Einwanderer in politischen Ämtern - Max-Planck

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Jahrbuch 2008/2009 | Schönw älder, Karen | Einw anderer in politischen Ämtern: in Deutschland noch eine
Seltenheit
Einwanderer in politischen Ämtern: in Deutschland noch eine
Seltenheit
Immigrants in Mainstream Politics: In Germany Still Rare
Schönw älder, Karen
Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, Göttingen
Korrespondierender Autor
E-Mail: schoenw [email protected]
Zusammenfassung
Noch ist die Integration von Migrantinnen und Migranten in politische Entscheidungsprozesse ein w enig
untersuchtes Thema. Ein Projekt am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer
Gesellschaften beschäftigt sich mit Bedingungen und Verläufen politischer Karrieren von Einw anderern und
zeigt, dass
solche
Karrieren
im Falle
von
Parlamentsmitgliedern
in
europäischen
Staaten
offenbar
unterschiedlichen Mustern folgen.
Summary
So far, the integration of immigrants in political decision-making processes is a little researched topic. A project
at the Max-Planck-Institute for the Study of Religious and Ethnic Diversity investigates the conditions and
development of immigrants’ political careers and show s that the careers of members of parliaments follow
different logics in different European states.
Dass die Bevölkerung Deutschlands – w ie die vieler anderer heutiger Gesellschaften – in vieler Hinsicht
heterogen ist, ist mittlerw eile w eithin bekannt. Fast zw anzig Prozent der hier lebenden Menschen haben
einen sogenannten Migrationshintergrund; sie selbst oder zumindest ein Elternteil sind als Einw anderer in die
Bundesrepublik gekommen. Zu Recht w ird heute der Integration dieser Menschen in die Gesellschaft der
Bundesrepublik große Bedeutung zugemessen. Ihre geringeren Chancen auf eine höhere Bildung, eine solide
Ausbildung und einen Arbeitsplatz w erden als Problem thematisiert [1]. W ie aber steht es um die Politik
selbst? Welche Chancen haben Einw anderer oder deren Nachkommen, diese Gesellschaft als politische
Akteure mitzugestalten, in politische Führungspositionen aufzusteigen? Sind auch die politischen Institutionen
dieser Gesellschaft bereit zur vielfach eingeforderten interkulturellen Öffnung, bereit dazu, die zunehmende
Vielfalt der Gesellschaft angemessen auch in ihrem Personal zu reflektieren?
Erst relativ w enige Untersuchungen haben sich mit diesen Fragen befasst. Selbst in Ländern w ie den USA, w o
Einw anderer und ethnische Minderheiten schon lange als w ahlpolitischer Faktor anerkannt sind, gilt die
Forschung zu Ausmaß, Formen und Mechanismen ihrer politischen Partizipation als w enig entw ickelt [2]. In
Deutschland gibt es erst neuerdings ein gew isses Interesse am politischen Verhalten der Eingew anderten und
insbesondere der Eingebürgerten. Sow ohl die Politik als auch die W issenschaft reagieren erst, seitdem die
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w ahlpolitische Relevanz dieser Bevölkerungsgruppe langsam w ächst. Etw a fünf Millionen Deutsche mit
Migrationshintergrund
sind
heute
im w ahlberechtigten
Alter, also
immerhin
etw a
acht
Prozent
der
zw eiundsechzig Millionen Wahlberechtigten. Sollten die Einbürgerungszahlen w eiter niedrig bleiben (sie sind
nach dem Reformjahr 2000 gefallen), w ird das w ahlpolitische Gew icht dieser Gruppe allerdings nur langsam
zunehmen (Abb. 1). Erst 2018 w erden die als Deutsche geborenen Kinder ausländischer Einw anderer ins
Wahlgeschehen
eingreifen.
Dennoch
könnten
die
Eingebürgerten
und
anderen
Deutschen
aus
Migrantenfamilien vor allem bei knappen Wahlentscheidungen sow ie bei Wahlen in einigen Städten und
Bundesländern mit besonders hohem Einw andereranteil schon bald eine w ichtige Rolle spielen.
: Einbürge runge n von Auslä nde rn in De utschla nd im Ze itra um
von 2000 bis 2007.
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m ultie thnische r Ge se llscha fte n
Untersuchungen am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften
nehmen zunächst vor allem die Spitze politischer Organisationen und Institutionen in den Blick und fragen,
unter w elchen Bedingungen Menschen aus Migrantenfamilien in Führungspositionen aufsteigen und w elche
Voraussetzungen diese politisch erfolgreichen Migrantinnen und Migranten mitbringen. Dabei soll es nicht
allein um Parlamentsabgeordnete gehen, sondern auch um Führungspersonal in Gew erkschaften, politischen
Verbänden und Parteien. In einem w eiteren Schritt sollen dann die Perspektiven erw eitert und breiter
analysiert w erden, w ie politische Institutionen sich für eine neue gesellschaftliche Vielfalt öffnen. Dabei w ird
etw a untersucht w erden, ob bezüglich einer Repräsentanz der Geschlechter oder der ethnischen Gruppen
Gemeinsamkeiten oder Unterschiede bestehen und w ie sich Veränderungen des politischen Lebens und die
Pluralisierung der Gesellschaft auf die Offenheit politischer Institutionen ausw irken.
W ill man verstehen, w ann und w arum Einw anderern der Aufstieg in Parlamente gelingt oder ermöglicht w ird,
dann erscheinen vor allem Überlegungen fruchtbar, die sich auf das Zusammenw irken allgemeiner politischinstitutioneller Strukturen (etw a des Wahlrechts), politisch-kultureller Bedingungen (w ie den längerfristig
etablierten Positionen zur Stellung von Einw anderern und ethnischen Minderheiten in der Gesellschaft) und
den in konkreten Konstellationen vorliegenden Bedingungen, Motiven und Interessen konzentrieren. Daneben
sollten auch Charakteristika der Einw anderer selbst berücksichtigt w erden. So zeigt etw a eine Studie zur
Vertretung von Einw anderergruppen in den lokalen Parlamenten britischer und französischer Städte, w ie in
Großbritannien drei Faktoren zusammenw irkten, um in bestimmten Städten eine vergleichbar frühe Öffnung für
Repräsentanten
der
ethnischen
Minderheiten
zu
bew irken:
das
relative
Mehrheitsw ahlsystem
in
Einpersonenw ahlkreisen (das Wahlerfolge konzentriert siedelnder Gruppen erleichtert), die große Bedeutung
des Antirassismus in der politischen Kultur und die zeitw eilige Linksentw icklung der Labour Party, die eine
multikulturelle Politik auch als Abgrenzungsmerkmal zu den von Thatcher und dann Major geführten
Konservativen einsetzte [3]. In Birmingham etw a w urde 1993 eine gemessen am Bevölkerungsanteil
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repräsentative Vertretung der „ethnic minorities“ erreicht, nachdem schon 1979 die ersten beiden ethnischen
Minderheiten zugerechneten Councillors (Ratsmitglieder) gew ählt w orden w aren.
In den Niederlanden dagegen w ar es eine politische Intervention des Parlaments, die die Bedingungen für
eine recht w eitgehende politische Inkorporation von Einw anderern, zumindest auf kommunaler Ebene,
herstellte. Als Teil der multikulturellen Minderheitenpolitik der 1980er-Jahre w urde Ausländern ein kommunales
Wahlrecht eingeräumt. Die Zahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund stieg in den folgenden Jahren
schnell an: Immerhin 302 kommunale Parlamentarier w urden 2006 gezählt. Bemerkensw ert ist, dass sich der
Impuls der erw eiterten Beteiligungsmöglichkeiten offenbar auch auf das nationale Parlament, für das kein
Ausländerw ahlrecht besteht, ausw irkte: 2006 w urden 17 der 150 Sitze von Minderheitenangehörigen
eingenommen. Anders als in Großbritannien, w o Angehörige der ethnischen Minderheiten vor allem für die
Labour Party antreten, gehören diese in den Niederlanden einem breiten Spektrum unterschiedlicher Parteien
an [4, 5]. Die viel gescholtene multikulturelle Politik könnte gerade im Bereich der politischen Integration
positive Ausw irkungen gehabt haben.
In Deutschland treten Politikerinnen und Politiker aus den Herkunftsländern der Gastarbeiter und Flüchtlinge
erst langsam auf die politische Bühne. Die erst seit Anfang der 1990er-Jahre stärker ansteigende Zahl
eingebürgerter Migrantinnen und Migranten, ein gesellschaftliches Klima, in dem gleiche Rechte für diese
keinen hohen Rang einnehmen, und die desinteressierte bis abw eisende Haltung der großen Parteien sind
hierfür w esentlich verantw ortlich. Dass vor allem seit Mitte der 1990er-Jahre Politikerinnen und Politiker aus
Migrantenfamilien auch in deutschen Parlamenten auftauchen, ist w esentlich auf die Offenheit der Partei der
Grünen und neuerdings auch der Linken zurückzuführen (Abb. 2). Sie stellen sieben der heute elf
Bundestagsabgeordneten mit Migrationshintergrund. Hinzu kamen die kollektive Hinw endung der politischen
Energien vor allem der türkeistämmigen Einw anderer auf Deutschland und der individuelle Ehrgeiz von
Menschen, die mitreden und mitgestalten w ollen. Eine umfassende, öffentliche Kampagne mit dem Ziel, die
eigene Repräsentanz in politischen Positionen zu erhöhen, gibt es aus den Reihen der in Deutschland
lebenden Migrantenbevölkerung nicht. Anders als in den USA oder in Israel, w o eine derartige Mobilisierung
durchaus normal ist und als legitim betrachtet w ird, w ürde dies in Deutschland – dies zumindest befürchten
Migrantenpolitiker – zu heftigen Abw ehrreaktionen führen.
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Fa ltblä tte r a nlä sslich de r W a hl zum Be rline r
Abge ordne te nha us 2006.
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m ultie thnische r Ge se llscha fte n
Die großen Parteien SPD und CDU betrachten es heute zw ar als w ünschensw ert, den einen oder anderen
Einw anderer in ihren Fraktionen und vielleicht auch Vorständen zu haben, machen aber bislang kaum einen
energischen Versuch, dies auch zu erreichen. Langfristig entstandene Machtstrukturen, lokale Erbhöfe und
Ängste vor negativen Reaktionen der W ählerschaft auf solche Kandidatinnen und Kandidaten sind offenbar
hemmende
Faktoren. Die
Stärkung
der eigenen
Anziehungskraft auf W ählerinnen
und
W ähler aus
Migrantenfamilien ist andererseits noch kein gew ichtiges Argument, um – über Einzelbeispiele hinaus –
Migrantenpolitiker als Repräsentanten der eigenen Politik in den Vordergrund zu rücken.
Aber auch in den Führungsetagen anderer politischer Organisationen, von Umw eltverbänden bis zu den
Gew erkschaften, scheinen Migrantinnen und Migranten noch w enig vertreten. Dies allerdings bleibt noch
genauer zu erforschen.
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[1] K. Schönwälder:
Reformprojekt Integration.
In: Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Sozialw issenschaftliche Essays, Band 693 der Schriftenreihe der BPB. (Hg.)
J. Kocka. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2008, 315–334.
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[2] S. K. Ramakrishnan:
Democracy in Immigrant America: Changing Demographics and Political Participation.
Stanford University Press, Stanford 2005.
[3] R. Garbaye:
Getting into Local Power: The Politics of Ethnic Minorities in British and French Cities.
Blackw ell, Oxford 2005.
[4] A. van Heelsum:
Political Participation of Migrants in the Netherlands since 1986.
Amsterdam 2007 (unpublished paper).
[5] L. Michon, J. Tillie, A. van Heelsum:
Political Participation of Migrants in the Netherlands since 1986
2007 (unpublished paper).
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