Entscheidungsfindung in der komplexen Endodontie

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BZB Juli/August 17
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Wissenschaft und Fortbildung
Entscheidungsfindung
in der komplexen Endodontie
Wann sollten Zähne erhalten und wann extrahiert werden?
E i n B e i t r a g v o n D r. Wo l f g a n g G ä n s l e r, I l l e r t i s s e n
In den vergangenen 20 Jahren hat dank der
Weiterentwicklung der endodontischen Techniken ein Umdenken stattgefunden. Wir sind heute
mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit in der
Lage, Zähne mithilfe komplexer endodontischer
Maßnahmen zu erhalten. Zudem ist festzustellen, dass immer mehr Patienten ein Interesse an
dieser Art der Zahnerhaltung haben und diese
auch honorieren. Die Behandlungsoptionen
reichen dabei von der endodontischen Erstbehandlung an Front- und Seitenzähnen über
Revisionsbehandlungen mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten bis hin zu chirurgischen
retrograden Maßnahmen.
schätzung des betroffenen Zahns sowie der möglichen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, die
eine endodontische Behandlung mit sich bringen
kann. Gerade im Falle tief zerstörter oder frakturierter Zähne sollte man mit dem Patienten ein
sachliches und offenes Gespräch über die zu erwartende langfristige Prognose einer möglichen
endodontischen Behandlung führen.
In diesem Artikel möchte ich anhand verschiedener Patientenfälle mögliche Entscheidungsprozesse
für oder gegen eine endodontische Behandlung
darstellen. Dabei sollen auch fachliche Tipps für
die Behandlung von unzureichend vorbehandelten
Zähnen (Abb. 1 und 2) miteinfließen.
Mit steigender Berufserfahrung und regelmäßiger
Fortbildung verfügt ein Zahnarzt über das notwendige Know-how, um zielgerichtete und individuelle
Entscheidungen bezüglich endodontisch zu behandelnden Zähnen treffen zu können. Aus meiner persönlichen Erfahrung der zurückliegenden
25 Berufsjahre war die Anschaffung eines OPMikroskops 1997 mit der größte Quantensprung
in der endodontischen Behandlung. Begleitend
sind seit den 1990er-Jahren die maschinellen Feilensysteme, die Desinfektionsmethoden sowie die
dreidimensionalen Füllungstechniken gut weiterentwickelt worden. Erfolgreiche Endodontie lebt
aber auch von der kritischen und ehrlichen Ein-
Endodontische Erstbehandlung
eines tief kariösen Zahns
Im Notdienst stellte sich ein Patient mit massivsten
Schmerzen an Zahn 17 vor, der unter der alten,
insuffizienten Restauration eine massive Karies
aufwies. Röntgenologisch präsentierte sich der
Zahn als tief zerstört (Abb. 3). Erst der Blick auf
die Klinik half, eine zielgerichtete Entscheidung zu
treffen. Als Nebenbefund zeigte sich bei Zahn 16
eine insuffiziente und zu kurze Wurzelkanalfüllung, die nicht bis an den Apex reichte. Rein vom
Röntgenbild her würde man im ersten Augenblick
geneigt sein zu sagen, dass der Zahn mittels einer
endodontischen Behandlung und adhäsiven Auf-
Abb. 1: Zahn 26 wurde alio loco 14-mal „endodontisch“ anbehandelt und das durch die nur leicht eröffnete Pulpendecke.
Abb. 2: Zahn 26 nach endodontischer vollständiger Kariesexkavation
und Aufbereitung aller vier Kanalsysteme
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Abb. 3: Zahn 17 mit massiver Karies unter der insuffizienten
Restauration
Abb. 4: Klinische Darstellung des kariösen Zahns 17 mit ausgedehnter Erweichung der Zahnhartsubstanz
Abb. 5: Röntgenbild des Zahns 26 mit intakter Keramikkrone, aber
mit Beschwerden des Endodonts
Abb. 6: Schonende Zugangspräparation und Trepanationsöffnung
durch die intakte Keramikteilkrone
baufüllung sowie einer späteren zahntechnischen
Rekonstruktion wiederhergestellt werden kann.
Schaut man sich jedoch das klinische Bild kritisch
an, ist die langfristige Prognose des Zahns gemessen am zeitlichen, inhaltlichen und finanziellen
Aufwand sehr ungünstig.
Das erste Entscheidungskriterium ist immer die
Frage, ob der Zahn noch kofferdamfähig ist. Wenn
hier bereits ein sehr großer Aufwand zur absoluten Trockenlegung getätigt werden müsste, ist der
Zahn extraktionswürdig. Betrachtet man die ausgedehnte Karies, die vor allem disto-palatinal die
Substanz des Zahns 17 bis subgingival erweicht
hat (Abb. 4), dann bestehen berechtigte Zweifel
über die verlässliche Abdichtung mit Kofferdam.
Zudem würde wohl später auch eine konstante
Verletzung der biologischen Breite durch eine tief
subgingival reichende Restauration stattfinden.
Auch die verlässliche Klebung und Fixierung einer
adhäsiven Aufbaurestauration im Rahmen einer
initialen endodontischen Behandlung an der vermutlich zu erwartenden dünnen bukkalen Wand
wären ein Kompromiss. Stellt man den rund zweimal zweistündigen Aufwand für die Rettung des
Zahns, den hohen Verbrauch an endodontischen
Instrumenten und adhäsiven Materialien sowie die
insgesamt zu erwartenden Kosten in Relation zu der
Fragestellung, wie lange der Zahn auf diese Weise
erhalten werden kann, dann ist die Entscheidung
für dessen Extraktion schnell getroffen. Allerdings
muss der Patient stets umfassend aufgeklärt und
in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.
Endodontische Erstbehandlung
eines definitiv versorgten Zahns
mit späterer Schmerzproblematik
Es wurde ein vor Jahren behandelter Patient mit
Beschwerden an Zahn 26 (Vipr. +, Perk. +), der mit
einer erhaltungswürdigen keramischen Teilkrone
versorgt war, vorstellig (Abb. 5). Die Entscheidungskriterien für eine endodontische Maßnahme waren
eindeutig: Es lag eine dichte, intakte keramische
Restauration vor, der Zahn stand stabil in einem
guten Knochenangebot und er sollte für eine intakte
Zahnreihe erhalten werden.
Bei der endodontischen Therapie wird man bei
der Anlegung der Zugangskavität schonend vorgehen, um die Keramikteilkrone nicht unnötig zu
schwächen (Abb. 6). Gerade unter Verwendung eines Zeiss Dental-Mikroskops OPMI Pro Ergo ist bei
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sehr entzündeten Zähnen, die chemo-mechanische
Aufbereitung vollständig durchgeführt und dann
eine medikamentöse Einlage mit Calciumhydroxid
eingebracht. In einem Abstand von wenigen Wochen wird dann beim zweiten Termin nochmals
reichlich mit NaOCl gespült und bei Symptomfreiheit (Perk. -, kein Dolor, kein Pus- oder Blutfluss in
den Kanälen) eine dreidimensionale dichte thermoplastische Wurzelfüllung vorgenommen (Abb. 7).
Abb. 7: Zahn 26 mit Wurzelfüllung in thermoplastischer, vertikaler
Kondensationstechnik
perfekter Ausleuchtung der Kavität eine zielgerichtete Suche nach allen vier Wurzelkanälen möglich.
Die initiale Aufbereitung der oftmals obliterierten
Kanäle erfolgt mit vorsichtiger Handinstrumentation. Zu Beginn der Kanalerweiterung wird eine
10-er Hedströmfeile mit angeklebter Längenmessung vorsichtig in den jeweiligen Kanal eingeführt.
Dann wird die Feile in einer sogenannten WiggleWiggle-Pull-Motion bis an die elektrometrisch bestimmte Konstruktion herangeführt. Diese Technik wird bei allen vier Kanälen angewendet. Anschließend wird reichlich mit Natriumhypochlorit
gespült und die folgende Erweiterung mit aufsteigenden Feilengrößen durchgeführt.
Wenn alle Kanäle per Hand bis zur Größe ISO 25
vorinstrumentiert sind, kommen ProTaper Universal- beziehungsweise ProTaper Gold-Feilen zur maschinellen Instrumentation zum Einsatz. Wichtig ist
das konstante Fluten des Kanallumens und der Pulpenkammer mit zum Beispiel drei- bis fünfprozentiger Natriumhypochloritlösung. In meiner Praxis
wird in der Regel beim ersten Termin, vor allem bei
Abb. 8: Röntgenbild des unbehandelten
Zahns 21 zwei Wochen nach Trauma
Endodontische Erstbehandlung
eines traumatisierten Frontzahns
mit apikaler Aufhellung und Lockerung
Ein 17-jähriger Patient wurde als Notfall in der
Sprechstunde vorstellig. Circa zwei Wochen zuvor
war er auf die Oberkieferfront gestürzt und hatte
bei dem Notdienstkollegen die Auskunft bekommen,
dass es mit der Behandlung des frakturierten und
extrudierten Zahns 21 nicht eilig sei. Anstatt den
vorhandenen KFO-Draht als Schienung zu benutzen, hatte der Kollege den deutlich aus der Alveole
verschobenen Zahn unbehandelt belassen.
Der Zahn zeigte eine deutliche Lockerung, war
devital und wies bereits zwei Wochen nach dem
Trauma eine apikale Aufhellung auf (Abb. 8).
Nach Aufklärung der Mutter und des jungen Patienten erfolgte eine endodontische Behandlung
des Zahns 21 von der absoluten Trockenlegung
(Abb. 9) bis hin zur chemo-mechanischen Aufbereitung, medikamentösen Einlage und anschließenden adhäsiven Fixierung des mit dem Komposit Miris aufgebauten Zahns an einen quer in die
ebenfalls aufgebauten Nachbarzähne eingelegten
Vierkantdraht (Abb. 10).
Nach circa zwei Wochen schloss sich eine weitere
Sitzung mit Desinfektion und medikamentöser Einlage und in einem dritten Termin die thermoplasti-
Abb. 9: Absolute Trockenlegung über die frakturierten Zähne 12, 11 und 21 vor Beginn der
endodontischen Behandlung des Zahns 21
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Abb. 10: Adhäsiv aufgebaute Frontzähne nach endodontischer Behandlung von Zahn 21 und
Schienung mittels eines eingeklebten Vierkant-KFO-Drahts
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Abb. 11: Röntgenkontrollbild der
thermoplastischen Wurzelfüllung
drei Jahre nach Erstbehandlung
Abb. 12: Zahn 46 mit vorhandener Wurzelfüllung, die alio loco eingebracht wurde. Der Zahn zeigt apikal eine massive Entzündung,
die Nachbarzähne weisen eine ausgedehnte Karies auf.
Abb. 13: Röntgenkontrollaufnahme der Wurzelfüllungen der Zähne
45 und 46. Die apikale Entzündung ist fast ausgeheilt.
sche Wurzelfüllung an. Bereits binnen Tagen nach
der Erstbehandlung zeigte sich eine Rückbildungstendenz des apikalen Druckpunkts. Auch die traumatisierte Gingiva heilte gut ab. Drei Jahre nach der
Erstbehandlung wurde ein Kontrollröntgenbild angefertigt (Abb. 11). Aufgrund der apikal unauffälligen Verhältnisse folgte eine dauerhafte Versorgung
mit ästhetisch ansprechenden Keramikkronen.
gen Behandlung offen und transparent über Prognose, Aufwand und Kosten zu informieren.
Endodontische Revisionsbehandlungen
Die Entscheidungsprozesse bei bereits endodontisch
vorbehandelten Zähnen sind deutlich komplexer.
Gerade wenn man auch endodontische Zuweisungen bekommt, wird man häufig mit grenzwertigen
Zähnen konfrontiert, die bereits an- und vorbehandelt sind. Über die Jahre lernt man aus sogenannten spekulativen Behandlungsversuchen (Dr. Udo
Schulz-Bongert jr.), dass jede endodontische Revisionsbehandlung Unwägbarkeiten im Hinblick auf
Behandlung, Komplikationen und Prognose birgt.
Hier gilt es auch, seine Erfahrung einzubringen und
den Patienten im Vorfeld einer derart zeitaufwendi-
Patientenfall 1: Zahn 46
mit deutlicher apikaler Aufhellung
Im Rahmen eines circa vierstündigen konservierenden Termins wurde bei einem Patienten der
komplette vierte Quadrant konservierend saniert.
Die Sanierung umfasste die komplette Entfernung
der Karies, den adhäsiven Aufbau mit dem Komposit Miris 2, die endodontische Revisionsbehandlung des Zahns 46 (Abb. 12) sowie die endodontische Erstbehandlung des Zahns 45. In die Zähne 45
und 46 wurde eine medikamentöse Einlage mit
Calciumhydroxid eingebracht und sie wurden adhäsiv dicht verschlossen.
Nach einer längeren Phase wurden die beiden Zähne
dann nochmals durch die adhäsive Rekonstruktion
hindurch mit einer Trepanationsöffnung versehen,
gut gespült und thermoplastisch bis apikal gefüllt.
Die apikale Entzündung bei Zahn 46 zeigte eine
deutliche Rückbildungstendenz (Abb. 13).
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Abb. 14: Röntgenbild des Zahns 15 mit ausgedehnter Entzündung
Abb. 15: Anwendung des Tissue Master Concepts zur Kieferkammerhaltung
Patientenfall 2: Patientin mit länger zurückliegender
Wurzelbehandlung, apikaler Aufhellung und Fistelung
Im April 2017 zeigte sich bei einer langjährigen
Patientin bei dem bislang unauffälligen Zahn 15
bukkal eine Fistel. Auf dem angefertigten Röntgenbild waren eine apikale und laterale Entzündung
erkennbar (Abb. 14). Der Verdacht auf eine Längsfraktur lag nahe. Vor vielen Jahren waren alio loco
ein massiver Goldkernaufbau in den zu aggressiv
erweiterten Wurzelkanal eingebracht und der Zahn
zudem apikal im Sinne einer „klassischen“ groben
Wurzelspitzenresektion gekürzt worden, was wiederum zu einer Verschlechterung des klinischen
Verhältnisses der Wurzellänge zur Kronenlänge
geführt hatte.
Mit der Patientin wurde besprochen, dass der Zahn
im Sinne des Tissue Master Concepts (siehe BZB
4/2017, S. 46 ff.) mittels kieferorthopädischer Kräfte
extrudiert und dann extrahiert werden soll, bei
gleichzeitigem Erhalt des Volumens des Alveolarknochens in vertikaler und horizontaler Richtung
(Abb. 15). Anschließend soll die Insertion eines Implantats erfolgen.
der kieferorthopädischen Kontrollsitzungen auf.
Daraufhin wurde mir die Patientin mit dem Verdacht auf eine eventuell beginnende Resorption
der Wurzel überwiesen.
Beim ersten Termin wurde der Zahn trepaniert
und es wurden per elektrometrischer Längenmessung vorsichtig die Messlänge und vor allem die
initiale apikale Weite gemessen (Abb. 16). Bei der
Ultraschallaktivierung der Natriumhypochloritlösung kam es unerwarteterweise zu einer Fraktur der Titan-Schallspitze, die dann beim Versuch
der Entfernung unter dem OP-Mikroskop immer
mehr nach apikal durchrutschte und schließlich
im Knochen außerhalb der Wurzel steckte. Daraufhin musste in derselben Sitzung eine retrograde
Wurzelspitzenbehandlung eingeleitet werden.
Nach Eröffnung der apikalen OP-Region unter dem
Zeiss-Dentalmikroskop präsentierte sich eine Zyste,
in der das Titanbruchstück steckte (Abb. 17). Beides
wurde entfernt und der Zahn nach reichlicher Spülung mit NaOCl mit einer medikamentösen Einlage
gefüllt und adhäsiv dicht verschlossen.
Nach circa vier bis fünf Wochen wurde erneut
eine Desinfektion durchgeführt und eine frische
medikamentöse Einlage eingebracht. Bei komplikationslosem Heilungsverlauf erfolgte dann rund
drei Wochen später die thermoplastische Wurzelfüllung (Abb. 18).
Kombinierte endodontische
ortho- und retrograde Behandlung
Eine 13-jährige Patientin stellte sich mit Problemen
an Zahn 21 vor, den sie circa drei Monate zuvor
bei einem Sturz traumatisiert hatte. Der Zahn war
trotz der kieferorthopädischen Schienung beweglich mit Lockerungsgrad 2, devital und zeigte eine
apikale Aufhellung sowie eine bukkale Fistel. Unglücklicherweise hatte nach dem Sturz und Trauma
keine zielgerichtete zahnärztliche Behandlung
beim aufgesuchten Hauszahnarzt stattgefunden,
der die Mutter eher beruhigt und „zum Zuwarten“
geraten hatte. Dass der Zahn dann in den Folgewochen Probleme entwickelt hat, fiel im Rahmen
Zusammenfassung
Dank der uns heute zur Verfügung stehenden Behandlungskonzepte und Instrumente, vor allem des
OP-Mikroskops, sind endodontische Behandlungen
mit einer hohen Ergebnissicherheit möglich. Bei
einer State-of-the-Art-Vorgehensweise ist bei der
endodontischen Erstbehandlung eines Zahns mit
einer prozentualen Erfolgsquote in Höhe von circa
95 bis 98 Prozent zu rechnen. Voraussetzung ist, dass
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Abb. 16: Absolut trockengelegter Zahn 21 mit eingeführtem Messinstrument zur initialen Weitenmessung der Apikalregion. Abdämmung des Kofferdams mittels lichthärtendem Cooldam, da ein KFODraht installiert ist.
Abb. 17: Röntgenbild des Zahns 21
mit frakturierter Titanspitze, die apikal in die Zyste gerutscht war, und
eingeführtem Messinstrument
der Zahn noch genügend eigene Restsubstanz hat
und daran eine entsprechend sauber angeklebte,
adhäsive Restauration zur Verankerung anzubringen ist. Ein entscheidendes Kriterium ist der Ferrule,
sprich die Restsubstanz des eigenen Zahnmaterials,
die eine korrekte Umfassung des Zahnstumpfs ermöglicht, wenn es später auf eine zahntechnisch
gefertigte Restauration hinauslaufen soll. Zähne,
die so tief subgingival kariös oder zerstört sind, dass
eine absolute Trockenlegung nicht mehr möglich ist,
sollten extrahiert werden. Denn wenn als fachlicher
Kompromiss bei undichten subgingivalen Verhältnissen Aufbaurestaurationen eingebracht werden
und diese nicht absolut dicht abschließen, kann
von der baldigen bakteriellen Wiederbesiedlung des
Wurzelkanallumens über den Spalt ausgegangen
werden. Ebenso führt ein tief subgingival an den
Knochen angrenzender Restaurationsrand aufgrund
der Verletzung der biologischen Breite zu chronischen Entzündungen.
Endodontische Revisionsbehandlungen von Zähnen sind stets als sogenannte spekulative Behandlungsversuche zu sehen. Damit soll nicht einer
gewissen Großzügigkeit in der endodontischen
Behandlung vorgegriffen werden, doch zeigt sich
erst im Zahninneren bei solchen manchmal mehrfach vorbehandelten Zähnen, was an tatsächlichen
Problemen vorhanden ist. Hier sind Röntgenbilder
leider nur bescheidene Hilfsmittel in der Diagnostik. Zeigt sich bereits in der Erstuntersuchung, dass
ein zu revidierender Zahn massivste Schwierigkeiten (einzementierte, geschraubte Stifte, aggressive
Erweiterung, Wurzelspitzenresektion, geringe Restsubstanz unter der alten Krone etc.) mit sich bringt,
sollte mit dem Patienten extrem kritisch über die
mögliche Prognose einer Revisionsbehandlung ge-
sprochen werden. Hier stellt die Erfahrung über die
Berufsjahre eine große Hilfe bei der Entscheidung
und Beratung dar. Ich bin der festen Meinung, dass
das Implantat „der bessere Zahn“ ist, wenn bei der
Bekundung und Diagnosestellung unter Einbeziehung aller genannten Kriterien keine Erfolgswahrscheinlichkeit über 70 Prozent Überlebensrate des
Zahns auf mindestens die nächsten fünf, besser
aber sieben Jahre gegeben ist.
Dank der optimierten Aufbereitungs- und thermoplastischen Fülltechniken sowie einer Vielzahl
technischer Hilfsmittel können heutzutage fast
alle endodontischen Behandlungen von orthograd ausgeführt und erfolgreich zum Abschluss
gebracht werden. Retrograde Behandlungen sind
aus meiner Sicht nur dann sinnvoll, wenn es möglich war oder ist, eine dichte Wurzelfüllung in das
komplette Kanallumen einzubringen.
Wenn auch mittlerweile die jungen Kollegen bereits
im Studium diese maschinellen Techniken und die
Anwendung des Dentalmikroskops kennenlernen,
so sind es doch die Praxis und das Sammeln von
vielen Erfahrungen, die einem helfen, in der alltäglichen Endodontie besser zu werden. Hier ist
auch der Besuch praxisorientierter Fortbildungen
zu empfehlen, auf denen klinische Tipps und Tricks
vermittelt werden.
Abb. 18: Zahn 21 mit thermoplastischer Wurzelfüllung
Korrespondenzadresse:
Dr. Wolfgang Gänsler
Praxis für Zahnheilkunde
Spezialist für Endodontie, Funktion und Rekonstruktion
Institut für zahnärztliche Fortbildungen
Marktplatz 20, 89257 Illertissen
[email protected]
www.praxis-dr-gaensler.de
www.wurzelbehandlung.expert
Literatur beim Verfasser
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