Morbus Alzheimer – Pharmakologische Therapiemöglichkeiten

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Diplomarbeit
Morbus Alzheimer –
Pharmakologische Therapiemöglichkeiten heute
und in der Zukunft
eingereicht von
Lars Christian Alexander Haußer
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor(in) der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Univ.-Prof. Dr. med. univ. Josef Donnerer
Graz, 19.10.2016
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.
Graz, am 19.10.2016
Lars Haußer eh
i
Danksagungen
Zuerst möchte ich mich bei Herrn Univ.-Prof. Donnerer für die freundliche und gute
Betreuung bei der Erstellung dieser Diplomarbeit bedanken.
Weiter möchte ich mich bei meinen Eltern sowie meiner Schwester für ihre
andauernde und unermüdliche Unterstützung bedanken, ohne die dieser Weg
nicht möglich gewesen wäre.
Zum Schluss möchte ich meinen Freunden, insbesondere Heide Hubertus sowie
meiner Verlobten Johanna Grabka für ihre Unterstützung während des Studiums
und beim Erstellen dieser Arbeit danken.
ii
Zusammenfassung
Beim Morbus Alzheimer handelt es sich um eine primär degenerative, zerebrale
Erkrankung mit progessiver Demenz, deren Prävalenz und Inzidenz ab dem 60.
Lebensjahr deutlich zunimmt. Im Hinblick auf die steigende Lebenserwartung in
der Bevölkerung sowie des demographischen Wandels ergibt sich daraus die
Notwendigkeit wirksamer Therapien, um den Krankheitsverlauf zu beeinflussen.
Ziel der Arbeit ist es einen Überblick über die derzeitigen pharmakologischen
Therapiemöglichkeiten der Erkrankung zu geben sowie einen Ausblick auf
mögliche zukünftige Therapien.
Die Arbeit ist das Ergebnis einer Literaturrecherche in der ersten Hälfte des Jahres
2016, vor allem in der Datenbank PubMed. Darüber hinaus wurden Informationen
aus Lehrbüchern, Fachinformationen der Hersteller sowie einigen anderen
Quellen verwendet.
Aktuell werden zur Behandlung der Demenz vom Alzheimer-Typ Wirkstoffe aus
der
Gruppe
der
Acetylcholinesterasehemmer
sowie
der
NMDA-
Rezeptorantagonist Memantin eingesetzt. Diese Präparate zeigen auf klinischen
Messskalen eine kurzzeitige Besserung kognitiver Funktionen, können aber deren
weiteren Verlust nicht aufhalten.
In der fortgeschrittenen klinischen Erprobung befinden sich derzeit Substanzen vor
allem aus dem Bereich der Immuntherapie, der BACE-1 Hemmer, TauAggregationshemmer, Ca2+-Kanalblocker sowie Serotoninrezeptorantagonisten.
Einige dieser Substanzen zeigen sowohl in Tierversuchen als auch in den
bisherigen klinischen Studien eine Reduzierung der Aβ-Produktion / Ablagerung im
Gehirn. Allerdings lässt sich nur bei wenigen Substanzen bisher auch eine
Verbesserung der kognitiven Funktion in den klinischen Studien nachweisen, und
diese v. a. in einer Subgruppe der Patienten / Patientinnen, die an einer Demenz
vom Alzheimer-Typ im leichten oder Prodromalstadium erkrankt sind, und die dann
auch nur leicht ausfällt.
iii
Abstract
Alzheimer’s disease is primarily a degenerative cerebral disease that is
characterized by progressive dementia. Its prevalence and incidence increases
significantly after the age of 60. Considering the increasing life expectancy and the
accompanying demographic changes, a strong need for efficient therapies is
evident. Aim of this work is to give an overview over currently available
pharmacological treatment options, as well as on treatments possibly available in
the future.
This work is the result of a literature survey conducted during the first half of 2016,
where most of the information was retrieved from PubMed. Additional information
sources were textbooks, product informations provided by the manufacturers, as
well as some additional sources.
Currently, members of two substance groups are employed for treatment of
Alzheimer’s dementia, namely inhibitors of the enzyme acetyl choline esterase and
an antagonist of the NMDA receptor, Memantin. These medications lead to a
short-term improvement of cognitive abilities, judged by means of standard clinical
tests, however they are not able to stop the progressive cognitive decline
characteristic for the disease.
Some additional substances are currently in advanced clinical testing. Among
them are immunotherapeutics, inhibitors of BACE-1 and inhibitors of tau
aggregation, inhibitors of Ca channels, and antagonists of the serotonine receptor.
Some of these substances lead to a promising reduction in Aß production and
aggregation in the brain, both in animal experiments and in clinical testing.
However, only a minority of these new substances leads to an improvement of
cognitive abilities in clinical studies, and these effects are small and restricted to
patients with early stages of Alzheimer’s disease.
iv
Inhaltsverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung...........................................................................................i
Danksagungen..........................................................................................................ii
Zusammenfassung..................................................................................................iii
Abstract....................................................................................................................iv
Inhaltsverzeichnis.....................................................................................................v
Abkürzungen...........................................................................................................vii
Abbildungen.............................................................................................................ix
Tabellen....................................................................................................................x
1
Einleitung........................................................................................................1
1.1
Definition...........................................................................................1
1.2
Epidemiologie....................................................................................2
1.3
Ätiologie und Pathogenese...............................................................2
1.4
Risikofaktoren...................................................................................5
1.5
Klinik..................................................................................................5
1.6
Diagnostik..........................................................................................6
1.7
Weitere Neuropsychologische Testverfahren...................................8
1.8
Therapie............................................................................................9
2
Material und Methoden................................................................................13
3
Ergebnisse – Resultate................................................................................14
3.1
Aufbau und Erregungsleitung einer Nervenzelle............................14
3.1.1
3.2
Die Synapse...........................................................................14
3.1.1.1
Elektrische Synapsen.........................................................15
3.1.1.2
Aufbau chemischer Synapsen............................................15
3.1.1.3
Reiz-/Informationsübertragung an chemischen Synapsen.16
Acetylcholinesterase Hemmer........................................................18
3.2.1
Geschichte des Acetylcholin...................................................18
3.2.2
Synthese und Abbau von Acetylcholin...................................19
3.2.3
Acetylcholinesterasen............................................................19
3.2.4
Hemmung der Acetylcholinesterase.......................................20
3.2.5
Acetylcholinesterase-Hemmer bei der Alzheimer-Krankeit....21
3.2.6
Indikation................................................................................22
3.2.7
Übersicht................................................................................23
3.2.8
Wechselwirkungen.................................................................23
v
3.2.9
Nebenwirkungen.....................................................................24
3.2.10
Überdosierung........................................................................25
3.2.11
Donepezil - Allgemeines.........................................................25
3.2.12
Donepezil - Wirkmechanismus...............................................26
3.2.13
Donepezil - Pharmakokinetik..................................................27
3.2.14
Rivastigmin – Allgemeines.....................................................28
3.2.15
Rivastigmin – Wirkmechanismus...........................................28
3.2.16
Rivastigmin - Pharmakokinetik...............................................29
3.2.17
Galantamin – Allgemeines......................................................31
3.2.18
Galantamin - Wirkmechanismus............................................31
3.2.19
Galantamin – Pharmakokinetik..............................................32
3.2.20
Studien....................................................................................34
3.3
NMDA-Rezeptor Antagonist............................................................37
3.3.1
Der Neurotransmitter Glutamat..............................................37
3.3.2
Glutamatrezeptoren................................................................38
3.3.3
NMDA-Rezeptoren.................................................................38
3.3.4
NMDA-Rezeptoren und Alzheimer-Demenz..........................39
3.3.5
Memantin – Allgemeines........................................................41
3.3.6
Memantin – Indikation............................................................41
3.3.7
Memantin - Wirkmechanismus...............................................42
3.3.8
Memantin - Pharmakokinetik..................................................42
3.3.9
Memantin - Wechselwirkungen..............................................43
3.3.10
Memantin - Nebenwirkungen.................................................43
3.3.11
Memantin – Studien................................................................44
3.4
Ausblick...........................................................................................45
3.4.1
Immuntherapie........................................................................45
3.4.1.1
Passive Immuntherapie......................................................46
3.4.1.2
Aktive Immuntherapie.........................................................49
3.4.2
BACE-1 Hemmer....................................................................50
3.4.3
Tau-Aggregations Hemmer....................................................51
3.4.4
Ca2+-Kanalblocker...................................................................52
3.4.5
Serotoninrezeptoragonisten / -antagonisten..........................52
4
Diskussion.....................................................................................................54
5
Literaturverzeichnis.....................................................................................59
vi
Abkürzungen
5-HT
5-Hydroxytryptamin
Aβ
β-Amyloid-Peptid
ACh
Acetylcholin
AChE
Acetylcholinesterase
ADAS-Cog
Alzheimer's Disease Assessment Scale – Cognitive Subscale
ADCS
Alzheimer's Disease Cooperative Study
ADL
Activities of Daily Living
ADRDA
Alzheimer's Disease and Related Disorders Association
AMPA
α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid
AP
Aktionspotential
ApoE
Apolipoprotein E
APP
Amyloid-Precursor-Protein
ARIA
Amyloid-related imaging abnormalities
AUC
Area under the curve
BACE
β-Site amyloid precursor protein cleaving enzyme
BADLS
Bristol Activities of Daily Living Score
BDNF
Brain-derived neurotrophic factor
BuChE
Butyrylcholinesterase
CDR-SB
Clinical Dementia Rating sum of boxes
CIBIC-plus
Clinican's Interview-Based Impression of Change-plus
CRP
C-reaktives Protein
DAD
Disability Assessment for Dementia
DIAN-TU
Dominantly Inherited Alzheimer Network Trial Unit
EEG
Elektroenzephalographie
EOAD
Early onset Alzheimer Disease
FDA
United States Food and Drug Administration
GOT
Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
G-Protein
Guanosintriphosphat-bindendes Protein
ICD
International Statistical Classification of Diseases and Related
Health Problems
INR
International Normalized Ratio
MMST
Mini Mental State Test
vii
MoCA
Montreal Cognitive Assessment
nACh-
nikotinische Achetylcholin-
NFT
Neurofibrilläre Tangles
NGF
Nerve growth factor
NINCDS
National Institute of Neurological and Communicative Diseases
and Stroke
NMDA
N-Methyl-D-Aspartat
NPI
Neuropsychiatric Inventory
NTB
Neuropsychological Test Battery
PET
Positronen-Emissions-Tomographie
sAPPβ
soluble amyloid precursor protein beta
SIB
Severe Impairment Battery
SPECT
Einzelphoton-Emissionscomputertomographie
SSRI
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer
TFDD
Test zur Früherkennung von Demenzen mit
Depressionsabgrenzung
TSH
Thyreoidea-stimulierendes Hormon
USA
Vereinigte Staaten von Amerika
y-GT
y-Glutamyltransferase
ZNS
Zentralnervensystem
viii
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Freisetzung von ACh in den ................
synaptischen Spalt gefolgt von der Aktivierung des Rezeptors, ..........
dem Abbau durch die AChE und der anschließenden ..........................
Rückdiffusion, aus (100)....................................................................17
Abbildung 2: Schematische Darstellung des Abbau von ACh durch die AChE, ........
aus (97)..............................................................................................20
Abbildung 3: Chemische Struktur von Donepezil, aus (99)....................................26
Abbildung 4: Chemische Struktur von Rivastigmin, aus (101)...............................28
Abbildung 5: Chemische Struktur von Galantamin, aus (98)..................................31
Abbildung 6: Chemische Struktur von Memantin, aus (102)..................................41
Abbildung 7: Schematische Darstellung der Entstehung von Aβ bei der ..................
Spaltung von APP durch β- und y-Sekretase, modifiziert nach ............
(103)...................................................................................................50
ix
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: AChE-Hemmer in der Therapie der Demenz vom Alzheimer-Typ (34–36)
.................................................................................................................................23
Tabelle 2: Übersicht über die Wirksamkeit der AChE Hemmer aus (51)................35
x
1 Einleitung
Unter dem Titel „Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ veröffentlichte
Alois Alzheimer 1907 in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychischgerichtliche Medizin den ersten Fallbericht einer 51-jährigen Patientin, welche an
der später nach ihm benannten Erkrankung litt (1). Mit ihren 51-Jahren handelte
es sich dabei um eine verhältnismäßig junge Patientin. Heute ist bekannt, dass
das Risiko, an einer Demenz vom Alzheimer-Typ zu erkranken, sich mit
steigendem Lebensalter erhöht. So liegt bei den 56-70 Jährigen die Prävalenz der
Erkrankung bei ca. 1-4% und verdoppelt sich ab diesem Zeitpunkt etwa alle 5
Lebensjahre (2). Die Demenz vom Alzheimer-Typ gewinnt daher sowohl durch die
steigende Lebenserwartung, als auch durch die Zunahme des Durchschnittsalters
der Bevölkerung, fortlaufend an Bedeutung.
Die vorliegende Arbeit gibt im ersten Teil einen Überblick über die derzeit in der
Therapie der Erkrankung eingesetzten Medikamente und im zweiten Teil einen
Ausblick auf mögliche zukünftige Therapieoptionen. Als Ansatzpunkte zukünftiger
Therapien, die auch in der Lage sind den Krankheitsverlauf zu beeinflussen,
gelten vor allem die Entwicklung von Antikörpern gegen das β-Amyloid-Peptid (Aβ)
sowie β-Sekretase-Inhibitoren. Einige dieser Substanzen befinden sich bereits seit
einigen Jahren in verschiedenen Phasen klinischer Studien.
1.1 Definition
Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ handelt sich um eine primär degenerative
zerebrale Erkrankung mit progredienter Demenz (3,4). Es treten für die
Erkrankung
charakteristische
neuropatholgische,
pathohistologische
und
neurochemische Merkmale auf (4,5).
Gemäß ICD-10 ist die Demenz selber definiert als „ein Syndrom als Folge einer
meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler
höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung,
Auffassung,
Rechnen,
Lernfähigkeit,
Sprache
und
Urteilsvermögen.
Das
Bewusstsein ist nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden
1
gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens
oder der Motivation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf.“ (4).
1.2 Epidemiologie
Die Demenzen stellen die häufigste Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen
dar. Von diesen können 60-80% der Untergruppe der Demenz vom Alzheimer-Typ
zugeordnet werden. Wobei etwa 50% der an einer Demenz erkrankten Personen
ausschließlich Merkmale der Demenz vom Alzheimer-Typ zeigen, bei den
restlichen 10-30% zeigen sich sowohl Merkmale einer Demenz vom AlzheimerTyp als auch einer vaskulären Demenz (6,7). Weltweit waren 2014 ca. 40
Millionen Menschen von einer Demenz betroffen, wovon der Großteil der
Erkrankten über 60 Jahre alt ist. Bis zum Jahre 2050 rechnen Forscher mit einer
Verdoppelung der Krankheitsfälle alle 20 Jahre (8).
In der Altersgruppe der über 60-jährigen zeigt sich gegenüber den jüngeren
Mitmenschen eine deutliche Zunahme der Prävalenz und Inzidenz von Demenzen
(2,6,9,10). So liegt die Wahrscheinlichkeit, eine Demenz zu entwickeln, für
Personen die jünger als 50 Jahre sind bei 1:4000, wovon es sich bei etwa 30% um
eine Demenz vom Alzheimer-Typ handelt (8). Bei den 56-70-jährigen hingegen
beträgt die Prävalenz bereits etwa 1-4% und verdoppelt sich dann alle fünf
Lebensjahre (2). Generell ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern, in
den USA sind zum Beispiel 66% der erkrankten Personen weiblich. Dies ist jedoch
vor allem auf eine höhere Lebenserwartung bei Frauen zurückzuführen. Korrigiert
man die Werte um die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und
Frauen, ergibt sich für beide eine gleich hohe Prävalenz (7).
1.3 Ätiologie und Pathogenese
Bis heute ist die Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung unklar. Es existieren
lediglich verschiedene Hypothesen zur Entstehung. Die AmyloidkaskadenHypothese ist dabei die in den letzten 10-20 Jahren am meisten verfolgte. Diese
geht von der Akkumulation des β-Amyloid-Peptids und der Bildung extrazellulärer
Amyloid-Plaques als ursächliches pathologisches Ereignis aus. Alle weiteren
Prozesse der Erkrankung werden als Folge dieses Ereignisses gewertet (6).
2
Aβ entsteht durch proteolytische Spaltung von APP durch sogenannte β- und γSekretasen. Bei der Spaltung entsteht hauptsächlich eine 40-Aminosäuren lange
Form des Aβ (Aβ1-40). In geringerer Konzentration entstehen jedoch auch andere
Formen, wovon vor allem die 42-Aminosäuren lange Form (Aβ1-42) zur Aggregation
neigt (11,12).
Eine Zunahme der Bildung von Aβ, eine Verschiebung des Verhältnisses von
Aβ1-40 zu Aβ1-42 oder ein verminderter Abtransport / Abbau von Aβ führen zur
Aggregation von Aβ1-42 und damit zur Ausbildung erster diffuser Ablagerungen. Im
weiteren Verlauf kommt es vermehrt zur Bildung und Einlagerung von Aβ-Fibrillen
sowie zu einer Entzündungsreaktion in deren Umfeld und damit zum Entstehen
seniler Plaques. Diese beeinflussen die Phosphorylierung von Tau-Proteinen,
welche normalerweise an die Mikrotubuli der Zellen gebunden sind, und die nun
ebenfalls aggregieren und die sogenannte Alzheimer-Fibrillen ausbilden. Am Ende
kommt es schließlich zu zellulären Funktionsstörungen, die zu einem Mangel an
Neurotransmittern und zum Zelltod führen. Hier heraus ergeben sich die für die
Demenz vom Alzheimer-Typ typischen Symptome (12–14). Gestützt wird diese
Hypothese vorwiegend durch genetische Erkenntnisse, die bei familiär gehäuft
auftretenden, früh einsetzenden Demenzen vom Alzheimer-Typ gewonnen werden
konnten. In etwa 10% der Fälle von familiär gehäuft auftretenden, früh
einsetzenden Demenzen vom Alzheimer-Typ liegt eine autosomal-dominat
vererbbare Variante vor. Bei dieser konnten genetische Mutationen an einem der
drei Gene APP, Presenilin-1 oder Presenilin-2 nachgewiesen werden (15).
Mutationen am Preselin-1 und Preselin-2-Gen, die an der Bildung der γ-Sekretase
beteiligt sind, führen zu einer erhöhten Bildung von Aβ1-42, Mutationen im APP-Gen
zu einer Angiopathie der Hirngefäße mit abnormaler Ablagerung von Aβ in den
kleinen Hirngefäßen (6). Darüber hinaus wurde bereits 1989 nachgewiesen, dass
Aβ in Zellkulturen toxisch wirkt. Pieke et. all haben 1995 nachgewiesen, dass die
toxische Wirkung von Aβ mit dem Level der Aggregation assoziiert ist (16,17).
Ein Kritikpunkt an dieser Theorie ist jedoch, dass es keine Korrelation zwischen
der Anzahl / dem Ausmaß an Aβ Plaques im Gehirn und dem Schweregrad einer
Demenz gibt (11,17). In den letzten Jahren verlagert sich daher zunehmend die
Forschung weg von den festen Aβ-Ablagerungen im Gehirn als Auslöser der
Erkrankung hin zu löslichen Aβ-Formen mit niedrigerem Molekulargewicht (11,14).
3
Andere Studien stellen die Theorie auf, dass die gesteigerte APP- und AβProduktion eigentlich einen Kompensationsmechanismus darstellt, um eine
anderweitig
gestörte
Zellfunktion
aufrecht
zu
erhalten
(11).
Auch
eine
immunologische Funktion von Aβ konnte in Studien gezeigt werden. So besitzt Aβ
in in-vitro Versuchen antimikrobielle Eigenschaften gegen Candia albicans,
verschiedene Streptokokken-Spezies und weitere Erreger (18).
Eine ältere Theorie geht davon aus, dass die Ursache für eine Demenz vom
Alzheimer-Typ
in
einer
primären
Degeneration
cholinerger
Neurone
mit
nachfolgendem Acetylcholinmangel begründet ist. Bei Untersuchungen an
Gewebeproben von Alzheimerpatienten und -patientinnen konnte gezeigt werden,
dass
bei
ihnen
die
Aktivität
der
Acetylcholinesterase
sowie
der
Cholinacetyltransferase reduziert ist. Viele der bisher zur Behandlung der Demenz
vom Alzheimer-Typ eingesetzten Medikamente basieren auf dieser Theorie (12).
Neben Aβ könnte auch das Tau-Protein eine zentrale Rolle in der Pathogenese
der Demenz vom Alzheimer-Typ spielen. Das zweite histopathologische Merkmal
der Alzheimer-Erkrankung, neben den Aβ-Plaques, sind intrazelluläre Aggregate
des Tau-Proteins, die sogenannten Alzheimer-Fibrillen oder Neurofibrillären
Tangels (NFT) (6). Beim Tau-Protein handelt es sich um ein Mikrotubuliassoziiertes Protein, welches zum einen an der Organisation und dem
Zusammenbau der Mikrotubuli beteiligt ist, zum anderen jedoch auch am axonalen
Transport von Zellorganellen, u. a. von Mitochondrien. In Neuronen findet sich Tau
vor allem in den Axonen. Bekannt sind einige neurologische Erkrankungen, bei
denen Tau eine Rolle spielt. Diese werden auch als Tauopathien bezeichnet. Das
normalerweise ungefaltet vorliegende Tau-Protein bildet hyperphosphoryliert
Fibrillen und formt NFT. In die entstandenen NFT kann weiteres, normales Tau
gebunden werden. Durch die Beeinträchtigung der Funktion der Mikrotubuli sowie
des axonalen Transportes kommt es zu einem Verlust von Synapsen und
Neuronen (19).
Wiederum eine andere Theorie geht davon aus, dass es in Folge eines Fehlens
neurotropher Hormone, vor allem von NFG (nerve growth faktor) und BDNF
(brain-derived neurotrophic factor), zu einer Abnahme der Wirkung des
Acetylcholins kommt (12).
4
1.4 Risikofaktoren
Epidemiologisch gesehen ist das zunehmende Lebensalter der Hauptrisikofaktor
für das Auftreten einer Demenz vom Alzheimer-Typ. Darüber hinaus sind
inzwischen jedoch auch einige weitere, zum Teil beeinflussbare und zum Teil
genetisch bedingte Risikofaktoren bekannt. Zum einen gelten alle Risikofaktoren
für kardiovaskuläre Erkrankungen auch als Risikofaktor für die Entwicklung einer
Demenz vom Alzheimer-Typ. Dazu gehören vor allem Übergewicht, ungesunde
Ernährung, Rauchen, körperliche Inaktivität, Bluthochdruck, Diabetes und erhöhte
Cholesterinwerte. Des weiteren sind geistige Inaktivität, Depression sowie ein
niedriger Bildungsstand als Risikofaktor bekannt (8,20). In Modellen zeigte sich
jedoch, dass bei einem Wegfall der sieben wichtigsten, beeinflussbaren
Risikofaktoren die Inzidenz der Demenz um lediglich 30% sinken würde (8). Hinzu
kommt das Problem, dass in der Praxis zwar eine Reduktion dieser Risikofaktoren
möglich sein dürfte, nicht jedoch eine vollständige Elimination.
Genetisch gesehen ist das zur Zeit höchste Risiko, an einer sporadischen Form
der Alzheimererkrankung zu erkranken, interessanterweise nicht wie bei den
familiären, früh einsetzenden Formen auf einem Gen, das an der Bildung und dem
Processing von APP beteiligt ist, zu finden, sondern am Apolipoprotein-E-Gen
(Apoε). Dieses Gen zeigt einen Polymorphismus, wobei drei Genvarianten
auftreten. Die Apoε3-Variante ist hiervon die am weitesten verbreitete. In den USA
besitzen etwa 60% der Bevölkerung diese Variante (7). Die Apoε2-Variante scheint
protektiv gegen das Auftreten einer Alzheimer-Erkrankung zu sein, wohingegen
die Apoε4-Variante mit einem erhöhten Risiko verknüpft ist. So besitzen jene 3%
der Bevölkerung, welche homozygot für Apoε4 sind, ein 85%-iges Risiko, an einer
Demenz vom Alzheimer-Typ zu erkranken.Für heterozygote Apoε3-/Apoε4-Träger
und Trägerinnen, welche etwa 25% der Bevölkerung ausmachen, beträgt das
Erkrankungsrisiko immer noch etwa 45-50% (20).
1.5 Klinik
Die ersten Anzeichen der Erkrankung sind zum Teil sehr unspezifischer Natur. Zu
ihnen zählen Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen und Leistungsabfall.
Erstes auffallendes und charakteristisches Symptom ist dann meistens eine
Abnahme der Merkfähigkeit für neue Informationen. Die Betroffenen werden
5
vergesslich, verlegen alltägliche Gegenstände und finden sie nicht wieder (z.B.
Haustürschlüssel), benötigen plötzlich Einkaufszettel und ähnliches. Darüber
hinaus kommt es zu einer Abnahme der örtlichen Orientierung sowie zu
Wortfindungsschwierigkeiten, sowohl im Gespräch als auch beim Schreiben.
Themenwechsel fallen den Betroffenen schwer. Es treten Störungen im Denk- und
Urteilsvermögen auf. Im Verlauf der Erkrankung verlieren die Betroffenen die
Fähigkeit, alltägliche Aufgaben, wie z.B. kochen oder sich anzukleiden,
auszuführen. Sie sind daher auch nicht mehr in der Lage, ihr Leben und den
Haushalt so zu führen, wie sie es gewohnt sind. Neben der Abnahme der
kognitiven Leistungsfähigkeit treten jedoch auch nicht kognitive Veränderungen
auf, die bei der Therapie und Behandlung berücksichtigt werden müssen. Dazu
zählen Symptome wie der soziale Rückzug, Antriebslosigkeit bis hin zur
Depression, Unruhe, Schlafstörungen, aber auch Halluzinationen, Aggressionen
und Wahnvorstellungen können auftreten. Zu bemerken ist, dass obwohl sich
schon früh Störungen in der zeitlichen und örtlichen Orientierung zeigen und es zu
einem zunehmenden Verlust der Merkfähigkeit kommt, die Orientierung zur
eigenen Person und das Einhalten sozialer Umgangsformen lange erhalten bleibt
(2,7).
1.6 Diagnostik
Allgemein betrachtet handelt es sich bei der Demenz um eine Beschreibung eines
klinisch definierten Syndroms. So handelt es sich gemäß ICD-10 bei einer
Demenz um eine Störung höherer kognitiver Funktionen, wie z.B. Sprache,
Orientierung,
Rechnen
oder
des
Gedächtnises,
wobei
jedoch
keine
Bewusstseinsstörung vorliegt und die Sinne an sich intakt sind (4).
Grundsätzlich können verschiedene internistische, neurologische oder auch
endokrinologische Erkrankungen zur Ausbildung einer Demenz führen, von denen
einige gut behandelbar sind und die daher zwingend erkannt werden müssen.
Sollte nach Erhebung einer Eigen- und ggf. einer Fremdanamnese der Verdacht
auf eine Demenz bestehen, wird empfohlen als erstes die aktuelle kognitive
Leistungsfähigkeit mittels einfacher Testverfahren grob zu quantifizieren. In der
ärztlichen Praxis wird dafür häufig der sogenannte „Mini Mental State Test“
(MMST) in Kombination mit dem Uhrentest verwendet (21).
6
Dieser Test dient auch als Standard in Therapiestudien, um den Schweregrad
einer Demenz einzuschätzen. So entspricht ein Wert von 20-26 Punkten im MMST
einer leichten Demenz, ein Wert von 10-19 Punkten einer moderaten bzw.
mittelschweren Demenz und ein Wert von < 10 Punkten einer schweren Demenz.
Neben dem MMST eignen sich auch der DemTec, der Test zur Früherkennung von
Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) sowie der Montreal Cognitive
Assessmant Test (MoCA) dazu, den ungefähren Schweregrad einer Demenz zu
bestimmten (21). Beim DemTec handelt es sich um einen Test zur Bestimmung
der kognitiven Leistungsfähigkeit. Er prüft die Fähigkeiten Merkfähigkeit,
Wortflüssigkeit
und
Zahlen-Umwandeln
(22).
Der
MoCA
wurde
als
Screeninginstrument für Patienten / Patientinnen entwickelt, bei welchen nur eine
leichte kognitive Einschränkung vorliegt. Die Anwendung ist, wie auch die des
MMST, auch in der Hausarztpraxis nach kurzem Training möglich und benötigt
etwa 10 Minuten Zeit (23). Beim TFDD handelt es sich ebenfalls um einen
Screeningtest zur Früherkennung von Demenzen. Auch dieser Test lässt sich in
der Hausarztpraxis in etwa 10 Minuten durchführen. Im Gegensatz zu den
anderen erwähnten Testverfahren enthält dieser Test neben dem Testteil zur
Erkennung einer Demenz einen zweiten Testteil, welcher die Abgrenzung einer
Demenz von einer Pseudodemenz im Rahmen einer Depression ermöglicht (24).
Alle diese Testverfahren besitzen jedoch den Nachteil, dass ihre Sensitivität im
Frühstadium einer Demenz begrenzt ist und dass eine ätiologische Zuordnung der
Demenz nicht möglich ist (21).
Neben der Quantifizierung der kognitiven Leistungsfähigkeit sollte schon früh eine
körperliche Untersuchung des Patienten/der Patientin durchgeführt werden, sowie
ein psychopathologischer Befund erhoben werden. Hierdurch sollen andere
Erkrankungen als Ursache der Demenz ausgeschlossen werden (z.B. Depression,
Delir, Suchterkrankungen) und ggf. eine ätiologische Zuordnung der Demenz
ermöglicht werden. Zu den weiteren standardmäßig empfohlenen Untersuchungen
zählen Blutuntersuchungen, Liquordiagnostik und eine cerebrale Bildgebung (zum
Ausschluss
z.B.
eines
Subduralhämatoms,
eines
Tumors
oder
eines
Normaldruckhydrocephalus sowie der Bestimmung vaskulärer Läsionen). Wichtige
Parameter bei der Blutuntersuchung sind Blutbild, Elektrolyte, Blutzucker, TSH,
CRP
oder
Blutsenkung,
Leberfunktionswerte
(GOT
und
y-GT),
Nierenfunktionswerte (Kreatinin und Harnstoff) sowie die Bestimmung von Vitamin
7
B12 und Folsäure. Hierdurch sollen z.B. Vitaminmangelerkrankungen oder
Stoffwechselerkrankungen als Ursache des Demenzsyndroms ausgeschlossen
werden. Sollten sich bei diesen Untersuchungen keine Ursache für die Demenz
finden lassen, wird eine Liquordiagnostik empfohlen. Im Rahmen dieser werden
die notwendigen Parameter zum Ausschluss infektiöser oder entzündlicher
Ursachen (z.B. einer Demenz im Rahmen einer Virusenzephalitis) der Demenz
bestimmt. Darüber hinaus lässt sich im Liquor von an Alzheimer erkrankten
Patienten/Patientinnen schon sehr früh die für diese Krankheit relevanten
Parameter Aβ(1-42), Tau und Phosphor-Tau nachweisen. Dies ermöglicht schon früh
eine ätiologische Zuordnung der Demenz. Aufgrund der erhöhten Sensitivität und
Spezifität bei der Bestimmung aller drei Faktoren wird dies empfohlen. Weitere
spezifische
Untersuchungen
Untersuchungsmethoden
wie
(SPECT/PET)
EEG
oder
werden
in
nuklearmedizinische
der
Leitlinie
nur
bei
bestehender unklarer Ätiologie der Demenz oder zum Ausschluss anderer
Verdachtsdiagnosen empfohlen (21).
1.7 Weitere Neuropsychologische Testverfahren
Neben den bereits erwähnten Testverfahren zur Quantifizierung der kognitiven
Leistungsfähigkeit existieren noch eine Vielzahl weiterer Testverfahren zur
Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit, des Verhaltens, sowie zur
Beurteilung
der
Möglichkeit,
Alltagsaktivitäten
auszuüben.
Einige
dieser
Testverfahren, welche auch in klinischen Studien zur Verlaufsbeurteilung
verwendet werden, sollen hier noch etwas näher erläutert werden. Einer der am
häufigsten in Studien verwendeten Tests zur Quantifizierung der kognitiven
Leistungsfähigkeit ist der ADAS-Cog (Alzheimer's Disease Assessment Scale
Cognition). Dieser Test besteht aus 11 Untertests und deckt die relevantesten
Gebiete, in denen kognitive Einschränkungen im Rahmen einer Demenz auftreten,
ab. Er besitzt eine besonders hohe Sensitivität für Veränderungen, die im Verlauf
der Erkrankung auftreten, und ist besonders geeignet zur Anwendung bei
Patienten / Patientinnen im moderaten Stadium der Erkrankung. Die Durchführung
benötigt mit ca. 40 Minuten jedoch relativ viel Zeit, weshalb er vorwiegend in
Studien und weniger im klinischen Alltag Verwendung findet (23,25). Da der
ADAS-Cog und auch der MMST im frühen Stadium der Demenz vom AlzheimerTyp nicht ausreichend sensitiv ist, um Veränderungen in der kognitiven
8
Leistungsfähigkeit zu erkennen, wurde besonders für diese Gruppe von
Patienten / Patientinnen der NTB (Neuropsychological Test Battery) entwickelt. Er
besteht aus 9 Untertests zur kognitiven Funktion und benötigt ebenfalls etwa 40
Minuten zur Durchführung (25). Äquivalent zum NTB existiert für Patienten /
Patientinnen, die sich im schweren Stadium der Erkrankung befinden, mit der SIB
(Severe Impairment Battery) ein besonders geeignetes Testverfahren zur
Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten. Bei diesem Test werden die noch
erhaltenen Fähigkeiten beurteilt (25). Es existieren ebenfalls eine Vielzahl an
Tests, die die Fähigkeiten, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) auszuüben,
beurteilen. Die ADCS (Alzheimer's Disease Cooperative Study) hat 45
verschiedene Alltagskompetenzen für die Nutzung in klinischen Studien im
Rahmen der Alzheimer-Erkrankung getestet. 27 von diesen Alltagskompetenzen
haben sich als geeignet erwiesen, um die Alltagskompetenz von Patienten /
Patientinnen zu quantifizieren. Es existieren verschiedene Varianten des ADCSADL, je nach Stadium der Erkrankung (25). Weitere Testverfahren, die in diesem
Bereich verwendet werden, sind zum Beispiel die aus 20 Punkten bestehende
BADLS (Bristol Activities of Daily Living Scale) (23) sowie die DAD-Skala
(Disability Assesment for Dementia). Dieser Test basiert auf einem Interview der
Angehörigen / Pflegenden, inwieweit Unterstützung bei der Planung, dem Beginn
sowie der Organisation von 10 Tätigkeiten aus den Bereichen Basisfähigkeiten,
instrumentelle Fähigkeiten und Freizeitaktivitäten notwendig ist, und wie effektiv
die Ausübung ist (25). Zur Beurteilung des Verhaltens eignet sich zum Beispiel das
NPI (Neuropsychiatric Inventory), welches typische Verhaltensauffälligkeiten, die
im Rahmen einer Demenz auftreten, erfasst (23). Schlussendlich existieren auch
noch sehr komplexe Testformen, welche mehrere Bereiche wie kognitive
Fähigkeiten, Alltagskompetenzen und Verhalten in einem Test testen. Hierzu zählt
zum Beispiel der CIBIC-plus (Clinican's Interview-Based Impression of Changeplus). Der Test besteht aus einem Teil für den Patienten / die Patientin als auch
einem für dessen / deren Angehörigen / Pflegenden. Er eignet sich besonders gut,
um den Verlauf in verschiedenen Bereichen zu beurteilen (23).
1.8 Therapie
Obwohl die Erstbeschreibung der Erkrankung inzwischen über 100 Jahre her ist,
gibt es trotz intensiver Forschungsbemühungen bis heute keine Therapie, welche
9
in der Lage ist, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten oder zu
verlangsamen. Alle derzeitig verfügbaren Therapiekonzepte und Medikamente
zielen auf eine vorübergehende Besserung von Alltagskompetenzen und
kognitiven Fähigkeiten der Erkrankten sowie der Unterstützung des Patienten / der
Patientin und dessen / deren Angehörigen ab.
Die Therapie setzt sich zusammen aus einer pharmakologischen Behandlung
sowie psychosozialer Intervention, die sowohl dem Betroffenen / der Betroffenen
als auch dessen / deren Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung helfen soll.
Im
Rahmen
der
pharmakologischen
Acetylcholinesterase-Hemmer
Therapie
(AChE-Hemmer)
werden
Donepezil,
vor
allem
die
Rivastigmin
und
Galantamin sowie der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin eingesetzt. Diese
wirken positiv auf die Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten, die kognitive
Funktion sowie auf den ärztlichen Gesamteindruck (21).
Darüberhinaus besteht die pharmakologische Therapie aus der Linderung
psychischer Begleitsyndrome wie psychotischen Störungen, Aggression, Agitation
und Depressionen. In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird
die Behandlung leichter und mittelschwerer Demenzen mit einem AChE-Hemmer
empfohlen. Die Auswahl des Präparates richtet sich dabei vorwiegend nach dem
Neben-
bzw.
Wechselwirkungsprofil
des
Medikamentes
sowie
dessen
Verträglichkeit. Außerdem spielen Applikationsart und anfallende Kosten eine
Rolle. Da die Wirkung dieser Medikamente von der verabreichten Dosis abhängig
ist, wird eine Aufdosierung, abhängig von der Verträglichkeit, bis zur maximalen
Tagesdosis empfohlen. Obwohl die AChE-Hemmer zurzeit keine Zulassung zur
Behandlung der Demenz vom Alzheimer-Typ im schweren Stadium besitzen, wird
ihr Einsatz in der Leitlinie trotzdem empfohlen. Hierbei ist jedoch zu beachten,
dass es sich um einen sogenannten Off-Label-Use handelt (21).
Zur Behandlung schwerer Formen der Demenz vom Alzheimer-Typ wird primär
der NMDA-Rezeptor Antagonist Memantin empfohlen, im moderaten Stadium
kann dieser ebenfalls eingesetzt werden, wenn aus irgendwelchen Gründen keine
Behandlung mit einem AChE-Hemmer erfolgen kann (21).
Im leichten Stadium der Erkrankung konnte keine Besserung bei der Bewältigung
von Alltagstätigkeiten und nur geringe Effekte auf die kognitive Funktion durch
Memantin nachgewiesen werden, weshalb hier der Einsatz nicht empfohlen wird.
Im mittelschweren Stadium konnte zwar ein positiver Effekt gezeigt werden,
10
allerdings zeigte sich bei einer Add-on-Therapie mit Memantin keine Überlegenheit
gegenüber einer Einzeltherapie mit Donepezil. Lediglich im schweren Stadium der
Alzheimer-Erkrankung ist aus Studien bekannt, dass eine Kombinationstherapie
aus Memantin und Donepezil einer Monotherapie mit Memantin oder Donepezil
überlegen ist (21).
Für die ebenfalls häufig in der Behandlung eingesetzten und beworbenen GinkgoPräparate gibt es laut der Leitlinie keine Empfehlung. Die Studienlage für
Ginkgopräparate ist insgesamt sehr heterogen, und ein positiver Effekt im Hinblick
auf die Bewältigung von Alltagsaktivitäten existiert lediglich und auch nur fraglich
beim Einsatz hoher Dosen (21).
Neben der pharmakologischen Therapie ist eine weitere wichtige Säule in der
Therapie die psychosoziale Intervention, die im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur
kurz erwähnt werden soll. Hier kommen Verfahren wie kognitives Training,
Ergotherapie, Realitätsorientierung, körperliche Aktivierung, multisensorische
Verfahren und vor allem Angehörigenarbeit zum Einsatz. Wie schon erwähnt geht
es bei der Therapie der Alzheimer-Erkrankung, neben der Therapie der primären
Symptome
der
Demenz,
auch
um
die
Linderung
von
psychischen
Verhaltenssyndromen, die im Laufe der Erkrankung auftreten können. Zur
pharmakologischen
Therapie
von
psychotischen
Symptomen
wie
Wahnvorstellungen und Halluzinationen sowie zur Therapie von Agitation und
Aggression wird vor allem Risperidon empfohlen. Zur reinen Therapie von
Aggression kann darüber hinaus auch Haloperidol verwendet werden. Bei dem
Einsatz anderer Präparate aus der Gruppe der Psychopharmaka, wie Aripiprazol,
Carbamazepin und Citalopran, handelt es sich wieder um einen sogenannten OffLabel-Use, der aber generell erwogen werden kann. Bei allen Präparaten sollte
die Anwendungsdauer so kurz wie möglich sein. Als nicht medikamentöse
Behandlungsmethoden von Agitation und Aggression wird rezeptive Musik sowie
Aromatherapie empfohlen. Primär sollte versucht werden, Depressionen durch
strukturierte Freizeitaktivitäten zu verbessern, und nur bei unzureichender
Besserung sollten Antidepressiva eingesetzt werden. Aus der Gruppe der
Antidepressiva sollten ausschließlich Präparate ohne anticholinerge Wirkung
verwendet werden (21).
Zwei weitere oft auftretende Begleitsyndrome, die allerdings in der Regel nicht
medikamentös therapiert werden müssen, sind Störungen des Tag-Nacht11
Rhythmus sowie mangelnde Nahrungsaufnahme. Zur Verbesserung des TagNacht-Rhythmus wird eine Strukturierung des Alltages empfohlen. Bei mangelnder
Nahrungsaufnahme sollen Betroffene verbale Unterstützung erhalten und eine
familiäre Esssituation hergestellt werden (21).
12
2 Material und Methoden
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, einen kompakten Überblick über die
derzeitigen pharmakologischen Therapieoptionen der Alzheimer-Erkrankung zu
geben sowie einen Ausblick auf mögliche zukünftige Therapien, welche sich
aktuell in klinischer Erprobung befinden.
Bei der durchgeführten Arbeit handelt es sich um eine Literaturrecherche. Die
Datenerhebung erfolgte vorwiegend anhand einer systematischen Suche in der
Literaturdatenbank PubMed (National Center for Biotechnology Information, U.S.
National Library of Medicine, U.S.A.). Ausgehend von Review-Artikeln wurde dabei
immer spezifischer in die Thematik weiter recherchiert.
Darüber hinaus wurden Informationen aus den Suchmaschinen Google und
Google
scholar,
Lehrbüchern
aus
den
insbesondere
Fachinformationen
der
Pharmakologie,
der
Arzneimittel-Hersteller,
Neurowissenschaften
und
Genetik, aus dem Bestand der Bibliotheken der Medizinischen Universität Graz
sowie der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster entnommen. Informationen
über aktuell laufende Studien sind darüber hinaus der Datenbank clinicaltrials.gov
entnommen.
Die Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie im Einleitungsteil der Arbeit sind
der aktuellen S3 Leitlinie Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
entnommen.
13
3 Ergebnisse – Resultate
3.1 Aufbau und Erregungsleitung einer Nervenzelle
Eine Nervenzelle (Neuron) besteht aus einem als Soma oder Perikaryon
bezeichneten
Zellkörper
mit
einem
relativ
großen
Zellkern
und
einer
unterschiedlich großen Anzahl an Zellfortsätzen. Diese werden je nach ihrer
Funktion als Dendriten oder als Axon bezeichnet (26).
Bei den Dendriten handelt sich um meist weit verzweigte Zellfortsätze, die der
Aufnahme von Informationen dienen und diese zum Perikaryon leiten.
Das Axon hingegen ist ein Zellfortsatz, welcher Informationen vom Perikaryon
wegleitet. Es wird auch als Nervenfaser bezeichnet. Im Gegensatz zu den
Dendriten ist das Axon weniger stark verzweigt, und jedes Neuron besitzt nur ein
Axon. Um eine schnelle Erregungsleitung in dem bis zu einem Meter langen Axon
zu gewährleisten, ist dieses von einer von Oligodendrozyten gebildeten
Markscheide umhüllt, welche das Axon elektrisch gegen die Umgebung isoliert.
Diese Umhüllung wird alle 2-3 mm durch sogenannte Ranvier-Schnürringe
unterbrochen (26,27). Meistens lassen sich eine größere Anzahl von Axonen nach
ihrer morphologischen Erscheinung zu einer größeren Nervenbahn, einem
sogenannten Tractus, zusammenfassen (27). Die Dendriten erhalten ihre
Informationen von den Enden der Axone anderer Neuronen. Diese Kontaktstelle,
die von Dendrit und Axon gebildet wird, wird als Synapse bezeichnet (26,27). An
den Synapsen findet die elektrische oder biochemische Weiterleitung von
Signalen statt.
3.1.1 Die Synapse
Das Ende eines Axons (Axonterminale) bildet mit der nachfolgenden Zelle eine
Synapse aus. Synapsen dienen generell der Reiz-/Informationsweitergabe von
einem Neuron zu einem weiteren oder einer anderen Zelle (z.B. Muskelzelle). Das
Axonterminale bildet das sogenannte Synapsenendknöpfchen und damit die
präsynaptische Seite der Synapse. Die postsynaptische Seite wird von einem
Dendrit oder dem Zellkörper der nachfolgenden Zelle gebildet. Ein Reiz wird
immer von der präsynaptischen zur postsynaptischen Seite weitergeleitet.
14
Zwischen den Membranen der prä- und postsynaptischen Seite befindet sich ein
schmaler Spalt, der als synaptischer Spalt bezeichnet wird (27).
Anhand ihrer Funktionsweise lassen sich grundsätzlich zwei Arten von Synapsen
unterscheiden. Es existieren zum einen die von Edwin Furshpan und David Potter
1959 nachgewiesenen elektrischen Synapsen, zum anderen die sogenannten
chemischen Synapsen. Chemische Synapsen leiten elektrische Impulse nicht
direkt, sondern indirekt, durch die Ausschüttung chemischer Botenstoffe, den
Neurotransmittern, weiter. Diese chemische Weiterleitung von Nervenimpulsen
wurde bereits 1921 von dem Grazer Pharmakologen Otto Loewi nachgewiesen.
Im reifen Gehirn des Menschen stellen chemische Synapsen die überwiegende
Anzahl der Synapsen dar (28).
3.1.1.1 Elektrische Synapsen
Elektrische Synapsen spielen im Rahmen der Demenz vom Alzheimer-Typ und
der Therapie dieser Krankheit keine Rolle und werden daher hier nur der
Vollständigkeit halber kurz erwähnt. Diese Art der Synapsen dient der direkten
Übertragung von Ionenströmen von einer Zelle zur nächsten und wird auch als
gap junctions bezeichnet. Im Gegensatz zu den chemischen Synapsen ist der
synaptische Spalt sehr schmal (ca. 3nm) und wird von Proteinen (Connexine)
durchzogen, die durch die beiden Zellen gebildet werden. Je sechs Connexine der
beiden Zellen bilden dabei den als gap junction bezeichneten Ionenkanal.
Aufgrund der Tatsache, dass hier direkt Ionenströme weitergeleitet werden, erfolgt
die Reizübertragung sehr schnell. Ein wichtiger Unterschied zwischen elektrischen
und chemischen Synapsen besteht darin, dass aufgrund der Tatsache, dass die
Ionenkanäle bidirektional sind, im Gegensatz zu chemischen Synapsen eine
Reizweiterleitung in beide Richtungen erfolgen kann. So kann ein in der Folgezelle
ausgelöstes Aktionspotenzial auch wieder in die Ursprungszelle zurück geleitet
werden (28).
3.1.1.2 Aufbau chemischer Synapsen
Wie bereits erwähnt stellen chemische Synapsen den überwiegenden Anteil der
Synapsen
im
reifen
menschlichen
Gehirn
dar.
Diese
verwenden
zur
Informationsübertragung über den mit 20-50nm relativ breiten synpatischen Spalt
15
verschiedene Neurotransmitter. Als Neurotransmitter dienen eine Vielzahl
unterschiedlicher chemischer Stoffe aus der Gruppe der Aminosäuren, Amine und
Peptide. Im Zusammenhang mit der Therapie bei einer Demenz vom AlzheimerTyp sind aktuell vor allem die beiden Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) und
Glutamat sowie deren zugehörige Rezeptoren von Interesse. Bei den chemischen
Synapsen werden die entsprechenden Neurotransmitter im präsynaptischen
Axonterminale synthetisiert und in Vesikeln gespeichert. In der postsynpatischen
Membran befinden sich passende Neurotransmitterrezeptoren. Bei diesen
Rezeptoren handelt es sich entweder um ligandenabhängige Ionenkanäle oder um
G-Protein gekoppelte Rezeptoren (28).
3.1.1.3 Reiz-/Informationsübertragung an chemischen Synapsen
Für die Reiz-/Informationsübertragung an chemischen Synapsen ist der Ablauf
verschiedener Schritte notwendig. Zuerst muss die Synthese des entsprechenden
Neurotransmitters im Neuron/Axonterminale erfolgen. Anschließend muss der
synthetisierte Neurotransmitter in Vesikel verpackt und zur präsynaptischen
Membran transportiert werden. Dort erfolgt die Freisetzung in den synaptischen
Spalt
beim
Eintreffen
eines
Aktionspotenzials.
Anschließend
muss
der
Neurotransmitter an einen entsprechenden Rezeptor an der postsynaptischen
Membran andocken und dort eine elektrische oder chemische Reaktion auslösen.
Schlussendlich muss die Entfernung des Neurotransmitters aus dem synaptischen
Spalt erfolgen. Die verschiedenen Schritte bieten dabei unterschiedliche
Möglichkeiten, den Prozess und damit die Reizübertragung pharmakologisch zu
beeinflussen, daher werden die einzelnen Schritte hier etwas genauer betrachtet.
Die Synthese kleiner Neurotransmitter (Aminosäuren und Amine) findet direkt im
Cytosol des Axonterminale statt. Anschließend werden sie durch spezielle
Transporter in Vesikel aufgenommen. Größere Neurotransmitter aus der Gruppe
der Proteine werden hingegen im Soma des Neurons produziert, anschließend
vom Golgi-Apparat in Vesikel verpackt und zum Axonterminale transportiert. Trifft
am Axonterminale ein AP ein, kommt es zur Öffnung spannungsabhängiger Ca 2+Kanäle in der präsynaptischen Membran. Der hier heraus resultierende Ca 2+Einstrom führt zur Verschmelzung der Vesikelmembran mit der präsynaptischen
Membran und so zur Freisetzung des Neurotransmitters in den synaptischen
Spalt. Bei länger anhaltender Erregung werden „Reserve“-Vesikel vom Zytoskelett
16
als „Nachschub“ in Richtung präsynaptischer Membran transportiert. Nach der
Freisetzung des Inhaltes des Vesikels wird seine Membran durch Endocytose
zurückgewonnen und kann erneut mit dem Neurotransmitter gefüllt werden.
An der postsynaptischen Membran lassen sich zwei Arten von Rezeptoren, an die
der Neurotransmitter binden kann, unterscheiden. Zum einen handelt es sich
dabei um ligandengesteuerte Ionenkanäle. Sie führen zu einer Rückumwandlung
des chemischen Signals in ein elektrisches Signal. Im Gegensatz zu anderen
Ionenkanälen sind diese nicht ionenselektiv sondern durchgängig für mehrere
Ionen (z.B. Na+, K+, Ca2+). Über ligandengesteuerte Ionenkanäle erfolgt die
schnelle synaptische Signalübertragung. Des weiteren existieren G-Protein
gekoppelte Rezeptoren. Diese ermöglichen eine Vielzahl an postsynaptischen
Aktionen. Nach Bindung des Transmittermoleküles an den Rezeptor aktiviert
dieser sogenannte G-Proteine. Die aktivierten G-Proteine können dann ihrerseits
entweder Ionenkanäle öffnen oder über die Aktivierung von Proteinen, welche
second-messenger synthetisieren, komplexe zelluläre Signalkaskaden auslösen.
Abschließend muss der Neurotransmitter wieder aus dem synaptischen Spalt
entfernt werden, um eine Übererregung zu vermeiden. Hierfür existieren zwei
Möglichkeiten: zum einen die Rückdiffusion durch die präsynaptische Membran,
wo dann entweder die Wiederverwendung oder der Abbau des Transmitters
erfolgt. Der Vorgang der Diffusion wird dabei häufig durch spezifische aktive
Transporter unterstützt. Die zweite Möglichkeit ist die Spaltung / der Abbau des
Transmitters direkt im synaptischen Spalt (28).
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Freisetzung von
ACh in den synaptischen Spalt gefolgt von der Aktivierung des
Rezeptors, dem Abbau durch die AChE und der anschließenden
Rückdiffusion, aus (97)
17
In der Abbildung 1 wird dieser Vorgang zum besseren Verständnis noch einmal
schematisch dargestellt.
3.2 Acetylcholinesterase-Hemmer
3.2.1 Geschichte des Acetylcholin
Der Neurotransmitter Acetylcholin wurde 1862 erstmals synthetisiert, und einige
Jahrzehnte später erfolgte 1913 durch Sir Henry Dale der erste Nachweis von
natürlich vorkommendem Acetylcholin. Zu dieser Zeit gab es jedoch noch keine
Hinweise darauf, dass Acetylcholin im menschlichen Organismus eine größere
Rolle spielen würde, und so nahm das Interesse an diesem Stoff in den folgenden
Jahren erst einmal ab. Erst durch einen Versuch des Pharmakologen Otto Loewi
von der Universität Graz stieg das Interesse ab 1921 wieder an. Otto Loewi hatte
in einem Experiment ein Froschherz inkl. innervierender Nerven präpariert und in
eine Nährlösung gelegt. Anschließend hatte er den Vagusnerv des Frosches
gereizt und beobachtet, dass die Herzfrequenz abnahm. Nun entnahm er etwas
von der das Herz umgebenden Nährlösung und ließ diese über ein zweites,
denerviertes Herz laufen. Nachdem auch dieses Herz daraufhin langsamer schlug,
vermutete er, dass ein chemischer Stoff an der Übertragung vom Nerven auf das
Herz beteiligt ist und nannte diesen „Vagusstoff“ (29).
In mehreren weiteren Versuchen konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei
dem Vagusstoff um einen Cholinester handelt, welcher durch eine Esterase
schnell hydrolisiert und damit abgebaut wird. Er kam allerdings nicht auf den
Gedanken, dass es sich hierbei um Acetylcholin handeln könnte. Der Nachweis,
dass der von Otto Loewi gefundene Vagusstoff und Acetylcholin dieselben Stoffe
sind, wurde erst Jahre später von Henry Dale erbracht. Die Untersuchung des
Acetylcholins gestaltete sich zu der Zeit auch deshalb schwierig, weil der Stoff
schnell wieder abgebaut wurde. Erst in den folgenden Jahren konnte durch
Einsatz
von
Physostigmin,
einem
Acetylcholinesterase-Hemmer,
die
physiologische Wirkung von Acetylcholin detaillierter untersucht werden (29).
18
3.2.2 Synthese und Abbau von Acetylcholin
Bei Acetylcholin handelt es sich um einen Essigsäureester des Cholins. Die
Synthese erfolgt im Cytosol der Axonterminale aus Cholin und Acetyl-CoA durch
das Enzym Cholinacetyltransferase. Das für die Synthese notwendige Cholin wird
durch
spezifische
Transportproteine
aus
der
extrazellulären
Flüssigkeit
aufgenommen, das benötigte Acetyl-CoA stammt aus dem Citratzyklus. Da die
Menge des produzierten Acetylcholin von der Menge des vorhandenen Cholins
abhängig ist, ist dessen Aufnahme der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der
Synthese.
Nach
Freisetzung
von
Acetylcholin
wird
dieses
durch
die
Acetylcholinesterase zu Cholin und Acetat hydrolisiert. Der größte Teil des dabei
entstehenden Cholins wird dann durch Transporter erneut in das Axonterminale
aufgenommen und kann dort wieder zur Synthese von Acetylcholin verwendet
werden (30).
3.2.3 Acetylcholinesterasen
Acetycholin
wird
im
Acetylcholinesterase,
menschlichen
aber
auch
Organismus
von
der
zum
einen
von
der
Pseudoacetylcholinesterase
(Butyrylcholinesterase) abgebaut. Während die Acetylcholinesterase vorwiegend
in Nervenzellen, Muskelzellen und in der Membran von Erythrozyten vorkommt,
findet sich die Butyrylcholinesterase (BuChE) vorwiegend in der Leber und im
Serum. Im Gegensatz zur AChE handelt es sich bei der BuChE um eine
„unspezifische“ Cholinesterase, welche eine Vielzahl an Cholinestern hydrolysiert.
Ihr Name ist darauf zurückzuführen, dass sie Butyrylcholin (ein im menschlichen
Organismus natürlicherweise nicht vorkommender Cholinester) schneller spaltet
als Acetylcholin (31).
Bei der AChE handelt es sich um ein für Acetylcholin hoch spezifisches Enzym
aus der Gruppe der Serinhydrolasen. Bezeichnend für Serinhydrolasen im
Allgemeinen ist das Vorkommen der Aminosäure Serin im katalytischen Zentrum
des Enzyms, welches für die Hydrolyse verantwortlich ist. Neben Serin sind an der
Bildung der katalytischen Triade bei der AChE noch die Aminosäuren Glutamat
und Histidin beteiligt (31).
19
Wie auch aus der Abbildung 2 zu entnehmen ist, kann das aktive Zentrum des
Enzyms in zwei Unterzentren unterteilt werden. Zum einen besitzt die AChE ein
anionisches Zentrum, zum anderen ein esteratisches Zentrum. Das anionische
Zentrum bindet an den positiv geladenen quartären Stickstoff des Cholinanteils
von Acetylcholin. Der Essigsäurerest wird dann durch das esteratische Zentrum
vom Cholinrest abgespalten. Es entsteht intermediär ein kovalenter Acetyl-EnzymKomplex und freies Cholin. In einem zweiten Schritt findet anschließend eine
nucleophile Reaktion von Wasser mit dem gebildeten Acetyl-Enzym-Komplex statt.
Hierbei wird die Essigsäure vom Enzym abgespalten und somit das Enzym wieder
regeneriert (31,32).
3.2.4 Hemmung der Acetylcholinesterase
Aufgrund der Bedeutung des Acetylcholins als Neurotransmitter hat auch die
Hemmung der AChE eine große Bedeutung. Wird die AChE gehemmt, kann
freigesetztes Acetylcholin nicht mehr abgebaut werden, die Folge ist eine
Erhöhung der Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt und ggf. eine
Dauererregung der postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren. Ein Überangebot an
Acetylcholin führt zu einer Vielzahl an Symptomen, bis hin zur sogenannten
cholinergen Krise. Zu den Symptomen zählen: Bradykardie, eine Erhöhung des
Muskeltonus im Magen-Darm-Trakt mit Durchfall und Krämpfen, Faszikulationen,
Miosis,
ein
gesteigerter
Speichelfluss,
erhöhtes
Schwitzen,
gesteigerte
20
Bronchialsekretion, Bronchokonstriktion, Muskelschwäche und Atemlähmung
(20,33).
Die Hemmstoffe der AChE können grob in die zwei Gruppen, die der irreversiblen
und die der reversiblen Hemmstoffe unterteilt werden. Bei den irreversiblen
Hemmstoffen
handelt
es
sich
um
Phosphorsäureester
oder
Thiophosphorsäureester. Ihre therapeutische Anwendung beschränkt sich auf die
Augenheilkunde, wo sie im Rahmen der Glaukomtherapie Verwendung finden.
Ihre Hauptanwendung besitzen sie jedoch als Insektizid und Pestizid sowie,
aufgrund der hohen Toxizität vieler Phosphorsäureester, auch als chemischer
Kampfstoff („Nervengas“) (31–33). Phosphorsäureester binden analog zum
Acetylcholin am esteratischen Zentrum der AChE. Wie auch beim Acetytcholin
wird ein Substituent (X) vom Phosphoratom abgespaltet. Es bildet sich ein
kovalenter Phosphorsäure-Enzym-Komplex, welcher im Vergleich zum AcetylEnzym-Komplex jedoch stabiler ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Hemmung
reversibel. Der Phosphorsäurerest kann langsam wieder vom Enzym abgespalten
werden und die Acetylcholinesterase ihre Funktion wieder ausüben. Wird
allerdings vorher vom Phosphorsäurerest ein weiterer Substituent abgespalten,
bildet sich ein irreversibler Phosphorsäure-Enzym-Komplex (31,32).
Zu den reversiblen Hemmstoffen zählen die unter anderem ebenfalls als Insektizid
eingesetzten Carbaminsäurederivate. Sie finden aber auch vielfach in der Medizin
Anwendung, zum Beispiel bei Myasthenia gravis, Glaukom, Lewy-Body-Demenz,
Parkinson, postoperativem anticholinergem Syndrom oder verspätetem Erwachen,
sowie bei Darm- und Blasenatonie. Im Gegensatz zur Hemmung der AChE mit
Phosphorssäureestern wird der Carbamylrest nach ca. 30-40 Minuten wieder vom
Enzym abgespalten, und das vorher gehemmte Enzym kann seine Funktion
wieder ausüben (31,33).
3.2.5 Acetylcholinesterase-Hemmer bei der Alzheimer-Krankeit
Der erste zur Therapie der Demenz vom Alzheimer-Typ zugelassene AChEHemmer war Tacrin (Handelsname: Cognex und Romotal), welcher 1993 auf den
Markt kam. Obwohl in Studien sich eine Besserung kognitiver Funktionen zeigte,
war sein Nutzen aufgrund starker Nebenwirkungen und hepatotoxischer Wirkung
eingeschränkt. Heute sind die drei Acetylcholinesterasehemmer Donepezil,
21
Rivastigmin und Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im frühen
und mittleren Stadium zugelassen und in Verwendung.
3.2.6 Indikation
Alle derzeit auf dem Markt befindlichen AChE-Hemmer zur Therapie der Demenz
vom Alzheimer-Typ sind hier lediglich zur symptomatischen Behandlung im frühen
und mittleren Stadium (entsprechend einem MMSE bis 10 Punkte) der Erkrankung
zugelassen (34–36). In den USA und anderen Ländern hingegen sind AChEHemmer auch für die Behandlung der Demenz vom Alzheimer-Typ im schweren
Stadium zugelassen. Die in Deutschland aktuell gültige S3-Leitlinie „Demenz“ der
DGPPN und DGN weist ebenfalls darauf hin, dass es eine Evidenz für den Einsatz
von AChE-Hemmern auch im schweren Stadium der Erkrankung gibt, und
empfiehlt sowohl die Weiterbehandlung als auch den Beginn einer Behandlung mit
AChE-Hemmern bei Patienten / Patientinnen im schweren Stadium der Demenz
vom Alzheimer-Typ. Sie weist jedoch auch darauf hin, dass es sich hierbei um
einen Off-Label-Use handelt, mit den entsprechenden daraus resultierenden
Schwierigkeiten (21).
22
3.2.7 Übersicht
Tabelle 1: AChE-Hemmer in der Therapie der Demenz vom Alzheimer-Typ (34–36)
Wirkstoff
Donepezil
Rivastigmin
Galantamin retard
Dosierung
5mg/d, nach einem
Monat ist eine
Steigerung bis auf
10mg/d möglich
2x 1,5mg/d, nach
mind. 2 Wochen ist
eine Steigerung auf
2x 3mg/d möglich.
Bei guter
Verträglichkeit
weitere Steigerung
bis auf 2x 6mg/d
8mg/d, nach einem
Monat ist eine
Steigerung auf 16
mg/d. Möglich. Nach
einem weiteren
Monat ggf. steigern
bis auf 24mg/d
Einnahme
1x täglich
2x täglich
1x täglich
Metabolismus
CYP3A4 / 2D6
AChE / BuChE
CYP3A4 / 2D6
HWZ
ca. 70 – 80 Stunden
ca. 1 Stunde
ca. 7 Stunden
Dosisanpassung bei Nicht erforderlich
Niereninsuffizenz
Nicht erforderlich
(individuelle
Verträglichkeit)
Schwer: keine
Anwendung
Dosisanpassung bei Individuelle
Leberinsuffizenz
Verträglichkeit
(leicht bis mittel)
Individuelle
Verträglichkeit
Mittel: Beginn mit
8mg/d alle 2 Tage.
Im Verlauf maximal
auf 16mg/d steigern
Dosisanpassung bei Keine Daten
Leberinsuffizenz
(schwer)
Keine Daten
Keine Anwendung
Bemerkung
Auch als
transdermales
Pflaster erhältlich
(Wechsel alle 24h)
Die Tabletten mit
sofortiger
Wirkstofffreisetzung
wurden inzwischen
durch retardierte
Tabletten ersetzt
3.2.8 Wechselwirkungen
Alle AChE-Hemmer besitzen aufgrund ihrer Wirkweise Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln, die ebenfalls den Acetylcholinstoffwechsel oder die
Acetylcholinrezeptoren beeinflussen, sowie mit weiteren Arzneimitteln mit
cholinerger oder anti-cholinerger Wirkung.
Dies
sind
zum
Beispiel
die
im
Rahmen
von
Narkosen
eingesetzten
Muskelrelaxantien, welche die durch Acetylcholin vermittelte neuromuskuläre
23
Übertragung blockieren. Die Wirkung des polarisierenden Muskelrelaxans
Succinylcholin
wird
Muskelrelaxantien
dabei
(z.B.
verstärkt,
Pancuronium,
die
Wirkung
Rucoronium
depolarisierender
und
andere)
wird
abgeschwächt. Hierzu zählen auch β-Blocker, welche eine Wirkung auf die
kardiale Erregungsleitung haben. Hier kann die vagotone Wirkung der AChEHemmer verstärkt werden, wodurch eine erhöhte Gefahr für das Auftreten von
Bradykardien entsteht (34–38).
Bei Donepezil und Galantamin bestehen zusätzlich Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln, welche als Inhibitoren oder Induktoren an den P450
Isoenzymen wirken, vor allem der Isoenzyme CYP3A4 und CYP2D6. Inhibitoren
wie
Makrolidantibiotika
(z.B.
Erythromycin),
orale
Azol-Antimykotika
(z.B.
Ketoconazol), Cimetidin und einige weitere führen zu erhöhten Plasmaspiegeln.
Enzyminduktoren
wie
Rifampicin,
Carbamazepin
und
weitere
führen
zu
erniedrigten Plasmaspiegeln. Da die genaue Stärke der Veränderung der
Plasmaspiegel für die meisten Präparate unbekannt ist, wird dazu geraten, solche
Kombinationen nur mit entsprechender Vorsicht zu verwenden (34,36,37).
Rivastigmin hingegen wird nicht über das P450-Isoenzymsystem metabolisiert, so
dass hier keine Wechselwirkungen zu erwarten sind (35,38).
3.2.9 Nebenwirkungen
Viele häufige Nebenwirkungen, die bei der Einnahme von AChE-Hemmern
auftreten,
lassen
sich
durch
die
Hemmung
der AChE
im
vegetativen
Nervensystem erklären. Die Folge der Hemmung ist eine gesteigerte Aktivität des
Parasymphathikus. Dies führt unter anderem zu den sehr häufig, vor allem zu
Beginn
der
Therapie
und
während
der
Dosissteigerung,
auftretenden
gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö.
In einem Großteil der Fälle klingen diese Beschwerden jedoch nach kurzer Zeit
wieder
ab,
und
eine
vorübergehende
symptomatische
Behandlung
der
Nebenwirkungen ist ausreichend. Weitere häufige Nebenwirkungen der AChEHemmer sind verminderter Appetit, Halluzinationen, Depression, Synkopen,
Schwindel,
Tremor,
Kopfschmerzen,
Somnolenz,
Lethargie,
Hypertonie,
Bradykardien, vermehrtes Schwitzen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Harninkontinenz,
Harnwegsinfekte, Atemwegsinfekte, Ausschlag und Juckreiz (34–36).
24
Bei Patienten / Patientinnen, die mit Reminyl (Galantamin) behandelt worden sind,
gab
es
darüber
hinaus
vereinzelte
Fälle
verschiedener
schwerer
Hauterkrankungen während der Behandlung. Im letzten Jahr sind daher das
Stevens-Johnson-Syndrom, die akute generalisierte exanthematische Pustulose
und das Erythema multiforme als seltene Nebenwirkungen mit in die
Arzneimittelinformation aufgenommen worden. Der Hersteller empfiehlt Patienten /
Patientinnen, denen Galantamin verschrieben wird, auf die Gefahr von
Hautreaktionen hinzuweisen und das Medikament bei Auftreten sofort abzusetzen,
solange ein Zusammenhang der Hautsymptome mit dem Medikament nicht sicher
ausgeschlossen werden kann (39).
3.2.10
Überdosierung
Bei einer Überdosierung von AChE-Hemmern besteht die Gefahr, eine cholinerge
Krise zu entwickeln. Hierbei finden sich als Folge der Zunahme von Acetylcholin
im
Organismus die
Schweißausbrüche,
folgenden
verstärkter
Symptome: Übelkeit,
Speichelfluss,
Miosis,
Erbrechen,
Diarrhö,
Bronchokonstriktion,
Bradykardie, Muskelschwäche ggf. bis zur Atemlähmung, Muskelzuckungen,
Kollaps und Krämpfe.
Neben unterstützenden Maßnahmen je nach Symptomen bietet sich die Gabe von
Atropin als Antidot an (34–37). Die Hersteller empfehlen inital eine Dosis von 12mg Atropin i.v. bei Donepezil, von 0,03mg/kgKG für Rivastigmin und von 0,5-1mg
Atropin bei Galantamin. Weitere Dosen werden nach der klinischen Wirksamkeit
gegeben (34–36).
3.2.11
Aufgrund
Donepezil - Allgemeines
der
Nebenwirkungen
und
der
dadurch
eingeschränkten
Anwendungsmöglichkeit der beiden bekannten AChE-Hemmer Neostigmin und
Tacrin hat man sich auf die Suche nach besser verträglichen Wirkstoffen gemacht.
Dabei wurden verschiedene Indanon-Derivate auf ihre Wirksamkeit getestet. Ein
N-Benzylpiperazin zeigte in Tierversuchen eine vielversprechende Wirkung. Nach
Austausch der N-Benzylperazin Gruppe durch N-Benzylpiperidin konnte die
hemmende Wirkung weiter gesteigert werden. Nach weiteren Modifikationen
zeigte
sich
das
Indanon-/Piperidin-Derivat
Donepezil-hydrochlorid
als
25
erfolgversprechend. Die chemische Struktur von Donepezil wird in Abbildung 3
dargestellt.
Abbildung 3: Chemische Struktur von Donepezil, aus (99)
1996 erhielt Donepezil als Acetylcholinesterasehemmer zur Behandlung der
leichten und moderaten Form der Alzheimer-Demenz von der FDA die Zulassung.
Donepezil unterscheidet sich, neben der deutlich besseren Verträglichkeit, vor
allem durch seine sehr hohe Selektivität für die AChE von Tacrine. Darüber hinaus
besitzt es mit 70 – 80 Stunden eine deutlich längere Halbwertszeit als andere
AChE-Hemmer (40).
3.2.12
Donepezil - Wirkmechanismus
Donepezil
wirkt
als
reversibler
und
hochselektiver
Hemmstoff
der
Acetylcholinesterase, und mit einer deutlich geringeren Wirkung auch als
Hemmstoff der Butyrylcholinesterase. Die Wirkung auf die vorwiegend im
Zentralnervensystem vorkommende AChE ist dabei etwa 1000mal stärker als auf
die vorwiegend peripher vorkommende BuChE (34). Dies führt zu deutlich weniger
Nebenwirkungen als sie bei AChE-Hemmern mit geringerer Selektivität, wie zum
Beispiel Tacrine, auftreten. Die Enzymhemmung erfolgt vorwiegend durch Bindung
von Donepezil ausserhalb des aktiven Zentrums der AChE (nicht-kompetitive
Hemmung). Dies führt zu einer Abnahme der Wechselzahl und somit zu einer
Abnahme der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit der AChE. Zu einem
geringeren Anteil bindet Donepezil darüber hinaus auch am aktiven Zentrum der
AChE (kompetetive Hemmung) und steht in direkter Konkurrenz zum Acetylcholin.
In diesem Fall ist eine Abnahme der Katalysegeschwindigkeit und eine Erhöhung
der Michaelis-Konstante die Folge (40,41).
26
3.2.13
Donepezil - Pharmakokinetik
Donepezil wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert. Die Resorption ist
unabhängig von der Tageszeit und einer evtl. Nahrungsaufnahme (40), trotzdem
empfiehlt der Hersteller eine Einnahme kurz vor dem Schlafengehen (34). Nach
oraler Einnahme wird die maximale Plasmakonzentration je nach Quelle nach ca.
2,4-4,4 Stunden (40) bzw. 3-4 Stunden (34) erreicht. Unmetabolisiertes Donepezil
ist nach der Resorption im Plasma zu 95% an Plasmaproteine gebunden (34). Die
durchschnittliche Halbwertzeit des Wirkstoffes beträgt 70 – 80 Stunden und ist
damit deutlich länger als die anderer AChE-Hemmer. Sie ist jedoch abhängig vom
Alter des Patienten / der Patientin; so beträgt sie bei jungen Patienten /
Patientinnen ca. 60 Stunden und bei älteren Patienten / Patientinnen bis zu 104
Stunden. Ein Vorteil der langen Halbwertszeit bestand vor allem, bevor weitere
Einnahmeformen (Galantamin retard oder transdermale Rivastigminpflaster) auf
den Markt kamen, darin, dass bei Donepezil im Gegensatz zu den anderen AChEHemmern eine einmalige Einnahme am Tag ausreichend war.
Drei Wochen nach dem Beginn der regelmäßigen Einnahme einer Einzeldosis von
5mg Donepezil pro Tag wird ein Kumulationsgleichgewicht erreicht, unter dem die
Hemmung
der
AChE
63,4%
-
77%
beträgt.
Nach
Erreichen
des
Kumulationsgleichgewichts gibt es keinen Unterschied der Clearance des
Medikaments zwischen jüngeren und älteren Personen mehr, daher ist eine
Dosisanpassung für Patienten / Patientinnen im höheren Alter nicht erforderlich.
Die Metabolisierung von Donepezil erfolgt in der Leber vorwiegend über das
CYP450 Isoenzym CYP3A4 sowie über das Isoenzym CYP2D6. Das Isoenzym
CYP2D6 spielt jedoch eine geringere Rolle. Zu den bekannten Metaboliten
gehören zum einen das ebenfalls pharmakologisch aktive 6-O-DesmethylDonepezil, zum anderen die Metaboliten Donepezil-cis-N-oxid und 5-ODesmethyl-Donepezil, welche jedoch keine pharmakologische Wirkung besitzen.
11-17% des verabreichten Stoffes wurden in Studien unverändert über die Nieren
ausgeschieden und konnten im Urin nachgewiesen werden (34,40).
Untersuchungen mit radioaktiv markiertem Donepezil zeigten, dass ein großer
Anteil (57%) der verabreichten Radioaktivität im Urin und nur ein geringer Anteil
(14%) im Stuhl nachgewiesen werden konnte. Es wird daher angenommen, dass
27
die Ausscheidung von Donepezil und seiner Metaboliten vorwiegend renal erfolgt
(34).
3.2.14
Rivastigmin – Allgemeines
O
N
O
N
H
Abbildung 4: Chemische Struktur von Rivastigmin, aus (100)
Rivastigmin ist der zweite der drei zugelassenen AChE-Hemmer zur Behandlung
der leichten und mittelschweren Form der Demenz vom Alzheimer-Typ. Die
Erstzulassung erfolgte 1998 in Europa und zwei Jahre später auch in den USA
unter dem Handelsnamen Exelon (42,43).
Neben Zubereitungen zur oralen Einnahme sind von Rivastigmin als einzigem
AChE-Hemmer derzeit auch transdermale Pflaster zugelassen.
Diese haben gegenüber der oralen Einnahme den Vorteil einer geringeren Rate an
Nebenwirkungen, insbesondere an Übelkeit und Erbrechen, durch eine niedrigere
und langsamer erreichte maximale Plasmakonzentration, sowie eine bessere
Compliance der Patienten / Patientinnen (44).
3.2.15
Rivastigmin – Wirkmechanismus
Bei Rivastigmin handelt es sich um ein Carbamyl-Derivat, welches zu einer im
Prinzip reversiblen Hemmung der AChE und der BuChE führt (35). Da die
Hemmung der AChE jedoch deutlich länger anhält, als der Wirkstoff im Plasma
nachgewiesen werden kann, wird sie auch als pseudo-irreversible Hemmung
bezeichnet. Die Hemmung der im ZNS vorkommenden AChE beträgt bei
gesunden Erwachsenen etwa 40%. Die Hemmung der vorwiegend peripher
vorkommenden BuChE beträgt ca. 10% (45). Im Liquor von 14 Patienten /
Patientinnen, welche an einer Demenz vom Alzheimer-Typ erkrankt waren,
konnten keine wesentlichen Unterschiede in der Hemmung der AChE und der
28
BuChE festgestellt werden (35). Rivastigmin besitzt damit eine geringere
Selektivität für AChE als Donepezil. Allerdings konnte in Tierversuchen gezeigt
werden, dass Rivastigmin die AChE verstärkt in den von Alzheimer besonders
betroffenen Hirnregionen, dem Cortex und dem Hippocampus, hemmt. Außerdem
hemmt es von den verschiedenen AChE-Isoformen vor allem die globuläre G1Isoform, welche die im Gehirn von Erkrankten, die an einer Demenz vom
Alzheimer-Typ leiden, vorherrschende Isoform ist. Die Hemmung der G1-Isoform
ist etwa 4-6 stärker als die der G4-Isoform (45). Von der AChE existieren im
menschlichen Körper verschiedene Isoformen. Zum einen eine asymmetrische
Form und die vier globulären Formen G1-G4. Die Isoform G4 ist die im
Zentralnervensystem von gesunden Erwachsenen vorherrschende Form, sie
nimmt allerdings mit zunehmendem Alter im Neocortex und Hippocampus ab. Die
G1-Isoform hingegen ist zwar im Zentralnervensystem weniger stark vertreten,
allerdings bleibt sie auch im Alter konstant. Die Abnahme der G4-Form ist im
Gehirn von Patienten / Patientinnen, die an der Alzheimer-Erkrankung erkrankt
sind, zusätzlich beschleunigt, so dass es zu einer stärkeren Verschiebung des
Verhältnisses der G1- zur G4-Isoform kommt (45). Rivastigmin bindet ähnlich dem
Acetylcholin sowohl an das esteratische Zentrum als auch an das anionische
Zentrum der AChE (45). Es steht damit in direkter Konkurrenz zum Acetylcholin
und führt somit wieder zu einer Abnahme der Katalysegeschwindigkeit. Wie
Acetylcholin wird auch Rivastigmin von der AChE hydrolisiert, und es entsteht ein
Phenol-Derivat. Im Unterschied zum Acetylcholin, wo der Acetyl-Rest schnell von
der AChE abgespalten wird, bleibt der vom Rivastigmin übertragene CarbamylRest deutlich länger an der AChE gebunden und verhindert so eine schnelle
Regenerierung des Enzyms. In in-vitro Studien mit Hirngewebe von Ratten zeigte
sich, dass es über 24 Stunden bis zur Reaktivierung der carbamylierten AChE
dauert (45).
3.2.16
Rivastigmin - Pharmakokinetik
Rivastigmin wird nach oraler Aufnahme rasch und fast vollständig resorbiert
(35,45). Die maximale Plasmakonzentration wird bereits etwa eine Stunde nach
Einnahme erreicht. Die Einnahme zusammen mit einer Mahlzeit verzögert die
Resorption und das Erreichen der maximalen Plasmakonzentration um etwa 90
Minuten und verringert die maximale Plasmakonzentration um etwa 30% (35).
29
Durch die verringerte maximale Plasmakonzentration sinkt das Risiko von
Nebenwirkungen, insbesondere von gastrointestinalen Nebenwirkungen wie
Übelkeit und Erbrechen, weswegen empfohlen wird, Rivastigmin zusammen mit
einer Mahlzeit einzunehmen (35,45).
Nach der Resorption unterliegt Rivastigmin einem starken First-Pass Effekt, so
dass die Bioverfügbarkeit nur bei etwa 36 % (± 13%) liegt. Im Plasma liegt
Rivastigmin zu 40% an Plasmaproteine gebunden vor und besitzt eine
Halbwertszeit von etwa einer Stunde. Trotz der relativ kurzen Halbwertszeit hemmt
Rivastigmin die AChE für neun Stunden, so dass eine zweimalige Einnahme am
Tag ausreichend ist (35). Bei Patienten / Patientinnen mit einer Demenz vom
Alzheimer-Typ verlängert sich die Hemmung der AChE gegenüber gesunden
Menschen auf etwa 12 Stunden. Ein Kumulationsgleichgewicht wird bereits nach
Einnahme der zweiten Dosis erreicht (45).
Die Metabolisierung erfolgt sowohl peripher als auch zentral vorwiegend über eine
durch
die
Cholinesterasen
vermittelte
Hydrolyse.
Das
Cytochrom
P450
Isoenzymsystem ist im Gegensatz zum Abbau von Donepezil und Galantamin am
Abbau von Rivastigmin nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil beteiligt (35,45).
Der erste Schritt des Abbaus ist die durch Cholinesterase vermittelte Hydrolyse
unter Bildung des decarbamylierten Metaboliten. Darauf folgt entweder eine NDemethylierung, eine Sulfat-Konjugation oder beides. Der erste Metabolit besitzt
nur noch eine minimale hemmende Wirkung auf die AChE (etwa 10% des
ursprünglichen Medikamentes). Die Ausscheidung erfolgt nach Metabolisierung
fast ausschließlich renal, im Stuhl ist weniger als 1% der ursprünglich
verabreichten Dosis nachweisbar (35,45).
Transdermale Pflaster
Wie bereits erwähnt sind von Rivastigmin neben den oralen Zubereitungen seit
2007 auch transdermale Pflaster auf dem Markt. Die Pflaster können für 24
Stunden auf der Haut bleiben und geben in dieser Zeit die Hälfte Ihres Wirkstoffes
in die Blutbahn des Patienten ab. Ein Pflaster mit 18mg Rivastigmin setzt etwa
9,5mg in 24 Stunden frei, was aufgrund des nicht vorhandenen First-Pass Effekts
einer oralen Einnahme von 12mg/Tag entspricht. Ein wesentlicher Vorteil der
transdermalen
Gabe
gegenüber
der
oralen
Gabe
ist
die
Reduzierung
gastrointestinaler Nebenwirkungen, insbesondere Übelkeit und Erbrechen. Dies
30
lässt sich durch eine später erreichte und vor allem deutlich niedrigere maximale
Plasmakonzentration erklären. So wird bei der transdermalen Gabe die maximale
Plasmakonzentration erst nach 8 Stunden erreicht und ist um 70% niedriger als
bei oraler Einnahme (44).
3.2.17
Galantamin – Allgemeines
Bei Galantamin handelt es sich um ein ursprünglich aus der Zwiebel des
Woronow-Schneeglöckchens (Galanthus woronowii) isoliertes, inzwischen jedoch
synthetisch gewonnenes, tertiäres Alkaloid.
Neben seiner selektiven, hemmenden Wirkung auf die Acetylcholinesterase wirkt
es, als einziges Präparat, auch modulierend auf nikotinische AcetylcholinRezeptoren und verstärkt dadurch die Wirkung des ACh auf diese Rezeptoren
(46).
3.2.18
Galantamin - Wirkmechanismus
Beim Galantamin lassen sich zwei Wirkmechanismen unterscheiden. Zum einen
die Hemmung der Acetylcholinesterase, zum anderen ein modulierender Effekt auf
nikotinische Acetylcholinrezeptoren (46).
Galantamin konkurriert am aktiven Zentrum der AChE um die Bindung von
Acetylcholin. Es bewirkt so eine selektive, kompetitive und reversible Hemmung
31
der AChE (36,46). In in-vitro Versuchen zeigte sich, dass die hemmende Wirkung
von Galantamin auf die AChE etwa 53-mal stärker war als auf die BuChE. Dies
führt wiederum zu einer besseren Verträglichkeit des Medikaments im Vergleich zu
weniger selektiven Hemmstoffen (46).
Darüber hinaus wirkt Galantamin modulierend auf nikotinische ACh-Rezeptoren im
Gehirn (46). Bei diesen Rezeptoren handelt es sich Transmembranrezeptoren,
welche als ligandengesteuerte Ionenkanäle fungieren. Der Rezeptor ist aus vier
verschiedenen Untereinheiten aufgebaut (α, β, γ und δ), wobei die Peptidkette der
α-Untereinheit die Bindungsstelle für das Acetylcholin darstellt (30). nAChRezeptoren sind unter anderem an der Funktion des Langzeitgedächtnisses
beteiligt,
eine Abnahme
der
Rezeptoren
führt
zu
einer Abnahme
der
Gedächtnisleistung und der Aufmerksamkeit (47,48). Seit längerem ist bekannt,
dass es bei an einer Demenz vom Alzheimer-Typ erkrankten Patienten /
Patientinnen zu einer Abnahme der nACh-Rezeptoren im Gehirn kommt (46–49),
und es konnte gezeigt werden, dass der Verlust dieser Rezeptoren mit der Stärke
der kognitiven Beeinträchtigung der Erkrankten korreliert (47). Besonders gut
untersucht und pharmakologisch interessant im Rahmen der AlzheimerErkrankung ist die vor allem im Hippocampus und präfrontalen Kortex
vorkommende
α7-Isoform
des
Rezeptors
(49).
Präsynaptische
α7-nACh-
Rezeptoren sind an der Ausschüttung anderer Neurotransmitter beteiligt,
postsynaptische α7-nACh-Rezeptoren lösen über die Bildung von secondmessenger
Molekülen
unter
anderem
Signalwege
aus,
die
an
der
Gedächtnisfunktion beteiligt sind, sowie neuroprotektive Wirkung besitzen (48,49).
Galantamin ist in seiner Wirkung nicht selektiv für α7-nACh-Rezeptoren, es wirkt
aber auch auf diese. Dieser zweite Wirkmechanismus könnte insbesondere in der
Kombination mit dem NMDA-Rezeptorantagonisten Memantin von Interesse sein
(50).
3.2.19
Galantamin – Pharmakokinetik
Auch Galantamin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert. Die maximale
Plasmakonzentration wird nach 0,9 bis 2,0 Stunden erreicht. Die Bioverfügbarkeit
des Wirkstoffes ist hoch. Die Einnahme zusammen mit einer Mahlzeit verlangsamt
die Resorption deutlich, so dass sich die Zeit bis zum Erreichen der maximalen
Plasmakonzentration verdoppelt. Die Plasmabindung ist mit etwa 18 % gering,
32
und die Halbwertszeit mit etwa 7 Stunden kurz (46). Galantamin wird auf
mehreren Wegen metabolisiert, wobei der primäre Weg das Cytochrom P450
Isoenzymsystem in der Leber darstellt (36,46), hiervon vor allem die Isoenzyme
CYP2D6 und CYP3A4 (36). Zu den Metaboliten von Galantamin zählen
Norgalantamin,
O-Desmethyl-galantamin,
O-Desmethyl-norgalantamin,
Epigalantamin und Galantaminone (46). In in-vitro Studien besitzen einige dieser
Metaboliten ebenfalls eine hemmende Wirkung auf die AChE, welche jedoch in
vivo keine weitere Bedeutung besitzt (36,46).
18-22 % des verabreichten Wirkstoffs wurden in Untersuchungen unverändert
über die Niere ausgeschieden und konnten innerhalb von 24 Stunden nach
Verabreichung im Urin nachgewiesen werden. Bei Untersuchungen mit 4mg
radioaktiv markiertem Galantamin konnte der überwiegende Anteil (90-97%) der
verabreichten Radioaktivität innerhalb von 7 Tagen im Urin und nur ein geringer
Anteil (2.2%-6.3%) im Stuhl nachgewiesen werden (36). Die Ausscheidung von
Galantamin und seinen Metaboliten scheint demnach vorwiegend renal zu
erfolgen.
Galantamin retardierte Tabletten
Neben Tabletten mit sofortiger Wirkstofffreisetzung existieren vom Galantamin
auch retardierte Tabletten mit dem Vorteil, dass trotz der kurzen Halbwertszeit des
Wirkstoffs eine Einnahme einmal am Tag ausreichend ist.
Nach Gabe der retardierten Tabletten wird die maximale Plasmakonzentration
nach ca. 4,4 Stunden erreicht und ist um 24 % erniedrigt im Vergleich zur
Einnahme nichtretardierter Tabletten. Die AUC ist bioäquivalent (36).
33
3.2.20
Studien
J. Grimley Evans et al. veröffentlichten 2004 im International Journal of
Neuropsychopharmacology unter dem Titel „Evidence-based pharmacotherapy of
Alzheimer's disease“ einen Review, in dem unter anderem die Wirksamkeit der
AChE-Hemmer anhand der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Studien evaluiert
wurde.
In der Auswertung beachtet wurden 32 Placebo-kontrollierte, randomisierte
Studien. Eingeschlossen in die Studien wurden Patienten / Patientinnen, die an
einer Demenz vom Alzheimer-Typ gemäß der NINCDS-ADRA Kriterien erkrankt
waren. Bis auf zwei Studien betrachteten alle dabei lediglich Patienten /
Patientinnen, die an einer milden bis moderaten Form der Erkrankung erkrankt
waren (das entspricht einem Punktewert von 10 oder 11 bis 24 oder 26 im MMSE).
Die Autoren geben hierfür als Gründe an, dass zum einen diese Patientengruppe
vermutlich den größten Nutzen von der Therapie habe, zum anderen existieren bei
Patienten im schweren Stadium der Erkrankung ethische Schwierigkeiten, die aus
der
Unmöglichkeit
einer
ausreichenden
Aufklärung
bei
der
Gabe
von
Medikamenten mit dem Risiko von Nebenwirkungen resultieren. Die allermeisten
Studien betrachten die Wirksamkeit des jeweiligen AchE-Hemmers in Bezug auf
die weitere Abnahme bzw. Verbesserung der kognitiven Funktion. Der
Beobachtungszeitraum ist mit 3-6 Monaten jedoch in den meisten durchgeführten
Studien relativ kurz (51).
Im
Review
wurden
die
Daten
aller
relevanten
Studien
mit
einem
Beobachtungszeitraum von 6 Monaten gepoolt.
34
Tabelle 2: Übersicht über die Wirksamkeit der AChE Hemmer aus (51)
Wie der Tabelle 2 zu entnehmen ist, gab es bei Betrachtung des ADAS-Cog einen
signifikanten Vorteil für die Therapie mit AChE-Hemmern bei allen drei Präparaten.
Bei der Verwendung des MMST als Messinstrument zeigte sich für Donepezil und
Rivastigmin
ebenfalls
ein
signifikanter
Nutzen.
In
den
mit
Galantamin
durchgeführten Studien wurde der MMST nicht erhoben. Die DAD-Skala
(Dissability Assesment for Dementia scale) wurde in einer Studie mit Donepezil
und in zwei Studien mit Galantamin erhoben. Hier fand sich eine signifikante
Besserung nur für die Anwendung von Donepezil. Ein ähnliches Ergebnis lieferte
die in jeweils einer Studie verwendete NPI (Neuropsychiatric Inventory). Auch hier
konnte lediglich für die Gabe von Donepezil eine signifikante Besserung gezeigt
werden nicht aber für die Anwendung von Galantamin.
Die Autoren betonen, dass sich aus diesen Daten keine Empfehlung für ein
bestimmtes Präparat ableiten lasse, da alle Präparate ähnliche Daten liefern und
das Studiendesign nicht darauf abzielte, einen Vergleich zu den anderen
Präparaten zu liefern. Daten hierfür könnten nur aus direkten Vergleichsstudien
kommen. Zwei kleine Vergleichstudien (Bullock et al. (2001) und Passmore et al.
(2002)) hätten Donepezil mit Rivastigmin (Bullock et al.) sowie Donepezil mit
Galantamin (Passmore et al.) verglichen und waren zu dem Ergebnis gekommen,
dass Donepezil den anderen beiden Präparaten im Hinblick auf die Einfachheit der
Nutzung und dem Auftreten gastrointestinaler Nebenwirkungen überlegen wäre,
35
jedoch nicht in Bezug auf die kognitive Funktion sowie auf Aktivitäten des
täglichen Lebens (ADL) (51).
Winblad et al. (2006) führten in Schweden eine Studie mit 248 Patienten /
Patientinnen, die an einer Demenz vom Alzheimer-Typ im schweren Stadium litten
(MMST 1-10), durch. Ziel war es, die Effektivität von Donepezil bei Patienten /
Patientinnen im schweren Stadium der Alzheimer Demenz zu beurteilen,
insbesondere in Hinblick auf die Kognition sowie auf Aktivitäten des täglichen
Lebens. Von 128 Patienten / Patientinnen in der Verumgruppe beendeten 95
Patienten / Patientinnen den Beobachtungszeitraum von 6 Monaten. Nach 6
Monaten zeigte sich eine statistisch signifikante Verbesserung im SIB (Severe
Impairment Battery) und eine geringere Abnahme im ADCS-ADL-severe
gegenüber der Placebogruppe (52).
Kontrovers diskutiert wurden die Ergebnisse der AD2000 Studie. Hierbei handelte
es sich um die erste Studie zur Langzeitwirkung von Donepezil bei der Demenz
vom Alzheimer-Typ. Zu Beginn nahmen 565 Patienten / Patientinnen an einer 12
wöchigen „run-in“ Phase teil. Anschließend wurden die 486 Patienten /
Patientinnen, die diese Phase abgeschlossen hatten, in eine Verumgruppe und
eine Placebogruppe randomisiert. Primäre Endpunkte der Studie waren die
Einweisung in eine Pflegeeinrichtung oder der Verlust von zwei Basisfähigkeiten
oder von 6 instrumentellen Fähigkeiten auf der BADLS (Bristol Activities of Daily
Living Scale). In der Studie zeigte sich, dass es keinen signifikanten Unterschied
in der Dauer bis zur Aufnahme in eine Pflegeeinrichtung und keinen signifikanten
Unterschied im Hinblick auf den Verlust von instrumentellen Fähigkeiten und der
Zunahme von Behinderungen gab. Wie auch in anderen Studien zeigte sich
jedoch ein signifikanter Vorteil im Hinblick auf Kognition im MMST. Die Autoren
leiten daraus ab, dass Donepezil in der Studie für die Betroffenen keinen
relevanten Nutzen bringt (53). Kritikpunkte sind unter anderem die geringe Anzahl
an Teilnehmern / Teilnehmerinnen, so dass die statistische Power, um einen
signifikanten und relevanten Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe zu
erkennen, gering ist. Die Gültigkeit der Ergebnisse der Studie wurde daher in
Frage gestellt (54).
36
3.3 NMDA-Rezeptor Antagonist
Neben den verschiedenen Wirkstoffen aus der Gruppe der AChE-Hemmer wird
auch der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin in der pharmakologischen
Therapie der Demenz vom Alzheimer-Typ eingesetzt. NMDA-Rezeptoren stellen
eine Untergruppe der Glutamat-Rezeptoren im ZNS da.
3.3.1 Der Neurotransmitter Glutamat
Die
Aminosäure
Glutamat
zählt
wie
das
Amin
Acetylcholin
zu
den
Neurotransmittern, wobei L-Glutamat der wichtigste erregende Neurotransmitter
im ZNS ist (30). Bereits um 1950 wurde von Hayashi die Vermutung aufgestellt,
dass L-Glutamat ein wichtiger Neurotransmitter im ZNS sein könnte (55). Er hatte
in Versuchen an Menschen, Affen und Hunden Glutamat in die graue Substanz
des Kortex injiziert und dadurch klonische Krämpfe ausgelöst (55,56). 1959 konnte
durch Curtis und seine Kollegen Phillis und Watkins gezeigt werden, dass LGlutamat zur Depolarisation von Neuronen führt. Bis zur allgemeinen Akzeptanz
von L-Glutamat als exzitatorischem Neurotransmitter vergingen jedoch noch viele
weitere Jahre (57).
Glutamat gehört zu den nicht-essentiellen Aminosäuren und kann nach der
Aufnahme mit der Nahrung die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden (56). Daher
muss Glutamat, um als Neurotransmitter zu wirken, in den Neuronen synthetisiert
werden. Die Synthese erfolgt zum einem durch Transaminierung von aus dem
Zitratzyklus gewonnenem α-Ketoglutarat, zum anderen wird Glutamat über den
Glutamat-Glutamin-Kreislauf wiedergewonnen (30,41). Glutamat wird nach der
Freisetzung im synaptischen Spalt durch natriumabhängige Glutamattransporter
zu einem kleinen Teil zurück in das Neuron transportiert und zu einem großen Teil
in umliegende Gliazellen. In diesen wird mithilfe der Glutaminsynthetase Glutamat
und Ammoniak zu Glutamin umgesetzt. Glutamin wird anschließend von den
Gliazellen wieder freigesetzt und kann von den Neuronen aufgenommen werden.
Durch die mitochondriale Glutaminase wird dort das Glutamin wieder desaminiert,
und es entsteht erneut Glutamat, welches in Vesikeln verpackt wieder als
Neurotransmitter zur Verfügung steht. Neben seiner Wirkung als erregender
Neurotransmitter ist Glutamat auch Ausgangsstoff für die Synthese des
hemmenden Neurotransmitters γ-Aminobutyrat (30).
37
3.3.2 Glutamatrezeptoren
Glutamatrezeptoren können in metabotrope und ionotrope Glutamatrezeptoren
unterteilt werden. Aufgrund ihrer Eigenschaften kann man diese beiden
Rezeptorarten in jeweils drei Untergruppen unterteilen (56). Die G-Protein
gekoppelten Rezeptoren haben in der Therapie der Demenz vom Alzheimer-Typ
zurzeit keine Bedeutung, so dass hier nur die ionotropen Glutamatrezeptoren
weiter betracht werden. Diese werden, wie bereits erwähnt, in drei Untergruppen
unterteilt, welche aufgrund der Bindung selektiver Agonisten als NMDA-, AMPAund Kainat-Rezeptoren bezeichnet werden (30,58). Ebenfalls zu den ionotropen
Glutamatrezeptoren
vorkommenden
gehören
die
delta-Rezeptoren.
fast
ausschließlich
an
Purkinje-Zellen
Diese
Rezeptoren
binden
jedoch
kein
Glutamat, und ob sie tatsächlich als Ionenkanal fungieren, ist ebenfalls nicht
abschließend geklärt, da bisher kein den Kanal öffnender Agonist gefunden wurde.
Allerdings zeigten Ady et. al. (2014), dass die Öffnung dieses Rezeptors durch
Typ-1-metabotrope Glutamatrezeptoren getriggert werden kann und somit
zumindest indirekt durch Glutamat beeinflusst werden kann (59). In der Therapie
der Demenz vom Alzheimer-Typ sind jedoch aktuell nur die NMDA-Rezeptoren
von Interesse, weshalb hier auf diese noch etwas genauer eingegangen werden
soll.
3.3.3 NMDA-Rezeptoren
Die NMDA-Rezeptoren, aus der Gruppe der ionotropen Glutamatrezeptoren,
besitzen ihren Namen daher, dass sie außer durch Glutamat selektiv auch durch
N-Methyl-D-Aspartat
geöffnet
werden.
Sie
kommen
vorwiegend
an
der
postsynaptischen Membran (58) vor und sind aus je vier Untereinheiten aufgebaut
(30), wobei sieben verschiedene Gene für die Untereinheiten kodieren (60). Es
existieren also innerhalb der NMDA-Rezeptoren noch einige unterschiedliche
Subtypen, wodurch eine höhere Anzahl an Regulationsmöglichkeiten erreicht wird
(58). Die verschiedenen ionotropen Glutamatrezeptoren unterscheiden sich in der
Geschwindigkeit des Einstroms von Na +-Ionen und Ca2+-Ionen. So erfolgt der Na+Einstrom beim NMDA-Rezeptor langsam und langfristig, beim AMPA-Rezeptortyp
jedoch schnell (61). Darüber hinaus erlaubt der aktivierte NMDA-Rezeptor einen
höheren
Ca2+-Einstrom
als
andere
Rezeptoren
(58).
Ca2+
wirkt
im
38
postsynaptischen Neuron als second-messenger und kann so komplexere
Zellfunktionen langfristiger beeinflussen. Solange der Rezeptor nicht aktiviert ist,
wird dieser von Mg2+-Ionen blockiert. Diese Blockade ist spannungsabhängig. Die
postsynaptische Membran muss also, bevor eine Aktivierung des NMDARezeptors überhaupt möglich ist, vordepolarisiert sein. Dies kann z.B. durch den
Einstrom von Na+-Ionen nach Aktivierung der AMPA-Rezeptoren durch Glutamat
erfolgen.
Eine wichtige Rolle spielen NMDA-Rezeptoren unter anderem im Gedächtnis. Im
Tierversuch wurden die NMDA-Rezeptoren von Mäusen so modifiziert, dass diese
länger aktiv bleiben. Es zeigte sich, dass die Mäuse mit modifizierten Rezeptoren
schneller lernen und sich im Labyrinth besser zurechtfinden. Es wird davon
ausgegangen, dass eine geringe Stimulation zu einer Aktivierung postsynaptischer
AMPA-Rezeptoren führt, welches zum Auslösen eines einfachen Aktionspotentials
im postsynaptischen Neuron führt. Kommt es jedoch zur wiederholten,
hochfrequenten oder starken Stimulation, wird das Mg 2+-Ion vom postsynaptischen
NMDA-Rezeptor entfernt, und es werden ebenfalls die NMDA-Rezeptoren aktiviert
(61). Durch den in der Folge auftretenden Ca 2+-Einstrom kommt es zur Aktivierung
der beiden Proteinkinasen Proteinkinase C und der Calcium-Calmodulinabhängigen Proteinkinase II. Diese führen, nach derzeitiger Erkenntnis, über
mehrere Wege zu einer erhöhten Sensibilisierung der postsynaptischen Membran
für
weitere
eintreffende
Informationen.
Zum
einen
wird
durch
eine
Phosphorylierung der AMPA-Rezeptoren deren Empfindlichkeit erhöht, zum
anderen wird die Anzahl an AMPA-Rezeptoren in der postsynaptischen Membran
erhöht. Darüber hinaus kommt es zur Bildung neuer dendritischer Dornfortsätze,
die neue Synapsen ausbilden können (28). Diese Veränderungen sind länger
andauernd, in Tierversuchen bis zu lebenslang, und sind auch unter dem Begriff
Langzeit-Potenzierung bekannt (28,61).
3.3.4 NMDA-Rezeptoren und Alzheimer-Demenz
Eine Überstimulation oder eine dauerhafte, schwache Erregung der NMDARezeptoren führt zu einem dauerhaften, pathologischen Ca 2+-Einstrom in das
Neuron. Diese länger andauernde Ca 2+-Überladung der Nervenzelle führt in der
Folge zuerst zu einem Verlust der Funktion der Synapse und schließlich zum
Absterben der Nervenzelle.
39
Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ kommt es unter anderem ebenfalls zu einer
pathologischen Aktivierung von NMDA-Rezeptoren. Memantin als NMDARezeptorantagonist greift an dieser Stelle an. Der genaue Mechanismus, durch
den es zur erhöhten Aktivität der NMDA-Rezeptoren im Rahmen der Demenz vom
Alzheimer-Typ kommt, ist noch unbekannt. Bekannt ist, dass lösliche Aβ-Formen
mit verschiedenen Proteinen interagieren, unter anderem auch mit NMDARezeptoren sowie mit Transportproteinen, die an der Aufnahme / Freisetzung von
Glutamat beteiligt sind. Danysz et al. stellen in einem 2012 veröffentlichten Review
die aktuellen Erkenntnisse bezüglich der Veränderungen im glutamergen System
sowie die Beeinflussung durch Aβ dar (62).
Bekannt ist, dass es bei Patienten / Patientinnen, die an einer Demenz vom
Alzheimer-Typ erkrankt sind, zu einer Reduzierung bzw. zu veränderten Varianten
mit einer reduzierten Funktion der Glutamat-Transporterproteine kommt. Neben
Glutamat können jedoch auch andere Stoffe als Agonisten an den Rezeptoren
wirken, welche im Rahmen der Alzheimer-Erkrankung ebenfalls erhöht sind. Ein
Beispiel ist die Aminosäure Homocystein, welche aufgrund von Veränderungen im
Folsäurezyklus erhöht ist, und die unter anderem als Agonist am NMDA Rezeptor
wirkt (62).
Auf Seiten des Rezeptors ist eine der wichtigsten Veränderungen, die bei
chronischen Krankheiten wie der Alzheimer-Erkrankung entstehen können, eine
Veränderung des Ruhepotentials der Membran. In Folge der Veränderung des
Ruhepotentials kann es zu einer Entfernung des Mg 2+-Ions kommen, welches
normalerweise den Rezeptor spannungsabhängig blockiert, dies führt zu einer
Sensibilisierung des Rezeptors. Die Sensitivität des Rezeptors kann aber auch
durch andere Faktoren erhöht werden. So erhöhen z.B. endogene Polyamine, z.B.
Spermine, die Sensitivität von NMDA-Rezeptoren mit NR2B Untereinheit. Aber
auch die Abnahme der Anzahl an Rezeptoren, wie sie bei der Demenz vom
Alzheimer-Typ vorkommt, führt als Kompensationsmechanismus zu einer
Steigerung der Sensitivität der verbleibenden Rezeptoren. Eventuell spielen
darüber hinaus auch die Co-Agonisten Glycin und D-Serin eine Rolle im Ausmaß
der durch NMDA-Rezeptoren vermittelten Neurotoxizität (62).
Studien lassen die Vermutung zu, dass auch Aβ selber einen stimulierenden
Einfluss auf den NMDA-Rezeptor sowie, durch eine Hemmung bzw. Umkehr der
Glutamat
Re-Uptake-Mechanismen,
auf
die
Glutamat-Konzentration
im
40
synaptischen Spalt besitzt. Allerdings sind die Versuche hierzu häufig mit relativ
hohen Aβ-Konzentrationen durchgeführt worden, so dass eine Aussage über invivo ablaufende Prozesse schwierig ist (62).
3.3.5 Memantin – Allgemeines
Abbildung 6: Chemische Struktur
von Memantin, aus (102)
Memantin ist der einzige derzeit in der Behandlung der Demenz vom AlzheimerTyp zugelassene NMDA-Rezeptorantagonist, und wird zur Therapie im moderaten
bis schweren Stadium der Erkrankung eingesetzt (38). Der Gedanke ist, der bei
der Alzheimer-Erkrankung auftretenden Daueraktivierung / Sensibilisierung der
NMDA-Rezeptoren entgegenzuwirken. Memantin wirkt, ähnlich wie im gesunden
Gehirn Mg2+, als stark spannungsabhängiger Antagonist am Rezeptor. Die Folge
ist, dass vor allem starke physiologische Signale zu einer Aktivierung des
Rezeptors führen (62).
3.3.6 Memantin – Indikation
Zugelassen ist Memantin zur Behandlung im moderaten bis schweren Stadium der
Demenz vom Alzheimer-Typ (entsprechend im MMST einem Wert von 0-19
Punkten) (63). Allerdings gibt es für Patienten / Patientinnen, die bereits einen
AChE-Hemmer erhalten und sich im moderaten Stadium der Demenz vom
Alzheimer-Typ befinden, keine überzeugende Evidenz für den zusätzlichen Nutzen
von Memantin, so dass in den aktuellen Leitlinien der Einsatz von Memantin bei
dieser Patientengruppe nur empfohlen wird, wenn der Einsatz eines AChEHemmers nicht möglich ist bzw. dieser nicht vertragen wird. Eine Add-on
41
Behandlung mit Memantin, zusätzlich zu einem AChE-Hemmer, wird nicht
empfohlen. Anders sieht dies bei Patienten / Patientinnen aus, die sich im
schweren Stadium der Demenz vom Alzheimer-Typ befinden. Für diese
Patienten / Patientinnen ist Memantin das einzige in Europa zugelassene
Präparat. Bei diesen Patienten / Patentinnen kann die zusätzliche Gabe von
Memantin selbst dann erwogen werden wenn im Rahmen eines Off-Label-Use
bereits ein AChE-Hemmer weitergegeben wird (21).
3.3.7 Memantin - Wirkmechanismus
Memantin wirkt als nicht-kompetetiver Antagonist am NMDA-Rezeptor. Dabei
besitzt es eine hohe Spannungsabhängigkeit und die Fähigkeit, den Rezeptor
schnell wieder freizugeben. Es wirkt damit ähnlich dem Mg 2+-Ion, welches im
gesunden Gehirn den NMDA-Rezeptor blockiert. Ein pathologischer Ca 2+-Einfluss
aufgrund einer Daueraktivierung des Rezeptors / einer erhöhten Sensitivität des
Rezeptors und erhöhter Glutamat-Konzentration soll hierdurch verhindert werden.
Physiologische, hochfrequente Aktionspotentiale, die normalerweise zu einer
Aktivierung des Rezeptors führen, verdrängen jedoch Memantin und können
weiterhin zu einer Öffnung des Ionenkanals führen (62,63). Neben diesen
Effekten, die zu einer vorübergehenden Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten
führen, wird auch diskutiert, ob Memantin zusätzlich einen langfristigen
neuroprotektiven Effekt bei verschiedenen neuronalen Erkrankungen besitzt (62).
3.3.8 Memantin - Pharmakokinetik
Memantin
wird
nach
oraler
Aufnahme
fast
vollständig
resorbiert.
Die
Bioverfügbarkeit liegt bei annähernd 100%. Die Nahrungsaufnahme beeinflusst
die Resorption nicht. Die maximale Plasmakonzentration wird nach 3-8 Stunden
erreicht. Memantin liegt im Plasma zu etwa 45% an Plasmaproteine gebunden vor
(63). Der größte Teil des resorbierten Memantin wird unmetabolisiert wieder
ausgeschieden (37). Die Metabolisierung des restlichen Teils erfolgt nicht über das
P450-Isoenzymsystem. Zu den bekannten Metaboliten gehören N-3,5-DimethylGludantan, die beiden Isoformen 4- und 6-Hydroxy-Memantin sowie 1-Nitroso-3,5Dimethyl-Adamantan. Keiner dieser Metaboliten besitzt eine pharmakologische
Wirkung auf den NMDA-Rezeptor. Die fast vollständig renal erfolgende
42
Ausscheidung wird vermindert durch einen alkalischen Urin, wie er z.B. bei
übermäßigem Gebrauch von Säureblockern auftreten kann (63).
3.3.9 Memantin - Wechselwirkungen
Obwohl Memantin keine Wirkung auf das P450-Isoenzym System hat und daher
Wechselwirkungen
aufgrund
der
Metabolisierung
anderer
Medikamente
unwahrscheinlich sind, treten doch aufgrund der Wirkung am NMDA-Rezeptor
sowie der Ausscheidung Wechselwirkungen mit einigen anderen Präparaten auf.
So
besteht
die
Gefahr
einer
Wirkungsverstärkung
von
Neuroleptika,
Anticholinergika, Levodopa, dopaminergen Agonisten sowie anderen NMDARezeptor-Antagonisten wie Amantadin (37,63).
Zu erhöhten Plasmaspiegeln kann es ebenfalls bei Kombination mit Wirkstoffen
kommen, die das gleiche renale Kationentransportsystem wie Amantadin nutzen.
Dies sind zum Beispiel Ranitidin und Nicotin. In Kombination mit dem Diuretikum
Hydrochlorothiazid kann es zu einer Abnahme von dessen Plasmaspiegel
kommen. Zu Änderungen der Wirksamkeit kommt es ebenfalls bei Baclofen. Hier
ist ggf. eine Anpassung der Dosierung notwendig (63).
Bei gemeinsamer Anwendung von Memantin und anderen NMDA-Antagonisten
wie Ketamin, Amantadin und Dextromethorphan sowie dem Antikonvulsivum
Phenytoin besteht die Gefahr des Auftretens pharmakotoxischer Psychosen. Eine
Kombination der Präparate sollte daher vermieden werden. Kein kausaler
Zusammenhang ist bekannt weshalb es unter Kombination von Memantin mit
Warfarin zu einer Erhöhung des INR-Wertes kommen sollte. Trotzdem gibt es
Berichte hierüber. Der Hersteller empfiehlt in der Kombination eine engmaschige
Kontrolle des INR oder der Prothrombinzeit (63).
3.3.10
Memantin - Nebenwirkungen
Insgesamt treten in Studien Nebenwirkungen unter Memantin nicht häufiger auf
als in der Placebogruppe. Dabei sind die auftretenden Nebenwirkungen in einem
Großteil der Fälle nur leicht bis mittelschwer. Zu den häufigsten, und im Vergleich
zur Placebogruppe signifikant erhöhten Nebenwirkungen, zählen Schwindel,
Kopfschmerzen, Verstopfung, Schläfrigkeit und erhöhter Blutdruck. Weitere
bekannte Nebenwirkungen umfassen Überempfindlichkeitsreaktionen gegen das
43
Arzneimittel, Dyspnoe, erhöhte Leberwerte sowie gelegentlich Verwirrtheit,
Halluzinationen, Pilzinfektionen, Störungen des Gangbildes, Herzinsuffizienz,
Thrombosen und Erbrechen. In sehr seltenen Fällen kann es darüber hinaus zu
Krampfanfällen kommen (63).
3.3.10.1
Memantin – Studien
In den vor der Zulassung durchgeführten grundlegenden Monotherapiestudien bei
Patienten / Patientinnen im moderaten bis schweren Stadium der Demenz vom
Alzheimer-Typ (MMST 3-14 Punkte) zeigte sich im Beobachtungszeitraum von 6
Monaten eine Verbesserung im CIBIC-plus, ADCS-ADLsev sowie in der SIB. Bei
Patienten / Patientinnen, die sich im leichten bis moderaten Stadium der Demenz
vom Alzheimer-Typ befanden (MMST 10-22 Punkte), zeigte sich ebenfalls eine
signifikante Verbesserung im ADAScog und CIBIC-plus nach 24 Wochen. Eine
andere
Studie
zeigte
in
dieser
Patientengruppe,
nach
einem
Beobachtungszeitraum von 24 Wochen, jedoch keinen signifikanten Unterschied
zur Placebogruppe (63).
Howard et al. veröffentlichten 2012 eine Studie mit 295 Patienten / Patientinnen,
welche mindestens in den vergangenen drei Monaten eine Therapie mit Donepezil
erhalten hatten und sich im moderaten bis schweren Stadium der Demenz vom
Alzheimer-Typ befanden (MMST 5–13 Punkte). Diese wurden in vier Gruppen
randomisiert. Eine Gruppe erhielt weiterhin Donepezil, eine weitere nur Placebo,
die dritte nur Memantin, und die vierte Donepezil und Memantin. Sowohl für die
Patienten / Patientinnen die nur Donepezil erhielten, als auch für diejenigen,
welche nur Memantin erhielten, zeigte sich im Vergleich zur Placebogruppe nach
12 Monaten ein höherer Wert im MMST. Im Vergleich zur Abnahme der kognitiven
Fähigkeiten und Funktionen, die in allen vier Patientengruppen beobachtet wurde,
war die Verbesserung in den Therapiegruppen jedoch relativ gering. Auch die
kombinierte Gabe von Memantin und Donepezil zeigte keinen signifikanten Vorteil
gegenüber einer Monotherapie (64).
44
3.4 Ausblick
Da bis heute, wie bereits erwähnt, lediglich einige Medikamente, die zu einer
kurzfristigen Besserung der Symptomatik führen, verfügbar sind, jedoch keine, die
den Verlauf der Erkrankung stoppen oder auf lange Zeit verlangsamen können,
und wegen der hohen Anzahl an Betroffenen, wird stetig weiter nach neuen
Wirkstoffen geforscht. Dabei werden verschiedene Ansätze, wie passive oder
aktive Immuntherapie gegen Aβ-Ablagerungen, eine Reduzierung der AβProduktion durch β-Sekretasehemmer, Präparate, die die Aggregation von Tau
hemmen, Serotonin-Rezeptorantagonisten und einige weitere besonders verfolgt
und befinden sich zur Zeit zum Teil in klinischen Phase III Studien (65).
Sehr viele der Wirkstoffe, die es in der Vergangenheit bis in klinische Studien
geschafft haben, zeigten in diesen jedoch nicht den gewünschten Effekt. Eine von
Cummings et al. im Jahre 2014 veröffentlichte Studie über die im Zeitraum von
2002–2012 in klinischen Studien getesteten Präparate zeigte eine Erfolgsquote
von
gerade
einmal
0,4%,
und
damit
eine
der
niedrigsten
in
allen
Krankheitsgebieten (66). Auf die derzeit am stärksten verfolgten Therapieansätze,
mit dem Ziel den Verlauf der Krankheit zu verändern, soll hier im Folgenden noch
etwas genauer eingegangen werden.
3.4.1 Immuntherapie
Grundsätzlich kann zwischen einer aktiven und einer passiven Immuntherapie
unterschieden werden. Die aktive Immuntherapie besitzt gegenüber der passiven,
bei der die Antikörper in regelmäßigen Zeitabständen dem Patienten / der
Patientin verabreicht werden, jedoch den Nachteil, dass beim Auftreten von
Nebenwirkungen durch die gebildeten Antikörper eine Intervention kaum möglich
ist (67).
Als pharmakologischer Angriffspunkt im Rahmen der Immuntherapie gilt aktuell
vor allem das Aβ. Dabei existieren drei Theorien, wie die Anhäufung von AβPlaques im Gehirn verhindert werden kann:
1) Die Antikörper binden an die existierenden Aβ-Ablagerungen im Gehirn des
Patienten. An den Fc-Teil des Antikörpers des so entstandenen Antikörper45
Antigenkomplexes
binden
die
zum
mononukleären-phagozytären
System
gehörenden Mikrogliazellen. Es kommt zur Fc-vermittelten Phagozytose und damit
zum
Abbau
der
Aβ-Ablagerungen
sowie
zur
Freisetzung
von
Entzündungsmediatoren (68,69).
2) In Folge der Bildung von Antikörper-Antigenkomplexen im peripheren Blut
gelangt vermehrt Aβ aus dem Gehirn ins Blut, und die Bildung neuer AβAblagerungen wird verhindert. Es kommt zu einer Verschiebung des Aβ Blut-HirnGleichgewichtes und so zu einer vermehrten Entfernung löslicher Aβ-Formen aus
dem Gehirn (68).
3) Durch die Antikörper wird zwar nicht die vorhandene Menge an Aβ reduziert,
aber die Aggregation zu neuen Plaques verhindert (68).
3.4.1.1 Passive Immuntherapie
Erste Hinweise, dass die periphere Gabe von Antikörpern den Verlauf der
Erkrankung günstig beeinflussen könnte, veröffentlichten Bard et al. bereits im
Jahr 2000 (70). Sie verabreichten PDAPP-Mäusen, welche eine mutierte, mit der
Alzheimer-Erkrankung vergesellschaftete APP-Form produzieren, und die viele
pathologische Eigenschaften der Alzheimer Erkrankung zeigen, wöchentlich
Antikörper gegen Aβ für die Dauer von 6 Monaten. Nach 6 Monaten zeigte sich,
dass es unter der Gabe gewisser Antikörper zu einer Reduzierung der Aβ-Plaque
Belastung von über 80% gekommen ist im Vergleich zur Kontrollgruppe. In
weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass nicht nur das neue Entstehen von
Aβ-Plaques reduziert wird, sondern dass kleine, bereits vorhandene Plaques
sogar abgebaut werden (67,70). Der erfolgreichste Antikörper in diesen Versuchen
trug die Bezeichnung 3D6 und wurde anschließend in humanisierter Form unter
dem Namen Bapineuzumab in verschiedenen Phase II / Phase III Studien an
Patienten / Patientinnen mit einer Alzheimer-Erkrankung getestet (67). Der
Antikörper ist gegen das N-terminale Ende von Aβ gerichtet (71). Er bindet sowohl
an fibrilläre, oligomere und monomere Aβ-Formen (72). In zwei Phase III
Multicenter-, Placebo-kontrollierten Doppelblind-Studien, einer mit Apoε4-positiven
Patienten / Patientinnen und einer mit Apoε4-negativen Patienten / Patientinnen,
die sich im milden bis moderaten Stadium einer Demenz vom Alzheimer-Typ
46
(MMSE 16-26 Punkte) befanden, konnte nach 78 Wochen kein signifikanter Effekt
in den verschiedenen klinischen Skalen zur Messung der kognitiven Funktion
(ADAS-cog11, DAD, MMST, u. a.) gegenüber den Placebogruppen nachgewiesen
werden. In der Gruppe der Apoε4-positiven Patienten / Patientinnen konnte jedoch
eine Abnahme der Aβ-Plaques im PET-Scan nachgewiesen werden (71,72).
Aufgrund der fehlenden positiven Auswirkung auf die kognitive Leistung und dem
Auftreten von „amyloid-related imaging abnormalities“ (ARIA) mit Erguss oder
Ödem, insbesondere bei den Apoε4-positiven Patienten / Patientinnen (15,3%),
wurden die Studien 2012 gestoppt (67,72).
Auch weitere Antikörper konnten bisher in klinischen Studien nicht überzeugen.
Aktuell befinden sich die monoklonalen Antikörper Gantenerumab, Solanezumab
und Aducanumab in Phase III Studien (65).
Gantenerumab ist im Gegensatz zu Bapineuzumab und Solanezumab kein
humanisierter muriner Antikörper, sondern der erste vollständig humane Antikörper
gegen die Alzheimer-Erkankung, der sich in klinischer Erprobung befindet (67,73).
Gantenerumab bindet selektiv an aggregiertes Aβ, es erfolgt keine Interaktion mit
im Plasma vorhandenen löslichen Aβ-Formen. Die Bindung erfolgt zum einen an
das N-terminale Ende von Aβ, zum anderen an räumlich angrenzende, zentrale
Regionen des Peptides. Die Elimination erfolgt dann am ehesten durch Fcvermittelte Phagozytose durch Mikrogliazellen. In präklinischen Tierversuchen an
PS2APP-Mäusen konnte eine Reduzierung der Aβ-Plaques nachgewiesen
werden. Auch in der Phase I Studie an 16 Patienten / Patientinnen im leichten bis
moderaten Stadium der Demenz vom Alzheimer-Typ (MMST 16-26 Punkte) zeigte
sich eine dosisabhängige Reduzierung von Aβ (-15,6% bei 60mg / - 35,7% bei
200mg) im Vergleich zur Placebogruppe. Eine Verbesserung der kognitiven
Funktion auf den klinischen Skalen konnte jedoch in dieser kurzen Studie nicht
gezeigt werden. Zwei der sechs Patienten / Patientinnen aus der 200mg
Verumgruppe (beide Apoε4-Träger / Trägerinnen) zeigten allerdings nach der
zweiten bzw. vierten Gabe der Antikörper Auffälligkeiten im Sinne einer ARIA (73).
Eine in 2012 gestartete Phase III Studie mit Patienten / Patientinnen, die sich im
Prodromalstadium
einer
Demenz
vom
Alzheimer-Typ
befanden
(Einschlusskriterien waren ein MMST von 26 Punkten und höher, ein Wert von 0,5
im „Clinical Dementia Rating“, desweiteren eine verringerte Gedächtnisfunktion im
„Free and Cued Selective Reminding Test“ sowie ein positiver Befund im Amyloid
47
PET Scan), wurde Ende 2014 gestoppt, nachdem eine Zwischenanalyse keine
signifikante Wirkung der Therapie zeigte (74). In einer post-hoc Analyse wurde
jedoch ein dosisabhängiger Effekt auf der ADAScog und im MMST bei Patienten /
Patientinnen mit einem besonders schnellen Fortschreiten der Krankheit
festgestellt. Es wird diskutiert, ob eventuell die Dosis des verabreichten
Antikörpers zu gering war, wobei eine Erhöhung der Dosis auch eine Zunahme an
Nebenwirkungen bedeutet. Es wird diskutiert, eventuell neue Studien mit höherer
Dosis zu beginnen (75). Aktuell wird Gantenerumab im Rahmen der DIAN-TU
Studie sowie in zwei weiteren Phase III Studien zum einen mit Patienten /
Patientinnen im leichten Stadium der Alzheimer Demenz untersucht, zum anderen
wird die 2014 gestoppte Scarlet RoAD Studie mit Patienten / Patientinnen im
Prodromalstadium der Erkrankung als Open-Label-Studie zur Erforschung höherer
Wirkstoffdosen weitergeführt (74,76–78).
Bei Solanezumab handelt es sich wie bei Bapienezumab um einen humanisierten,
murinen Antikörper. Dieser richtet sich jedoch nicht wie die bereits erwähnten
Antikörper Bapienuzumab und Gantenerumab gegen fibrilläre Aβ-Ablagerungen im
Gehirn, sondern gegen neurotoxische, lösliche Aβ-Formen im Plasma und erhöht
damit die Aβ-Clearance, u. a. mit der Folge, dass die Bildung von Aβ-Plaques im
Gehirn abnimmt (67,79,80). In den beiden Phase III Studien EXPEDITION-1 /-2
mit 2052 Patienten / Patientinnen, die sich im milden bis moderaten Stadium der
Demenz
vom
Alzheimer-Typ
befanden,
zeigte
sich
keine
signifikante
Verbesserung des Outcomes auf der ADAS-Cog 11 bzw. der ADCS-ADL Skala. In
der
gepoolten
Betrachtung
der
Subgruppe
von
Studienteilnehmern
/
-teilnehmerinnen, die sich im milden Stadium der Alzheimer-Erkrankung befanden,
zeigte sich jedoch eine Verlangsamung der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten
im ADAS-Cog14 und MMST um 34% sowie im ADCS-iADL um 18% (67,79,80).
Dieses Ergebnis wäre mit einem den Krankheitsverlauf beeinflussenden Effekt
vereinbar (80), allerdings ist die Verbesserung nicht stärker als mit den bisher
zugelassenen Medikamenten (67). Mitte 2013 wurde daraufhin eine weitere Phase
III Studie mit 2100 Patienten / Patientinnen, die sich im milden Stadium der
Erkrankung befanden, gestartet. Die primäre Datenerhebung läuft bis Oktober
2016, so dass mit ersten Ergebnissen zum Ende des Jahres gerechnet wird
(80,81).
48
Aducanumab ist ebenfalls ein monoklonaler humaner Antikörper. Dieser Antikörper
ist selektiv für Aβ-Oligomere und Fibrillen (67,82,83), wobei er an parenchymale
Amyloidablagerungen bevorzugt vor vaskulären Amyloidablagerungen bindet (82).
Die Ergebnisse der 2012 gestarteten Phase II Studie PRIME, an der 166
Patienten / Patientinnen im Prodromal- oder milden Stadium der Demenz vom
Alzheimer-Typ teilnahmen, zeigte, dass Aducanumab die Blut-Hirn-Schranke
überwindet und zu einer dosisabhängigen Abnahme von Aβ führt (67,82,83).
Obwohl bereits nach 6 Monaten eine signifikante Abnahme der Aβ-Ablagerungen
im Gehirn nachweisbar war, war zu diesem Zeitpunkt keine Verbesserung
kognitiver Funktionen nachweisbar. Nach einem Beobachtungszeitraum von
einem Jahr zeigte sich jedoch in den Patienten / Patientinnen der Verumgruppe
eine Stabilisierung der Abnahme kognitiver Fähigkeiten im CDR-SB und im MMST.
Diese Ergebnisse müssen jedoch mit Vorsicht genossen werden, da es sich um
eine relative kleine Studie handelt, die vor allem das Ziel hatte, Daten über die
Sicherheit, Verträglichkeit und der Abnahme der Aβ-Ablagerungen im Gehirn zu
gewinnen (83).
3.4.1.2 Aktive Immuntherapie
Ein anderer Ansatz zur Therapie bzw. vor allem zur Prävention der Demenz vom
Alzheimer-Typ ist die aktive Immuntherapie. Natürlicherweise in jüngeren
Menschen vorkommende Antikörper gegen Aβ deuten darauf hin, dass in jüngeren
Jahren eine Immunität gegen die Demenz vom Alzheimer-Typ besteht, welche im
höheren Alter mit der generellen Abnahme der Funktion des Immunsystems
verloren geht. Wie auch bei Impfungen gegen andere Pathogene könnte es
einfacher sein, präventiv gegen die Erkrankung vorzugehen, als zu versuchen,
diese nach Entstehung durch eine aktive oder passive Immuntherapie zu heilen.
Der erste in klinischen Studien erprobte Impfstoff trug die Bezeichnung AN1792
und bestand aus Aβ1-42 als Immunogen so wie dem starken pro-inflammatorischen
Adjuvans QS-21 (84). In einer Phase II Studie entwickelten knapp 20% der
Teilnehmer / Teilnehmerinnen Antikörper nach Gabe des Impfstoffes und zeigten
signifikant bessere Ergebnisse in einigen Bereichen der NTB (85). Allerdings
entwickelten 6% der Teilnehmer / Teilnehmerinnen der Verumgruppe eine
Meningoencephalitis, was dazu führte, dass die Studie gestoppt wurde (67,84,85).
Vermutet wird, dass die schweren Nebenwirkungen des Impfstoffs durch das
49
Adjuvans QS-21 verursacht worden sind, welches zu einer starken Th1-Zellvermittelten Immunreaktion führte (84). Als Folge der Nebenwirkungen, die in den
Studien mit AN1732 auftraten, wurden in der nächsten Generation von Impfstoffen
die T-Zell-Epitope vom Aβ-Antigen entfernt (67,84). Aktuell befindet sich kein
Impfstoff zur aktiven Immunisierung gegen die Demenz vom Alzheimer-Typ in
Phase III Studien (65,86).
3.4.2 BACE-1 Hemmer
Wie bereits erwähnt, entsteht Aβ durch die Spaltung von APP mittels β-/γSekretasen. In einem ersten Schritt schneidet die β-Sekretase das APP auf der
extrazellulären Seite. Hierbei entsteht zum einen freies sAPPβ, und es verbleibt
ein als C99 bezeichneter, transmembranärer Anteil von APP zurück. Die
Schnittstelle bildet später das N-terminale Ende von Aβ. In einem weiteren Schritt
wird C99 durch eine γ-Sekretase geschnitten. Durch diesen Schritt wird schließlich
Aβ gebildet (87).
Bei der hauptsächlich im Gehirn vorkommenden β-Sekretase scheint es sich um
das „β-site amyloid precursor protein cleaving enzym 1“ (BACE-1) zu handeln. Ein
Ansatz zur Therapie der Alzheimer-Demenz ist daher die Hemmung der BACE-1
und somit die Reduktion der Bildung von Aβ. Ein strukturell ähnliches Enzym wird
als BACE-2 bezeichnet, scheint aber in-vivo keine Bedeutung bei der Bildung von
Aβ zu haben. Allerdings könnte es aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zur
BACE-1 bei der Hemmung der BACE-1 eventuell zu Nebenwirkungen kommen,
die aus der Hemmung der BACE-2 resultieren (87).
50
In Tierversuchen mit BACE-1 Knockout-Mäusen zeigten sich zuerst keine
Auffälligkeiten durch die Inaktivierung von BACE-1, was darauf hoffen ließ, dass
keine schweren Nebenwirkungen auftreten würden. Bei genauerer Betrachtung fiel
später jedoch auf, dass es zu verschiedenen neurologischen Veränderungen bei
den Mäusen kam, so dass zumindest mit dem Auftreten von Nebenwirkungen
gerechnet werden muss. In Hinblick auf die Wirksamkeit gegen Demenz vom
Alzheimer-Typ zeigte sich nach Kreuzung der BACE-1 Knockout-Mäuse mit APP
transgenen Mäusen, dass die Inaktivierung der BACE-1 die Ablagerung von Aβ
sowie den Verlust kognitiver Fähigkeiten verhindert (87).
Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Entwicklung von BACE-1 Hemmern,
welche eine ausreichende Konzentration im Gehirn erreichen, befinden sich
aktuell die beiden BACE-1 Hemmer mit der Bezeichnung „Verubecestat“ („MK8931“) sowie mit der Bezeichnung „AZD-3293“ in Phase III Studien (65,87).
Verubecestat zeigte in Phase I Studien eine dosisabhängige Abnahme von Aβ im
Liquor. Sowohl in der Phase I Studie als auch in der anschließenden Phase II
Studie
mit
200
Patienten
/ Patientinnen
zeigten
sich
keine
schweren
Nebenwirkungen. Die Phase II Studie wurde daraufhin auf 1960 Teilnehmer /
Teilnehmerinnen im leichten bis moderaten Stadium der Demenz vom AlzheimerTyp aufgestockt, und als Phase III Studie weitergeführt (87–89). Darüber hinaus
wurde eine weitere Phase III Studie mit Patienten / Patientinnen, die sich im
Prodromal-Stadium der Erkrankung befinden, gestartet (87,89). Ebenfalls in Phase
III befindet sich der BACE-1 Hemmer „AZD-3293“. Auch dieser BACE-1 Hemmer
scheint in den Phase I Studien eine gute Verträglichkeit und eine dosisabhängige
Abnahme von Aβ im Liquor zu zeigen. Die genauen Ergebnisse der Studie wurden
jedoch bisher nicht veröffentlicht (90,91).
3.4.3 Tau-Aggregations-Hemmer
Einen anderen Ansatz versucht die Firma TauRx mit dem Wirkstoff LeukoMethylthioninium. Ausgehend von der Hypothese, dass die pathologische
Aggregation von Tau zum Absterben der Neuronen führt, führte sie mit dem TauAggregationshemmer
Leuko-Methylthioninium
zwei
Phase
III
Studien
mit
Patienten / Patientinnen im leichten bzw. leichten bis moderaten Stadium der
Demenz vom Alzheimer-Typ durch (92). Grundsätzlich gibt es aus Versuchen mit
kultivierten Neuronen sowie in Tiermodellen zur Neurodegeneration Hinweise
51
darauf, dass eine Reduzierung der Tau-Menge neuroprotektiv wirkt. Bezogen auf
die Demenz vom Alzheimer-Typ konnte anhand von Neuronen aus Tau KnockoutMäusen wie auch bei der Kreuzung von Tau Knockout-Mäusen mit transgenen
APP-Mäusen gezeigt werden, dass Tau sowohl in-vivo als auch in-vitro für die
toxische Wirkung von Aβ notwendig ist (19). In der durchgeführten Studie mit dem
Wirkstoff Leuko-Methylthioninium konnte allerdings kein Nutzen der Therapie bei
Patienten / Patientinnen im leichten bis moderaten Stadium der AlzheimerDemenz gezeigt werden (93).
3.4.4 Ca2+-Kanalblocker
Wie bereits erwähnt, kommt es im Rahmen der Alzheimer-Demenz zu einem
verstärkten Einstrom von Ca2+-Ionen in die Neuronen, mit der Folge, dass die
Neuronen geschädigt werden bzw. absterben. In Tierversuchen konnte gezeigt
werden, dass die Gabe von Ca 2+-Blockern neuroprotektiv wirkt. In verschiedenen
klinischen Studien wurden in der Vergangenheit mehrere Ca 2+-Blocker bei
Patienten / Patientinnen, die an einer Demenz litten, untersucht. Die Ergebnisse
dieser Studien sind sehr heterogen. In einer direkten Vergleichsstudie zwischen
den beiden Ca2+-Blockern Amlodipin und Nilvadipin an Patienten / Patientinnen,
die an leichten kognitiven Einschränkungen litten, kam es unter der Therapie mit
Nilvadipin zu keiner weiteren Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in einem
Zeitraum von 20 Monaten. In der Gruppe der Patienten / Patientinnen, die
Amlodipin erhielten, hingegen kam es zu einer weiteren Abnahme kognitiver
Funktionen. Da die Blutdrucksenkung in beiden Gruppen etwa gleich stark war,
scheint der Effekt nicht auf eine Senkung des Blutdruckes zurückzuführen sein
(94). Seit 2013 läuft eine Multicenter Studie mit Nilvadipin im Vergleich zu Placebo
an einer Gruppe von 500 Probanden / Probandinnen, die an einer Demenz vom
Alzheimer-Typ im leichten bis moderaten Stadium leiden. Ergebnisse werden im
Laufe des Jahres 2017 erwartet (95).
3.4.5 Serotoninrezeptoragonisten / -antagonisten
Ein weiterer Ansatzpunkt in der Entwicklung neuer Therapien gegen die
Alzheimer-Demenz sind die Serotoninrezeptoren. In Tierversuchen mit APP/PS1Maus-Modellen zeigte sich, dass es 12-14 Stunden nach Gabe eines SSRI‘s zu
52
einer Reduzierung der Produktion von Aβ um 25% kommt. Auch bei gesunden
Probanden / Probandinnen führte die Gabe von Citalopram zu einer reduzierten
Produktion und Konzentration von Aβ im Liquor. Eine längere Gabe von SSRI‘s
führte in Tierversuchen zu einer Reduzierung der Aβ-Ablagerungen im Gehirn.
Auch dieser Effekt konnte an Patienten / Patientinnen nachgewiesen werden. So
zeigten sich in PET-Untersuchungen an Patienten / Patientinnen, die die letzten 5
Jahre einen SSRI eingenommen haben, niedrigere kortikale Aβ-Level als in der
Kontrollgruppe (96).
Die pharmakologische Forschung konzentriert sich dabei aktuell vor allem auf die
beiden Untergruppen des Rezeptors 5-HT 4 und 5-HT6. 5-HT4-Rezeptoren
beeinflussen die Prozessierung von APP, wobei eine Aktivierung des Rezeptors
zur vermehrten Bildung löslichen sAPPβ anstelle von Aβ führt. Hier konnte in
Tierversuchen gezeigt werden, dass eine Gabe von 5-HT 4-Agonisten für 2-3
Monate zu einer Abnahme der Aβ-Plaques
und zu einer Verminderung des
Verlustes kognitiver Fähigkeiten führt (96). Aktuell befindet sich jedoch kein 5-HT 4Agonist in Phase III der klinischen Prüfung (65).
Anders siehst dies beim 5-HT6-Rezeptor aus. Hier befinden sich aktuell zwei
Präparate (Idalopiridin und AVN-211) in Phase III der klinischen Prüfung (65). Im
Gegensatz
zum
5-HT4-Rezeptor
scheinen
beim
5-HT6-Rezeptor
jedoch
Antagonisten zu einer Besserung der kognitiven Funktion zu führen. So
verbesserte die Inaktivierung von 5-HT 6-Rezeptoren in Nagetieren die kognitiven
Fähigkeiten in mehreren Verhaltenstests. Zurückzuführen sein dürfte diese
kognitive Verbesserung auf eine aus der Hemmung des Rezeptors folgende
Stimulation der Freisetzung der Neurotransmitters Glutamat, Acetylcholin und von
Katecholaminen. In einer Phase II Studie mit Idalopiridin in Kombination mit
Donepezil zeigte sich eine signifikante Verbesserung kognitiver Funktionen im
Vergleich zur Placebo- und Donepezil-Gruppe. Andere Studien, die ausschließlich
mit 5-HT6-Antagonisten durchgeführt wurden, zeigten jedoch keine signifikante
Verbesserung (96).
53
4 Diskussion
Bei der Alzheimer-Erkrankung handelt es sich um eine primär degenerative,
zerebrale Erkrankung mit progessiver Demenz, deren Prävalenz und Inzidenz ab
dem 60. Lebensjahr deutlich zunimmt. Von den an einer Demenz erkrankten
Personen leiden etwa 60-80% an einer Demenz vom Alzheimer-Typ oder an einer
Mischform. Als Hauptrisikofaktor, an einer Demenz vom Alzheimer-Typ zu
erkranken, gilt das Lebensalter, weitere Risikofaktoren sind ein genetisches Risiko
sowie ein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Im Hinblick auf eine weiterhin
zunehmende Lebenserwartung in der Bevölkerung und dem demographischen
Wandel ergibt sich hieraus eine große gesundheits- und gesellschaftspolitische
Herausforderung
sowie
die
Notwendigkeit
für
wirksame,
therapeutische
Möglichkeiten, um das Auftreten der Erkrankung zu verhindern bzw. das
Fortschreiten in einem frühen Stadium zu verlangsamen oder zu stoppen sowie
die Lebensqualität der Betroffenen und deren Angehörigen zu erhalten.
Bis heute ist die genaue Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung unklar. Die
am weitesten anerkannte Hypothese geht davon aus, dass es durch
Veränderungen in der Produktion oder der Clearance von Aβ zur Bildung
unlöslicher Aβ1-42-Ablagerungen im Gehirn kommt, welche in der Folge zu
Entzündungsreaktionen in der Umgebung führen und die Phosphorylierung von
Tau-Proteinen beeinflussen, wodurch es wiederum zur Bildung intrazellulärer TauAggregate kommt. Am Ende führt dies zu Störungen der Zellfunktionen und dem
Absterben von Synapsen / Neuronen. Das fehlende Wissen über die genaue
Pathogenese
der
Erkrankung
erschwert
jedoch
auch
das
Auffinden
pharmakologischer Angriffspunkte und damit die Entwicklung von Therapien
gegen die Erkrankung.
Aktuell bestehen die pharmakologischen Therapieoptionen je nach Stadium der
Erkrankung aus zentral wirksamen Hemmstoffen der Acetylcholinesterase oder
einem Antagonisten des NMDA-Rezeptors. Darüber hinaus können lediglich die im
Rahmen
der
Demenz
auftretenden
psychischen
Begleitsymptome
wie
psychotische Störungen, Aggression, Depression und Agitation pharmakologisch
verbessert werden.
54
Die Hemmer der AChE finden ihre Anwendung vorwiegend im frühen bis mittleren
Stadium der Erkrankung. Sie sollen durch die Hemmung des Abbaus von ACh
dessen Konzentration im synaptischen Spalt erhöhen und damit den Mangel des
Neurotransmitters, der aus dem Funktionsverlust / Absterben von Neuronen
resultiert, mildern. In durchgeführten Studien mit den verschiedenen AChEHemmern zeigte sich eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistung auf
verschiedenen klinischen Messskalen. Die meisten Studien haben allerdings nur
einen kurzen Beobachtungszeitraum von 3-6 Monaten. In der Langzeitstudie
AD2000, die allerdings unter anderem aufgrund ihrer geringen Teilnehmerzahl
kritisiert wird, konnte kein Unterschied bezüglich der Endpunkte Einweisung in
eine Pflegeeinrichtung und dem Verlust von instrumentellen Fähigkeiten im
Vergleich zur Placebogruppe gezeigt werden. Da es sich bei der Behandlung mit
AChE-Hemmern lediglich um eine symptomatische Therapie handelt, die keinen
Einfluss auf die Ursache der Erkrankung hat, ist es nicht verwunderlich, dass es
unter der Therapie weiterhin zu einer Abnahme der kognitiven Fähigkeiten kommt.
Der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin wird hingegen vorwiegend im schweren
Stadium der Demenz vom Alzheimer-Typ eingesetzt. Dieser soll einer im Rahmen
der Erkrankung auftretenden pathologischen Aktivierung von NMDA-Rezeptoren
entgegenwirken. Auch hier zeigt sich in Studien eine Verbesserung der kognitiven
Leistung, welche jedoch gering ausfällt. Ein Einfluss auf die Ursache der
Erkrankung und deren Fortschreiten besitzt Memantin jedoch nicht, so dass auch
hier die weitere Abnahme der kognitiven Fähigkeiten nicht verwundert.
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl an neuen Wirkstoffen sowie Angriffspunkten
zur Therapie der Erkrankung präklinisch erforscht worden, und einige haben es in
die klinische Prüfung geschafft. Im Rahmen der klinischen Studien scheiterten
dann allerdings fast alle Präparate. Aktuell befinden sich vor allem Wirkstoffe aus
dem Bereich der aktiven und passiven Immuntherapie, Hemmer der β-Sekretase,
Ca2+-Blocker, Präparate mit Wirkung auf die Serotoninrezeptoren sowie Wirkstoffe,
die die Aggregation von Tau-Proteinen verhindern sollen, in fortgeschrittener
klinischer Prüfung.
55
Bei den Substanzen aus der Gruppe der aktiven sowie passiven Immuntherapie,
bei den β-Sekretasehemmern sowie bei den Agonisten am 5-HT 4-Rezeptor kam
es zu einer signifikanten Reduzierung der Aβ-Bildung bzw. Ablagerung sowohl im
Tierversuch als auch in den klinischen Studien. Betrachtet man die Abnahme der
kognitiven Fähigkeiten, so sehen die Ergebnisse, vor allem in den klinischen
Studien, jedoch ernüchternder aus. Eine signifikante Reduzierung der Abnahme
kognitiver Funktionen konnte in klinischen Studien nur für den 5-HT 6-Antagonisten
Idalopiridin (in Kombination mit Donepezil), den Ca 2+-Kanalblocker Nilvadipin
sowie für die beiden Antikörper Aducanumab und Solanezumab gezeigt werden.
Im Falle von Idalopiridin dürfte die Verbesserung vor allem auf die durch die
Hemmung der 5-HT6-Rezeptoren erhöhte Ausschüttung von Neurotransmittern
zurückzuführen sein. Allein aufgrund der erhöhten Freisetzung von ACh dürfte
eine Besserung der kognitiven Leistung zu erwarten sein. Dieser Mechanismus
passt auch dazu, dass die Verbesserung der kognitiven Funktion bei der Gabe von
AChE-Hemmern stärker ist, je höher die Dosis ist. Limitierend für eine Erhöhung
der Dosis von AChE-Hemmern sind jedoch vor allem die aus der Hemmung der
peripheren AChE sowie der Pseudo-AChE resultierenden Nebenwirkungen, so
dass hier ein zweiter Wirkweg existieren dürfte, welcher zur Erhöhung der AChKonzentration im synaptischen Spalt führt, bei besserer Verträglichkeit. Eine
modifizierende
Wirkung
auf
den
Verlauf
der
Erkrankung
ist
jedoch
unwahrscheinlich.
Bei Nilvadipin kam es in einer Vergleichsstudie mit Amlodipin bei Patienten /
Patientinnen, die an einer leichten kognitiven Beeinträchtigung litten, zu keiner
weiteren Abnahme der kognitiven Funktionen. Allerdings fehlen hier noch die
Ergebnisse aktueller Studien zur Wirkung mit einer größeren Gruppe von
Patienten / Patientinnen, die an einer Demenz vom Alzheimer-Typ leiden. Da als
ein Mechanismus, der zum Verlust der Funktion von Neuronen und schließlich zu
deren Absterben führt, ein erhöhter Ca 2+-Einstrom in die Neuronen angenommen
wird, welcher im Laufe der Demenz vom Alzheimer-Typ z.B. durch eine
Überaktivierung von NMDA-Rezeptoren auftritt, könnte eine entsprechende
Blockade von Ca2+-Kanälen tatsächlich neuroprotektive Effekte zeigen. Dies würde
56
allerdings ebenfalls nicht die der Erkrankung zugrunde liegende Ursache
beheben.
Ausgehend von der Amyloidkaskaden-Hypothese würden Therapien, welche die
Bildung / Ablagerung von Aβ beeinflussen, damit auch die Grundlage der
Erkrankung bzw. deren Verlauf beeinflussen. Für die Gruppe der BACE-1 Hemmer
fehlen hier bisher die Ergebnisse klinischer Studien, inwieweit eine Abnahme der
Bildung von Aβ tatsächlich auch zu einer Reduzierung der Abnahme der
kognitiven Funktionen führt.
Betrachtet man die Immuntherapien, so zeigte sich in den Studien für
Solanezumab
tatsächlich
eine
Verlangsamung
des
Verlustes
kognitiver
Funktionen, welcher jedoch nicht stärker ausfiel als bei den aktuell eingesetzten
Präparaten. Interessant sind die Ergebnisse mit dem Antikörper Aducanumab: hier
zeigte sich nach den ersten sechs Monaten eine signifikante Abnahme der AβAblagerungen, und mit einer Latenz von weiteren sechs Monaten auch eine
Stabilisierung der Abnahme kognitiver Funktionen. Allerdings handelte es sich
hierbei lediglich um eine kleine Phase II Studie, so dass die Ergebnisse der
größeren Phase III Studie abzuwarten bleiben. Sollten sich die Ergebnisse
bestätigen, wäre dies auch wieder ein neues Indiz für die Gültigkeit der
Amyloidkaskaden-Hypothese, welche in letzter Zeit von einigen Wissenschaftlern
angezweifelt wurde, da es zwar öfter in Studien zu einer Reduzierung der AβProduktion / Ablagerung kam, jedoch ohne Einfluss auf die kognitive Leistung. In
Tierversuchen hingegen zeigte sich häufiger auch ein Effekt auf die kognitiven
Fähigkeiten der Tiere. Allerdings werden diese Studien in der Regel an transgenen
Mäusen durchgeführt, welche gezielt vermehrt Aβ 1-42 bilden. Sollte im Menschen
ein weiterer oder anderer Mechanismus vorhanden sein, würde dieser bei diesen
Tieren evtl. gar nicht auftreten.
Aktuell gibt es keinen Wirkstoff, der in der Lage ist, den Verlauf der Erkrankung
aufzuhalten oder zumindest deutlich zu verlangsamen, so dass weiterhin die
Erforschung und Erprobung neuer Wirkstoffe notwendig ist. Da bis heute auch die
genauen pathophysiologischen Vorgänge der Erkrankung unbekannt sind, ist auch
hier weitere Grundlagenforschung nötig. Die Ergebnisse aus den neuesten
Antikörper-Studien können ggf. einen Lichtblick darstellen. Sie zeigen aber auch,
dass, sollten sich die Ergebnisse in größer angelegten Studien bestätigen, die
57
Notwendigkeit besteht, sowohl die Bevölkerung als auch die Ärzteschaft weiter für
dieses
Thema
zu
sensibilisieren,
und
dass
die
Entwicklung
einfacher
Screeningmaßnahmen nötig ist, um Betroffene in einem möglichst frühen Stadium
der Erkrankung zu erkennen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei beiden
Antikörpern ein positiver Effekt auf die kognitiven Fähigkeiten lediglich bei
Patienten / Patientinnen, die sich im leichten Stadium oder im Prodromalstadium
der Erkrankung befanden, nachgewiesen werden konnte.
58
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