Interdisziplinäres Tumorzentrum Klinikum · Eberhard-Karls-Universität Tübingen Prostatakarzinom Autoren: A. Stenzl (Sprecher) A. Anastasiadis C. Belka H. Bichler C. Bokemeyer P. Cuno D. Dimitrijevic H. Dittmann G. Egghart G. Feil A. Di Gangi-Herms M. Haug J. Kleeberg W. Klett J. Köhler M. Kuczyk S. Lahme V. Laible H. Nagel F. Paulsen H. Preßler J. Schleicher H.-P. Schlemmer N. Weidner M. Wickert A. Zumbrägel Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Firmen Hoffmann-La Roche AG, GrenzachWyhlen Novartis Pharma GmbH, Nürnberg Impressum Prostatakarzinom Schriftenreihe „Therapieempfehlungen“ des ITZ Tübingen ISSN 1438-8979 Die aktuellen Therapieempfehlungen sind auch online abrufbar unter http://www.itz-tuebingen.de/itztllon.html Bereits erschienen: – – – – – – – – – – – – – – – – Aufklärung von Tumorpatienten (2. Aufl., Juli 2000) Bronchialkarzinom (2. Aufl., November 1999) Endokrine Tumoren (ohne Schilddrüse) (1. Aufl., Juli 1997) Gynäkologische Tumoren (2. Aufl., Juli 2003) Harnblasenkarzinom (1. Aufl., September 2000) Hodentumoren (1. Aufl., Juli 1995/vergriffen) Kolonkarzinom, Rektumkarzinom, Analkarzinom (2. Aufl., August 2003) Lymphome (1. Aufl., März 2002) Magenkarzinom (2. Aufl., September 2001) Malignes Melanom (1. Aufl., Juli 1997) Mammakarzinom (3. Aufl., September 2003) Nierenzellkarzinom (1. Aufl., August 2000) Ösophaguskarzinom (1. Aufl., Februar 1996/vergriffen) Pädiatrische Onkologie (1. Aufl., Juli 2000) Pankreaskarzinom (1. Aufl., Mai 1996/ vergriffen) Peniskarzinom (2. Aufl., Juli 1998) – – – – – – – Pharynx- und Larynxstumoren (1. Aufl., Dezember 2003) Primäre Hirntumoren und ZNS-Metastasen (4. Aufl., August 2003) Sarkome (1. Aufl., März 1998) Schmerztherapie bei Tumorpatienten (11. Aufl., August 2003) Solide Hauttumoren (1. Aufl., November 1996) Supportivtherapie (1. Aufl., Oktober 1998) Tumoren des hepatobiliären Systems (1. Aufl., Oktober 1997) In Vorbereitung: – – – – – – – Hämatologische Neoplasien Hodentumoren (2. Aufl.) Malignes Melanom (2. Aufl.) Mund- und Gesichtstumoren Pankreaskarzinom (2. Aufl.) Schilddrüsenkarzinom Solide Hauttumoren (2. Aufl.) Impressum Herausgeber: Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen am Klinikum der Eberhard-Karls-Universität Herrenberger Str. 23 · 72070 Tübingen Telefon: (07071) 29-85235/ -85236 Telefax: (07071) 29-5225 E-mail: [email protected] www.itz-tuebingen.de Redaktion: Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl (Sprecher der Arbeitsgruppe) Dr. med. Aristotelis Anastasiadis, Prof. Dr. med. Markus Kuczyk Helmut Braunwald / Friederike de Pay / Jan Wohlers (Geschäftsstelle des ITZ) Satz und Druck: Gulde-Druck GmbH, Tübingen Diese Publikation des ITZ Tübingen ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Verbreitung, Vervielfältigung, Mikrophotographie, Vortrag und Übersetzung in Fremdsprachen sowie Speicherung und Übermittlung – auch auszugsweise – sind nur mit Zustimmung des ITZ gestattet. Aus der Wiedergabe von Produktbezeichnungen kann keinerlei Rückschluss auf einen eventuell bestehenden wz-rechtlichen Schutz gezogen werden. Die Auswahl der Handelsnamen ist unvollständig und willkürlich. Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Impressum Prostatakarzinom Vorwort Sehr verehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, zahlreiche interdisziplinäre Arbeitsgruppen des Interdisziplinären Tumorzentrums Tübingen haben Empfehlungen für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge solider Tumoren und Systemerkrankungen sowie für weitergefasste, onkologisch bedeutsame Themenbereiche wie zum Beispiel die Aufklärung von Tumorpatienten, die supportive Therapie und die Therapie von Tumorschmerzen erarbeitet. Es werden dabei vorhandene nationale und internationale Leitlinien zu Grunde gelegt und auf dem Hintergrund der regionalen Spezifika adaptiert. Unter Zusammenarbeit aller beteiligten Fachdisziplinen soll auf dieser Grundlage der nach dem derzeitigen Kenntnisstand für optimal erachtete Behandlungsweg aufgezeigt werden. Es ist nicht beabsichtigt, einen umfassenden Überblick über alle therapeutischen Möglichkeiten zu geben. Diese können in Lehrbüchern der Onkologie nachgelesen werden. Die gegebenen Empfehlungen werden innerhalb des Interdisziplinären Tumorzentrums Tübingen als verbindlich angesehen. Ihre Anwendung unterliegt im Einzelfall der individuellen ärztlichen Verantwortung. Durch neue Forschungsergebnisse können sich relativ rasch Änderungen ergeben. Der behandelnde Arzt muss sich darüber informieren, ob sich seit der Abfassung der Empfehlungen neue Gesichtspunkte ergeben haben. Ebenso müssen die in Therapieprotokollen gegebenen Medikamentendosierungen stets überprüft werden. Obwohl diese Angaben mehrfach durchgesehen wurden, entbindet dies jedoch nicht von einer Kontrolle der Dosierung vor Verabreichung eines Medikaments. Wir hoffen, mit diesen Behandlungsempfehlungen zu einer weiteren Verbesserung der Betreuung von Tumorkranken beizutragen. Das Interdisziplinäre Tumorzentrum Tübingen ist bestrebt, die Empfehlungen regelmäßig zu überarbeiten und auf dem neuesten Stand zu halten. Dennoch werden sich immer wieder Fragen der Abstimmung verschiedener Therapiemaßnahmen ergeben. Deshalb sollte die Möglichkeit der Besprechung von Patienten mit schwierigen Krankheitsverläufen in den interdisziplinären onkologischen Kolloquien des Tumorzentrums genutzt werden. Für alle Fragen bei der Behandlung Ihrer Patienten steht Ihnen der telefonische Onkologische Beratungsdienst des Interdisziplinären Tumorzentrums Tübingen zur Verfügung. Information über Telefonberatung und die interdisziplinären Tumorkonferenzen erhalten Sie über Telefon: 07071/29-85235, Telefax: 07071/29-5225 oder auf den Internetseiten des Tumorzentrums unter www.itz-tuebingen.de/ itzarzt.html. Professor Dr. L. Kanz Sprecher des Tumorzentrum Stand: Januar 2004 Professor Dr. K.-E. Grund Sekretär des Tumorzentrums Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Vorwort Prostatakarzinom Vorwort des Sprechers Die vorliegende Therapieempfehlung zum Prostatakarzinom stellt eine für ein einzelnes Tumorzentrum sicher ausführliche Erläuterung dar. Auf der anderen Seite sollen hierdurch die umfangreichen Aktivitäten bezüglich der Diagnose und Therapie dieses Tumors innerhalb des Tübinger Universitätsklinikums zum Ausdruck gelangen. Die Therapieempfehlungen sind geprägt von einem Konsensus der unterschiedlichen Fachdisziplinen, die sich mit dem Prostatakarzinom beschäftigen. Im Gegensatz zu den verfügbaren nationalen und internationalen Leitlinien wurden die hier vorgelegten Ausführungen somit nicht von einer einzigen Fachdisziplin verfasst. Es haben sich Fachrichtungen mit zum Teil konkurrierenden Behandlungsmethoden auf Therapieempfehlungen geeinigt. Somit ist es allen mit der Diagnose und Behandlung des Prostatakarzinoms befassten Kollegen, aber auch allen Betroffenen möglich, sich ein umfassendes und objektives Bild vom zeitgerechten Management des Prostatakarzinoms zu verschaffen. Besondere Berücksichtigung fanden dabei die Stärken der einzelnen, am Universitätsklinikum Tübingen vertretenen Fachdisziplinen. Zunehmende Erkenntnisse, künftige Neuerungen hinsichtlich der Gerätetechnik und Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Operationsstandards werden immer wieder zu einem Überdenken der hier formulierten Empfehlungen führen. Um aber für die Klinik verbindliche Therapieempfehlungen aussprechen zu können, bedarf es einer mehrjährigen klinischen Erfahrung mit einzelnen Diagnose- und Therapiemodalitäten. Vor diesem Hintergrund werden künftige Modifikationen der vorliegenden Richtlinien zeitgemäße Veränderungen aufnehmen, die eine für den einzelnen Patienten fundierte Übersicht beinhalten. Prof. Dr. med. A. Stenzl Sprecher der Arbeitsgruppe „Prostatakarzinom“ Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom Inhalt Inhaltsverzeichnis A. 1. 2. 3. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikationen des Prostatakarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 4 B. 1. 2. 3. 4. 5. 6. Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digito-rektale Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PSA-Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transrektaler Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prostatabiopsie und lokales Tumorstaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zur Diagnose des Prostatakarzinoms . . . . . Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung bzw. des histopathologischen Stadiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fernmetastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zur Bestimmung der Tumorausdehnung . . . 5 5 5 7 7 9 7. 8. C. 1. 1.1 2. 2.1 2.2 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzögerte Behandlung („watchful waiting“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zu „watchful waiting“ . . . . . . . . . . . . . . . . Radikale Prostatektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensqualität nach radikaler Prostatektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die radikale Prostatektomie bei lokal fortgeschrittenem Tumorwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitive Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brachytherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinierte Brachytherapie und perkutane Bestrahlung . . . . . . . . . . Lokoregionäre Bestrahlung unter Einschluss der paraaortalen Lymphabflussregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestrahlung und Hormontherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Bestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen zur Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Kastration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Östrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LHRH-Analoga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antiandrogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maximale Androgenblockade (MAB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Androgen-withdrawal-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stand: Januar 2004 10 11 11 13 13 14 15 16 17 18 18 21 22 22 23 23 24 24 25 25 26 26 27 27 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Inhalt Prostatakarzinom 4.7 4.8 5. 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 Weitere auf den Hormonspiegel einwirkende Therapieformen . . . . . . Nebenwirkungen der Hormonablation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zur Therapie des Prostatakarzinoms . . . . . . Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms . . . . . . . . . . . . . Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isotopentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Therapieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zur Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 28 29 31 32 33 33 35 36 36 37 38 6. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PSA-Verlauf nach radikaler Prostatektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PSA-Verlauf nach Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digito-rektale Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Untersuchungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachbeobachtung nach systemischer (hormoneller) Tumorbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tübinger Empfehlungen zur Tumornachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 41 E. Prostataerkrankungen und Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 F. 1. 2. 3. 4. 5. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten . . . . . . . . . . . . . . Zur psychischen Situation der Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychoonkologische und psychosoziale Hilfsangebote für Patienten . . Prostatasprechstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Tübinger Projekt: Häusliche Betreuung Schwerkranker“ . . . . . . . . . 45 45 46 47 47 48 G. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 H. Mitglieder der Arbeitsgruppe „Prostatakarzinom“ . . . . . . . . . . . . . . . 57 D. 1. 2. 3. 4. 5. Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen 33 Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom A. Einführung A. Einführung 1. Allgemeines Das Prostatakarzinom ist der mittlerweile häufigste bösartige Tumor innerhalb der männlichen Bevölkerung. 200 180 140 x x x x Colon- x 120 x • • • • 60 • • • 99 • • 97 80 x x Prostata- 95 100 x Rate per 100.000 x x 160 • • Lunge- • 40 20 Year of Diagnosis 20 01 93 91 89 87 85 83 81 0 Sarna et al., 2002 b. 1 Epidemiologische Trend der häufigsten Karzinome beim Mann innerhalb ä li h B ölk Abb.1: Epidemiologische Trends der häufigsten Karzinome beim Mann. Quelle: [1] Allein in der Europäischen Union werden jährlich 85.000 Neuerkrankungen beobachtet, in Deutschland sind dies 12.000 Männer pro Jahr. Das Prostatakarzinom ist für etwa 9 % aller Krebstoten verantwortlich [2, 3]. Bisher ungeklärt ist die Ursache für die Diskrepanz zwischen klinischer Inzidenz/ Prävalenz und der weitaus höheren pathologischen Prävalenz im Sinne von im Rahmen von Obduktionsserien beobachteten Zufallsbefunden. Es wäre jedoch falsch, ein Prostatakarzinom deswegen als weitgehend harmlos einzustufen. Vor Einführung moderner Früherkennungsmethoden war klinisch nur etwa die Hälfte aller Tumoren auf die Prostata im Sinne eines lediglich lokalen Wachstums begrenzt. Im Rahmen der histopathologischen Aufarbeitung nach radikaler Prostatektomie erwies sich der Tumor in etwa der Hälfte der Fälle als kapselüberschreitend [4]. Dem in jüngeren Altersgruppen diagnostizierten Prostatakarzinom wird ein im Vergleich mit älteren Patienten ungleich höheres biologisches Agressivitätspotential zugeschrieben. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 1 A. Einführung Prostatakarzinom 2. Klassifikationen des Prostatakarzinoms Klassifikation des Prostatakarzinoms nach der TNM-Klassifikation, 6. Aufl. UICC 2002 T – Primärtumor TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden T0 Kein Anhalt für Primärtumor T1 Klinisch nicht erkennbarer Tumor, der weder tastbar noch in den bildgebenden Verfahren sichtbar ist T1a Tumor zufälliger histologischer Befund („incidental carcinoma“) in 5 % oder weniger des resezierten Gewebes T1b Tumor zufälliger histologischer Befund („incidental carcinoma“) in mehr als 5 % des resezierten Gewebes T1c Tumor durch Nadelbiopsie diagnostiziert (z. B. wegen erhöhtem PSA) T2 Tumor auf die Prostata begrenzt T2a Tumor infiltriert die Hälfte eines Lappens oder weniger T2b Tumor infiltriert mehr als die Hälfte eines Lappens T2c Tumor infiltriert beide Lappen T3 Tumor durchbricht die Prostatakapsel T3a Extrakapsuläre Ausbreitung (ein- oder beidseitig) T3b Tumor infiltriert Samenblase(n) T4 Tumor infiltriert benachbarte Strukturen (Blasenhals, Sphincter externus, Rektum, Levator-Muskulatur, Beckenwand) N – Regionäre Lymphknoten NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden N0 Kein Anhalt für regionäre Lymphknotenmetastasen N1 Regionäre Lymphknotenmetastasen M – Fernmetastasen MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden M0 Kein Anhalt für Fernmetastasen M1 Fernmetastasen M1a Nicht regionärer Lymphknotenbefall M1b Knochenmetastasen M1c andere Manifestation Seite 2, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom A. Einführung Einteilung der histologischen Befunde nach Gleason Gleason 1 und 2: Tumordrüsen gleichmäßig, rund, hellzellig. Abstand zwischen den Tumordrüsen gleichmäßig, dicht gelagert. Gleason 3: Tumordrüsen unregelmäßig gezackt, länglich. Abstand unregelmäßig, ohne Fusion. Gleason 4: Fusion von mindestens 4 Drüsen. Kribriforme Muster: unscharf begrenzt, infiltrativ, unregelmäßige Lumina. Papilläre Muster: unscharf begrenzt. Muzinöse Prostatakarzinome. Gleason 5: Kribriform mit Komedonekrosen. Papillär-endometrioid mit Komedonekrosen. Solidanaplastisch ohne drüsige Differenzierung. Solide, mit abortiver Lumenbildung, Siegelringzellkarzinom, kleinzelliges Karzinom, sarkomatoides Karzinom. Quelle: [165] Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 3 A. Einführung Prostatakarzinom 3. Risikofaktoren Ein hereditärer Mechanismus wird heute als der wohl wichtigste bekannte Risikofaktor angesehen. Bei Erkrankung eines erstgradigen Verwandten steigt das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu erkranken, um das Doppelte. Wenn zwei oder mehrere direkte Verwandte betroffen sind, erhöht sich das Risiko sogar auf das 5- bis 11fache [5, 6]. Man nimmt heute an, dass der Entwicklung eines Prostatakarzinoms in etwa 9 % der Fälle eine hereditäre Ursache, definiert als Auftreten eines Tumors bei mindestens zwei Verwandten, zugrunde liegt. In aller Regel entwickelt sich der Tumor bei diesen Patienten vor dem 55. Lebensjahr [7]. Seite 4, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom B. Diagnostik B. Diagnostik Die digito-rektale Untersuchung (DRU), die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) und seiner Unterfraktionen im Serum sowie der transrektale Ultraschall (TRUS) sind die derzeit im Rahmen von Screeninguntersuchungen gängigsten Untersuchungsmethoden [8]. Die endgültige Diagnose erfolgt mittels Gewebegewinnung durch eine sonographisch gezielte Prostatabiopsie, die systematisch oder auf suspekte intraprostatische Bezirke beschränkt erfolgen kann. Die sich anschließende histopathologische Untersuchung ermöglicht in der Regel eine histologische Gradeinteilung des Tumors, wobei heute in der Regel der so genannte Gleason-Score zur Anwendung gelangt. Dabei wird die Gewebearchitektur bzw. das Wachstumsmuster („pattern“) berücksichtigt. Mit systematischen, ultraschallgezielten Biopsietechniken können mehr Prostatakarzinome nachgewiesen werden als durch alleinige digital orientierte oder ultraschallgezielte Biopsien suspekter intraprostatischer Areale [9–11]. 1. Digito-rektale Untersuchung Die Mehrzahl der Tumoren befindet sich in der peripheren Zone der Prostata. Sie können im Rahmen der digito-rektalen Untersuchung ab einer Größe von 0,2 ml erfasst werden. Abnorme Palpationsbefunde erweisen sich in 15–40 % der Fälle – abhängig von der Erfahrung des Untersuchers – als manifeste tumoröse Läsionen. Bei beschwerdefreien Männern wird der DRU eine Karzinomdetektionsrate von 0,1–4 % zugeschrieben [12, 13]. 2. PSA-Bestimmung Die PSA-Bestimmung hat die Sensitivität der für die Diagnose des Prostatakarzinoms zur Verfügung stehenden Untersuchungsansätze in entscheidendem Umfange verbessert [14]. PSA ist eine kallikreinähnliche Serinprotease, die fast ausschließlich durch die Epithelzellen der Prostata produziert wird. Es handelt sich hierbei um ein organ- aber nicht tumorspezifisches Glykoprotein. Die Serumspiegel können daher beispielsweise auch bei Vorliegen einer benignen Prostatahypertrophie, einer Prostatitis oder anderer nicht maligner Grunderkrankungen erhöht sein. Als unabhängige Variable ist die Sensitivtät und Spezifität der PSA-Bestimmung der von DRU oder TRUS überlegen [15, 16]. Der positive Vorhersagewert (positive predictive value, PPV) dieses serologischen Untersuchungsansatzes wird für PSA-Werte zwischen 4 bis 10 ng/ml unter Verwendung eines monoklonalen Antikörper-Assay mit 25– 35 % angegeben (Abb. 2). Für PSA-Spiegel > 10 ng/ml steigt der PPV entsprechend der Literatur auf 50–80 % [17]. Die zusätzliche Bestimmung anderer Tumormarker, so z. B. der sauren Prostataphosphatase, ergibt keinen zusätzlichen Informationsgewinn und wird deshalb nicht mehr durchgeführt [18]. Bei PSA-Werten von 4–10 ng/ml wird insbesondere bei jüngeren Männern eine Prostatabiopsie empfohlen, obwohl ein substantieller Anteil der Patienten eine Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 5 B. Diagnostik Prostatakarzinom TOTAL PSA TOTAL PSA < 4.0 ng/ml < 2% < 2.5 ng/ml < 2% TOTAL PSA 4-10 ng/ml 25% TOTAL PSA > 10 ng/ml 67% 2.5-4.0 ng/ml 18% Abb. 2: Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Prostatakarzinoms entsprechend dem Wert für das Gesamt-PSA im Serum lediglich gutartige Prostataerkrankung aufweist, da diese Patienten, so bei ihnen ein Malignom diagnostiziert wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen noch organbegrenzten und somit operativ kurablen Tumor aufweisen. Zudem konnte gezeigt werden, dass es sich bei diesen Tumoren trotz des niedrigen PSA-Wertes in der Mehrzahl der Fälle um klinisch relevante, ein oder beide Prostataseitenlappen einnehmende Karzinome handelt. Bei Männern in der Altersgruppe zwischen 50 und 66 Jahren fand sich in vorangegangenen Untersuchungen bereits bei einem PSA-Wert zwischen 3 und 4 ng/ml ein in 13 % der Fälle histologisch bestätigtes Karzinom. Auch für diese Patientengruppe erwies sich die Mehrzahl der diagnostizierten Tumoren als klinisch relevant im Sinne eines extensiven intraprostatischen Wachstums [15, 19]. Um die Spezifität des PSA im Hinblick auf die Tumordetektionsrate zu erhöhen, wurden Modifikationen der Serum-PSA-Bestimmung, insbesondere auch im Sinne des Nachweises von PSA-Untergruppen, beschrieben (Tab.1). Tumormarker Normwert Detektionsrate PSA f PSA ( %) Alter : PSA PSAD PSA-TZ PSA-V 4 – 10 ng/ml 0 – 10 % 2,5 – 6,5 ng/ml > 0,15 > 0,22ng/ml/cc > 0,75 ng/ml/J 20 – 30 % > 50 % ? ? ? ? Tab. 1: Verschiedene PSA-Formen Durch den weit verbreiteten Einsatz der PSA-Bestimmung im Sinne der Früherkennung des Prostatakarzinoms wurde im Rahmen der TNM-Klassifikation maligner Tumoren (Schema Seite 2) dem Stadium T1a/b, also dem Frühstadium des Tumors, das Stadium T1c hinzugefügt. Dieses Tumorstadium bezeichnet den bioptischen Nachweis solcher Tumoren, die lediglich durch eine PSA-Erhöhung bei normaler DRU und unauffälligem TRUS zum Nachweis gelangten. Möglicherweise kommt Seite 6, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom B. Diagnostik etwa 11–26 % der Tumoren, die unter dem Stadium T1c zusammengefasst werden, keine klinische Relevanz zu, jedoch tritt dies hinter der Nachweiswahrscheinlichkeit klinisch bedeutsamer, intraprostatisch deutlich ausgedehnter Tumoren (18–49 % der Fälle) eindeutig zurück [20]. 3. Transrektaler Ultraschall Das klassische Bild einer echoarmen Läsion in der peripheren Zone der Prostata ist in weniger als der Hälfte der Patienten mit einem Prostatakarzinom vorhanden [21]. Der TRUS kann daher nur einen Teil tumorös veränderter, intraprostatischer Areale zum Nachweis bringen. Die Wertigkeit dieses diagnostischen Verfahrens besteht demnach insbesondere darin, systematische Biopsien anatomisch orientiert durchführen zu können. In Ergänzung zur DRU vermag der TRUS die Karzinomdetektionsrate um mehr als 50 % zu steigern [22, 23]. Bei normaler DRU oder normalem Serum-PSA-Wert ist der sich aus dem transrektalen Ultraschall ergebende zusätzliche Informationsgewinn jedoch gering [11, 23, 24]. Möglicherweise kann der diagnostische Wert des transrektalen Ultraschalls durch die Verwendung von Farbdopplern bzw. Ultraschallkontrastmitteln gesteigert werden [25]. Der positive Vorhersagewert, der sich aus der Kombination mehrerer der oben genannten Untersuchungsansätze ergibt, betrug in einer Screening-Population 20– 80 % [8, 9, 23]. Findet sich im Rahmen nur eines einzigen diagnostischen Verfahrens ein abnormaler bzw. auffälliger Befund, liegt die positive Biopsierate mit Nachweis eines manifesten Tumors zwischen 6 und 25 %. Bei 2 bzw. 3 abnormen Befunden wird letztere mit 18–60 % bzw. 56–72 % angegeben. 4. Prostatabiopsie und lokales Tumorstaging Die ultraschallgezielte transrektale Stanzbiopsie mit 18-G-Nadeln ist die mittlerweile am weitesten verbreitete Methode, um Gewebe für die histopathologische Untersuchung zu gewinnen. Abb. 3 erläutert die Erstellung eines Nomogramms zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit für eine positive Prostatabiopsie. Ein 24- bis 72-stündiger Antibiotikaschutz hat zu einer insgesamt niedrigen Komplikationsrate, insbesondere im Sinne einer entzündlichen Affektion der Prostata, geführt [26, 27]. Unterschiedliche Biopsietechniken sind in Tab. 2 aufgeführt. Unter Abb. 4 ist die systematische Sextantenbiopsie dargestellt. Eine Karzinomdetektionsrate von 20 % wird für Re-Biopsien bei Vorhandensein eines auffälligen Befundes trotz eines vorangegangenen negativen Biopsiebefundes beschrieben [28, 29]. Bei Diagnose einer histologisch schlecht differenzierten intraepithelialen Neoplasie („high grade“ PIN), wobei letztere wahrscheinlich die Precursor-Läsion des Prostatakarzinoms darstellt und in > 90 % der Fälle im Randbereich manifester Tumoren zum Nachweis gelangt, findet sich in 50–100 % der Fälle ein manifestes Karzinom. Daher wird in solchen Fällen eine sofortige Re-Biopsie empfohlen (Tab. 2). Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 7 B. Diagnostik Prostatakarzinom 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Points AA Race White Age 40 50 60 70 80 PSA 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 Total Points 0 10 20 30 40 Prob. +8x 50 0.05 60 70 0.075 0.1 80 90 100 110 120 130 140 0.15 0.2 0.25 0.3 0.4 0.5 Abb. 3: Nomogramme zur Vorhersage einer positiven Prostatabiopsie Anleitung: Identifizierung des Patientenalters auf der Achse. Zeichnen Sie eine gerade Linie hoch zur Punkteskala, um zu bestimmen, wie viele Punkte für den Faktor Patientenalter auf der Wahrscheinlichkeitsskala vergeben werden. Wiederholen Sie den Vorgang für den PSA- Wert. Addieren Sie die Punkte und fügen bei Afro-Amerikanern zwei Punkte zusätzlich hinzu. Fassen Sie die gesamte Punktzahl auf der Punkteskala zusammen und zeichnen Sie eine senkrechte Linie hinunter zur Wahrscheinlichkeitsskala des Patienten für eine positive Prostatastanzbiopsie. Technik Sextanten Sextanten + Transitionale Zone Erweiterte Sextantenbiopsie 5-Regionen-Biopsie Erweiterte Biopsie Maximal-Biopsie Anzahl Biopsien 6 8 10 11 12 – 14 > 14 – 25 Detektionsrate 20 – 30 % +10– 15 % (TZ) 35 % 35 % 30 – 40 % 34 % Tab. 2: Verschiedene Formen der systematischen Stanzbiopsie der Prostata Abb. 4: Systematische Sextantenbiopsien. Longitudinale Sektion des linken sowie des rechten Lappens der Prostata mit kleinem Tumorfokus, PZ = Periphere Zone, TZ = Transitionale Zone, SB=Samenblase Seite 8, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom B. Diagnostik Im Vergleich mit den oben aufgeführten Untersuchungsansätzen zum Nachweis eines Prostatakarzinoms, aber auch zur Bestimmung des Tumorstadiums bzw. der lokalen Tumorausdehnung, spielt die Computertomographie (CT) bzw. die nukleare Magnetresonanzuntersuchung (MRT) eine untergeordnete Rolle. Ebenso korreliert die digito-rektale Untersuchung in weniger als 50 % der Fälle mit der am endgültigen Präparat nach radikaler Prostatektomie bestimmbaren lokalen Tumorausdehnung [30]. 5. Tübinger Empfehlungen zur Diagnose des Prostatakarzinoms Die überwiegende Mehrzahl bösartiger intraprostatischer Läsionen findet sich in den peripheren Anteilen der Prostata lokalisiert. Die Detektion mittels digito-rektaler Untersuchung ist in der Regel erst dann möglich, wenn das Tumorvolumen 0,2 ml überschreitet. Bei Vorliegen suspekter Tastbefunde finden sich diese in 15– 40 % der Fälle mit einem Karzinom assoziiert. Im Rahmen eines reinen Screeningansatzes wurde für die alleinige digito-rektale Untersuchung eine Karzinomdetektionsrate von 0,1– 4 % beschrieben. Die mittels transrektalem Ultraschall zu erzielende Detektionsfrequenz scheint der der alleinigen digito-rektalen Untersuchung überlegen zu sein. Allerdings ist ein vermeintlich suspekter TRUS-Befund dann in nur wenigen Fällen mit dem Vorliegen eines Karzinoms korrelierbar, wenn sich der PSAWert im Serum und die digito-rektale Untersuchung als unauffällig erweisen. Die Bestimmung des PSA-Wertes im Serum – z.T. unter Einschluss der oben erwähnten verschiedenen Variationen dieses Untersuchungsansatzes – hat substantiell zur Verbesserung der Früherkennung des Prostatakarzinoms beigetragen und ist derzeit der durch die höchste Spezifität bzw. Sensitivität charakterisierte Untersuchungsansatz. Alle drei Untersuchungsansätze (PSA-Bestimmung, DRU und TRUS) sind derzeit als integraler Bestandteil eines multimodalen diagnostischen Konzeptes zur Früherkennung des Prostatakarzinoms zu betrachten. Vor diesem Hintergrund steigt die Frequenz positiver Biopsien bei Vorliegen eines pathologischen Befundes im Rahmen nur eines der drei diagnostischen Verfahren von 6–25 % dann auf 56–72 %, wenn alle drei diagnostischen Ansätze einen pathologischen Befund ergeben. Der Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms bedarf der histopathologischen Verifizierung. Die ultraschallgesteuerte Biopsie ist heute als Standard zu betrachten. Bei Vorliegen eines unauffälligen Tastbefundes und einem insbesondere wiederholt im so genannten Grauzonenbereich (4–10 ng/ml in Abhängigkeit vom verwendeten PSA-Assay) befindlichen PSAWert, speziell auch bei Vorliegen eines pathologischen Quotienten aus Gesamt- bzw. freiem PSA, sollte eine Sextantenbiopsie erfolgen. Eine solche ist, vor allem auch bei negativem transrektalem Tast- bzw. Ultraschall- Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 9 B. Diagnostik Prostatakarzinom befund, bei Vorliegen eines PSA-Wertes von > 10 ng/ml generell indiziert. Ergibt die erste Biopsieserie einen negativen Befund, so beträgt die Karzinomdetektionsrate bei Wiederholung etwa 20 %. Den in Ergänzung zur transrektalen Ultraschalluntersuchung zur Verfügung stehenden bildgebenden Verfahren wie Computertomographie und Kernspintomographie kommt hinsichtlich der Detektion des Prostatakarzinoms keine klinische Wertigkeit zu. 6. Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung bzw. des histopathologischen Stadiums Es wurde gezeigt, dass die Höhe des im Serum gemessenen PSA-Wertes positiv mit dem Tumorstadium korreliert. Allerdings gibt es für den individuellen Patienten keine direkte Beziehung zwischen Serum-PSA und klinischem bzw. pathologischem Tumorstadium [31–33]. Eine Kombination aus dem Serum-PSA-Wert, dem an der Prostatabiopsie bestimmten Gleason-Score und dem klinisch erhobenen TStadium erwies sich demgegenüber als von größerer prognostischer Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung der definitiven lokalen Tumorextension bzw. des histopathologischen T-Stadiums. Der transrektale Ultraschall kann eine klinisch unvermutete Kapselüberschreitung des Tumors zur Darstellung bringen. Allerdings werden etwa 60 % aller pT3-Tumoren im präoperativen TRUS nicht erkannt, weshalb diesem Untersuchungsverfahren eine eher geringere Spezifität bzw. Sensitivität im Hinblick auf die präoperative Bestimmung der lokalen Tumorextension zugeschrieben wird [13]. Ähnlich begrenzt ist die CT hinsichtlich ihrer Möglichkeit, die lokale Tumorausdehnung zu prädizieren. Die MRT mit Endorektal-Spule ist für das lokale Staging die zurzeit verlässlichste Methode mit der höchsten räumlichen Auflösung und dem besten Gewebekontrast. Insbesondere der Nachweis eines Tumorbefalles der Samenblasen erscheint durch diesen Untersuchungsansatz in vielen Fällen möglich [34, 35]. Jüngste Arbeiten zeigen, dass die protonen-MR-spektroskopische Bildgebung und die kontrastmittelangehobene, dynamische MRT die Sensitivität als auch die Spezifität der konventionellen MRT weiter steigern kann [36, 37]. Die Wahrscheinlichkeit für eine stattgefundene Lymphknotenmetastasierung korreliert mit verschiedenen Patienten- bzw. Tumorcharakteristika, so beispielsweise dem PSA-Wert, der klinisch bestimmten lokalen Tumorausdehnung (T2b vs. T3), dem histologischen Differenzierungsgrad, dem Gleason-Score sowie der perineuralen Tumorinvasion [33, 38, 39]. Unter Hinzuziehung dieser Parameter gelingt es, eine Patientengruppe zu identifizieren, die ein < 10 %iges Risiko im Hinblick auf einen lokoregionären Lymphknotenbefall aufweist. Zu diesen Patienten gehören insbesondere solche mit einem Serum-PSA-Wert von < 20 ng/ml, einem klinischen Tumorstadium ≤ T2a und einem Gleason-Score von ≤ 6. Im Falle einer Abweichung erscheint die invasive Evaluierung des Lymphknotenstatus vor definitiver Behandlung als sinnvoll [40]. Seite 10, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom B. Diagnostik Die derzeit für das Lymphknotenstaging genaueste Methode ist die offene oder laparoskopische pelvine Lymphadenektomie. Im Vergleich hiermit ist eine Sensitivität bildgebender Verfahren (50–70 %) deutlich schlechter [41–43]. Demgegenüber wird aber die Spezifität des CT für den Nachweis eines lokoregionären Lymphknotenbefalles mit 93–96 % angegeben, wenn der Patient ein ungünstiges Risikoprofil, beispielsweise bei in der Stanzbiopsie entdifferenziertem Tumor oder hohem Serum-PSA-Wert, aufweist [44]. 7. Fernmetastasen Im Endstadium der Erkrankung ist das axiale Knochenskelett bei 85 % der Patienten metastatisch befallen [45]. Etwa 70 % der Patienten mit Knochenmetastasen weisen erhöhte Werte für die alkalische Phosphatase auf [46]. Bezüglich der Diagnose von Knochenmetastasen ist die Knochenszintigraphie unter Verwendung von Technetium-Biphosphonaten der sensitivste Untersuchungsansatz. Neben den Knochen metastasiert das Prostatakarzinom am häufigsten in die regionären Lymphknoten sowie in die Lunge, die Leber und die Haut. Bei PSAWerten von > 100 ng/ml war dieser Parameter mit einem positiven Vorhersagewert von 100 % bei Vorliegen virgineller Prostatakarzinome der wichtigste Indikator für das Vorliegen einer lymphogenen bzw. hämatogenen Disseminierung [47]. Korrespondierend betrug der negative Vorhersagewert 99 % bei einem Serum-PSASpiegel von < 20 ng/ml [14]. Aufgrund neuerer Untersuchungen wird eine Knochenszintigraphie bei einem PSAWert von < 10 ng/ml bei sonst asymptomatischen Patienten mit Nachweis gut oder mäßig differenzierter Tumoren wegen der geringen Wahrscheinlichkeit für eine ossäre Metastasierung als überflüssig erachtet [48, 49]. 8. Tübinger Empfehlungen zur Bestimmung der Tumorausdehnung Die Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung erfolgt vor dem Hintergrund des Ergebnisses der digito-rektalen Untersuchung unter Einschluss der heute verfügbaren bildgebenden Verfahren. Zusätzliche Informationen ergeben sich aus der Anzahl und Lokalisation positiver Biopsien im Sinne eines Tumornachweises sowie der Höhe des PSA-Wertes im Serum und der histologischen Differenzierung (Gleason-Score) des Tumorgewebes. Allerdings genügt die Verlässlichkeit der bildgebenden Verfahren (CT, MRT) derzeit noch nicht den Ansprüchen an eine exakte Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung im Sinne eines T-Stagings. Ein verlässliches Lymphknotenstaging ist bei kurativer Intention des gewählten bzw. geplanten Behandlungsansatzes unverzichtbar. Die Bedeutung der pelvinen Lymphadenektomie ist in diesem Zusammenhang wesentlich größer als das Ergebnis verfügbarer bildgebender Verfahren (CT, MRT). Bei allerdings in der Bildgebung dringendem Verdacht auf das Vorliegen regionaler Lymphknotenmetastasen kann Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 11 B. Diagnostik Prostatakarzinom dieser Befund Veranlassung dazu sein, diesen beispielsweise durch eine laparoskopische Lymphadenektomie histologisch zu sichern. Das Knochenszintigramm ist die sensitivste Methode zum Nachweis einer ossären Metastasierung. Eine Indikation für diese Untersuchung besteht jedoch nicht bei asymptomatischen Patienten, die zudem einen PSA-Wert von < 10 ng/ml aufweisen. PSA < 10 ng/ml PSA PSA 10 – 20 ng/ml > 20 ng/ml PSA/fPSA JA JA JA DRU JA JA JA TRUS JA JA JA Sono-Abdomen NEIN JA JA Ganzkörperknochenszintigramm Fakultativ MRT & Spektroskopie der Prostata (Ideal vor transrektaler Prostatastanzbiopsie) NEIN JA JA Empfohlen Empfohlen Empfohlen CT-Abdomen NEIN Empfohlen JA Präoperativ und prae Radiatio Nuklidinjektion zur Sentinel Node Detektion Empfohlen Empfohlen Empfohlen (Laparoskopische) pelvine Lymphadenektomie vor weiterer Therapieentscheidung bezüglich radikaler Prostatavesikulektomie oder externer Radiatio NEIN NEIN JA Tab.3: Diagnostik bzw. Staging des Prostatakarzinoms Seite 12, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie C. Therapie 1. Verzögerte Behandlung („watchful waiting“) Unter „watchful waiting“ versteht man die Einleitung einer Therapie erst bei Auftreten von Symptomen oder serologisch bzw. radiologisch nachgewiesenem Tumorprogress (z. B. Nachweis von Metastasen, deutlich ansteigender PSA-Wert). Der Nachteil dieser Strategie besteht darin, dass die Patienten in kürzeren Abständen im Sinne eines Tumorstagings untersucht werden müssen. Wegen der psychischen Belastung, die durch die ständige Angst vor einem letztlich nicht auszuschließenden Tumorprogress ausgelöst werden kann, ist häufig eine psychologische Betreuung erforderlich. Es wurde postuliert, dass das abwartende Vorgehen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen kann. Der natürliche Verlauf unbehandelter Prostatakarzinome wurde im Rahmen größerer Studien wiederholt aufgezeigt [50–55]. Der Verlauf eines unbehandelten, lokalisierten Prostatakarzinoms (Stadium T1 bis T2N0M0) scheint in einem starken Maße vom histologischen Tumorgrad bzw. der Zellarchitektur (Gleason-Grading/Score) abzuhängen. Bei konservativer Behandlung eines bioptisch gut differenzierten Prostatakarzinoms (G1) fand sich ein tumorspezifisches 10-Jahres-Überleben von 92 %. Dies war bei mäßig (G2) bzw. entdifferenzierten Tumoren (G3) auf 76 % bzw. 43 % verkürzt [51]. Für Patienten, bei denen das Prostatakarzinom als Zufallsbefund im Rahmen einer transurethralen Prostataresektion detektiert wurde und bei denen sich ein Tumorvolumen von < 5 % im Verhältnis zum resezierten Gesamtvolumen fand (Stadium T1a), wurde bei guter (G1) bzw. mäßiger (G2) histologischer Differenzierung ein metastasenfreies 10-Jahres-Überleben von 78 % beobachtet. Bei Hinzuziehung der histopathologischen Einteilung nach Gleason in Korrelation zur klinischen Prognose verstarben im Rahmen von Wait-and-see-Untersuchungen 44–93 % der Patienten bei einem Gleason-Score von 6–10 an ihrem Tumor [56]. Vergleicht man diese Daten beim lokalisierten Prostatakarzinom mit solchen Studien, in deren Rahmen eine kurative Behandlung des Lokalbefundes angestrebt wurde, werden hier deutlich bessere Therapieergebnisse berichtet. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache eines erheblichen Understagings bei allein klinisch orientierter Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung und der Berücksichtigung der für den Gesamttumor selten repräsentativen Prostatabiopsien [57]. Für lokal fortgeschrittene Prostatakarzinome (klinisches Stadium T3 – T4NxM0) stehen solche Daten, die die Langzeitergebnisse nach abwartendem Vorgehen mit denen nach aggressiver Lokaltherapie (Radiatio, radikale Chirurgie mit oder ohne adjuvanter Hormonablation) vergleichen, in nur begrenztem Umfange zur Verfügung. Patienten mit einem fortgeschrittenen Tumor, die sich nicht einer sofortigen Behandlung unterziehen, werden im weiteren Verlauf meist einer androgensuppressiven Therapie zugeführt. Ob eine frühzeitige Hormonbehandlung einen Vorteil Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 13 C. Therapie Prostatakarzinom gegenüber einer verzögerten Hormonablation bietet, wird derzeit kontrovers diskutiert [58–60]. Insgesamt erscheint ein abwartendes Vorgehen im Sinne eines „watchful waiting“Protokolls für beschwerdefreie Patienten mit einer Lebenserwartung von unter 10 Jahren bei Vorliegen eines schlecht differenzierten und lokal fortgeschrittenen Tumors (T3) akzeptabel [54]. In jedem Fall müssen die Risiken und möglichen Komplikationen, die mit einer aktiven Lokaltherapie verbunden sein können, auch gegenüber den Langzeitnebenwirkungen einer Hormonablation abgewogen werden, wobei hier insbesondere auch pathologische Knochenfrakturen durch Dichteminderung der Knochenstruktur zu erwähnen sind [61]. Für Patienten mit eindeutig nachgewiesener Metastasierung stehen wenige Daten zur Verfügung, die ein abwartendes Vorgehen rechtfertigen würden. In Frage kommt dies allenfalls für ansonsten asymptomatische Patienten, die mögliche therapieinduzierte Komplikationen unbedingt vermeiden wollen. Da die mediane Überlebenszeit innerhalb dieses Patientenkollektives nur etwa 2 Jahre beträgt, ist der Zeitraum einer therapiefreien Periode bis zum Auftreten von Symptomen meist sehr kurz. Innerhalb dieses Zeitraumes sollten die Kontrollintervalle 3 Monate nicht überschreiten, um einen extrem raschen Tumorprogress, der mit pathologischen Frakturen und Stabilitätsgefährdung des Stammskeletts verbunden sein kann, frühzeitig erkennen und aktive therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Zusammenfassend scheinen Patienten mit geringer Metastasenlast im Vergleich mit solchen, die einen bereits fortgeschrittenen Metastasierungsstatus aufweisen, eher von einer frühzeitigen systemischen Therapie zu profitieren. 1.1 Tübinger Empfehlungen zu „watchful waiting“ Langzeit- und progressionsfreies Überleben von Patienten mit klinisch organbegrenzten Prostatakarzinomen korreliert eng mit dem histopathologischen Differenzierungsgrad (Gleason-Score) der Tumoren. So besitzen insbesondere Patienten mit einem bioptisch entdifferenzierten Prostatakarzinom (Gleason 7–10) ein hohes Risiko, im Rahmen von Wait-and-see-Protokollen einen klinisch manifesten Tumorprogress zu erleiden bzw. an diesem zu versterben. Hiervon sind insbesondere solche Patienten betroffen, die eine Lebenserwartung von > 10 Jahren aufweisen. Lediglich für Patienten mit gut differenzierten Karzinomen (Gleason-Score 2–5) und einer Lebenserwartung von < 10 Jahren ist das Risiko für Tumorprogress bei nicht kurativ intentionierter Primärtherapie als moderat einzuschätzen, weshalb für diese Patientengruppe ein abwartendes Procedere als durchaus gerechtfertigt erscheint. Obwohl die verfügbaren Daten bezüglich einer sofortigen gegenüber einer verzögerten Hormontherapie bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom (T3 – T4N0M0) im Hinblick auf die klinische Prognose der Patienten als inkongruent einzuschätzen sind, ist eine unmittelbar nach Primärdiagnose ini- Seite 14, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie tiierte androgensuppressive Therapie im Vergleich mit einer erst nach Tumorprogression begonnenen Behandlung mit einem vermutlich günstigeren klinischen Verlauf, insbesondere hinsichtlich des tumorspezifischen Langzeitüberlebens 5 und 10 Jahre nach Primärdiagnose, assoziiert. Ebenso weisen die verfügbaren Literaturdaten für die Gruppe der metastasierten Patienten (M1) auf einen Vorteil für eine sofortige therapeutische Intervention hin, da diese entsprechend bisherigen Erfahrungen vor allem zur Vermeidung tumorassoziierter Komplikationen (pathologische Frakturen, Myelonkompression) beiträgt. 2. Radikale Prostatektomie Die Indikation zur radikalen Prostatektomie besteht in der Regel für Patienten mit einem vor dem Hintergrund klinischer Evaluierung chirurgisch heilbaren Tumor und einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren. Dies schließt die Tumorstadien T1b, T1c und T2 ein. Wurde bisher eine operative Therapie im Wesentlichen zur Behandlung des Stadiums T1b, eine entsprechende Lebenserwartung der Patienten vorausgesetzt, als erforderlich erachtet, da die Biologie der so klassifizierten Tumoren der im Stadium T2a zu beobachtenden gleicht, so wird die operative Behandlung mittlerweile auch bei Vorliegen mäßig differenzierter bzw. entdifferenzierter Malignome des Stadiums T1a empfohlen. Der Patient sollte allerdings über alle alternativ zur Verfügung stehenden Therapieoptionen (Strahlentherapie, Brachytherapie, watchful waiting) aufgeklärt werden. Patienten mit Tumoren des Stadiums T3 profitieren unter Umständen dann von einer radikalen Prostatektomie, wenn im Rahmen der histopathologischen Aufarbeitung des Operationspräparates eine nur geringfügige Kapselüberschreitung zum Nachweis gelangt (T3a), der PSA-Wert < 20 ng/ml und der Gleason-Score < 8 beträgt. Eine radikale Prostatektomie kann über einen suprapubischen extraperitonealen Zugang perineal oder laparoskopisch durchgeführt werden. Der retropubische Zugang bietet den Vorteil, dass eine gleichzeitige Lymphadenektomie, wahrscheinlich aber auch eine bessere Nerverhaltung ermöglicht werden. Obwohl für die regionale Lymphknotendissektion ein therapeutischer Wert bei Vorliegen einer solitären Mikrometastasierung diskutiert wird, schreibt man ihr entsprechend allgemeinem Verständnis eher den Wert eines Verfahrens zum bloßen Tumorstaging zu. Reichte die Inzision früher von der Symphyse bis zum Nabel und sogar noch weiter nach kranial, ist die Länge der Inzision bei diesem streng extraperitonealen Eingriff vor allem bei schlankeren Patienten heute nicht länger als 8–10 cm. Eine radikale Prostatektomie schließt die vollständige Entfernung der Prostata, der anhängenden Samenblasen und eines Teiles der Samenleiter (insbesondere der Ampulla ductus deferentis) ein. Perineal können nur die Prostata und die Samenblasen, nicht aber die regionalen Lymphknoten entfernt werden. Die Lymphadenektomie muss, sofern erforderlich, offen oder laparoskopisch durch einen zweiten Eingriff erfolgen. Der Vorteil der perinealen Prostatektomie liegt in der guten ÜberStand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 15 C. Therapie Prostatakarzinom sichtlichkeit des Apex der Prostata und der Anastomose zwischen Blase und Urethra. Ein Nachteil ist neben der nicht möglichen Lymphadenektomie die schwierigere Präparation der Samenblasen, Rektumläsionen und, bei großer Prostata, die limitierte Größe des Zugangsweges. Ausgeprägt vergrößerte Drüsen müssen dann in Teilen herausmanipuliert werden. Die laparoskopische Prostatektomie besticht durch die gute Übersichtlichkeit des Operationsfeldes. Der Nachteil dieser Methode ergibt sich vor allem aus der längeren Operationsdauer sowie aus der relativ langen Lernkurve. Ein weiterer Nachteil, der intraperitoneale Zugang, wird von einigen Zentren durch eine retropubische extraperitoneale Technik vermieden. Angesichts der heutzutage kleinen Schnittgröße, der wesentlich kürzeren Operationsdauer im Rahmen offener Operationstechniken und den bei der Laparoskopie vermutlich schlechteren Ergebnissen hinsichtlich der Nerv- bzw. Potenzerhaltung wird die Indikationsbreite jedoch relativ deutlich eingeschränkt. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass die laparoskopische Prostatektomie einer eingeschränkten Zahl von Zentren vorbehalten sein wird. Die Ergebnisse der radikalen Prostatektomie haben sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund anatomischer Studien [53] und in den letzten 2 Jahrzehnten weiterentwickelten Operationstechniken deutlich verbessert. Demnach sind 87 % der zwischen 1992 und 1998 radikal prostatektomierten Patienten nach 5 Jahren biochemisch tumorfrei, während dies zwischen 1982 und 1988 auf nur 77 % der Fälle zutraf. Bezüglich des Komplikationsspektrums der radikalen Prostatektomie ist vor allem auf die Möglichkeit des Kontinenz- und Potenzverlustes hinzuweisen. Diesbezüglich hat sich gezeigt, dass Zentren, in denen die radikale Prostatektomie mit hoher Frequenz durchgeführt wird, deutlich bessere Ergebnisse in Bezug auf Nerv-, Potenz- und Kontinenzerhalt erzielen [62]. Dementsprechend schwanken die Angaben hinsichtlich leichter bzw. schwerer Formen der Stressinkontinenz (1–2 Vorlagen pro Tag) zwischen 4 und 50 % bzw. 0 und 15 % [63]. Ein Erhalt der Potenz bei nerverhaltendem Vorgehen (Abb. 5) ist in 50–80 % der Fälle als gegeben anzunehmen [55, 64]. 2.1 Lebensqualität nach radikaler Prostatektomie Auf der Basis anatomischer Untersuchungen zum Verlauf der für die Potenz verantwortlichen autonomen Nerven und neuerer Erkenntnisse zur Lokalisation des externen Sphinkterapparates werden heute deutlich verbesserte Operationsergebnisse im Hinblick auf den Kontinenz- und Potenzerhalt nach radikaler Prostatektomie erzielt [65, 66, 166]. Dennoch ist auch bei erfahrenen Operateuren mit dem Auftreten schwerer Inkontinenzformen bei etwa 5 % der Patienten zu rechnen. Schwieriger gestaltet sich die Erhaltung der in der periprostatischen Faszie verlaufenden autonomen Nerven, die die Erektion des Penis steuern. Eine Nerverhaltung wird entsprechend allgemeiner Empfehlung nur bei klinisch auf die Prostata beschränkten Tumoren bei gleichzeitig guter histologischer Differenzierung (GleasonScore < 7) angestrebt. Bei intraoperativ tastbaren Tumoren sollte auf der entspre- Seite 16, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie Abb. 5: Anatomisches Präparat der für die Potenzerhaltung notwendigen autonomen Nerven entlang der Prostata. Quelle: [166] chenden Seite das gesamte periprostatische Gewebe unter Einschluss der autonomen Nerven zusammen mit der Prostata entfernt werden. Befragungen von Patienten hinsichtlich der Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis zeigen, dass ein guter bzw. ausgezeichneter Allgemeinzustand in 87 % der Fälle angegeben wurde. Lediglich 3 % der Patienten gaben eine ausgesprochene Verschlechterung der postoperativen Lebensqualität an [67]. 2.2 Die radikale Prostatektomie bei lokal fortgeschrittenem Tumorwachstum Bei klinisch vermuteter Kapselüberschreitung des Tumors sollte die Indikation zur radikalen Prostatektomie eher zurückhaltend gestellt werden, da die Patienten zusätzlich zur operativ oft schwer möglichen Tumorkontrolle ein höheres Risiko für eine regionale Lymphknoten- oder Fernmetastasierung aufweisen [68]. Für dieses Patientenkollektiv erwies sich die kombinierte Strahlen-Hormontherapie bezüglich der Langzeitergebnisse als vergleichbares therapeutisches Konzept [68, 69]. Neben dem Nachweis eines kapselüberschreitenden Wachstums scheint auch der PSA-Wert bei Primärdiagnose eine prädiktive Wertigkeit hinsichtlich der klinischen Prognose der Patienten zu besitzen. So wurde zum Teil ein PSA-Wert < 25 ng/ml [70–72], von anderen Autoren wiederum ein PSA-Wert < 10 ng/ml [73] als günstiger prognostischer Parameter angesehen. Unter Berücksichtigung dieser Grenzwer- Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 17 C. Therapie Prostatakarzinom te für das Gesamt-PSA wurde für die dementsprechend eingeschlossenen Patienten ein 5-Jahres-Überleben von etwa 60 % angegeben. Um zwischen Patienten mit guter bzw. eingeschränkter klinischer Prognose differenzieren zu können, wären verschiedene, Patienten- bzw. Tumorcharakteristika berücksichtigende und auf die verbesserte Einschätzung der individuellen Prognose abzielende Nomogramme wünschenswert [57], wobei die derzeit zur Verfügung stehenden Tabellen nur bedingt auf unterschiedliche geographische Regionen, so z. B. Baden-Württemberg im Vergleich mit bestimmten Gebieten in den USA, anzuwenden sind. 3. Definitive Strahlentherapie 3.1 Radiotherapie Allgemeine Bedeutung der Strahlentherapie des Prostatakarzinoms Die Strahlentherapie des Prostatakarzinoms stellt im lokalisierten Stadium eine nach den bisherigen Ergebnissen gleichwertige Alternative zur operativen Therapie dar. In Ermangelung methodisch adäquater randomisierter Studien, die unter Verwendung moderner Therapieverfahren durchgeführt worden wären, bieten interne Analysen großer Zentren die Möglichkeit, die beobachteten Behandlungsergebnisse zu vergleichen. So zeigte sich bei der Analyse des Patientenguts der Cleveland Clinic Foundation, dass im Vergleich beider Modalitäten (radikale Prostatektomie und externe Strahlentherapie) keine signifikanten Unterschiede im PSA-freien Überleben erkennbar waren (gesamt: n = 1682; radikale Prostatektomie: n = 1054; Bestrahlung: n = 628; medianer Nachbeobachtungszeitraum: 51 Monate mit einem längsten Nachbeobachtungszeitraum von 134 Monaten) [74]. Der Effekt war gleichermaßen bei verschiedenen Definitionen für ein PSA-Versagen nach Strahlentherapie (Nichterreichen eines Nadirs von 0,5 ng oder drei konsekutive Anstiege) zu erkennen. Nach längeren Nachbeobachtungszeiträumen allerdings scheint der Anteil an Patienten mit PSA-freiem Überleben nach operativer Therapie um bis zu 10% höher zu sein als nach Strahlentherapie. Der Endpunkt „PSA-freies Überleben“ (bNED) ist allerdings mit einer – zumindest gewissen – Vorsicht zu genießen, da es sich um einen Ersatzendpunkt für das Therapieansprechen handelt. Die Untersuchung der Patienten, die in Studien der RTOG behandelt wurden, zeigt jedoch, dass eine adäquat dosierte Strahlentherapie auch zu einem eindeutigen echten Überlebensvorteil führt [75]. Neben der Radiatio in der Primärsituation kommt die Strahlentherapie postoperativ bei erhöhtem Risiko für eine lokale Progression oder als Salvagetherapie im Intervall bei steigendem PSA zum Einsatz. Diagnostik vor Beginn einer Bestrahlung Für die Ausbreitungsdiagnostik vor Strahlentherapie wird auf Kapitel B.6 „Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung bzw. des histopathologischen Stadiums“ verwiesen. Seite 18, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie Strahlentherapeutische Konzepte in der Primärtherapie Bei Patienten mit klinisch lokalisiertem Prostatakarzinom stellt die Strahlentherapie für die Stadien T1 – T4N0M0 einen Behandlungsansatz mit kurativer Intention dar. Die Heilungsraten sinken naturgemäß mit steigendem Stadium und prognostisch ungünstigeren Parametern, wie höherem PSA-Wert und höherem Zytologie-/Histologiegrad nach Gleason. Wie schon erwähnt, ist die Qualität der Strahlentherapie im Sinne einer adäquaten Dosierung, Zielvolumenerfassung und Normalgewebsschonung von entscheidender Bedeutung für das Therapieergebnis. Alle drei Aspekte sind auf das Engste miteinander verknüpft, da eine hohe Dosis mit größtmöglicher Schonung von Normalgeweben nur bei technisch adäquater Therapie appliziert werden kann. Zur Wahl der Dosis liegen neben einer einzigen relevanten randomisierten Studie eine Vielzahl von mono- bzw. oligozentrischen Dosiseskalationsstudien vor. Wesentlich ist, dass die Wahl der Dosis in Abhängigkeit vom PSA-Spiegel und dem histologischen Differenzierungsgrad erfolgen muss. Fasst man die vorhandenen Daten zusammen, so ist eine Dosis von 72 Gy unter Einschluss der Prostata ohne die Samenblasenbasis für Patienten mit einem LowRisk-Profil (bis cT2a, PSA ≤ 10 ng/ml, Gleason-Score ≤ 6) ausreichend. Mit diesem Vorgehen werden bNED-Raten von ~80 –95 % (60–80 Monate nach Therapie) beobachtet. Eine weitere Dosiseskalation erscheint nach aktuellem Wissensstand für dieses Risikoprofil als nicht sinnvoll. Für dieses Patientenkollektiv kommt alternativ zur perkutanen Therapie eine Spickung im Sinne einer Brachytherapie dann in Frage, wenn ein Prostatavolumen von 50 ml nicht wesentlich überschritten wird (siehe Kap. 3.2 „Brachytherapie“). Low risk: Bis T2a/b AJCC 2003, Gleason bis 6 PSA <10ng/ml Perkutane XRT bis 72 Gy, regulär ohne Samenblasenbasis Keine reguläre hormonablative Therapie (Ausnahme bei großem Organvolumen) Alternativ: Jod-125-Seeds In prognostisch ungünstigeren Konstellationen (intermediate risk, alle T1 – T2aTumoren mit Gleason-Grad 7–10 oder PSA 10–20 ng/ml oder T2c (AJCC 2003) ist die Entscheidung zu einem spezifischen Therapievorgehen komplex, da diese Patientenkollektive in Studien mit unterschiedlichen Konzepten erfolgreich behandelt wurden. Zum einen ist gesichert, dass Patienten mit diesem Risikoprofil von einer Dosiseskalation profitieren [74– 77]. Gleichzeitig scheint aufgrund des erhöhten Risikos eines subklinischen pelvinen Lymphknotenbefalls eine Mitbestrahlung des Beckens sinnvoll zu sein [78, 79]. Darüber hinaus liegen Daten vor, die nahe legen, dass eine zumindest kurzfristige neoadjuvante und parallele hormonablative Begleitbehandlung eine weitere Verbesserung der Strahlentherapieergebnisse mit sich bringt [78, 79]. Da keine Studien zur Dosiseskalation mit gleichzeitiger Hormonblockade vorliegen und alle positiven Studien zur Hormontherapie immer eine Mitbestrahlung Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 19 C. Therapie Prostatakarzinom des Beckens vorsehen, bleibt aus rein wissenschaftlicher Sicht die Entscheidung für das eine oder das andere Vorgehen offen. Als pragmatische Lösung erscheint daher Folgendes: Bei Vorliegen der oben genannten Risikokonstellation erfolgt zunächst eine laparoskopische Untersuchung der pelvinen Lymphknotenstationen. Bei adäquatem Sampling (~ 12 LK) und fehlender Lymphknotenmetastasierung werden Prostata und Samenblasenbasis [80] mit einer Dosis von mindestens 74 Gy bestrahlt. Diesbezüglich ist eine weitere Erhöhung der Dosis mit dem Ziel des Verzichtes auf die kurzfristige Hormonblockade geplant. Intermediate risk: Alle T1 – T2a – c mit Gleason bis 7 – 10 oder PSA 10 – 20 ng/ml oder T2c (AJCC 2003) LK SAMPLING ANSTREBEN ! Wenn LK Sampling mit ~12 LK negativ: Perkutane XRT bis 74 Gy, mit Samenblasenbasis 씮 kurze hormonablative Therapie bei HAT Wenn LK Sampling mit ~12 LK nicht erfolgt oder positiv: Behandlung XRT Becken 50,4 Gy 씮 PC 70,4 Gy und HAT 2 – 3 Monate vor RT und konkurrent zur RT (Flutamid -> Goserelin ggf. Casodex) Zusätzlich erfolgt eine kurze hormonblockierende Therapie (z. B. Goserelin 3,6 mg/ Monat s.c. und Flutamid 250 mg/2x täglich, ~ 2 Monate vor der Bestrahlung und über den Zeitraum der Bestrahlung hin). Kann ein endoskopisches Lymphknotensampling nicht erfolgen, so ist bei gleicher Hormontherapie die Bestrahlung des Beckens bis 50,4 Gy und der Prostata bis 70,4 Gy vorgesehen. High risk: Alle cT3, cT4 oder alle Gleason bis 7 – 10 und PSA 10 – 20 ng/ml, alle PSA >20 Behandlung XRT Becken 50,4 Gy 씮 PC 70,4 Gy und HAT konkurrent und für 3 Jahreadjuvant (Flutamid 씮 Gosrelin) Bei erheblich divergierender Risikokonstellation (nur T3 oder nur PSA > 20 oder grenzwertige Befunde 씮 Abschätzung des LK Risiko nach Formel (2/3) PSA + [(GS – 6) x 10]) oder Nomogramm wenn >15% <50% 씮 LK Sampling 씮 wenn negativ 씮 74 Gy lokal) Perkutane XRT bis 74 Gy, mit Samenblasenbasis 씮 HAT Kurzzeit 2 Monate vor XRT und während XRT (Flutamid -> Goserelin ggf. Casodex) Bei Nachweis einer pelvinen Lymphknotenmetastasierung erfolgt die Behandlung analog des Vorgehens bei Patienten mit Hochrisikoprofil (alle cT3, cT4 oder alle Gleason-Scores bis 7–10 bei gleichzeitigem PSA 10–20 ng/ml, alle PSA > 20– 100 ng/ml). Die besten Therapieergebnisse für dieses Kollektiv lassen sich aus der randomisierten EORTC-Studie ableiten, in der eine alleinige Strahlentherapie der Prostata (~ 70 Gy) und des Beckens (~ 50 Gy) verglichen wurde mit der gleichen Strahlentherapie plus einer neoadjuvant-konkomittanten und adjuvanten Hormonblockade mit (CPA) Cyproteron-Azetat 3 x 50 mg/Tag im ersten Monat und Goserelin über drei Jahre. Die zusätzliche hormonablative Therapie war mit einem verbesserten Gesamtüberleben nach 8 Jahren von ~ 70 % vs. 40 % assoziiert [79, 81]. Seite 20, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie Spezielle Strahlentherapie Bei der perkutanen Bestrahlung wird eine CT-geplante isozentrische Mehr-FelderTherapie entsprechend den Dosierungen des ICRU 50-Reports [57] und den DEGRO-/DGMP-Leitlinien [57, 82, 83] empfohlen. Die Behandlung sollte an Linearbeschleunigern mit einer Energie von mindestens 6 MV erfolgen. Zur verbesserten Schonung der Risikostrukturen Rektum, Blase und Hüftköpfe wird neben der konventionellen 4-Felder-Box-Bestrahlung eine individuelle Kollimation der Felder mit Individualsatelliten oder Multi-Leaf-Kollimatoren (MLC) sowie Inhomogenitätskorrektur durch Keilfiltertechnik empfohlen. Eine dreidimensional geplante, konformierende Bestrahlungstechnik ist einfacheren Techniken überlegen [84]. In näherer Zukunft ist eine weitere Dosiseskalation und Risikoschonung durch die zunehmende Verbreitung der intensitätsmodulierten Bestrahlungstechnik zu erwarten; diese kann momentan aber noch nicht als Standard angesehen werden [85]. Die Gesamtdosis liegt in Abhängigkeit vom Risikoprofil derzeit zwischen 72 und 74 Gy in Fraktionen von 1,8 bis 2 Gy. Die Sicherheitssäume bei der Definition des Zielvolumens betragen in Tübingen momentan allseits 10 mm bei Bestrahlung unter Verwendung eines Rektum-Ballons, ansonsten 12 mm. In frühen Tumorstadien (bis T2a, Gleason-Score bis 6, PSA unter 10 ng/ml) wird nur die Prostata mit dem o.a. Sicherheitssaum, bei Hinweis auf ein lokal fortgeschritteneres Stadium (ab intermediate risk) wird entsprechend das periprostatische Gewebe und/oder die Samenblasen bzw. die Samenblasenbasis in das Zielvolumen integriert. Das so definierte Zielvolumen enthält klinische (Tumorausdehnung) und physikalische (Lagerung) Unsicherheiten. Im Falle einer Mitbehandlung der pelvinen Lymphbahnen werden 5 x 1,8–2,0 Gy/Woche bis 45–50 Gy in isozentrischer Mehr-Felder-Technik appliziert. Zur Dünndarmschonung empfiehlt sich die Behandlung in Bauchlage unter Verwendung eines Lochbrettes. Nebenwirkungen der lokalen Prostata-Bestrahlung sind zystitische und proktitische Beschwerden. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert im Falle einer nichtbakteriellen (Mittelstrahlurin) Zystitis oder Urethritis spasmolytisch bzw. mit alpha-1-Rezeptoren-Blocker. Proktitiden können effektiv mit kortikoidhaltigen Suppositorien, damit verbundene Durchfälle mit adsorbierenden Substanzen wie Smektiden behandelt werden. Lokale Hautirritationen können mit kamillehaltigen oder adstringierenden Sitzbädern gebessert werden. Bei Behandlung des pelvinen Lymphabflusses werden vermehrt Durchfälle berichtet, die mit adsorbierenden oder motilitätshemmenden Substanzen therapiert und abgemildert werden können. 3.2 Brachytherapie Die alleinige (low dose rate) LDR-Brachytherapie mit 125J in unterschiedlicher Aktivität der verwendeten Seeds wurde bereits oben erwähnt. Die Indikation besteht bei Patienten mit auf das Organ lokalisierter Erkrankung (bis T2c, Gleason-Score bis 7, PSA bis 10 ng/ml) und ausreichenden Abflussbedingungen (> 15 ml/s, Organvolumen kleiner 50 ml). Die Behandlung mit 103Pd erfolgt bei vergleichba- Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 21 C. Therapie Prostatakarzinom ren Indikationen. Es ist aber die andersartige physikalische Qualität (Halbwertszeit und Energie) des Isotops zu berücksichtigen. Dosimetrie und Planungsalgorithmen sind an den Empfehlungen der Task Group 43 der AAPM orientiert [57, 82]. Die (high dose rate) HDR-Brachytherapie erfolgt zumeist als Prostata-Aufsättigung im Rahmen einer kombinierten perkutan-interstitiellen Therapie als Behandlungsmodalität lokal fortgeschrittener Tumoren mit dem Risiko einer über die Prostata allein hinausgehenden, jedoch nicht bekannt metastasierten Erkrankung (bis T3a, cN0) [57, 84]. Die Brachytherapie wird am besten im interdisziplinären Team aus Urologen, Radioonkologen und Medizinphysik-Experten durchgeführt [86]. Bezüglich der Differenzialindikation zwischen perkutaner Therapie und Brachytherapie können vergleichende Analysen großer Zentren hilfreich sein. Bei einer Matched-Pair-Analyse eines Patientenkollektivs am Memorial Sloan Kettering Cancer Center zeigte sich, dass die bNED-Raten beider Therapieverfahren gleichwertig sind. Allerdings zeigten sich etwas erhöhte Raten an Urethrastrikturen in der Brachytherapiegruppe [87]. Einen klaren Vorteil bietet jedoch in jedem Falle die deutlich kürzere Behandlungszeit. 3.3 Kombinierte Brachytherapie und perkutane Bestrahlung Wie bereits oben beschrieben, stellt die HDR-Brachytherapie als Ergänzung zur perkutanen Bestrahlung eine lokale Aufsättigung dar. Unter Ultraschall-Kontrolle (mit Röntgen-Durchleuchtung) werden die Hohlleiter für die anschließende Afterloading-Behandlung transperineal unter genereller oder periduraler Anästhesie gelegt. Die Dosimetrie erfolgt unter Kenntnis der Nadelverteilung entsprechend der Leitlinien der ICRU und DEGRO als organumschließende Dosis unter Schonung der Urethra und des Rektums. Die verordnete Dosis beträgt 18– 30 Gy Gesamtdosis in 2–3 Sitzungen. Perkutan werden in konventioneller Fraktionierung (5 x 1,8–2,0 Gy/ Woche) lokoregionär auf die Lymphabflussregion 30–50 Gy appliziert [84, 78]. Auch die Kombinationsbehandlung von permanenter LDR-Brachytherapie und perkutaner Bestrahlung ist durchgeführt worden, ein Vorteil ist nicht bewiesen [86]. 3.4 Lokoregionäre Bestrahlung unter Einschluss der paraaortalen Lymphabflussregion Die Behandlung der paraaortalen Lymphabflussregionen in adjuvanter Intention hat bisher keinen Überlebensvorteil zeigen können, diese bleiben also kein primäres Zielvolumen [84]. In palliativer Zielsetzung jedoch kann ein Vorteil für Patienten mit paraaortaler Tumormanifestation entstehen. Die Behandlung kann als ventrodorsale Gegenfeld-Bestrahlung beginnen, sollte aber nach etwa 30 Gy auf eine CTgeplante Mehr-Felder-Technik umgestellt werden, da die notwendigen Gesamtdosen (50 Gy) die Toleranz des Rückenmarks übersteigen. Die Behandlung des paraaortalen Lymphabflusses ist mit einer höheren Rate an Übelkeit und Durchfällen verbunden. Seite 22, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie 3.5 Bestrahlung und Hormontherapie Die Bedeutung einer Hormontherapie in Zusammenhang mit einer kurativen Bestrahlung ist bereits oben teilweise aufgezeigt worden. Experimentelle Daten legen nahe, dass die Kombination einer Hormonblockade mit einer Strahlentherapie zu einer Verbesserung der Dosiswirkungsbeziehung der Strahlentherapie führt. Die vorhandenen klinischen Studien, insbesondere die EORTC-Studie [79, 81], zeigen, dass eine risiko-adaptierte, kombinierte Gabe zu verbesserter lokaler Kontrolle, Fernmetastasenfreiheit und erkrankungsfreiem Überleben führt. Bei Patienten mit prognostisch schlechteren Parametern in lokal fortgeschrittenem Stadium (G3 oder T3/4 Nx bzw. Gleason-Score 8–10 oder T3 Nx Gleason-Score 7) hat eine langfristige (dreijährige) adjuvante Gabe eines GnRH-Analogons zu statistisch signifikanten Überlebensverbesserungen geführt [57, 82]. Dies trifft insbesondere bei einem Gleason-Score von 8–10 zu. Eine Metaanalyse der RTOG-Studien zu dieser Frage ergab Vorteile bezüglich des krankheitsspezifischen Überlebens in der Gruppe mit mittlerem Risiko (T3 Nx Gleason-Score < 7; T1–2 Nx Gleason-Score 7), wenn eine viermonatige Hormontherapie gegeben wurde [88]. Unklar ist noch der optimale Zeitpunkt und die Dauer der Applikation einer hormonellen Therapie [83, 84]. Durch die Kombinationsbehandlung werden die Nachteile einer Hormontherapie wie direkt einsetzende Impotenz, Gynäkomastie mit Mastodynie oder vegetative Missempfindungen in Kauf genommen. Durch eine prophylaktische Bestrahlung des Brustdrüsenbereichs mit 3 x 4 Gy oder 1 x 10 Gy können die Probleme einer Gynäkomastie/Mastodynie allerdings weitgehend vermieden werden. 3.6 Postoperative Bestrahlung Zur Verbesserung der Heilungschancen kommt zum einen eine additive perkutane Bestrahlung nach inkompletter Resektion eines Prostatakarzinoms (R1/2) und zum anderen eine adjuvante perkutane Bestrahlung bis 60–66 Gy bei pathohistologisch weiter fortgeschrittenem Stadium nach radikaler Prostatektomie zum Einsatz. Bei alternativ erst bei PSA-Anstieg erfolgender lokaler Radiatio ist aufgrund der zu erwartenden größeren Tumorlast eine höhere Dosis notwendig. In diesem Falle sollte eine PSA-Erhöhung bereits frühzeitig erfasst werden. Die Prognose wird bei PSAWerten ab 2 ng/ml bereits deutlich schlechter [83]. Das Nebenwirkungsrisiko für eine Urethrastenose ist nach Prostatektomie ebenso wie nach kurz (< 3– 6 Monate) zuvor erfolgter transurethraler Resektion erhöht. Die Entscheidung über eine postoperative Bestrahlung sollte daher im Einzelfall mit den behandelnden Ärzten und dem Patienten abgesprochen werden. Der Stellenwert einer adjuvanten Bestrahlung ist Gegenstand aktueller Studien. Die perkutane Bestrahlung des Lokalrezidivs erfolgt unter kurativer Intention. Im Falle eines steigenden PSA-Wertes ohne Nachweis einer Metastasierung nach operativer Primärtherapie ist eine histologische Sicherung des Lokalrezidivs zu erwägen. Im Falle eines fehlenden histologisch oder bildgebend gesicherten Nachweises eines lokalen Rezidivs ist nach Risikoabschätzung der initialen onkologischen Situation (beispielsweise R1-Resektion, T3-Stadium, Gleason-Score 8–10) die Indikation zur Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 23 C. Therapie Prostatakarzinom Bestrahlung zu stellen. Eine Kombination mit einer Hormontherapie ist wie in der primären Situation abhängig von den prognostischen Parametern zu erwägen. Diese Fragestellung wird derzeit in einer nationalen multizentrischen Phase-3-Studie (ARO Nr. 00/01, AUO Nr. AP 26) untersucht. Die Gesamtdosis wird nach radikaler Prostatektomie reduziert, da sonst mit einer erhöhten Rate an urethralen Stenosen zu rechnen ist. In Tübingen werden derzeit außerhalb der o.g. Studie 66 Gy appliziert. 3.7 Untersuchungen zur Lebensqualität Bei frühen Stadien des Prostatakarzinoms bieten sich die radikale Prostatektomie und die Strahlentherapie als Optionen an. Abgesehen von medizinischen Kontraindikationen für die jeweilige Option stehen keinerlei harte medizinische Fakten zur Differentialindikation zwischen beiden Verfahren zur Verfügung. Daher können Untersuchungsergebnisse zur Lebensqualität nach perkutaner Strahlentherapie, Brachytherapie und Operation hilfreich sein, um dem Patienten bei der Entscheidungsfindung zu assistieren. Insgesamt zeigt sich, dass Patienten nach einer Operation im Vergleich mit der Strahlentherapie deutlich mehr unter Harninkontinenz leiden (z. B. keine Vorlagen in 66 % vs. 92 % nach 12 Monaten) [89]. Ebenso treten Potenzstörungen deutlich häufiger auf (keine ausreichende Erektion in 80–91 % der Fälle nach 12 Monaten nach OP vs. 51–53 % 12 Monate nach Strahlentherapie) [89]. Umgekehrt ist eine Strahlentherapie mit deutlich ausgeprägteren Nebenwirkungen am Enddarm verknüpft (veränderte Stuhlkonsistenz in 30 % der Fälle 12 Monate nach Strahlentherapie vs. 6 % der Fälle 12 Monate nach Operation, ebenso Neigung zu Durchfällen in 30 % der Fälle 12 Monate nach Strahlentherapie vs. 6 % der Fälle 12 Monate nach Operation) [89]. Ähnliche Befunde werden auch von anderen Gruppen erhoben [90]. Zu beachten ist, dass auch eine Brachytherapie mit Nebenwirkungen einhergeht, welche die Lebensqualität beeinflussen. Ein vergleichende Analyse zeigte, dass die Brachytherapie möglicherweise beiden anderen Optionen nicht überlegen ist [91]. Nach heutigem Wissen müssen die Ergebnisse sowohl der operativen Therapie als auch der beiden lokalen strahlentherapeutischen Optionen – Brachytherapie und perkutane Behandlung – beim lokal begrenzten Prostatakarzinom als gleichwertig angesehen werden. Die Nebenwirkungsspektren sind jedoch deutlich unterschiedlich. Daher sollte über die Therapie unter Einbeziehung des Patienten in den Entscheidungsprozess beraten werden [83]. 4. Hormonbehandlung Unter einer Hormonbehandlung versteht man jede auf eine Senkung des Testosteronspiegels im Serum abzielende Maßnahme. Wie man bereits seit den 50er Jahren weiß, ist das männliche Sexualhormon für die Teilung bzw. Proliferation der prostatischen Epithelzellen unabdingbar. Ein Testosteronentzug bewirkt daher einen antiproliferativen Effekt auch im Bereich maligne transformierter intra- oder extraprostatischer Zellkompartimente. Die antihormonelle bzw. androgensuppressive TheSeite 24, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie rapie schließt die chirurgische Kastration, die Östrogenbehandlung, die Applikation von LHRH (luteinisierendes Hormon-Releasing-Hormon)-Analoga und die Gabe von direkt an den zellulären Testosteronrezeptoren wirkenden Antiandrogenen ein. Mittels androgenopriver Therapie kann das Prostatakarzinom zwar nicht geheilt werden, aber die Größe des Tumors und seiner Metastasen wird bei hormonsensiblen Malignomen, wozu die weitaus meisten Prostatakarzinome gehören, über einen antiproliferativen Mechanismus deutlich verkleinert. Mit einer chirurgischen oder medikamentösen Androgenablation bei Patienten mit Knochenmetastasen kann beispielsweise ein medianes progressionsfreies Überleben von 12–33 Monaten bei einem medianen Gesamtüberleben von 23– 37 Monaten erzielt werden [92]. Allerdings muss jede Hormontherapie, wie bereits erwähnt, als palliativ angesehen werden, da Prostatakarzinome aus androgensensitiven und androgeninsensitiven Zellklonen bestehen. Durch ein Weiterwachsen der androgenunabhängigen Zellen nach Blockade des für die androgensensitiven Zellen notwendigen Dihydrotestosterons (DHT) entwickelt sich nach durchschnittlich 18 Monaten ein erneuter Tumorprogress. Mutationen im Bereich der nukleären Androgenrezeptoren wird eine wesentliche Beteiligung an der Entwicklung eines hormonrefraktären Tumorwachstums zugeschrieben [93]. Ob eine intermittierende Hormonablation die Mutationsfrequenz im Bereich der Androgenrezeptoren senken und damit die Entwicklung eines hormoninsensitiven Tumors hinauszögern kann, konnte bisher noch nicht eindeutig bewiesen werden [94]. 4.1 Chirurgische Kastration Die beidseitige subkapsuläre Orchiektomie muss nach wie vor als goldener Standard im Rahmen der androgenopriven Therapie, an deren Effizienz sich alle anderen Behandlungsformen messen lassen müssen, angesehen werden. Durch die operative Maßnahme wird der Serum-Testosteronspiegel auf das so genannte Kastrationsniveau gesenkt, wobei jedoch sehr niedrige Testosteronspiegel messbar bleiben [95]. Allerdings ist für viele Patienten eine chirurgische Kastration ein in Bezug auf die Lebensqualität und das „Selbstverständnis als Mann“ nicht akzeptabler Eingriff. 4.2 Östrogene Über viele Jahre war die Applikation von Östrogenen neben der chirurgischen Kastration die gängigste Form des Androgenentzuges. Durch Östrogene wird der Feedback-Mechanismus zwischen der Hypophyse und der Gonadenachse gestört. Im Rahmen dieses endokrinen Regelkreises bewirkt Östrogenapplikation eine Reduzierung der LHRH-Sekretion durch die Hypophyse und somit auch eine Absenkung des Serum-Testosteronspiegels. Eine direkte, negativ regulatorische Wirkung der Östrogene auf die das Testosteron produzierenden Leydig-Zellen ist ein möglicher zusätzlicher Effekt. Die wirksame Dosis von 5 mg/d senkt den Testosteronspiegel im Serum zwar auch, ebenso wie die Orchiektomie, auf Kastrationsniveau ab, führt aber zu nicht unerheblichen kardiovaskulären Risiken [95–98]. So konnte in frühen Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 25 C. Therapie Prostatakarzinom amerikanischen Studien (VACURG-Studien) gezeigt werden, dass die Östrogenapplikation aufgrund der kardiovaskulären Nebenwirkungen das Langzeitüberleben so therapierter Patienten im Vergleich mit einem völlig unbehandelten Kollektiv zum Teil noch verschlechtert. Darüber hinaus kann es zu einem Wiederanstieg der Testosteronwerte nach einer 6- bis 12-monatigen Behandlung kommen. Der einzige einer Östrogenbehandlung gegenüber anderen Behandlungsformen zugeschriebene Vorteil könnte im Absenken des Osteoporoserisikos liegen [99]. 4.3 LHRH-Analoga In den letzten Jahren fanden die so genannten LHRH-Analoga in Form von Depotpräparaten eine breite klinische Anwendung in der Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms. Alle verfügbaren Präparate, so z. B. Leuprorelin, Goserelin und Buserelin, ähneln sich sehr in Bezug auf ihre chemische Zusammensetzung und sind – wie zahlreiche Studien belegten – ebenso effektiv wie die subkapsuläre Orchiektomie oder die Östrogenapplikation. Der Wirkungsmechanismus besteht darin, dass die pulsatile Rhythmik der LH-Ausschüttung im Bereich der Hypophyse durch eine Dauerstimulation mit LHRH-Analoga, die eine hypophysäre RezeptorDown-Regulation zur Folge hat, nach initialem Anstieg des Serum-Testosterons (3– 5 Tage) dann einen definitiven Abfall auf Kastrationsniveau bewirkt (nach 21–28 Tagen) [98, 100]. Dem anfänglichen Anstieg von LH, FSH und Testosteron nach Gabe von LHRH-Analoga, der als „Flare-up-phenomenon“ bezeichnet wird, muss durch zusätzliche Gabe eines Antiandrogens vor bzw. während der ersten Behandlungswochen entgegengewirkt werden. 4.4 Antiandrogene Antiandrogene blockieren im Gegensatz zu den LHRH-Analoga die Anbindung des Testosterons an die Epithel- bzw. Tumorzelle selbst. Daher werden Antiandrogene auch häufig zusätzlich zur chirurgischen Kastration oder der Applikation von LHRH-Analoga verabreicht, um eine so genannte komplette Androgenblockade unter Einschluss des adrenal synthetisierten Testosterons zu erzielen. Antiandrogene werden in steroidale (z. B. Cyproteron-Azetat, MedroxyprogesteronAzetat) und nicht-steroidale Formen (z. B. Nilutamid, Flutamid und Bicalutamid) unterteilt. Nicht-steroidale Antiandrogene verdrängen Testosteron von den zellulären Rezeptoren. Steroidale Antiandrogene entfalten darüber hinaus auch eine zentrale, progesteronartige Wirkung auf die Hypophyse [101]. Daraus ergibt sich der wesentliche Unterschied, die Nebenwirkungen dieser beiden Substanzgruppen betreffend. Nicht-steroidale Antiandrogene führen zu keiner Senkung des Serum-Testosteronspiegels und entfalten hierdurch einen deutlich geringeren negativen Einfluss auf Libido und Potenz. Demgegenüber führen steroidale Antiandrogene zur Erniedrigung des Serum-Testosterons und des hypophysär ausgeschütteten LH, was zu Nebenwirkungen führt, die den nach LHRH-Gabe beobachteten entsprechen. Seite 26, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie Nicht-steroidale Antiandrogene werden heute im Sinne einer Monotherapie bei solchen Patienten eingesetzt, für die der Erhalt der Sexualfunktion einen wesentlichen Bestandteil der Lebensqualität darstellt und daher eine eminente Bedeutung einnimmt. Dabei sollte aber der PSA-Wert < 100 ng/ml betragen und eine auf den Beckenbereich begrenzte Tumormanifestation vorliegen [102]. Zudem ist anzumerken, dass Bicalutamid das einzige nicht-steroidale Antiandrogen ist, das randomisiert mit der chirurgischen Kastration bzw. der LHRH-Gabe verglichen wurde und als nahezu äquieffektiv bezüglich des progressionsfreien Überlebens bzw. des Langzeitüberlebens eingeschätzt werden kann [103]. Cyproteron-Azetat ist ein potentes steroidales Antiandrogen mit gleichzeitigen gestagenen Eigenschaften, die zu einem Absinken der LH-Ausschüttung und der Testosteronproduktion führen. In älteren Studien konnte die Äquieffektivität bezüglich progressionsfreiem Überleben und Langzeitüberleben im Vergleich mit DES gezeigt werden [104]. Randomisierte Vergleiche nicht-steroidaler Antiandrogene mit CPA zeigten dabei substanzspezifische Nebenwirkungen ohne erkennbare Therapievorteile. 4.5 Maximale Androgenblockade (MAB) Zahlreiche Studien haben versucht, die Effektivität einer kompletten Androgenblockade, d.h. die Verabreichung eines Antiandrogens in Kombination mit einer chirurgischen Kastration oder LHRH-Therapie, gegenüber einer Monotherapie, also einfacher Hormonablation, zu determinieren. Die Mehrzahl der Berichte zeigte bisher keinen signifikanten Vorteil (≤ 5 %) der kompletten Androgenblockade (MAB) bezüglich des progressionsfreien bzw. Langzeitüberlebens [105, 106]. Diesbezüglich liegen allerdings noch keine schlüssigen neueren Daten, insbesondere unter Verwendung der jüngsten nicht-steroidalen Wirkstoffe, vor. 4.6 Androgen-withdrawal-Syndrom Bei metastasierten Prostatakarzinomen kommt es in der Regel 2 Jahre nach einer androgenabladierenden Behandlung wieder zu einem Ansteigen des PSA-Wertes. Eine so genannte Second-Line-Hormonbehandlung bewirkt zu diesem Zeitpunkt des Beginns hormonrefraktären Wachstums ein kurzes klinisches Ansprechen in 20–40 % der Fälle. Letztendlich aber kommt es auch bei diesen Patienten zu einem Tumorprogress, wobei die mediane Überlebenszeit in der Regel weniger als ein Jahr beträgt. Es wurde gezeigt, dass ein Absetzen nicht-steroidaler Antiandrogene, insbesondere nach längerer Flutamid-Applikation, bei Patienten, die trotz maximaler Androgenblockade einen Relaps entwickelten, in einem Drittel der Fälle zu einer deutlichen, zum Teil mehrere Monate anhaltenden Verbesserung der klinischen Symptome mit Abfall des Serum-PSA-Wertes führen kann. Dieses so genannte Androgen-withdrawal-Syndrom wurde für mehrere nicht-steroidale Antiandrogene beobachtet und ist möglicherweise durch Mutationen des Androgenrezeptors bedingt [93, 107]. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 27 C. Therapie Prostatakarzinom 4.7 Weitere auf den Hormonspiegel einwirkende Therapieformen Die im Folgenden aufgezählten Wirkstoffe werden in der Regel zur Therapie des hormonrefraktären Karzinoms und nur selten als primäre Hormonbehandlung des virginellen metastasierten Prostatakarzinoms eingesetzt: Gestagen: Die antigonadotropen Eigenschaften dieser Substanz werden durch eine Blockade des Steroidmetabolismus erreicht, wodurch die Bildung von LH und FSH unterdrückt wird. Außerdem verdrängen sie Testosteron an der Effektorzelle. Estramustin: Diese Substanz hat eine kombinierte östrogenartige, aber auch zytotoxische Wirkung. Eine zum Androgenentzug parallele Applikation bewirkt möglicherweise positive Effekte in der Therapie ossär metastasierter jüngerer Patienten [60]. Hauptindikation ist aber die Behandlung des hormonrefraktären Prostatakarzinoms. Neuerdings wird das Präparat als Kombinationswirkstoff zusammen mit Chemotherapeutika wie Docetaxel eingesetzt. Durch seine östrogenartige Wirkung besteht auch für Extramustinphosphat ein erhebliches Risiko bezüglich der Entwicklung kardiovaskulärer Komplikationen [108]. Ketoconazol: Dieses Antimykotikum beeinflusst in höheren Dosen die Androgensynthese und wurde daher mehrfach in seiner Wirkung bei Prostatakarzinom-Patienten untersucht [109]. Die Nebenwirkungen sind beträchtlich, durch die zu erwartende Nebenniereninsuffizienz wird eine zusätzliche Gabe von Hydrocortison erforderlich. Aminoglutethimid: Mit dieser Substanz kann die Androgensynthese in der Nebenniere supprimiert werden. Es kann zu schweren Nebenwirkungen kommen, die gleichzeitige Gabe von Cortisol zur Suppression des über einen Feed-back-Mechanismus induzierten ACT- Ausstoßes ist erforderlich [110]. 4.8 Nebenwirkungen der Hormonablation Die am häufigsten zu beobachtenden Nebenwirkungen der Testosteron-supprimierenden Behandlungsformen sind ein Verlust der Libido bzw. Potenz. Daneben kann es in wechselndem Umfange zu Hitzewallungen, Haarverlust und zum Teil schmerzhafter Gynäkomastie kommen. Vor allem nach chirurgischer Kastration und der Applikation von LHRH-Analoga wird von den Patienten in verstärktem Umfange über Hitzewallungen geklagt. Durch das initiale Ansteigen des Testosteronspiegels nach Gabe von LHRH-Analoga kann es bei Patienten mit tumorbedingter Hydronephrose oder Knochenmetastasen zu einer Verschlimmerung der Symptome kommen. Gerade diese Patienten benötigen daher über einen Monat die zusätzliche Verabreichung eines Antiandrogens, mit der in der Regel eine Woche vor der ersten Injektion des LHRH-Analogon begonnen wird. Beachtung sollte auch den mit einem langfristigen Androgenentzug assoziierten Nebenwirkungen geschenkt werden. Neben dem Verlust von Libido und Potenz werden Osteoporose, Muskelschwund, Gynäkomastie, Anämie, Anstieg der Highdensity-Lipoproteine (HDL) im Sinne eines kardiovaskulären Risikofaktors und Depressionen beobachtet [61, 111– 115]. Seite 28, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie Bezüglich des Zeitpunktes der initialen Hormonbehandlung werden im Vergleich zwischen sofortiger und verzögerter Therapie metastasierter Prostatakarzinome unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich des Langzeitüberlebens der Patienten berichtet [99]. Trotz möglicher Vorteile einer sofortigen Hormonablation [60] sollten die im Langzeitverlauf beschriebenen Nebenwirkungen Berücksichtigung finden. Es erscheint jedoch als gesichert, dass eine Hormonbehandlung in Kombination mit einer kurativ intendierten Strahlentherapie im Vergleich mit der Radiatio allein in einem längeren progressionsfreien Überleben resultiert [81]. 5. Tübinger Empfehlungen zur Therapie des Prostatakarzinoms Die radikale Prostatektomie wird weiterhin als eine Standardtherapie des organbegrenzten Prostatakarzinoms betrachtet. Für Patienten mit tumorfreien Absetzungsrändern im Bereich der Organgrenze stellt sie einen kurativen Behandlungsansatz dar. Eine Präservation des Gefäßnervenbündels mit dem Ziel eines Potenzerhaltes ist bei Tumoren im Stadium T1/T2a auf der dem Tumor abgewandten Seite des Organs gerechtfertigt. Bei Tumoren des Stadiums T2b kann ein nerverhaltendes Vorgehen in Abhängigkeit von der lokalen Tumorextension mit einem höheren Risiko für positive Absetzungsränder und einem hierdurch höheren Risiko für die Entwicklung eines Lokalrezidivs verbunden sein. Auch für Tumoren des Stadiums T3 kann die radikale Prostatektomie bei guter bis mäßiger histologischer Differenzierung, niedrigem PSA-Wert und nur moderater Kapselpenetration bei tumorfreien Absetzungsrändern eine kurative Therapie darstellen. Die Frage nach der Wertigkeit einer frühen adjuvanten Radiatio bei positiven Absetzungsrändern wird, ebenso wie die einer radikalen Prostatektomie in Ergänzung zur Initiierung einer androgensuppressiven Therapie im Falle einer bereits stattgehabten Lymphknotenmetastasierung (N+), kontrovers diskutiert. Eine neoadjuvante androgensuppressive Therapie vor definitiver chirurgischer Behandlung mittels radikaler Prostatektomie bietet entsprechend den verfügbaren Literaturdaten keinen Vorteil, wobei sich dies sowohl auf das Langzeitüberleben der Patienten, als auch auf die Rate positiver Absetzungsränder bzw. die eventuelle Erleichterung der technischen Durchführung des eigentlichen operativen Eingriffs bezieht. Die externe Strahlentherapie, entweder in Form eines konventionellen Ansatzes oder einer konformalen dreidimensionalen Technik, ist bei lokal begrenztem Tumorwachstum bezüglich der kurativen Effizienz mit der radikalen Prostatektomie vergleichbar. Aus den gegenwärtig verfügbaren Literaturdaten lässt sich im Hinblick auf das Langzeitüberleben der Patienten nach Primärtherapie keine Überlegenheit einer der beiden Therapieformen ableiten. Die Vor- und Nachteile beider therapeutischer Optionen sollten dem Patienten vor seiner Entscheidung für den einen oder anderen Behandlungsansatz im interdisziplinären Diskurs aufgezeigt werden. Die Bestrahlung des Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 29 C. Therapie Prostatakarzinom lokal begrenzten Prostatakarzinoms sollte mit einer Androgensuppression kombiniert werden, wobei die Form und Dauer der Hormonmanipulation Gegenstand aktueller Untersuchungen ist. Als Alternative zur Strahlentherapie steht die Brachytherapie mit entsprechend gegenwärtigem Kenntnisstand vergleichbarer therapeutischer Effizienz zur Verfügung. Der Wert einer begleitenden externen Bestrahlung ist nicht erwiesen. Daten zum Langzeitüberleben nach Brachytherapie, wobei diese Behandlungsform eine enge Kooperation zwischen Urologen und Strahlentherapeuten voraussetzt, sind im Augenblick nicht in ausreichendem Umfange verfügbar, worauf insbesondere jüngere Patienten mit einer Lebenserwartung von deutlich > 10–15 Jahren hingewiesen werden müssen. Die perkutane Bestrahlung eines sich nach radikaler Prostatektomie entwickelnden Lokalrezidivs erfolgt unter primär kurativer Intention. Im Falle eines ansteigenden PSA-Wertes ohne Nachweis einer Metastasierung nach operativer Primärtherapie ist eine histologische Sicherung des Lokalrezidivs zu erwägen. Im Falle des fehlenden histologisch oder bildgebend gesicherten Nachweises eines lokalen Rezidivs ist nach Risikoabschätzung der initialen onkologischen Situation (beispielsweise R1-Resektion, T3-Stadium, GleasonScore 8–10) die Indikation zur Bestrahlung zu stellen, wobei die Wertigkeit letzterer Maßnahme, ebenso wie der Wert einer zusätzlichen passageren oder kontinuierlichen Androgensuppression, derzeit in Studien überprüft wird. Die Hormontherapie zur Behandlung des hormonresponsiven Prostatakarzinoms bei lokal fortgeschrittenem oder extraprostatischem Tumorwachstum im Sinne eines palliativen Ansatzes erfolgt in Form der Testosteronsuppression, wobei LHRH-Analoga sowie steroidale und nicht-steroidale orale, peripher wirksame Antiandrogene bezüglich ihrer Effizienz im Sinne einer Absenkung des Testosteronspiegels auf Kastrationsniveau miteinander vergleichbar sind. Bicalutamid ist das einzige nicht-steroidale Antiandrogen, das im Hinblick auf die therapeutische Effizienz direkt mit der chirurgischen Kastration verglichen wurde. Da ein wesentlicher Unterschied nicht festgestellt werden konnte, steht dieses Medikament für eine antiandrogene, orale Monotherapie (150 mg/d) zur Verfügung. Einer kompletten Androgenblockade, also der Kombination aus zentral ansetzendem LHRH-Analogon und peripher wirkendem Antiandrogen, konnte im Vergleich mit einer inkompletten Androgenblockade kein überlegener therapeutischer Wert zugeschrieben werden. Entsprechend jüngsten Untersuchungen besitzt die sofortige androgensuppressive Therapie bei Nachweis eines beginnenden Tumorprogresses bzw. Therapieversagens nach vorangegangener Radiatio keinen Vorteil gegenüber einem verzögerten Behandlungsbeginn, sondern ist demgegenüber mit einem größeren Spektrum möglicher therapieassoziierter Komplikationen verbunden. Hierauf müssen insbesondere solche Patienten hingewiesen werden, die allein aufgrund eines ansteigenden PSA-Wertes Seite 30, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie ohne histologische Sicherung eines Lokalrezidivs nach radikaler Prostatektomie oder Radiatio bzw. bei fehlendem bildgebenden Anhalt für eine regionale Lymphknoten- oder Fernmetastasierung einen dringenden Therapiewunsch äußern. 6. Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms Die Androgenablation stellt heute die wirksamste konservative Behandlungsmaßnahme in der Therapie des primär metastasierten Prostatakarzinoms dar. Trotzdem kommt es nach einem durchschnittlichen Intervall von etwa 18–24 Monaten zu einer erneuten Tumorprogression. Die wahrscheinlichste Ursache hierfür ist die Selektion hormonrefraktärer Tumorzellklone. Die Bezeichnungen für diese Situation variieren, wobei man üblicherweise vom hormonrefraktären, androgenunabhängigen bzw. hormonunabhängigen oder hormoninsensitiven Tumorwachstum spricht. Als klinisch brauchbare Definition dient heute die Beobachtung eines ansteigenden PSA-Wertes. Dieser muss im Rahmen von zwei Messungen bei mindestens zweiwöchentlichem Intervall 50 % über dem PSA-Nadir liegen. Die androgensuppressive Therapie sollte beim hormonrefraktären Tumor eigentlich überflüssig sein, da es ja unter dieser Behandlung zu einem Krankheitsprogress gekommen ist. Bei eingetretenem Tumorprogress muss zunächst die Effizienz der bisher durchgeführten Hormonablation durch Bestimmung eines sich auf Kastrationsniveau bewegenden Testosteronspiegels verifiziert werden. Dies ist zu Beginn eines Relapses, aber auch im weiteren Verlauf einer allfälligen sekundären Therapie zu empfehlen. Auf der anderen Seite ist zu diesem Zeitpunkt das mit einer Fortsetzung der androgensuppressiven Therapie assoziierte Risiko gering und eine möglicherweise persistierende Proliferationshemmung gegenüber noch hormonsensitiven Zellklonen denkbar. Aus diesem Grund sollte die Androgensuppression trotz Entwicklung augenscheinlich hormonrefraktären Tumorwachstums beibehalten werden [116, 117]. Bei Absetzen von Antiandrogenen sollte vor allem bei geplanter Sekundärtherapie zunächst abgewartet werden, ob der Patient nicht von einem sich eventuell einstellenden „Androgen-withdrawal-Syndrom“ profitiert, bevor weitere therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden [118, 119]. Eine sekundäre Hormonbehandlung bietet sich vor allem für jene kleine Gruppe von Patienten an, bei denen die Testosteronwerte trotz maximaler Androgenblockade nicht Kastrationsniveau erreichen. Verwendung hierfür findet beispielsweise Bicalutamid, ein nicht-steroidales Antiandrogen mit dosisabhängiger Wirkung. Hohe Dosen dieses Präparates (bis zu 200 mg Tagesdosis) haben eine höhere Effizienz, aber auch mehr Nebenwirkungen als die übliche Standarddosierung von 50 mg. Etwa 10 % aller zirkulierenden Androgene werden beim Menschen in den Nebennieren produziert. Zwar hat die bilaterale Adrenalektomie praktisch keinen Einfluss auf das hormonrefraktäre Prostatakarzinom gezeigt, jedoch können solche Substanzen, die die adrenale Steroidgenese hemmen, klinische Wirksamkeit erlangen. BeiStand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 31 C. Therapie Prostatakarzinom spiele für solche Therapeutika sind Aminoglutethimid, Ketoconazol und Kortikosteroide. Üblicherweise exprimieren Prostatakarzinomzellen Östrogenrezeptoren, die unter Androgenablation heraufreguliert werden. Es wurde diskutiert, dass Östrogene auf diese Weise mutierte Androgenrezeptoren aktivieren und damit einen proliferationsfördernden Einfluss auf das Tumorwachstum entfalten können. Vor diesem Hintergrund haben möglicherweise Antiöstrogene eine klinische Wirksamkeit, die in klinischen Studien mit allerdings nur 0–10 % bestimmt wurde. Andererseits können hohe Östrogendosen unter Umständen eine objektive Wirkung im Endstadium der Erkrankung dadurch erzielen, dass sie über eine Mitosehemmung einen klinisch relevanten zytotoxischen Effekt bewirken. 6.1 Chemotherapie Das Prostatakarzinom wurde bisher als chemotherapieresistent betrachtet. Unter Berücksichtigung neuerer Kriterien hinsichtlich des Ansprechens auf eine chemotherapeutische Behandlung, wie einen unter Therapie sinkenden Serum-PSA-Spiegel, zeigte sich sehr wohl eine gewisse Chemotherapiesensitivität dieses Tumors, vor allem nach Applikation von Kombinationsregimen, beispielsweise bestehend aus Estramustinphosphat und einem Taxanderivat. Hierdurch werden vermutlich synergistische Effekte erzielt. Durch verbesserte supportive Maßnahmen, wie z. B. die Applikation neuerer Antiemetika oder hämatologischer Wachstumsfaktoren, können derartige chemotherapeutische Ansätze sicherer und mit geringerer subjektiver bzw. objektiver Toxizität verabreicht werden. Mitoxantron, das dem Anthracyclin Doxorubicin ähnelt, jedoch eine geringere systemische Toxizität entfaltet, hat in Kombination mit Kortikosteroiden im Rahmen mehrerer Studien seine Effektivität in der Behandlung des hormonrefraktären Prostatakarzinoms gezeigt [120, 121]. Estramustin, ein klinisch in der Behandlung des Prostatakarzinoms seit längerer Zeit eingesetztes Kombinationspräparat (Östrogenderivat + Stickstoff-Lost), wird neuerdings wieder in Kombination mit neueren Substanzen untersucht. Eine interessante Kombination ist in diesem Zusammenhang Estramustin + Paclitaxel oder Docetaxel, wobei diese Substanzen einen synergistischen, Mitose inhibierenden Effekt aufweisen [122]. In bisher zur Verfügung stehenden Studien wird für diese Kombinationen eine Ansprechrate von etwa 50 % angegeben [123]. Andere Kombinationen, beispielsweise mit Vinblastin, konnten im Hinblick auf die klinische Ansprechrate eher nicht überzeugen [124–126]. Durch Einbeziehung von Kortikosteroiden in chemotherapeutische Kombinationsregime kann ein zusätzlicher schmerzlindernder und gleichzeitig mit einem besseren Wohlbefinden einhergehender Effekt erzielt werden. Allerdings kann fälschlicherweise eine Effektivität einer begleitenden Chemotherapie, insbesondere im Rahmen von Studienprotokollen, vorgetäuscht werden. Zu den mehrfach untersuchten Substanzen, die eine unterschiedliche Wirksamkeit auch gegenüber dem hormonrefraktären Prostatakarzinom gezeigt haben, gehören Mitomycin C, Cyclophosphamid, Cisplatin und Carboplatin. Jedoch konnten auch für Kombinationsregime, bestehend aus den vorgenannten Substanzen, keine überSeite 32, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom C. Therapie zeugenden Ansprechraten beobachtet werden. Eine kombinierte Gabe von Cyclophosphamid oder Cisplatin und Estramustin, Etoposid und Paclitaxel wurde aufgrund der Toxizität aufgegeben, da die Kombination aus Estramustin und Paclitaxel überlegene Response-Rates bei geringen systemischen Nebenwirkungen zu garantieren scheint [127–131]. Um die Wirksamkeit neuerer chemotherapeutischer Substanzen (Taxane) beurteilen zu können, sollten Patienten im Rahmen klinischer Studien behandelt werden. Für die Kombination von Estramustinphosphat und Docetaxel ist in 2004 mit einer offiziellen Zulassung für das hormonrefraktäre Prostatakarzinom zu rechnen. 6.2 Isotopentherapie Neben den oben erwähnten Kortikosteroiden ist als symptomatische Therapie bei schmerzhaften Knochenmetastasen die systemische Applikation von Radioisotopen wie Strontium-89 oder Samarium-153 eine mittlerweile klinisch etablierte Behandlungsmethode. Allerdings kann bei gleichzeitiger oder geplanter Chemotherapie die durch Radioisotope bedingte Knochenmarksdepression zu Problemen führen. 6.3 Andere Therapieansätze Neuerdings wird auch eine frühzeitige Gabe von Bisphosphonaten zur Verbesserung des Knochenstoffwechsels bei osteolytischen Metastasen empfohlen. Für diese Substanzgruppe wird auch ein knochenprotektiver Effekt im Hinblick auf die Neubildung metastatischer Läsionen diskutiert, wobei derzeit nicht klar ist, ob sich die in der Mammakarzinomtherapie erhobenen Daten auf Patienten mit Prostatakarzinom übertragen lassen. Bei Patienten mit schmerzhafter diffuser Knochenmetastasierung kann eine Halbkörperbestrahlung mit 5x3 Gy/Woche bei einer Gesamtdosis von 15 Gy zu einer deutlichen Symptomlinderung führen. Eine immer wieder diskutierte Behandlungsform, die experimentell und mittlerweile auch in ersten klinischen Studien erprobt wird, ist die Tumorvakzination in der Therapie des Prostatakarzinoms. Auch in Tübingen wird intensiv an der Determinierung solcher Antigenmuster gearbeitet, die mögliche Angriffspunkte für eine derartige Therapie darstellen. Ein klinischer Einsatz dieses Behandlungsverfahrens wird derzeit vorbereitet. 6.4 Tübinger Empfehlungen zur Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms Bei Patienten, die einen PSA-Progress unter kompletter Androgenblockade entwickeln, sollte das periphere Antiandrogen abgesetzt werden, um ein mögliches „androgen-withdrawal“-Phänomen zu induzieren. Bei PSA-Progress im Sinne eines definitiven hormonrefraktären Tumorwachstums sollte die basale Androgensuppression aufrechterhalten werden, um das Wachstum eventuell noch hormonresponsiver Tumorzellklone weiter zu inhibieStand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 33 C. Therapie Prostatakarzinom ren. Aber ebenso wie dieser therapeutischen Maßnahme kein im Rahmen randomisierter Untersuchungen nachgewiesener Wert zugeschrieben werden kann, ist auch der Wert einer sekundären hormonellen Manipulation, beispielsweise in Form der Verabreichung peripher wirksamer Antiandrogene zusätzlich zur Applikation von LHRH-Analoga oder der chirurgischen Kastration, umstritten. Konsensus besteht derzeit dahingehend, dass Estramustin als Monotherapie unter Berücksichtigung der geringen Effizienz wegen des Nebenwirkungsspektrums dieser Substanz nicht mehr bzw. nur bei Kontraindikationen für eine Kombinationstherapie eingesetzt werden sollte. Diese Empfehlung gilt insbesondere für solche Patienten, die einen ansteigenden PSA-Wert im Sinne eines beginnend hormonrefraktären Wachstums ohne eine hiermit in der Bildgebung korrelierende Metastasierung im Sinne eines klinischen Progresses aufweisen. Von der chemotherapeutischen Behandlung metastasierter Prostatakarzinome ist kein kurativer Effekt zu erwarten. Ziel einer solchen Behandlung ist vielmehr die subjektive Beschwerdebesserung, wobei letzteres Ziel in der Mehrzahl der Fälle erreicht wird. Als effektivste Therapie gilt vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Literaturdaten entweder eine Kombinationstherapie aus Mitoxantron + Prednison oder Docetaxel + Estramustinphosphat. Durch diesen Behandlungsansatz können bei einer signifikanten Zahl von Patienten zum Teil länger anhaltende Partialremissionen erzielt werden. Der Wert einer Bisphosphonat-Therapie liegt in der Prävention von Skelettkomplikationen, wie z. B. Frakturen, Notwendigkeit einer Bestrahlung oder Operation des Knochens, Rückenmarkskompression und Hyperkalzämie. Darüber hinaus haben Bisphosphonate in bisher durchgeführten klinischen Phase-II-Studien eine schmerzlindernde Wirkung gezeigt. Ein durch die Tumortherapie induzierter Knochendichteverlust (z. B. durch eine androgensuppressive Therapie) kann durch Bisphosphonate verhindert werden. Außerdem wirken sie zumindest für das Mammakarzinom nachgewiesenermaßen präventiv hinsichtlich der Neubildung ossärer Metastasen. Der Applikation eines Bisphosphonates (derzeit ist Zoledronsäure für die Indikation Prostatakarzinom zugelassen) in drei- bis vierwöchentlichen Abständen sollte ein fester Stellenwert im Rahmen der Behandlung ossär metastasierter Prostatakarzinome zukommen. Seite 34, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung Als kurative Behandlungsansätze in der Therapie des Prostatakarzinoms mit klinisch belegter Effizienz gelten heute die radikale Prostatektomie, die Strahlentherapie und die Brachytherapie. Alternative Therapieformen sollten nur im Rahmen von Studienprotokollen, denen spezielle und interdisziplinär definierte Nachbeobachtungsschemata zugrunde liegen, bezüglich ihrer Effektivität evaluiert werden, da die klinische Wertigkeit als bisher nicht gesichert gelten kann. Die Tumornachsorge dient zum einen der Erkennung und Behandlung möglicher therapieassoziierter Komplikationen (Harnröhrenstrikturen, Harninkontinenz, Impotenz, Darm- oder Blasenirritationen), zum anderen aber dem Ausschluss lokaler Tumorrezidive oder Metastasen. Voraussetzung für jede Tumornachsorge ist eine sich aus den möglichen Ergebnissen auch ergebende therapeutische Konsequenz. Die bezüglich des Wertes einer PSA-Bestimmung verbesserten Erkenntnisse haben in den letzten Jahren zu einer deutlichen Vereinfachung der Tumornachsorge von Patienten mit unkomplizierten Tumorverlaufsformen geführt. Selbstverständlich bedeutet Tumornachsorge mehr als nur serologische, klinische oder bildgebende Untersuchungen. Psychoonkologische Aspekte, physiotherapeutische Gesichtspunkte und Diätempfehlungen (siehe unten), wie z. B. Maßnahmen zur Steigerung des Vitamin-D-Stoffwechsels, sind integrative Bestandteile einer beratenden bzw. begleitenden Betreuung von Krebspatienten. In diesem Zusammenhang soll aber nur auf die für das Prostatakarzinom spezifischen bzw. relevanten Ansätze eingegangen werden. Die PSA-Messung stellt einen Eckpfeiler in der Nachsorge nach kurativer Behandlung dar. Es sollte dabei beachtet werden, dass sich der PSA-Verlauf nach radikaler Prostatektomie deutlich von dem nach radiotherapeutischer Behandlung unterscheidet. In jedem Fall jedoch tritt ein PSA-Anstieg praktisch im Vorfeld eines dann später auch klinisch erkennbaren Tumorrezidivs auf. Der PSA-Anstieg kann in einigen Fällen dem klinischen Rezidiv sogar um einige Jahre vorangehen [62, 132–134]. Es wird jedoch heute empfohlen, sich nicht auf einen einzigen erhöhten PSA-Wert zu verlassen, sondern vor Einleitung einer Therapie Mehrfachbestimmungen anzustreben. Eine zusätzliche Hormontherapie zu einer anderen Behandlung führt zu unverlässlichen PSA-Werten. So kann eine dreimonatige Behandlung mit einem als Depot verabreichten LHRH-Analogon den auf eine Tumorprogredienz hinweisenden PSAProgress um etwa ein Jahr verzögern, ohne jedoch das Intervall zwischen Prostatektomie und klinisch evident werdendem Tumorrezidiv zu verlängern [135]. Analog kann eine dreijährige Hormonablation mit LHRH-Agonisten nach Strahlentherapie den PSA-Wert im Rahmen der Tumornachsorge in noch größerem Umfange verfälschen [81, 136]. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 35 D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung 1. Prostatakarzinom PSA-Verlauf nach radikaler Prostatektomie Nach einer radikalen Prostatektomie sollte der PSA-Wert nach etwa 3 Wochen in den nicht mehr messbaren Bereich abfallen. Ein persistierender PSA-Wert nach radikaler Prostatektomie wird im Sinne einer Tumorpersistenz aufgrund positiver Schnittränder oder einer präoperativ nicht erkannten Mikrometastasierung interpretiert. Ein postoperativ rasch ansteigender PSA-Wert, gekennzeichnet durch eine hohe PSA-Velocity bzw. eine kurze PSA-Verdopplungszeit, spricht eher für das Vorliegen von Lymphknoten- oder Fernmetastasen, während ein eher langsamer PSAAnstieg oder ein langes Intervall zwischen Prostatektomie und serologischem Relaps auf ein Lokalrezidiv hinweist. Von Bedeutung für die Differenzierung zwischen einem lokalen oder systemischen Rezidiv ist auch das Zeitintervall zwischen Primärtherapie und einem messbaren PSA-Anstieg unter Berücksichtigung der Tumordifferenzierung [65, 137]. In eher seltenen Fällen werden ein Lokalrezidiv bzw. eine stattgehabte lymphogene bzw. hämatogene Disseminierung ohne erkennbaren PSA-Anstieg beobachtet [138, 139]. Dies beschränkt sich in der Regel aber auf eine ungünstige Tumorkonstellation mit organüberschreitendem Wachstum eines undifferenzierten Tumors. Zusammenfassend ergibt sich hieraus die Empfehlung, Patienten mit einer günstigen klinischen Prognose (pathologisches Stadium pT1 – pT2c, pN0, pM0) und einem Gleason-Score < 8 einer Beobachtung des PSA-Verlaufs ohne begleitende Bildgebung (CT, MRT), einen unauffälligen klinischen Verlauf vorausgesetzt, zuzuführen. Als tumorfrei werden alle Patienten mit einem PSA-Wert von ≤ 0,2 ng/ml betrachtet. Patienten mit PSA-Werten von 0,1 – 0,2 ng/ml erwiesen sich klinisch in nahezu allen Fällen als tumorfrei [140]. Der letzte Gesichtspunkt verdient Beachtung vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass bisher kein klinischer Effekt einer adjuvanten Therapie bei Vorliegen von PSA-Werten < 0,2 ng/ml gezeigt werden konnte. Es erscheint daher auch als nicht sinnvoll, PSA-Bestimmungen unter Verwendung ultrasensitiver Assays in zweistelligen Kommabereichen vorzunehmen. 2. PSA-Verlauf nach Strahlentherapie Nach Strahlentherapie kommt es zu einem deutlich langsameren Abfall des PSAWertes im Serum. Ältere Daten sprechen von einem günstigen Verlauf bei Erreichen eines PSA-Nadirs < 1 ng/ml, während in jüngeren Studien ein Nadir von unter 0,5 ng/ml als günstiger erachtet wird [141, 142]. Bei einem Nadir < 0,5 ng/ ml kam es innerhalb von 40 Monaten in nur 4 % der Fälle zu einem Therapieversagen nach vorangegangener Radiotherapie, während sich bei einem PSA-Nadir von 0,6–1,0 ng/ml 26 % der Patienten als Therapieversager erwiesen. Das Intervall zwischen Behandlung und dem Erreichen des effektiven PSA-Nadirs kann in manchen Fällen bis zu drei Jahre nach Bestrahlung betragen, weshalb eine PSA-Bestimmung innerhalb der ersten zwei Jahre nach Radiotherapie von manchen Autoren als überflüssig erachtet wird. Es besteht Übereinstimmung darin, dass ein wieder ansteigender PSA-Wert einen frühen Hinweis auf ein Therapieversagen darstellt [134, 142, 143]. Seite 36, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung Die amerikanische Gesellschaft für Strahlentherapie (ASTRO) definierte jüngst ein Therapieversagen nach Radiatio als einen im Rahmen dreier aufeinander folgender Bestimmungen, unabhängig vom eigentlichen Nadir, wieder ansteigenden SerumPSA-Wert [144]. Eine PSA-Verdoppelungszeit von mehr als 12 Monaten wird in diesem Zusammenhang als Hinweis auf einen lokalen Tumorprogress betrachtet, während eine PSA-Verdopplung innerhalb von 3 Monaten im Sinne eines kombinierten lokalen und systemischen Tumorprogresses interpretiert wird [143]. 3. Digito-rektale Untersuchung Die digito-rektale Untersuchung kann lediglich Veränderungen im Zeitverlauf bzw. eindeutige Knoten im Prostatabett oder Anastomosenbereich zum Nachweis bringen. Diagnostisch beweisend ist aber, ebenso wie bei Nachweis tumorsuspekter Läsionen im Rahmen der transrektalen Sonographie, ausschließlich eine positive Biopsie aus der Prostataloge bzw. dem Bereich der Blasenhals-Harnröhren-Anastomose nach radikaler Prostatektomie. Eine suspekte digitale Untersuchung, beispielsweise das Vorliegen knotiger Veränderungen in diesem Bereich, kann auch ohne gleichzeitig zu beobachtenden PSA-Anstieg eine Indikation für eine Gewebeentnahme mit eventuellem Tumornachweis darstellen [138, 139]. Letzterer findet sich aber in der Regel bei Patienten mit entdifferenziertem Primärtumor. Die Kombination aus PSA-Bestimmung im Serum und digito-rektaler Untersuchung ist derzeit die gängigste und sinnvollste Form der Tumornachsorge nach Lokaltherapie des Prostatakarzinoms mittels radikaler Prostatektomie oder Strahlentherapie. Zeigt die histopathologische Untersuchung des Primärtumors nach radikaler Prostatektomie einen Gleason-Grad von ≤ 7 und kein kapselüberschreitendes Wachstum, dann kann im Rahmen der Tumornachsorge auch auf eine digito-rektale Untersuchung verzichtet werden. In diesen Fällen erfolgt eine lediglich PSA-basierte Tumornachsorge. Der Nachweis eines lokal fortschreitenden Tumorwachstums mittels digito-vektaler Untersuchung vor allem nach radiotherapeutischer Behandlung ist schwierig. Aufgrund des nach dieser Behandlungsform nur langsamen PSA-Abfalles sollte aber auch eine sonographisch gesteuerte Biopsie der Prostata in der frühen Nachbeobachtungsphase vermieden werden. Ein höheres Risiko für ein postradiotherapeutisches klinisches Versagen wird erst bei positiver Biopsie > 18 Monate nach Therapieende vermutet [142]. Trotzdem wird auch nach Ablauf dieses Zeitintervalls die routinemäßige transrektale Prostatabiopsie nicht empfohlen. Lediglich in solchen Fällen, in denen eine weitere lokale Behandlungsmethode mit kurativem Ansatz geplant bzw. möglich ist und in denen der PSA-Wert in einem noch günstigen Bereich (z. B. < 10 ng/ml) rangiert, sollte eine Biopsie zur Sicherung eines Lokalrezidivs erfolgen. Ansonsten bleiben auch nach Strahlentherapie das PSA-Monitoring und die digito-rektale Untersuchung die einzigen Nachsorgeuntersuchungen bei klinisch und serologisch unauffälligem Verlauf. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 37 D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung 4. Prostatakarzinom Weitere Untersuchungsmethoden Die ultraschallgezielte Biopsie nach radikaler Prostatektomie ist dann indiziert, wenn der Patient einen PSA-Anstieg, meist mit hoher PSA-Verdoppelungszeit, oder aber einen in der digito-rektalen Evaluation auffälligen Befund bietet. In mehr als einem Drittel der Fälle führt erst mehr als eine Biopsieserie zur Diagnosesicherung. Inwieweit Patienten in diesem Zusammenhang einer frühzeitigen Biopsie zugeführt werden, hängt von der Indikationsstellung zu einer frühen adjuvanten Strahlentherapie ab, deren Effizienz bei PSA-Werten bis zu 1 ng/ml am größten erscheint [145]. Eine Knochenszintigraphie erscheint bei Patienten mit einem unauffälligen klinischen Verlauf, einem pathologischen Tumorstadium ≤ T3N0M0, einem GleasonScore < 8 und einem langsam ansteigenden PSA bis zu Werten von 20 ng/ml als nicht mehr notwendig [146]. Bei Patienten mit primär entdifferenziertem Tumor und/oder klinischer Symptomatik, die möglicherweise auf eine stattgehabte Knochenmetastasierung hindeutet, sollte aber nach wie vor eine Knochenszintigraphie erfolgen [138, 139]. Sowohl das CT, aber auch das MRT weisen eine geringere Sensitivität im Hinblick auf den Nachweis von Lymphknotenmetastasen auf. Patienten nach lokaler Behandlung mit kurativer Zielsetzung und einem unauffälligen klinischen Verlauf benötigen eine Computertomographie und/oder eine Kernspintomographie in der Regel erst ab einem PSA-Wert > 4 ng/ml [147]. Dies betrifft natürlich nicht jene Patienten, bei denen weitere Behandlungen in kurativer Absicht oder aber eine adjuvante Strahlentherapie vorgesehen sind. Nachsorgeuntersuchungen sollten bei Patienten mit einer so genannten günstigen Primärhistologie und einem initialen PSA-Wert von < 10 ng/ml nach 3, 6 und 12 Monaten innerhalb des ersten Jahres nach kurativer Behandlung erfolgen. Im Anschluss werden innerhalb der ersten 3 Jahre halbjährliche und danach jährliche Kontrolluntersuchungen empfohlen. Die erste Nachsorgeuntersuchung nach Ablauf von 3 Monaten dient oft auch zur Evaluierung behandlungsbedingter Probleme und einer psychischen Unterstützung des Patienten. In Fällen mit einer ungünstigen Ausgangssituation (hoher Gleason-Score, hoher PSA-Wert), klinischen Auffälligkeiten und tumorbedingten psychischen Alterationen sollten Nachsorgeuntersuchungen innerhalb des ersten Jahres nach Therapie in dreimonatlichen Intervallen erfolgen. Hohes (biologisches) Alter oder schlechter Allgemeinzustand des Patienten sollten bei fehlenden adjuvanten Therapieoptionen längere, von den vorgenannten Empfehlungen abweichende Nachsorgeintervalle bedingen. Seite 38, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom 5. D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung Nachbeobachtung nach systemischer (hormoneller) Tumorbehandlung Die Zahl solcher Patienten, die zum Zeitpunkt der Diagnose des Primärtumors keiner lokalisiert kurativen Behandlung mehr zugeführt werden können, wurde in den letzten Jahren durch Einführung von PSA-basierten Früherkennungsprogrammen deutlich gesenkt [148–150]. Demgegenüber betrug die Inzidenz von Knochenmetastasen zum Zeitpunkt der Diagnose eines Prostatakarzinoms in frühen Serien bis zu 25 %, und 50 % aller Patienten wiesen bei Diagnosestellung ein lokal fortgeschrittenes Tumorstadium mit oft bereits stattgehabter lymphogener oder hämatogener Disseminierung auf. Das heutige Ziel einer Nachbeobachtung bei hormonabladierten, also wegen eines fortgeschrittenen Primärtumorbefundes lediglich palliativ behandelten Patienten ist zum einen die Evaluierung der Tumorregression nach Hormonentzug, auf der anderen Seite aber auch der Nachweis bzw. Ausschluss potentieller therapieassoziierter Komplikationen. Es wurde gezeigt, dass sich das Ausmaß des PSA-Abfalls nach Initiierung einer androgenopriven Therapie als Prädiktor der klinischen Prognose eignet. So wurde ein PSA-Abfall von > 50–80 % [151, 152] mit einem im Weiteren günstigen klinischen Verlauf und der verzögerten Entwicklung hormonrefraktären Wachstums korreliert. Für längerfristig androgensuppressiv behandelte Patienten sollte frühzeitig der Zeitpunkt des Beginnes hormonrefraktären Wachstums erfasst werden, um unerkannte Tumorprogresse mit letztlich deutlich schwieriger zu behandelnder hoher Metastasenlast zu vermeiden. Die PSA-Bestimmung ist für die Verlaufsbeobachtung auch lokal fortgeschrittener oder metastasierter Prostatakarzinome unerlässlich geworden und hat die Detektion der prostataspezifischen sauren oder der alkalischen Phosphatase abgelöst. Bei fortgeschrittenen Tumoren spielt jedoch der PSA-Verlauf gegenüber dem Absolutwert eine wesentlich bedeutendere Rolle. Neben dem PSA-Verlauf sind das Ausmaß der PSA-Remission innerhalb von 3–6 Monaten nach Beginn der Hormonbehandlung, der PSA-Nadir und die Geschwindigkeit des PSA-Abfalles mit der klinischen Prognose der Patienten assoziiert. Demnach haben Patienten mit einem nach 3 und 6 Monaten nicht mehr detektierbaren PSA-Spiegel (≤ 0,2 ng/ml) die besten Aussichten auf eine langfristig anhaltende Tumorremission. Ein erneuter Tumorprogress durch die Entwicklung hormonrefraktärer Tumorzellklone bzw. -kompartimente ist im Median etwa 12–18 Monate nach Therapiebeginn zu verzeichnen. Der Nachweis eines PSA-Anstieges kann bei sonst asymptomatischen Patienten als verlässlichster Indikator eines beginnenden Therapieversagens betrachtet werden, da ein PSA-Anstieg dem Nachweis auch mittels bildgebender Verfahren detektierbarer tumoröser Läsionen bzw. dem Auftreten manifester klinischer Symptome um mehrere Monate vorangehen kann. Allerdings kann ein Therapieversagen auch bei Patienten mit weiterhin normalem PSA-Wert beobachtet werden [153– 156]. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 39 D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung Prostatakarzinom Die Ursache des in etwa 15–34 % der Fälle auftretenden Tumorprogresses trotz im Normbereich bestimmter PSA-Werte könnte durch einen unproportionalen Abfall der PSA-Spiegel während der antiandrogenen Therapie in Relation zum zunehmenden Tumorvolumen liegen oder aber durch Selektion von Tumorzellklonen, die durch die geringe zelluläre Differenzierung keine Syntheseleistung für Glykoproteine aufweisen, bedingt sein [14, 33, 157–160]. Während die PSA-Bestimmung den integralen Bestandteil der Tumornachsorge bei Patienten mit Prostatakarzinom darstellt, sind andere Laborparameter wie Kreatinin, Hämoglobin oder Leberfunktionswerte abhängig von der klinischen Situation des Patienten zu Beginn der Primärtherapie im Hinblick auf Symptome wie z. B. eine beginnende Obstruktion des oberen Harntraktes oder sich mit entsprechenden Symptomen manifestierende andere Organveränderungen. Die alkalische Phosphatase und ihre knochenspezifischen Isoenzyme können im Rahmen der Verlaufsbeobachtung von Patienten mit Verdacht auf metastasenbedingte ossäre Läsionen von Wert sein, weil sie im Gegensatz zum PSA nicht direkt durch eine Hormontherapie beeinflusst werden. Auch bei Vorliegen fortgeschrittener Prostatakarzinome wird heute in der Nachsorge eine Knochenszintigraphie bei fehlendem klinischem Anhalt für eine ossäre Beteiligung und/oder stabilem PSA-Verlauf in der Palliativsituation nicht mehr empfohlen [161–163]. Die Initiierung anderweitiger bildgebender Verfahren orientiert sich an der klinischen Symptomatik des individuellen Patienten oder aber am Ansatzpunkt zusätzlich verfügbarer Therapieoptionen. Die Zeitintervalle für Nachsorgeuntersuchungen bei palliativ androgensupprimierten Patienten liegen bei 3–6 Monaten nach Therapiebeginn. Die Effizienz der Therapie wird anhand des PSA-Verlaufs beurteilt, die Indikation für die Durchführung digito-rektaler Untersuchungen oder die Initiierung zusätzlicher bildgebender Verfahren orientiert sich an der individuellen klinischen Situation. Nachfolgeschemata müssen somit je nach Symptomen, zu erwartendem klinischem Verlauf und Verfügbarkeit optionaler Therapieansätze auf den einzelnen Patienten zugeschnitten werden. Für Patienten ohne klinischen Hinweis auf Metastasen reicht bei ebenfalls unauffälliger Bildgebung ein Nachbeobachtungsintervall von 6 Monaten aus. Die Untersuchungen umfassen eine Bestimmung des PSA, eine klinische Evaluierung und eine eventuelle digito-rektale Untersuchung. Für Patienten mit Lymphknoten- oder viszeralen Fernmetastasen sollte das Kontrollintervall 3– 6 Monate nicht überschreiten. In dieser Situation umfassen die Nachsorgeuntersuchungen eine Determinierung des PSA-Wertes und eine digito-rektale sowie eine klinische Untersuchung bei eventuell zusätzlicher Bestimmung von Laborwerten wie Hämoglobin, SerumKreatinin oder alkalischer Phosphatase. Bei Tumorprogress ist das Nachsorgeschema individuell zu gestalten und auch abhängig von den möglicherweise verfügbaren weiteren Therapieoptionen. Eine routinemäßige Bildgebung (CT, MRT) wird für klinisch stabile Patienten nicht empfohlen. Seite 40, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom 6. D. Tumornachsorge nach kurativer Behandlung Tübinger Empfehlungen zur Tumornachsorge Bei organbegrenzten Tumoren, einem Gleason-Score < 8 und unauffälligem klinischen Verlauf genügt den Anforderungen an eine suffiziente Tumornachsorge ein PSA-Monitoring 3, 6 und 12 Monate nach Primärtherapie. Daran schließen sich halbjährliche Untersuchungen innerhalb der ersten drei Jahre an, gefolgt von jährlichen Kontrolluntersuchungen. Nach radikaler Prostatektomie wird ein PSA-Wert von 0,2 ng/ml oder darunter als tumorfreier Status betrachtet. Nach Strahlentherapie wird als Hinweis auf ein Rezidiv ein solcher PSA-Anstieg erachtet, der sich als PSA-Elevation im Rahmen dreier aufeinander folgender Kontrollmessungen definiert. Der effektive PSA-Nadir besitzt dabei nur relative Bedeutung. Hinweise auf ein Lokalrezidiv können sich aus einem tastbaren Knoten oder einem ansteigenden PSA-Wert ergeben. Eine sonographisch gesteuerte Biopsie zur Sicherung eines Lokalrezidivs ist dann indiziert, wenn die Option eines kurativ orientierten therapeutischen Ansatzes besteht. CT, MRT oder Knochenszintigraphie sind bildgebende Maßnahmen zur Diagnose von Metastasen. Bei asymptomatischen Patienten mit einem PSAWert < 4 ng/ml und einem nach allgemeinem Verständnis günstigen Befund bezüglich der histologischen Differenzierung des Primärtumors kann auf bildgebende Untersuchungen verzichtet werden. Eine Knochenszintigraphie ist bis zu einem PSA-Wert von 20 ng/ml bei günstigen primären Tumorparametern ein verzichtbarer diagnostischer Ansatz, sollte aber bei klinisch symptomatischen Patienten, insbesondere bei Vorliegen von Knochenschmerzen, zur Anwendung gelangen. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 41 E. Prostataerkrankungen und Ernährung Prostatakarzinom E. Prostataerkrankungen und Ernährung Das Prostatakarzinom wird ebenso wie Brustkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Osteoporose als typische Erkrankung des westlichen Kulturkreises betrachtet. Das Argument einer genetischen Disposition wird dadurch entkräftet, dass vor allem aus Japan oder China in die USA emigrierte Asiaten/Asiatinnen bereits in der zweiten bzw. dritten Generation das gleiche Risiko für die Entwicklung von Prostata- oder Mammakarzinomen aufweisen wie die übrigen Amerikaner. Als eine der hierfür im Wesentlichen verantwortlichen Ursachen muss die für westliche Länder typische Ernährung, der hohe Anteil tierischer Fette und pflanzlicher Eiweiße bei geringem Ballaststoffgehalt, angesehen werden. Demgegenüber enthält die Nahrung in den meisten asiatischen Ländern einen geringeren Anteil tierischer Fette, dafür aber reichlich Stärke, Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst, ist also ballaststoffreich (Abb. 6). WEST OST Abb. 6: Unterschiede in der Ernährungszusammensetzung zwischen der Fernostregion und den westlichen Ländern (adaptiert aus [164]: 377) Wurden vor allem die tierischen Fette über einen langen Zeitraum für die in den westlichen Ländern höhere Krebsinzidenz verantwortlich gemacht, so wurde mittlerweile erkannt, dass für Asien, aber auch für die Mittelmeerregion typische Verdauungsbestandteile einen protektiven Mechanismus hinsichtlich maligner Entdifferenzierung und der Entwicklung anderer benigner Prostataerkrankungen darstellen. Ist das Prostatakarzinom in den USA nach dem Bronchialkarzinom die zweithäufigste Todesursache, findet sich dieser Tumor in einigen Regionen Japans oder Chinas mit 30- bis 120-mal geringerer Häufigkeit. Vor allem für Japan mit einer dem westlichen Standard vergleichbaren Lebenserwartung muss eine derartig niedrige Inzidenz erstaunen. Aber auch hier ist ein ansteigendes, allerdings nicht mit den USA vergleichbares Prostatakarzinom-Risiko zu beobachten. Der Grund für diese Beobachtung mag darin liegen, dass sich die Ernährung auch der in Japan lebenden Bevölkerung von den traditionell asiatischen Gewohnheiten weg und zu den westlichen hin entwickelt. Seite 42, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom E. Prostataerkrankungen und Ernährung Abb. 7: Diätempfehlungen für Patienten mit Prostatakarzinom (adaptiert aus [164]: 377) Wie auch für andere Krebsformen haben sich die Bestandteile mancher vegetarischer Nahrungsmittel als mögliche Schutzfaktoren gegen Krebsentstehung erwiesen. Gegenüber dem Prostatakarzinom scheinen vor allem die Isoflavonoide, die Flavonoide und die Lignane, von denen einige eine schwache östrogenartige Wirkung besitzen, tumorprotektive Wirkung zu entfalten (Abb. 7). Isoflavonoide finden sich hauptsächlich in den Sojabohnen und der roten Muskatblüte. Gerade Soja wird in China und Japan in großen Mengen und nahezu täglich konsumiert. In der traditionellen Küche des indischen Subkontinents sowie in Afrika, in einigen Anrainerstaaten des Mittelmeers und in Südamerika gehört ein hoher Anteil an Hülsenfrüchten wie Soja, Linsen und Erbsen zur Grundnahrung [164]. Die in den Sojabohnen enthaltenen Glycoside der Isoflavonoide sind Genistein und Waidzein, ihre methylierten Abkömmlinge Biochanin A und Formononetin. Durch die normale Darmflora werden diese Substanzen zu Genistein und Waidzein metabolisiert, die absorbiert und als Glucoronid-Konjugate bzw. Sulfate in das Blut und den Urin gelangen. Die Lignane finden sich ebenfalls in zahlreichen Obst- und Gemüsesorten sowie in Getreide. Sie werden durch die Darmflora in Enterolactone und Enterodiol, die eine schwache östrogenartige Wirkung entfalten, umgewandelt. Die Lignane lassen sich demnach ebenfalls im Blut und anderen Körperflüssigkeiten nachweisen. Lignane findet man in vielen Getreidesorten, Früchten und Gemüsesorten. Leinsamen wird der größte Gehalt an Lignanen zugeschrieben [164]. Prostatasekret enthält unter anderem die metabolisierten Lignane Enterolacton und Equol, was als Hinweis auf die intraprostatische Anreicherung von mit der Ernährung zugeführten Östrogenen betrachtet werden kann. Hohe Isoflavonoidspiegel in Blut und Urin wurden bei Japanern und Chinesen nachgewiesen. Lignane und Isoflavonoide werden in großen Mengen auch im Urin von Vegetariern, die viel Vollkorngetreide, Gemüse und Obst verzehren, gefunden [164]. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 43 E. Prostataerkrankungen und Ernährung Prostatakarzinom Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Soja, Flavonoiden (z. B. aus Obst, Hülsenfrüchten und verschiedenen „grünen“ Gemüsesorten sowie Tee und Rotwein), lignanhaltigen Nahrungsmitteln und Leinsamen eine günstige Präventionswirkung auf Prostataerkrankungen zu entfalten scheint. Ein antitumoraler Effekt bei manifestem Prostatakarzinom wurde diskutiert, bisher jedoch nicht sicher nachgewiesen. Ob eine vermehrte Aufnahme von Antioxidantien durch vermehrten Konsum von z. B. Kaffee und Nüssen das Tumorwachstum beeinflusst, konnte bisher ebenfalls nicht eindeutig geklärt werden. Seite 44, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom F. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten F. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten 1. Zur psychischen Situation der Patienten Die Diagnose einer Krebserkrankung stellt allgemein eine hohe, anhaltende Belastung dar. Die betroffenen Patienten sind mit einer prinzipiell lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert, deren Ausgang ungewiss ist und die eine radikale Behandlung erforderlich macht. Bei einem Prostatakarzinom kommen weitere spezifische Belastungsfaktoren dazu: Infolge der chirurgischen Behandlung wie auch nach einer Hormontherapie kann es zu sexuellen Funktionsstörungen (Impotenz, Sterilität) und Harninkontinenz kommen, nach einer Strahlentherapie können abdominelle Symptome (Entzündungen und Schmerzen im Bauchraum, Durchfälle etc.) auftreten. Insbesondere die Auswirkungen auf die Sexualität werden von vielen Patienten als Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität erlebt. Die Erkrankung wird als Bedrohung der eigenen „Männlichkeit“ gesehen, es entwickeln sich Ängste vor dem Verlust der Potenz. Diese Ängste finden ihre Bestätigung, wenn nach erfolgter Prostatektomie Erektionsstörungen und Harninkontinenz auftreten, was sich leider nicht immer vermeiden lässt. Falls Patienten diese Probleme z. B. aus Scham nicht mit ihrem behandelnden Arzt ansprechen, sollte dieser von sich aus diese Problembereiche mit Fingerspitzengefühl thematisieren und so einer weiteren Belastung durch Uninformiertheit vorbeugen. Auch auf die Beziehung zur Partnerin können sich diese Probleme negativ auswirken, wenn der Patient eine offene Aussprache darüber vermeidet. Nicht selten kommt es dann innerhalb der Partnerschaft zu gravierenden Kommunikations- und Sexualstörungen, die den psychischen Leidensdruck des Patienten weiter verstärken. Eine operationsbedingte Harninkontinenz kann ebenfalls zu einem gravierenden Belastungsfaktor werden, weil diese zu Einschränkungen des sozialen Lebens führen kann. Harninkontinenz kann Unsicherheit und sozialen Rückzug, aber auch beruflich negative Konsequenzen nach sich ziehen. Beispielsweise können Tätigkeiten, die einen kontinuierlichen sozialen Kontakt erfordern, unter Umständen nur noch schwer ausgeübt werden. Eine frühzeitige Behandlung der Harninkontinenz ist daher wichtig. Medizinischphysiotherapeutische Maßnahmen, vor allem Beckenbodengymnastik und Biofeedback, können mit verhaltenstherapeutischen Interventionen kombiniert werden, was in der Regel zu einer guten Symptomkontrolle führt. Obwohl bei der Harninkontinenz die belastenden Symptome häufig reversibel sind, ist eine starke Beeinträchtigung der psychischen Befindlichkeit durch eine anfängliche Inkontinenz und vor allem durch die anderen genannten Belastungsfaktoren keineswegs selten. Ängstliche und/oder depressive Phasen, vegetative Beschwerden (z. B. Nervosität, Anspannung, Schlafstörungen) sowie sexuelle Störungen und Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 45 F. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten Prostatakarzinom Partnerprobleme können auftreten. Ob diese Reaktionen vorübergehender Natur sind oder in klinisch relevante psychische Störungen oder psychosomatische Störungsbilder münden, hängt vor allem von den vorhandenen Bewältigungs-Ressourcen des Patienten ab. Patienten, die mit der Verarbeitung ihrer Krankheitssituation dauerhaft überfordert sind, entwickeln nicht selten behandlungsbedürftige psychische Störungen (z. B. akute Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen, schwere Depressionen und Angststörungen, gelegentlich auch posttraumatische Belastungsstörungen). Laut aktuellem Forschungsstand ist bei ca. 20–30 % aller Krebspatienten damit zu rechnen. Hartnäckige funktionelle Beschwerden ohne eindeutige somatische Ursache können auf eine psychosomatische Problematik hinweisen. Falls erste Symptome die Entstehung solcher Störungen anzeigen, sollte der behandelnde Arzt daran denken, den Kontakt zu einem Psychoonkologischen Dienst herzustellen. Frühzeitig einsetzende fachkompetente Hilfe kann einer Chronifizierung vorbeugen. 2. Psychoonkologische und psychosoziale Hilfsangebote für Patienten Psychoonkologischer Dienst (POD) des Interdisziplinären Tumorzentrums Der Psychoonkologische Dienst des Tumorzentrums bietet für Tumorpatienten des Universitätsklinikums Beratung und gegebenenfalls psychotherapeutische Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und Krisenintervention an. Auch nachsorgenden Ärzten, die eine fragliche Störung der Krankheitsverarbeitung bei ihren Patienten abklären möchten, dient der POD als Ansprechpartner. In die Betreuung werden die Angehörigen, soweit dies möglich ist, einbezogen. Das Angebot des Psychoonkologischen Dienstes ist kostenlos. Die Gespräche unterliegen der Schweigepflicht. Unter (07071) 29-87053 bzw. -87054 können Patienten vormittags telefonisch Termine vereinbaren. (Weitere Informationen unter www.itz-tuebingen.de/itzpod.html im Internet.) Uropsychologischer Dienst der Klinik und Poliklinik für Urologie Auch die Urologische Klinik des Universitätsklinikums Tübingen verfügt über einen eigenen psychologischen Dienst, der für Kriseninterventionen und Gespräche über psychoonkologische Themen zur Verfügung steht. Im Rahmen ihrer medizinischen Behandlung können Patienten unter der Telefonnummer (07071) 29-87231 Beratungsgespräche zur Krankheitsbewältigung vereinbaren. Das Angebot ist kostenlos und vertraulich. (Weitere Informationen unter www.uro-tuebingen.de im Internet.) Psychosoziale Dienste Über sozialrechtliche Fragestellungen informieren die Sozialdienste der einzelnen Krankenhäuser: Jeder Tumorpatient hat Anspruch auf eine Anschlussheilbehandlung. Eine kompetente Beratung über Rehabilitationsmaßnahmen und -einrichtun- Seite 46, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom F. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten gen ist daher obligatorisch. Auch Informationen über berufliche Wiedereingliederung, finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten, Haushaltshilfen und ambulante Pflegeeinrichtungen werden in der Regel grundsätzlich angeboten. 3. Prostatasprechstunde Patienten mit Prostatakarzinom können zur weiteren Therapieplanung in der interdisziplinären Prostatasprechstunde vorgestellt werden. Hier erfolgt eine Beratung in Kooperation zwischen der Klinik für Urologie und der Klinik für Strahlentherapie des Universitätsklinikums Tübingen. Termin: Mittwochs ab 13.00 Uhr Anmeldung unter Tel. (07071)29-86565 4. Selbsthilfe Die Selbsthilfe ergänzt die Arbeit des professionellen Versorgungssystems auf der emotionalen und seelischen Ebene. Das Gespräch und der Austausch über die gemeinsame Krankheit und die daraus folgenden Alltagsprobleme und Lebensfragen, aber auch eine lebendige Geselligkeit in den Gruppen sind für die Betroffenen in ihrer Krankheitsbewältigung sehr wertvoll. Selbsthilfegruppen verfügen über praktisches Wissen im Umgang mit Hilfeleistungen, das sie weitergeben können. Hilfe zur Selbsthilfe wird Prostatakarzinom-Patienten von den Selbsthilfeorganisationen Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. und Deutsche ILCO e.V. (Ileostomie, Colostomie, Urostomie) angeboten. Bei den jeweiligen Bundesverbänden können Gruppen in Wohnortnähe erfragt werden. Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. Anschrift: Alte Str. 4, 30989 Gehrden Telefon: (05108) 926646 Fax: (05108) 926647 E-Mail: [email protected] Internet: www.prostatakrebs-bps.de Bundesverband der Deutschen ILCO e.V. Anschrift: Landshuter Str. 30, 85356 Freising Telefon: (08161) 9343-01 oder -02 Fax: 08161/9343-04 E-mail: [email protected] Internet: www.ilco.de Weitere lokale Angebote können bei der Geschäftsstelle des ITZ, regionale und überregionale Ansprechpartner über den telefonischen Krebsberatungsdienst (KID) in Heidelberg, Tel. (06221) 410121, den Krebsverband Baden-Württemberg e.V., Tel. (0711) 848-691 und die Krebsgesellschaften und -verbände der Länder in Erfahrung gebracht werden. Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 47 F. Psychosoziale Aspekte und Angebote für Patienten Prostatakarzinom Ausführliche Adressen- und Linklisten finden sich auch auf den Internetseiten des Interdisziplinären Tumorzentrums Tübingen unter www.itz-tuebingen.de/ itzpat.html. 5. „Tübinger Projekt: Häusliche Betreuung Schwerkranker“ Für die Lebenszufriedenheit vieler Schwerst- und Sterbendkranker ist es wichtig, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung versorgt werden können. Das „Tübinger Projekt: Häusliche Betreuung Schwerkranker“, das vom ITZ mitgetragen wird, hilft dabei. Es bereitet die Entlassung und die Betreuung zu Hause organisatorisch vor und gewährleistet eine kompetente pflegerische, psychosoziale und schmerztherapeutische Versorgung. Das Angebot ist aus Kapazitätsgründen auf den Landkreis Tübingen beschränkt. Klinik- und Hausärzte können Anfragen an die Pflegedienstleitung des Dienstes richten, Tel. (07071) 206-111. (Informationen über weitere Einrichtungen zur Betreuung Schwerst- und Sterbendkranker finden sich im „Hospiz- und Palliativführer“, MediMedia Verlag, Neu-Isenburg). Seite 48, Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen Stand: Januar 2004 Prostatakarzinom G. Literatur G. Literatur 1. Jemal A, Thomas A, Murray T, Thun M (2002) Cancer statistics, 2002. CA Cancer J Clin 52(1): 23 – 47 2. Jensen OM et al. (1990) Cancer in the European Community and its member states. Eur J Cancer. 26(11 – 12): 1167 – 1256 3. Black RJ et al. (1997) Cancer incidence and mortality in the European Union: cancer registry data and estimates of national incidence for 1990. Eur J Cancer 33(7):1075 – 1107 4. Catalona WJ, Stein AJ (1982) Staging errors in clinically localized prostatic cancer. J Urol 127(3): 452 – 456 5. 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Carsten Bokemeyer, Abteilung Innere Medizin II, Medizinische Universitätsklinik, Tübingen Dr. med. Peter Cuno, Rottenburg Dr. med. D. Dimitrijevic, Abteilung für Urologie, Katharinenhospital, Stuttgart Dr. med. Helmut Dittmann, Abteilung Nuklearmedizin, Radiologische Universitätsklinik, Tübingen Prof. Dr. med. G. Egghart, Urologische Abteilung, Kliniken LK Sigmaringen GmbH, Sigmaringen Dipl. Biol. Gerhard Feil, Universitätsklinik für Urologie, Tübingen Dipl. Psych. Alida Di Gangi-Herms, Uropsychologischer Dienst der Klinik und Poliklinik für Urologie, Tübingen Dr. med. Michael Haug, Urologische Klinik, Diakonissenkrankenhaus, Stuttgart Dr. med. J. Kleeberg, Urologische Klinik, Diakonissenkrankenhaus, Stuttgart Walter Klett, ILCO, Gruppe Tübingen, Kirchentellinsfurt Dr. med. Jens Köhler, Abteilung Urologie, Klinikum am Steinenberg, Reutlingen Prof. Dr. med. Markus Kuczyk, Universitätsklinik für Urologie, Tübingen PD Dr. med. Sven Lahme, Universitätsklinik für Urologie, Tübingen Dr. med. Volker Laible, Urologische Klinik, Diakonissenkrankenhaus, Stuttgart Hubert Nagel, Selbsthilfegruppe für Männer nach urologischen Krebserkrankungen/Gruppe Villingen, Zimmern o.H. Dr. med. Frank Paulsen, Abteilung Radioonkologie, Universitätsklinik für Radioonkologie, Tübingen Dr. med. Harald Preßler, Pathologisches Institut der Universität Tübingen Dr. med. J. Schleicher, Klinik für Onkologie, Katharinenhospital, Stuttgart PD Dr. med. Dipl. Phys. Heinz-Peter Schlemmer, Radiologische Diagnostik, Radiologische Universitätsklinik, Tübingen Prof. Dr. med. Bernhard Schmidt, Strahlenklinik, Katharinenhospital, Stuttgart Dr. med. Nicola Weidner, Abteilung Radioonkologie, Universitätsklinik für Radioonkologie, Tübingen (Koord. Ärztin) Dipl. Psych. Martin Wickert, Psychoonkologischer Dienst, Interdisziplinäres Tumorzentrum, Tübingen Dr. Andreas Zumbrägel, Universitätsklinik für Urologie, Tübingen Stand: Januar 2004 Interdisziplinäres Tumorzentrum Tübingen, Seite 57