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Wissen – Kompetenz – Text 2
Lesart und Rezipienten-Text
Zur materialen Unsicherheit multimodaler und semiotisch komplexer Kommunikation
Bearbeitet von
Markus Wienen
1. Auflage 2011. Buch. 324 S. Hardcover
ISBN 978 3 631 60614 8
Format (B x L): 14,8 x 21 cm
Gewicht: 530 g
Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Angewandte Sprachwissenschaft >
Textlinguistik, Diskursanalyse, Stilistik, Fachsprachen
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1. Kommunikation unter Unsicherheit
1.1 Materiale Unsicherheit und Textkonstitution
Immer unverkennbarer prägen neben der Sprache auch zahlreiche andere semiotische Ressourcen die Kommunikation. In der übergroßen Mehrzahl der Fälle
erfolgt Kommunikation multimodal und semiotisch komplex: Bücher, Zeitungen, Magazine, Websites, Plakate, Poster, Flyer, Karten, Einladungen, Produktetiketten und -verpackungen und so weiter kombinieren und nutzen sprachliche
ebenso wie nicht-sprachliche semiotische Ressourcen als fraglos gleichberechtigte, wenn auch nicht unbestritten gleichwertige Gestaltungs- und Bedeutungsmittel (Fix 2001a). Insbesondere zahlreiche visuelle Ressourcentypen stehen als
fest etablierte Kommunikationsressourcen kaum noch in Frage. Diverse >postlinguistische< turns, vom iconic turn (Boehm 1994) über den pictorial oder visual turn (Mitchell 1994a) bis hin zu einem generellen semiotic turn (Lenoir
1994) kanalisieren die Drift zur Visualität – und teilweise auch bereits darüber
hinaus – terminologisch. Ob diese turns das Verhältnis von sprachlichen und
nicht-sprachlichen Ressourcen zu Ungunsten der sprachlichen Seite verschieben, mag noch unentschieden sein. In jedem Fall aber wankt das Primat der
Sprache für die Kommunikation (Kress 1998; Fix 2001a; Eckkrammer/Held
2006). In der Konsequenz dessen nimmt umgekehrt das theoretische Gewicht
des Multimodalen und semiotisch Komplexen in der linguistischen Analyse und
Theorie stetig zu (Stöckl 2006).
Mit dem Blick auf die Multimodalität und die semiotische Komplexität von
Kommunikation gehen aber auch spezifische Probleme und neue Perspektiven
einher. Die vorliegende Arbeit fokussiert und verfolgt das Phänomen der Unsicherheit, beziehungsweise genauer: der materialen Unsicherheit multimodaler
und semiotisch komplexer Kommunikation. Für die Linguistik ist das Konzept
’Unsicherheit’ neu, nicht jedoch sind es dessen sämtliche Parameter: So erfolgt
aus angewandt linguistischer Sicht Kommunikation per se in Texten (Klemm
2002a): Kommunikation ist Textkommunikation. Die Rezeption von Texten ist
dabei eindeutig selektiv (Klemm 2002; Weidacher 2004). Ergebnis der Textrezeption ist der Aufbau einer Textbedeutung oder eines Kommunikats (Stöckl
2006). Bedeutung liegt jedoch nicht >in< semiotischen Ressourcen oder >in<
Texten und wird nicht von diesen >getragen<, sondern es sprechen immer erst
Rezipienten materialen Formen Bedeutung zu (Spitzmüller 2006; Antos/Spitzmüller 2007; Bucher 2007).
In der Konsequenz dieser Momente sind Rezeptionen material folgenreich:
Abhängig davon, an welche semiotischen Ressourcen Bedeutungszuschreibungen ergehen und welche dieser Ressourcen zum Aufbau einer Textbedeutung
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1. Kommunikation unter Unsicherheit
genutzt werden, etabliert die Rezeption in der Menge aller produzentenseitig
bereitgestellten Text-Elemente eine kommunikationstheoretisch grundlegende
Differenzierung: Zu unterscheiden ist die Menge aller faktisch zum Aufbau einer
Textbedeutung genutzten und also kommunikativ funktionalen semiotischen Ressourcen von der Menge all der Ressourcen, an die keine Bedeutungszuschreibungen ergehen und die nicht für den Bedeutungsaufbau relevant werden – und
dies keinesfalls nur auf der analytischen Ebene. Die prototypische linguistische
Analytik allerdings verfährt produzentenfokussiert: Was als Text gilt, wird rein
produzentenseitig bestimmt (Antos 1989a; Hartung 1997). Wenn aber Texte die
Grundgrößen der Kommunikation sind und gleichzeitig erst Rezipienten durch
die konkrete Perspektive und Lesart, die sie an ein Medienangebot anlegen, die
am Ende kommunikativ funktionale Ressourcenmenge zusammenstellen, dann
kann die Frage der Textkonstitution weder empirisch noch kommunikationspraktisch rein produzentenseitig zu beantworten sein. Vielmehr ist die
Konstitution eines Textes, verstanden als die Konstitution der am Ende faktisch
kommunikativen Einheit, letztlich rezipientenseitig zu leisten.
Konzeptionell und terminologisch stehen damit zwei Beschreibungsansprüche im Raum, die die Kategorie ’Text’ befriedigen soll. Beide betreffen die materiale Ebene: So bezeichnet ’Text’ einerseits die Menge der produzentenseitig
zu kommunikativen Zwecken bereitgestellten semiotischen Ressourcen. Andererseits aber können in einem rezeptionstheoretisch strengen Sinn nur genau die
Ressourcen als kommunikativ funktionale Ressourcen zu zählen sein, die auch
zum Aufbau einer Textbedeutung genutzt werden. Differieren beide Mengen, so
sind analytisch und auch kommunikationspraktisch zwei Textobjekt zu beschreiben, deren erstes produzentenseitig definiert ist über alle potentiell kommunikativ funktionalen semiotischen Ressourcen und deren zweites rezipientenseitig
dimensioniert wird durch die Menge aller faktisch kommunikativ relevant gemachten semiotischen Ressourcen. In genau dem Maß und Sinn, in dem beide
Mengen differieren (können), ist multimodale Kommunikation, Kommunikation
unter dem Vorzeichen semiotischer Komplexität, material unsicher.
Ziel und Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist die Abbildung dieser materialen Unsicherheit multimodaler und semiotisch komplexer Kommunikation
durch die Explikation der rezipientenseitigen Textkonstitutionsleistung. Entwickelt und elaboriert werden drei Dimensionen eines dezidiert rezipientenseitigen
textkommunikativen und textkonstituierenden Handelns. – Im Anschluss an den
Überblick über den Arbeitsgang, durch den das ausgegebene Ziel verfolgt wird,
wird dieses aus seinem breiteren linguistischen und semiotischen Kontext heraus
weiterführend motiviert und durch erste Beispiele mit analysepraktischer Evidenz versehen (↑ 2.).
1.2 Beispielset und Arbeitsgang
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1.2 Beispielset und Arbeitsgang
Ihre Thesen, Argumentationen und Ergebnisse entwickelt und verifiziert die vorliegende Arbeit in Auseinandersetzung mit diversen Beispielen. Das dazu herangezogene Beispielset allerdings ist nicht Ergebnis einer systematischen Sammlung und Aufbereitung von Texten eines bestimmten kommunikativen Bereichs
nach vorab festgelegten Kriterien. Entsprechend kann und soll das Beispielset
explizit nicht als Korpus verstanden oder deklariert werden. Davon unbenommen aber waren die Suche wie auch die Auswahl der Beispiele natürlich motiviert: So wurden einerseits Beispiele aufgenommen, die die im Rahmen der verfolgten Argumentation fokussierten Aspekten jeweils möglichst deutlich illustrieren und zugänglich machen können. Gleichzeitig wurden andererseits – und
genau umgekehrt – genau solche Beispiele integriert, deren Bearbeitung durch
die entwickelte Perspektive keinesfalls selbstevident, sondern auch noch auf den
sozusagen zweiten Blick in ihrem Ergebnis durchaus fraglich war. Mit der
Kombination beider Momente, davon geht das Folgende aus, sind das analytische Potential wie auch die Limitationen des vorzuschlagenden Entwurfs aufzuzeigen auch ohne einen korpustheoretischen Anspruch auf Systematizität in der
Datensammlung (vgl. Roth 2008). – Erste empirische Plausibilität erhält die
entwickelte Perspektive durch eine kleinere Fragebogenerhebung.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist – nochmals – die Abbildung der materialen Unsicherheit multimodaler und semiotisch komplexer Kommunikation
durch die Abbildung des rezipientenseitigen textkommunikativen Handelns und
seiner Konsequenzen. Die Bearbeitung dieser Aufgabe erfolgt in einem dreiteiligen Programm. Erforderlich wird, wie ebenfalls bereits festgehalten wurde, eine (partielle) methodische Neubewertung des Rezipienten als Textakteur.
Zunächst setzt der erste Abschnitt (Kapitel 1 bis 3) die für den Arbeitsgang
zentralen Theoriegrößen ‚Unsicherheit’, ‚Text’ und ‚Rezeption’ in ihren konzeptionellen Zusammenhang: Anschließend an die globale Einleitung in den projektierten Problemzusammenhang (↑ 1.1) und den Arbeitsplan (↑ 1.2), wird das
Problemfeld der Arbeit aus seinem weiteren Forschungskontext heraus motiviert
(↑ 2.). In Auseinandersetzung mit verschiedenen linguistischen und semiotischen Positionen ist dabei zunächst das Konzept der materialen Unsicherheit
von Kommunikation zu präzisieren und als eine rezeptionsseitig zu verankernde
Kategorie zu explizieren (↑ 2.1). Die exemplarische Analyse von fünf Beispielen zeigt auf dieser Basis verschiedene exemplarische Dimensionen materialer
Unsicherheit auf (↑ 2.2) und macht schließlich Unsicherheit als eine explizit
texttheoretisch zu differenzierende Kategorie aus (↑ 2.3).
Methodisch wird mit dieser konzeptionellen Fundierung ein Blick auf die
linguistisch entwickelten Texttheorien erforderlich (↑ 3.). Zunächst ist dazu
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1. Kommunikation unter Unsicherheit
klarzustellen, dass Texttheorien heute immer weniger als Versuche der Text-Definition zu verstehen sind, wie dies insbesondere für die Anfänge der linguistischen Textforschung üblich war, sondern immer mehr als Theorieentwürfe, die
’Text’ als Grundgröße der Kommunikation konzipieren (↑ 3.1). Konkret ist auf
dieser Basis zwischen textlinguistischen Theorien (↑ 3.2) und textsemiotischen
Theorien (↑ 3.3.) zu unterscheiden. Erstere entwerfen ’Text’ als eine noch rein
sprachliche Kategorie, zweitere verfolgen einen an der multimodalen kommunikativen Praxis orientierten, semiotischen Zugriff.
Der zweite Abschnitt (Kapitel 4 bis 7) entwickelt von hier aus eine explizit
rezeptionstheoretische Textperspektive. Anknüpfend an den Durchgang durch
die textlinguistischen und textsemiotischen Entwürfe ist dazu zunächst die
texttheoretische Rolle zu klären, die die bisherige Theoriegeschichte dem Rezipienten zuerkennt (↑ 4.). Deutlich wird, dass der Rezipient als textkommunikativer Akteur weitestgehend unberücksichtigt bleibt, das Standardmodell der
Textkommunikation verfährt produzentenfokussiert und pragmatisch einseitig (↑
4.1). Mit der zunehmenden Anerkennung der Multimodalität und der semiotischen Komplexität von Kommunikation allerdings zeichnet sich eine Stärkung
der textkommunikativen Rolle des Rezipienten ab (↑ 4.2). Konzeptionell und
bezogen auf die verfolgten Untersuchungsziele lassen sich auf dieser Basis drei
Dimensionen eines explizit rezipientenseitigen textkommunikativen Handelns
differenzieren (↑ 4.3).
Erste empirische Evidenzen für den zentralen Zusammenhang dieser drei
Dimensionen bringt, wie schon erwähnt, eine Fragebogenerhebung ein (↑ 5.).
Zwar hat eine solche Erhebung in Bezug den hier projektierten Gegenstand eindeutige methodische Limitationen (↑ 5.1). Doch erwirtschaftet sie unter Anerkennung ihrer methodischen Grenzen durchaus belastbare Indizien für die Relevanz der fokussierten rezipientenseitigen Handlungsdimensionen auch in der
kommunikativen Praxis (↑ 5.2). Im Ergebnis zeigt sich so auch ein empirisches
Motiv zur Explikation des Rezipienten als textkommunikativem Akteur (↑ 5.3).
Die erste Dimension des rezipientenseitigen textkommunikativen Handelns
liegt hingegen zunächst in der Notwendigkeit, dass Rezipienten ein Wahrnehmungsobjekt als Text qualifizieren und anerkennen (↑ 6.). Aus wahrnehmungstheoretischer und konstruktivistischer Sicht erscheinen solche Qualifikationen
als rekonstruierende und konstruktive Prozesse (↑ 6.1), die methodisch allein im
Status der Hypothese möglich sind (↑ 6.2). Konkret werden dabei zwei Ebenen
relevant: So sind vermeintliche Textobjekte zunächst als perzeptuelle Einheiten
zu differenzieren (↑ 6.3), die dann ihrerseits als mögliche Textobjekte zu konzeptualisieren sind (↑ 6.4). Ergebnis der perzeptuellen und konzeptuellen Aufarbeitung eines Wahrnehmungszusammenhangs ist die An-Erkennung eines (Teils
dieses) Zusammenhangs als Produzenten-Text (↑ 6.5).
1.2 Beispielset und Arbeitsgang
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Daran anschließend handeln Rezipienten sodann in einer zweiten Dimension
textkommunikativ, indem sie einen Teil der differenzierten Produzenten-TextElemente kommunikativ aufarbeiten und diesen kommunikativ funktional machen (↑ 7.). Für die rezipientenseitige Textarbeit ist diese kommunikative Aufarbeitung zentral: Vor allem anderen erscheinen Texte als kommunikative Einheiten (↑ 7.1). Gleichzeitig setzt aber multimodale und semiotisch komplexe
Kommunikation eine spezifische, kommunikative Perspektive auf Wahrnehmungseinheiten voraus, die materiale Formen gerade auf ihr kommunikatives
Funktionieren hin befragt (↑ 7.2). Ergebnis der rezipientenseitigen Bedeutungsarbeit ist der Aufbau einer Textbedeutung, beziehungsweise genauer: eines
Kommunikats (↑ 7.3). Das ’Kommunikat’-Konzept aber ist in wesentlichen Teilen unbestimmt. Ein Vorschlag zu seiner Explikation lässt sich aus der Theorie
der Transkriptivität ableiten (↑ 7.4). Gleichzeitig entsteht so ein Blick auf die
Möglichkeit crossmodaler Kommunikation und also auf ein eventuelles kommunikatives Funktionieren auch nicht-visueller semiotischer Ressourcen (↑ 7.5).
Der letzte Abschnitt (Kapitel 8 und 9) zeigt auf unterschiedlichen konzeptionellen Ebenen einerseits die Konsequenzen der rezipientenseitigen Bedeutungsarbeit, sowie andererseits die Konsequenzen des gesamten rezeptionstheoretischen Entwurfs auf. So ergibt sich zunächst aus der ersten und zweiten Dimension des rezipientenseitigen Texthandelns ein materiales Dispositiv des Rezipienten zu ’Text’ (↑ 8.). Durch den Aufbau eines Kommunikats dimensionieren Rezipienten im Rahmen von Produzenten-Texten eigenständige Textobjekte,
neben Produzenten-Texten werden Rezipienten-Texte unterscheidbar (↑ 8.1).
Die am Ende faktisch kommunikative Ressourcenmenge, das ist: der letztlich
kommunikativ funktionale Text ist allein in Abhängigkeit von solchen Rezipienten-Texten zu bestimmen (↑ 8.2).
Im Ergebnis erscheinen Rezipienten als zentrale textkommunikative Akteure, die in Produzenten-Texten lesartenabhängig Rezipienten-Texte dimensionieren. In genau dem Maß, in dem diese Textobjekte voneinander abweichen, wird
die materiale Unsicherheit multimodaler und semiotisch komplexer Kommunikation offenbar und ist gleichzeitig genau durch das Verhältnis von Produzentenzu Rezipienten-Texten näher zu bestimmen und abzubilden (↑ 9.).
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