit starken Sucheigenschaften können durch
senseigenschaften, also Produkte, über die der
VCs vereinfacht werden, da in einer VC die leis-
Kunde Bescheid weiß und die gebotene Leis-
tungsbezogenen Informationen meist themen-
tung einschätzen kann. Das Bewusstsein über
spezifisch gebündelt werden. So hat der einzel-
die Leistung erfolgt durch die Anteilnahme an
ne Kunde, neben Informationen der Hersteller,
Informationen, die über den üblichen Informati-
auch Testberichte und vor allem die Möglichkeit
onsstand eines klassischen Käufers hinaus ge-
der direkten Rückkopplung auf persönliche An-
hen. Der Kunde sieht sich mit höchster Wahr-
fragen in Diskussionsforen. Gerade bei Erfah-
scheinlichkeit nicht als benachteiligte Person im
rungskäufen ist diese Form des Erfahrungsaus-
Transaktionsprozess an, sondern fühlt sich
tausches wichtig, denn insbesondere hier ach-
gleichberechtigt, vielleicht dem Unternehmen
ten die Kunden in der Entscheidungsphase auf
sogar überlegen, da er das entsprechende Wis-
die Meinung Dritter, da sie selbst keine Möglich-
sen über die Leistung eingebracht hat. Der
keit zur Beurteilung der Kaufalternativen vor
langwierige und zeitintensive Prozess der Infor-
dem Kauf haben.
mationssuche und -Verarbeitung kann über-
23
Die Reputation, die durch
die Kommunikation innerhalb der VC entsteht,
sprungen werden. Dies führt zu Einsparung von
kann
Transaktionskosten, insbesondere von Zeit aber
als
substitut
auch von Geld, bspw. für den Kauf von Fach-
24
leistungsbezogenes
(z. B. Garantien oder Rückggabe-
recht) dienen. Der Anbieter versucht Unsicher-
zeitschriften, wie der Stiftung Warentest. Durch
heiten potenzieller Nachfrager durch das Aus-
die Teilnahme an einer VC fallen Kontaktbarrie-
senden von Signalen zu reduzieren. Die Garan-
ren, wie die geografische Ferne oder auch die
tie dient neben der (scheinbaren) Sicherheit zur
Kosten der Kontaktaufnahme, wie etwa der Kon-
Vermeidung unerwünschter Kauffolgen vor al-
takt per Brief zum Unternehmen, weg. Vor allem
lem als Zeichen für die Qualität der Leistungen,
ist der Zeitaufwand hierfür gering, denn wenn
da für einen Anbieter minderer Qualität das An-
eine VC existiert, so kann schnell über Foren
gebot einer Garantie, welches dann häufig in
und Chats Kontakt aufgenommen werden. Jeder
Anspruch genommen würde, ruinös wäre. In
Kunde kann klar seine Bedürfnisse formulieren
VCs kann der Einzelne von den kumulierten
und wird so immer früher in den Wertschöp-
Erfahrungen aller Mitglieder Gebrauch machen
fungsprozess der Unternehmen integriert. Wenn
und erspart sich somit eigene schlechte Erfah-
der Kunde aktiv mitwirkt, können von Anfang an
Fehler frühzeitig behoben werden, die sich meist
22
23
21
Informations-
24
Vgl. von Krogh 2006, S. 16.
135
Vgl. Mcwilliam 2001, S. 73.
Vgl. Schönborn 2001, S. 88.
Vgl. Adler 1996, S. 105.
rungen. So kann die Kommunikation und der
Individuum einen eigenen Lebensstil und damit
Wissens- und Erfahrungsaustausch innerhalb
die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Der
25
dienen. Bei
Konsum wird nicht mehr verstanden als der
diesen Schlüsselinformationen handelt es sich
reine Ge- und Verbrauch von Gütern, sondern
um Informationen, die der Empfänger als be-
als kollektiver Konsum mit dem Ziel, ein Grup-
sonders wichtig einstuft, weil sie für ihn andere
penerlebnis zu erzeugen. Dabei möchte sich der
Informationen ersetzen oder bündeln können
Konsument gewisser Produkte und Marken klar
und damit die Informationsverarbeitung erleich-
von anderen Konsumenten unterscheiden. VCs
tern. Es sind „höherwertige Informationen“, die
besitzen in der Regel einen Interessenschwer-
einen Rückschluss auf entsprechende Leis-
punkt und werden bestärkt durch eine Gruppen-
tungsmerkmale zulassen, weshalb sie als Sub-
identität, welche sich meist aus ähnlichen Ein-
stitut für verschiedene Einzelinformationen an-
stellungen und Verhaltensweisen ableitet. Sol-
der VC als Chunk Information
26
Gerade in der Phase der
che VCs, die in erster Linie das gemeinsame
Evaluation von Kaufentscheidungskriterien bzw.
Konsumerlebnis einer bestimmten Marke in den
Kaufalternativen und der darauf folgenden Al-
Vordergrund
gesehen werden.
stellen,
werden
27
als
Brand-
In der Konsumpha-
ternativenbewertung kann der Nachfrager auf
Communities bezeichnet.
das kumulierte Wissen der Community zurück-
se bieten diese die Möglichkeit, den Nutzungs-
greifen. Erfahrungen und Beurteilungen zahlrei-
prozess zu erweitern. Durch Austauschmöglich-
cher Individuen werden gebündelt und schaffen
keiten mit Gleichgesinnten kann man sich bei
so einen erheblichen Mehrwert für den Nachfra-
Problemen helfen und neue Anregungen bezüg-
ger, der weit über die Informationen des Herstel-
lich der Nutzung erlangen. Dabei ist der Herstel-
lers oder bspw. der Stiftung Warentest hinaus-
ler des Produktes daran interessiert, dass der
geht.
Kunde sich mit seinem Produkt identifiziert und
wird daher Maßnahmen treffen zur Stabilisie-
4.2 Betrachtung des Einsatzes von Virtual
rung und Erhaltung der Marke. Ziel dabei ist es,
Communities in der Nachkaufphase
über den funktionalen Nutzen des Produktes
Die Nachkauf- oder Nutzungsphase ist maßge-
hinaus einen emotionalen und sozialen Nutzen
bend für den weiteren Verlauf der Geschäftsbe-
für den Konsumenten zu bilden.
ziehung zwischen Kunde und Anbieter. Jedoch
28
Ein erfolgrei-
ches Beispiel ist hier die Marke Maggi. Diese
wird gerade hier dem Kunden von Unterneh-
bietet auf ihrer Homepage Kunden die Möglich-
mensseite kaum Aufmerksamkeit entgegenge-
keit sich auszutauschen. Es gibt eine Rezept-
bracht. In dieser Phase wird die Nutzung des
börse mit vielen Anregungen rund um das Mag-
gekauften Produktes vollzogen. Erst jetzt lassen
gi-Sortiment. Die Kunden werden dazu animiert,
sich die Leistungseigenschaften der Erwerbung
Rezepte zu kreieren. Das tun sie auch und
tatsächlich beurteilen. Der Kunde bildet sich
schaffen immer wieder neue Möglichkeiten, das
unmittelbar eine Meinung über das Produkt und
Maggi-Sortiment in die Nutzung der anderen
den Hersteller.
Hobby Köche zu integrieren. Brand-Communties
In der heutigen Gesellschaft kann das Konsum-
sind in der Regel kommerzielle unternehmens-
verhalten als Ausdruck der eigenen Persönlich-
betriebene Communities, in die der Betreiber ein
keit angesehen werden und ermöglicht dem
investiert und sogar Events und Treffen für die
27
25
26
28
Vgl. Weiber/ Adler 1995b, S. 50.
Vgl. Kroebel-Riel/ Weinberg 2003, S. 286.
136
Siehe McAlexander/ Schouten/ Koenig 2002, S. 38ff.
Siehe auch Hermann/ Algesheimer/ Heitmann 2005, S.
10.
Mitglieder organisiert. Bezogen auf das Beispiel
ƒ Vergeltung: Absicht des Konsumenten durch
Maggi werden hier Nachmittage im Maggi Koch-
bewusste Äußerungen dem Unternehmen zu
studio oder Kurse mit berühmten Fernsehkö-
schaden, um so einen Ausgleich zu der als
chen initiiert.
unfair empfundenen Behandlung zu erzielen.
Doch auch für die Bewertung von Leistungen
5
sind VCs für den Nachfrager sehr nützlich. War
Nutzenstiftung für Mitglieder von Virtual Communities
in der Vorkaufphase gerade der Informationsas5.1 Virtual Communtities als Instrument der
pekt von hoher Relevanz, besteht hier die Mög-
Nachfragerbündelung
lichkeit, seine Meinung zu äußern und damit
denjenigen Mitgliedern, die sich in der Vorkauf-
Nachfragebündelungen treten dann auf, wenn
phase sich befinden, Nutzungs- oder Nachkauf-
Konsumenten ihren Bedarf in zeitlicher oder
informationen bereitzustellen. VCs vereinfachen
inhaltlicher Hinsicht vereinheitlichen und somit
die Kommunikation der einzelnen Verbraucher
gegenüber Unternehmen als ein Nachfrager
untereinander und ermöglichen so durch virtuel-
auftreten. 30 VCs werden in dieser Arbeit als
le Meinungsplattformen eine reibungslose Kun-
Nachfragerbündelungen verstanden, da sie als
denartikulation. Dabei lassen sich sechs we-
Kundengruppen 31 hinsichtlich eines Interessen-
sentliche Motive der Kundenartikulation identifi-
schwerpunktes bereits gebündelt sind und daher
29
zieren :
dem Anbieter gegenüber als ein Nachfrager
auftreten könnten. Auf diese Weise sind sie in
ƒ Altruismus durch Empfehlungen/ Warnungen:
der Lage, eine Machtverlagerung von der Anbie-
Der einzelne kann durch seine Schilderungen
ter- zur Nachfragerseite zu bewirken, in deren
den anderen Konsumenten bei Kaufentschei-
Verlauf der Mehrwert von den Anbietern zu-
dungen helfen. Er kann sie vor negativen Er-
nehmend auf die Kunden übergeht. Hagel und
fahrungen bewahren.
Armstrong sprechen in diesem Kontext von um-
ƒ Abbau positiver/negativer Spannung: Konsu-
gekehrten Märkten. 32 Dies bringt nachfragersei-
menten artikulieren sich, um anderen ihre
tig zwei wesentliche Vorteile mit sich. Zum einen
Freude/Frust über einen gelungenen oder
können durch Bündelungen Preisvorteile reali-
misslungenen Kauf mitzuteilen und auf die-
siert werden. Dies war bspw. der Fall bei der
sem Weg, die mit dem Kauferlebnis verbun-
transaktionsorientierten
denen Spannungen, abzubauen.
buyit.com,
ƒ Selbstwertsteigerung: Artikulation erfolgt, um
33
Community
lets-
jedoch war dieses Modell in der
Praxis aus unterschiedlichen Gründen wie z. B.
das eigene Bild bei anderen Personen zu
dem Nichterreichen von kritischen Teilnehmer-
verbessern und als Konsumexperte angese-
zahlen, rechtlichen Problemen oder zu geringen
hen zu werden.
Preisnachlässen, die seitens der Hersteller ge-
ƒ Ratsuche: Artikulation von Konsumenten, um
währt wurden, nicht erfolgreich.
Hilfe zu erfahren bei negativen Kaufentschei-
Zum anderen, und hier sind wesentlich mehr
dungen.
ƒ Unterstützung des Unternehmens: Auf Grund
Potenziale vorhanden, sind verschiedene Leis-
seiner Zufriedenheit über die erworbene Leis-
tungsvorteile für Kunden realisierbar. So ist es
tung möchte der Kunde dazu beitragen, dass
möglich, dass für einzelne Gruppen mit speziel-
das Unternehmen am Markt bleibt.
30
31
32
29
33
Vgl. Henning-Thurau/ Hansen 2001, S. 565.
137
Vgl. Voeth/ Klein 2002, S. 115.
Vgl. Tomczak/ Schögel 2005, S. 1.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 31f.
Vgl. Panteon 2005, S. 47.
len Bedürfnissen bestimmte Produkte durch den
men so individualisierte Rückmeldung auf ihre
Anbieter zur Verfügung gestellt werden. Hier hat
persönliche Anfrage. Die Auswirkungen solcher
der Kunde die Möglichkeit, individuelle Produkte
Beiträge auf die Kaufentscheidung des Einzel-
zu fordern, wobei dies vom Kernprodukt bis hin
nen sind in der Regel von großer Bedeutung. 36
zum erweiterten Produkt, wie bspw. Events oder
Denn es wird von den Mitgliedern unterstellt,
Treffen gehen kann. In der Praxis wird dies
dass
schon von verschieden erfolgreichen Communi-
glaubwürdig und vor allem nicht opportunistisch
tiy- Betreibern realisiert (z. B. ebay).
handeln. Zusammenfassend lässt sich sagen,
die
anderen
Mitgliedern
unabhängig,
dass in Zukunft der größte Anreiz, sich einer
Ein weiterer Vorteil ist in der Einflussnahme auf
virtuellen Gemeinschaft anzuschließen, darin
die Produktgestaltung zu sehen. Das innovative
bestehen wird, mehr Informationen zu besitzen
Potenzial von VCs wird zunehmend auch von
und somit mehr Profit von den Anbietern abzu-
den Anbietern erkannt. So werden gezielt
ziehen.
Communities bzw. deren Teilnehmer in die Gestaltung und Entwicklung neuer Produkte integ-
6
riert, was in der Konsequenz zu markt- und
37
Ausblick auf Potentiale und Chancen
von Virtual Communities
nachfragergerechteren Lösungen führt.
Die prinzipiellen Vorteile und Potenziale der
5.2 Kundenmacht durch Informationsvorteile
neuen Informations- und Kommunikationstech-
VCs ermöglichen den Mitgliedern verschiedene
nologien, insbesondere des Internet, ermögli-
Arten von Informationen und verbessern damit
chen die Vernetzung einzelner Akteure und
deren Informationsstand. Die Besonderheit ist,
bieten den Beteiligten nahezu unbegrenzte
dass Informationen bereitgestellt werden, die in
Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten.
der realen Welt nicht oder nur durch hohe Kos-
Gerade die Kommunikation zwischen den Nach-
ten zugänglich sind. Es ist den Mitgliedern nun
fragern, also das Konzept von VCs, verändert
auch möglich, ihr Urteil zusätzlich zu den anbie-
die traditionellen Spielregeln erheblich. In Zu-
terorientierten Informationen durch das gesamte
kunft werden Nachfrager-Communities immer
Wissen der Mitglieder in Form von Meinungen
stärker den Charakter von ad hoc Netzwerken 38
und Erfahrungsberichten zu erweitern.
34
annehmen und die diskutierten Themen werden
In VCs
kann eine enorme Vielfalt an Sachkenntnis kon-
immer spezifischer. 39
zentriert werden, die von einem einzelnen, un-
VCs nicht nur bedarfsfallspezifisch Verbraucher
abhängig davon, ob er erfahren oder geübt ist,
miteinander, sondern statten diese auch mit
sprich Expertenwissen besitzt, nie erreicht wer-
immer mehr Informationen aus, an die sie sonst
den kann. Der Mehrwert liegt also nicht so sehr
nur unter großem Aufwand gelangen könnten.
in den Erfahrungen und dem Wissen jedes ein-
Dies führt zu einem Verschiebung der traditio-
zelnen, sondern in den Erfahrungen und Per-
nellen Macht- und Informationsverhältnisse zwi-
Dennoch versammeln
Zusätzlich
schen Anbieter und Nachfrager, die sich als
wird in vielen VCs ein Dialog, in Form von Dis-
umgekehrte Märkte konstituieren, in denen die
kussionsforen, zwischen den Mitgliedern ermög-
Macht nun stärker auf den Nachfrager verlagert
licht. Die einzelnen Mitglieder können also viel
ist. Durch die ständig wachsende Kundenartiku-
spektiven zahlreicher Individuen.
35
deutlicher ihr Anliegen darstellen und bekom-
36
37
38
34
35
Vgl. Panteon 2005, S. 48.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 45.
39
138
Vgl. Weiber/ Meyer 2005, S. 42f.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 32.
Ad hoc Netzwerke sind spontane, kurzfristige, für einen
Zweck gebildete Verbindungen einzelner Personen.
Vgl. Weiber/ Fälsch 2007, S. 38.
lation im Netz werden Kaufentscheidungen immer stärker durch die Meinung anderer Nach-
Literaturverzeichnis
frager bestimmt. Auf lange Sicht verlagert sich
also der Wettbewerb von der Produkt- auf die
Adler, J. (1996): Informationsökonomische Fun-
Kommunikationsebene. 40 Trotz der vielen unbe-
dierung von Austauschprozessen: eine
grenzten Möglichkeiten, die geboten werden,
nachfrageorientierte Analyse, Wiesbaden.
darf man nicht vergessen, dass der Nutzen, der
Akerlof, G. A. (1970): The market for „Lem-
dem einzelnen Nachfrager daraus erwächst,
mons“: Quality Uncertainty and the Market
stark vom entsprechenden Involvement deter-
Mechanism, The Quartely Journal of Eco-
miniert wird. Laut einer Allensbacher Computer-
nomics, 84 (1970), S. 488-500.
und Technik-Analyse ist die Web-Nutzung stark
Bauer, H./Brünner, D./Grether, M./Leach, M.
altersgebunden. Die Kriterien waren hier unter
(2001): Die virtuelle Gemeinschaft als In-
anderem das Einstellen von Videos auf Video-
strument des Customer Relationship Mana-
portalen, der Besuch von Chatrooms oder das
Erstellen
von
Profilen
auf
gement, in: Fritz, Wolfgang (Hrsg.): Internet-
Community-
Marketing, 2. Auflage, Stuttgart 2001, S.
Plattformen. Die Nutzung solcher Angebote war
325-371.
mit steigendem Alter sinkend. Die Partizipation
der jüngeren Bevölkerung (14-20 Jährige) war
Beier, M. (2001): Virtual Communities- eierle-
knapp 13 mal so hoch, wie die der 55-64 Jähri-
gende Wollmilchsäue für das One-to-One
gen.
41
Marketing, in: Hermanns, Arnold/Sauter, Mi-
Gerade bei diesen Communities ist er-
sichtlich, dass der Nutzen stark abhängig ist von
chael. (Hrsg.): Management Handbuch e-
den jeweiligen Bedürfnissen der einzelnen Al-
lectronic Commerce, München 2001, S.
tersstufen. Die Dimension des Nutzens liegt
246-263.
eher im jugendspezifischem Dialog und dem
Billen, P. (2003): Unsicherheit des Nachfragers
Erstellen von Beiträgen, sowie der Selbstdar-
bei Wiederholungskäufen- Ein informations-
stellung. Ganz anders sieht es bei der Nutzung
ökonomischer und verhaltenswissenschaftli-
von Communities aus, wo im Vordergrund die
cher Ansatz, Wiesbaden.
Kundenartikulation steht und der Nutzen vorBruhn, M. (2001): Relationship Marketing,
wiegend aus der Informationsbeschaffung und -
München.
verarbeitung generiert wird. Hier sind die Unter-
Bullinger, H.-J. (2002): Business Communities-
schiede zwischen Jung und Alt nur noch im
Verhältnis von 2 zu 1. Dies zeigt, dass die Moti-
professionelles Beziehungsmanagement
vation sich an Kundenartikulation im Internet zu
von Kunden, Mitarbeitern und B2B-Partnern
beteiligen, Erfahrungen mit anderen zu teilen
im Internet, Bonn.
und Bewertungen über Marken, Produkte und
Chesbrough, H. W. (2006): Open Innovation-
Dienstleistungen zu verfassen, einen hohen
The new imparative for creating and Profit-
Wert über alle Altersstufen darstellt. VCs sind
ing from Technology, Massachusetts.
somit nicht, wie oft kritisiert, nur für jüngere ZielDiaz-Bone, R. (1997): Ego-zentrierte Netzwerk-
gruppen interessant, vielmehr bergen sie ein
analyse und familiäre Beziehungssysteme,
hohes Potenzial für alle Nachfrager.
Wiesbaden 1997.
40
41
Vgl. ebenda, S. 38.
Vgl. Köcher/ Schneller 2007, S. 26.
139
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141
Christian Hildebrand
Produktentwicklung mit Virtual Communities - kritische Reflexion und prozessuale Fundierung
interaktiver Wertschöpfungsprozesse
1
Die Permeabilität unternehmerischer Grenzen in der Produktentwicklung
2
Der Einsatz von Virtual Communities im Marketing
3
Prozessorientierte Analyse community-basierter Entwicklungsleistungen
4
Revision moderner Produktentwicklungsprozesse durch Virtual Communities
1
Die Permeabilität unternehmerischer
ermöglichen. Dies auf den Forschungsgegens-
Grenzen in der Produktentwicklung
tand hin konkretisierend, zeigt sich demnach die
implizite Herausforderung und Chance zugleich,
Während die betrieblichen Forschungs- und
externe Wissenspotentiale zu internalisieren5
Entwicklungsabteilungen bisweilen ihre originäre
und somit die Nutzung nachfragerspezifischer
Aufgabe in der unabhängigen Entwicklung inno-
Bedürfnisinformationen in der Produktentwick-
vativer Produkte und Kundenlösungen sahen,
lung um nutzerzentrierte Lösungsinformationen
wird seit nunmehr einigen Jahren ein neues
zu erweitern.6
Feld ökonomischer Forschung zunehmend erschlossen. Im Fokus der Betrachtung steht hier-
Daraus ergibt sich jedoch ein grundlegend ver-
bei eine kundenorientierte Produktentwicklung
ändertes Verständnis des Nachfragers in der
als
unternehmerischen
Betriebswirtschaft. Potentielle Nachfrager be-
Markterfolgs1 und der zugleich wirksamen Mög-
trieblicher Leistungen und Produkte sind zu-
lichkeit zur Reduktion oftmals hoher Misserfolgs-
nehmend herausgelöst aus dem begrenzten
raten in der Produktinnovation.2 Somit steht in
Bezugsrahmen des originären Informationsträ-
zunehmenden Maße weniger die Betrachtung
gers
innovativer, technisierter Entwicklungen, als
unternehmerischen
Produkt ingenieurwissenschaftlicher Leistungen
werden vielmehr in erweiternder Weise als Mit-
im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage,
entwickler, „Co-Produzent“7 und „Prosumer“8
wie in dynamischen Wirtschaftssystemen, kon-
zugleich betrachtet. So spricht Chesbrough in
stituiert durch global organisierte Märkte, ver-
diesem Zusammenhang vom Bruch traditioneller
kürzte Produktlebenszyklen3 und moderne For-
Closed-Innovation-Prozesse und der Öffnung
men des Consumer Empowerment,4 eine maxi-
unternehmerischer Grenzen, hin zum Open-
male Kongruenz nachfragerspezifischer Bedürf-
Innovation-Ansatz,9 in dessen Rahmen jene
nisse und anbieterseitiger Leistungsbündel er-
Grenzen der Unternehmung zunehmend durch-
zielt werden kann. Hierbei kommt den modernen
lässig werden und externe Wissenspotentiale
IuK-Technologien eine zentrale Bedeutung zu.
(z. B. durch Kunden) in einer symbiotisch ge-
Unternehmungen werden nunmehr in die Lage
prägten Beziehung betriebsintern genutzt wer-
versetzt, in gezielter Art und Weise eine aktive
den.10 Diesen Aspekt zeitlich gesehen bereits
Kundenintegration in die betrieblichen Ent-
früher aufgreifend, wies von Hippel in ähnlicher
Voraussetzung
des
wicklungs- und Leistungserstellungsprozesse zu
5
6
1
2
3
4
7
Vgl. Lüthje 2007, S. 41.
Vgl. Christensen/ Raynor 2003, S. 73.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95.
Vgl. Shankar/ Cherrier/ Canniford 2006, S. 1014.
8
9
10
142
respektive
Untersuchungsobjektes
Marktforschung,
Vgl. Boutellier/ Gassmann 1996, S. 290.
Vgl. Urban/ von Hippel 1988, S. 569.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 95.
Vgl. Toffler 1980, S. 273.
Vgl. hierzu den Beitrag von Adlunger (S. 27ff.)
Vgl. Chesbrough 2003, S. 29f.
der
sondern
Weise auf die zunehmenden Veränderungspro-
leistungen ausgeweitet. Insbesondere jene Pro-
zesse und Tendenzen zum sog. Customer-
zessperspektive erlaubt es somit den differen-
11
Diese grundsätzliche
ziert zu betrachtenden Möglichkeitsraum virtuel-
Hinführung zu den derzeitigen Umgestaltungs-
ler Gemeinschaften abzubilden, denn von ent-
prozessen in Wissenschaft und Praxis sei nun
scheidender Bedeutung ist weniger die An-
illustratorisch pointiert und der bisherige Gedan-
sammlung vernetzter Partizipienten, als viel-
kengang in Anlehnung an Chesbrough zusam-
mehr das komplexe Wirkungsgefüge ihrer Inter-
mengefasst.
aktion und der ihnen inhärenten, voneinander
Active-Paradigm hin.
verschiedenen Fähigkeiten als Grundlage er-
Abb. 1: Vom Closed-Innovation-Paradigma zum
folgreicher, kollaborationsgestützter Produktent-
Open-Innovation-Paradigma
wicklungsprozesse.
2
Der Einsatz von Virtual Communities
im Marketing
Nachdem nun der konkrete Bezugsrahmen des
Beitrags kritisch motiviert sowie die manifesten
Veränderungen der betrieblichen Umwelt dargeBevor nun jedoch eine sich inhaltlich ausweiten-
stellt und durch die klassischen Ansätze von
de Thematisierung von virtuellen Gemeinschaf-
Chesbrough und von Hippel sublimiert wurden,
ten, als mögliche Form dieser i. S. Chesbroughs
erfolgt nun eine einführende Darstellung und
externen, gruppenbasierten Entwicklungspartner
Theorieübersicht zum Forschungsobjekt virtuel-
erfolgt, stellt sich zu Beginn mithin die Frage
ler Gemeinschaften, bevor die sich daraus er-
welchen wissenschaftlichen Beitrag vorliegende
gebenden Vorteilspotentiale herausgearbeitet
Arbeit zu leisten im Stande ist. Eine mögliche
und im weiteren Verlauf um eine spezifische
Antwort lässt sich hierbei im Besonderen aus
Betrachtung der Individualebene jeweiliger Teil-
den bisherigen Erklärungsansätzen herleiten,
nehmer ergänzt wird.
denn obgleich seit nunmehr einer Dekade die
2.1 Genese und Systematisierung des Com-
Anzahl publizierter Beiträge im Kontext virtueller
munitybegriffs
Gemeinschaften stetig gestiegen ist, gilt dies
Die begriffliche Prägung und den thematischen
nicht gleichsam für deren explikative Aussagekraft.
Die
wesentlichen
Anfang einer zunächst nicht-wissenschaftlichen
modelltheoretischen
Betrachtung von Virtual Communities (VC’s)
Leitlinien finden sich zwar im Rahmen des vor-
findet sich bei Rheingold. Rheingold beschreibt
liegenden Beitrages, doch werden sie stärker
dabei in allgemeiner Form die persönlichen Er-
als zuvor miteinander verbunden und in einen
lebnisse in der privaten Community „The Well“.
schlüssigen Gesamtkontext eingebettet. Somit
Er umschreibt virtuelle Gemeinschaften hierbei
werden einerseits systematisch bestehende
als soziale Zusammenschlüsse, die auf compu-
Vorteilspotentiale im Rahmen der betrieblichen
tervermittelnder Kommunikation beruhen und
Produktentwicklung herausgearbeitet und im
ein Geflecht persönlicher Beziehungen entste-
weiteren Verlauf um eine prozessorientierte
Analyse
11
community-basierter
hen lassen.12 Die Anzahl wissenschaftlicher
Entwicklungs-
Publikationen im Kontext virtueller Gemein12
Vgl. von Hippel 1979, S. 83f.
143
Vgl. Rheingold 1994, S. 16.
schaften stieg darauf folgend insbesondere im
können die von u. a. Hagel/Armstrong und Mu-
Anschluss an die publizierten Beiträge von Ha-
niz/O’Guinn beschriebenen Merkmale virtueller
13
gel/Armstrong
Gemeinschaften letztlich auf die in dem nachfol-
und der ab Mitte der 90er Jahre
zunehmenden
Erweiterung
Kommunikationsmittel,
wie
genden
internetbasierter
Bulletin
Systematisierungsansatz
illustrierten
Kernelemente reduziert werden.
Boards,
Chats, Newsrooms oder bspw. IRC’s an. Die
Abb. 2: Kernelemente virtueller Gemeinschaften
Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen zeichnet sich hierbei erwartungsgemäß durch eine
ebenso hohe Vielzahl verschiedenartiger Perspektiven und Gegenstandsbereiche aus. Ein
möglicher Systematisierungsansatz der Kernelemente verschiedenartiger Ansätze sei daher
an dieser Stelle aufgezeigt. So zeigen Ha-
Nachdem nun die für die weitere Betrachtung
gel/Armstrong14 und Muniz/O’Guinn15 insbeson-
wesentlichen Kernelemente virtueller Gemein-
dere allgemeingültige, eine virtuelle Gemein-
schaften herausgearbeitet wurden, ist nun der
schaft grundsätzlich konstituierende, Merkmale
mögliche, konkrete Beitrag von VC’s für den
auf. Diese Kernelemente lassen sich hierbei
unternehmerischen Innovationserfolg aufzuzei-
zunächst, global betrachtet, auf grundlegende
gen.
Basiseigenschaften virtueller Gemeinschaften
2.2 Immanente Vorteilspotentiale der „Com-
reduzieren,16 wie gemeinsames Interesse und
munity Based Innovation“
eine Art innerer Verbundenheit, definiert über
einen spezifischen Kontext, sowie technologi-
Aufgrund der einführend erläuterten Problematik
sche Basisfunktionen, die wiederum auf die
verkürzter
Möglichkeit
der
und
Marktsättigungstendenzen und hohen Misser-
endogenen
Informationsdiffusion
rückwirken.
folgsraten in der Produktinnovation, gilt es nun
Darüber hinaus soll weiterhin zwischen einer
die Überlegung anzustellen, welche möglichen
Community- sowie Individualebene unterschie-
Vorteilspotentiale sich aus community-basierten
den werden. So wird Erstere insbesondere
Innovationen ergeben können. Zur Abbildung
durch intertemporal aus der Community gene-
der konkreten Vorteilsdimensionen wird an die-
rierte Traditionen und Normen konstituiert und
ser Stelle z. T. auf bestehende Ergebnisse em-
umfasst in einem weiter gefassten Sinne ein für
pirischer Forschungsarbeiten sowie insbesonde-
das Bestehen von Gemeinschaften notwendiges
re theoretische Ansätze zurückgegriffen und
Zusammengehörigkeitsgefühl.
Individual-
diese nun nachfolgend in eine Art „Conceptual
ebene konkretisiert sich demgegenüber das
Framework of Advantage“ (siehe Abbildung)
Verhalten der jeweiligen Partizipienten. Die Be-
integriert. Der Betrachtungsfokus ist hierbei
reitschaft zur Verantwortungsübernahme und
stark anbieterorientiert und somit an insbeson-
Informationsweitergabe17 kann hierbei als not-
dere ökonomische Beurteilungskriterien ange-
wendige Bedingung angesehen werden. Somit
lehnt. Eine teilnehmerbasierte Untersuchung
Informationsweitergabe
Auf
Produktlebenszyklen,
erhöhten
erfolgt jedoch ergänzend im Rahmen des
13
14
15
16
17
Vgl. Hagel/ Armstrong 1995, S. 127ff.; Dies. 1997, S. 3ff.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 8ff.
Vgl. Muniz/ O'Guinn 2001, S. 413.
Vgl. Hagel/ Armstrong 1997, S. 8ff.
Vgl. Muniz/ O'Guinn 2001, S. 413.
nächsten Unterkapitels.
144
Zu Beginn eröffnet sich infolge moderner IuK-
seren Bedürfnis-Leistungs-Fit, eine deutliche
Technologien und netnographischen Methoden
Reduktion jeweiliger Misserfolgsraten möglich.25
zunächst die Möglichkeit, bereits frühzeitig et-
Im Hinblick auf die erfolgskritische Phase der
waige Marktchancen und -potentiale durch eine
Markteinführung können darüber hinaus öko-
systematische
Content-
nomische Erfolgspotentiale derart realisiert wer-
Informationen, z. B. bestehender Brand Com-
den, dass die jeweiligen Community-Mitglieder
munities oder Communities of Consumption, zu
als Innovationspromotoren im Diffusionsprozess
18
Untersuchung
von
bei gleichzeitig geringen Kommu-
agieren.26 McAlexander/Schouten/Koenig wei-
nikations- und Informations-verarbeitungskosten
sen ebenso darauf hin, dass der marktliche Er-
im Vergleich zur klassischen Marktforschung.19
folg zugleich infolge einer steigenden Produkt-
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich
bzw. Markenloyalität erzielt werden kann.27 Jep-
hieraus ebenso erhöhte Anforderungen an effi-
pesen/Molin zeigen zusätzlich auf, dass Com-
ziente Selektions- und Identifikationsalgorithmen
munities ebenfalls dazu beitragen können, die
realisieren,
20
Prahalad/Ramaswamy weisen dar-
Länge bestehender Produktlebenszyklen deut-
über hinaus auf die zunehmende Bedeutung
lich auszuweiten.28 Etwaige Auswirkungen auf
von Communities als „Experience Environ-
die Reputation und das Image der Unterneh-
ergeben.
21
und betonen somit die immanente
mung sowie mögliche Konsequenzen hinsicht-
Bedeutung spezifischen, userzentrierten Pro-
lich der liquidatorischen Anerkennung auf Kapi-
duktwissens als möglicher Katalysator innovati-
talmärkten könnten letztlich weitere interessan-
ver Produktlösungen. Zugleich zeigt von Hippel
te, moderierende Größen darstellen. Die darge-
die Absorption nur schwerlich zugänglicher Be-
stellten Ausführungen sind abschließend in ei-
dürfnisinformationen bzw. sticky information
nem entsprechend aufbereiteten Bezugsrahmen
potentieller Nachfrager auf und zeigt ebenso auf
präsentiert.
ments“ hin
22
empirischer Ebene,
dass eine frühzeitige Er-
fassung zu den im Weiteren erläuterten Vorteilen eines höheren fit-to-market führen kann.23
Die bisher beschriebenen Vorteilsdimensionen
zielen hierbei insbesondere auf die externe Effektivität der jeweiligen Entwicklungsprozesse
ab. Demgegenüber ergeben sich jedoch ebenso
intern orientierte Effizienzpotentiale, die somit
betont kostenorientiert sind. So kann infolge der
Reduktion iterativer Prozesse insbesondere die
Zeit bis zur Markteinführung (time-to-market)
erheblich reduziert und somit ebenso Kostenvorteile im Entwicklungsprozess (cost-to-market)
erzielt werden.24 Gleichsam ist, infolge des bes18
19
20
21
22
23
24
Vgl. Kozinets 2002, S. 61f.
Vgl. Bartl/ Ernst/ Füller 2004, S. 143.
Vgl. Herstatt/ Sander 2004, S. 116.
Vgl. Prahalad/ Ramaswamy 2003, S. 15.
Vgl. von Hippel 1994, S. 429ff.
Vgl. Brown/ Eisenhardt 1995, S. 366.
Vgl. Reichwald/ Piller 2006, S. 150ff.
25
26
27
28
145
Vgl. Thomke/ von Hippel 2002, S. 76f.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 166f.
Vgl. McAlexander/ Schouten/ Koenig 2002, S. 48.
Vgl. Jeppesen/ Molin 2003, S. 378.
Abb. 3: „Conceptual Framework of Advantage“ virtueller Gemeinschaften
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die
tierten Ansätzen.29 Demzufolge sind die gängi-
Berücksichtigung individueller wie gruppenbe-
gen Erklärungsansätze zur Teilnahmemotivation
zogener Teilnahmemotive letztlich unerlässlich
einerseits an perspektivisch stärker betriebswirt-
für die differenzierte Beurteilung und Realisie-
schaftlich rationalen Kosten-Nutzen-Vergleichen
rung von Vorteilspotentialen erscheint. Eine
und diversen Formen von materieller Belohnung
komprimierte Übersicht erfolgt daher nachfol-
bzw. spezieller Incentives ausgerichtet30 oder
gend in ergänzender Weise.
aber an psycho- und soziologisch geprägte
Sichtweisen angelehnt, wonach eher kollektiv
normorientierte bzw. Aspekte zwischenmensch-
2.3 Implikationen und zentrale Problemfelder
licher Beziehungen sowie Gemeinschaftsaspek-
im Anreiz-Beitrags-Gefüge aus Individu-
te im Fokus der Betrachtungen stehen.31 Dar-
alperspektive
über hinaus finden sich ebenso Ansätze, die
Nachdem nun aus unterschiedlich geprägten
einen kondensierten Zusammenschnitt anstre-
Dimensionen relevante Vorteilspotentiale com-
ben und soziale wie ökonomische Faktoren in
munity-basierter Innovationen aufgezeigt und
einem entsprechenden Gesamtkontext aufzei-
deren Beitrag für den – nicht nur – ökonomi-
gen.32 Somit stellt sich für die Unternehmung die
schen Erfolg der Unternehmung hervorgehoben
grundsätzliche Frage nach der Adäquanz der
wurde, sei nun ein kompakter Überblick hinsicht-
Anreizstiftung, denn so kann der falsche Stimu-
lich der zu berücksichtigenden Implikationen
lus sowohl die falschen Community-Mitglieder
und möglichen Hemmnisse aus Individualper-
attrahieren (z. B. sog. Lurker33), als auch abträg-
spektive dargestellt.
lich auf das erwünschte Ergebnis rückwirken.
Zunächst gilt es herauszustellen, welche implizi-
Zugleich ergibt sich für die in die Entwicklungs-
ten Anreize jeweilige Mitglieder letztlich dazu
prozesse involvierten User jedoch ebenfalls die
bewegen können, an einem durch eine beliebige
Problematik potentieller, psychologischer Kos-
Unternehmung initiierten Entwicklungsprozess
ten. Kaplan et al. zeigen in diesem Zusammen-
zu partizipieren. Der theoretische Bezugsrah-
29
men ergibt sich in diesem Zusammenhang zu-
30
meist aus der Motivationsforschung und somit
31
im Allgemeinen eher ex- oder intrinsisch orien32
33
146
Vgl. Bitzer, 2004, S. 3; Lakhani/ Wolf 2005, S. 4ff.
Vgl. Lüthje 2002, S. 5f.; Shah 2004, S. 4f.;
von Hippel 2001, S. 85; Reichwald/ Piller 2006, S. 135f.;
von Krogh/ Spaeth/ Lakhani 2003, S. 1234.
Vgl. Klandermans 1997, S. 25f.;
Hemetsberger/ Pieters 2001, S. 275f.
Vgl. Bonaccorsi/ Rossi 2003, S. 5;
Rossi/ Bonaccorsi 2005, S. 5.
Vgl. Stegbauer/ Rausch 2006, S. 121.
nomisch erfolgreichen Innovation und dessen
hang aus einer prozessorientierten Sichtweise
34
mögliche Problemfelder auf,
die ebenso in
Auslobung beeinträchtigt wird.
virtueller Hinsicht als mögliche Störgröße auf die
3
Prozessorientierte Analyse communi-
Phase der Produktentwicklung einwirken können.
So
könnten
attraktive
ty-basierter Entwicklungsleistungen
Community-
Teilnehmer infolge eines erhöhten Leistungsrisi-
Nachdem nun die konzeptuellen Leitlinien im
kos
Kontext
bereits
zu
Beginn
der
Community-
virtueller
Gemeinschaften
inhaltlich
Integration von einer Teilnahme absehen, auf-
spezifiziert und die derzeitigen Anforderungen
grund persönlicher Bedenken einen möglichen
an das betriebliche Management hervorgehoben
Innovationsbeitrag leisten zu können. Darüber
wurden, erfolgt nun eine prozessbezogene Ana-
hinaus sind ebenfalls soziale und psychologi-
lyse
sche Risiken zu berücksichtigen, die sich letzt-
leistungen. Es stellt sich hierbei mithin die Fra-
lich in der Befürchtung ausbleibender Anerken-
ge,
nung durch Dritte und einer steigenden Alltags-
kostentheoretisch grundsätzlich effizienten Or-
belastung manifestieren. Daher sollte möglichst
ganisation der Closed-Innovation die Inkauf-
frühzeitig der durch die User zu leistende Ent-
nahme steigender Unsicherheit und Koordinati-
wicklungsumfang bestimmt werden, denn an-
ons- sowie Abstimmungskosten37 zugunsten
sonsten können sich die subjektiv empfundenen
einer community-basierten Entwicklung als för-
Interaktions- und Opportunitätskosten explizit
derlich für den Innovationserfolg der Unterneh-
erfolgskritisch auf die Teilnahmemotivation aus-
mung erweist. Es erfolgt daher nun eine diffe-
wirken.35 Überlegungen hinsichtlich etwaiger
renzierte und kritische Betrachtung in welcher
Aufwandsentschädigungen
Art und Weise hierbei mögliche Innovationspo-
sind
demzufolge
community-basierter
wann
sich
aus
einer
Entwicklungs-
transaktions-
ebenfalls vor dem Hintergrund eines finanziellen
tentiale und -beiträge evoziert werden können.
Risikos anzustellen.
3.1 Prozessuale Interaktionsoptionen com-
Bevor nun im Weiteren eine prozessorientierte
munity-gestützter Entwicklungsprozesse
Untersuchung community-basierter Innovatio-
Um eine möglichst generalisierbare Untersu-
nen durchgeführt wird, sei abschließend auf die
chung zu erzielen, orientiert sich hierbei die
bedeutsame Problematik der Intellectual Proper-
Zweckdienlichkeit eines adäquaten und aussa-
ty Rights (IPR) für Unternehmen wie Communi-
gefähigen Prozessmodells zunächst am Kriteri-
36
Letztlich könnten
um eines optimalerweise geringen Detaillie-
einerseits Unternehmen von weiteren Koopera-
rungs- und Spezialisierungsgrades. Hierzu fin-
tionen absehen, da empfindliches Unterneh-
den sich in der Literatur verschieden umfangrei-
menswissen über interne Prozesse und Verfah-
che jedoch inhaltlich zumeist ähnliche Prozess-
ren transferiert werden müsste und andererseits
modelle.38 Aufgrund der vereinfachten Prozess-
die Attraktivität der Teilnahme auf User-Ebene
orientierung dient als Grundlage der weiteren
insbesondere durch das mögliche Missverhält-
Betrachtungen eine Modifikation des klassi-
nis des kreativen Eigenbeitrages zu einer öko-
schen Stage-Gate-Modells nach Cooper.39
34
37
ty-Mitglieder hingewiesen.
35
36
Vgl. Kaplan et al. 1974, S. 287ff.
Vgl. Hui/ Bateson 1991, S. 181f.;
Lerner/ Tirole 2002, S. 197ff.
Vgl. West/ Vanhaverbeke/ Chesbrough 2006, S. 285ff.;
Nambisan 2002, S. 410ff.
38
39
147
Vgl. Sawhney/ Prandelli 2000, S. 24; Coase 1937, S. 388.
Vgl. hierzu bspw. Herstatt 1999, S. 73;
Cooper 1996, S. 479; Pleschak/ Sabisch 1996, S. 24;
Hughes/ Chafin 1996, S. 93.
Vgl. Cooper 1996, S. 478f.
Nutzung global-reziproker Kreativitätspotentiale
Abb. 4: Generalisierte Phaseneinteilung im In-
infolge der Austauschprozesse zwischen den
novationsprozess
jeweiligen Usern. So tragen hierbei Formen des
kreativen Lernens zur eigentlichen Neuartigkeit
möglicher Konzeptvorschläge bei,42 entgegen
den klassischerweise auf das Potential des Ein-
Es gilt sogleich zu Beginn deutlich darauf hin-
zelnen beschränkten Ideenwettbewerben. Die
zuweisen, dass eine differenzierte Betrachtung
größte Schwierigkeit ergibt sich jedoch während
des Community-Einsatzes auf prozessorientier-
dieser Anfangsphase potentiell aus der Identifi-
ter Basis bisher keine oder eine nur unzurei-
kation geeigneter Communities, den dabei anfal-
chende Beachtung in wissenschaftlichen Publi-
lenden Suchkosten sowie der gezielten Auswahl
kationen findet. Obgleich diverse Autoren mögli-
jeweiliger Konzeptvorschläge.43 Ein systemati-
che Ansätze entlang des Innovationsprozesses
sches Monitoring und methodengestützte Aus-
40
aufzeigen,
wahlprozesse sind daher insbesondere in dieser
fehlt weithin eine fundierte empiri-
sche Untersuchung und es werden vielmehr
frühen Phase unabdingbar.
z. T. bekannte Konzepte in den virtuellen Kon-
In der sich daran anschließenden Entwicklungs-
text transferiert. Eine entsprechende empirisch
phase erfolgt sodann die funktionale Bestim-
orientierte Untersuchung des Möglichkeitsrau-
mung und Entwicklung des Produktes und somit
mes von Communities und den notwendigerwei-
die Realisierung der im Vorfeld zu bestimmen-
se zu unterscheidenden Fähigkeiten ihrer jewei-
den, konkreten Ausprägungen von Kern- und
ligen Mitglieder fehlt indes vollends. Eine Be-
Zusatznutzen. User-Designs und virtuelle Tool-
rücksichtigung des Vernetzungscharakters und
kits44 können hierbei einen wertvollen Beitrag zu
der daraus resultierenden Implikationen wird
innovativen Inventionen leisten. Die Bereitstel-
somit zumeist systematisch vernachlässigt. Es
lung von Toolkits sowie die Zugänglichkeit bis-
erfolgt daher nun eine differenzierte Darstellung
heriger Designs sind, ähnlich wie im Falle der
der jeweiligen konzeptuellen Ansätze entlang
Ideengenerierung, aus lerntheoretischer Sicht
der generalisierten Phasen des Innovationspro-
potentiell dann vorteilhaft, wenn sie die Möglich-
zesses und eine darauf hin kanalisierte, mögli-
keit der gegenseitigen Inspiration eröffnen und
che Darstellung ihrer spezifischen Wirkungs-
somit den oftmals begrenzten Kreativitätspoten-
zusammenhänge.
tialen des Einzelnen den Möglichkeitsraum der
Eine Betrachtung der anfänglichen Ideenfin-
Gemeinschaft eröffnen. Spätestens während
dungs- und Ideenbewertungsphase konzentriert
dieser Phase sollten für eine intensivere Zu-
sich zunächst auf die umfangreiche Sammlung
sammenarbeit nun diejenigen User-Typen iden-
kreativer Beiträge über eine möglichst hohe
tifiziert werden, die sich über innovative Beiträge
Anzahl an Usern hinweg. Die Selektion zahlrei-
und ein hohes Objekt- und Verwendungswissen
cher Konzeptvorschläge kann dabei auf einem
auszeichnen (siehe hierzu die eng zulaufende
Kontinuum von bereits vorhandenen, betriebsin-
Trichterform in Abb. 5). In Anlehnung an Kozi-
tern wie -extern entwickelten Beiträgen erfol-
nets könnte man hierbei von Devotees und In-
gen.41 Der zentrale Vorteil in dieser Frühphase
sidern sprechen, aufgrund ihres erhöhten Pro-
des Innovationsprozesses entsteht durch die
42
40
41
43
Vgl. Bartl et al. 2004, S. 3; Nambisan 2002, S. 393ff.
Vgl. Lengnick-Hall 1996, S. 798f.
44
148
Vgl. Prandelli/ Verona/ Raccagni 2006, S. 111.
Vgl. Brockhoff 2005, S. 873.
Vgl. von Hippel/ Katz 2002, S. 821ff.
könnten somit zugleich zu neuen Co-Sellern im
dukt- und Verwendungswissens sowie ihrer
zumeist hohen Problemlösungs-kompetenz.
45
Vertriebssystem werden. Eine Fallunterscheidung je Produktkategorie und eindeutige Auslo-
Obgleich nun einige Restriktionen hinsichtlich
bungsmodalitäten wären hierbei jedoch zwin-
der Testphase und Markterprobung im Falle von
gend notwendig.
insbesondere tangiblen Gütern bestehen, ist
dennoch eine virtuelle Darstellung von Funkti-
Nachdem nun aus insbesondere prozessorien-
onszusammenhängen und zentralen Produktei-
tierter Perspektive mögliche Anwendungsfelder
genschaften möglich sowie etwaige Anwen-
aufgezeigt wurden, schließt sich nun eine Dar-
dungsprobleme frühzeitig erfass- und um aus
stellung der in wissenschaftlichen Publikationen
der Community generierte Lösungsvorschläge
diskutierten Methoden der virtuellen Kundenin-
46
ergänzbar.
Während dieser Phase sollte die
tegration
Kollaboration nun wieder großflächig auf die
im
Neuproduktentwicklungsprozess
an.
gesamte Community ausgeweitet werden (siehe
3.2 Methodenbasierte Fundierung und in-
wiederum die nun breite Trichterform im An-
strumentelle Umsetzung der virtuellen
schluss an die Entwicklungsphase gemäß Abb.
Kundenintegration
5), denn entgegen diverser Publikationen47 ist
Im Anschluss an die aufgezeigten Community-
davon auszugehen, dass eben nicht Insider und
Beiträge in der Neuproduktentwicklung, erfolgt
Launching Customers in adäquater Weise der
nun eine Einführung in die Methodik hinsichtlich
Vielzahl an Anwendern und späteren Adoptoren
der konkreten Entwicklungskollaboration.
entsprechen, sondern eine gemeinsame, community-basierte Diskussion von bspw. Anwen-
Insbesondere während der frühen Phasen des
dungsproblemen usw. hierbei wesentlich zweck-
Innovationsprozesses können die von Kozinets
mäßiger erscheint und gleichsam die Potentiale
beschriebenen
49
der Community berücksichtigt.
angewandt werden.
dürfnis- und Motivationsstrukturen sowie der
Entwicklungskosten angefallen sind und betrieb-
Erfassung von Verwendungsgewohnheiten und
liche Ressourcen aufgewandt wurden. Als zent-
innovativen Beiträgen zu neuartigen Produkt-
ral sollte hierbei eine aktive Nutzung von besteals
konzepten. Somit ist insbesondere während der
Innovations-
Anfangsphase eine methodisch fundierte Unter-
promotoren48 angesehen werden. Um nun eine
suchung von Bulletin Boards, News- und U-
möglichst breite und schnelle Bekanntheit sowie
sergroups oder Blogs möglich und eine entspre-
den erwünschten Markterfolg zu erzielen, sind
chende Kategorisierung nach Insidern und De-
bspw. mögliche Entlohnungssysteme und Ver-
votees i. S. Kozinets realisierbar. Nachdem so-
kaufsförderungen denkbar, die von konkreten
Umsatzbeteiligungen
der
Diese qualitativ und in-
bei im virtuellen Kontext der Analyse von Be-
als hoch erfolgskritisch anzusehen, da bereits
Communities
Methoden
haltsanalytisch geprägten Ansätze dienen hier-
Die letzte Phase der Markteinführung ist mithin
henden
netnographischen
dann relevante Communities und deren User
Community-
ausgewählt wurden, bspw. durch Kriterien wie
Teilnehmer bis zur Partizipation an exklusiven
Hit-Rates oder Qualität der Posts, erfolgt die
Events hinreichen. Bisherige Co-Produzenten
eigentliche Entwicklungsleistung. Im Rahmen
45
46
47
48
des inderdisziplinär ausgerichteten Forschungs-
Vgl. Kozinets 2002, S. 61ff.
Vgl. Jeppesen/ Molin 2003, S. 374.
Vgl. Ulhøi 2004, S. 1107f.; Brockhoff 2005, S. 864.
Vgl. Witte 1973, S. 15f.; Jeppesen/ Frederiksen 2006, S.
45f.
49
149
Vgl. Kozinets 2002, S. 61ff.
projektes der Virtual Customer Initiative des
verschiedenartigen Fähigkeiten, zu unterschei-
MIT, schlagen hierzu Dahan/Hauser nun sechs
denden Community-Mitglieder entlang der spe-
50
zifischen Phasen des Innovations-prozesses
Dabei erfolgt im ersten Schritt die Durchführung
zumeist ausbleibt. Doch ergeben sich eben aus
eines sog. Informationpump, zur Reduktion der
der Vielfalt jener Mitglieder die zu Beginn des
oftmals komplexen und hoch unsicheren Fuzzy
Beitrags genannten Vorteilspotentiale und ent-
nacheinander
anwendbare
51
Methoden
vor.
Die Methode basiert letztlich
falten hierbei ihre eigentümliche Innovativität im
auf dem Konzept virtueller Fokus-Gruppen und
Wirkungsgefüge reziproker Interaktionsprozes-
des interaktiven Austausches mehrerer Com-
se. Dies zeigt sich nunmehr pointiert anhand der
munity-Teilnehmer. Dies zeigt sich hierbei ex-
bereits erwähnten Abbildung, denn so ist neben
emplarisch anhand der breiten Trichterform zu
einem phasenspezifischen Einsatz jeweiliger
Beginn
Methoden eine Orientierung an der Breite des
Front End Phase.
der
Ideenfindungs-
und
-
bewertungsphase in der nachfolgenden, die
Such- und Lösungsraumes unabdingbar.
bisherigen Ausführungen nun zusammenfas-
Es gilt darüber hinaus insgesamt darauf hinzu-
senden Abbildung. Daran anknüpfend kann im
weisen, dass die dargestellten Methoden an
weiteren Verlauf eine Web-Based Conjoint Ana-
diesem Punkt lediglich einen Ausschnitt mögli-
lysis sowie Fast-PACE52 je User angewandt
cher Anwendungen abzubilden vermögen und
werden, zur zügigen und differenzierten Erfas-
sich insbesondere im Rahmen aktueller Trans-
sung individueller Präferenzen, für die weitere
formationsprozesse hin zu verstärkt interaktiven
Gestaltung des Kernprodukts und immanenten
Internettechnologien zukünftig potentiell weitere
Zusatznutzens. Die daran anknüpfende, konkre-
Interaktionsmöglichkeiten und
te Umsetzung im Entwicklungsprozess kann
neue Methoden der virtuellen Kundenintegration
schließlich durch spezielle User-Designs und
und
Toolkits erfolgen, bevor in der zum Ende statt-
community-basierten
Entwicklungs-
kollaboration eröffnen werden.
findenden Phase der Markterprobung letztlich
3.3 Anwendungsbeispiele community-
virtuell gestaltete Produkttests durchgeführt und
basierter Innovationsleistungen
diese im Anschluss auf virtuellen Markt- bzw.
Börsenplätzen gehandelt werden,53 um bereits
Im Anschluss an die nun bisher eher modellhaft
frühzeitig über einen Preismechanismus mögli-
und
che Präferenzen und Forecasts auf User-Ebene
schließt sich nachfolgend eine Übersicht aktuel-
ex ante abbilden zu können.
ler Anwendungsbeispiele tangibler und intan-
konzeptuell
geprägten
Ausführungen
gibler Güter an.
Es gilt an dieser Stelle jedoch explizit darauf
hinzuweisen, dass entgegen der Vielzahl der
Im Besonderen sollen hierbei zunächst die
bisher dargestellten Ansätze eine differenzierte
Community-Aktivitäten der Lego Group sowie
Betrachtung und Nutzung der, hinsichtlich ihrer
Electronic Arts Inc. (EA) im Falle der Entwicklung des Computerspiels „The Sims“ aufgezeigt
50
51
52
53
Vgl. Dahan/ Hauser 2001, S. 332ff.
Vgl. Reid/ de Brentani 2004, S. 171f.
Die sog. Fast-PACE (Fast Polyhedral Adaptive Conjoint
Estimation) gehört zu den neueren Methoden der Präferenzmessung. Im Kern können hierbei durch adaptive
Fragensets und moderne Algorithmen relativ robuste Parameter bei geringerem Befragungsaufwand geschätzt
werden, im Vergleich zu den klassischen Ansätzen der
Conjoint-Analyse. Vgl. hierzu ausführlich Toubia et al
2003, S. 273ff.
Vgl. Spann/Skiera 2003, S. 1310ff.
werden. Eine systematische Zusammenstellung
dieser und weiterer Beispiele erfolgt sodann
anschließend in übersichtlicher, tabellarischer
Form.
150
Abb. 5: Intertemporale Abfolge community-basierter Entwicklungsleistungen
bildet die EA-Community57 den eigentlichen Nuc-
Die Aktivitäten der Lego Group sind hierbei im
leus der Gemeinschaft. Dabei gilt indes deutlich
Hinblick auf community-gestützte Entwicklungs54
prozesse ebenso umfangreich wie fortschrittlich.
hervorzuheben, dass sich der Erfolg des Compu-
So finden sich über alle Phasen des Innovations-
terspiels nahezu direkt aus der Community er-
prozess hinweg zahlreiche Instrumente zur Ges-
gibt,58 da über lokal zu installierende Toolkits die
taltung aktiver Austauschprozesse zwischen den
eigentliche Entwicklungsarbeit der Spielewelt über
Usern. Neben Foren, Messageboards und Com-
alle User hinweg erfolgt. Die User sind zugleich
munity-Blogs sind ebenso Club-Pages verfügbar,
über eine Exchange Schnittstelle miteinander
auf denen aktive Mitglieder ihre eigene, communi-
vernetzt und können aus dem Spielgeschehen
ty-basierte Homepage einrichten können. Zahlrei-
heraus Objekte und Designs anderen Usern zur
che Videos von speziellen Lead-Usern, sog. Lego
Verfügung stellen, die wiederum durch die Com-
55
Certified Professionals, finden sich auf den In-
munity bewertet und ggf. „awarded“ werden kön-
ternetseiten und motivieren gleichsam zur Nut-
nen. Entwickler-Blogs und Offline Events tragen
56
zung des CAD-Toolkits „Lego-Digital-Designer“.
zusätzlich zur Vernetzung der Community bei und
Die damit entworfenen Objekte können anschlie-
erhöhen die ohnehin hohe Bindungsqualität zwi-
ßend unmittelbar an Lego gesandt, im Shop an-
schen bestehenden sowie potentiellen Mitentwick-
geboten sowie in der Community diskutiert wer-
lern und Electronic Arts.
den. Insgesamt schafft die Lego Group mit ihren
Im Anschluss an diesen kurzen Zusammenschnitt
umfangreichen community-basierten Interaktions-
der beiden Anwendungsbeispiele sei nun eine
optionen somit eine breite Basis für community-
extensive Darstellung weiterer Praxisbeispiele
getriebene Entwicklungsprozesse.
vorgenommen. Hierbei wird zunächst in tabellari-
Im Falle von „The Sims“ findet sich demgegen-
scher Form eine knappe Kurzbeschreibung voll-
über eine ebenso komplexe wie umfangreiche
zogen, woran sich eine Abgrenzung der Prozess-
Community-Struktur. Neben zahlreichen Fansites
phasen, den eingesetzten Methoden sowie deren
ökonomischer
54
55
56
Vgl. Schultz/ Hatch 2003, S. 8.
Vgl. Lego Group 2007a.
ebenda.
57
58
151
Konsequenz
Vgl. Electronic Arts Inc. 2007.
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 240.
anschließt.
Unternehmung
59
60
61
62
User als Promotoren der lateralen Diversifikation (Becks Lifestyle, Fashion, Musik)
steigende User-Zahlen und Hit-Rates;
über Logo-Entwicklung hinausgehende
Effekte jedoch spekulativ und nicht belegt
User Designs, Toolkit (online)
sowie anschließende
Workshops
Ideenwettbewerb
Ideenwettbewerb
(via Online Toolkit und/oder
userspezifische Applikationen)
Ideenwettbewerb
Ideenwettbewerb
Ideen- und Designwettbewerb
zur Generierung neuer MotivVorlagen
„Beck’s it!“ Designwettbewerb
(Open) Logo
Designwettbewerb
Erschließung neuer Goldvorkommen
Vgl. Lego Group 2007b.
Vgl. Prügl/ Schreier 2006, S. 240.
Vgl. Füller/ Mühlbacher/ Rieder 2003, S. 40.
Vgl. Tapscott/ Williams 2006, S. 9.
152
Initiative „Innovate with Kraft“
(Ideenwettbewerb hinsichtlich
neuer Produkte, Prozesse und
Verpackungen)
nicht bekannt; es fehlt jedoch Vernetzung
zu existierenden Kraft-Communities
(z. B. über bereits bestehende „My Recipe Exchange“)
Identifikation 110 neuer Goldvorkommen
62
und zunehmende Marktkapitalisierung
Generierung 263 neue Designs sowie
Erfassung neuer Trends (z. B. TierMotive)61
weltweit erfolgreichstes Computerspiel60
User Designs, Toolkits, Conventions und spez. Workshops
Inventionen und neue Produktlinien /
-varianten;59 Cross-Selling via Lego
Mindstorms
ökon. Konsequenz / wirtsch. Erfolg
Entwicklung innovativer Spielobjekte
Methoden
User Designs, Toolkits (offline), Lead-User-Integration
Prozessphasen
Identifikation 110 neuer Goldvorkommen und zunehmende Marktkapitalisierung62
Produktentwicklung via CADToolkits und systematische
Lead-User-Entwicklung
Kurzbeschreibung
Inventionen und neue Produktlinien /-varianten;59
weltweit erfolgreichstes Computerspiel60
Generierung 263 neue Designs sowie Erfassung neuer Trends (z. B. Tier-Motive)61
Die deskriptiv orientierte Übersicht der Fallbei-
und virtuelle Gemeinschaften hierbei ein mögli-
spiele fällt somit erwartungsgemäß heterogen
ches Instrument darstellen, zur Verwirklichung
aus und bestätigt sogleich die Tendenz der häu-
intensiver Kundenbindung und somit ceteris
fig nur mäßigen Nutzung community-basierter
paribus längerfristigem Markterfolg.
respektive interaktiver IuK-Technologien.
63
Es
4
gilt darüber hinaus zusätzlich im Besonderen zu
Revision moderner Produktentwicklungsprozesse durch
beachten, dass eine aktive Nutzung von Com-
Virtual Communities
munities im Rahmen der Produktentwicklung
nicht mit temporär stattfindenden Ideen- oder
Nachdem nun aus insbesondere prozessorien-
Designwettbewerben gleichzusetzen ist. Denn
tierter Perspektive eine Untersuchung communi-
es wird hierbei nicht an den Potentialen einer
ty-basierter Innovations-potentiale nebst prakti-
vernetzten Community angesetzt, sondern viel-
kabler Umsetzung anhand der zuvor dargestell-
mehr eine kurzfristig orientierte Abschöpfung
ten Unternehmensbeispiele erfolgte, schließt
geistigen Eigentums vollzogen und somit gleich-
sich nunmehr eine kritische wie differenzierte
sam die Fülle an weiteren Erfolgspotentialen
Rück- und Vorschau zum Betrachtungsobjekt
virtueller Gemeinschaften vertan. Darüber hin-
virtueller Communities in der Produktentwick-
64
aus sei entgegen empirischer Ergebnisse
lung an und beschließt gleichsam vorliegenden
an-
Beitrag.
gemerkt, dass die kommerzielle Orientierung
von jeweiligen Nachfragern und Community-
4.1 Diskurs zur Anwendungseignung virtuel-
Mitgliedern als potentiell nicht zu vernachlässi-
ler Communities in der Produktentwick-
gende, moderierende Variable berücksichtigt
lung
und zwischen verschiedenen Branchen differenDie bisherigen Ausführungen machten letztlich
ziert betrachtet werden sollte. So eröffnen die
eines besonders deutlich: die markt- und be-
jeweiligen Anbieter, insbesondere im Fall physi-
trieblichen Bedingungen moderner Unterneh-
scher Konsumgüter, in steigendem Maße die
mungen verändern sich zusehends. Technologi-
Option der Angebotseinstellung auf entspre-
sche
chenden Shop-Seiten sowie die etwaige Auslo-
Transformationsprozesse,
dynamische
Konkurrenzgefüge und die Genese eines bis
bung spezifischer Produktideen. Problematisch
dato unbekannten Consumer Empowerments
ist hierbei jedoch ebenfalls die z. T. praktizierte
forcieren gleichsam die implizite Notwendigkeit
Aberkennung von Verfügungsrechten sowie
einer adäquaten Reaktion und Anpassung des
oftmals der Abtretung aller Ansprüche geistigen
betrieblichen Managements. Doch so stellt sich
Eigentums.
mithin die Frage, welchen Beitrag virtuelle
Zusammenfassend zeigt die kompakte Über-
Communities hierbei zu leisten imstande sind.
sicht derzeitiger Anwendungsbeispiele, dass
Einerseits zeigte sich, dass eine Integration und
sich infolge community-basierter Entwicklungs-
Zusammenarbeit mit virtuellen Communities
gemeinschaften insbesondere für diejenigen
entlang aller Phasen des Innovationsprozesses
Unternehmungen bedeutsame Vorteilspotentiale
explizite Vorteilspotentiale eröffnet.65 Die effi-
realisieren lassen, die sich in Märkten stetig
ziente Absorption nur schwerlich zugänglicher
steigender Wettbewerbsintensität bei gleichzei-
„sticky information“, die Reduktion hoher Misser-
tiger Multioptionalität der Konsumenten befinden
63
64
folgsraten in Innovationsprozessen bei gleich-
Vgl. Prandelli/ Verona/ Raccagni 2006, S. 124.
Vgl. Franke/ Shah 2003, S. 158ff.
65
153
Vgl. Paustian 2001, S. 15.
zeitiger Erhöhung des individuellen Bedürfnis-
onsbereiche stärker als zuvor hin zu einem inte-
Leistungs-Fit mit Hilfe von User Designs und
grativen Entwicklungsprogramm auszu-richten,67
spezieller Toolkits, die Realisierung erhöhter
da Programmierer von Plattformen und Toolkits
Kundenloyalität oder die breite, community-
die technische Machbarkeit mit den Mitarbeitern
getriebene Diffusion neuer Produkte waren hier-
der Produktion abstimmen müssen, zugleich gilt
bei lediglich ein Ausschnitt dieser Möglichkeiten.
mit den Abteilungen des operativen Marketing
zu prüfen, welche Schnittstellen mit der Unter-
Doch wäre eine ausschließliche Fokussierung
nehmung rückgekoppelt werden (z. B. direkte
dieser Potentiale ebenso einseitig, wie den Er-
Preisausgabe i. S. d. Pricing oder ad hoc Selek-
folg der Unternehmung gefährdend. Denn ob-
tionsmechanismen zur Bildung innovativer User-
gleich jene dargestellten Methoden eine z. T.
Cluster) und letztlich Rechtsabteilungen, welche
effiziente Option bieten, konsumentenorientierte
die Freigabe des unternehmensinternen und
bzw. konsumenteninduzierte Produkte zu entwi-
Nutzung des userspezifischen, externen geisti-
ckeln, so fallen dennoch zu Beginn nicht uner-
gen Eigentums beurteilen müssen. Andererseits
hebliche Suchkosten an, im Hinblick auf die
ist jenes interne, funktional orientierte Schnitt-
Auswahl adäquater Communities und deren
stellenmanagement ebenso an den externen
User, es werden zugleich Personalkapazitäten
Schnittstellen der Community auszurichten. Die
und betriebliche Ressourcen gebunden sowie
Community insgesamt, nicht nur aus techni-
oftmals hohe Investitionen66 in die jeweiligen
scher Sicht, bedarf hierbei der stetigen Pflege,
technischen Infrastrukturen notwendig. Darüber
des Monitorings und der Analyse von Content-
hinaus stehen vermeintlich geringeren Entwick-
Informationen sowie Motivation besonders wert-
lungskosten neben anfallenden Investitionen
voller Mitentwickler. Darüber hinaus sind techni-
zusätzlich erhöhte Koordinations- und Abstim-
sche, methodische und funktionale Kompeten-
mungskosten im Entwicklungsprozess gegen-
zen wiederum um motivatorische Aspekte der
über. Unternehmungen sehen sich somit zu-
betrieblichen Mitarbeiter aus formeller wie in-
sammenfassend einem zu Beginn beträchtli-
formeller Hinsicht zu prüfen. So gilt es ebenfalls
chen Unsicherheitsfaktor gegenüber. So stehen
bewährte Unternehmensstrategien, die Bedeu-
den zu leistenden Investitionen und erhöhten
tung der betrieblichen Kultur und Struktur auf die
Aufwendungen ein nur schwerlich abschätzba-
notwendige Kongruenz dieser neuen Anforde-
rer Erfolg und eben genannte Vorteilsdimensio-
rungen und eines etwaigen Veränderungsma-
nen entgegen. Zu berück-sichtigende Schnitt-
nagements zu hinterfragen.68 Interne Wider-
stellenaspekte werden daher nun nachfolgend in
stände i. S. d. „not-invented-here Syndroms“69
abschließender Weise betrachtet.
sind dabei insbesondere in den frühen Phasen
4.2 Anforderungen und Implikationen für das
der Entwicklungsarbeit zu prüfen und Lösungs-
betriebliche Schnittstellenmanagement
strategien abzuleiten. Dieser grundsätzliche
Falls nun infolge spezifischer Kooperationsgefü-
Gedankengang manifestiert sich ebenso in der
ge mit virtuellen Communities letztlich steigende
Umgestaltung derzeitiger Unternehmensfunktio-
Abstimmungs- und Koordinationskosten resultie-
nen. So ist es u. a. eine Konsequenz der vorhe-
ren, hat dies wiederum fundamentale Konse-
rigen Beschreibungen, dass Unternehmungen
quenzen für die Organisation der Unterneh-
wie Procter & Gamble ein Rebranding bisheriger
mung. So sind einerseits die jeweiligen Funkti-
67
68
66
69
Vgl. Franke/ Piller 2003, S. 584.
154
Vgl. Lagrosen 2005, S. 431.
Vgl. Wecht 2006, S. 126ff.
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