schaubühne am lehniner platz Pressespiegel - Kritiken Trust Ein Projekt von Falk Richter und Anouk van Dijk Premiere: 10. Oktober 2009 Schaubühne am Lehniner Platz Kurfürstendamm 153 10709 Berlin www.schaubuehne.de Johanna Lühr Presse (ÖA/Marketing) Tel 030.89002-138 Fax 030.89002-189 [email protected] E-Paper 1 von 1 http://host1.tagesspiegel.de/anzeigen/epaper/epaper.php?li=http://tsp.vh... Graphische Darstellung Drucken Das Geld geht fremd Virtuos: „Trust“ von Falk Richter und Anouk van Dijk an der Schaubühne Aus den Tiefen des Körpers wird Wut gequetscht Von Andreas Schäfer Was ist denn das? Ein kleines Kunststück! Falk Richter und der Choreografin Anouk van Dijk gelingt mit „Trust“ genau jene Quadratur des Inszenierungskreises, um die sich die Schaubühne unter Thomas Ostermeier so fleißig bemüht. Einerseits hip zu sein und andererseits – sagt man das noch? – kritisch. Einerseits die Generation Lounge mit den Insignien ihres Wir-Gefühls pampern, indem man die richtigen Kostüme über die Bühne spazieren führt (beispielsweise von Gucci), die richtigen Requisiten vorzeigt (iBooks) und das Publikum mit der richtigen Musik beschallt (knister, knister machen die Boxen), dabei aber andererseits den Zeigefinger tief in die Wunden des kapitalistischen Heute bohrt. Wobei das eine kaum mit dem anderen zusammen geht – oder eben nur mithilfe konzeptioneller Gewalt. Die Empörtheit des zweitens Anliegens zerbröselt naturgemäß die Wohlfühlidentifikation des ersten, weshalb den Versuchen meistens eine leicht verkrampfte Übermotiviertheit anhaftet, die Ohnmacht des Streberhaften. Um mal im Lounge-Jargon zu bleiben: Das geht ja gar nicht, dachte man regelmäßig, wenn zum Beispiel der Autor und Regisseur Falk Richter in einem seiner immer adrett eingerichteten Projekt-Abende erregte Sätze über die Isolation des zeitgenössischen Menschen, den Einfluss der Medien oder die Verschränkung von Krieg und Politik aufsagen ließ. Aber es geht eben doch! Richter hat mit der niederländischen Choreografin Anouk van Dijk schon vor zehn Jahren in „Nothing Hurts“ zusammengearbeitet. Nun haben die beiden mit „Trust“ einen Abend über die Verschränkung und den Zusammenbruch von Finanz- und Beziehungssystemen zusammen improvisiert, der unterhaltend ist, blitzartige Einblicke in die Undurchsichtigkeit komplexer Prozesse gewährt („Das Geld lebt lieber ohne uns“) und zudem noch virtuos groteske Paarsituationen durchspielt, in denen sich jedes Gefühl (bis auf die Angst), jede Gewissheit und jede Wahrnehmungsorientierung auflöst. Mann (Kay Bartholomäus Schulze) behauptet: Wir waren bis vor drei Wochen vierzehn Jahre verheiratet. Frau (großartig hysterisch: Judith Rosmair) antwortet: Nein, wir waren vor 14 Jahren mal drei Wochen zusammen. Und die üblichen Coolness-Accessoires sind auch dabei: Sofas, Powerbooks; viele Mikrofone und der obligatorische DJ im Hintergrund. Dass die Auflösung aller Sicherheiten und Werte (im Geldsinn des Wortes) nicht nur behauptet, sondern auch spürbar wird, liegt vor allem an den Tänzern Nina Wollny, Peter Cseri, Jack Gallagher und der mittanzenden Choreografin. Ihre kraftvollen Bewegungen, Zuckungen und Verrenkungen betten die Spiel- und chorischen Textsprechszenen ein – die nicht nur entfernt an die Texte René Pollsches erinnern. Die Tänzer sorgen für eine spielerische Leichtigkeit und finden für das Thema eine treffende Darstellungsbalance zwischen roboterhafter Getriebenheit, gefühlstauber Erstarrung und ungerichteter, expressiver Wut. Wut – die ist natürlich ein Problem. Auf wen eigentlich? Und wie geht das, wenn alles System ist und ich selbst ein ausgehöhltes Teilchen in ihm? Der Wutspezialist heißt Stefan Stern. Eben hat er in einem fulminanten, schweißtreibenden Bandwurmmonolog nachgewiesen, dass der Vorstand einer inzwischen pleitegegangenen Kaufhauskette durch seine Machenschaften effektiv das umgesetzt hat, was vor 30 Jahren die RAF mit ihren Brandanschlägen im Sinn hatte: den Zusammenbruch des Unternehmens. Nun ist er eine Art Wut-Coach für die anderen. Sie sollen mal richtig bellen und alles rauslassen. Von Lea Draeger kommt aber nur ein kümmerlich zahmes Miau. Wie stimmig Tanz und Schauspiel ineinandergreifen, zeigt dann der Übergang. Zwei der Tänzer beginnen einen negativen Exorzismus. Sie winden sich, als wollten sie den Panzer über ihrer Brust aufbrechen. Die Wut wird nicht ausgetrieben, sondern aus den Tiefen des Körpers wie etwas Kostbares mit insektenhaft anmutenden Spasmen hervorgequetscht. Ein anderes Mal packen sie Judith Rosmair an Armen und Beinen und lassen sie in Schlangenlinien durch die Luft sausen, während diese wie ein gummipuppenhafter Sprechdummy Abschieds-, Rechtfertigungs- und Entschuldigungssatzstummel aus dem Reservoir der Beziehungsfloskeln vor sich hinplappert. Natürlich: Dies ist ein Projekt. Es arbeitet, mal ernst, mal ironisch, mit Versatzstücken, Zitaten, Klischees und Überzeichnungen, um die Verflüssigung, die Auflösung des titelgebenden Vertrauens in alles und jeden abzubilden. Glaubwürdige Figuren, also einen Moment von Stille sollte man nicht erwarten. Darf man gar nicht, denn die Glaubwürdigkeit ist zusammen mit dem Vertrauen auch perdu. Da beißt sich die Inszenierungskatze stolz in den Immunisierungsschwanz. Aber solange sie so kurzweilig ist, geht auch Schlaumeierei. Wieder am 12., 14., 15. und 19.10. sowie am 20., 21., 22., 24. und 25. November. 12.10.2009 10:10 Theaterpremiere - "Trust" in der Schaubühne - intensiv bis komisch - Ku... 1 von 2 http://www.morgenpost.de/kultur/article1188133/Trust-in-der-Schaubu... THEATERPREMIERE "Trust" in der Schaubühne - intensiv bis komisch Sonntag, 11. Oktober 2009 22:50 - Von Katrin Pauly In "Trust" arbeiten sich Falk Richter und die niederländische Choreographin Anouk van Dijk an existenziellen Fragen ab: Fünf Schauspieler, vier Tänzer, ein Musiker untersuchen etwa, wie eine Gesellschaft ohne Vertrauen funktioniert. Das ist im Ergebnis komisch bis albern und wirkt substanzlos - was hier aber durchaus seinen Sinn hat. Wachsweich rutschen die Körper in ihren Anzügen jetzt von jenen Clubsesseln, aus denen sie einst, als sie jung waren, aufbrachen, sich das große, wilde Leben zu schnappen. So sehr sie sich mühen, sie kriegen es nicht zu fassen und sie kriegen einander nicht zu fassen. Es gibt keinen Halt. Körper entwinden sich, umfließen einander, aber finden nicht zusammen, Momente der Nähe scheinen nicht aushaltbar, immer kommt von irgendwo eine Kraft, die reißt an den Gliedern, in eine neue Richtung. Seit Falk Richter und die niederländische Choreographin Anouk van Dijk vor zehn Jahren das erste Mal für „Nothing hurts“ zusammenarbeiteten und sich dort mit Exzessen jeder Art beschäftigten, ist viel passiert. Zum Beispiel ein veritabler Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Was stellt der substanzielle Vertrauensverlust mit den erschöpften Menschen und ihren Beziehungen an? Wie funktioniert eine Gesellschaft ohne Vertrauen? Das untersuchen Richter und van Dijk in ihrem neuesten Gemeinschaftswerk „Trust“ mit fünf Schauspielern, vier Tänzern und dem Musiker Malte Beckenbach, der vom Mischpult aus drängende Beats beisteuert, jetzt an der Schaubühne. Es ist grandios gelungen, als eine Art von Gegenwartsdramatik, die punktgenau in ihrer Zeit sitzt, und zwar indem sie darauf wartet und drängt, dass genau diese Zeit bald vorbei sein möge. Richter inszeniert zusammen mit van Dijk seinen Text dicht und intensiv, mit einer großen Ruhe, die einen wie ein beunruhigender Sog erfasst. Tanz und Text ergänzen und formen einander als absolut gleichberechtigte Partner und sowohl Tänzer wie auch die Darsteller lassen sich gekonnt aufs jeweils andere Metier ein. Das Vage, das Angedeutete, das Mögliche läuft hier, in diesem Industriegestängeraum mit mehreren Ebenen, der ebenso Warenlager wie Großstadtloft sein könnte, zu großer Form auf. Beziehungen im Konjunktiv, aber da das alles so mühsam ist, fällt immer wieder dieser eine Satz: „Es ist zu kompliziert, jetzt alles zu ändern.“ Dabei hat sich längst alles geändert. Zum Beispiel bei Kay (Kay Bartholomäus Schulze) und Judith (Judith Rosmair), die sich nicht darauf einigen können, ob sie vor 14 Jahren mal drei Wochen zusammen waren oder sich vor drei Wochen nach 14 Jahren getrennt haben. Oder für Stefan, ebenfalls gespielt von sich selbst, von einem sehr präsenten und in der Sprache pointierten Stefan Stern, der sich an Kays Stelle an Beate erinnert und an eine Reise nach Shanghai, um dort mit dem japanisch isländischen Sozialsystemforscher Atsushi Lyngursvötsson über das Werk „Zusammenbrechende Systeme“ zu überarbeiten und darüber nachzudenken, dass das, was die RAF zum Zusammenbruch des Systems einst beizutragen gedachte nun von den Konzernchefs selbst erledigt wurde. Das mag albern sein, bisweilen auch überzogen, aber auch komisch. Dieser Abend entbehrt im besten Sinne jeglicher Substanz und selten war Substanzlosigkeit im Theater so sinnvoll und so substanziell zu spüren. Schaubühne am Lehniner Platz, Charlottenburg, 030/890023, www.schaubuehne.de. Termine: 14., 15., 19.10.; 20., 21., 22., 24., 25.11. 12.10.2009 10:21 Nachtkritik - Trust – Falk Richter und Anouk van Dijk erzählen tänzeris... 1 von 3 http://www.nachtkritik.de/index2.php?option=com_content&task=view... Trust – Falk Richter und Anouk van Dijk erzählen tänzerisch überhöht vom modernen Menschen || Ob du gehst oder bleibst, das ändert nichts von Simone Kaempf Berlin, 10. Oktober 2009. Es gibt kein Festhalten. Nicht in den Tanzszenen, wenn Arme in ausholenden Gesten zugreifen und die Körper der anderen doch nur für Momente halten können, bevor sie sich entwinden und wieder entgleiten. Nicht in den Texten von Falk Richter, wo der Satz "Lass uns einfach alles so lassen, wie es ist" immer dann die Runde macht, wenn eine Beziehung nur noch Fiktion ist, sich der Status quo also längst verändert hat. Aber auch der Apparat drumherum ist als Realität nicht mehr festzuklopfen. Kay zum Beispiel fantasiert sich auf eine Taxifahrt durch Paris, wo eine Videoinstallation ihn einerseits an eine Norwegenreise mit einer Jugendliebe erinnert und andererseits Fragen an eine ungewisse Zukunft aufwirft: Erlebt er jetzt den Zusammenbruch des Systems, so wie er es bisher kannte, oder taucht die Krise in zyklischen Abständen als Naturgesetz immer wieder auf? Choreographie der Zerreißprobe Dieser Kay (Kay Bartholomäus Schulze) erzählt in "Trust" seine Geschichte nicht selbst. Er sitzt in einem Sessel mit dem Laptop auf den Knien und lauscht staunend-verstört seiner Geschichte, die der Schauspieler Stefan Stern vorne an der Rampe ins Publikum schleudert, vielleicht gerade erst erfindet, mit sehr viel Grimassen und Überbetonungen; aber vor allem mit einer überraschenden Selbstironie, die Richters extrovertiertem und doch so ernstem Reden über Selbstauflösung und Nihilismus, eine wohltuende Tonlage gibt. Aber nicht nur das: Die niederländische Choreographin Anouk van Dijk erschafft die wichtige tänzerische Doppelung mit ihrer speziellen Bewegungstechnik, die immer an den Gliedern zu zerren scheint. Sie selbst, drei Mitglieder ihrer Compagnie und fünf Schaubühnenschauspieler agieren wechselnd auf der Bühne. Wenn der Text halb nihilistisch, halb orientierungslos ansetzt, dass es nichts ändern würde, ob man geht oder bleibt, sich berührt oder nicht, sich anschaut oder nicht, den anderen anruft oder nicht, dann offenbart die Choreographie die Zerreißprobe, die darin steckt. Materialsammlung der Maßlosigkeiten Oft tanzt van Dijk allein auf der Bühne. Mit sich windendem Körper, als ob an den Armen und Beinen unterschiedliche Kräfte wirkten, die schnelle Richtungswechsel provozieren. Wenn sich die Paare tänzerisch finden, dominiert das Annähern, Einknäulen und aneinander Abgleiten, das offen hält, woher diese Kräfte eigentlich stammen: gesellschaftlich von außen angetragen oder doch von innen herausgeboxt? Beides hakt sich in Falk Richters "Trust" unter. Sein Text ist zugleich Materialsammlung und Textfläche. Den unterschiedlichen Stimmen sind verschiedene Arten der Maßlosigkeit zuzuordnen. Eine Frau hat die Autos ihres Freundes verschenkt, seine Millionen verloren, sein Haus verkauft. Ein verlassener Mann sitzt Tag für Tag vor dem Fenster. Das Mädchen wiederum, das von ihren Eltern vernachlässigt wurde, allein zurückgelassen in einem Hotelzimmer in Shanghai, ist aus Rache Fondsmanagerin geworden, "Sprengmeisterin" nennt sie das, damit alles in die Luft fliegt. Und auch von der RAF ist die Rede, die jetzt in "Vierter Generation" in den Führungsetagen das gehasste System effizient und nachhaltig untergehen lässt. Die kalte Schönheit des Macbooks Klingt alles ins Absurde übertrieben, aber in Kombination mit dem Tanz gewinnt die Idee einer 12.10.2009 10:25 Nachtkritik - Trust – Falk Richter und Anouk van Dijk erzählen tänzeris... 2 von 3 http://www.nachtkritik.de/index2.php?option=com_content&task=view... zerstörerischen Kraft, die im Inneren das Prinzip Mensch ausmacht, etwas klaustrophob Überhöhtes, das in den Bann zieht. Denn die Körper erzählen in ihrer ganz eigenen Sprache, welche Kräfte in ihnen walten. Malte Beckenbach sorgt am Musikcomputer und an den Instrumenten für wechselnden Bühnensound. Er war schon vor zehn Jahren am DJ-Pult dabei, als Falk Richter und Anouk van Dijk in Nothing Hurts zum ersten Mal zusammenarbeiteten. Die Clubatmosphäre von damals sieht jetzt um einiges schicker aus, ist aber auch voll kalter Schönheit: der DJ nutzt jetzt ein Macbook, ein Emporengestänge ist im Bühnenhintergrund aufgebaut, schwarze Sofas und Clubsessel stehen auf der Bühne. Anfangs rutschen die sieben Schauspieler und Tänzer von den Sesseln auf den Boden, rappeln sich wieder hoch, straucheln und sacken wieder zusammen, kriechen langsam über den Boden vorwärts, bis sich alle als Kollektivkörper auf dem großen Sofa verknäulen und verhaken. Die Beats treiben sie, aber immer geht es einen Schritt vor, dann zieht sie etwas wieder zurück. Therapeutischer Schreiworkshop und existentieller Schmerz Zwischendurch steuert die Energie auf einen Kulminationspunkt zu: die Schimpf- und Sehnsuchtstiraden der Schauspieler werden lauter, die Beats werden drängender, bis es nicht mehr schneller geht und die Musik schlagartig abbricht. Kay spricht jetzt davon, wie es war, alleingelassen die Stille zu spüren. Aber das Bild, dass hier jemand am Boden ist, vervollständigt wieder einer der Tänzer, der sich am Boden wälzt und um die eigene Achse dreht. Der Abend wechselt immer wieder die Stimmungslage. Manchmal überlappen sich Tanz und Schauspiel in harten Schnitten, dann fließt alles ineinander. Mal sitzen die Spieler auf Stühlen in einem therapeutischen Schreiworkshop, in dem das Imitieren von Hundegebell nicht gelingen will. Von diesen Stühlen gleiten sie auch herunter, ziehen sich wieder hoch, um doch wieder zu straucheln. Eine Kraft treibt sie, und in der steckt auch ein existenzieller Schmerz, dem die Verbindung aus Tanz und Schauspiel berührend Ausdruck verleiht. "Unser System basiert im Kern darauf, virtuelle Werte zu schaffen und reale Werte zu verbrennen", heißt es einmal in Richters Text. Die Tanzszenen bleiben immer abstrakt genug, auch solche Assoziationen zuzulassen. Trust (UA) Ein Projekt von Falk Richter und Anouk van Dijk Regie und Choreographie: Falk Richter und Anouk van Dijk Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Malte Beckenbach, Dramaturgie: Jens Hillje. Mit: Peter Cseri, Anouk van Dijk, Lea Draeger, Jack Gallagher, Vincent Redetzki, Judith Rosmair, Kay Bartholomäus Schulze, Stefan Stern, Nina Wollny, Musiker: Malte Beckenbach. www.schaubuehne.de Mehr lesen? Kritiken zu weiteren Falk Richter-Aufführungen an der Berliner Schaubühne finden Sie hier: Kabale und Liebe vom Dezember 2008, Der Kirschgarten vom Januar 2008, Im Ausnahmezustand vom November 2007. Kein Kommentar zu diesem Artikel. 12.10.2009 10:25 Deutschlandfunk - Kultur heute - Krisenmanagement - Das Projekt "Trust" 1 von 2 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1048949/drucken/ dradio.de KULTUR HEUTE 11.10.2009 · 17:30 Uhr Berliner Schaubühne am Leniner Platz (Bild: AP Archiv) Krisenmanagement - Das Projekt "Trust" Falk Richter und Anouk van Dijk inszenieren an der Berliner Schaubühne Von Eberhard Spreng Ein paar Workshopteilnehmer sitzen auf einer Bank und sollen einmal ganz wütend bellen, aber wie auch immer ihr Coach sie anstachelt, es kommen immer nur klägliche Laute von ihren Lippen. So, als wäre die Wut aus dem Repertoire ihrer Gefühle getilgt. Es sind szenische Metaphern wie diese, mit denen Falk Richter und die Choreografin und Tänzerin Anouk van Dijk von der seelischen Verfassung von Menschen im Turbo-Kapitalismus erzählen. Da ist zum Beispiel ein Paar, das sich, leitmotivisch wiederkehrend, mit der Frage beschäftigt, ob und wie lang zwischen ihnen überhaupt eine Beziehung bestand. Kay Bartholomäus Schulze und Judith Rosmair spielen diese modernen Imagekonstrukte in ihren Ritualen des Verpassens. Sie hat sein vieles Geld durchgebracht und seine Autos verschenkt an irgendwelche Lover, und während sie in einer atemlosen Suada eine Kaskade der Treulosigkeiten offenbart, ergreifen sie zwei Tänzer, und lassen sie durch die Luft fliegen wie ein Fabelwesen. Eine bravouröse Fusion aus Bild, Bewegung und Sprache, und einer der kurzen Augenblicke, in denen der alte Traum der neuen Schaubühne von der Fusion von Tanz und Theater eingelöst wird. Denn manches bleibt unverbunden: Da sind immer wieder tänzerische Figuren des Abprallens und des Abstoßens zu sehen, während von der Hoffnungslosigkeit in Beziehungsdingen die Rede ist, ist der tänzerische Beitrag nur eben illustrativ und nicht aus sich heraus szenisch erhellend. In loser Folge laufen die Szenen auf einer von einem schwarzen Galeriegerüst nach hinten begrenzten Bühne ab, während Falk Richters Darsteller auf der Vorderbühne in Monologen aktuelle Themen abhandelt: "Und wir fahren vorbei an einer Gruppe demonstrierender Mittfünfziger, Angestellte eines in Not geratenen Warenhauses, die schweigend hinter einem großen Banner mit der Aufschrift "Wir sind das Herz der Innenstadt, lasst uns nicht sterben" auf den bevorstehenden Zusammenbruch der großen Warenhauskette hinweisen und sind leise verwirrt, da wir uns noch an Zeiten erinnern, da noch gegen diese Tempel des Konsumterrors eines als unmenschlichen Schweinesystems verschrienen Orte aggressivst mobilgemacht wurde." War der ehemalige Vorstandschef, gemeint ist natürlich Thomas Middelhoff, mit seinem KarstadtZerstörung-Werk nicht viel effektiver als dereinst die RAF, fragt Falk Richter in einem seiner politische Soli, für deren kabarettöse Darstellung sich das Publikum mit Szenenapplaus bedankt. Die Bereicherungswut weniger, so die Bilanz des Abends, die Subsummierung sämtlicher Lebensbereiche unter eine umfassende Geld-Herrschaft mit ihrem Cross-Border-Leasing und anderen Produkten der New Economy zerstört nicht nur die Lebenswelt der Menschen und ihre Beziehungsfähigkeit, sondern letztlich auch das Bewusstsein ihrer selbst und damit eine der Errungenschaften der abendländischen Aufklärung. Warum aber, und das ist für Falk Richter die zentrale Frage, ist kein Widerstand gegen die Herrschaft dieser Zustände erkennbar? "Das Vertrauen ist nun einfach mal weg, und meine Wut muss ja mal irgendwo hin. Ich kann ja nicht unentwegt, wenn ich wütend bin, ein Che-Guevara-T-Shirt bei Prada kaufen und damit voll wütend über den K-Damm laufen. Ich muss doch endlich mal Formen entwickeln, damit meine Wut in irgendetwas hineinfließen kann, bei dem ich das Gefühl habe, Sachen ändern sich und zwar nicht immer nur Sachen, 12.10.2009 10:28 Deutschlandfunk - Kultur heute - Krisenmanagement - Das Projekt "Trust" 2 von 2 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1048949/drucken/ die man kaufen muss." Am Ende, wenn der Abend in melancholischer Meditation endet, ist von einem Zustand immerwährender Vergebung die Rede, von einer Welt, in der jeder Fehler sofort wieder ausgeglichen wird, jede verlorene Milliarde gleich wieder nachgedruckt wird, jeder Irrtum auf dem Wege von einem freundlichen Navigationssystem sofort korrigiert wird. In Richters "Trust", was ja sowohl Vertrauen meint als auch den globalen Konzern- und Machtkomplex, sind die reichen Menschen jetzt in einer himmlischen Verantwortungslosigkeit angelangt, wo Geld und Religion eins geworden sind. "In God we trust" steht auf amerikanischen Dollarnoten, und was es bedeutet, wenn man Gott und Geld fusioniert, darüber gibt "Trust" witzig-böse Auskunft. © 2009 Deutschlandradio 12.10.2009 10:28 3sat.online: Da da & da http://www.3sat.de/SCRIPTS/print.php?url=/kulturzeit/tips/138537/ind... Da da & da Kulturelle Höhepunkte des Wochenendes Was tut sich in Deutschlands kulturellen Zentren von Freitagabend bis Sonntagnacht? In unserem Rückblick "Da da & da" haben wir die drei interessantesten Events vom Wochenende ausgewählt. Unsere Reporter sind vor Ort und bewerten, was sie gesehen haben. Ob Hochkultur, ob Underground - "Kulturzeit" gibt einen Tipp ab. Trust Bernhard Kungel hat sich das Stück "Trust" an der Berliner Schaubühne angeschaut: Geschlechterreigen - "Trust", die zweite Zusammenarbeit von Choreografin Anouk van Dijk und Regisseur Falk Richter, wirbelt Tanz und Schauspiel durcheinander. Es ist ein mitreißender Mix aus Bewegung und Worten über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Beziehungsleben. Vier Schauspieler und vier Tänzer durchleiden den Vertrauensverlust. Bis kurz vor der Uraufführung wurde noch an Text und Tanzimprovisationen gefeilt - dem Zeitgeist hart auf der Spur. Theater "Trust" von Falk Richter und Anouk van Dijk Schaubühne Berlin Nächste Vorstellungen: 14.,15. und 19.10.2009 "Das, was sich gerade in der Gesellschaft und in der Wirtschaft abzeichnet, wenn das plötzlich auf die Beziehungen abfärbt, also wenn der Markt und der Beziehungsmarkt sich anfangen zu ähneln, wenn es kein Vertrauen mehr gibt, werden sich bestimmte Werte auflösen", so Falk Richter. Und Anouk van Dijk ergänzt: "Das war unser Ausgangspunkt. Danach ging es immer hin und her. Ich bot einige Tanzbewegungen an und Falk schrieb seine Text dazu. Die brachten uns zu neuen Bewegungsabläufen und dann ließen wir unseren Ideen freien Lauf." Die zweistündige "Therapiesitzung" auf der Bühne variiert das Krisenthema mit großer Spielfreude und beißendem Wortwitz. Auch ohne Rezepte zur Krisenbewältigung ist der Besuch von "Trust" ein äußerst lohnender Theaterabend. Here and Now Werner Rauene war für Kulturzeit in der Düsseldorfer Stoschek Collection: Hinter einem eher unspektakulären Torbogen in Düsseldorf-Oberkassel ist in einer ehemaligen Jugendstil-Fabrik eine der spektakulärsten Adressen für Video-Kunst angesiedelt. Seit 2007 zeigt die 33 Jahre alte Julia Stoschek im eigenen Museum erfolgreich Video-Kunst von Nam Jun Paik bis Bruce Nauman. Die Ausstellung "Here And Now" zeigt nun - in Zusammenarbeit mit dem New Yorker MoMA - 100 Jahre Aktionskunst, Performance und Happenings. Leider können die enzyklopädisch überfrachtete Dokumentation und die vielen Bildschirme die Sinnlichkeit von Live-Auftritten kaum transportieren. "Ich glaube, dass eine Ausstellung wie hier in der Stoschek Foundation für viele junge Künstler einfach Material vor Augen führt, wo man sich einen Überblick über künstlerisches Schaffen und künstlerische Aktionen bilden kann“, sagt Klaus Biesenbach vom MoMA New York. Deswegen werden in den nächsten Monaten 28 Performance-Künstler wie Marina Abramovic live für die nötige Spannung sorgen. Ausstellung "Here And Now" Julia Stoschek Collection, Düsseldorf bis 16.07.2010 1 von 2 13.10.2009 11:08 Dienstag, 13. Oktober 2009 S Frankfurter Rundschau So lassen, wie es ist Falk Richters „Trust“ an Berlins Schaubühne Von Peter Michalzik S von unserem Gedankenaustausch sicher profitieren. Vielleicht können wir mit diesem Gespräch einen fruchtbaren West-Ost-WestOst-Dialog beginnen. Vielen Dank. Aber ich habe meine Jahre vertan, bin also viel unerfahrener als Sie. Darum stelle ich auch die Fragen. Haben Sie s elbstverständlich können auch wir in den Kopf des Regisseurs und Autors Falk Richter nicht hineinsehen. Aber irgendwie wird man in der Berliner Schaubühne bei der Uraufführung seines neusten Stücks „Trust“ das Gefühl nicht los, dass da – im Kopf von Falk Richter – in letzter Zeit lauter kleine Ex- oder Implosionen stattgefunden haben müssen. Er wirkt wie von sich selbst befreit, gereift, gewachsen. Dass Richter über die Finanzkrise schreiben musste, das war eigentlich klar, zu sehr ist der entfesselte Kapitalismus und was er mit uns macht, sein Thema. Aber dass das so bitter, lustig, verzweifelt und böse werden würde wie in seinem „Trust“, damit war nicht zu rechnen. Vielleicht liegt es auch an Anouk van Dijk. Mit vier Tänzern einschließlich sich selbst reichert sie Richters Aufführung an. Ziemlich schnell wird klar, wie gut das Richters Sätzen tut. „Und wenn ich dich wirklich, wirklich wollen würde, würde es nichts ändern“, sagen sie, oder: „Lass uns einfach alles so lassen, wie es ist“, zwei Leitmotive des Abends. Dazu sieht man dann versuchte Umarmungen, Annäherungsversuche, sich selbst entfremdete Körper. Man sieht Leiber, die sich ineinander drehen wollen, aber letztendlich doch aneinander vorbei bewegen. umspannendem Konzern. „I can“t trust you.“ Aber wenn ich dir vertrauen würde, würde das auch nichts ändern. Dazu bricht in einer Gruppentherapiestunde aus der Unfähigkeit, aggressiv zu sein, eine Wut auf die Verursacher der Finanzkrise heraus, wie wir sie noch nie gesehen haben. Man fragt sich, warum wir nicht wirklich den nächstbesten Finanzhai zusammenschlagen und stattdessen FDP wählen. Es wird auch erklärt, warum das Zerstörungswerk des ehemaligen Vorstandschefs von Karstadt bei der endgültigen Vernichtung des Kapitalismus weitaus erfolgreicher ist, als es die RAF mit Kauf- Lange Loops Ertappt. Wo er Recht hat, hat er Recht. Sie haben bei Ihrer Rede zum 60. Jahrestag der Volksrepublik gesagt: Man könne voller Stolz auf die Vergangenheit und voller Zuversicht in die Zukunft sehen. Nur Zuversicht? Machen Sie sich gar keine Sorgen? Wir haben, das ist der erste Grund für unsere Zuversicht, den Weg für die Entwicklung Chinas gefunden. 1949 hieß es, China sei unregierbar. Das Land sei zu groß, zu arm und die Chinesen zu undiszipliniert. Das ist widerlegt. Der zweite Grund für unsere Zuversicht ist die Unterstützung der Bev Da stört an Richters Texten überhaupt nicht mehr, was sie schwächte, wenn sie ein richtiges Drama ergeben sollten: Sie sind lange Loops, wo man am Anfang denkt, dass man weiß, wo man am Ende rauskommt – und damit auch Recht hat. Durch den Tanz und die selbständigen Bewegungen werden daraus Textflächen, als Textflächen beschreiben sie Zustände und als Zustandsbeschreibungen sind sie wunderbar und wachsen über sich hinaus. Der junge Schauspieler Stefan Stern etwa hat gleich am Anfang einen großen Monolog, wo er eine dieser Falk-Richter-Geschichten mit einer großartigen detailverliebten Genauigkeit und einem Nachdruck erzählt, als könne er dadurch wirklich noch etwas erreichen. Eingespannt in Zusammenhänge auf der ganzen Welt, zwischen einer atmenden Pariser Sofainstallation auf der Menschen mit Kunstbänden schlafen und einem Treffen mit dem japanisch-isländischen Sozialsystemforscher Atsushi Lyngursvötsson in Shanghai geht was zu Bruch? Klar, die Beziehung, und zwar die zu Judith. Judith ist Judith Rosmair, ohnehin eine Spezialistin für rotierende Textspiralen, sie beteuert ihrerseits, dass sie ihr Leben ändern möchte, so dass Kay, das ist Kay Bartholomäus Schulze, ihr ab jetzt wirklich vertrauen könne. Aber sie tut genau das Gegenteil. So steckt dann das alles zwischen „trust“ und „trust“, zwischen persönlichem Vertrauen und welt- hausbrand usw. je war. Und die Beziehungsunfähigkeit steigert sich in einen endlosen Trennungsslapstick, wo aus der Absurdität des Aneinandervorbeiredens irgendwann düstere Verzweiflung kriecht. Diese Beziehungen lösen sich nicht auf, sie brauchen sich auf wie Strom in der Handybatterie oder die Erdölreserven in der Nordsee. Alles ist Verwertung. „I used to want to change the world and now I’m just caring about parking place.“ Falk Richter lässt den Selbstwiderspruch zu, daraus brechen dann diese verdrehten Bewegungen, irren Textschleifen und steilen Dialogkurven hervor, manchmal kommt er damit René Polleschs Theaterwirbeln sehr nah, aber das macht nichts. Anouk van Dijk hat die Schauspieler ebenfalls weit gebracht, sie gliedern sich hervorragend in das Tanzensemble ein, genauso wie sich die Tänzer gut ins Spiel integrieren. Wenigstens auf der Eben klappt das mit den Beziehungen ja noch hervorragend. Schaubühne Berlin: 14., 15. und 19. Oktober, 20.-25. November.