Grundlagen, Differentiation, Integrationstheorie

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Friedrich Sauvigny
Analysis
Grundlagen, Differentiation,
Integrationstheorie,
Differentialgleichungen, Variationsmethoden
Springer-Lehrbuch
Friedrich Sauvigny
Analysis
Grundlagen, Differentiation,
Integrationstheorie,
Differentialgleichungen, Variationsmethoden
Friedrich Sauvigny
Lehrstuhl Mathematik, insbesondere Analysis
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus - Senftenberg
Cottbus, Deutschland
ISSN 0937-7433
ISBN 978-3-642-41506-7
DOI 10.1007/978-3-642-41507-4
ISBN 978-3-642-41507-4 (eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Mathematics Subject Classification (2010): 26-01, 28-01, 34-01
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Herrn Professor Dr. Dr.h.c. Erhard Heinz in
Dankbarkeit gewidmet
Vorwort
Die Differential- und Integralrechnung hat sich mit ihren vielfältigen Anwendungen über Jahrhunderte entwickelt, wobei bereits L. Euler mit ihrer
Darstellung als Buch begonnen hatte. Vorbildliche und umfassende Lehrbücher in mehreren Bänden über dieses zentrale Gebiet im mathematischen
Grundstudium sind dem Literaturverzeichnis (siehe etwa H. von Mangoldt und
K. Knopp [MK], O. Forster [F], H. Heuser [Hr], H. Amann und J. Escher [AE],
K. Königsberger [Koe]) zu entnehmen, wobei uns die Werke von R. Courant
[C], H. Grauert [GL1], [GF], [GL2] sowie von S. Hildebrandt [Hi1] und [Hi2]
besonders nahe liegen. Die Geschichte der Analysis mit schönen Bildnissen
ihrer Begründer wird in der Monographie [So] von T. Sonar dargestellt.
Mit unserer Einführung in die Analysis in einem einbändigen Lehrbuch wollen wir die reelle und komplexe Analysis so darstellen, dass diese in den ersten
drei Semestern eines Mathematik-, Wirtschaftsmathematik-, Physik- oder Informatikstudiums von den Studierenden gut erfasst werden kann. Dabei ist
uns die Einbeziehung der komplexen Aussagen besonders wichtig, da sich erst
so die ganze Tragweite der Analysis erschließt. Wir werden die Leser auf Differentialgleichungen vorbereiten sowie die gewöhnlichen hier auch behandeln,
und wir wollen über die Variationsrechnung die Riemannsche Geometrie in
unsere Darstellung einbeziehen.
Wir hoffen ein Lehrbuch anzubieten, das ähnlich W. Rudin’s Principles of Mathematical Analysis [R] sich als Gesamtdarstellung der Differential- und Integralrechnung von Studenten im Grundstudium gut erarbeiten lässt, ggf. auch
im Selbststudium. Unsere Einführung ist wesentlich beeinflusst von den Vorlesungen [H1] – [H3] meines akademischen Lehrers, Herrn Professor Dr. E. Heinz
in Göttingen, dessen Grundvorlesungen zur Differential- und Integralrechnung
ab dem Wintersemester 1971/72 bis zum Wintersemester 1972/73 auch mir
den Weg in die Mathematik geebnet haben. Neben diesen vorbildlichen Vorlesungsskripten von E. Heinz möchte ich auch die eleganten Darstellungen von
G. Hellwig [He] hervorheben, dessen inspirierende Vorlesungen zur Höheren
Mathematik mit einem großen Auditorium an der Rheinisch-Westfälischen
viii
Vorwort
Technischen Hochschule Aachen von meiner Assistentenzeit bis heute mir immer als Vorbild gegenwärtig sind.
Wenngleich wir in unserem Lehrbuch uns um eine vollständige Darstellung
der Analysis bemüht haben, so empfiehlt sich doch ein ergänzendes Studium
der Mengentheoretischen Topologie und der Elementaren Differentialgeometrie. Schon aus Platzgründen verbietet sich hier eine Einbeziehung dieser Inhalte, zumal insbesondere zur Differentialgeometrie wunderschöne Lehrbücher
(etwa die Darstellung [BL] von W. Blaschke und K. Leichtweiß) vorliegen.
Jetzt wollen wir die einzelnen Kapitel dieses Buches unseren Lesern vorstellen:
Im Kapitel I gehen wir vom Körper der rationalen Zahlen Q aus und konstruieren die reellen Zahlen R als Äquivalenzklassen von rationalen Cauchyfolgen. Wir können dann die Konvergenzeigenschaften reeller Zahlen aus deren Konstruktion ablesen! Diesem konstruktiven Prinzip bleiben wir in unserer
Einführung in die Analysis treu, und wir reduzieren die axiomatische Methode
auf ein Minimum!
Dann werden der n-dimensionale Zahlenraum Rn sowie die Gaußsche Zahlenebene C der komplexen Zahlen eingeführt und ihre topologischen Eigenschaften untersucht, wie etwa der Heine-Borelsche Überdeckungssatz. Einer Vorlesung über mengentheoretische Topologie überlassen wir die allgemeineren
Begriffsbildungen, welche uns im Spezialfall des Rn und seiner Teilmengen als
Relativtopologie zunächst genügen. Grundlegende Sätze über komplexe Folgen und Reihen sowie über Doppelreihen schließen dieses Kapitel ab, und hier
weisen wir auf das Skriptum [H1] hin.
Die Stetigkeit von Funktionen auf Teilmengen des Rn in den Rm wird im Kapitel II untersucht, und es wird die Differenzierbarkeit in einer reellen und in
einer komplexen Veränderlichen studiert. Wir lernen die gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen kennen und ermitteln sowohl den Konvergenzradius als auch die Differenzierbarkeit von komplexen Potenzreihen. Für stetige
Funktionen einer reellen Veränderlichen werden wir das Riemannsche Integral erklären, damit wir im nächsten Kapitel explizit reelle und komplexe
Stammfunktionen verwenden können. Zum Abschluss dieses Kapitels werden
die Taylorsche Formel in einer Veränderlichen und der Krümmungsbegriff von
Kurven erklärt.
Auf der Basis der komplexen Exponentialfunktion als Potenzreihe werden im
Kapitel III die trigonometrischen Funktionen definiert. Hier zeigt sich sehr
deutlich, wie die Fortsetzung ins Komplexe die Rechnungen mit den trigonometrischen Funktionen vereinfacht.
Wenn wir die komplexe Exponentialfunktion umkehren wollen zur komplexen
Logarithmusfunktion, so erkennen wir B. Riemann’s Einsicht, dass sich die
Funktionen ihren Definitionsbereich natürlich suchen und dieser nicht künstlich vorgeschrieben werden kann. Ausgehend von universellen Polarkoordinaten studieren wir gründlich die Überlagerungsflächen und können so den
Vorwort
ix
Definitionsbereich der Logarithmusfunktion im Komplexen konkret angeben.
Diese Funktion steht im Zentrum des Beweises bei vielen analytischen und
geometrischen Aussagen.
Mit der komplexen Logarithmusfunktion definieren wir die allgemeinen Potenzfunktionen, und wir können sie auf den entsprechenden Überlagerungsflächen explizit umkehren. Wir erhalten so ein klares Bild von Riemannschen
Flächen schon in der Grundvorlesung zur Analysis.
Beim Beweis des Fundamentalsatzes des Algebra zeigt sich ganz überzeugend,
dass die komplexen Zahlen den angemessenen Rahmen für die Analysis bilden.
Auch die Partialbruchzerlegung führt uns sinvollerweise ins Komplexe, jedoch
berechnen wir auch den vertrauten Fall durch eine Projektion auf das Reelle.
Kapitel IV behandelt zunächst die partielle Differentiation, wobei insbesondere die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen vorgestellt werden. Es
wird der Fundamentalsatz über die inverse Abbildung mittels Variationsmethoden bewiesen und daraus der Satz über implizite Funktionen hergeleitet.
Die Taylorsche Formel im Rn wird zur Lösung von Extremwertaufgaben herangezogen, wobei auch Nebenbedingungen betrachtet werden.
Wir definieren dann m-dimensionale Mannigfaltigkeiten im Rn , die als reguläre Nullstellenmenge von n − m Funktionen erscheinen. Da unsere Mannigfaltigkeit n − m Kodimensionen hat, so besitzt der Normalraum an die
Fläche dieselbe Dimension. In jedem Punkt der Mannigfaltigkeit entsteht eine Normalbahn an die Mannigfaltigkeit, welche für eine Kodimension sich
reduziert auf die wohlbekannte Einheitsnormale.
Wollen wir unsere Mannigfaltigkeit orientieren, so kommen wir zum Begriff
des Orbitraums O(n, m). Dessen Elemente stellen gerade die Normalbahnen
dar, wobei wir den Abstand zweier Bahnen durch eine Metrik ermitteln. Wir
sind jetzt motiviert, allgemein Metrische Räume einzuführen.
Im Kapitel V wird das Riemannsche Integral im Rn vorgestellt, welches zur
Klasse der stetigen Funktionen mit ihrer gleichmäßigen Konvergenz passt und
einleuchtend definiert ist. Es werden Klassen Riemann-integrierbarer Funktionen angegeben und explizite Integrationsmethoden erklärt. Es folgen der
Jordansche Inhalt und die Integration über Jordan-Bereiche. Für die Approximation hat ein Konvergenzsatz uneigentlicher Riemannscher Integrale besondere Bedeutung. Diese Aussage bezieht sich auf das uneigentliche Riemannsche Integral stetiger Funktionen über offene Mengen des Rn , welches sich
bei fast allen Untersuchungen der klassischen Analysis bewährt. In diesem
Zusammenhang verweisen wir auf das Skriptum [H2].
Mittels Zerlegung der Eins und Induktion über die Raumdimension wird die
Transformationsformel für mehrfache Integrale bewiesen. Hierbei wird der
Umgang mit Testfunktionen eingeübt. Eine kurze Einführung in die Theorie
der Differentialformen bis zum Stokesschen Integralsatz für glatt berandete
C 2 -Mannigfaltigkeiten präsentieren wir in § 8 und § 9 sowie den Gaußschen
Integralsatz für C 2 -Gebiete.
x
Vorwort
In § 10 leiten wir den Cauchyschen Integralsatz aus dem Stokesschen Integralsatz her für holomorphe Funktionen, die wir im Sinne von Riemann als stetig
komplex differenzierbar definiert haben, und wir beweisen ihre Entwickelbarkeit in eine komplexe Potenzreihe. Schließlich zeigen wir in § 7 und § 11 die
Approximierbarkeit stetiger bzw. k-mal stetig differenzierbarer Funktionen
durch Polynome bis zu ihren Ableitungen der natürlichen Ordnung k.
Das Kapitel VI beginnt mit der Behandlung von Klassen explizit integrierbarer gewöhnlicher Differentialgleichungen. Dann wird der Peanosche Existenzsatz mit dem Auswahlsatz von Arzelà-Ascoli für Differentialgleichungssysteme erster Ordnung bewiesen. Die Lipschitz-Bedingung wird erst zur Klärung
der Eindeutigkeits- und Stabilitätsfragen herangezogen. Hier wird auch die
differenzierbare Abhängigkeit der Lösung von den Anfangswerten bewiesen.
Schließlich werden gründlich lineare Systeme von Differentialgleichungen insbesondere mit konstanten Koeffizienten studiert. Hierauf ist die Lösbarkeitstheorie von Differentialgleichungen höherer Ordnung gegründet, die wir in den
letzten Abschnitten präsentieren.
In Kapitel VII werden die Grundzüge der eindimensionalen Variationsrechnung vorgestellt, die von den Pionieren J. Bernoulli, L. Euler, J.-L. Lagrange,
G.-C. Jacobi, K. Weierstraß und ihren Nachfolgern stets im Zusammenhang
mit der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen behandelt wurde. Wir
beginnen mit den Euler-Lagrange-Gleichungen von regulären Variationsfunktionalen in § 1 und überführen diese ins Hamiltonsche System mittels kanonischer Variabler. Dann betrachten wir in § 3 das Energiefunktional im Riemannschen Raum, vergleichen es mit dem Längenfunktional, und wir definieren Geodätische.
Wir führen in § 5 die kovariante Ableitung im Riemannschen Raum ein – unabhängig von einer eventuellen Realisierung der Riemannschen Metrik durch
eine eingebettete Fläche im Euklidischen Raum. Dann erklären wir die Riemannsche Schnittkrümmung und ermitteln die Gauß-Jacobi-Gleichung für das
Gaußsche Oberflächenelement geodätischer Streifen in § 6. Wir betrachten in
§ 4 geodätische Kugeln im Riemannschen Raum und schätzen deren Injektivitätsradius in § 7 nach unten und oben ab. Mit Hilfe der Weierstraßschen
Feldtheorie und mittels Hilbert’s inarianten Integrals weisen wir in § 4 den
minimierenden Charakter von gewissen Geodätischen nach.
Wenngleich das Kapitel VII den üblichen Umfang einer einführenden Vorlesung zur Analysis übersteigt, sind dessen Lehrinhalte schon in dieser Phase
des Studiums gut zu verstehen; man könnte diese Themen vielleicht auch in
einem Proseminar besprechen. Inspiriert zu diesem Kapitel wurden wir durch
die wunderschöne Vorlesung von W. Klingenberg [K] zur Differentialgeometrie
und das eindrucksvolle Werk von M. Giaquinta und S. Hildebrandt [GH1] und
[GH2] zur Variationsrechnung (siehe insbesondere Kapitel VIII). Den genannten Autoren gebührt das besondere Verdienst, diese klassischen Gebiete der
Analysis wieder ins Zentrum des mathematischen Interesses gerückt zu haben!
Vorwort
xi
Wir hoffen mit dem Kapitel VII sowohl das Verständnis für den Riemannschen
Raum zu fördern als auch unsere Leser zum Studium der Geometrischen Analysis zu ermutigen.
Im Kapitel VIII verlassen wir die klassische Analysis, indem wir die gleichmäßige Konvergenz zur punktweisen Konvergenz abschwächen. In der Integrationstheorie verwenden wir wiederum die induktive Methode: Wir setzen das uneigentliche Riemannsche Integral aus dem Kapitel V von den stetigen Funktionen fort auf die wesentlich größere Klasse der Lebesgue-integrierbaren Funktionen. Dieses geschieht mit Hilfe des Daniell-Integrals, welches ein nichtnegatives, lineares Funktional darstellt, das stetig unter monotoner, punktweiser
Konvergenz ist. Im Zentrum der Theorie steht der Lebesguesche Konvergenzsatz zur Vertauschung von Integration und Grenzwertbildung bei majorisierter
Konvergenz. Zum Lebesgue-Integral vergleiche man das Skiptum [H3].
Die Maßtheorie wird sich dann als Integrationstheorie der charakteristischen
Funktionen ergeben. Wir erklären die Klasse der Lebesgue-messbaren Funktionen und stellen den Banachraum der p-fach integrierbaren Funktionen vor.
Während in der klassischen Analysis nur der Banachraum der stetigen Funktionen mit ihrer gleichmäßigen Konvergenz auftritt, stehen nun eine Schar
solcher linearer und normierter Funktionenräume zur Verfügung; letztere sind
vollständig in dem Sinne, dass jede Cauchyfolge einen Grenzpunkt in diesem
Raum bzgl. dem angegebenen Konvergenzbegriff besitzt.
Sehr wichtig sind die Vertauschbarkeitssätze in der Integrationsreihenfolge
für messbare Funktionen mehrerer Variabler von Fubini und Tonelli. Mit dem
Banachschen Fixpunktsatz, welcher den Schlüssel zu abstrakten Iterationsmethoden liefert, beenden wir dieses Kapitel.
Unser vorliegendes Lehrbuch haben wir für die Studierenden von Mathematik,
Naturwissenschaften und Informatik vom ersten bis zum dritten Studiensemester verfasst! Eine genaue Angabe der Lehrinhalte ist dem nachfolgenden
Inhaltsverzeichnis zu entnehmen. Wir haben nur einfache Übungsaufgaben in
die Kapitel I – VI eingefügt, während im Kapitel VII und VIII sich der Leser auch Ergänzungen zur Vorlesung – anhand der angegebenen Literatur –
erarbeiten kann.
Wenn wir von Gegenbeispielen einmal absehen, so haben wir nur selten in unserem Lehrbuch Beispiele behandelt, da eben diese häufig in die konstruktiven
Beweise der Sätze ihren Eingang gefunden haben. Da die Konstruktionen in ihrer Idee unsere Einführung zur Analysis bestimmen, so sorgen die technischen
Durchführungen in gewisser Weise für sich selbst. Wir haben uns bemüht, den
angemessenen Abstraktionsgrad für ein gutes Verständnis zu finden: Längere
Wiederholungen in der Darstellung haben wir vermieden, und wir können so
den Lehrstoff von drei Semestern in einem Lehrbuch konsequent präsentieren.
Da unser Lehrbuch sehr geometrisch motiviert ist, empfehlen wir unseren Lesern, sich selbst Skizzen aller Sachverhalte anzufertigen – allerdings können
diese Zeichnungen in höheren Dimensionen nur eine Projektion darstellen.
xii
Vorwort
Unser Lehrbuch der Analysis hat insbesondere das Studium der Differentialgleichungen zum Ziel, welche bei all ihren Anwendungen zu lösen sind. Zum
gründlichen Studium der partiellen Differentialgleichungen empfehlen wir unsere Lehrbücher [S3] und [S4] sowie die erweiterte englische Ausgabe [S5]
und [S6]. Hier werden auch Anwendungen in der Geometrie und der Physik vorgestellt. Die Theorie holomorpher Funktionen, die man traditionell
als Funktionentheorie bezeichnet, wurde als Studium der Cauchy-RiemannGleichungen in diese Darstellung partieller Differentialgleichungen aufgenommen.
Insgesamt ist dieses Lehrbuch aus meinen Vorlesungen zur Analysis entstanden, die ich vom Wintersemester 1992/93 bis zum Sommersemester 2013 an
der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus wiederholt gehalten
habe. Mein ganz herzlicher Dank gilt Herrn Dr. rer. nat. Michael Hilschenz,
Herrn Dipl.-Math. Stephan Schütze und Frau Dr. rer. nat. Claudia Szerement,
geb. Werner für ihre Mithilfe beim Erstellen des TEX-Manuskripts.
Ursprünglich beruht diese Abhandlung auf den Skripten Analysis I und II
meiner Vorlesungen [S1] und [S2] aus dem Wintersemester 1994 und dem
Sommersemester 1995 an der BTU Cottbus, die Herr Dipl.-Lehrer Jörg
Endemann und Herr Dipl.-Lehrer Klaus-Dieter Heiter vorbildlich ausgearbeitet haben. An dieser Stelle möchte ich Herrn Klaus-Dieter Heiter meinen
tiefempfundenen Dank für seine unschätzbare Hilfe bekunden.
Der Begutachtung meines Manuskripts verdanke ich den Vorschlag zu einer
harmonischen Abrundung der hier vorgelegten Lehrinhalte. Schließlich möchte
ich ganz herzlich Herrn Clemens Heine vom Springer-Verlag in Heidelberg für
sein Interesse an meinem Lehrbuchprojekt danken.
Cottbus im September 2013 ,
Prof. Dr. Friedrich Sauvigny
Lehrstuhl Mathematik, insbesondere Analysis
der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus – Senftenberg
Inhaltsverzeichnis
I
Das
§1
§2
§3
§4
§5
§6
§7
§8
System der reellen und komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . .
Das Rechnen mit reellen und komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . .
Konstruktion der reellen Zahlen R nach D. Hilbert . . . . . . . . . .
Überabzählbarkeit und Konvergenzeigenschaften reeller Zahlen
Der n-dimensionale Zahlenraum Rn als topologischer Raum . .
Die komplexen Zahlen C in der Gaußschen Ebene . . . . . . . . . . .
Reelle und komplexe Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Absolut konvergente Doppelreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufgaben zum Kapitel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
15
27
41
54
61
72
81
II
Differential- und Integralrechnung in einer Veränderlichen 85
§1 Stetigkeit von Funktionen mehrerer Veränderlicher . . . . . . . . . . 85
§2 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionen und die C 0 -Norm . . 96
§3 Reelle und komplexe Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
§4 Riemannsches Integral für stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 115
§5 Integration mittels reeller und komplexer Stammfunktionen . . 119
§6 Die Taylorsche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
§7 Krümmungen und Schmiegkreis von Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . 135
§8 Aufgaben zum Kapitel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
III Die elementaren Funktionen als Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . 139
§1 Komplexe Exponentialfunktion und natürliche
Logarithmusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
§2 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
§3 Die Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
§4 Die Arcusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
§5 Polarkoordinaten und Überlagerungsflächen . . . . . . . . . . . . . . . . 165
§6 Die n-ten Wurzeln und die komplexe Logarithmusfunktion . . . 171
§7 Die allgemeinen Potenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
xiv
Vorwort
§8 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
§9 Partialbruchzerlegung gebrochen rationaler Funktionen . . . . . . 191
§10 Aufgaben zum Kapitel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
IV Partielle Differentiation und differenzierbare
Mannigfaltigkeiten im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
§1 Partielle Ableitungen erster Ordnung und die totale
Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
§2 Partielle Ableitungen höherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
§3 Taylorsche Formel im Rn : Extremwertaufgaben und Eigenwerte212
§4 Fundamentalsatz über die inverse Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . 221
§5 Implizite Funktionen und restringierte Extremwertaufgaben . . 229
§7 Eingebettete C 2 -Mannigfaltigkeiten im Rn und ihre
Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
§8 Der Orbitraum O(n, m) als metrischer Raum und
Immersionen im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
§9 Aufgaben zum Kapitel IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
V
Riemannsches Integral im Rn mit Approximationsund Integralsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
§1 Integration mittels Standardsubstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
§2 Existenz des Riemannschen Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
§3 Klassen Riemann-integrierbarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 268
§4 Integration über Jordan-Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
§5 Uneigentliche Riemannsche Integrale im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . 286
§6 Integration mittels Testfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
§7 Ergänzung und Approximation stetiger Funktionen . . . . . . . . . . 309
§8 Flächeninhalt und Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
§9 Der Stokessche Integralsatz für glatt berandete
C 2 -Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
§10 Cauchy’s Integralformel und die Entwicklung holomorpher
Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
§11 Der Weierstraßsche Approximationssatz für C k -Funktionen . . . 335
§12 Aufgaben zum Kapitel V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
VI Gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
§1 Verschiedene Typen von Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . 343
§2 Exakte Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
§3 Elementar integrierbare Differentialgleichungen erster Ordnung351
§4 Der Existenzsatz von Peano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
§5 Eindeutigkeit und sukzessive Approximation . . . . . . . . . . . . . . . . 366
§6 Differenzierbare Abhängigkeit von den Anfangswerten . . . . . . . 371
§7 Lineare Differentialgleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
§8 Differentialgleichungen höherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
§9 Lineare Differentialgleichungen m-ter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 390
Vorwort
xv
§10 Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten . . 397
§11 Aufgaben zum Kapitel VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
VII Eindimensionale Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
§1 Eulersche Gleichungen und Hamiltonsches System . . . . . . . . . . . 402
§2 Die Carathéodoryschen Ableitungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . 405
§3 Das Energiefunktional und Geodätische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
§4 Weierstraß-Felder und Hilberts invariantes Integral . . . . . . . . . . 419
§5 Kovariante Ableitungen und Krümmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
§6 Riemannsche Räume beschränkter Schnittkrümmung . . . . . . . . 432
§7 Konjugierte Punkte und Sturmscher Vergleichssatz . . . . . . . . . . 438
§8 Aufgaben und Ergänzungen zum Kapitel VII . . . . . . . . . . . . . . . 446
VIII
Maß- und Integrationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
§1 Das Daniellsche Integral und der Satz von U. Dini . . . . . . . . . . 450
§2 Fortsetzung des Daniell- zum Lebesgue-Integral . . . . . . . . . . . . . 454
§3 Lebesgue-messbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
§4 Nullmengen und allgemeine Konvergenzsätze . . . . . . . . . . . . . . . 473
§5 Vergleich von Riemann- und Lebesgue-Integral . . . . . . . . . . . . . . 480
§6 Lebesgue-messbare und p-fach integrable Funktionen . . . . . . . . 483
§7 Die Sätze von Fubini und Tonelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
§8 Normierte Vektorräume und der Banachraum Lp (X) . . . . . . . . 494
§9 Der Banachsche Fixpunktsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
§10 Aufgaben und Ergänzungen zum Kapitel VIII . . . . . . . . . . . . . . 501
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
I
Das System der reellen und komplexen Zahlen
Beginnen wir mit einem Zitat aus der Antike, nämlich von
Aischylos:
Die Zahl – des Geistes höchste Kraft.
Die Bereiche, in welchen wir rechnen, sind einer ständigen Entwicklung unterworfen. Wir präsentieren die Konstruktion der reellen Zahlen mittels Äquivalenzklassen von Cauchyfolgen rationaler Zahlen, die D. Hilbert in seinem
Buch Grundlagen der Geometrie vorgeschlagen hat. Diese Methode bildet ein
Grundprinzip in der modernen Analysis. Dann wird der n-dimensionale Zahlenraum Rn mit seinen topologischen Eigenschaften untersucht. Schließlich
werden wir die Gaußsche Zahlenebene C vorstellen, sowie die Lehre von Folgen und Reihen im Komplexen entwickeln.
§1 Das Rechnen mit reellen und komplexen Zahlen
Die Zahlen bilden das Fundament der Analysis. Grundlegend für den Umgang
mit Zahlen und anderen mathematischen Objekten ist der Mengenbegriff.
Eine Menge von Objekten lässt sich auf zwei Arten festlegen, indem wir ihre
Elemente aufschreiben oder diese durch eine definierende Eigenschaft angeben.
Grundlegend für die gesamte Mathematik ist die Menge
N := {1, 2, . . .}
der natürlichen Zahlen. Fügen wir das Nullelement hinzu, so erhalten wir
die Menge der nichtnegativen ganzen Zahlen
N0 := {0, 1, 2, . . .} .
Durch Erweiterung dieser Zahlbereiche erhält man die Menge
Z := {0, ±1, ±2, . . .}
F. Sauvigny, Analysis, Springer-Lehrbuch, DOI: 10.1007/978-3-642-41507-4_1,
@ Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1
2
I Das System der reellen und komplexen Zahlen
der ganzen Zahlen und die Menge
}
{
p
Q := x = : p ∈ Z ∧ q ∈ N
q
der rationalen Zahlen. Mit dem Symbol ∅ bezeichnen wir die leere Menge,
die kein Element enthält und somit Teilmenge jeder Menge ist.
Es ist notwendig den Körper der rationalen Zahlen zu erweitern, denn die
Gleichung x2 − 2 = 0 besitzt in Q keine Lösung. Die Länge der Diagonale
des Einheitsquadrats
ergibt nach dem Satz des Pythagoras wegen 12 + 12 = 2
√
die Zahl 2. Der durch diese Länge definierte Punkt P auf der Zahlengeraden ist kein rationaler Punkt (vgl. den Hilfssatz 1 in § 2). Dies erfordert die
Konstruktion der reellen Zahlen aus Q durch einen Abschlussprozess, und die
reellen Zahlen R entsprechen dann der gesamten Zahlengeraden. Diese Menge
R der reellen Zahlen werden wir in § 2 konstruieren. Wir werden in § 5 die
Menge der komplexen Zahlen C := {z = x + iy : x, y ∈ R} mit der imaginären
Einheit i kennenlernen, die man als Punkte in der Gaußschen Zahlenebene
bzw. geordnete Paare reeller Zahlen veranschaulichen kann. Wir haben dann
insgesamt die Inklusionen
∅ ⊂ N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C.
Die Zahlensysteme Q, R und C besitzen die Körperaxiome als gemeinsame
Eigenschaften.
Definition 1. Ein System K von Elementen heißt ein Körper, wenn es zu
je zwei Elementen a, b ∈ K eine Summe a + b ∈ K und ein Produkt ab ∈ K
derart gibt, dass die Körperaxiome (K1 ), (K2 ), (K3 ) gelten.
1. Axiome der Addition (K1 )
a) Assoziativgesetz: Für alle a, b, c ∈ K gilt: (a + b) + c = a + (b + c).
b) Kommutativgesetz: Für alle a, b ∈ K gilt: a + b = b + a.
c) Existenz des additiv neutralen (Null-)Elements: Es existiert ein neutrales Element 0 ∈ K derart, dass für alle a ∈ K die Bedingung
a + 0 = a gilt.
d) Existenz des additiv inversen (negativen) Elements: Zu jedem x ∈ K
gibt es ein inverses Element y ∈ K mit x + y = 0. Man schreibt
y := −x.
2. Axiome der Multiplikation (K2 )
a) Assoziativgesetz: Für alle a, b, c ∈ K gilt: (ab)c = a(bc).
b) Kommutativgesetz: Für alle a, b ∈ K gilt: ab = ba.
c) Existenz des multiplikativ neutralen (Eins-)Elements: Es existiert ein
neutrales Element 1 ∈ K derart, dass für alle a ∈ K die Bedingung
a · 1 = a gilt.
d) Existenz des multiplikativ inversen (reziproken) Elements: Zu jedem
x ∈ K\ {0} gibt es ein inverses Element y ∈ K mit x · y = 1. Man
schreibt y := x−1 .
§1 Das Rechnen mit reellen und komplexen Zahlen
3
3. Distributivgesetz (K3 )
Für alle a, b, c ∈ K gilt: (a + b) c = a c + b c.
Wir zeigen leicht, dass die Menge Q gemäß Definition 1 die Körperaxiome
erfüllt, z.B. gilt das Assoziativgesetz der Addition:
p1
p2
p3
Seien a =
, b=
und c =
mit pk ∈ Z sowie qk ∈ N für (k = 1, 2, 3).
q1
q2
q3
Im Zahlbereich Z gelten (K1 ) und (K3 ), also folgt
(
)
)
(
p3
p3
p1
p2
p1 q2 + p2 q1
p1 q2 + p2 q1
p3
(a + b) + c =
+
+
+
=
=
+
q1
q2
q3
q1 q2
q3
q1 q2
q3
(p1 q2 + p2 q1 )q3 + p3 (q1 q2 )
p1 q2 q3 + (p2 q1 q3 + p3 q1 q2 )
=
=
q1 q2 q3
q1 q2 q3
)
(
p1
p2
p3
= a + (b + c).
=
+
+
q1
q2
q3
Die Axiome der Addition (K1 ) bzw. der Multiplikation (K2 ) bedeuten, dass
K bzgl. der Addition bzw. der Multiplikation eine Abelsche Gruppe ist.
Satz 1. Die Körperaxiome liefern die nachfolgenden Eigenschaften für die
Elemente von K:
I) Für beliebige a, b ∈ K ist die Gleichung a + x = b eindeutig lösbar.
II) Für beliebige a ∈ K \ {0} und b ∈ K ist die Gleichung a · y = b eindeutig
lösbar.
III)Für alle x ∈ K gelten x · 0 = 0 und (−1) · x = −x.
IV)Für alle x ∈ K gilt −(−x) = x.
V) Für alle x, y ∈ K \ {0} gilt xy ̸= 0.
Beweis: I) Nach (K1 ) existiert zu a ∈ K das negative Element −a ∈ K. Wir
addieren zur Gleichung a + x = b von links (−a) und erhalten
(−a) + a + x = (−a) + b bzw. x = 0 + x = b + (−a) =: b − a .
Somit hat die Lösung notwendig die angegebene Gestalt, was ihre Eindeutigkeit impliziert. Zum Nachweis der Existenz einer Lösung zeigen wir, dass
x = b − a die Gleichung a + x = b löst. Es gelten nämlich wegen (K1 ) die
Gleichungen
a + x = a + [b + (−a)] = (a + b) + (−a) =
(b + a) + (−a) = b + [a + (−a)] = b + 0 = b .
II) Nach (K2 ) gibt es zu a ̸= 0 das inverse Element a−1 ∈ K. Wir multiplizieren die Gleichung ay = b von links mit a−1 und erhalten
a−1 ay = a−1 b bzw. y = 1 · y = ba−1 =:
b
.
a
4
I Das System der reellen und komplexen Zahlen
Damit ist die Eindeutigkeit geklärt, und die Existenz zeigen wir wie folgt:
b
löst die Gleichung ay = b, denn gemäß (K2 ) gilt
y=
a
ay = a(ba−1 ) = (ab)a−1 = (ba)a−1 = b(aa−1 ) = b · 1 = b .
III) Sei x ∈ K, so erhalten wir die erste Aussage mit
x · 0 = x · (0 + 0) = x · 0 + x · 0
⇒
0 = x · 0.
Die zweite Aussage von erhalten wir wie folgt:
(K3 )
(K2 )
0 = 0·x = (1+(−1))·x = 1·x+(−1)·x = x+(−1)·x
⇒
−x = (−1)·x .
IV) Sei x ∈ K gewählt. Einerseits gilt nach (K1 ) die Identität x + (−x) = 0,
andererseits aber auch (−x) + x = 0. Somit ist x ∈ K das inverse Element von
(−x) ∈ K, und es folgt x = −(−x).
V) Wir beweisen diese Aussage indirekt. Seien x, y ∈ K mit x ̸= 0 und y ̸= 0.
Wäre die Aussage xy ̸= 0 falsch, so gilt dann xy = 0. Nach (K2 ) gibt es
zu x ̸= 0 das inverse Element x−1 ∈ K und wir multiplizieren die Gleichung
xy = 0 von links mit x−1 . Dann erhalten wir mit y = x−1 xy = x−1 ·0 = 0 einen
Widerspruch zur Voraussetzung y ̸= 0. Damit ist die Widerspruchsannahme
xy = 0 falsch und die Aussage V) bewiesen.
q.e.d.
Bemerkungen zu V):
a) Die Folgerung V) ist äquivalent zu der Aussage:
Wenn x y = 0 gilt, dann ist x = 0 oder y = 0 erfüllt.
b) Seien x1 , . . . , xn ∈ K, so folgt aus der Gleichung x1 · . . . · xn = 0 für
wenigstens ein k ∈ {1, . . . , n} die Bedingung xk = 0 .
In der Analysis wird vom Rechnen mit Gleichungen zum Rechnen mit Ungleichungen übergegangen; letzteres beruht auf den nachfolgenden Anordnungsaxiomen.
Definition 2. Ein Körper K heißt angeordnet genau dann, wenn für gewisse
Elemente x ∈ K die Eigenschaft positiv zu sein x > 0 durch die sogenannten
Anordnungsaxiome (A1 ), (A2 ) charakterisiert wird:
(A1 ) Für jedes x ∈ K gilt genau eine der drei Beziehungen:
x = 0,
x > 0,
−x > 0
(Trichotomie), .
(A2 ) Für alle x, y ∈ K mit x > 0 und y > 0 folgen die Aussagen x + y > 0
sowie xy > 0.
§1 Das Rechnen mit reellen und komplexen Zahlen
5
Bemerkungen: Der Körper Q ist ein angeordneter Körper. Im § 2 werden wir
den angeordneten Körper R der reellen Zahlen konstruieren. Im § 5 werden wir
den Körper der komplexen Zahlen C kennenlernen, welcher nicht angeordnet
werden kann.
Definition 3. Sei K ein angeordneter Körper. Für beliebige x, y ∈ K gilt
x > y genau dann, wenn x − y > 0 gültig ist. Man vereinbart:
x≥y
x>y
⇔
⇔
x > y oder x = y
.
y<x
Gilt x > 0, so nennen wir x positiv. Für −x > 0 nennen wir x negativ,
und wir schreiben auch x < 0 .
Bemerkung: Die Aussage x < 0 heißt 0 > x nach Definition 3, und dieses ist
gleichbedeutend mit 0 − x > 0 bzw. −x > 0 .
Definition 4. Sei K ein angeordneter Körper. Für x ∈ K heißt

 x , falls x > 0
0 , falls x = 0
|x| :=

−x, falls x < 0
der Absolutbetrag von x.
Bemerkung: Für alle x ∈ K gilt |x| ≥ 0 und −|x| ≤ x ≤ |x| . Man kann sich
diese beiden Aussagen erklären, indem man die Fallunterscheidung x ≥ 0 und
x < 0 aus obiger Definition 4 beachtet. Ist nämlich x ≥ 0 so gilt − |x| ≤ 0 ≤
x = |x| , falls aber x < 0 erfüllt ist folgt − |x| = −(−x) = x < 0 < −x = |x| .
Satz 2. Nach den Körper-und Anordnungsaxiomen besitzen die Elemente des
angeordneten Körper K die folgenden Eigenschaften:
i) Für alle x, y, z ∈ K gilt: Aus x < y und y < z folgt x < z.
(Transitivität der kleiner-Relation)
ii) Für alle x, y, z ∈ K gilt: Aus x < y folgt x + z < y + z.
(Monotoniegesetz der Addition)
iii) Für alle x, y, z ∈ K gilt: Aus x < y und z > 0 folgt x z < y z.
(Monotoniegesetz der Multiplikation)
iv) Für alle x, y ∈ K gilt: Aus x < y folgt −x > −y.
(v) Für alle x ∈ K gilt: x2 = (−x)2 = |x|2 ≥ 0 sowie x2 = 0 ⇔ x = 0.
vi) Für alle x, y ∈ K gilt: Aus 0 < x < y folgt 0 < y −1 < x−1 .
vii)Für alle x, y ∈ K gilt |xy| = |x| · |y|.
viii)Für alle x, y ∈ K gilt |x + y| ≤ |x| + |y| .
(Dreiecksungleichung)
6
I Das System der reellen und komplexen Zahlen
ix) Für alle x, y ∈ K gilt |x − y| ≥ |x| − |y|.
−1 −1
x) Für alle x ∈ K \ {0} gilt x = |x| .
xi) Gegeben seien a ∈ R und 0 < ϵ ∈ R. Dann ist |x − a| < ϵ äquivalent zu
a−ϵ<x<a+ϵ
mit
x ∈ R.
xii)Sei a ∈ R. Gelten für beliebige x, x′ , y, y ′ ∈ R die Ungleichungen
|x| ≤ a,
|x′ | ≤ a,
|y| ≤ a
und
|y ′ | ≤ a ,
dann folgt |x y − x′ y ′ | ≤ a (|x − x′ | + |y − y ′ |) .
xiii)Sei 0 < a ∈ R erfüllt. Wenn für beliebige
x,
y ∈ R die Ungleichungen
1
1
1
|x| ≥ a und |y| ≥ a gelten, dann folgt − ≤ 2 |x − y| .
x y
a
Beweis: i) Nach Definition 3 ist zu zeigen, dass z − x > 0 erfüllt ist. Nach
Voraussetzung gilt
z >y ⇔ z−y >0
y >x ⇔ y−x>0
(A2 )
⇒ z − x = (z − y) + (y − x) > 0.
ii) Nach Definition 3 ist zu zeigen, dass (y + z) − (x + z) > 0 ist. Nach
Voraussetzung und Definition 3 gilt
(K1 )
0 < y − x = y − x + (z − z) = y + z − (x + z).
iii) Nach Definition 3 ist zu zeigen, dass y z − x z > 0 ist. Wegen der Voraussetzung y − x > 0 und z > 0 folgt nach (A2 ) und (K3 ) die Identität
yz − xz = (y − x)z > 0 .
iv) Nach Definition 3 ist zu zeigen, dass −x − (−y) > 0 gilt. Mit IV ) und
(K1 ) sowie der Voraussetzung x < y gilt
(−x) − (−y) = (−x) + y = y − x > 0 .
v) Sei x ∈ K, so haben wir die Identität x + (−x) = 0. Wir multiplizieren
diese Gleichung mit x bzw. (−x) und erhalten
0 = x [x + (−x)] = x · x + x · (−x) = x2 + (−x)x
0 = (−x) [x + (−x)] = (−x) · x + (−x) · (−x) = (−x) x + (−x)2
Da die beiden Gleichungen eindeutig lösbar sind, erhalten wir x2 und (−x)2
als negatives Element zu y = (−x)x , und es folgt x2 = −y = (−x)2 .
Definition 4 liefert
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