Pater Georg Maria Roers SJ Künstlerseelsorger Erzdiözese München

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Sendung vom 12.01.2009, 20.15 Uhr
Pater Georg Maria Roers SJ
Künstlerseelsorger Erzdiözese München und Freising
im Gespräch mit Dr. Sabine Rauh
Rauh:
Herzlich willkommen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, zum alphaForum. Unser Gast im Studio ist heute Pater Georg Maria Roers. Herzlich
willkommen, Herr Roers.
Roers:
Grüß Gott.
Rauh:
Sie sind Künstlerseelsorger in der Erzdiözese München und Freising.
Künstlerseelsorger, Seelsorger für die Künstler: Warum brauchen Künstler
einen eigenen Seelsorger?
Roers:
Das ist einfach deswegen so, weil die Künstler eine besondere Gruppe in
unserer Gesellschaft darstellen, die oft sozusagen auch Prophetisches
erspüren und deswegen einen entsprechenden Seelsorger brauchen. Es
gibt ja auch sonst spezielle Seelsorge wie z. B. die Krankenhausseelsorge,
die Zirkusseelsorge, die Gefängnisseelsorge usw. Und so gibt es jetzt eben
auch einen Künstlerseelsorger.
Rauh:
Können Sie denn, ohne irgendwelche Vertraulichkeiten und Geheimnisse
zu verletzen, versuchen, uns ganz kurz zu erklären, worin spezifische
Probleme von Künstlern bestehen können, mit denen sie zu Ihnen
kommen?
Roers:
Zunächst einmal bemerke ich in der letzten Zeit, dass auch vermehrt
Künstlerinnen und Künstler zu mir kommen, wenn sie finanzielle Probleme
haben. Das ist in der letzten Zeit tatsächlich mehr geworden. Die meisten
unserer Zuschauer werden wahrscheinlich nicht wissen, dass ein bildender
Künstler im Jahr durchschnittlich 15000 Euro verdient. Wie gesagt, ich rede
von einem Jahr! Man kann sich also vorstellen, dass das ein recht eng
bemessenes Budget ist. Ansonsten fühle ich mich einfach wie ein Pfarrer,
der halt lediglich eine spezielle Gemeinde hat. Ein Pfarrer hat in seiner
Gemeinde viele verschiedene Gruppen und auch unter den Künstlern gibt
es verschiedene Schwerpunkte. Literaten sind ganz anders "gestrickt" als
bildende Künstler, und Komponisten sind ganz anders gestrickt als Sänger
und Schauspieler. Insofern unterscheiden sich also die Genres und die
Anfragen an mich. Es sind auch durchaus geistliche Gespräche mit dabei,
aber es sind eben vor allem Gespräche über Kunst und Kultur: Ich stehe als
Künstlerseelsorger eben auch gerade für den Dialog mit der Kultur in
unserem Bistum. Es sind also viele Gespräche, die um das jeweilige Werk
kreisen. Das heißt, bevor ich ins Theater gehe oder in eine Ausstellung, in
der ein Künstler, den ich kenne, mit involviert ist, schaue ich mir eben auch
sein Werk an. Ich halte es auch für recht wichtig, dass ich das so mache.
Rauh:
Dabei geht es um die Auseinandersetzung zwischen einem einzelnen
Künstler oder einer Gruppe von Künstlern und Ihnen. Diesbezüglich gibt es
ja eine gewisse Tradition in der Erzdiözese München und Freising, die Ihr
Vorgänger, Monsignore Ott, etabliert hat. Es gibt z. B. die
Aschermittwochsgottesdienste für Künstler. Zuschauer des Bayerischen
Rundfunks kennen diese Messe, weil wir sie regelmäßig übertragen. Es gibt
darüber hinaus auch bestehende Gesprächskreise usw. Ich habe jedoch
den Eindruck, dass ein ganz wichtiger Bereich Ihrer Arbeit über den Dialog
mit dem einzelnen Künstler hinausreicht: Ich meine die Kunstvermittlung
innerhalb der Kirche. Ich stelle mir das als nicht so ganz einfach vor. Die
Beziehung zwischen Kunst und Kirche – egal ob evangelische Kirche oder,
wie in Ihrem Fall, katholische Kirche – ist vielschichtig und wohl nicht immer
so ganz einfach.
Roers:
Das ist vollkommen richtig, das ist wirklich eine sehr, sehr verzwickte und
verzwackte Geschichte. Zunächst einmal gibt es ja in den Zehn Geboten
gleich am Anfang das klare Bekenntnis zur Bildlosigkeit, das im Judentum
und im Islam auch sehr viel strenger gehandhabt wird als im Christentum.
Im Christentum gibt es da eine ganz andere Tradition, weil schlicht und
ergreifend Jesus Christus Mensch geworden ist: Der Gottessohn ist
Mensch geworden, hat also ein Antlitz. Und das ist nicht nur das Antlitz im
Turiner Grabtuch, sondern es gibt darüber hinaus in vielen, vielen Ikonen, in
der Malerei und Bildhauerei der mittelalterlichen Tradition
Christusdarstellungen. Es hängen heute also in vielen Museen der Welt
solche Motive mit christlicher Thematik. Diese Tradition weiterzuführen ist
aber ein schwieriges Unterfangen, und zwar deshalb, weil es heutzutage
nicht mehr so ganz selbstverständlich ist, dass Künstlerinnen und Künstler
mit den Themen der Kirche vertraut sind. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wir
hatten vor einigen Jahren im Diözesanmuseum in Freising eine Ausstellung
über das Thema "Madonna". Aber nicht jeder Künstler hat heutzutage einen
Zugang zu Maria. Es war dann auch in der Ausstellung deutlich zu sehen,
dass es da eine gewisse Ratlosigkeit gibt, die sich dann auch durchaus in
den künstlerischen Lösungen niederschlägt. Das heißt natürlich nicht, dass
da nicht auch sehr qualitätvolle Kunst dabei gewesen wäre – im Gegenteil,
denn das war sehr wohl der Fall. Aber es ist einfach nicht mehr ganz so
einfach, sich diesem Thema anzunähern. Ein wunderschönes Beispiel ist
der österreichische Künstler Arnulf Rainer: Ich würde sagen, er ist der
wichtigste zeitgenössische bildende Künstler Österreichs. Er übermalt
Kreuze! Und zwar seit Jahrzehnten. Diese Bilder von ihm hängen z. B. auch
in der Pinakothek der Moderne in München. Das ist ein wunderschönes
Beispiel dafür, dass ein zeitgenössischer Künstler sich der Tradition
annimmt und sie auch weiterführt in unser neues Jahrtausend.
Rauh:
Sie haben gerade gesagt, dass es nicht so einfach ist, sich dem Thema
anzunähern. Wie haben Sie sich denn persönlich diesem Thema
angenähert? Sie sind groß geworden am Niederrhein, in Rees, und sind
aufgrund Ihres Alters von den 70er-Jahren und den beginnenden 80erJahren geprägt worden. Wie kommt also ein Junge in Rees darauf, sich mit
diesem Thema auseinanderzusetzen?
Roers:
Nun, da kann ich Ihnen gleich mit einem Landschaftsbild antworten. Wenn
man nämlich mit dem Fahrrad durch die Niederrheingegend oder durch
Holland radelt, dann hat man immer drei viertel Himmel und ein Viertel Erde
vor sich. Schon daraus ergibt sich also eine gewisse Neigung, die
himmlischen Mächte ernst zu nehmen. Ich bin in einer katholischen Familie
groß geworden, war dann Ministrant und im Chor usw., habe
Jugendwallfahrten mitgemacht wie z. B. eine Wallfahrt nach Kevelaer, die ja
seit 350 Jahren stattfindet. So hat sich also bei mir bereits von Kindheit an
eine Beschäftigung mit der Kirche ergeben. Wir wohnten auch direkt am
Kirchplatz mit einer riesigen klassizistischen Kirche, wie sie auch auf einer
griechischen Insel stehen könnte, weil sie irgendwie wie ein griechischer
Tempel aussieht. Darüber hinaus habe ich auch eine musikalische
Ausbildung genossen: von der Blockflöte über die Gitarre zum Kontrabass
und zum Kammerorchester. Als ich dann die letzten Schuljahre vor dem
Abitur im Internat war – das waren für mich sehr wichtige Jahre –, habe ich
noch einmal eine ganz andere Welt kennengelernt, denn da kamen das
Theater und die Literatur und die bildende Kunst mit dazu.
Rauh:
Nun hätten Sie mit diesem Hintergrund aber auch einfach "nur" Priester
werden können.
Roers:
Das ist richtig.
Rauh:
Sie haben aber im Internat die bildende Kunst und das Theater entdeckt.
Wer hat Sie dabei geprägt?
Roers:
Geprägt hat mich im Internat, das ist gar keine Frage, Franz Joseph van der
Grinten, der Kunstlehrer, den ich damals zunächst einmal noch nicht sehr
gut kannte, der mir dann aber schon sehr bald vertrauter wurde. Er ist
jedenfalls derjenige, der mich zusammen mit seinem Bruder am meisten
geprägt hat. Er und sein Bruder haben immerhin zusammen das größte
Beuys-Museum der Welt: Schloss Moyland am Niederrhein, in dem sehr
viele der Arbeiten von Beuys gezeigt werden. Ich habe dann auch bei van
der Grinten zu Hause Zeichnungen und Skulpturen von Beuys gesehen
und sie auch in die Hand nehmen dürfen. Sie können sich vorstellen, dass
sich da ein sehr unmittelbarer, sehr direkter Zugang zur Moderne eröffnet
hat für mich. Ja, dadurch bin ich geprägt worden.
Rauh:
Hat Sie das denn am Anfang nicht auch schockiert oder verunsichert?
Davor haben Sie uns die durch den weiten Himmel charakterisierte, aber
eben auch sehr schöne Landschaft am Niederrhein beschrieben und die
klassizistische Kirche an Ihrem Heimatort. Beuys war dann doch bestimmt
eine ganz andere Welt, die sich da für Sie eröffnet hat. Hatte diese Welt
nicht auch etwas Beängstigendes für Sie?
Roers:
Das hatte sie. Wer sich, um noch einmal dieses Beispiel zu nehmen, mit
dem Werk von Joseph Beuys beschäftigt, wird irritiert. Aber genau das ist ja
das Interessante an der Kunst und deswegen liebe ich auch meinen Beruf
bis heute. Sie brauchen sich in der Pinakothek der Moderne ja nur einmal
die Arbeit von Beuys mit dem Titel "Das Ende des 20. Jahrhunderts"
anschauen. Da gibt es Basaltblöcke, in die ein Kegel eingeschnitten ist.
Joseph Beuys nennt diese Arbeit "Das Ende des 20. Jahrhunderts" und
mahnt damit im Grunde genommen die Umweltzerstörung an. Er stellt die
Frage, wie wir Menschen hier im Westen mit der Umwelt umgehen; er stellt
die Frage, wie sich die Kultur bzw. in diesem Fall die bildende Kunst zur
Natur verhält. Das sind Fragen, die mich in der Tat auch schon im Internat
beschäftigt haben. Ich war damit Gott sei Dank nicht alleine, sondern ich
hatte dort sehr viele Freunde, die sich ebenfalls schon sehr früh in der
bildenden Kunst umgetan haben. Einige sind mittlerweile tatsächlich
bildende Künstler, Literaten oder Komponisten geworden.
Rauh:
Sie haben uns vorhin diesen Jungen beschrieben, der durch die
niederrheinische Landschaft radelt und den Himmel in sich aufnimmt, der
sich dann später in seinen Internatsjahren der Kunst öffnet und darin sehr
viel entdeckt. Nach dem Abitur tritt dieser Junge dann aber in den
Jesuitenorden ein. Was ist da passiert?
Roers:
Daran ist u. a. ein sehr guter Religionsunterricht "schuld". Wir haben damals
im Religionsunterricht nämlich tatsächlich Sachen gelesen, die man erst in
einem Theologiestudium bis zum Vordiplom irgendwann einmal gelesen
haben sollte. Wir haben damals z. B. die "Einführung in das Christentum"
von Joseph Ratzinger gelesen, dem heutigen Papst Benedikt XVI. Wir
haben das Werk von Josef Pieper über die vierte Kardinaltugend gelesen,
das Buch von Hans Urs von Balthasar "Glaubhaft ist nur Liebe" usw. Und
wir haben vor allem – und darüber habe ich damals auch ein Referat
gehalten – Karl Rahner und sein Werk über die Erkenntnis bei Ignatius von
Loyola gelesen: "Die Logik der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von
Loyola."
Rauh:
Dem Gründer des Jesuitenordens.
Roers:
Genau, dem Gründer des Jesuitenordens. Und das hat mich so fasziniert
und eigentlich dazu bewogen, in den Orden einzutreten. Denn hier wurde
für mich das Prinzip der geistlichen Übung beschrieben. Die Jesuiten gehen
einmal im Jahr mit einem Exerzitienmeister, also mit einem erfahrenen
Priester, der dabei die geistlichen Übungen begleitet, für zehn Tage in die
Stille. Das hat mich wirklich von Anfang an fasziniert: dass man tatsächlich
sein Leben ausrichten kann. Man kann also diesbezüglich etwas tun in
seinem Leben und dem eigenen Leben ein festes Fundament verschaffen,
auf dem man stehen kann, weil man sich dieses Fundaments immer wieder
vergewissert. Das war also der eine Grund. Dieser Religionslehrer ist dann
aber auch mit uns nach Rom gefahren. Es klingt prosaisch, aber ich weiß
es bis heute noch sehr genau, wie ich in Rom vor dem Ignatius-Altar in Il
Gesù, wo das Grab des heiligen Ignatius ist und das die wichtigste Kirche
der Gesellschaft Jesu darstellt, betete – und da ist dann irgendetwas
passiert mit mir.
Rauh:
Was ich immer so erstaunlich finde, ist diese langfristige Bindung, die man
wie in Ihrem Fall als sehr junger Mensch eingeht. Ich kann die große
Begeisterung darüber, dass da etwas mit einem passiert, sehr wohl noch
nachvollziehen, denn ich denke, so etwas gibt es in jedem Leben,
wenngleich nicht jedes Mal unbedingt vor einem Alter und in Bezug auf
einen Orden oder im Zusammenhang mit theologischen Texten. Aber diese
Bereitschaft zu einer langfristigen Bindung: Das ist etwas, das mich
fasziniert und das ich nicht so ganz nachvollziehen kann. Wie sehen Sie
das mit dieser langfristigen Bindung, wenn Sie auf diesen jungen Mann
zurückblicken, der Sie damals waren?
Roers:
Da sprechen Sie natürlich ein delikates Thema an, nämlich die Treue, die in
unserer heutigen Gesellschaft ja auch nicht mehr so ganz selbstverständlich
ist. Ich bin damals wirklich mit Haut und Haaren in die Gesellschaft Jesu
eingetreten. Das war und ist für mich bis heute ein großes Ideal. Mittlerweile
sind fast 25 Jahre vergangen, d. h., das hat halt bis heute irgendwie
geklappt. Man muss aber auch sagen, dass die Ausbildung in der
Gesellschaft Jesu sehr lang ist. Wir haben viele Stationen, die wir da
durchlaufen müssen: Ich bin z. B. in Münster eingetreten, habe dann aber in
Bad Godesberg in einem Jesuiten-Internat gearbeitet, habe dann in
Frankfurt Theologie studiert und war dann eine kurze Zeit in Berlin.
Anschließend war ich in München, um dort Philosophie zu studieren. Und
schließlich war ich in Wien, wo ich ein Pastoraljahr absolviert habe. Danach
kam ich wieder zurück nach München. Das heißt, die Ausbildung dauert
sehr lange und endet schließlich mit dem sogenannten Tertiat, das nach
zehn bis 15 Jahren absolviert wird, wo dann noch einmal 30-tägige
Exerzitien gemacht werden. Wir Jesuiten machen ein solches 30-tägiges
Exerzitium am Anfang beim Eintritt in den Orden, also im Noviziat, und am
Ende dieser langen Ausbildung im Tertiat. Dabei vergewissert man sich
noch einmal, ob man sich auch tatsächlich ganz an diesen Orden binden
möchte. Und genau das habe ich eben mittlerweile getan.
Rauh:
Auch wenn Sie Theologie studiert haben, sind Sie bei der
Auseinandersetzung mit der Ästhetik geblieben. In Frankfurt hatten Sie
dabei einen Lehrer, auf den ich nun zu sprechen kommen möchte, nämlich
Friedhelm Mennekes. Ihn kennen auch Menschen, die in der katholischen
Kirche nicht so zu Hause sind, als den Priester, der in Köln in der "KunstStation St. Peter" arbeitet und dort bahnbrechende Dinge unternommen hat
in Bezug auf Kunst und Kirche. Ich kann mir vorstellen, dass Sie neben van
der Grinten auch von ihm sehr stark beeinflusst worden sind.
Roers:
Sie werden lachen, aber da gibt es sogar eine sehr direkte Verbindung.
Franz Joseph van der Grinten hat nämlich zusammen mit Friedhelm
Mennekes genau in der Zeit, in der ich Abitur gemacht habe, drei wichtige
Bände im Bibelverlag in Stuttgart veröffentlicht, nämlich die Bände
"Menschenbild – Christusbild", "Mythos und Bibel" und "Abstraktion –
Kontemplation", einer Auseinandersetzung mit der Kunst der Gegenwart,
bei der jeweils 16 Künstler von Friedhelm Mennekes interviewt wurden und
Franz Josef van der Grinten die Texte geschrieben hat. Wir haben also dort
im Internat im Kunstunterricht gesessen und haben Kunst gemacht und ich
sehe noch heute Franz Josef van der Grinten dabei an den Druckfahnen
des ersten Buches "Menschenbild – Christusbild" sitzen. Das sind natürlich
Themen, die mich bis heute beschäftigen. Friedhelm Mennekes hat in Köln
wirklich Pionierarbeit geleistet: Er hat 1987 die "Kunst-Station" gegründet,
die nun in diesem Jahr leider zu Ende geht. Ich bedauere das sehr, aber der
Orden hat das leider so beschlossen. Das war jedenfalls eine unglaubliche
Pionierarbeit, deren Ausstrahlung auch weit über die Grenzen unseres
Landes hinaus wirkte. Man darf nicht vergessen, dass Köln in den 70er
Jahren das war, was heute Berlin ist: Das war eine "hippe" Stadt, das war
damals eine Stadt, in der die Künstlerinnen und Künstler wie heute in Berlin
preiswert leben konnten, und es war die dortige Kunstmesse eben auch
sehr bedeutend, die inzwischen aber nach Basel gewandert ist: Diese
Baseler Messe ist heute die bedeutendste Kunstmesse. Es hat sich also
damals in Köln jede Menge Sachverstand gerade im Bereich der bildenden
Kunst getummelt. Das Resultat davon können wir heute noch sehen: Die
Kathedrale von Köln hat ein wunderschönes Richter-Fenster bekommen …
Rauh:
Das ist ein Fenster von Gerhard Richter, das sehr umstritten war und ist in
der Gemeinde selbst bzw. in deren Umfeld. Genau an diesem Fenster hat
sich noch einmal dieser große Konflikt zwischen Kunst und Kirche gezeigt.
Viele sagten: "Das ist das Schönste, was man sich für diesen Ort vorstellen
kann. Es spricht uns nicht nur an, weil es schön ist, sondern weil es in die
Mitte von Kontemplation, Meditation usw. führt." Andere jedoch haben
gesagt: "So etwas gehört nicht in die Kirche. Das mag ja ganz schön sein,
aber das gehört nicht in die Kirche."
Roers:
Sie haben das sehr vornehmen umschrieben mit "… andere jedoch". Denn
es war u. a. Kardinal Meisner, der mit diesem Fenster offensichtlich
Schwierigkeiten hat. Ich habe Kardinal Meisner bei der Einführung unseres
neuen Bischofs Reinhard Marx hier in München darauf angesprochen. Ich
habe ihn gelobt für das wundervolle Diözesanmuseum von Peter Zumthor.
Und ich kann Ihnen versichern: Wenn irgendetwas vom Pontifikat Meisner
bleibt, dann sind das folgende drei Dinge: die wunderschöne
Domschatzkammer, dieses Richter-Fenster in der Kathedrale und das
Diözesanmuseum in Köln, das in einer wundervollen Weise alte Kunst und
zeitgenössische Kunst miteinander ins Gespräch bringt. Ich bin wirklich sehr
begeistert von diesem Museum. Mit dieser Meinung stehe ich allerdings
nicht alleine. Ich habe ja schon viele Museen auf dieser Welt besucht, aber
dieses Diözesanmuseum ragt in jeder Weise heraus: in architektonischer
Hinsicht und auch im Hinblick auf die Sammlung. Dieses Museum hat
einfach Hand und Fuß. Das ist also sehr erfreulich und ich habe mir
mittlerweile angewöhnt, mehr auf die erfreulichen Dinge des Lebens zu
schauen als auf die unerfreulichen, denn im "Konfliktfeld Kunst und Kirche",
wie das ja auch genannt wird, gibt es so einige Landminen, auf die man
treten könnte. Aber die Bundesregierung wie auch viele andere Nationen
haben die realen Landminen inzwischen abgeschafft und so hoffe ich, dass
auch wir hier in Zukunft ein gutes Stück weiterkommen.
Rauh:
Über Landminen ist in der Politik in der Tat viel gesprochen worden. Was
sind denn aber auf diesem Feld z. B. solche "Landminen"?
Roers:
Im Konfliktfeld zwischen Kunst und Kirche? Nun, ich erinnere mich z. B.
sehr gut an eine Arbeit von Franz Gutmann in Freiburg. Ich habe übrigens
auch eine seiner Arbeiten mitgebracht, nämlich diese Bibel hier. Damals
war in der Universitätskirche, also in der ehemaligen Jesuitenkirche, ein
großer Corpus zu sehen: Das war praktisch eine Holzfigur, die an so etwas
wie einen Marterpfahl gehängt war. Das Ganze war sehr ausdrucksstark,
sehr expressiv und ging letztlich jahrelang hin und her: Einige an der
Universität in Freiburg waren dafür, einige dagegen. Das war wirklich ein
sehr, sehr langer Streit. Allerdings ist so ein langer Streit nichts, was man
nur in der zeitgenössischen Kunst finden würde. Denn man braucht sich ja
nur einmal daran erinnern, wie die Bilder von Caravaggio in seiner Zeit
angekommen sind. Da kommt ein Maler daher und malt zum ersten Mal
Jesus als ganz normalen Menschen und seine Jünger haben Dreck unter
den Fingernägeln. Fast alle Zeitgenossen von Caravaggio empfinden das
als Skandal. Heute zählen seine Bilder auf dem Weltmarkt zu den teuersten
– sofern überhaupt eines zum Verkauf steht.
Rauh:
Damit sprechen Sie den Mythos an, dass Kirche und Kunst in früheren
Zeiten einig gewesen seien, dass also die Kirche sozusagen Kunst in
Auftrag gegeben hat und die Künstler dann das Bestellte auch brav
ablieferten wie z. B. wunderbare Marienbilder oder Christusfiguren usw. Der
Mythos lautet, dass Kirche und Kunst früher vollkommen einig waren. Ich
denke, das ist nur ein Mythos – allerdings einer, der bis heute gepflegt wird.
Der Bruch zwischen Kirche und Kunst sei angeblich erst nach dem Ersten
Weltkrieg, spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Aber es gab
sehr wohl auch vorher schon Brüche: Die Auseinandersetzung zwischen
Kunst und Kirche ist also schon sehr alt.
Roers:
Die hat es immer schon gegeben, die ist immer schon vorhanden gewesen.
Genau das fördert aber auch die Kunst und deswegen sage ich immer: Ich
bin ein Vertreter des christlichen Streits – aber bitte mit der richtigen
Streitkultur. Man muss sich immerhin vor Augen halten, dass Michelangelo
mit dem damaligen Papst von Angesicht zu Angesicht in der Sixtinischen
Kapelle über deren Bildkonzept gestritten hat. Ich glaube, das wäre selbst
mit dem jetzigen Papst Benedikt, der ja doch in aller Offenheit auf die
Menschen zugeht, nicht möglich meiner Meinung nach. Daran kann man
freilich auch wieder sehen, dass es zur damaligen Zeit für die Bischöfe und
natürlich auch für die Fürsten ganz selbstverständlich war, sich intensiv mit
Kunst zu befassen. Diese Bereitschaft scheint mir heute nicht mehr ganz so
groß zu sein.
Rauh:
Sie haben soeben gesagt, die Kunst würde bereichert werden durch die
Auseinandersetzung mit der Kirche, mit Fragen, die die Kirche stellt, mit
Aussagen der Kirche. Wie ist das aber umgekehrt? Sie haben schon
gesagt, dass die Bereitschaft, sich auf Künstler einzulassen, auf Künstler zu
hören, oft nicht so groß ist. Wie könnte es denn die Kirche bereichern bzw.
wie könnte es die Auseinandersetzung mit dem Glauben bereichern, wenn
man mehr auf Künstler hören würde?
Roers:
Nun, erstens hat diese Auseinandersetzung in der Geschichte die Kirche
ungeheuer bereichert. Zweitens die Frage, wie das heute gehen könnte.
Nun, ich habe das Beispiel Arnulf Rainer bereits erwähnt.
Rauh:
Die übermalten Kreuze?
Roers:
Ja, die übermalten Kreuze. Warum gibt es eigentlich keine Kirche, in der
eine große Arbeit von Arnulf Rainer hängt? Warum?
Rauh:
Könnten Sie beschreiben, was passieren würde, was passieren könnte,
wenn man sich mit so einem Bild auseinandersetzen würde? Es geht ja
nicht darum, gute Bilder in Kirchen zu hängen, sondern es geht um eine
theologische, um eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Roers:
Die Form ist aber vom Inhalt nicht zu trennen und deswegen bin ich ganz
dafür, dass wirklich nur sehr gute Kunstwerke in eine Kirche hineinkommen.
Denn auch nur dann kann diese Auseinandersetzung funktionieren. Ein
übermaltes Kreuz von Arnulf Rainer hat alleine wegen seiner
Farbgestaltung eine solche Kraft, dass sie mich zurückwirft auf mich selbst.
So aber entsteht Gebet: Dass man zunächst einmal über sich selbst
nachdenkt, das eigene Tun in Frage stellt. Und dann merkt man Schritt für
Schritt, dass die Liebe, dass das Wort Gottes das Leben auch verändern
kann. Wenn das in einem kraftvollen Bild geschieht, dann ist das eine
solche unmittelbare Kraft, dass einen diese Kraft dann auch von innen
bewegen kann. Das ist aber auch mit den anderen Künsten so. Ich würde
mir z. B. wünschen, dass viel mehr zeitgenössische Komponisten Aufträge
bekommen, um Messen zu komponieren. Denn die Musik ist doch die
unmittelbarste aller Künste, die sehr ans Innerste von uns Menschen
heranreicht. Wenn das in Zukunft noch mehr geschehen könnte, wenn also
auf diesem Feld eine Auseinandersetzung stattfinden könnte, dann glaube
ich, dass das für die Kirche weiterhin sehr interessant wäre – für die Kunst
selbstverständlich auch. Denn in diesem Hin und Her – wobei es hier
selbstverständlich nicht um den Selbstzweck eines Pingpongspiels geht –
sollen letztlich Ebenen erreicht werden, die ganz anders aussehen, die viel
tiefer gehen als bei einer oberflächlichen Begegnung. Das Gespräch mit
Gott kann zunächst einmal nur in der Stille gedeihen. Kultur bedeutet
Pflanzen setzen. Ich heiße ja Georg, das kommt von "georgos", der
"Bauer": Das ist der Moment, in dem die Kultur beginnt. Man muss sich ja
nur einmal die heutige Auseinandersetzung um das Saatgut in der
Landwirtschaft anschauen. Wir müssen uns im Angesicht dieser
Auseinandersetzung wirklich fragen, ob dabei nicht eine bäuerliche Kultur
vor die Hunde geht. Wir brauchen uns nämlich nicht der Illusion
hinzugeben, dass das für unser Leben keine Auswirkungen hätte. Also,
man sollte solche kleinen Pflänzchen immer schön gießen – dann gedeiht
auch die Kunst in der Kirche. Ich mache das jedenfalls so.
Rauh:
Jetzt stelle ich mir also das Kunstwerk, die Begegnung mit dem Kunstwerk
als ein Samenkorn vor, das innere Prozesse auslösen kann wie z. B. das
Gespräch mit Gott oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben.
Sie haben uns hier ins Studio ja eine kleine Skulptur mitgebracht. Ich würde
Sie bitten, sie mal in die Hand zu nehmen und zu erzählen, was das ist.
Roers:
Ich habe ja gerade schon über das Wort Gottes gesprochen: Die Bibel ist
uns Christen sehr, sehr wichtig. Diese Bibel hier hat aber nur zwei Seiten.
Sie besteht eigentlich nur aus drei zusammengebundenen Brettern, also
nur aus drei "Blättern", und stammt von diesem Künstler, von dem ich
bereits vorhin gesprochen habe, nämlich von Franz Gutmann. Er lebt in
Freiburg und hat in seinem Schaffen bereits viele Themen der christlichen
Kultur bearbeitet. Hier auf dieser Bibel ist vorne ein kleines Kreuz drauf.
Dieses Kreuzchen macht uns also bereits darauf aufmerksam, dass es sich
hier irgendwie um etwas Christliches handelt. Wir schlagen dann diese
Bibel auf – und sie beginnt eigentlich mit dem Beginn des Lebens, nämlich
mit der Genesis, auch wenn wir hier keine Wörter vorfinden, sondern etwas
anderes. Wir finden hier nämlich versinnbildlicht die Aussage in "Genesis
1,26", dass wir nach dem Abbild Gottes geschaffen sind. Warum? Diese
Bibel hier ist, wenn man die erste Seite aufschlägt, links und rechts komplett
rot eingefärbt: Man sieht tatsächlich in sehr abstrakter Weise das männliche
und weibliche Geschlechtsteil dargestellt. Das ist die eine Seite dieser Bibel:
das pure Leben. Und hier auf der nächsten und zugleich schon letzten Seite
findet sich etwas ganz anderes: Hier sind die linke und rechte "Seite"
schwarz eingefärbt und auf der rechten Seite ist in das Holz ein Knochen
versenkt. Wenn man diese "Seite" wieder schließt, dann verschwindet auch
dieser Knochen vollständig im Holz, das letztlich die Erde verkörpert, in der
unser Körper dereinst auch liegen wird. So haben wir hier mit dieser Bibel
aus nur drei kleinen Brettern, die am "Buchrücken" miteinander verbunden
sind, den Anfang des Lebens und das Ende des Lebens. Aber genau
davon handelt die Bibel! Wie gestalten wir eigentlich unser Leben zwischen
diesen beiden Punkten des Lebens, nämlich der Geburt und dem Tod? Ich
liebe diese Bibel, die mir Franz Gutmann irgendwann geschenkt hat.
Rauh:
Nun könnte man aber sagen, dass in der "richtigen" Bibel doch noch so viel
mehr drinsteht, dass sie unendlich viel reicher ist als ein Stückchen Kunst
aus drei Brettern. Was halten Sie einer solchen Aussagen entgegen?
Roers:
Zunächst einmal ist diese Aussage ja vollkommen richtig. Aber sie ist eben
auch genauso falsch. Denn letztlich geht es im christlichen Glauben darum,
den Auferstandenen zu erkennen als den Lebensspender, der am Kreuz für
uns gestorben ist. Genau diese beiden Theologumena, also diese beiden
Pole des Glaubensbekenntnisses – Jesus, der Christus, der als Mensch auf
dieser Welt gelebt hat und dann für uns am Kreuz gestorben ist – sind für
uns Christen die beiden Eckdaten der Bibel. Natürlich kann man uns
vorwerfen, dass das aber doch sehr simpel sei. Aber wir können in unserem
alltäglichen Leben auch nicht andauernd die komplette Tradition der Kirche
vor Augen haben mit all ihren Auseinandersetzungen um Dogmen usw.
Nein, wir Menschen brauchen sozusagen einfache Formen. Und das beste
Beispiel ist das Kreuzzeichen: im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes. Damit haben wir eine ganz klare Form, wir richten uns
aus zwischen Himmel und Erde und bekennen mit diesem kleinen Zeichen
unseren Glauben. Ich glaube, dass die Kunst hier wirklich einen ganz
wichtigen Beitrag leistet. Ohne Form, ohne eine gute Form kann unser
christlicher Glaube keine Gestalt gewinnen. Und das wird in Zukunft noch
sehr viel wichtiger werden, wenn wir eine Antwort auf die Frage finden
wollen, was wir in Zukunft mit unseren Kirchenräumen machen wollen.
Denn davon gibt es mittlerweile offensichtlich einige zu viel. Es wird noch
spannend werden, was wir mit diesen Räumen machen. Man kann dort
jedenfalls auch mit Kunst arbeiten.
Rauh:
Sie selbst sind inzwischen in einem ganz besonderen Kirchenraum
beheimatet: Sie sind Rektor der Asamkirche in München. Ich musste zuerst
einmal nachschlagen, was in diesem Fall "Rektor" heißt. Sie sind deshalb
Rektor, weil zu dieser Kirche keine Pfarrei gehört. Die Asamkirche ist ja ein
Juwel des Barock bzw. des Rokoko, deren Besuch für jeden
Münchenbesucher geradezu unverzichtbar ist. Wenn man wie Sie vom
Niederrhein kommt, dann wirkt diese Kirche möglicherweise etwas
überladen – wie viele andere Kirchen des Hochbarock auch. Sie haben in
diese Kirche einen Künstler eingeladen, um dort eine Installation zu
machen. Darüber würde ich nun gerne noch mit Ihnen sprechen. Es wurde
in der Kirche ungefähr auf Hüfthöhe ein großer Spiegel aufgebaut bzw.
ausgebreitet, in dem sich das Deckengewölbe, die Wände der Asamkirche
spiegelten. Wir sehen hier auf dem Foto, wie sich die Menschen über
diesen Spiegel beugen und sich die Decke der Kirche anschauen. Was ist
da passiert mit diesem Raum, mit den Besuchern?
Roers:
Das war eine sehr aufregende Geschichte. Im Jahr 2006 hat der Künstler
Bernd-Michael Nestler diese Spiegel in die Kirche gelegt. Wir haben diese,
wie wir das nennen, künstlerische Intervention in der Asamkirche anlässlich
von Christi Himmelfahrt gemacht. Man sah dabei plötzlich den Himmel auf
Erden. Und genau so war diese Installation auch betitelt. Wir hatten
innerhalb einer Woche – so lange lief diese Aktion – 15000 bis 20000
Menschen in unserer Kirche. Wir haben die Türen weit aufgemacht und die
Leute strömten nur so herein. Wir haben die Decke angestrahlt und die
Menschen waren wirklich fasziniert. Bis heute werde ich ganz oft gefragt,
wann denn diese Spiegel wiederkämen, wann diese schöne Aktion
wiederkäme. Übrigens werde ich diesbezüglich nicht nur von jüngeren
Menschen angesprochen, sondern auch von älteren. Das freut mich ganz
besonders, weil es mir zeigt, dass diese Aktion alle Generationen
gleichermaßen angesprochen hat. Das ist genau der Punkt: Wie gehen wir
in Zukunft mit Kirchenräumen um? Man kann, sei es mit ein wenig Literatur,
mit ein wenig zeitgenössischer Musik oder zeitgenössischer bildender
Kunst, in einem liturgischen Raum so viel Gutes tun, bei dem die Menschen
zuerst einmal zusammenzucken und fragen: "Oh, wo bin ich denn hier? Ich
bin hier ja in einer ganz anderen Welt!" Und genau so ist ein Gotteshaus ja
auch gemeint. Wir treten ein in einen erhabenen Raum, der zunächst
einmal mit unserer Alltagswelt nichts zu tun hat. Ich vermute mal, dass auch
Ihre Wohnung nicht im Rokokostil eingerichtet ist. Wenn man also in die
Asamkirche eintritt, dann wird man mit einer anderen Wirklichkeit
konfrontiert, nämlich letztlich mit der Alterität Gottes, mit dem "anderen
Gott": Er ist zwar wie wir selbst Mensch geworden, aber er ist eben auch
der ganz Andere. Er entzieht sich uns auch immer wieder. Er entzieht sich
uns in vielen Formen – und doch beten wir zu ihm wegen unserer
alltäglichen Sorgen.
Rauh:
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie mit dieser und anderen Installationen
und Ausstellungen auch Menschen erreichen, die normalerweise nicht in
die Kirche gehen. Ich befürchte aber, dass in der Diskussion um Kunst und
Kirche die Gefahr besteht, dass gesagt wird: "Wir müssen Kunst machen,
wir müssen Kunst in die Kirchenbauten bringen, damit wir auch andere
Menschen ansprechen."
Roers:
Es stimmt, das wäre ein bisschen sehr verzweckt gedacht. Und deswegen
bevorzuge ich eigentlich das Modell von Ausstellungen und Installationen in
Kirchen gar nicht. Ich mache auch ganz bewusst nur einmal im Jahr eine
künstlerische Intervention, wie ich das nenne. Stattdessen schwebt mir viel
eher ein Modell vor, das aber leider keine Schule gemacht hat und das es in
Deutschland nur ein einziges Mal gibt: Das ist das Modell, das Pfarrer
Maßen in Krefeld in seiner Kirche verwirklicht hat. Er hat dort Arbeiten von
Uecker, von Beuys und vielen anderen wichtigen Künstlern, die sonst im
Museum hängen, angekauft. Die Gemeinde setzt sich vor Ort ganz intensiv
mit der Kunst auseinander. Das heißt, diese Kunst ist auch ganz
selbstverständlicher Teil des Gottesdienstes: der Altar, das Taufbecken und
viele, viele Dinge in der Kirche, die sozusagen Wegmarken sind, über die
die Menschen stolpern können. Denn das ist wirklich so ein bisschen wie
diese Stolpersteine, die in vielen deutschen Großstädten in den letzten
Jahren vor bestimmten Häusern in das Trottoir eingelassen wurden: im
Gedenken an jüdische Mitbürger, die genau dort gelebt haben und im
Nationalsozialismus zuerst verschleppt und dann ermordet worden sind.
Rauh:
Diese Stolpersteine sollen die Sensibilität von uns Nachgeborenen erhöhen,
die Erinnerung an die Ermordeten wach halten und ein Wissen um die
Geschichte einklagen.
Roers:
Ja, genau. Und ein solcher Gottesdienstraum, in dem die zeitgenössische
Kunst eben nicht sozusagen ein Lockmittel ist für Zeitgenossen, sondern ein
ganz normaler Bestandteil des liturgischen Raums, kann natürlich mit der
zeitgenössischen Kunst ganz anders in den Dialog treten. Zeitlich begrenzte
Ausstellungen in Kirchen kann man meiner Meinung nach machen wie z. B.
im Fall der Allerheiligen-Hofkirche in München, die mittlerweile ein säkularer
Raum der Residenz in München geworden ist, in dem kulturelle
Veranstaltungen stattfinden: Dort kann man Ausstellungen veranstalten.
Genau das hat mein Vorgänger vor zehn Jahren ja auch gemacht und
damit diesen Raum, diese Allerheiligen-Hofkirche, nach deren
Wiederaufbau eröffnet. Mir ist also wichtig, dass man zunächst einmal die
Türen weit aufmacht, und zwar genau so, wie uns das das Zweite
Vatikanische Konzil vorgegeben hat: Das heißt, dass wir das
Aggiornamento ernst nehmen und die Menschen einladen! Denn erst damit
nehmen wir die "Heutigung" der Kirche wirklich ernst. Wie gläubig die
Menschen sind, die dann zu uns kommen, werden wir selbstverständlich
nie herausfinden, aber wir müssen sie immer wieder ansprechen: Das ist
unsere Aufgabe.
Rauh:
Sie haben soeben gesagt, dass man die "Heutigung" ernst nehmen müsse,
dass sich also die Kirche der heutigen Kunst in jeder Weise öffnen muss,
dass sie sich auseinandersetzen muss mit dem, was da passiert. Man
muss ja nicht gleich alles schön finden.
Roers:
Ja.
Rauh:
Wir haben jetzt sehr viel über bildende Kunst gesprochen. Sie selbst haben
jedoch auch immer wieder Theater und Literatur und Musik erwähnt. Ich
habe bisher noch nicht verraten, dass auch Sie selbst Gedichte schreiben.
Ich würde Sie daher bitten, dass Sie uns zum Abschluss unserer Sendung
eines Ihrer Gedichte vortragen. Ich habe dieses Gedicht deswegen
ausgesucht und mir gewünscht, weil es auch eine Ode an die Schönheit ist.
Ich würde Sie nun bitten, dieses Gedicht vorzulesen, damit sich unsere
Zuschauer vorstellen können, was Sie außer der Kunstvermittlung selbst an
Kunst schaffen. Davor aber noch eine kleine Anmerkung: Man kann sich
das alles, also z. B. Ihre Arbeit auf dem Gebiet der Kunstvermittlung, auch
auf Ihrer Internetseite "kuenstlerseelsorge.de" anschauen. Ich denke, man
wird Ihnen selbst immer wieder begegnen bei verschiedenen
Kunstinterventionen, wie Sie sie so schön nennen, oder auch bei Lesungen
Ihrer Gedichte.
Roers:
Ja, ich bin natürlich sehr erfreut, dass ich dazu etwas sagen darf und soll.
Ich bin jetzt sogar ein bisschen verlegen, aber ich darf sagen, dass das
inzwischen mein vierter Gedichtband ist. Er trägt den Titel "Bildrauschen"
und ich freue mich sehr, dass der berühmte Dichter Said dazu ein Nachwort
geschrieben hat. Ein Gedicht daraus heißt "Blendung", das ist das Gedicht,
das Sie ausgesucht haben. "Blendung // In den frühen Morgen fliegen
schwarze Krähen / aus Schornsteinen steigt im Dorf weißer Rauch auf / am
Himmel hinterlässt ein Flugzeug Hieroglyphen / die aufgehende Sonne
schaut in den Spiegel / und ist geblendet von ihrer Schönheit".
Rauh:
Vielen Dank. Das ist eine Einladung, Gedichte von Ihnen zu lesen. Die
Gedichte, die ich bereits kenne, finde ich sehr reizvoll. Ihre Gedichte sind
auch nicht so abstrakt, wie man vielleicht erwarten könnte, wenn man Ihre
Kunstinterventionen gesehen hat. Ich danke Ihnen sehr für Ihr Kommen
und freue mich, Sie bei der nächsten Kunstintervention zu treffen. Ich
denke, Sie haben heute auch eine ganz deutliche Aufforderung an unsere
Zuschauer gegeben, z. B. auch mal nach Köln zu fahren. Ansonsten sollte
man hier in München die Asamkirche im Blick behalten: Es lohnt sich
natürlich immer, die Asamkirche zu besuchen – aber mit diesem Rektor ist
das erst recht der Fall, denn der hat diesbezüglich sicherlich noch einiges in
petto in den nächsten Jahren.
Roers:
Ich danke für die Einladung.
Rauh:
Ich danke Ihnen. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlichen Dank
fürs Zuschauen, auf Wiedersehen bis zum nächsten alpha-Forum.
© Bayerischer Rundfunk
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