Therapeuten zeigen zu wenig Empathie

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THEMEN DER ZEIT
Verhaltenstherapie (TF–VT) und das
EMDR (= Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Dieses
Verfahren geht auf Francine Shapiro
zurück. Mitte der 1980er-Jahre entdeckte die US-amerikanische Psychologin während eines Spazierganges, dass sie mit bestimmten Augenbewegungen unangenehme Gefühle
im Rahmen einer Krebserkrankung
vermindern konnte. Beim EMDR
regt ein Therapeut beim Patienten
beidseitige Augenbewegungen an,
etwa indem er im Abstand von 50
cm vor dessen Gesicht zwei Finger
hin und her führt. Die Augenbewegungen scheinen eine beschleunigte
Verarbeitung von Informationen zu
fördern, die der im REM-Schlaf ähnelt. Eine erhöhte und umfassendere
Aktivierung des Gehirns soll helfen,
Blockaden zu überwinden. So werden die mit dem Trauma verbundenen, quälenden Empfindungen vermindert und in das übrige Gefühlsleben integriert.
Eine dauerhafte Abstinenz
soll ermöglicht werden
In der klinischen Behandlung suchtkranker, traumatisierter Patienten
steht die stimmungsaufhellende und
stabilisierende Wirkung von EMDR
gegenüber der Traumabearbeitung
meistens im Vordergrund. Seit einigen Jahren gibt es ein spezielles EMDR-Behandlungsschema für
Suchtkranke (S. Vogelmann-Sine et
al. 1998). Ziel ist es, mithilfe von
EMDR auch das „Suchtgedächtnis“
zu reprozessieren und so dauerhafte
Abstinenz zu ermöglichen. Tatsächlich vermindert EMDR bei diesen
Patienten Craving und Rückfallhäufigkeit.
■
Christof Goddemeier
LITERATUR
1. Brookmann S: Traumaüberlebende als
WegbereiterInnen einer Kultur des Gefühls. In: psycho-logik Bd. 2, Existenz und
Gefühl. Freiburg 2007.
2. Kunzke D: Sucht und Trauma. Gießen
2008.
3. Reddemann L: Imagination als heilsame
Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen
mit ressourcenorientierten Verfahren.
Stuttgart 2001.
4. Vogelmann-Sine S et al.: EMDR – Chemical Dependency Treatment Manual. Honolulu 1998. Deutsch: EMDRIA-Rundbrief 6
(Sonderausgabe) 2005.
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BESCHWERDEN
Therapeuten zeigen
zu wenig Empathie
Psychotherapeuten stellen nicht jeden Patienten
zufrieden. Eine Studie zeigt die häufigsten Beschwerden.
E
inen Einblick in die Vorwürfe
und Beschwerden von Patienten gegenüber Psychotherapeuten
hat jetzt ein bundesweit tätiger,
unabhängiger Verein gewährt. Er
nimmt Beschwerden von Psychotherapiepatienten aus laufender,
beendeter oder abgebrochener Behandlung entgegen, bietet Beratung
an und ist bei der Suche nach einem Nachfolgetherapieplatz behilflich. Psychologen der Universitätsklinik Ulm und des Vereins Ethik
in der Psychotherapie haben 81 Beschwerdefälle ausgewertet: Die
Klagen richteten sich häufiger gegen männliche als gegen weibliche
Psychotherapeuten; gegen männliche Therapeuten wurde signifikant
häufiger der Vorwurf der sexuellen
Grenzverletzung vorgebracht. Die
häufigste Beschwerde (43 Prozent)
bezog sich darauf, dass der Therapeut nicht genügend Empathie
zeigte, sodass der Patient kein Vertrauen zu ihm entwickeln konnte.
Auch wurde bemängelt, dass der
Therapeut zu wenig auf die Probleme des Patienten einging (27 Prozent). Mangelnde Aufklärung über
die Therapie wurde fast gleichhäufig beklagt (etwa 20 Prozent) wie
sexuelle Grenzverletzung und
ökonomischer Missbrauch des Patienten durch den Therapeuten. Beklagt wurden auch „Diagnosedrohungen“ (20 Prozent), das heißt, ein
Therapeut stellt dem Patienten eine
ungünstige Diagnose („unheilbar“),
wenn dieser sich nicht den Vorstellungen oder Forderungen des Therapeuten anpasst. Schweigepflichtverletzungen seitens des Therapeuten wurden in zwölf Prozent der
Fälle beklagt. Vergleichsweise selten vorgebracht wurden Beschwerden zum Beispiel über Störung von
Therapiestunden durch fortgesetz-
tes Telefonieren während der Sitzungen oder Inanspruchnahme des
Patienten für therapiefremde Tätigkeiten.
Machtgefälle,
Abhängigkeit,
Scham und mangelnde Informiertheit über die Rechtslage tragen dazu bei, dass viele Patienten erst spät
handeln oder auf eine Beschwerde
verzichten.
Manche Patienten diffamieren
den Therapeuten im Internet
Prinzipiell stehen geschädigten Patienten verschiedene Wege offen,
zum Beispiel klärendes Gespräch
mit dem Therapeuten, etablierte Beschwerdestellen und Gerichte. Gegen eine Diffamierung im Internet können sich Therapeuten hingegen nur schlecht zu Wehr setzen,
es sei denn, die gegen sie vorgebrachten Vorwürfe sind so konkret und gleichzeitig unzutreffend,
dass sie den Tatbestand der üblen
Nachrede (§ 186 StGB) erfüllen.
Dann kann der Therapeut eine Anzeige erstatten. „In keinem Fall
sollte er auf solche Beschwerden
mit einer Verteidigung oder gar einem Gegenangriff im Internet antworten, denn er würde sich damit
fast unvermeidlich der Verletzung
der Schweigepflicht schuldig machen, wenn er auf Inhalte der Therapie eingeht“, warnt die Studie.
Was einmal im Internet steht, ist
kaum aus der Welt zu schaffen. Insofern ist zu überlegen, ob solche
Vorgänge besser ignoriert werden
sollten.
■
Marion Sonnenmoser
Lange E, Hillebrand V, Pfäfflin F: Beschwerden
über Therapeuten. Psychotherapeut 2009; 54(4):
307–309
Prof. Dr. Friedemann Pfäfflin, Forensische Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, Am Hochsträß 8,
89081 Ulm, E-Mail: [email protected]
Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 10 | Oktober 2009
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