Einführung in die Psychologie – kognitive Sozialpsychologie – PD Dr. Ralph Hansmann 1 Sozialpsychologie § Teilgebiet der Psychologie, welches sich mit Einflüssen des sozialen Kontextes auf das Verhalten und Erleben von Menschen befasst. § Die Sozialpsychologie beschäftigt sich mit intrapersonalen und interpersonalen Prozessen. 2 Sozialer Kontext ist… a) Z.B. die einfache Anwesenheit anderer Menschen Ø z.B. “Mere Presence (= blosse Anwesenheit) Experimente Ø Fördert oder stört Anwesenheit anderer die Performanz in Aufgaben ? Ø Antwort: Anwesenheit anderer aktiviert und hat bei einfachen bzw. gut gelernten Aufgaben eher positive Effekte, aber bei komplexen neuen Aufgaben eher negative! b) Interaktion zwischen verschiedenen Individuen c) aktuelle Umgebung, Aktivitäten des Settings d) Bestand formeller und ungeschriebener Regeln 3 Vater der Sozialpsychologie: Kurt Lewin (1890-1947) § V = f (P, U) § Das Verhalten (und Erleben) wird als Funktion einer komplexen Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt(variablen) betrachtet. § “U” beinhaltet die „soziale Umwelt“ und die „physikalische Umwelt“ Ø Bps.: Arbeitsproduktivität (V) als Folge von Ø Fähigkeit, Motivation, Anstrengung (P) Ø Mitarbeiterverhalten, Vorgesetze (sU); Beleuchtung, Werkzeuge (pU) 4 1. Attributionstheorie (F. Heider, 1958) § “Der naive Psychologe” ⇒ Kausalattributionen im Alltag Ø Fundamentaler Attributionsfehler: Ø “Wir gehen zu häufig davon aus, dass persönliche Eigenschaften der Menschen ihr eigenes Verhalten verursachen.” - V = f (P) Ø Der Einfluss der Situation wird oft unterschätzt, vor allem bei Fremattributionen § Verstärkung persönlicher Attribution → Schwerevorurteil § Selbstattribution vs. Fremdattribution 5 Experiment: Zufallszuteilung je zweier Probanden zur Rolle von Quizmaster (Fragende, die Fragen stellen, deren Antworten ihnen bekannt sind) und Kandidat (nach Zimbardo 1996, S. 428-429) → Kandidaten und Beobachter haben gemäss Zufallszuteilung und ergänzenden Tests vergleichbares Allgemeinwissen → insbesondere externe Beobachter attribuieren dennoch personal anstatt 6 situational → fundamentaler Attributionsfehler Vorwiegend bei Fremdattributionen 7 Häufige Attributionstendenzen Eigen-/Selbstattribution mein Verhalten Fremdattribution dein Verhalten “Wohlverhalten oder Erfolg” “Fehlverhalten oder Misserfolg” Internal, stabil “Ich bin der Grösste!” External, instabil “Mich hat der Teufel geritten!” External, instabil “Du hast bloss Schwein gehabt!” Internal, stabil “Du hast nicht das Zeug dazu!” In der Begründung unseres eigenen Verhaltens bevorzugen wir bestimmte Richtungen: Haben wir Erfolg, sind die Ursachen angeblich internal, versagen wir, sind sie external. Genau das Gegenteil gilt häufig, wenn wir das Verhalten anderer erklären. 8 Konsensus: Je unkonsentierter ein Verhalten (je unwahrscheinlicher, ungewöhnlicher), desto stärker die personelle Attribution: Bsp.: In faulen Apfel beissen, während der Vorlesung reden Absicht und Anstrengung: Je mehr sich eine Person bemüht, desto stärker persönliche Attribution. Bsp.: Sportler mit expressiven Gesten, Kind das viel gelernt hat – Fleiss, Anstrengung Fähigkeit: Je fähiger eine Person, desto stärker wird sie persönlich verantwortlich angesehen. Bsp.: Kapitäne, Piloten, Ingenieure 9 ´Schwerevorurteil´ Je gravierender ihr “schlechtes” Verhalten, um so mehr sind (bzw. erscheinen) Sie persönlich verantwortlich. Eigenattribution tendentiell external Fremdattribution tendentiell internal Schwerevorurteil 10 2. Dissonanztheorie (Festinger, 1957) § Grundannahmen § Dissonanzerzeugende Situationen § Grundidee vieler dissonanztheoretischen Experimente: § Je grösser der Grad an einstellungsdiskrepantem Verhalten, desto grösser die Einstellungsänderung. 11 Grundannahmen: - Gleichgewicht des kognitiven Systems wird angestrebt - Zwei Kognitionen können irrelevant, konsonant, oder dissonant sein - Kognitionen besitzen unterschiedliche Änderungsresistenz Definition: Zwei Kognitionen stehen in einer dissonanten Beziehung, wenn ohne Berücksichtigung anderer Kognitionen aus der einen Kognition das Entgegengesetzte der anderen folgt. Dissonanzreduktion ist möglich durch: - Verhaltensänderung / Entscheidungsänderung - Einstellungsänderung (Hinzufügen neuer oder Änderung bestehender Kognitionen) 12 Kognitive Elemente: § Überzeugungen / Wissen (Bier enthält Alkohol) § Gefühle / Einstellungen (Ich hasse Bier) § Verhalten / Entscheidung (Ich trinke kein Bier) Erzeugt ein Ereignis kognitive Dissonanz, so wird mit höchster Wahrscheinlichkeit diejenige Kognition geändert, welche im Vergleich zu den übrigen an der dissonanten Beziehung unmittelbar beteiligten Kognitionen die relativ geringste Änderungsresistenz besitzt. 13 1. Experiment zu forcierter Einwilligung (Festinger & Carlsmith, 1959) Skala -5 bis +5 14 2. Experiment zu forcierter Einwilligung Wenn eine Person ein Verhalten zeigt, das mit ihrer privaten Meinung unvereinbar ist, entsteht kognitive Dissonanz. Hypothese: Je geringer eine angedrohte Bestrafung, desto höher die Dissonanz. 15 Aus: Crasemann, 1990 27.11.14 Experiment Nach-Entscheidungs-Dissonanzreduktion und “spreading apart”-Effekt 17 Bei der Entscheidung zwischen mehreren Alternativen entsteht oft kognitive Dissonanz. Die positiven Aspekte der nicht gewählten Alternative und die negativen Aspekte der gewählten Alternative sind dissonant zur Entscheidung. Dissonanzreduktion ist möglich durch - Entscheidungsänderung - Erhöhung der Attraktivität der gewählten Alternative bzw. Abwertung der nicht gewählten Alternative. = “Spreading apart”-Effekt ↔ Aber, insbesondere bei vorläufigen bzw. revidierbaren Entscheidungen wurden auch gegensätzliche Tendenzen beobachtet! → Der sog. “Regret”-Effekt wird in der Reaktanztheorie (Brehm & Wicklund, 1970) durch Streben nach Entscheidungsfreiheit erklärt. → Man strebt zum Zeitpunkt vor der Entscheidung (Wahlfreiheit) 18 Exkurs: Reaktanztheorie (Brehm & Wicklund, 1970) Ø Studien zeigen, dass Aufforderungen im Befehlston weniger wirksam sind als höflich formulierte (Reich & Robertson, 1979; Durdan et al., 1985) Ø Bsp.: Anti-Litterring Slogans" Ø „Help Keep Your Pool clean“ oder:„Keeping the Pool clean depends on You“ erwiesen sich in Experimenten als effektiver als „Don‘t Litter“ oder: „Don‘t You dare to Litter“" → Befehle und diktierte Werte und Normen können als Angriff auf die Freiheit empfunden werden. → Menschen streben nach Freiheit! ↔ Aber!; Studien von Milgram (1961) zeigen das Menschen auch zu gehorsam gegenüber Autoritäten neigen und in einem vorgeblichen wissenschaftlichen Lernexperiment „im Dienste der Wissenschaft“ anderen Menschen auf Anordnung hin (lebens)gefährliche Stromschläge geben.! ! Experiment zur Foot-in-the-door-Technik Leistet man jemandem ohne genügend Rechtfertigung Hilfe, so entsteht Dissonanz. Sie kann durch Erhöhung der Attraktivität des Empfängers reduziert werden, was weitere Hilfeleistungen wahrscheinlicher macht. Hypothese: Die Erfüllung einer kleinen Gefälligkeit erhöht die Bereitschaft zu einer grossen Hilfeleistung. 20 Foot-in-the-door-Technik Im klassischen Experiment von Jonathan Freedman und Scott Fraser (1966) baten sie kalifornische Hausfrauen, eine Petition für Defensives Fahren zu unterzeichnen. Zwei Wochen später wurden diese Frauen, sowie eine gleich große Gruppe von zuvor nicht angesprochenen Frauen gefragt, ob sie sich eine große Reklametafel für defensives Fahren in ihren Vorgarten stellen würden. Die Zahl der Zustimmungen war in der „Petitions-Gruppe“ dreimal so hoch wie in der Kontrollgruppe. (Quelle: Wikipedia) 21 Door-in-the-Face-Technik Man fragt nach einem so großen, unverschämten Gefallen, den praktisch jeder ablehnt. Dann bittet man um etwas sehr viel geringeres (die wahre Forderung) und hat gute Chancen, dass das Gegenüber dieser Bitte zustimmt. Experiment von Cialdini (1975): Eine Gruppe von Personen wurde gefragt, ob sie Jugendliche in den Zoo begleiten würden: nur 17 Prozent stimmten zu (Kontrollgruppe). Die Vergleichsgruppe wurde vorab gefragt, ob sie zwei Stunden pro Woche für ein Jugendzentrum arbeiten würde - worauf die Antwort überwiegend „nein“ war. → Der eigentlichen Folgefrage, ob man bereit sei, Jugendliche einmalig in den Zoo zu begleiten, stimmten hier drei mal so viele der Versuchspersonen zu. (Quelle: Wikipedia) 22 3. Sozialpsychologische Modelle des (Umwelt)verhaltens § Wissen § Optionen & Restriktionen § Sozialer Einfluss, soziale Normen, Gruppendruck § persönliche Normen und Einstellungen § Gewohnheiten ... beeinflussen das Verhalten. (vgl. Stern, 2000) Warum helfen Menschen anderen Menschen? Psychologie des altruistischen Verhaltens → Übertragung auf umweltfreundliches Verhalten Wissen um Konsequenzen Soziale Norm Wissen um Verantwortung Persönliche Norm Das Norm-Aktivations Modell (Schwartz, 1977) zur Erklärung altruistischen Verhaltens wurde auch auf den Bereich positiven Umweltverhaltens angewandt. Hilfeverhalten (Altruismus) oder auch Umweltschutz - Recycling/ - Non-Littering 24 Norm-Aktivationsmodell altruistischen Verhaltens von Schwartz (1977); sowie Reaktanz (Brehm & Wicklund, 1970; Hansmann et al. 2009) und Rechtfertigungen (Diekmann & Preisendörfer, 1992; Hansmann et al. 2006) als hauptsächliche psychologische Hindernisse für erfolgreiche Verhaltenswirkungen von Kampagnen Wissen um Konsequenzen Kampagne Soziale Norm Persönliche Norm Reaktanz Gefühl von Verantwortung Recycling/ Non-Littering Rechtfertigungen 25 Rechtfertigungen Neutralisierung (R. vor Verhalten) Umweltschädliches Verhalten Rationalisierung (R. nach Verhalten) Gewohnheitsbildung bzw. Stabilisierung von Fehlverhalten durch Rechtfertigungen (Neutralisationstheorie von Sykes & Maza, 1957) Theory of Planned Behavior (Ajzen, 1991) Einstellung zum Verhalten wahrgenommene Soziale Normen Verhaltens Intention Verhalten wahrgenommene Verhaltenskontrolle TPB erreicht im Mittel eine Aufklärung von 39% der Varianz der Intentionen und von 27% der Varianz des Verhaltens. (gemäss Meta-Analyse von 187 Studien durch Armitage & Conner, 2001) Einstellung (attitude): Ein relativ dauerhaftes Bündel von Überzeugungen und damit verbundenen Gefühlen (positiv oder negativ) in Bezug auf ein Objekt oder eine Situation, die das Individuum dazu veranlagen, sich gegenüber dem Objekt oder der Situation in bestimmter Weise zu verhalten. Wahrgenommene soziale Norm: Welches Verhalten billigen oder wünschen sich wichtige soziale Bezugspersonen und –gruppen? Wie sehr möchte ich diesen Anforderungen gerecht werden? Subjektive Verhaltenskontrolle: Kann ich das Verhalten (sicher und erfolgreich) ausführen, habe ich die Möglichkeiten, Fähigkeit, Mittel hierfür? Intention: Zielsetzung, Vorhaben, Wille ein bestimmtes Verhalten auszuführen. Basiert auf Motivation und kognitiven Denk- und Entscheidungsprozessen ⇒ „Theorie geplanten Verhaltens“ 28 Die TPB ist grundsätzlich offen für den Einbezug zusätzlicher Variablen und Prozesse für die Erklärung und Vorhersage von Verhalten § “[…]The theory of planned behavior is, in principle, open to the inclusion of additional predictors if it can be shown that they capture a significant proportion of the variance in intention or behavior after the theory’s current variables have been taken into account.” (Ajzen, 1991; p. 199) 29 Vielfältige Erweiterungen oder Modifikationen der TPB sind denkbar Bsp.: eigenes Sozialpsychologisches Verhaltensmodell Einstellung zum Verhalten (Nutzenkalkül) Soziale Normen Gruppendynamik Wissen und Kompetenz Restriktionen und Optionen (Hansmann, 2012) Gewohnheitsbildung Erfolg und Kompetenz Intention (Vorsatz) Rechtfertigung Verhalten Kosten-Nutzen Bequemlichkeit Persönliche und soziale Normen Selbstbild/Identität Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 30