des islam - Universal Islam

Werbung
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 1
Taqiyyu-d-Din an-Nabhani
DIE LEBENSORDNUNG
DES ISLAM
(NIZAMU-L-ISLAM)
veröffentlicht von
Hizb-ut-Tahrir
Al-Quds (Jerusalem)
1372 d.H. - 1953 n.C.
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 2
AL-Khilafah Publications
PO Box 1100
London CR4 2ZR
email: [email protected]
web:http://www.khilafah.com
1418n.H. - 1997n.Chr.
ISBN 1 899 574 123
Zu r Ü b e r s e t z u n g d e s Q u r ’ a n:
Es sollte absolut klar sein, daß der Qur’ a n nur in seiner
Originalsprache, Arabisch, authentisch ist. Da eine
Übersetzung des Qur’ a n unmöglich ist, handelt es sich bei
den deutschen Texten unterhalb des arabischen Originals
um eine ungefähre Bedeutung in deutscher Sprache.
Zum Druck:
Qur’ a nische A y a t wurden fett
Had it e des Gesandten Mu h ammad (s.a.s.) fett und kursiv
und die Umschrift arabischer Begriffe kursiv abgedruckt.
s.w.s. : sub ha nahu wa ta c a l a
s.a.s. : 3 al-l-All a hu c aleihi wa sallam
a.s. : c aleihi- 4 - 3 al a tu wa-s-sal a m
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 3
INHALTSVERZEICHNIS
DER WEG ZUM GLAUBEN
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM
C
WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DA WA GETRAGEN WERDEN
DIE ISLAMISCHE KULTUR
DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG
DER ISLAMISCHE RECHTSSPRUCH
C
AHKAM SAR IYYA
DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VONA
DIESSUNNA
DAS BEFOLGEN DER HANDLUNGEN DES GESANDTEN ALLAHS (S.A.S.)
DIE ADAPTION VON ISLAMISCHEN GESETZEN
VERFASSUNG UND GESETZ
VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT
ALLGEMEINE GESETZE
DAS REGIERUNGSSYSTEM
DER KALIF
MU CAWIN AT-TAFW I5
MU CAWIN AT-TANF ID
AMIR-UL- GIH AD
DIE ARMEE
DAS GERICHTSWESEN
DIE GOUVERNEURE
STAATLICHE DIENSTBEHÖRDEN
DER MA GLIS AL-UMMA
DAS BEZIEHUNGSSYSTEM DER GESCHLECHTER
DAS WIRTSCHAFTSSYSTEM
BILDUNGSPOLITIK
DIE AUßENPOLITIK
ETHIK IM ISLAM
WORTVERZEICHNIS
1
16
27
72
79
85
92
95
96
97
98
100
107
107
110
111
116
118
119
120
122
126
128
129
132
134
144
146
150
163
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 1
DER WEG ZUM GLAUBEN
(7 ARIQU-L- IMAN )
Der Mensch erlebt einen geistigen Aufstieg (Nahda) auf Grundlage der
Ideen, die er über das Leben, das Universum und den Menschen und
über ihre Beziehung zu dem hat, was dem diesseitigen Leben voranging
und was nach ihm folgt. Um dem Menschen zu einem geistigen
Aufstieg zu verhelfen, ist es notwendig, sein gegenwärtiges Denken
grundlegend und umfassend zu ändern. Es muss durch ein anderes
Denken ersetzt werden, denn nur das Denken bringt Erkenntnisse
(Mafahim) über die Dinge hervor und befestigt diese. Der Mensch
gestaltet sein Verhalten im Leben gemäß den Erkenntnissen, die er
darüber erworben hat. So bestimmen z.B. die Erkenntnisse des
Menschen über eine Person, der er zugeneigt ist, sein Verhalten ihr
gegenüber, im Gegensatz zu seinem Verhalten gegenüber jemandem
den er ablehnt, aufgrund der negativen Erkenntnisse, die er über ihn
gebildet hat, wie auch im Unterschied zu einer Person, die er nicht
kennt, und von der er demzufolge gar keine Erkenntnis hat. Das
menschliche Verhalten ist daher an seine Erkenntnisse gebunden.
Wenn wir das degenerierte Verhalten des Menschen ändern und es
durch ein fortgeschrittenes ersetzen möchten, müssen wir daher als
erstes seine Erkenntnisse ändern.
Allah (s.t.) sagt:
”Allah ändert den Zustand eines Volkes nicht, bis sie
das ändern, was in ihnen selbst ist.”
Der einzige Weg zur Veränderung der Erkenntnisse ist es, ein Denken
über das diesseitige Leben zu entwickeln, um mit seiner Hilfe die
wahren Erkenntnisse darüber hervorzubringen. Dieses Denken über
das diesseitige Leben wird jedoch erst dann fruchtbar verwurzelt, wenn
ein Denken über das Universum, den Menschen und das Leben sowie
1
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 2
DIE LEBENSORDNUNG
DES ISLAM
über das entstanden ist, was vor dem diesseitigen Leben war, was nach
dem diesseitigen Leben sein wird und über die Beziehung dieser
Komponenten zueinander. Dies wird dadurch erreicht, dass man dem
Menschen eine umfassende Idee über das gibt, was hinter diesem
Universum, dem Leben und dem Menschen steht. Denn sie ist das
Denkfundament, auf dem alle Ideen über das Leben basieren. Die
Vermittlung einer umfassenden Idee über diese Dinge stellt die Lösung
des größten Problems beim Menschen dar. Ist dieses Hauptroblem
gelöst, werden auch alle übrigen Probleme gelöst werden, weil es sich
dabei nur um Teile oder Abzweigungen des größten Problems handelt.
Diese Lösung führt nur dann zu einer wirklichen Nahda, wenn sie
korrekt ist, mit der Natur des Menschen übereinstimmt, seinen
Verstand überzeugt und sein Herz mit Gewissheit erfüllt.
Diese korrekte Lösung kann nur durch ein erleuchtendes Denken über
das Universum, den Menschen und das Leben hervorgebracht werden.
Es ist also für diejenigen, die den geistigen Aufstieg beabsichtigen und
den Weg der Entwicklung einschlagen wollen, notwendig, zuerst dieses
größte Problem auf korrekte Weise durch ein erleuchtendes Denken zu
lösen. Diese Lösung stellt die Glaubensgrundlage (cAqida) und
gleichzeitig das Denkfundament dar, auf dem das gesamte Denken
aufbaut, mit dem das menschliche Verhalten im Leben und alle
Lebenssysteme bestimmt werden.
Der Islam hat sich diesem größten Problem des Menschen gewidmet
und es auf eine Weise gelöst, die mit seiner Natur übereinstimmt, den
Verstand mit Überzeugung und das Herz mit Gewissheit erfüllt. Die
intellektuelle Bestätigung dieser Lösung hat der Islam zur Bedingung
seiner Annahme gemacht. Der Islam beruht auf einer einzigen
Grundlage, der cAqida, welche besagt, dass hinter dem Universum, dem
Menschen und dem Leben ein Schöpfer steht, der diese Komponenten
und alles andere erschaffen hat, nämlich ALLAH tacala. Sie besagt
auch, dass dieser Schöpfer alles aus dem Nichts erschaffen hat, und
dass Seine Existenz unabdingbar ist. Er ist nicht erschaffen, denn die
2
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 3
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
Tatsache, dass Er der Schöpfer des Universums ist, schließt dies aus.
Alle Dinge sind auf Ihn zurückzuführen, während Er auf nichts
zurückzuführen ist.
Was die Tatsache betrifft, dass alle Dinge von einem Schöpfer
erschaffen wurden, so ist ersichtlich, dass das, was der Verstand
erfassen kann, nämlich der Mensch, das Leben und das Universum,
begrenzt, schwach, unvollkommen und nach etwas anderem bedürftig
ist. Der Mensch ist begrenzt, weil er sich in jeder Hinsicht bis zu einer
Grenze entwickelt, die er nicht überschreiten kann. Das Leben ist
begrenzt, weil es sich im Individuum äußert, und dort auch endet. Das
Universum ist begrenzt, weil es sich um eine Gesamtheit von
Himmelskörpern handelt, die ihrerseits begrenzt sind, und eine
Gesamtheit von begrenzten Dingen unweigerlich begrenzt sein muss.
Somit steht fest, dass Mensch, Leben und Universum mit absoluter
Sicherheit begrenzt sind. Betrachten wir das Begrenzte als solches,
stellen wir fest, dass es nicht ohne Anfang und Ende, d.h. azal i sein
kann. Es muss unweigerlich von etwas anderem erschaffen worden
sein, und dieses andere ist der Schöpfer des Menschen, des Lebens und
des Universums. Was den Ursprung dieses Schöpfers betrifft, so gibt es
drei Möglichkeiten: Entweder ist Er von etwas anderem erschaffen
worden, hat sich selbst erschaffen, oder er ist azali , also ohne Anfang
und Ende, und seine Existenz ist unabdingbar notwendig. Die erste
Möglichkeit ist aus dem Grunde nichtig, weil der Schöpfer in diesem
Fall begrenzt wäre. Die zweite Möglichkeit, dass Er sich selbst
erschaffen habe, ist ausgeschlossen, weil Er dann zur selben Zeit
Schöpfer und Geschöpf wäre. Somit bleibt (nach rationaler
Betrachtung) nur die Möglichkeit, dass der Schöpfer azal i und seine
Existenz unabdingbar ist. Dieser Schöpfer ist Allah tacala.
Jeder Mensch, der einen Verstand hat, kann ausgehend von der bloßen
Existenz der Dinge, die er wahrnehmen kann, schließen, dass sie einen
Schöpfer haben, der sie erschaffen hat. Denn alles, was der Betrachter
wahrnehmen kann, ist schwach, unvollkommen, bedürftig und somit
3
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 4
DIE LEBENSORDNUNG
DES ISLAM
mit absoluter Gewissheit erschaffen. Es genügt, den Blick auf
irgendeine Sache im Universum, im Menschen oder im Leben zu
richten, um dadurch die Existenz des Schöpfers, der alles nach Seinem
Plan lenkt, zu beweisen. Die Betrachtung irgendeines Planeten im
Universum, das Nachdenken über einen beliebigen Aspekt im Leben,
und das Erfassen irgendeiner Seite im Menschen beweist die Existenz
Allahs mit absoluter Sicherheit. Dementsprechend können wir
feststellen, dass der Quran den Blick auf die Dinge lenkt, und den
Menschen dazu aufruft, diese Dinge, ihre Umgebung und was mit
ihnen in Verbindung steht, zu betrachten, um auf diese Weise die
Existenz von Allah tacala zu beweisen. Der Mensch nimmt die
Bedürftigkeit der Dinge wahr und begreift dadurch mit absoluter
Sicherheit die Existenz Allahs, des Schöpfers, der alles nach Seinem
Plan lenkt. Es gibt Hunderte von Ayat in dieser Bedeutung. Allah tacala
sagt in Surat Al cImran:
”Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde
und dem Wechsel von Nacht und Tag sind Zeichen für
die Denkenden.” (Surat Al cImran, Aya 190)
In Surat ar-Rum sagt Er:
”Und zu Seinen Zeichen gehört die Schöpfung der
Himmel und der Erde und der Unterschied eurer
Sprachen und Farben. (Surat ar-Rum, Aya 22)
In Surat al-9asiya sagt Allah:
4
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 5
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
”Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie sie erschaffen
wurden, und zu dem Himmel, wie er emporgehoben ist,
und zu den Bergen, wie sie aufgerichtet sind, und zu der
Erde, wie sie hingebreitet ist?” (Surat 9asiya, Ayat17-20)
Allah tacala sagt in Surat a8-7ariq:
”Darum soll der Mensch betrachten, woraus er erschaffen
wurde. Erschaffen wurde er aus einer sich kräftig
hervorschießenden Flüssigkeit, (und) kommt zwischen den
Lenden und den Rippen hervor.” (Surat a8-7ariq, Ayat 5-7)
Allah sagt in Surat al-Baqara:
”Wahrlich in der Schöpfung der Himmel und der Erde, und dem
Wechsel von Nacht und Tag, und den Schiffen, die auf dem Meer
fahren mit dem, was den Menschen nützt, und in dem, was Allah
vom Himmel an Wasser herniedersandte und damit die
Erde nach ihrem Tod belebte, und alle Arten von Tieren
5
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 6
DIE LEBENSORDNUNG
DES ISLAM
sich ausbreiten ließ; Und im Wechsel der Winde und den
dienstbaren Wolken zwischen Himmel und Erde sind
Zeichen für die Denkenden.” (Surat al-Baqara, Aya 164)
Zusätzlich zu den genannten Ayat gibt es noch viele, die den Menschen
dazu auffordern, tief über die Dinge, das, was sie umgibt, und was mit
ihnen in Verbindung steht, nachzudenken und davon ausgehend, die
Existenz des planenden Schöpfers zu beweisen, so dass der Glaube an
Allah auf dem Verstand beruht und durch Beweis fest verankert ist.
Es stimmt, dass der Glaube an einen Schöpfer, der alles nach Seinem
Plan lenkt, jedem Menschen angeboren ist. Doch dieser instinktive
Glaube kommt durch Emotionen zustande. Dieser Weg ist in seinem
Ergebnis nicht verlässlich, und kann alleine nicht zu einer tiefen
Verwurzelung führen. Emotionen führen zahlreiche Dinge in den
Glauben ein, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Der emotionale
Glaube erhebt diese fälschlicherweise zu notwendigen Attributen
dessen, woran man glaubt. Dieser Weg führt unweigerlich zu
Unglauben (Kufr) oder (5alal). Götzenanbetung, Aberglauben und
Mythologien sind nichts anderes als das Resultat der Fehlerhaftigkeit
von Emotionen. Im Islam führt der Weg zum Glauben nicht allein über
die Emotionen, damit Allah keine Attribute beigemessen werden, die
seiner Göttlichkeit widersprechen, oder gar Seine Verkörperung in
materiellen Dingen oder eine Annäherung an Ihn durch die Anbetung
materieller Dinge für möglich gehalten wird. Dieser Weg würde
entweder zu Unglauben (Kufr) und Beigesellung (Sirk) oder zu
Einbildungen und Aberglauben führen, die der aufrichtige Iman
ablehnt. Aus diesem Grunde hat es der Islam zur Obligation gemacht,
dass der Verstand gemeinsam mit dem instinktiven Gefühl eingesetzt
wird. Der Gebrauch des Verstandes ist für den Muslim verpflichtend,
wenn er an Allah tacala glaubt. Der Islam hat die blinde Nachahmung
in der Glaubensgrundlage verboten und macht den Verstand zum
Entscheidungsträger über den Glauben an Allah.
6
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 7
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
Allah tacala sagt:
”Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde
und dem Wechsel von Nacht und Tag sind Zeichen für
die Denkenden.”
Daher muss jeder Muslim seinen Glauben aus Denken, Untersuchung
und Beobachtung hervorgehen lassen, und seinen Verstand zum
absoluten Entscheidungsträger über den Glauben an Allah (t.) machen.
Der Quran bestätigt den Aufruf zur Betrachtung des Universums mit
dem Ziel, seine Gesetzmäßigkeiten abzuleiten und die Rechtleitung
durch den Glauben an seinen Schöpfer zu finden, Hunderte von Malen
in seinen verschiedenen Suren. Sie alle richten sich an die rationale
Kapazität des Menschen und rufen ihn zur Betrachtung und zum
Nachdenken auf, damit sein Glaube auf Verstand und Beweis beruht.
Sie warnen den Menschen davor, in blinder Nachahmung das
anzunehmen, was seine Vorfahren ohne Erwägung und Prüfung und
ohne von seiner Korrektheit überzeugt zu sein, befolgten. Dies ist der
Glaube, zu dem der Islam aufruft. Es ist alles andere als das, was man
als blinden Glauben bezeichnet. Es handelt sich im Gegenteil um den
Glauben der erleuchtend denkenden und überzeugten Person, welche
wiederholt betrachtete und nachdachte, und dann durch den Weg dieser
Betrachtung und dieses Nachdenkens zur sicheren Überzeugung über
die Existenz Allahs, erhaben sei Seine Allmacht, kam.
Obwohl der Gebrauch des Verstandes unabdingbar ist, um zum
Glauben an Allah tacala zu gelangen, ist es dem Menschen nicht
möglich, das zu erfassen, was über seine Wahrnehmung und seinen
Verstand hinausgeht.
Dies ist so, weil der menschliche Verstand begrenzt ist, und seine
Fähigkeit, so sehr sie sich auch entwickelt und wächst, Grenzen
7
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 8
DIE LEBENSORDNUNG
DES ISLAM
erreicht, die er nicht zu überschreiten vermag. Daher ist auch sein
Begreifen begrenzt, und es gibt keinen Zweifel daran, dass der
menschliche Verstand nicht dazu in der Lage ist, das Wesen Allahs zu
erfassen. Er ist unfähig, Seine Realität zu begreifen, weil Allah
außerhalb des Universums, des Menschen und des Lebens steht. Der
menschliche Verstand kann aber nicht die Realität dessen erfassen, was
außerhalb seiner Sinneswahrnehmung steht und ist somit auch nicht
fähig, das Wesen Allahs zu erfassen. Man kann hier nicht einwenden:
Wie kann der Mensch denn durch seinen Verstand an Allah glauben,
obwohl sein Verstand nicht dazu in der Lage ist, das Wesen Allahs zu
erfassen? Der Glaube an Allah ist nämlich der Glaube an seine
Existenz, und diese Existenz ist durch die Existenz Seiner Schöpfung,
also des Universums, des Menschen und des Lebens, erkennbar.. Die
Schöpfung befindet sich innerhalb der Grenzen, die der Verstand
erfassen kann. So kann der Mensch sie begreifen und durch dieses
Begreifen der Schöpfung auch die Existenz des Schöpfers, nämlich
Allah (t.), erfassen. Somit ist also der Glaube an die Existenz Allahs
rational und bewegt sich innerhalb der Grenzen des Verstandes. Im
Unterschied dazu ist das Erfassen des Wesens Allahs unmöglich, weil
Sein Wesen sich jenseits des Universums, des Menschen und des
Lebens und somit jenseits der Wahrnehmungsfähigkeit des Verstandes
befindet. Der Verstand kann aufgrund seiner Unzulänglichkeit nicht
das erfassen, was über seine Wahrnehmugsfähigkeit hinausgeht. Diese
Unzulänglichkeit selbst sollte den Glauben verstärken, und darf
keineswegs ein Faktor der Unsicherheit und des Zweifels sein. Kommt
unser Glaube an Allah auf dem Weg des Verstandes zustande, ist unser
Erfassen Seiner Existenz vollständig. Und sind unsere Gefühle über
Seine Existenz mit dem Verstand verbunden, sind auch diese Gefühle
absolut sicher. Dies alles verwurzelt in uns ein vollständiges Begreifen
und sichere Empfindungen über alle göttlichen Attribute. Es vermittelt
uns die Überzeugung, dass wir das Wesen Allahs trotz der Stärke
unseres Glaubens an Ihn nicht erfassen können. Daher müssen wir uns
dem unterwerfen, was Er uns bezüglich dessen, was unser Verstand
nicht erfassen kann, mitteilte. Der Grund dafür ist das natürliche
8
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 9
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
Unvermögen des menschlichen Verstandes, der sich ja durch begrenzte
und relative Fähigkeiten auszeichnet, das zu begreifen, was über seine
Sinneswahrnehmung hinausgeht. Dazu wären Fähigkeiten erforderlich,
die weder relativ noch begrenzt sind. Das ist aber etwas, was der
Mensch nicht besitzt und auch nicht besitzen kann.
Was den Beweis für die Notwendigkeit von Gesandten betrifft, lässt
sich folgendes festhalten: Es wurde bereits bewiesen, dass der Mensch
von Allah erschaffen wurde, und dass ihm Religosität in Form eines
seiner Instinkte angeboren ist. Es gehört zur Natur des Menschen,
seinen Schöpfer zu verehren. Diese Verehrung ist gleichbedeutend mit
Anbetung (cIbada), welche die Verbindung zwischen dem Menschen
und seinem Schöpfer herstellt. Ließe man diese Verbindung ohne eine
Ordnung, würde dies dazu führen, dass die Verbindung zum Schöpfer
gestört und etwas anderes als Er angebetet wird. Es ist also notwendig,
diese Beziehung durch ein korrektes System zu organisieren. Dieses
kann nicht vom Menschen herrühren, weil dieser die Realität des
Schöpfers nicht erfassen und dementsprechend die Beziehung zu Ihm
nicht ordnen kann. Die Ordnung muss demnach vom Schöpfer selbst
stammen. Er muss sie dem Menschen mitteilen, und zu diesem Zweck
muss es Gesandte geben, die den Menschen den Din (die
Lebensordnung) Allahs übermitteln.
Ein weiterer Beweis für das Bedürfnis der Menschen nach Gesandten
beruht auf der Tatsache, dass der Mensch notwendigerweise seine
Instinkte und organischen Bedürfnisse befriedigen muss. Wird diese
Befriedigung ohne Ordnung ausgeführt, wird sie falsch oder fehlerhaft
sein und zum Elend des Menschen führen. Es ist notwendig, ein
System zur Ordnung der Instinkte und organischen Bedürnisse des
Menschen zu haben. Dieses System kann nicht vom Menschen
stammen, weil dessen Verständnis zur Regelung dieser Instinkte und
Bedürfnisse der Disharmonie, Meinungsunterschieden, der
Widersprüchlichkeit sowie der Beeinflussung durch die Umgebung, in
der er lebt, unterliegt. Würde man dem Menschen diese Organisation
9
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 10
DES ISLAM
überlassen, so wäre das System von eben dieser Disharmonie, diesen
Meinungsunterschieden und dieser Widersprüchlichkeit geprägt.
Folglich würde es nur zu seinem Elend führen. Aus diesem Grund
muss das System von Allah tacala stammen.
Was die Bestätigung der Tatsache angeht, dass der Qur’an das Wort
Allahs ist, lässt sich folgendes feststellen: Der Qur’an ist ein arabisches
Buch, das von Muhammad (a.s.s.) überbracht wurde. Er kann also
entweder von den Arabern oder von Muhammad selbst, oder aber von
Allah tacala stammen. Eine andere als diese drei Möglichkeiten für die
Herkunft des Qur’an kann es nicht geben, weil der Qur’an in Sprache
wie Stil arabisch ist.
Dass der Qur’an von den Arabern stammt, ist unmöglich, da sie im
Qur’an selbst dazu herausgefordert werden, etwas vergleichbares
zustandezubringen:
”Sprich: So bringt doch zehn Suren hervor, die ihm
gleichen!” (Surat Hud, Aya 13)
”Sprich: So bringt doch eine Sura hervor, die ihm
gleicht!” (Surat Yunus, Aya 38)
Die Araber haben vergeblich versucht, etwas vergleichbares
hervorzubringen. Daher kann der Qur’an nicht ihr Wort sein. Was die
Möglichkeit betrifft, dass der Qur’an von Muhammad selbst stammt, so
ist sie ebenfalls unzutreffend, denn Muhammad war einer dieser
Araber. So sehr man ihn auch als Genie bezeichnen mag, so ist er doch
ein Mensch und ein Teil seiner Gemeinschaft und seines Volkes.
Ebenso wie es den Arabern nicht gelang, eine vergleichbare Sura
hervorzubringen, kann auch Muhammad, der Araber war, nichts
gleichartiges geschaffen haben. Ferner sind uns von Muhammad (a.s.s)
10
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 11
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
Ahadit 3ahiha (richtige Hadite) und Ahadit mutawatira (absolut
authentische Hadite) überliefert, die unzweifelhaft als zuverlässig
gelten. Vergleicht man einen dieser Ahadit mit einer beliebigen Aya des
Qur’an, stellt man fest, dass keine Ähnlichkeit in ihrem Stil besteht,
obwohl er (a.s.s) die offenbarte Aya und den Hadit mit dem erwähnten
Unterschied im Stil zur selben Zeit rezitierte bzw. vortrug. Die Sprache
eines Menschen bleibt aber in ihrem Stil gleich und erkennbar, so sehr
er auch versucht, diesen Stil zu verändern, weil es ein Teil seiner
Persönlichkeit ist. In Anbetracht der Tatsache, dass es keinerlei
Ähnlichkeit im Stil von Hadit und Aya gibt, kann der Qur’an auch
definitiv nicht von Muhammad (a.s.s) stammen. Der Unterschied
zwischen dem Qur’an und der Sprache Muhammads ist klar und
offensichtlich. Die Araber selbst, die mit den Stilweisen der arabischen
Sprache am besten vertraut waren, haben im Übrigen nicht behauptet,
dass der Qur’an das Wort Muhammads sei oder seiner Sprache auch nur
ähnele. Ihre einzige diesbezügliche Behauptung war es, dass
Muhammad den Qur’an von einem christlichen Jungen namens Gabr
erhalten habe. Allah selbst hat diesen Vorwurf zurückgewiesen, indem
er sagte:
”Wir wissen bereits, dass sie sagen: Es ist ein Mensch,
der ihn lehrt. Die Sprache desjenigen, auf den sie (in
Abkehr) verweisen, ist nicht Arabisch, aber dies ist
eine klare arabische Sprache.” (Surat an-Nahl, Aya 103)
Da nun nachgewiesen ist, dass der Qur’an weder das Wort der Araber,
noch das Muhammads ist, muss der Qur’an mit absoluter Sicherheit das
Wort Allahs sein. Der Qur’an stellt somit ein Wunder für denjenigen
dar, der ihn überbracht hat.
In Anbetracht der Tatsache, dass nur die Propheten und Gesandten die
Sari ca Allahs erhalten, muss Muhammad, der den Qur’an als Wort
11
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 12
DES ISLAM
Allahs und Seine Sari ca erhielt, ohne Zweifel ein Prophet und
Gesandter sein. Diese Tatsache steht durch einen rationalen Beweis
(Dalil caqli ) fest.
Auf diese Weise ist der rationale Beweis für den Glauben an Allah, die
Gesandtschaft Muhammads und dafür, dass der Qur’an das Wort Allahs
ist, erbracht worden.
Der Glaube an Allah erfolgt somit auf dem Weg des Verstandes und
muss auch auf diese Weise zustandekommen. Er stellt darüber hinaus
das Fundament dar, auf dem sich der Glaube an alles Verborgene und
an alles das aufbaut, worüber Allah uns informiert hat. Vorausgesetzt,
dass wir an Allah glauben, der die göttlichen Attribute besitzt, müssen
wir definitiv an das glauben, was Er uns mitteilt, und zwar unabhängig
davon, ob unser Verstand es erfassen kann oder es jenseits seines
Horizonts liegt. Daher ist der Glaube an die Auferstehung, an das
Paradies und das Feuer, an die Abrechnung und die Strafe, an die
Engel, die Ginn, die Saya8in (Teufel) und alles das, was durch den
Qur’an und die absolut sicheren Ahadit (Ahadit qa8ciyya) definitiv
überliefert wurde, verpflichtend. Auch wenn dieser Glaube auf dem
Weg der Überlieferung und des Hörens zustande kommt, so ist sein
Ursprung rational, weil er durch den Verstand sicher erwiesen ist. Die
Glaubensgrundlage (cAqida) des Muslim beruht also auf dem Verstand
oder ist in ihrem Ursprung auf etwas zurückzuführen, was durch den
Verstand erwiesen ist. Der Muslim muss das als Glaubensüberzeugung
annehmen, was durch den rationalen Weg oder die absolut sichere
Überlieferung, d.h. durch Qur’an und Hadit mutawatir, sicher erwiesen
ist. Alles, was nicht auf diesen beiden Wegen, also durch den Verstand
und den Offenbarungstext (Na44) von Kitab (Qur’an) und Sunna qa8ciyya
(absolut authentischen Sunna), feststeht, darf nicht als
Glaubensgrundlage angenommen werden. Die Glaubensgrundlagen
können nur durch absolute Gewissheit (Yaqin) angenommen werden.
Aus diesem Grunde ist der Glaube an das, was vor dem diesseitigen
12
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 13
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
Leben war, nämlich Allah (t.), und an das, was danach sein wird, nämlich
der Tag der Auferstehung, verpflichtend. Dies betrifft auch den Glauben
daran, dass die Befehle Allahs die Verbindung zwischen dem, was vor
dem Leben war (nämlich Allah) und dem diesseitigen Leben selbst
darstellen - zusätzlich zur bereits vorhandenen Schöpfungsverbindung.
Die Rechenschaft abzulegen über das, was der Mensch im diesseitigen
Leben getan hat, stellt - zusätzlich zur Auferstehung - die Verbindung
zwischen dem diesseitigen Leben und dem, was danach sein wird, her.
Somit besteht eine Verbindung zwischen diesem Leben, was vor diesem
Leben war und was nach diesem Leben sein wird. Die Umstände des
Menschen in diesem Leben sind an diese Verbindung gebunden, d.h., der
Mensch muss sich im Leben gemäß den Systemen Allahs verhalten, da er
davon überzeugt ist, dass er am Tag der Auferstehung für alle seine
Handlungen im diesseitigen Leben zur Rechenschaft gezogen wird.
Durch die vorangegangene Diskussion wurde das erleuchtende
Denken über das, was hinter dem Universum, dem Leben und dem
Menschen steht, sowie über das, was vor dem Leben war, was nach dem
Leben sein wird und die Verbindung zwischen diesen Komponenten
hervorgebracht. Dadurch wurde das größte Problem des Menschen in
seiner Gesamtheit durch die islamische cAqida gelöst.
Wenn der Mensch zu dieser Lösung gelangt ist, kann er damit
fortfahren, über das diesseitige Leben nachzudenken und die richtigen
und produktiven Erkenntnisse darüber zustandezubringen. Diese
Lösung selbst ist die Grundlage, auf der die Ideologie als Methode zur
Nah6a, zum geistigen Aufstieg, aufbaut. Es ist gleichzeitig die Basis der
Kultur dieser Ideologie, die Grundlage, aus der ihre Systeme
hervorgehen, und auf der sich ihr Staat aufbaut. Die Basis, auf der sich
der Islam als Fikra (Idee) und 7ariqa (Methode) aufbaut, ist also die
islamische cAqida.
13
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 14
DES ISLAM
”O ihr, die ihr glaubt! Glaubt an Allah und Seinen
Gesandten und an das Buch, das Er Seinem Gesandten
offenbarte, und das Buch, das Er zuvor offenbarte; und
wer nicht an Allah glaubt und Seine Engel und Seine
Bücher und Seine Gesandten und den Jüngsten Tag, der
ist wahrlich weit irre gegangen.” (Surat an-Nisa’, Aya 136)
Da dies nachgewiesen ist und der Glaube daran eine Gewissheit
darstellt, ist es für jeden Muslim verpflichtend, an die gesamte
islamische Sari ca zu glauben, weil sie durch den Gesandten Allahs
(a.s.s) im Qur’an überbracht wurde. Derjenige, der nicht an diese Sari ca
glaubt, ist Kafir. Es ist Kufr, die Ahkam sarciyya (islamischen
Rechtssprüche) in ihrer Gesamtheit oder einzelne Ahkam qa8ciyya
(absolut gesicherte Rechtssprüche) daraus abzulehnen, unabhängig
davon, ob es sich um Gesetze im Bereich der cIbadat (Gebete und
Gottesdienst), der Mucamalat (Vertrags- und Handelsrecht), der
cUqubat (Strafrecht) oder Ma8cumat (Nahrungsvorschriften) handelt.
Kufr über die Aya:
“Und verrichtet das Gebet” (S urat al-Baqara, Aya 43)
ist dasselbe wie Kufr über die Aya
”Und Allah hat den Handel erlaubt und das
Zinsnehmen verboten” (Surat al-Baqara, Aya 275)
und:
”Dem Dieb und der Diebin schneidet die Hände ab”
(Surat Al-Ma’ida Aya 38)
14
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 15
DER WEG
ZUM
GLAUBEN
und
”Euch wurde das Verendete, das Blut und das
Schweinefleisch und das verboten, worüber etwas anderes als
der Name Allahs angerufen wurde.” (Surat al-Ma’ida, Aya 3)
Der Glaube an die Sari ca ist nicht vom Verstand abhängig. Vielmehr
müssen wir uns dem vollständig unterwerfen, was wir von Allah (t.)
erhalten haben.
”Nein, bei deinem Herrn, sie sind nicht wirklich gläubig,
bis sie dich zum Richter über alles machen, was
zwischen ihnen strittig ist, und darauf in ihren Herzen
keinen Widerstand finden gegen das, was du bestimmt
hast, und sich völlig unterwerfen.” (Surat an-Nisa’, Aya 5)
ipip
15
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 16
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
(QA5A’ UND QADAR )
Allah sagt in Surat Ali cImran:
”Keine Seele soll sterben außer mit der Erlaubnis Allahs
zu einer festgesetzten Frist.” (Surat Ali cImran, Aya 145)
In Surat al-Acraf sagt Er:
”Jedem Volk ist eine Frist gesetzt. Wenn ihre Frist
erreicht ist, können sie sie weder um eine Stunde
hinausschieben, noch um eine Stunde vorverlegen.”
(Surat al-Acraf, Aya 34)
In Surat al-Hadid sagt Allah:
”Es geschieht kein Unheil auf der Erde oder an euch,
dass nicht in einem Buch verzeichnet wäre, bevor Wir es
ins Leben rufen. Dies ist für Allah ein leichtes.”
(Surat al-Hadid, Aya 22)
Allah sagt in Surat at-Tauba :
”Sprich: Nichts kann uns geschehen außer dem, was
Allah uns bestimmt hat. Er ist unser Beschützer, und
16
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 17
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
auf Allah sollen die Gläubigen vertrauen.”
(Surat at-Tauba, Aya 51)
In Surat Saba’ sagt Er:
”Nicht einmal das Gewicht eines Atoms in den
Himmeln oder auf der Erde ist Ihm verborgen,
noch gibt es etwas kleineres oder größeres als jenes,
das nicht in einer klaren Schrift verzeichnet wäre.”
(Surat Saba’, Aya 3)
In Surat al-Ancam sagt Er:
”Und Er ist es, der eure Seelen in der Nacht abruft
und weiß, was ihr am Tage begeht. Dann erweckt Er
euch wieder zum Leben, damit die bestimmte Frist
vollendet wird. Darauf werdet ihr zu Ihm
zurückkehren, dann wird Er euch verkünden, was ihr
getan habt.” (Surat al-Ancam, Aya 60)
in Surat an-Nisa sagt Allah:
”Und wenn sie etwas gutes trifft, sagen sie: ” Das ist von
17
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 18
DES ISLAM
Allah”; Und wenn sie etwas schlechtes trifft, sagen sie:
”Das ist von dir.” Sprich: Alles ist von Allah. Warum
verstehen denn diese Leute kaum etwas von dem, was
ihnen gesagt wird?”(Surat an-Nisa, Aya 78)
Diese und andere Ayat des Quran in gleicher Bedeutung werden von
vielen als Beweis in der Frage von Qa6a’ und Qadar, von Schicksal und
Vorherbestimmung, herangezogen, um zu belegen, dass der Mensch
durch den Willen Allahs dazu gezwungen ist, Handlungen auszuführen,
und dass Allah selbst den Menschen und auch dessen Handlungen
erschaffen hat. Diese Ansicht wird mit der Aussage Allahs zu
unterstützen versucht:
”Allah hat euch erschaffen und das, was ihr tut.”
(Surat as-3affat, Aya 96)
Auch Ahadit werden hierzu herangezogen, wie etwa der Ausspruch des
Gesandten Allahs (s.):
” D e r R uh a l - Q u d u s ( E r z e n g e l G a b r i e l ) h a t m i r e i n g e g e b e n ,
dass keine Seele stirbt, bis sie nicht ihren Rizq (für sie
bestimmten Gaben), ihren A gal (Lebensspanne) und das
vollständig erhalten hat, was für sie bestimmt war.”
Die Frage nach Qa6a’ und Qadar (Schicksal und Vorherbestimmung)
hat in den islamischen Rechtsschulen eine wichtige Rolle
eingenommen. Die verschiedenen Aussagen lassen sich wie folgt
zusammenfassen: Die Ahl as-Sunna waren der Ansicht, dass dem
Menschen in seinen Handlungen eine freiwillige Aneignung zusteht
(Kasb Ihtiyari), und er dementsprechend für diesen freiwilligen Erwerb
zur Rechenschaft gezogen wird. Die Muctazila vertraten die Meinung,
dass der Mensch seine Handlungen selbst schafft und für sie zur
Rechenschaft gezogen wird, weil er sie selbst hervorgebracht hat. Die
Gabriyya schließlich hatten die Auffassung, der Mensch sei zu seinen
Handlungen gezwungen und habe keine Wahl darin, wie eine Feder, die
18
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 19
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
durch den Wind hin und her geweht wird.
Derjenige, der die Frage des Schicksals und der Vorherbestimmung
genau untersucht, muss wissen, auf welcher Grundlage diese
Untersuchung aufbaut. Diese Grundlage ist weder, ob es der Mensch
ist, der seine Handlung erschafft oder Allah (t.); Noch geht es um das
Wissen Allahs, also darum, dass Allah bereits weiß, wie der Mensch
handeln wird, und Sein Wissen diese Handlung umfasst.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist auch nicht der Wille Allahs, der
mit den Handlungen des Menschen verbunden ist, d.h. dass seine
Handlungen durch den Willen Allahs hervorgebracht würden. Auch die
Tatsache, dass die Handlung des Menschen bereits im Lauh Mahfuz
(bei Allah verwahrte Tafel) niedergeschrieben ist, und er somit gemäß
dem handeln müsse, was geschrieben steht, stellt nicht die Grundlage
der Untersuchung dar.
Absolut keines der erwähnten Dinge stellt also die Grundlage dieser
Untersuchung dar, weil sie unter dem Aspekt der Belohnung und
Bestrafung keine Beziehung zum Thema haben. Sie beziehen sich
vielmehr auf den Aspekt der Schöpfung, des alle Dinge umfassenden
Wissens und des Willens Allahs, der mit allem Möglichen in
Verbindung steht, sowie des alle Dinge umfassenden Lauh Mahfuz.
Diese Beziehung stellt aber ein anderes Thema dar, das von der
Problematik der Belohnung und Bestrafung getrennt ist. Die besagte
Frage muss also lauten: Ist der Mensch dazu gezwungen, eine
Handlung auszuführen, sei sie nun gut oder schlecht? Und hat er eine
Wahl darin, eine Handlung zu unternehmen oder zu unterlassen, oder
hat er sie nicht?
Derjenige, der die Handlungen genau betrachtet, stellt fest, dass der
Mensch in zwei Bereichen lebt: Der erste Bereich ist ihm unterworfen,
d.h., es ist der Bereich, in dem der Mensch Handlungen aus völlig freien
Stücken unternimmt. Was den anderen Bereich betrifft, so ist der
Mensch hier derjenige, der sich fügen muss, d.h., es geschehen
19
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 20
DES ISLAM
Handlungen, auf die er keinen Einfluss hat, sei es, dass diese
Handlungen ihm widerfahren oder von ihm selbst ausgehen.
Die Handlungen in dem Bereich, in dem der Mensch keinen Einfluss
ausüben kann, kann man in zwei Gruppen unterteilen. Die erste
Gruppe wird durch die Ordnung der Existenz bedingt, während die
zweite Gruppe nicht durch diese Ordnung bedingt wird, aber trotzdem
außerhalb jeder Kontrolle durch den Menschen geschieht. Was die
Handlungen betrifft, die durch die Ordnungen der Schöpfung bedingt
sind, so ist der Mensch ihnen völlig unterworfen. Ebenso wie das
Leben und das Universum verhält er sich entsprechend einem
bestimmten System, das fortdauernd ist. Die Handlungen auf dieser
Ebene geschehen ohne den Willen und die freie Wahl des Menschen.
Der Mensch wird gelenkt, ohne eine Wahl zu haben. So ist er ohne
seinen Willen auf diese Welt gekommen, und wird sie auch ohne seinen
Willen wieder verlassen. Er kann nicht mit seinem Körper allein in der
Luft fliegen wie ein Vogel, oder in seiner natürlichen Gestalt über das
Wasser laufen, oder sich die Farbe seiner Augen selbst wählen. Er kann
weder die Form seines Kopfes, noch die Gestalt seines Körpers
wählen. Es ist allein Allah (t.), der all dies erschaffen hat, ohne dass sein
erschaffener Diener irgendeinen Einfluss darauf oder eine Beziehung
dazu hätte. Allah ist es, der die Ordnung der Existenz erschaffen hat,
sie das Universum ordnen und die Schöpfung nach dieser Ordnung
funktionieren ließ, ohne eine Möglichkeit für den Menschen, sie zu
verändern.
Was die Handlungen betrifft, die außerhalb der menschlichen Kontrolle
stattfinden, aber nicht durch die Ordnung der Existenz
notwendigerweise bedingt werden, so stoßen sie ihm zu oder gehen
durch Zwang von ihm aus, ohne dass er irgendeinen Einfluss darauf
hätte. Wenn etwa eine Person von einer Mauer auf eine andere Person
fällt und diese tötet, oder jemand auf einen Vogel schießt und einen
Menschen trifft, den er nicht wahrgenommen hat, und diesen tötet,
oder wenn ein Zug oder ein Auto verunglückt, oder ein Flugzeug
20
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 21
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
wegen eines Defektes abstürzt, den man zuvor nicht festgestellt hat,
und die Passagiere durch diese Unglücke sterben, so handelt es sich um
Handlungen, die ohne seinen Willen und außerhalb seiner Kontrolle
vom Menschen ausgehen oder ihm widerfahren, aber nicht durch die
Ordnung der Existenz bedingt werden. Sie finden in dem Bereich statt,
dem der Mensch unterworfen ist. Alle Handlungen, die in diesem
Bereich stattfinden, werden als Qa6a’ (Schicksal) bezeichnet, weil Allah
sie bestimmt hat. Aus diesem Grunde wird der Mensch für diese
Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen, unabhängig davon, ob er
einen Nutzen oder Schaden davon hat, oder ob er sie aus seiner Sicht
liebt oder verabscheut, d.h., unabhängig davon, ob diese Handlungen
aus der Sicht und in der Erklärung des Menschen als gut oder schlecht
betrachtet werden - Allah allein weiß, was in diesen Handlungen gut
oder schlecht ist -, denn der Mensch hat keinen Einfluss darauf. Er
kennt diese Handlungen nicht und weiß nicht, auf welche Weise sie
zustande kommen. Er ist absolut nicht dazu in der Lage, sie
abzuwenden, und muss daran glauben, dass es sich dabei um das
Schicksal handelt, das von Allah (t.) bestimmt ist.
Was die Vorherbestimmung (al-Qadar) betrifft, so ist festzustellen, dass
die Handlungen sowohl in dem Bereich, dem der Mensch unterworfen
ist, als auch in dem Bereich, der dem Menschen unterworfen ist, von
Dingen ausgehen oder Dinge einbeziehen, die Bestandteil des
Universums, des Menschen und des Lebens sind. Allah hat in diesen
Dingen bestimmte Eigenschaften erschaffen. So hat Er z.B. im Feuer
die Eigenschaft des Brennens, im Holz die Eigenschaft des
Verbrennens und im Messer die Eigenschaft des Schneidens
erschaffen. Allah hat diese Eigenschaften zum notwendigen Bestandteil
der Ordnung der Existenz gemacht. Sollten diese Eigenschaften einmal
ausbleiben, so ist es Allah selbst, der sie entgegen dem sonstigen
Verlauf der Dinge aufgehoben hat. Dies geschieht nur im
Zusammenhang mit den Propheten und als Wunder zum Beweis ihres
Prophetentums. Ebenso wie Er in den Dingen bestimmte
Eigenschaften erschaffen hat, hat Allah auch im Menschen Instinkte
21
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 22
DES ISLAM
und Lebensbedürfnisse geschaffen, in denen es bestimmte
Eigenschaften gibt. Allah hat im Fortpflanzungsinstinkt die sexuelle
Neigung erschaffen, und in den organischen Bedürfnissen bestimmte
Attribute wie Hunger, Durst und dergleichen. Diese Eigenschaften
sind gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Existenz notwendig. Diese
bestimmten Eigenschaften, die Allah subhanahu wa (t.) in den Dingen
und den Instinkten und Lebensbedürfnissen des Menschen erschuf,
bezeichnet man als Qadar (Vorherbestimmung), weil Allah allein die
Dinge, Instinkte und Lebensbedürfnisse erschuf und darin ihre
besonderen Attribute bestimmte. Diese Attribute werden weder durch
die Dinge hervorgebracht, noch hat der Mensch irgendeine Kontrolle
über oder einen Einfluss auf sie. Daher muss der Mensch daran
glauben, dass es Allah ist, der in diesen Dingen die besonderen
Eigenschaften erschuf. Der Mensch kann mithilfe dieser Attribute
Handlungen ausüben. Führt der Mensch diese Handlungen, sei es
durch die Nutzung der Dinge oder die Befriedigung der Instinkte und
Lebensbedürfnisse, im Einklang mit den Befehlen Allahs aus, sind sie
hair (gut), führt er sie aber im Widerspruch zu Seinen Befehlen aus, sind
sie sarr (schlecht). Findet diese Handlung im Einklang mit den Befehlen
und Verboten Allahs statt, ist sie gut, widerspricht sie Seinen Befehlen
und Verboten, ist sie schlecht.
Dementsprechend sind alle Handlungen - gut oder schlecht - die in
jenem Bereich geschehen, welchem der Mensch unterworfen ist, von
Allah (t.), ebenso wie die besonderen Eigenschaften in den Dingen und
in den Instinkten und Lebensbedürfnissen von Allah sind, ob sie nun
zum Guten oder zum Schlechten führen. Aus diesem Grunde muss der
Muslim daran glauben, dass Qa6a’ (das Schicksal) - gut oder schlecht von Allah (t.) ist. D.h., er muss zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass
die Handlungen, die außerhalb des menschlichen Einflussbereiches
liegen, von Allah kommen. Er muss daran glauben, dass al-Qadar (die
Vorherbestimmung), - das Gute wie das Schlechte darin - von Allah (t.)
kommen. D.h., er muss zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass die
besonderen Eigenschaften der Dinge in ihrem natürlichen Zustand, ob
22
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 23
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
sie nun zum Guten oder zum Schlechten führen, von Allah (t.)
kommen, und dass der erschaffene Mensch keinen Einfluss darauf hat.
Die Lebensfrist des Menschen (Agal), sein Rizq und seine Seele
stammen alle von Allah (t.), ebenso wie die sexuelle Neigung im
Fortpflanzungsinstinkt, die dem Selbsterhaltungsinstinkt eigene
Neigung, sich Besitz anzueignen, und Hunger und Durst in den
organischen Bedürfnissen.
Soviel zu den Handlungen, die in dem Bereich geschehen, dem der
Mensch unterworfen ist sowie zu den Attributen der Dinge. Was den
Bereich betrifft, der dem Menschen unterworfen ist, so kann sich der
Mensch hier im Rahmen der Ordnung, die er selbst wählt - entweder
der Sari ca Allahs oder einer anderen Ordnung - frei bewegen. Die
Handlungen, die in diesem Bereich den Menschen betreffen oder von
ihm ausgehen, beruhen auf seinem Willen. Er bewegt sich, isst, trinkt
und reist, oder enthält sich dieser Handlungen, wann er will. Er nutzt
das Feuer zum Brennen und schneidet mit dem Messer, wie er will. Er
befriedigt seinen Selbsterhaltungstrieb und sein Bedürfnis nach Besitz
wie auch seines Magens, wie er will und aus freier Wahl. Ebenso enthält
er sich der Handlung aus freier Wahl. Aus diesem Grund wird er für die
Handlungen, die er in diesem Bereich ausführt, zur Rechenschaft
gezogen.
Obwohl diese Attribute in den Dingen, den Instinkten und
Lebensbedürfnissen von Allah vorherbestimmt und zum notwendigen
Bestandteil gemacht wurden, und einen Einfluss auf das Ergebnis einer
Handlung haben, sind es nicht diese Attribute selbst, die die Handlung
hervorbringen. Es ist der Mensch, der die Handlung zustandebringt,
indem er diese besonderen Eigenschaften nutzt. Die sexuelle Neigung
im Fortpflanzungsinstinkt beinhaltet die Fähigkeit zum Guten wie zum
Schlechten, wie auch der Hunger in den Lebensbedürfnisssen die
Fähigkeit zum Guten wie zum Schlechten in sich trägt. Aber derjenige,
der das Gute oder Schlechte ausführt, ist der Mensch und nicht der
Instinkt oder das Lebensbedürfnis: Denn Allah (t.) hat im Menschen
23
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 24
DES ISLAM
einen Verstand erschaffen, mit dem dieser unterscheiden kann. In der
Natur des Verstandes hat er die Fähigkeit zum Begreifen und
Unterscheiden erschaffen, und den Menschen somit auf den Weg des
Guten wie des Schlechten geleitet.
”Und wir haben ihn auf zwei Wegen geleitet.”
(Surat al-Balad, Aya 10)
Allah hat im Menschen auch das Begreifen der Sündhaftigkeit und der
Gottesfurcht erschaffen:
”Und Der ihr (der Seele den Sinn für) ihre
Sündhaftigkeit und ihre Gottesfurcht gegeben
hat.”((Surat as-Sams, Aya 8)
Wenn der Mensch seine Instinkte und Lebensbedürfnisse gemäß den
Befehlen und Verboten Allahs befriedigt, vollbringt er das Gute und
befindet sich auf dem Weg der Taqwa (Gottesfurcht). Tut er dies unter
Missachtung der Gebote und Befehle seines Schöpfers, vollbringt er
das Schlechte und befindet sich auf dem Weg der Sündhaftigkeit. In
jedem Fall ist er derjenige, von dem das Gute und das Schlechte
ausgeht oder den es betrifft. Er ist derjenige, der das Gute vollbringt,
wenn er seine Bedürfnisse im Einklang mit den Befehlen und Verboten
Allahs befriedigt, und er ist es, der das Schlechte vollbringt, wenn er
seine Bedürnisse entgegen den Befehlen und Verboten Allahs
befriedigt. Auf dieser Grundlage wird er für die Handlungen zur
Rechenschaft gezogen, die auf der Ebene geschehen, welche ihm
unterworfen ist, und er wird für sie belohnt und bestraft, weil er sie aus
freiem Willen ohne irgendeinen Zwang ausführte. Obwohl die
besonderen Eigenschaften der Instinkte und Lebensbedürfnisse von
Allah sind, und auch ihre Fähigkeit zum Guten und zum Schlechten
von Allah ist, hat Allah den Menschen nicht zur Nutzung dieser
besonderen Eigenschaft gezwungen, ob es sich nun um etwas handelt,
was Allahs Wohlgefallen oder aber was seinen Zorn erweckt, d.h., ob es
24
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 25
SCHICKSAL UND BESTIMMUNG
gut oder schlecht ist. Die Eigenschaft des Brennens zwingt den
Menschen nicht dazu, etwas zu verbrennen, weder auf eine Weise, die
Allah zufrieden stellt und gut ist, noch auf eine Weise, die Ihn erzürnt
und somit schlecht ist. Vielmehr wurden diese besonderen
Eigenschaften in den Dingen, Instinkten und Lebensbedürfnissen
erschaffen, so dass derjenige, der eine Handlung ausführt, sie auf die
geforderte Art umsetzt. Als Allah den Menschen und in ihm Instinkte
und Lebensbedürfnisse erschuf, gab er ihm auch einen Verstand, der in
der Lage ist, zu unterscheiden, und den freien Willen, eine Handlung
auszuführen oder sich ihrer zu enthalten. Allah hat den Menschen nicht
zur Ausführung oder Unterlassung einer Handlung gezwungen. Er
erschuf in den Attributen der Dinge, Instinkte und Lebensbedürfnisse
nichts, was den Menschen zur Ausführung oder Unterlassung einer
Handlung zwingt. Der Mensch hat also die freie Wahl, sich durch den
unterscheidenden Verstand, mit dem Allah ihn ausgezeichnet hat, und
den Er zur Grundlage der Rechtsfähigkeit machte, einer Handlung zu
nähern oder sich ihrer zu enthalten. Allah hat dem Menschen daher die
Belohnung für die gute, und die Bestrafung für die schlechte Tat
auferlegt, weil sich der Verstand frei für die Befriedigung der Instinkte
und Lebensbedürfnisse im Einklang bzw. im Widerspruch zu den
Geboten und Verboten Allahs (t.) entscheidet. Eine Bestrafung in
diesem Fall ist wahrhaftig und gerecht, weil der Mensch sich für die
Ausübung dieser Tat entschlossen hat und nicht dazu gezwungen
wurde. Die Frage von Schicksal und Vorherbestimmung ist hier nicht
relevant, da der Mensch hier seine Handlung aus freiem Willen ausführt
und daher für das verantwortlich ist, was er tut.
”Jede Seele ist ein Pfand ihrer Taten.” (Surat al-Muddattir, Aya 38)
Was cIlm-ul-lah (das Wissen Allahs) betrifft, so zwingt es den Menschen
nicht zur Ausführung einer Tat. Allah weiß, dass der Mensch
eine Handlung aus freiem Willen ausführen wird. Die
Ausführung selbst beruht aber nicht auf dem Wissen Allahs.
Das al- c Ilm al-Azal i Allahs (das immer da gewesene Wissen)
25
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 26
DES ISLAM
beinhaltet vielmehr, dass der Mensch diese Handlung
unternehmen wird. Was die Niederschrift aller Handlungen im
Lau h Ma h f uz betrifft, so ist es nur ein anderer Ausdruck dafür,
dass Allahs Wissen alle Dinge umfasst.
Auch Iradat-ul-lah (der Wille Allahs) zwingt den Menschen nicht zur
Ausführung einer Tat. Der Wille Allahs steht dafür, dass nichts in
Seinem Reich stattfinden kann, was Er nicht will: Nichts in der
gesamten Existenz kann gegen seinen Willen geschehen. Wenn der
Mensch also eine Handlung unternimmt und Allah ihn nicht daran
hindert oder davon abhält, sondern ihn diese Handlung aus seinem
freien Willen ausführen lässt, hat der Mensch nach dem Willen Allahs
und nicht losgelöst von ihm gehandelt. Die Handlung des Menschen
selbst erfolgte aus seinem freien Willen, und wurde nicht durch den
Willen Allahs erzwungen.
Wenn der Mensch versteht, dass Allah (t.) ihn beobachtet und für seine
Handlungen zur Rechenschaft ziehen wird, und dass Allah ihm die freie
Wahl gegeben hat, eine Handlung auszuführen oder sie zu unterlassen,
und dass ihm die schwerste Strafe zuteil werden wird, wenn er sich im
Gebrauch seiner freien Wahl nicht richtig verhält, wird die Frage von
Qa6a’ und Qadar den Menschen dazu führen, das Gute zu tun und sich
vom Schlechten fernzuhalten. Daher stellen wir fest, dass der
aufrichtige Gläubige, der die Realität von Qa6a’ und Qadar begriffen
hat, und der weiß, was für eine Gnade Allah ihm durch den Verstand
und die freie Wahl zuteil werden ließ, Allah aufs Stärkste fürchtet. Er
unternimmt alles, um die göttlichen Befehle auszuführen und sich von
den Verboten Allahs fernzuhalten. Er tut dies aus Furcht vor der Strafe
Allahs, aus Sehnsucht nach Seinem Paradies und aus dem Wunsch
heraus, das zu erlangen, was noch größer ist als alles andere, nämlich
das Wohlgefallen Allahs, des Erhabenen, des Barmherzigen.
iopiop
26
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 27
DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM
Immer dann, wenn das Denken besonders degeneriert, entsteht
zwischen den Menschen eine patriotische Verbindung. Sie kommt
dadurch zustande, dass die Menschen in einem Gebiet leben, mit dem
sie sich verbunden fühlen. Der Selbsterhaltungsinstinkt veranlasst sie
dazu, sich selbst und das Land und Territorium zu verteidigen, in dem
sie leben. Daraus geht die patriotische Verbindung hervor. Es handelt
sich dabei um die schwächste und am meisten degenerierte
Verbindung, die zwischen Menschen entstehen kann. Bei Tieren und
Vögeln ist diese Verbindung, die immer einen emotionalen Aspekt
einnimmt, ebenso vorhanden wie bei Menschen. Die patriotische
Verbindung wird im Fall einer ausländischen Aggression auf die
Heimat in Form eines Angriffs oder einer Besatzung bedingt. Im Falle
der Sicherheit der Heimat vor einer Aggression, und wenn der fremde
Feind zurückgeschlagen oder aus der Heimat vertrieben wurde,
verliert sie völlig an Bedeutung. Aus diesem Grund kann man sagen,
dass es sich um eine degenerierte Verbindung handelt.
Eine nationalistische Verbindung zwischen den Menschen entsteht
dann, wenn ein engstirniges Denken vorherrscht. Sie besteht in einer
2Selbsterhaltungsinstinkt, der fest im Menschen verwurzelt ist, bringt
in ihm den Drang zur Beherrschung anderer hervor. Sie zeichnet jenes
Individuum aus, das in seinem Denken degeneriert ist, wobei es sich
zunächst noch auf seine eigene Person beschränkt. Wenn aber sein
Bewusstsein wächst, weitet sich der Wunsch zur Beherrschung anderer
bei ihm aus, sodass er die Führung über seine Familie erlangen will.
Mit der Erweiterung seines Horizontes und dem Wachsen seines
Begreifens weitet sich dieser Wunsch weiter aus, so dass er zunächst
die Herrschaft über sein Volk in seiner Heimat und dann über andere
Völker erlangen will. Auf diese Art entstehen örtliche Streitigkeiten
zwischen Angehörigen einer Familie um die Führung, bis sich die
Herrschaft eines ihrer Mitglieder innerhalb der Familie befestigt hat
27
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 28
DES ISLAM
und die Auseinandersetzungen um die Führung zwischen dieser
Familie und anderen Familien geführt werden. Wenn sich schließlich
die Herrschaft einer bestimmten Familie oder einer Gruppe aus
verschiedenen Familien über das Volk gefestigt hat, kommt es zu
Auseinandersetzungen zwischen diesem Volk und anderen Völkern
um die Vorherrschaft und um einen höheren Status im Leben. Daher
überwiegt Fanatismus (cA4abiyya) bei denjenigen, die sich durch diese
Verbindung auszeichnen. Sie sind durch Launenhaftigkeit und dadurch
geprägt, dass sie sich gegenseitig gegen Außenstehende unterstützen.
Es ist somit eine unmenschliche Verbindung, welche eine Gesellschaft
inneren Konflikten aussetzt, solange die Menschen nicht durch äußere
Konflikte beschäftigt und abgelenkt sind.
Die patriotische Bindung ist somit aus drei Gründen falsch:
1. Es handelt sich um eine degenerierte Bindung, die einer Verbindung
der Menschen auf dem Weg zum geistigen Aufstieg nicht dienlich ist.
2. Es ist eine emotionale Verbindung, die aus dem Selbsterhaltungsinstinkt
mit seinem Bedürfnis zur Selbstverteidigung hervorgegangen ist. Als
emotionale Verbindung unterliegt sie der Veränderung und ist nicht dazu
geeignet, eine dauerhafte Verbindung zwischen den Menschen
herzustellen.
3. Sie stellt eine zeitlich begrenzte Verbindung dar, die im
Verteidigungsfall auftritt. Im Falle der Stabilität, also dem
Normalzustand für den Menschen, existiert sie nicht und kann daher
auch keine geeignete Verbindung für die Menschheit darstellen.
Die nationalistische Bindung ist ebenfalls aus drei Gründen falsch:
1. Es handelt sich um eine tribale Bindung, welche die Menschen nicht
auf ihrem Weg zum geistigen Aufstieg miteinander verbinden kann.
2. Die nationalistische Bindung ist ebenfalls emotional und hat ihren
Ursprung im Selbsterhaltungsinstinkt, aus dem auch die Liebe zur
Beherrschung anderer hervorgeht.
28
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 29
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
3. Sie stellt eine unmenschliche Verbindung dar, die
Auseinandersetzungen zwischen den Menschen um die Führung
hervorruft. Aus diesem Grund kann sie keine richtige Verbindung für
die Menschheit sein.
Zu den falschen Bindungen, die keine wirkliche Verbindung zwischen
den Menschen hervorbringen, gehören die auf gemeinsamen
Interessen basierenden und die spirituellen Bindungen, aus denen kein
System hervorgeht. Die Interessenverbindung ist zeitlich begrenzt und
nicht dazu geeignet, die Menschheit miteinander zu verbinden, weil sie
dem Kampf für noch größere Interessen unterliegt. Im Übrigen
verschwindet sie, sobald das angestrebte Interesse erreicht wurde.
Gehen die Interessen auseinander, ist die Verbindung beendet. Die
Interessenverbindung trennt die Menschen voneinander, weil sie
endet, sobald die Interessen erreicht wurden. Aus diesem Grund ist sie
gefährlich für diejenigen, die sie annehmen.
Was die spirituelle Bindung betrifft, aus der kein System hervorgeht,
so erscheint sie bei der Ausübung religiöser Zeremonien und hat
keinen Einfluss auf das tägliche Leben. Daher ist es eine partielle und
unpraktikable Bindung, die die Menschen nicht in ihren
Angelegenheiten des täglichen Lebens miteinander verbinden kann. So
hat z.B. die christliche Glaubensgrundlage keine Verbindung zwischen
den europäischen Völkern herstellen können, obwohl sie alle das
Christentum angenommen haben, weil es sich um eine lediglich
spirituelle Bindung handelt, aus der kein System hervorgeht.
Die gesamten zuvor behandelten Verbindungen sind aus den
genannten Gründen nicht dazu in der Lage, die Menschen im Leben
auf ihrem Weg zum geistigen Aufstieg miteinander zu verbinden. Die
einzig korrekte Bindung zwischen den Menschen im Leben ist jene,
die auf einem intellektuellen Überzeugungsfundament basiert, aus
dem ein System hervorgeht, mit anderen Worten, eine ideologische
Verbindung.
29
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 30
DES ISLAM
Die Ideologie ist eine durch den Verstand bewiesene Überzeugungsgrundlage (cAqida caqliya), aus der eine Lebensordnung hervorgeht.
Unter cAqida (Überzeugungsgrundlage) versteht man eine umfassende
Idee über das Universum, den Menschen und das Leben, und über das,
was vor dem diesseitigen Leben war, was nach dem diesseitigen Leben
sein wird sowie ihre Beziehung zueinander. Das System, das aus dieser
Überzeugungsgrundlage hervorgeht, stellt die Behandlung der
Probleme des Menschen dar. Es zeigt auch die Art der Umsetzung
dieser Problemlösungen. Das System beschützt die cAqida und trägt die
Ideologie. Die Art der Anwendung, des Schutzes und des Tragens der
Dacwa aufzuzeigen, stellt die Methode (7ariqa) dar. Alles andere, d.h.
die cAqida und die Problemlösungen, bilden eine Idee (Fikra).
Dementsprechend besteht eine Ideologie aus einer Idee und einer
Methode (Fikra wa 7ariqa).
Eine Ideologie bildet sich ohne Zweifel im Verstand einer Person, und
zwar entweder durch die Offenbarung dieser Ideologie an sie durch
Allah s.t. mit dem Befehl, diese Ideologie zu verbreiten, oder durch ein
Genie, das diese Person erleuchtet. Die Ideologie, die im Verstand einer
Person durch die Offenbarung Allahs entsteht, ist die korrekte
Ideologie, weil sie vom Schöpfer des Universums, des Menschen und
des Lebens, von ALLAH, stammt. Es ist somit eine absolut definitive
(qa8ci) Ideologie. Eine Ideologie, die durch das menschliche Genie im
Verstand einer Person entsteht, ist deshalb falsch, weil sie
nichtsdestotrotz aus einem begrenzten Verstand hervorgeht, der nicht
dazu in der Lage ist, die gesamte Existenz zu umfassen. Ferner ist das
Verständnis des Menschen für die Organisation seiner Belange
Unterschiedlichkeiten,
Meinungsdifferenzen
und
Widersprüchlichkeiten sowie der Beeinflussung durch die Umgebung
ausgesetzt, in welcher der Mensch lebt. Das System, das daraus
hervorgeht, wäre somit widersprüchlich und kann nur zum Elend des
Menschen führen. Die Ideologie, welche aus dem Verstand eines
Menschen hervorgeht, ist deshalb in ihrer cAqida wie in dem System,
das daraus hervorgeht, falsch.
30
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 31
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Die Grundlage der Ideologie ist daher die umfassende Idee über das
Universum, den Menschen und das Leben, und die Methode, die die
Ideologie aufrecht erhält und im täglichen Leben umsetzt, muss
notwendigerweise aus dieser Idee hervorgehen, um die Ideologie ins
Leben zu rufen. Was die umfassende Idee in ihrer Eigenschaft als
Grundlage betrifft, so stellt sie die cAqida, das Denkfundament, und
die ideologische Führung dar. Auf ihrer Grundlage wird die
Denkrichtung des Menschen und seine Anschauung im Leben
definiert, auf ihr bauen alle Ideen auf, und aus ihr gehen alle
Problemlösungen für das Leben hervor. Die 7ariqa (Methode) ist
unbedingt notwendig, denn wenn das System, das aus der cAqida
hervorgeht, keine Erklärung zur Umsetzung der Problemlösungen
enthält, und nicht zeigt, wie die cAqida zu schützen ist, und wie die
Dacwa (der Aufruf) zur Ideologie getragen wird, wäre die Idee nichts
anderes als eine illusorische und hypothetische Philosophie, die in
Büchern fest gehalten wird und keinen Einfluss auf das diesseitige
Leben hat. Aus diesem Grunde sind sowohl die cAqida, als auch die
Problemlösungen und die Methode notwendig für das Bestehen einer
Ideologie. Die alleinige Existenz der Idee und der Methode in der
cAqida, aus der ein System hervorgeht, sagt noch nichts darüber aus,
ob die Ideologie korrekt ist. Sie zeigt lediglich, dass es sich um eine
Ideologie handelt. Was den Ausschlag darüber gibt, ob eine Ideologie
korrekt oder falsch ist, ist die cAqida, und zwar insofern, als diese
cAqida selbst korrekt oder falsch sein kann. Die cAqida stellt das
Denkfundament dar, auf dem sich jede Idee aufbaut, die jeden
Standpunkt definiert und aus der jede Problemlösung und jede
Methode hervorgeht. Ist dieses Denkfundament korrekt, ist auch die
Ideologie korrekt, und ist es falsch, ist auch die Ideologie von ihrer
Grundlage her falsch.
Wenn das Denkfundament mit der Natur des Menschen übereinstimmt
und auf dem Verstand beruht, handelt es sich um ein korrektes
Fundament, wenn es aber der Natur des Menschen widerspricht und
nicht auf dem Verstand basiert, ist es ein falsches Fundament. Mit der
31
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 32
DES ISLAM
Übereinstimmung des Denkfundamentes mit der menschlichen Natur
ist gemeint, dass es die Schwäche und Bedürftigkeit nach einem alles
planenden und lenkenden Schöpfer in der menschlichen Natur
bestätigt, oder, mit anderen Worten, dass es mit dem
Anbetungsinstinkt übereinstimmt. Mit dem Beruhen auf dem
Verstand ist gemeint, dass das Denkfundament weder auf der Materie
noch auf der Kompromisslösung basiert.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nur drei Ideologien auf der
Welt:
Kapitalismus, Sozialismus (und daraus hervorgehend Kommunismus)
und Islam. Die beiden ersten Ideologien werden von einem oder
mehreren Staaten getragen, während der Islam von keinem Staat
umgesetzt wird. Er wird lediglich von Individuen in den verschiedenen
Völkern getragen, ist allerdings auf der gesamten Welt verbreitet.
Der Kapitalismus basiert auf der Trennung der Religion vom täglichen
Leben. Diese Idee ist die Überzeugungsgrundlage, intellektuelle
Führung und das Denkfundament des Kapitalismus. Aufbauend auf
diesem Denkfundament ist es der Mensch, der sich seine Ordnung im
Leben erstellt. Zu diesem Zweck müssen die Grundfreiheiten des
Menschen gewährleistet werden. Dazu gehören die Glaubensfreiheit,
die Meinungsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und die persönliche
Freiheit. Aus der Eigentumsfreiheit ging das kapitalistische
Wirtschaftssystem hervor. Es handelt sich dabei um das markanteste
Merkmal dieser Ideologie, und das augenfälligste, was aus ihrer
Überzeugungsgrundlage hervorgegangen ist. Aus diesem Grunde
wurde diese Ideologie nach ihrem hervorstechendsten Merkmal als
Kapitalismus bezeichnet.
Die Demokratie, die ein Ausdruck dieser Ideologie ist, geht daraus
hervor, dass der Mensch sich sein eigenes System setzt. Daher gilt das
Volk als Quelle der Gewalten, es bestimmt seine Systeme, und
beauftragt den Herrscher damit, es zu regieren. Es kann ihm die
32
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 33
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Herrschaft entziehen, wann immer es will, und sich selbst die
Ordnung geben, welche es möchte, denn die Regierung als solche ist
ein Vertrag zwischen dem Volk und dem Herrscher, der besagt, dass
der Herrscher das Volk nach der Ordnung regiert, welche das Volk zu
diesem Zweck festgesetzt hat.
Die Demokratie ist, auch wenn sie aus dieser Ideologie hervorgeht,
nicht prägnanter als das Wirtschaftssystem. Als Beweis dafür kann
man anführen, dass das kapitalistische System im Westen die
Regierung beEinflusst. Sie hat sich den Großkapitalisten bis zu dem
Ausmaß zu beugen, dass man in den Ländern, welche die
kapitalistische Ideologie angenommen haben, von diesen Kapitalisten
als den eigentlich Regierenden sprechen kann. Im Übrigen ist die
Demokratie nicht auf diese Ideologie beschränkt, denn auch die
Kommunisten propagieren die Demokratie und sprechen von der
Herrschaft des Volkes. Aus diesem Grunde ist es genauer, diese
Ideologie als kapitalistische Ideologie zu bezeichnen.
Der Ursprung der kapitalistischen Ideologie liegt in einer
geschichtlichen Entwicklung. Die Kaiser und Könige Russlands und
Europas instrumentalisierten die Religion, um die Völker zu
unterdrücken, zu tyrannisieren und ihr Blut auszusaugen. Sie
bedienten sich dabei des Klerus als Instrument. Aus dieser Situation
erwuchs eine heftige Auseinandersetzung, in deren Verlauf einige
Philosophen und Denker die Religion völlig verneinten, während
andere die Religion zwar anerkannten, aber zu ihrer Trennung vom
täglichen Leben aufriefen. Schließlich setzte sich bei der Mehrheit der
Philosophen und Denker als einzige die Idee der Trennung von
Religion und täglichem Leben durch. Dies resultierte naturgemäß in
der Trennung von Staat und Religion. Es setzte sich auch die
Auffassung durch, dass man nicht mehr die Ablehnung oder
Anerkennung der Religion, sondern ausschließlich die Notwendigkeit
der Trennung der Religion vom täglichen Leben zum Gegenstand der
Untersuchung machen sollte. Diese Idee kann folglich als
33
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 34
DES ISLAM
Kompromisslösung zwischen dem Klerus auf der einen Seite, der die
absolute Herrschaft im Namen der Religion anstrebte, und den
Philosophen und Denkern auf der anderen Seite gelten, welche die
Religion und die Macht des Klerus ablehnten. Diese
Kompromisslösung negiert die Religion nicht, ermöglicht ihr aber
auch keinen Eingang ins tägliche Leben. Somit hat sie die Religion
vom täglichen Leben getrennt. Eben diese Trennung der Religion vom
täglichen Leben stellt die Überzeugungsgrundlage dar, die der Westen
angenommen hat. Sie ist gleichzeitig das Denkfundament, auf dem
alle Ideen aufbauen. Auf ihrer Grundlage wird die Denkrichtung des
Menschen und sein Blickwinkel im Leben definiert, sämtliche
Probleme des Lebens werden auf ihrer Basis behandelt, und es
handelt sich dabei um die ideologische Führung, die der Westen trägt
und zu deren Anwendung er die ganze Welt aufruft.
Die Überzeugungsgrundlage der Trennung der Religion vom täglichen
Leben erkennt indirekt an, dass es etwas wie Religion gibt, d.h. dass es
einen Schöpfer gibt, der das Universum, den Menschen und das Leben
erschaffen hat. Sie erkennt an, dass es einen Tag der Auferstehung
gibt, denn diese Aspekte bilden die Grundlage der Religion als
Religion. Diese Anerkennung vermittelt eine Idee über das Universum,
den Menschen und das Leben sowie über das, was dem diesseitigen
Leben voranging und was danach folgt. Sie verleugnet die Existenz der
Religion nicht, sondern erkennt dadurch, dass sie die Idee der
Trennung vertritt, die Existenz der Religion implizit an. Somit hat sie
die Existenz der Religion bekräftigt und vertritt, wenn von der
Trennung der Religion vom täglichen Leben und davon gesprochen
wird, dass die Religion nicht mehr darstellt als die Beziehung zwischen
dem Individuum und seinem Schöpfer, die Idee, dass es keine
Verbindung zwischen dem diesseitigen Leben und dem gibt, was davor
war und was danach sein wird. Somit stellt die Überzeugungsgrundlage
(der Trennung der Religion vom täglichen Leben) durch ihr
umfassendes Konzept eine umfassende Idee über das Universum, den
Menschen und das Leben dar. Aus diesem Grunde ist auch der
34
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 35
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Kapitalismus, wie wir es ausgeführt haben, eine Ideologie wie die
übrigen Ideologien.
Der Sozialismus bzw. Kommunismus betrachtet das Universum, den
Menschen und das Leben als bloße Materie. Seiner Ansicht nach ist sie
der Urprung aller Dinge. Die Dinge entstehen durch die Entwicklung
der Materie. Außerhalb dieser Materie gibt es absolut nichts. Sie ist
ewig (ohne Anfang und Ende), war schon immer vorhanden, und es
gibt niemanden, der sie hervorgebracht hat. Mit anderen Worten, ihre
Existenz bedingt sich selbst. Die Kommunisten verleugnen daher, dass
die Dinge von einem Schöpfer erschaffen wurden, d.h., sie lehnen die
geistige Seite (Nahia Ruhia) in den Dingen ab. Sie betrachten die
Anerkennung ihrer Existenz sogar als Gefahr für das Leben, und
bezeichnen die Religion aus diesem Grunde als Opium des Volkes, das
die Menschen betäube und vom Handeln abhalte. Abgesehen von der
Materie existiert aus kommunistischer Sicht nichts. Sogar das Denken
ist nichts anderes als eine Wiederspiegelung der Materie auf das Hirn.
Somit stellt die Materie den Ursprung des Denkens wie auch aller
anderen Dinge dar.
Aus der Evolution der Materie gehen aus kommunistischer Sicht die
Dinge hervor. Aus diesem Grund verleugnen die Kommunisten die
Existenz eines Schöpfers und betrachten die Materie als ewig. Sie
verleugnen, dass es vor dem Leben etwas gab und dass nach dem
Leben etwas sein wird: Nur das diesseitige Leben findet bei ihnen
Anerkennung.
Trotz der Unterschiede dieser beiden Ideologien in ihrer
zugrundeliegenden Betrachtung des Menschen, des Universums und
des Lebens stimmen sie darin überein, dass das höchste Ideal für den
Menschen die Werte sind, die er selber aufstellt. Für beide Ideologien
liegt das Glück des Menschen im Erwerb des größtmöglichen Anteils
körperlicher Genüsse, weil diese aus ihrer Sicht das Mittel zum Glück
oder sogar das Glück selbst darstellen. Beide Ideologien stimmen
35
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 36
DES ISLAM
darin überein, dass man dem Menschen seine persönliche Freiheit
geben muss, damit dieser sich so verhalten kann, wie er will, solange er
in diesem Verhalten sein Glück sieht. Das persönliche Verhalten bzw.
die persönliche Freiheit wird von beiden Ideologien angebetet.
Kapitalismus und Kommunismus unterscheiden sich jedoch in ihrer
Betrachtung des Individuums und der Gesellschaft. Der Kapitalismus
ist eine individualistische Ideologie, die die Gesellschaft als eine
Zusammensetzung aus Individuen betrachtet. Die Gesellschaft selbst
ist in ihrer Betrachtung nur sekundär. Der Kapitalismus konzentriert
seinen Blick auf das Individuum. Aus diesem Grunde hält er es für
notwendig, die Freiheiten des Einzelnen zu garantieren. Zur
Gewährleistung seiner eigenen Freiheit arbeitet jedes Individuum für
die Gesellschaft.
Demzufolge gelten die Glaubensfreiheit und die Eigentumsfreiheit als
heilig. Dies bleibt keineswegs beschränkt auf ihre Philosophie, denn es
ist der Staat der die Freiheiten durch die Stärke seines Militärs und die
Härte seines Gesetzes umsetzt. Der Staat selbst stellt ein Mittel und
nicht das Ziel dar. Die Souveränität liegt somit bei den Individuen und
nicht beim Staat. Die kapitalistische Ideologie trägt als ideologische
Führung die Trennung der Religion vom täglichen Leben. Auf dieser
Grundlage schafft sie ihre Systeme, propagiert sie und versucht, sie auf
der ganzen Welt anzuwenden.
Der Sozialismus bzw. Kommunismus betrachtet die Gesellschaft
als Kollektiv, das aus den Menschen und ihren Beziehungen zur Natur
besteht. Diesen feststehenden und eingegrenzten Beziehungen hat der
Mensch sich automatisch zu unterwerfen. Das gesamte Kollektiv ist
eine einzige Sache, die Natur, der Mensch und die Beziehungen des
Menschen zur Natur stellen eine Einheit dar. Es handelt sich dabei
nicht um voneinander getrennte Teile. So wird die Natur als Bestandteil
der Persönlichkeit des Menschen gesehen, der sein Wesen prägt. Der
Mensch kann sich daher nur entwickeln, wenn er mit diesem Teil seiner
36
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 37
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Persönlichkeit, d.h. der Natur, verbunden ist. Seine Verbindung zur
Natur stellt somit eine Verbindung zu sich selbst dar. Daher gilt die
Gesellschaft als ein einziges Kollektiv, das sich nur als Ganzes
entwickeln kann. Das Individuum folgt dieser Entwicklung wie der
Zahn im Zahnrad. Aus diesem Grunde gibt es bei den Kommunisten
weder eine Glaubensfreiheit noch eine Eigentumsfreiheit für das
Individuum. Die Überzeugungsgrundlage wird wie die Wirtschaft vom
Staat festgelegt. Der Staat ist somit für die kommunistische Ideologie
heilig. Aus dieser materialistischen Philosophie gehen die Systeme des
Lebens hervor, wobei das Wirtschaftssystem, das alle anderen Systeme
überwiegt, die erste Grundlage darstellt. Die sozialistische bzw.
kommunistische Ideologie trägt daher als ideologische Führung den
Materialismus und die Dialektik. Auf dieser Grundlage schafft sie ihre
Systeme, propagiert sie und versucht, sie überall umzusetzen.
Der Islam erklärt, dass es außerhalb des Universums, des Menschen
und des Lebens einen Schöpfer gibt, der alles erschaffen hat: Allah s.t.
Die Grundlage des Islam ist daher der durch Überzeugung gewonnene
feste Glaube an die Existenz Allahs. Diese cAqida ist es, welche die
geistige Seite (Nahia Ruhia) definiert. Letztere besagt, dass der
Mensch, das Leben und das Universum von einem Schöpfer
erschaffen wurden. Somit besteht eine Verbindung zwischen dem
Universum in seiner Eigenschaft als Schöpfung zu Allah als Schöpfer.
Dies ist die Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Universum. Die
Verbindung zwischen dem Leben in seiner Eigenschaft als Schöpfung
und Allah als Schöpfer stellt Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Leben
dar, während die Verbindung zwischen dem Menschen als Schöpfung
und Allah als Schöpfer Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Menschen
ausmacht. Unter Ruh (Spiritualität, Geistigkeit) kann man demzufolge
das Erfassen seiner Verbindung zu Allah (t.) durch den Menschen
bezeichnen.
Der feste Glaube an Allah muss mit dem festen Glauben an das
Prophetentum Muhammads (a.s.s) und seine Botschaft sowie daran
37
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 38
DES ISLAM
verbunden sein, dass der Qur’an das Wort Allahs ist. Der feste Glaube
an alles das, wovon der Qur’an uns unterrichtet, ist verpflichtend. Die
islamische cAqida bestimmt somit, dass es vor dem diesseitigen Leben
etwas gab, woran man ohne den Schatten eines Zweifels glauben muss,
nämlich Allah (t.), sie legt fest, dass man an das glauben muss, was es
nach dem diesseitigen Leben geben wird, nämlich den Tag der
Auferstehung, und dass der Mensch im diesseitigen Leben an die
Befehle und Verbote Allahs gebunden ist. Dieser Aspekt stellt die
Verbindung her zwischen dem diesseitigen Leben und dem, was ihm
vorausging. Der Mensch ist durch die Rechenschaft, die er ablegen
müssen wird, daran gebunden, diese Befehle auszuführen und sich von
diesen Verboten fernzuhalten. Dieser Aspekt stellt die Verbindung
zwischen dem diesseitigen Leben und dem her, was nach diesem
Leben folgen wird. Dem Muslim ist es daher notwendigerweise
auferlegt, seine Verbindung zu Allah zu erfassen, wenn er Handlungen
ausführt, und die Ausführung seiner Handlungen in Einklang mit den
Befehlen und Verboten von Allah (s.w.t.) vorzunehmen. Dies ist die
Bedeutung der Verschmelzung von Madda (Materie) und Ruh (Geist).
Das Ziel der Ausführung von Handlungen gemäß den Befehlen und
Verboten Allahs ist es, das Wohlgefallen Allahs zu erreichen. Das
beabsichtigte Ziel in der Ausführung der Handlungen an sich ist der
Wert, den diese Handlung verwirklicht.
Die hochstehenden Ziele zur Sicherung der Gesellschaft werden somit
nicht vom Menschen selbst gesetzt, sondern es handelt sich dabei um
die Befehle und Verbote von Allah s.t. Diese sind feststehend und
unterliegen weder der Veränderung noch der Entwicklung. Die
hochstehenden Ziele zur Sicherung der Gesellschaft umfassen den
Schutz der menschlichen Rasse, des Verstandes, der menschlichen
Würde, des menschlichen Lebens, des Privatbesitzes, der Religion, der
Sicherheit und des Staates. Sie sind weder Veränderung noch
Entwicklung ausgesetzt. Zum Schutz dieser feststehenden Ziele
wurden strenge Strafen erlassen, die sogenannten cUqubat und Hudud.
Den Schutz dieser hochstehenden Ziele vorzunehmen, ist aus dem
38
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 39
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Grunde eine Verpflichtung, weil es sich um die Befehle und Verbote
Allahs handelt, nicht weil sie materielle Werte verwirklichen. Der
Muslim und der Staat führen aus diesem Grunde alle Handlungen
gemäß den Befehlen und Verboten Allahs aus, da sie alle
Angelegenheiten des Lebens regeln. Die Ausübung seiner Handlungen
gemäß den Befehlen und Verboten Allahs bringt eine innere
Gewissheit beim Muslim hervor. Das Glück besteht demzufolge nicht
in der Befriedigung körperlicher Vergnügen und der Erlangung
materieller Werte, sondern im Wohlgefallen Allahs.
Der Islam hat die organischen Bedürfnisse und Instinkte des
Menschen auf eine Weise geregelt, die die Befriedigung sämtlicher
Bedürfnisse umfasst, sei es das Bedürfnis des Magens, oder den
Selbsterhaltungstrieb, das spirituelle Bedürfnis oder andere. Kein
Bedürfnis wird auf Kosten eines anderen befriedigt, noch wird eines
von ihnen unterdrückt, um einem anderen völlig freien Lauf zu lassen.
Auch eine völlig freider Umgang mit allen Bedürfnissen ist
ausgeschlossen. Vielmehr hat der Islam sie alle geordnet und ihre
Befriedigung nach einem genauen System vorgesehen, dessen
Befolgung Ruhe und Wohlbefinden für den Menschen mit sich bringt.
Auf diese Weise verhindert der Islam, dass der Mensch in der
Befriedigung seiner Triebe ein dekadentes Niveau erreicht, dass dem
von Tieren gleicht.
Zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung betrachtet der Islam die
Gemeinschaft als eine ungeteilte Gesamtheit, und das Individuum als
Teil dieser Gemeinschaft, der nicht von ihr getrennt werden kann. Die
Tatsache, dass der Einzelne ein Teil der Gemeinschaft ist bedeutet
nicht, dass er sich zur Gesellschaft verhält wie ein Zahn zum Zahnrad.
Es bedeutet vielmehr, dass er als Teil einer Gesamtheit betrachtet wird
wie die Hand am Körper. Aus diesem Grunde hat sich der Islam des
Individuums als Teil der Gemeinschaft angenommen, nicht als von ihr
getrennte Einzelperson. Das Sorgetragen für den Einzelnen führt
somit zum Schutz der Gemeinschaft. Zur gleichen Zeit nimmt sich der
39
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 40
DES ISLAM
Islam der Gemeinschaft nicht als Gesamtheit an, die keine
Einzelbestandteile hat, sondern eben als eine Gesamtheit, die aus
Einzelteilen, nämlich den Individuen, besteht. Diese Betrachtung führt
somit zum Sorgetragen um die Individuen als Bestandteile der
Gesellschaft.Der Gesandte Allahs (a.s.s.) hat gesagt:
”Derjenige, der die Richtlinien Allahs einhält und derjenige, der
sie verletzt, sind wie eine Gruppe von Menschen auf einem Schiff.
Einige von ihnen befinden sich an Deck, während die anderen
unter Deck reisen. Diejenigen, die sich unter Deck befinden,
müssen, um ihren Wasserbedarf zu decken, an den oben Reisenden
vorbei. Sie sagen sich daher: Wenn wir ein Loch in unseren Teil
des Schiffes schlagen, können wir an Wasser gelangen, ohne die
Anderen zu stören. Ließen die Oberen sie in ihrem Vorhaben
gewähren, wären sie alle dem Untergang ausgesetzt. Nehmen sie
die Unteren dagegen bei der Hand (und hindern sie an ihrem
Vorhaben), so sind sie in ihrer Gesamtheit gerettet.”
Es ist diese Betrachtung der Gemeinschaft und des Einzelnen, die der
Gesellschaft einen bestimmten Mafhum (Konzept, Verständnis) gibt.
Die Individuen als Teile dieser Gemeinschaft haben Ideen, die sie
miteinander verbinden und nach denen sie ihr Leben ausrichten. Sie
haben gemeinsame Gefühle, durch welche sie beEinflusst werden und
nach denen sie agieren. Ihnen ist ein System gemein, dass alle
Probleme ihres täglichen Lebens löst. Somit ist die Gesellschaft aus
Menschen, den Ideen, Gefühlen und den Systemen zusammengesetzt,
wobei der Mensch in seinem täglichen Leben durch diese Ideen,
Gefühle und Systeme gelenkt wird. Der Muslim ist in jeder
Angelegenheit an den Islam gebunden, und er hat absolut keine
Freiheiten. Die Überzeugungsgrundlage des Muslim ist durch die
Grenzen, die der Islam vorgegeben hat, fest eingebunden und
keineswegs freigestellt. Daher wird die Abtrünnigkeit (Ridda) vom
Islam als Kapitalverbrechen betrachtet, das mit dem Tode bestraft
wird, wenn der Betroffene nicht zum Islam zurückkehrt. Auch die
persönliche Seite ist durch die islamische Ordnung gebunden.
Unzucht wird daher als ein Verbrechen betrachtet, dessen Bestrafung
40
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 41
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
öffentlich und ohne Mitleid seitens der anwesenden Personen
ausgeführt wird.
”Und ein Teil der Gläubigen soll die Bestrafung der
beiden bezeugen” (Surat an-Nur, Aya 2)
Der Alkoholgenuss ist ein Verbrechen, das bestraft wird, ebenso wie
Verstöße gegen andere Menschen als Verbrechen gelten, ob es sich
nun um Verleumdung, Mord oder ähnliches handelt. Auch die
wirtschaftliche Seite ist durch das islamische Recht geregelt. So
werden die Möglichkeiten des Eigentumserwerbs durch das
Individuum genau definiert. Der Privatbesitz stellt in Wirklichkeit die
Erlaubnis des Gesetzgebers zur Nutzung einer Sache dar. Ein Verstoß
gegen diese Gesetze wird als Verbrechen betrachtet, das je nach Art
des Verstoßes vom Diebstahl bis zum Raub oder anderem variieren
kann.
Aus diesem Grunde ist der Staat unbedingt erforderlich, um die
Gemeinschaft wie das Individuum zu schützen und das System auf
die Gesellschaft anzuwenden. Ferner müssten diejenigen, die die
Ideologie aus Überzeugung angenommen haben, unzweifelhaft derart
von ihr beEinflusst werden, dass die Bewahrung und der Schutz
dieser Ideologie auf natürliche Weise von den Menschen selbst
vorgenommen wird. Es ist somit die Ideologie selbst, die lenkt und
schützt, wobei der Staat derjenige ist, der ausführt. Die Souveränität
gehört somit weder dem Staat noch der Umma, sondern dem
islamischen Recht, der Sari ca. Die Autorität liegt bei der Umma und
manifestiert sich im Staat. Die Methode zur Umsetzung des Systems
ist somit der Staat, auch wenn man sich bei der Ausführung der
Gesetze des Islam auf die Taqwa (Gottesfurcht) des einzelnen
Gläubigen verlassen kann. Aus diesem Grunde muss es eine
Gesetzgebung geben, die der Staat umsetzt, wobei es zur Ausrichtung
des gläubigen Individuums gehört, den Islam auf Grund seiner
41
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 42
DES ISLAM
Taqwa, also seiner Furcht vor Allah, auszuführen. Der Islam besteht
aus einer cAqida (Überzeugungsgrundlage) und Systemen. Seine
Ideologie stellt eine Fikra (Idee) und eine 7ariqa (Methode) dar, die
von der gleichen Natur dieser Idee ist (d.h., die aus den selben
Quellen hervorgeht.) Die Ordnung des Islam geht aus seiner cAqida
hervor, und seine Kultur weist eine genau definierte Lebensart auf.
Seine Methode der Dawa ist es, den Islam durch den Staat
umzusetzen, und den Islam als ideologische Führung in die Welt zu
tragen. Diese ideologische Führung stellt die Grundlage des
Verständnisses der islamischen Ordnung und die Basis seiner
Anwendung dar. Die Anwendung des Islam in der Gemeinschaft, die
durch die Ordnung des Islam regiert wird, ist gleichbedeutend mit der
Verbreitung der islamischen Dacwa. Die Anwendung seiner Ordnung
auf die Nichtmuslime stellt die praktische Methode der Dacwa dar. Es
war schließlich diese Anwendung, die den größten Einfluss auf das
Entstehen der weitläufigen islamischen Welt hatte, wie wir sie heute
kennen.
Es gibt drei Ideologien auf der Welt: Kapitalismus, Sozialismus bzw.
Kommunismus, und die dritte Ideologie ist der Islam. Jede dieser
Ideologien hat eine cAqida, aus der Systeme hervorgehen, sowie
Handlungsmaßstäbe, die der Mensch im täglichen Leben anwendet.
Jede Ideologie verfügt auch über eine spezifische Betrachtung der
Gesellschaft und eine Methode, um das System anzuwenden.
Die Überzeugungsgrundlage des Kommunismus besagt, dass die
Materie der Ursprung der Dinge ist und alle Dinge aus der Evolution
der Materie hervorgegangen sind. Die kapitalistische
Überzeugungsgrundlage besagt, dass die Religion vom täglichen
Leben getrennt werden muss, was in der Trennung der Religion vom
Staat resultiert. Die Kapitalisten haben nicht den Anspruch, die Frage
zu untersuchen, ob es einen Schöpfer gibt oder nicht, sondern es ist
für sie lediglich wichtig, dass dieser Schöpfer keinen Einfluss auf das
tägliche Leben hat, unabhängig davon, ob sie nun seine Existenz
42
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 43
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
anerkennen oder nicht. Die Anerkennung oder Ablehnung der
Existenz des Schöpfers ist daher nach ihrer Überzeugungsgrundlage,
die sich auf die Trennung der Religion vom täglichen Leben
beschränkt, gleich.
Der Islam steht für die Überzeugung, dass Allah der Schöpfer der
gesamten Existenz ist, und dass Er Propheten und Gesandte mit
Seinem Din an die gesamte Menschheit entsandt hat. Der Mensch
wird am Tag der Auferstehung für alle seine Handlungen zur
Rechenschaft gezogen. Die Überzeugungsgrundlage des Islam
besteht in dem Glauben an Allah, Seine Engel, Seine Bücher und
Gesandten, an den Jüngsten Tag und daran, dass das Gute wie das
Schlechte in Qa6a’ und Qadar von Allah stammen.
Bezüglich der Art und Weise, wie die Ordnung aus der
Überzeugungsgrundlage abgeleitet wird, vertritt die kommunistische
Ideologie die Ansicht, dass das System aus den Produktionsmitteln
hervorgeht. So war zum Beispiel das Produktionsmittel der
feudalistischen Gesellschaft die Axt. Aus ihrem Gebrauch ging die
feudalistische Ordnung hervor. Mit der Entwicklung der Gesellschaft
zum Kapitalismus wurde die Maschine das Produktionsmittel. Das
kapitalistische System ging daraus hervor, mit anderen Worten, es ist
der materiellen Entwicklung entnommen.
Die kapitalistische Ideologie vertritt die Ansicht, dass dem Menschen
durch die Trennung der Religion vom täglichen Leben die Aufgabe
zukommt, sich seine Ordnung selbst zu schaffen, indem er sie dem
Leben entnimmt. Er entnimmt sein System somit der Realität, die ihn
umgibt.
Der Islam vertritt die Ansicht, dass Allah dem Menschen ein System
gegeben hat, dass er im täglichen Leben umzusetzen hat. ER
entsandte unseren Propheten Muhammad (a.s.s.) mit diesem System
und dem Auftrag, es zu verbreiten. Der Mensch ist dazu verpflichtet,
43
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 44
DES ISLAM
nach diesem System zu leben. Aus diesem Grunde studiert er das
Problem zunächst, um dann seine Lösung aus Kitab und Sunna
abzuleiten.
Die kommunistische Ideologie ist der Ansicht, dass der Materialismus
bzw. das materialistische System den Handlungsmaßstab im täglichen
Leben darstellt. Mit der Entwicklung der Materie entwickeln sich auch
die Maßstäbe. Gemäß der kapitalistischen Ideologie besteht der
Handlungsmaßstab im Profit, den man aus der jeweiligen Handlung
zieht. Die Handlungen werden entsprechend ihrem Nutzen bewertet
und auf dieser Grundlage ausgeführt. Die Auffassung des Islam ist
es, dass der Handlungsmaßstab im täglichen Leben durch Halal
(Erlaubtes) und Haram (Verbotenes), also durch die Gebote und
Verbote Allahs bestimmt wird. Das Erlaubte wird ausgeführt, das
Verbotene unterlassen. In diesem Punkt gibt es weder eine
Entwicklung noch eine Veränderung. Nicht der Nutzen entscheidet
über die Handlungen, sondern allein die Gesetzgebung von Allah (t.).
Die Betrachtung der Gesellschaft im Kommunismus läuft darauf
hinaus, dass die Gesellschaft ein Kollektiv ist, zu dem der Boden, die
Produkionsmittel, die Natur und der Mensch in ihrer Eigenschaft als
eine einzige Sache, d.h. als Materie, gehören. Wenn sich die Natur mit
ihren Elementen entwickelt, entwickelt sich der Mensch mit ihr.
Dadurch kommt es zu einer Entwicklung der gesamten Gesellschaft.
Diese ist somit der Evolution der Materie unterworfen. Aufgabe des
Menschen ist es lediglich, Widersprüche hervorzubringen, um diese
Entwicklung zu generieren. Entwickelt sich die Gesellschaft, so
entwickelt sich dadurch auch das Individuum. Es dreht sich mit ihr
wie der Zahn im Zahnrad.
Der Kapitalismus ist der Auffassung, dass sich die Gesellschaft aus
Individuen zusammensetzt, und dass die Angelegenheiten der
Gesellschaft dann geregelt sind, wenn es die Angelegenheiten der
Individuen sind. Dementsprechend wird nur das Individuum
44
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 45
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
berücksichtigt, und der Staat arbeitet nur für das Individuum. Der
Kapitalismus ist daher eine individualistische Ideologie.
Im Islam ist die Grundlage, auf der sich die Gesellschaft aufbaut, die
cAqida, und das, was sie an Ideen und Gefühlen hervorbringt und was
an Systemen aus ihr hervorgeht. Wenn die islamischen Ideen und
Gefühle vorherrschen und die islamische Ordnung über den
Menschen angewendet wird, kommt die islamische Gesellschaft
zustande. Die Gesellschaft besteht also aus Menschen, den Ideen, den
Gefühlen und den Systemen. Der Mensch allein konstituiert
zusammen mit anderen Menschen eine Gruppe, aber keine
Gesellschaft. Diese wird nur durch die Ideen gebildet, die der Mensch
trägt, die Gefühle, die in ihm vorherrschen, und die Systeme, die über
ihm Anwendung finden. Es ist das gemeinsame Interesse (Ma4laha),
welches die Beziehung zwischen den Menschen herstellt. Vereinigt
dieses gemeinsame Interesse die Ideen und Gefühle auf sich, so
bringen sie (je nach dem, ob eine Verwirklichung dieses gemeinsamen
Interesses zu sehen ist oder nicht) Zufriedenheit oder Zorn zustande.
Stellt das gemeinsame Interesse Einigkeit über das System her, das die
Probleme des täglichen Lebens behandelt, ist bereits die Verbindung
zwischen den Menschen zustande gekommen. Unterscheiden sich die
Ideen oder die Gefühle bezüglich des gemeinsamen Interesses,
vereinigen sie die Menschen nicht in Zufriedenheit oder Zorn. Dies
ist auch der Fall, wenn Uneinigkeit über das System besteht, das die
Probleme des täglichen Lebens behandelt: Es entsteht keine
Verbindung zwischen den Menschen, und aus diesem Grunde kommt
es nicht zur Entstehung einer Gesellschaft. Demzufolge ist die
Gesellschaft zusammengesetzt aus den Menschen, den Ideen,
Gefühlen und Systemen, denn sie sind es, die eine dauerhafte
Beziehung zwischen den Menschen hervorbringen und aus einer
Gruppe von Menschen eine genau definierte (bestimmte)
Gesellschaft werden lassen.
Selbst wenn alle Menschen Muslime wären, aber die Ideen, die sie
45
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 46
DES ISLAM
tragen, kapitalistisch-demokratisch sind, und ihre Gefühle spirituellpriesterlich oder auch nationalistisch, und wenn das System, das über
ihnen angewendet wird, kapitalistisch-demokratisch ist, handelt es
sich bei der Gesellschaft um eine nicht islamische Gesellschaft. Dies
ist selbst dann der Fall, wenn die überwiegende Mehrheit der
Menschen Muslime sind.
Was die Umsetzung des Systems betrifft, vertritt die kommunistische
Ideologie die Ansicht, dass der Staat allein das System mit der Stärke
des Militärs und der unerbittlichen Härte des Gesetzes umsetzt. Der
Staat übernimmt die Regelung der Angelegenheiten des Einzelnen
und der Gemeinschaft, und er ist es, der das System weiterentwickelt.
Aus kapitalistischer Sicht ist der Staat der Hüter der Freiheiten.
Verstößt jemand gegen die Freiheit eines anderen, so unterbindet der
Staat diese Überschreitung, denn seine Existenzberechtigung
begründet sich in der Gewährleistung der Freiheiten. Verstößt jemand
nicht gegen die Freiheit des anderen, greift der Staat nicht ein, selbst
wenn er den anderen unterdrückt und seiner Rechte beraubt vorausgesetzt, dies geschieht mit seiner Zustimmung und es findet
kein Verstoß gegen die Freiheiten statt. Der Staat existiert demzufolge
nur zur Gewährleistung der Freiheiten.
Aus islamischer Sicht wird das System aufgrund der Gottesfurcht des
Einzelnen, durch das gläubige Individuum umgesetzt. Der Staat wird
ferner in seiner Anwendung des Systems durch das Bewusstsein der
Gemeinschaft um die Gerechtigkeit dieser Ordnung unterstützt.
Darüber hinaus hilft die Umma dem Regierenden durch das Gebieten
des Guten und Verwehren des Schlechten (al-amr bi-l-macruf wa n-nahi
can il-munkar). Schließlich erfolgt die Umsetzung durch die
Staatsmacht als solche. Der Staat regelt die Angelegenheiten der
Gemeinschaft und nimmt dem Einzelnen die Regelungen seiner
Angelegenheiten nur dann aus der Hand, wenn er nicht selbst dazu in
der Lage ist. Das System unterliegt absolut keiner ”Entwicklung”.
46
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 47
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Der Staat besitzt die Vollmacht zur Adaption von Ahkam sarciyya,
wenn mehrere Igtihadat (abgeleitete Rechtsmeinungen) in einer
Rechtsfrage vorhanden sind.
Die ideologische Führung des Islam stimmt mit der Natur des
Menschen überein. Sie ist trotz ihrer Tiefe leicht zugänglich. Der
Mensch öffnet ihr schnell seinen Verstand und sein Herz, und widmet
sich ihr, um sie zu begreifen, und um sich mit Leidenschaft und
Wertschätzung in ihre Details zu vertiefen. Dies geschieht aus dem
Grunde, weil das Bedürfnis der Anbetung Teil der menschlichen
Natur ist und jeder Mensch aufgrund seiner Natur diesem Bedürfnis
nachgehen möchte. Keine Macht ist dazu imstande, ihm diese Natur
zu entreißen, weil sie fest im Menschen verwurzelt ist. Der Mensch
spürt durch seine Natur, dass er unvollkommen ist, und dass es eine
Macht gibt, die vollkommener ist als er. Er spürt instinktiv, dass diese
Macht der Anbetung würdig ist. Der Anbetungsinstinkt besteht somit
in der Bedürftigkeit nach dem Schöpfer, der alles nach Seinem Plan
lenkt. Er geht aus dem natürlichen Unvermögen in der
Erschaffenheit des Menschen hervor. Es handelt sich dabei um einen
festen Instinkt, der in der Anbetung seinen bestimmten Ausdruck hat.
Tatsächlich hat die gesamte Menschheit in allen Zeitaltern etwas
angebetet, von der Anbetung des Menschen, über die
Himmelskörper, Steine, Tiere, Sonne und Mond über anderes mehr.
Als der Islam mit seiner Überzeugungsgrundlage kam, führte er die
Menschheit weg von der Anbetung der Geschöpfe hin zur Anbetung
Allahs, der alle Dinge erschaffen hat.
Die materialistische Ideologie, welche die Existenz Allahs verneinte
und die Verbindung zu Allah (Nahia Ruhia) negierte, war nicht dazu
imstande, diesen natürlichen Anbetungsinstinkt zu beseitigen.
Vielmehr übertrug sie die Vorstellung des Menschen von einer Macht,
die größer ist als er selbst, und übertrug seine Verehrung dieser Macht
auf die Ideologie und deren Propagierung. Dadurch vollzog sie einen
Rückschritt. Das natürliche Verehrungsbedürfnis der Menschen
47
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 48
DES ISLAM
wurde von der Anbetung Allahs auf die Anbetung der Menschen
umgeleitet, und von der Verehrung der Verse Allahs zu Verehrung der
Worte seiner Geschöpfe. Demzufolge war es ein Schritt zurück. Die
materialistische Ideologie war nicht dazu in der Lage, die natürliche
Veranlagung zur Anbetung zu beseitigen: Vielmehr formte sie sie
durch Täuschung auf eine reaktionäre Weise um. Aus diesem Grunde
steht die ideologische Führung des Kommunismus im Widerspruch
zur menschlichen Natur, und stellt eine negative Führung dar. Durch
diesen Aspekt ist sie zum Scheitern verurteilt. Zur Überlistung der
Natur des Menschen lenkt sie die Aufmerksamkeit auf den Magen:
Sie lockt die Hungernden, die Ängstlichen und Unglücklichen. Es
sind die Degenerierten, die sich an ihr festhalten, diejenigen, die im
Leben gescheitert sind und es hassen, diejenigen, die von
intellektuellem Spleen befallen sind. Dies geht soweit, dass man sie als
Denker bezeichnet, wenn sie prahlerisch die dialektische Lehre
verkünden, die so offensichtlich und von Gefühl und Verstand
nachvollziehbar nichtig und falsch ist. Sie bedient sich der Gewalt, um
die Menschen unter ihre Ideologie zu zwingen. Dementsprechend
sind Druck und Unterdrückung, Aufstände und Erschütterungen,
Zerstörung und Unruhe ihre wichtigsten Mittel.
Die ideologische Führung des Kapitalismus widerspricht ebenfalls
der menschlichen Natur mit ihrem Bedürfnis der Anbetung. Ebenso
wie sich die natürliche Veranlagung zur Anbetung in der Verehrung
äußert, zeigt sie sich in der Planung der Handlungen im täglichen
Leben. Die Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit bei der
Ausführung dieser Planung ist ein Beweis für die Schwäche des
Menschen. Aus diesem Grunde muss es der Din (die göttliche
Lebensordnung) sein, welcher die Handlungen des Menschen im
täglichen Leben plant. Die Entfernung der Religion aus dem täglichen
Leben widerspricht der natürlichen Veranlagung des Menschen. Die
Anwesenheit der Religion im täglichen Leben bedeutet nicht, dass die
Handlungen im diesseitigen Leben zu gottesdienstlichen Handlungen
werden, sondern dass die Ordnung, die die Probleme des Menschen
48
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 49
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
im täglichen Leben löst, auf dem Befehl Allahs beruht. Diese
Ordnung geht aus der cAqida hervor, welche die natürliche
Veranlagung des Menschen bestätigt. Sie aus dem täglichen Leben zu
entfernen widerspricht der Natur des Menschen ebenso wie die
Annahme einer Ordnung anzunehmen, die aus einer im Widerspruch
zur menschlichen Natur stehenden Überzeugungsgrundlage
hervorgeht, und nicht mit dem Bedürfnis der Anbetung
übereinstimmt. Aus diesem Grunde ist die ideologische Führung des
Kapitalismus zum Scheitern verurteilt, denn die Trennung der
Religion vom täglichen Leben, ihre Erklärung zur Privatangelegenheit
und somit die Entfernung der Ordnung, die Allah befohlen hat, von
der Behandlung der Probleme des Menschen macht sie zu einer
negativen Führung.
Die ideologische Führung des Islam ist positiv, weil sie den Verstand
zur Grundlage des Glaubens an die Existenz Allahs macht. Sie richtet
den Blick auf das Universum, den Menschen und das Leben, und
beweist dadurch die Existenz Allahs, der diese Geschöpfe erschaffen
hat, definitiv. Sie nennt dem Menschen genau das, was er durch seine
natürliche Veranlagung an absoluter Vollkommenheit, die weder im
Menschen, noch im Universum oder im Leben vorhanden ist, sucht.
Sie leitet seinen Verstand dorthin, so dass er dessen Existenz begreift
und daran glaubt.
Die ideologische Führung des Kommunismus beruht auf der
Materie, nicht auf dem Verstand, auch wenn man über den Verstand
dorthin gelangt. Das ist aus dem Grunde so, weil sie aussagt, die
Materie existiere vor dem Denken, und weil sie die Materie zum
Ursprung aller Dinge macht. Somit ist sie materialistisch.
Die ideologische Führung des Kapitalismus beruht auf einer
Kompromisslösung, zu der man durch den mehrere Jahrhunderte
andauernden Kampf zwischen dem Klerus und den Denkern
gelangte. Dieser resultierte in der Trennung der Religion vom
49
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 50
DES ISLAM
täglichen Leben.
Aus den obigen Ausführungen ist ersichtlich, dass beide ideologische
Führungen, sowohl die kommunistische, als auch die kapitalistische,
zum Scheitern verurteilt sind, weil sie der Natur des Menschen
widersprechen, und nicht auf dem Verstand basieren.
Daraus ergibt sich, dass die ideologische Führung des Islam die einzig
richtige ideologische Führung ist, während alle anderen falsch sind.
Denn die ideologische Führung des Islam beruht im Gegensatz zu
den anderen auf dem Verstand, und stimmt im Gegensatz zu den
anderen mit der Natur des Menschen überein und harmoniert mit ihr.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Die ideologische Führung
des Kommunismus basiert auf der Materie, nicht auf dem Verstand,
weil sie besagt, dass die Materie dem Denken, d.h. dem Verstand,
vorausgeht. Wird die Materie auf das Hirn projiziert, bringt sie das
Denken hervor, und der Mensch denkt durch die Materie, die auf ihn
projiziert wurde. Vor der Projektion der Materie auf das Hirn gab es
nach kommunistischer Auffassung kein Denken. Somit basiert alles
auf der Materie, und der Ursprung der kommunistischen
Überzeugungsgrundlage wie auch ihrer ideologischen Führung ist die
Materie, nicht das Denken.
Diese Ansicht ist aus zwei Gründen falsch: Erstens findet weder eine
Reflexion der Materie auf das Hirn, noch des Hirns auf die Materie
statt. Für eine Reflexion wäre eine Vorrichtung nötig, die Dinge
reflektieren kann, wie ein Spiegel zum Beispiel. Eine solche
Vorrichtung ist jedoch weder im Gehirn, noch in der materiellen
Realität vorhanden. Daher findet auch absolut keine Reflexion
zwischen Materie und Gehirn statt. Die Materie wird weder auf das
Gehirn projiziert, noch dorthin transportiert. Vielmehr wird die
Wahrnehmung der Materie mit Hilfe der Sinnesorgane auf das
Gehirn übertragen. Die Übertragung der Wahrnehmung der Materie
auf das Gehirn ist weder eine Projektion der Materie auf das Hirn,
50
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 51
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
noch des Hirns auf die Materie, sondern vielmehr das Empfinden der
Materie. In dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied zwischen
dem Auge und den anderen Sinnesorganen. Fühlen, Riechen,
Schmecken und Hören bringen ebenso Wahrnehmungen hervor wie
das Sehen. Was also aus den Dingen hervorgeht, ist keine Projektion
auf das Gehirn, sondern eine Wahrnehmung der Dinge. Der Mensch
nimmt die Dinge mittels seiner fünf Sinnesorgane wahr, und es wird
nichts auf sein Gehirn reflektiert.
Zweitens kommt aus der Wahrnehmung allein noch kein Denken
hervor. Was zustandekommt, ist zunächst einmal nur die
Empfindung, d.h. die Wahrnehmung der Realität. Es kann
Wahrnehmungen über Wahrnehmungen, ja Millionen von
Wahrnehmungen geben. Auf welche Weise sie auch immer
stattfinden, sie bringen nichts anderes hervor als Wahrnehmungen.
Sie bringen absolut kein Denken zustande, solange es beim Menschen
keine Vorinformationen gibt, mit deren Hilfe die Realität, die er
wahrnimmt, erklärt werden kann. Geben wir irgendeinem Menschen
beispielsweise ein assyrisches Buch, er aber keine Vorinformationen
über diese Sprache hat, kann seine Wahrnehmung durch Sehen und
Fühlen Millionen von Malen auf die Schrift fallen, er wird jedoch
nicht ein einziges Wort davon erkennen, bis man ihm Informationen
über die assyrische Sprache gibt. Erst dann wird er anfangen zu
denken und zu begreifen. Ebenso verhält es sich, wenn wir ein Kind,
das zwar die Wahrnehmung, aber keinerlei Informationen besitzt, vor
jeweils ein Stück Gold, Kupfer und einen Stein setzen. Es kann diese
Dinge nicht begreifen, so sehr sich auch seine Wahrnehmungen
wiederholen und so verschieden sie auch sein mögen. Werden ihm
jedoch Informationen darüber gegeben, und nimmt es diese
Gegenstände wahr, zieht es die Vorinformationen heran und begreift
die Realität dieser Dinge. Auch wenn das Kind älter wird und ein
Alter von zwanzig Jahren erreicht, so bleibt es wie am ersten Tag,
solange ihm keine Informationen gegeben werden: Es nimmt die
Dinge lediglich wahr, begreift sie aber nicht, unabhängig davon, wie
51
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 52
DES ISLAM
sehr sein Gehirn auch wächst. Das Begreifen wird also nicht durch
das Gehirn allein ermöglicht, sondern ist von Vorinformationen
abhängig, die mit dem Gehirn und der Realität, die der Mensch
wahrnimmt, einhergehen. Das bisher Gesagte betrifft das
verstandesmäßige Erfassen. Das emotionale Erfassen geht im
Gegensatz dazu aus den Instinkten und organischen Bedürfnissen
hervor. Es ist beim Menschen ebenso zu beobachten wie beim Tier:
Der Mensch weiß, wenn man ihm zum wiederholten Male einen
Apfel und einen Stein gibt, dass der Apfel im Gegensatz zum Stein
essbar ist. Auf dieselbe Weise weiß der Esel, dass er Gras fressen
kann, Staub aber nicht bekömmlich für ihn ist. Diese Unterscheidung
stellt weder einen Denkvorgang, noch ein Begreifen dar, sondern ist
auf die Instinkte und organischen Bedürfnisse zurückzuführen. Sie ist
beim Tier ebenso zu beobachten wie beim Menschen und kann daher
nicht als Denken bezeichnet werden, solange neben der Übertragung
der Wahrnehmungen der Realität auf das Gehirn mittels der
Sinnesorgane keine Vorinformationen vorhanden waren.
Somit kann der Verstand, bzw. das Denken oder Begreifen definiert
werden als die Übertragung der Wahrnehmung der Realität mit Hilfe
der Sinnesorgane auf das Gehirn, unter Vorhandensein von
Vorinformationen, mit denen die Realität erklärt wird.
Die ideologische Führung des Kommunismus ist somit fehlerhaft
und ungültig, weil sie nicht auf dem Verstand basiert. Ihre Definition
des Denkens und des Verstandes ist ebenfalls fehlerhaft.
Die ideologische Führung des Kapitalismus beruht auf der
Kompromisslösung zwischen dem Klerus auf der einen und den
Denkern auf der anderen Seite. Nach einer schweren
Auseinandersetzung, die über mehrere Jahrhunderte zwischen Klerus
und Denkern andauerte, gelangte man schließlich zu der
Kompromisslösung, die Religion vom täglichen Leben zu trennen,
d.h. die Existenz der Religion implizit anzuerkennen, und sie vom
52
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 53
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
täglichen Leben zu trennen. Die ideologische Führung des
Kapitalismus beruht somit nicht auf dem Verstand, sondern einer
Kompromisslösung. Die Idee der Kompromisslösung ist den
Vertretern dieser Ideologie eigen: Sie versuchen, wahr und falsch
durch einen Kompromiss einander anzunähern, ebenso wie Iman
und Kufr, Licht und Dunkelheit, ungeachtet der Tatsache, dass es hier
keinen Kompromiss geben kann. Es gibt nur ein entweder wahr oder
falsch, entweder Iman oder Kufr, entweder Licht oder Dunkelheit.
Die Kompromisslösung, auf der sie ihre cAqida und ihre ideologische
Führung aufbauen, hat sie von der Wahrheit, dem Iman und dem
Licht entfernt, und aus diesem Grunde ist ihre ideologische Führung
falsch. Sie basiert nicht auf dem Verstand.
Im Gegensatz dazu basiert die ideologische Führung des Islam auf
dem Verstand. Dem Muslim wird der Glaube an die Existenz Allahs,
an das Prophetentum Muhammads und an den Qur’an als Wort Allahs
auf dem Weg des Verstandes zugeführt. Der Glaube an die
verborgenen Dinge (al-Mu0ibat) ist dem Muslim unter der Bedingung
auferlegt, dass sie durch Beweise erbracht sind, deren Authentizität,
d.h. deren göttlicher Ursprung durch den Verstand zweifelsfrei
festgestellt wurde. Dies ist nur beim Qur’an und den Ahadit
mutawatira der Fall. Die ideologische Führung des Islam basiert somit
auf dem Verstand.
Ebenso wie mit dem Verstand, stimmt die ideologische Führung des
Islam auch mit der Fitra (natürlichen Veranlagung) des Menschen
überein, denn sie bestätigt die Existenz der Religion und ihr
Vorhandensein im Leben, welches sie nach den Befehlen und
Verboten Allahs leitet. Die Veranlagung zur Anbetung ist dem
Menschen angeboren, es handelt sich dabei um einen seiner Instinkte,
der in der Verehrung seinen bestimmten Ausdruck hat. Er
unterscheidet sich vom Ausdruck jedes anderen Instinktes, denn jeder
Instinkt hat seine eigene, natürliche Äußerungsform. Der Glaube an
die Religion und an die Notwendigkeit, die Handlungen des
53
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 54
DES ISLAM
Menschen im täglichen Leben an den Befehlen und Verboten Allahs
auszurichten, ist instinktiv. Sie befindet sich in Übereinstimung mit
der menschlichen Natur und harmonisiert aus diesem Grunde mit
dem Menschen.
Im Gegensatz dazu widersprechen die ideologischen Führungen des
Kommunismus und des Kapitalismus der Natur des Menschen, denn
im Falle des Kommunismus wird die Existenz der Religion völlig
abgelehnt, und ihre Anerkennung bekämpft, während im Fall des
Kapitalismus die Religion weder anerkannt noch abgelehnt wird.
Anerkennung oder Ablehnung der Religion sind im Kapitalismus
nicht Gegenstand der Untersuchung. Vielmehr wird die
Notwendigkeit ihrer Trennung vom täglichen Leben betont. Das
Verhalten im Leben soll rein auf den eigenen Nutzen bedacht sein,
ohne dass die Religion irgendeinen Einfluss darauf hat. Dies
widerspricht der menschlichen Natur und ist weit von ihr entfernt.
Die ideologische Führung des Islam ist die einzig richtige und
erfolgreiche, weil sie sowohl mit der Natur des Menschen als auch mit
dem Verstand übereinstimmt. Alles andere kann nur falsch sein.
Es bleibt nun noch eine Frage zu klären: Haben die Muslime den
Islam überhaupt angewendet? Oder haben sie nicht vielmehr den
Islam als Überzeugung angenommen, aber andere Systeme und
Gesetze angewendet? Die Antwort darauf ist, dass die Muslime in
allen Epochen, d.h. von der Ankunft des Gesandten Allahs (s.a.s.) in
Medina bis zum Jahre 1336 der Higra bzw. 1918 n. Chr., als der letzte
islamische Staat dem Kolonialismus zum Opfer fiel, den Islam allein
umgesetzt haben. Seine Anwendung war in einer Art und Weise
umfassend, die den größtmöglichen Erfolg mit sich brachte.
Bezüglich der praktischen Anwendung des Islam durch die Muslime
lässt sich folgendes feststellen: Es ist der Staat, der, vertreten durch
zwei Personen, das System anwendet: Durch den Qa6i (Richter), der
54
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 55
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Menschen entscheidet, und den
Hakim (Regenten), der die Menschen regiert. Es wurde uns auf dem
Weg des Tawatur überliefert, dass die Richter, die seit der Zeit des
Gesandten Allahs (s.a.s.) bis zum Ende des Kalifats in Istanbul die
Streitigkeiten der Menschen entschieden, dies in allen
Angelegenheiten des Lebens gemäß den Gesetzen der Sari ca taten,
zwischen den Muslimen ebenso wie zwischen Muslimen und anderen.
Es gab nur ein einziges Gericht, das alle Rechtsangelegenheiten über
Rechte, Strafen, Personenstand und alles andere ausschließlich gemäß
dem islamischen Recht regelte. Es hat niemand überliefert, dass auch
nur eine einzige Rechtsfrage nach etwas anderem als den islamischen
Gesetzen geregelt wurde, oder irgendein Gericht in den islamischen
Regionen vor der Aufteilung in Sari ca- und Nizamiyya-Gerichte, die
durch den Einfluss des Kolonialismus vorgenommen wurde, nach
etwas anderem als dem Islam Recht sprach. Der beste Beweis hierfür
sind die Gerichtsakten der Sari ca-Gerichte, die in den alten Gebieten
der islamischen Welt aufbewahrt wurden, wie in Jerusalem, Bagdad,
Damaskus, Kairo, Istanbul und anderen. Es handelt sich hier um
einen absolut sicheren Beweis, dass nichts anderes als das islamische
Recht von den Richtern befolgt wurde. Sogar die Nichtmuslime, wie
Christen und Juden, studierten den islamischen Fiqh und verfassten
Bücher darüber, wie Salim al-Baz, der die ”Magalla” kommentierte,
und andere, die durch die Epochen Bücher über den islamischen Fiqh
schrieben. Gesetze wurden auf Grundlage einer Fatwa
(Rechtsgutachtens) der Rechtsgelehrten erlassen, welches besagte,
dass sie den Gesetzen des Islam nicht widersprachen. Auf diese Weise
wurde 1275 n.H. (1857 n. Chr.) das Osmanische Strafgesetz, 1276
n.H. (1858 n. Chr.) das Handelsrecht eingeführt. 1288 d.H. (1870 n.
Chr.) fand die Unterteilung der Gerichte in Sarciyya- und NizamiyyaGerichte statt, und im Jahre 1295 n.H. (1877 n. Chr.) erging der Erlass
zur Bildung der Nizamiyya-Gerichte.
Als die Rechtsgelehrten nichts fanden, was die Einführung des
bürgerlichen Gesetzes in den Staat rechtfertigte, wurde die ”Magalla”
55
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 56
DES ISLAM
als in den Mucamalat (Geschäfts- und Vertragsbeziehungen) geltendes
Recht erlassen. Das bürgerliche Gesetz wurde im Jahre 1286 n.H.
zurückgestellt. Die genannten Gesetze wurden als Gesetze erlassen,
die der Islam erlaubt, und sie wurden nicht zum Gegenstand des
Handelns gemacht, bevor sie durch ein Fatwa erlaubt wurden und der
Saih ul-Islam (oberster Richter und Gelehrte) seine Erlaubnis zu ihrer
Annahme gab. Dies geht aus den Protokollen hervor, die sie einleiten.
Auch wenn der Kolonialismus seit dem Jahre 1918, d.h. seit der
Besetzung der islamischen Länder, die Rechtsstreitigkeiten in Rechten
und Strafen nicht nach der islamischen Sari ca regelte, so entschieden
doch die Gebiete der islamischen Welt, die der Kolonialismus nicht
mit seiner Armee betrat, wenn er dort auch Einfluss nahm, weiterhin
in ihrer Gerichtsbarkeit nach dem Islam. Dies war in der gesamten
arabischen Halbinsel, also im Higaz, Nagd und Kuwait, aber auch in
Afghanistan der Fall. Dort wird bis zum heutigen Tag nach der
islamischen Sari ca gerichtet, wenn auch die Regierenden in diesen
Ländern den Islam heute nicht anwenden. Trotzdem können wir
feststellen, dass während der gesamten Jahrhunderte des islamischen
Staates der Islam im Rechtswesen angewendet wurde und nichts
anderes.
Was die Anwendung des Islam durch die Regierenden betrifft, so
spiegelt sie sich in fünf Dingen wieder: In den islamischen Gesetzen,
die mit dem Sozial- und Familienrecht, der Wirtschaft, der Erziehung,
der Außenpolitik und dem Regierungssystem in Verbindung stehen.
Alle diese fünf Bereiche wurden von Seiten des islamischen Staates
umgesetzt. Das Sozial-und Familienrecht das die Beziehungen
zwischen Mann und Frau sowie das bestimmt, was an diese
Beziehung gebunden ist, also die persönlichen Umstände, wird
ungeachtet des Kolonialismus und der Anwesenheit der Herrschaft
des Kufr bis heute angewendet. In diesem Bereich kommt bis heute
absolut nichts anderes zum Tragen. Das Wirtschaftssystem wird
durch zwei Bereiche verkörpert: In der Art und Weise, wie der Staat
Gelder vom Volk einhebt, um damit die Probleme der Menschen zu
56
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 57
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
behandeln, und darin, wie er sie verteilt. Der Staat erhob die Zakat
(die Pflichtabgabe) auf Gelder, Ländereien und Vieh als eine Form
von cIbada (Gottesdienst). Er verteilte diese Gelder lediglich an die im
Qur’an erwähnten acht Kategorien von bezugsberechtigten Personen
und verwandte sie nicht etwa für die Verwaltung von
Staatsangelegenheiten. Gelder für die Verwaltungsangelegenheiten
des Staates und der Umma erhob der Staat nach Maßgabe des
islamischen Rechts. Er stellte kein Steuersystem auf, sondern wendete
den Islam an, zog den 1arag (Lehnsgeld) von Ländereien (1arag-ulArd) sowie die Gizia von Nichtmuslimen ein. Zölle erhob er kraft
seiner Kontrolle des Außen- und Innenhandels. Mit anderen Worten:
Gelder wurden ausschließlich nach Maßgabe des islamischen Rechts
erhoben. In der Verteilung der Gelder wurden die Gesetze der
Zuwendung an Personen angewendet, die nicht für den eigenen
Lebensunterhalt aufkommen konnten. Geschäftsunfähige und solche
Personen, die ihr Geld im Verbotenen ausgeben, wurden unter
Kuratell gestellt und erhielten einen Vormund. In jeder Stadt wie auch
auf den Hagg -Routen (Pilgerrouten) wurden Einrichtungen
unterhalten, um die Armen, Unvermögenden und die Reisenden zu
verpflegen. Die Zeugnisse dieser Einrichtungen sind bis heute in den
Kernländern der islamischen Welt zu finden. Um es in einem Satz zu
sagen, die Verteilung der Gelder durch den Staat wurde gemäß der
Sari ca und nach keinem anderen Gesetz ausgeführt. Was man an
Vernachlässigungen in diesem Bereich beobachten kann, stellt eine
Pflichtversäumnis und fehlerhafte Anwendung dar, und ist kein
Ausdruck einer fehlenden Umsetzung der islamischen Gesetze.
Die Politik des Erziehungswesens beruhte auf den Grundlagen des
Islam. Die islamische Geistesbildung stellte die Grundlage der
Unterrichtsmethode dar, während fremde Kulturen nicht
herangezogen wurden, wo sie dem Islam widersprachen. Der Mangel
an der Errichtung von Schulen trat erst gegen Ende des Osmanischen
Staates auf, und war, wie in der gesamten islamischen Welt, ein
Resultat des intellektuellen Verfalls, der in dieser Epoche seinen
57
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 58
DES ISLAM
Gipfel erreichte. Es ist eine in der ganzen Welt bekannte Tatsache,
dass die islamische Welt allein in den vorhergehenden Jahrhunderten
die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Wissenssuchenden auf sich
zog. Die Universitäten von Cordoba, Bagdad, Damaskus, Alexandria
und Kairo hatten einen großen Einfluss auf die Bildung der ganzen
Welt.
Die Außenpolitik beruhte insofern auf einer islamischen Grundlage,
als der islamische Staat seine Beziehungen zu den anderen Staaten auf
der Basis des Islam führte, und alle anderen Staaten ihn in seiner
Eigenschaft als islamischen Staat betrachteten. Die gesamte
Außenpolitk des islamischen Staates beruhte auf der Grundlage des
Islam und wurde im Interesse der Muslime geführt. Die Tatsache,
dass die Außenpolitik des islamischen Staates eine gänzlich islamische
war, ist weltweit so bekannt, dass sich weitere Beweise erübrigen.
In Bezug auf das Regierungssystem lässt sich feststellen, dass der
Staatsapparat im Islam auf sieben Pfeilern beruht, und zwar: Dem
Kalifen als Staatsoberhaupt, seinen Mucawinun (Assistenten) in
Regierungsangelegenheiten, den Wulat (Gouverneuren der
Provinzen), den Richtern, der Armee, dem Verwaltungswesen und
dem Maglis al-Umma. Dieser Staatsapparat war existent. Es gab keine
Zeit, in der die Muslime keinen Kalifen hatten. Dies geschah erst
durch die Zerstörung des Kalifats durch die ungläubigen
Kolonialisten, die durch die Hand Kemal Atatürks im Jahre 1342 n.H.
(1924 n. Chr.) ausgeführt wurde. In der Zeit davor kam es selbst in
der Zeit des schlimmsten Niedergangs nicht vor, dass einem Kalifen,
der aus seinem Amt ausschied, kein Kalif nachfolgte. Wenn es einen
Kalifen gab, bedeutet das auch, das der islamische Staat existierte,
denn beide bedingen einander. Die Mucawinun waren in allen
Epochen vorhanden. Es handelte sich dabei um Assistenten in der
Ausführung, nicht um Minister (im westlichen Sinne des Wortes).
Unter den Abbasiden gab man ihnen aber die Bezeichnung ”Wazir”.
Trotzdem handelte es sich bei ihnen um Mucawinun, also Assistenten.
58
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 59
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Sie besaßen absolut nicht die Vollmachten des Ministeramts im
demokratischen System. Ihre Aufgabe beschränkte sich auf die
Ausführung von Anordnungen des Kalifen, während die Vollmachten
ausschließlich bei Letzterem lagen.
Die Existenz der Wulat, Qu6at und des Verwaltungswesens war eine
feststehende Tatsache. Zu dem Zeitpunkt, als die ungläubigen
Kolonialisten die islamische Welt in Besitz nahmen, gab es dort einen
funktionierenden Staatsapparat mit Wulat, Qu6at und einer
Verwaltung. Diese Tatsache bedarf keiner weiteren Beweise.
Bei der Armee handelte es sich um eine islamische Armee. Die Welt
lebte in dem Bewusstsein, dass die islamische Armee unbesiegbar sei.
Um den Maglis al-Umma, hat man sich nach der Zeit der
Rechtgeleiteten Kalifen nicht mehr gekümmert. Grund dafür war,
dass es sich dabei nicht um ein Fundament des Regierungssystems
handelt. Er gehört zwar zum Staatsapparat und ist eines der Rechte
des Volkes gegenüber der Regierung, und sein Nichtvorhandensein
stellt eine Vernachlässigung dar. Die Regierung bleibt jedoch auch
ohne diese Einrichtung eine islamische Regierung. Der Maglis alUmma dient im Gegensatz zum Parlament des demokratischen
Systems dem Zwecke der Meinungsanhörung, nicht der Regierung.
Das Regierungssystem des Islam wurde also, wie aus diesen
Ausführungen hervorgeht, umgesetzt.
Es bleibt nun noch die Frage der Baica, des dem Kalifen geleisteten
Eides, zu klären. Das Kalifat ist, und dies ist eine unstrittige Tatsache,
kein erbliches System. Dies bedeutet, dass es keine festgesetzte
Erbschaft in der Regierungsnachfolge im Staat gibt, wie es etwa bei
der Monarchie der Fall ist. Die Übernahme der Regierungsgewalt im
islamischen Staat erfolgt durch die Baica. In einigen Epochen wurde
diese von den Muslimen entgegengenommen, in einigen Epochen
von Ahl ul-halli wa l- caqd (angesehene Gelehrte und Meinungsvertrer
der Muslime), und zum Ende der Periode des Niedergangs vom Saih
59
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 60
DES ISLAM
ul-Islam. Zu keiner Zeit des islamischen Staates wurde jedoch ein
Kalif ohne Baica eingesetzt. Es wurden auch keine erblichen
Nachfolger ernannt, ohne dass zuvor die Baica abgegeben wurde. Es
wird von keinem einzigen Vorfall berichtet, dass ein Kalif einen
Nachfolger bestimmte, ohne dass diesem die Baica gegeben wurde.
Allerdings kam es zu einer fehlerhaften Anwendung der Baica. So hat
der Kalif zu seinen Lebzeiten die Baica für seinen Sohn, oder seinen
Bruder, oder seinen Neffen oder eine andere Person aus seiner
Familie von den Muslimen entgegengenommen. Die Baica wurde
darauf nach dem Tode des Kalifen für die betreffende Person
erneuert. Es handelt sich bei diesem Verfahren um eine fehlerhafte
Anwendung der Baica, und nicht um eine Erb- oder Thronfolge
(Wilayat cahd). Vergleichbar damit ist die fehlerhafte Anwendung des
Wahlsystems für das Parlament in der Demokratie, die als Wahlen und
nicht als Ernennung bezeichnet werden, selbst wenn diejenigen
Personen erfolgreich aus den Wahlen hervorgehen, welche die
Regierung haben will.
Aus all diesen Punkten ergibt sich, dass das islamische System
praktisch umgesetzt wurde. Während der gesamten Jahrhunderte, in
denen der islamische Staat existierte, fand kein anderes System oder
Gesetz Anwendung.
Der praktische Erfolg der ideologischen Führung des Islam war nicht
zuletzt in zwei Punkten offensichtlich:
Erstens gelang es dieser ideologischen Führung, das gesamte
arabische Volk aus dem intellektuell verfallenen Zustand, der einem
blinden Herumtappen in der Dunkelheit des Stammesnationalismus
glich, und der Finsternis der dunkelsten Unwissenheit zu einer
Epoche des intellektuellen Aufstiegs zu bringen, so dass es mit dem
Licht des Islam nicht nur die Araber, sondern die gesamte Welt
erleuchtete. Die Muslime verteilten sich über den Erdball, und trugen
den Aufruf zum Islam in die Welt. Sie bemächtigten sich Persiens, des
60
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 61
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Irak, Großsyriens, Ägyptens und Nordafrikas. Jedes der dort
lebenden Völker besaß einen eigenen nationalen Charakter und eine
eigene Sprache, die sich von denen der anderen Völker unterschied.
Die Sassaniden Persiens unterschieden sich von den Römern Syriens,
den Kopten Ägyptens und den Berbern Nordafrikas in ihrer
Nationalität, ihren Traditionen, Gebräuchen und Religionen. Kaum
unterstanden sie dem Schutz der islamischen Herrschaft und
verstanden den Islam, nahmen sie schließlich alle den Islam an und
wurden zu einer einzigen Gemeinschaft, der islamischen Umma. Der
Erfolg der ideologischen Führung des Islam in der Verschmelzung
dieser Völker und Nationalitäten entbehrt seinesgleichen und ist
einmalig - und dass, obwohl die Transportmittel in ihrer Verbreitung
sich auf das Kamel beschränkten, und die einzigen
Kommunikationsmittel die Zunge und das Schreibrohr waren.
Die islamischen Eröffnungen (Futuhat) fanden mit dem Ziel der
Entfernung der bestehenden Herrschaft durch Gewalt und dem
Zerbrechen der materiellen Hindernisse statt, um den Menschen den
Weg dorthin frei zu machen, wohin sie der Verstand bzw. ihre
natürliche Veranlagung rechtleiten würde. Auf diese Weise sind die
Menschen scharenweise in den Din Allahs eingetreten. Im Gegensatz
dazu trennt die (imperialistische) Eroberung zwischen Erobernden
und Eroberten, zwischen Sieger und Besiegten. Der westliche
Kolonialismus im Osten hat Jahrzehnte angedauert, ohne in seinem
Ergebnis im entferntesten erfolgreich gewesen zu sein.
Gäbe es nicht den Einfluss der irreleitenden Kultur, der ausgelöscht
wird, und nicht den Druck der tyrannischen Führer, der
verschwinden wird, würde die Rückkehr zur Ideologie und zur
Lebensordnung des Islam schneller vor sich gehen, als ein
Augenzwinkern.
Es bleibt uns nur zu wiederholen: Der Erfolg der islamischen
ideologischen Führung in der Verschmelzung dieser so verschiedenen
61
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 62
DES ISLAM
Völker ist einzigartig. Diese Völker sind bis zum heutigen Tage
Muslime geblieben, trotz der Angriffe des Kolonialismus, seiner
Bosheit und List in dem Versuch, die Glaubensgrundlagen zu
zerstören und die Ideen zu vergiften. Bis zum Jüngsten Tag werden
die Muslime eine einzige islamische Umma bleiben. Es ist in der
Geschichte niemals vorgekommen, dass auch nur ein einziges Volk,
das den Islam aus Überzeugung angenommen hat, ihm wieder
abgeschworen hätte. Die Muslime Spaniens wurden durch
Inquisition, Scheiterhaufen und Fallbeile vernichtet, während die
Muslime Bucharas, des Kaukasus und Turkestans das Unglück ihrer
Vorgänger traf. Der Islam dieser Völker, ihr Fortbestand als eine
einzige Umma und die Heftigkeit ihres Festhaltens an der cAqida gibt
einen Eindruck vom Erfolg, der durch diese cAqida erreicht wurde. Er
verdeutlicht auch den Erfolg des islamischen Staates in der
Umsetzung der islamischen Ordnung.
Der zweite Aspekt, der den Erfolg dieser ideologischen Führung
beweist, besteht in der Tatsache, dass die islamische Umma über einen
Zeitraum von zwölfhundert Jahren, vom sechsten Jahrhundert n. Chr.
bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts n. Chr., die in ihrer Kultur, ihrer
Zivilisation, ihrer Bildung und ihrem Wissen weltweit führende
Nation blieb und der islamische Staat über denselben Zeitraum
hinweg der mächtigste Staat war. Er allein war über diesen Zeitraum
die Blume der Welt und die unter den Nationen aufgehende Sonne.
Dies beweist den Erfolg dieser Führung sowie den Erfolg des Islam
in der Anwendung seiner Ordnung und seiner cAqida über den
Menschen. Als der islamische Staat und die islamische Umma im
Tragen dieser ideologischen Führung nachlässig wurden, den Aufruf
zum Islam vernachlässigten und im Verständnis und in der
Umsetzung des Islam Unzulänglichkeiten aufwiesen, sanken sie unter
das Niveau der anderen Nationen.
Die ideologische Führung des Islam ist die einzig richtige, und sie
allein muss in die Welt getragen werden. Sobald der islamische Staat
62
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 63
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
verwirklicht wird, der diese Führung trägt, wird ihr Erfolg dieselbe
Größe erreichen wie in der Vergangenheit.
Wir haben bereits festgestellt, dass der Islam in den Systemen, die aus
ihm hervorgehen, mit der menschlichen Natur übereinstimmt. Der
Mensch kann nicht als genormtes Wesen betrachtet werden, das wie
nach dem Lineal gezeichnet lebt, und die Ordnung ohne
Unregelmäßigkeit nach genauer technischer Vorgabe anwendet. Er ist
ein soziales Wesen, welches die Ordnung als solches mit bestehenden
Unterschieden in seiner Fähigkeit und seinen besonderen
Eigenschaften umsetzt. Unter dieser Voraussetzung ist es nur
natürlich, dass die Unterschiede zwischen den Menschen durch den
Islam so weit wie möglich verringert, aber nicht völlig gleichgemacht
werden können, mit der Gewissheit, dass der Islam allen
Zufriedenheit garantiert. Darüber hinaus ist es natürlich, und dies
stellt nun den Gegenstand der Untersuchung dar, dass sich einige
Einzelpersonen dieser Ordnung entziehen und ihr zuwiderhandeln.
Es ist natürlich, dass es Personen gibt, die dieser Ordnung nicht
entsprechen und sich von ihr abwenden. Daher gibt es in der
Gesellschaft unweigerlich Sünder (Fasiqun) und solche, die ihre
Sündhaftigkeit sogar offen begehen (Fuggar), Ungläubige und
Heuchler, vom Islam Abtrünnige und Atheisten. Die Gesellschaft
muss aber in ihrer Gesamtheit als aus Ideen, Gefühlen, Systemen und
Menschen zusammengesetzt betrachtet werden, und gilt dann als
islamisch, wenn diese Komponenten islamisch sind.
Der Beweis dafür ist, dass es selbst in der Zeit des Propheten (s.a.s.)
Ungläubige, Munafiqun (Heuchler), Fasiqun und Fuggar sowie
Murtaddun (Aposthaten) und Atheisten gab, obwohl man mit
Sicherheit sagen kann, dass niemand den Islam besser anwenden kann
als der Gesandte Allahs (s.a.s.) selbst. Man kann zu keinem anderen
Schluss kommen als den, dass der Islam vollständig umgesetzt wurde,
und die Gesellschaft eine islamische Gesellschaft war. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass diese Anwendung über Menschen als soziale,
63
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 64
DES ISLAM
nicht als genormte Wesen stattfand.
Allein der Islam wurde seit der Ankunft des Gesandten Allahs in
Medina bis zur Besetzung der islamischen Welt durch die
Kolonialmächte, als die islamische Ordnung durch das kapitalistische
System ausgetauscht wurde, in seiner Gesamtheit auf die islamische
Umma angewendet, bei Arabern wie Nichtarabern.
Er wurde also seit dem Jahre eins der Higra bis zum Jahre 1336 d.H.
(1918 n. Chr.) praktisch umgesetzt. Während dieser gesamten Periode
hat die islamische Umma keine andere Ordnung angewendet als die
des Islam.
Obwohl die Muslime Philosophie, Wissenschaften und verschiedene
fremde Geistesbildungen in die arabische Sprache übersetzt haben,
übersetzten sie kein einziges Gesetz, noch eine Gesetzgebung oder
ein System irgendeiner anderen Nation. Weder, um danach zu
handeln, noch, um es zu studieren. Der Islam als Lebensordnung
wurde jedoch von Menschen ausgeführt, manchmal besser und
manchmal weniger gut, je nach Stärke oder Schwäche des Staates, der
Präzision oder der Abweichung seines Islam-Verständnisses, und je
nach der Stärke oder Schwäche im Tragen der ideologischen Führung.
Auf diese Weise hat die Nachlässigkeit in der Umsetzung des Islam,
wie sie in einigen Jahrhunderten anzutreffen war, die islamische
Gesellschaft zu einem Verfall geführt. Es ist nicht so, dass dem Islam
eine Ordnung fehlt, denn er stützt sich gerade darauf, unter den
Menschen umgesetzt zu werden. Aus der fehlerhaften Anwendung
lässt sich nicht schließen, dass der Islam nicht praktiziert wurde. Es
steht mit Sicherheit fest, dass der Islam und nichts anderes an
Ideologien und Systemen angewendet wurde. Entscheidend für die
Anwendung sind die Gesetze und Systeme, deren Umsetzung der
Staat befahl. In dieser Beziehung bediente sich der islamische Staat
jedoch absolut nichts, was außerhalb des Islam steht. Vorgefallen ist
lediglich eine fehlerhafte Anwendung einiger seiner Systeme seitens
64
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 65
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
einiger Regierender. Beim Überprüfen, ob der Islam in der
Geschichte angewendet wurde, müssen wir zwei Aspekte
berücksichtigen:
Zunächst dürfen wir diese Geschichte nicht von den Feinden des
Islam übernehmen, die ihn hassen, sondern nur nach genauester
Überprüfung von den Muslimen selbst, um kein entstelltes Bild zu
erhalten. Ferner ist es nicht zulässig, ausgehend von der Geschichte
Einzelner einen verallgemeinernden Analogieschluss auf die
Gesellschaft zu ziehen. Es ist falsch, etwa die Geschichte der
Umayyaden der Geschichte Yazids zu entnehmen, oder die
Geschichte der abbasidischen Epoche einigen Ereignissen um ihre
Kalifen. Ebenso ist es nicht zulässig, die Gesellschaft der
abbasidischen Zeit ausgehend vom Kitab al-A0ani (das Buch der
Lieder) zu beurteilen, das von Trinkern, Dichtern und Autoren
berichtet, oder ausgehend von den Büchern der Mystiker oder
ähnlichem. Täten wir dies, würden wir entweder feststellen, dass es
sich um eine Epoche der Sündhaftigkeit und Unzucht oder um eine
Zeit der Enthaltsamkeit und Weltfremdheit handelt. Es ist
unabdingbar, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Eine
Geschichte der islamischen Gesellschaft aber ist zu keiner Zeit
verfasst worden. Das, was verfasst wurde, sind Berichte über die
Herrschenden und einige Einflussreiche Personen, wobei diejenigen,
die diese Berichte verfassten, keine zuverlässigen Quellen darstellen,
weil sie entweder unzulässigerweise verleumden oder lobpreisen.
Keine von beiden Aussagen kann akzeptiert werden.
Studieren wir die islamische Gesellschaft auf dieser Grundlage, d.h.
von allen Seiten und nach präziser Überprüfung, stellen wir fest, dass
es sich um die beste Gesellschaft handelt. Dies war im ersten, zweiten,
dritten, und allen folgenden Jahrhunderten bis zur Mitte des zwölften
Jarhunderts der Higra der Fall. Wir können feststellen, dass der Islam
durch alle Jahrhunderte hindurch bis zum Ende des Osmanischen
Staates, in seiner Eigenschaft als islamischer Staat, ununterbrochen
65
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 66
DES ISLAM
angewendet wurde. Dabei muss ausdrücklich festgehalten werden,
dass die Geschichte keine Quelle für das System und den Fiqh sein
kann. Das System wird den Rechtsquellen entnommen, nicht der
Geschichte. Wenn wir z.B. das kommunistische System verstehen
wollen, greifen wir nicht auf die Geschichte Russlands zurück,
sondern auf die Bücher der kommunistischen Ideologie selbst. Die
Kenntnis des englischen Rechts entnimmt man ebenfalls nicht der
Geschichte Englands, sondern der englischen Rechtslehre, in gleicher
Weise geht man mit jedem System oder Gesetz vor.
Der Islam ist eine Ideologie, die eine Überzeugungsgrundlage und ein
System beinhaltet. Wenn wir ihn studieren und heranziehen wollen,
ist es absolut unzulässig, die Geschichte als Quelle dafür
heranzuziehen, weder zum Zweck der Kenntnis, noch zum Zwecke
der Ableitung seiner Gesetze.
Die Quelle zur Kenntnis des Islam sind die Bücher des islamischen
Rechts, während ihre detaillierten Beweise (adilla tafsiliyya), d.h.
Qur’an und Sunna, die Quelle zur Ableitung seiner Gesetze darstellen.
Die Geschichte kann daher nicht Quelle der islamischen Ordnung
sein, weder in Bezug auf seine Kenntnis, noch, um sie als
Beweisführung im Sinne des islamischen Rechts zu verwenden. Weder
die Geschichte von cUmar Ibn ul-1a88ab, noch die des cUmar Ibnu cAbd
il-cAziz, Harun ar-Rasid oder irgendeines anderen kann eine Quelle
für die Gesetze der Sari ca darstellen. Dies gilt sowohl für die
geschichtlichen Ereignisse, die über sie überliefert werden, als auch
für die Bücher, die über ihre Geschichte verfasst wurden. Wird eine
Meinung cUmars (Ra’y), wie sie sich in einem Ereignis zeigt, befolgt,
dann nur in ihrer Eigenschaft als Gesetz der Sari ca, das cUmar
ableitete und anwendete. Auf dieselbe Weise werden die von Abu
Hanifa, as-Safici, Gacfar und anderen abgeleiteten Gesetze nicht als
geschichtliche Ereignisse befolgt. Die Geschichte hat keinen Platz in
der Entnahme oder auch nur in der Kenntnis des Systems. Die Frage,
ob das System befolgt wurde oder nicht, wird nicht der Geschichte
entnommen, sondern dem Fiqh, denn es gab zu jeder Zeit Probleme,
66
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 67
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
die durch das System behandelt wurden. Solange wir nicht wissen, wie
dieses System beschaffen war, das die Probleme löste, wenden wir uns
nicht den geschichtlichen Ereignissen zu, die uns lediglich als
Informationen überliefert wurden. Wir müssen uns der Ordnung
selbst zuwenden, die angewendet wurde, mit anderen Worten, dem
islamischen Recht.
Beschäftigen wir uns mit dem islamischen Recht, stellen wir fest, dass
es hier kein System gibt, das die Muslime anderswo entnommen oder
selbst entworfen hätten. Wir können vielmehr beobachten, dass alle
Gesetze der Sari ca aus ihren Quellen abgeleitet sind. Die Muslime
waren überaus sorgfältig in der Reinigung des Fiqh von schwachen
Aussagen, d.h. von schwachen Gesetzesableitungen. Dies ging so
weit, dass sie sich sogar der Anwendung einer schwachen Aussage
enthielten, auch wenn sie von einem Mugtahid mu8laq (Islamischer
Rechtsgelehrter, der über so viel Rechts- und Grundlagenwissen
verfügt, dass er in seinen Rechtsableitungen an keine Rechtsschule
gebunden ist) stammte.
In der gesamten islamischen Welt findet sich kein einziger
gesetzgebender Text außerhalb des islamischen Fiqh. Es findet sich
ausschließlich das islamische Recht. Die alleinige Existenz eines
Gesetzestextes in einer Nation unter Ausschluss anderer Texte
beweist, dass diese Nation in ihrer Gesetzgebung nichts anderes als
diesen Text verwendet hat.
Wenn wir uns der Geschichte zuwenden dürfen, dann zur Prüfung
der Art der Anwendung. Die Geschichte kann von politischen
Ereignissen berichten, an denen sich die Art der Anwendung zeigt.
Doch auch hier darf sie nur nach genauer Überprüfung von
Muslimen angenommen werden. Es gibt drei Quellen der Geschichte:
Geschichtsbücher, archäologische Funde und die Überlieferung
(Riwaya). Geschichtsbücher dürfen überhaupt nicht als Quelle
herangezogen werden, weil sie zu jeder Zeit von den politischen
67
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 68
DES ISLAM
Umständen abhängig sind. Sie sind voll von Lügen, sei es, dass sie
diejenigen unterstützen, in deren Zeit sie verfasst wurden, sei es, dass
sie in der nachfolgenden Zeit gegen sie verfasst wurden. Der beste
Beweis dafür ist die Geschichte der calawitischen Familie in Ägypten,
von der vor 1952 ein leuchtendes Bild gezeichnet wurde, während
ihre Geschichte nach 1952 in den dunkelsten Farben zum genauen
Gegenteil dessen verkehrt wurde. Ein weiteres Beispiel gibt die
Darstellung der politischen Ereignisse unserer Zeit wie der
Vergangenheit. Geschichtsbücher dürfen folglich nicht als Quelle zur
Kenntnis der Geschichte herangezogen werden, selbst wenn es sich
um die Memoiren einer Person handelt, die sie persönlich verfasste.
Was archäologische Funde betrifft, so geben sie, wenn sie objektiv
studiert werden, die geschichtliche Realität über eine Sache wieder.
Auch wenn sie keine ununterbrochene geschichtliche Folge darstellen,
bestätigen sie doch einige Ereignisse. Die archäologischen Funde in
der islamischen Welt in der Bauweise der Muslime, ihren
Gebrauchsgegenständen oder irgendetwas anderem, was als
historisches Denkmal betrachtet wird, beweisen, dass in der gesamten
islamischen Welt nichts anderes als der Islam, seine Ordnung und
seine Gesetze angewendet wurden. Das Leben der Muslime und ihre
Verhaltensweisen waren ausschließlich islamischer Natur.
Die Überlieferung (Riwaya) als dritte Quelle gehört zu den
authentischen Quellen, auf die man sich verlassen kann,
vorausgesetzt, dass die Überlieferung selbst authentisch ist und der
Methode folgt, die auch in der Hadit-Überlieferung befolgt wurde.
Nach dieser Methode muss auch die Geschichte niedergeschrieben
werden. Sie wurde von den Muslimen befolgt, als sie begannen, sich
der Geschichtsschreibung zu widmen. Die alten Geschichtsbücher
wie die Geschichte a8-7abaris, die Sirat Ibn Hisams und vergleichbare
Werke wurden nach dieser Methode verfasst. Es ist den Muslimen
nicht erlaubt, ihren Kindern ihre Geschichte aus Büchern zu lehren,
deren Quellen lediglich andere Bücher sind. Ebenso ist es nicht
68
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 69
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
gestattet, die Frage der Anwendung des Islam auf Grundlage dieser
Geschichtsschreibung zu untersuchen. Auf diese Weise wird deutlich,
dass allein der Islam in jeder Epoche in der islamischen Umma
angewendet wurde.
Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Sieg der Alliierten, als
Lord Allenby, der die Offensive in der Eroberung Jerusalems
anführte, verkündete: ”Jetzt sind die Kreuzzüge beendet!”; seit dieser
Zeit wenden die ungläubigen Kolonialisten ihr kapitalistisches System
in allen Angelegenheiten des Lebens über uns an, um den Triumph,
den sie erlangten, zu verewigen. Aus diesem Grund muss das falsche
und korrupte System, das noch immer den Kolonialisten den Zugriff
auf unsere Länder ermöglicht, ausgetauscht werden, es muss
vollständig in seiner Gesamtheit wie im Detail an seinen Wurzeln
ausgerissen werden, damit wir das islamische Leben wieder
aufnehmen können.
Es wäre sehr oberflächlich gedacht, unsere Ordnung durch irgendeine
Ordnung ersetzen zu wollen, oder anzunehmen, dass die Umma durch
die Umsetzung der Ordnung allein gerettet werden könnte, ohne die
Überzeugungsgrundlage verinnerlicht zu haben. Es ist
selbstverständlich, dass die Umma als erstes die cAqida aus
Überzeugung verinnerlicht haben muss, um dann die Ordnung, die
sich aus dieser cAqida ableitet, anzuwenden. Erst dann stellt die
Anwendung der Ordnung nach der Verinnerlichung der cAqida eine
Rettung dar. Dies bezieht sich auf die Nation, die sich auf Grundlage
der Ideologie konstituiert und ihren Staat auf dieser Grundlage
aufbaut. Für andere Völker und Nationen jedoch besteht keine
Notwendigkeit, die Ideologie aus Überzeugung anzunehmen, um
diese auf sie anwenden zu können. Jene Nation, welche die Ideologie
aus Überzeugung verinnerlicht hat und weiterträgt, wendet diese über
jedes beliebige Volk oder jede beliebige Gemeinschaft an, selbst wenn
letztere nicht von der Ideologie überzeugt sind. Denn die Ideologie
lässt sie ebenfalls einen geistigen Aufstieg erleben und führt sie
69
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 70
DES ISLAM
schließlich zu deren Annahme hin. Die Verinnerlichung der Ideologie
ist keine Bedingung für jene, auf welche sie angewendet wird,
sondern eine zwingende Bedingung für jene, die sie anwenden.
Es ist gefährlich, Nationalismus in Verbindung mit dem
sozialistischen System anzunehmen, denn letzteres kann nicht
unabhängig von seiner materialistischen Idee angenommen werden.
Ein solches Vorgehen wird weder erfolgreich sein noch einen
(positiven) Einfluss hinterlassen. Es kann nicht in Verbindung mit
seiner materialistischen Idee angenommen werden, weil es sich dabei
um eine negative Idee handelt, die im Widerspruch zur Natur des
Menschen steht. Sie würde von der islamischen Umma fordern, die
Glaubensüberzeugung des Islam aufzugeben. Es ist nicht zulässig,
unter Beibehaltung der sprirituellen Seite des Islam den Sozialismus
anzunehmen. Auf diese Weise hätten wir aufgrund ihrer
Widersprüchlichkeit und der Unvollkommenheit dessen, was
übernommen wurde, weder den Islam noch den Sozialismus richtig
angenommen. Es ist keineswegs zulässig, die Ordnung des Islam
unter Aufgabe seiner cAqida, aus der seine Systeme hervorgehen,
anzunehmen. Dadurch würden wir das System als ein starres Gebilde
ohne Ruh, ohne Spiritualität, übernehmen, wo es doch offensichtlich
ist, dass der Islam nur umfassend in seiner cAqida und seinen
Systemen angenommen werden kann, und dass wir seine ideologische
Führung tragen müssen, wenn wir seine Dacwa betreiben.
Es gibt nur einen Weg zu unserem geistigen Aufstieg: Wir müssen den
Islam im täglichen Leben wiederaufnehmen. Der einzige Weg zur
Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben ist der islamische
Staat. Seine Verwirklichung ist nur durch die umfassende Annahme
des Islam möglich: Wir müssen den Islam als Überzeugungsfundament
(cAqida) verinnerlichen, welches das größte Problem des Menschen
löst, und auf dem sich die Anschauung im Leben festigt, wobei
Systeme aus dieser cAqida hervorgehen, deren Grundlage das Buch
Allahs und die Sunna seines Gesandten sind, deren kultureller
70
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 71
DIE
IDEOLOGISCHE
FÜHRUNG
IM ISLAM
Reichtum die islamische Geistesbildung mit allem, was an Fiqh, Hadit,
Tafsir, Sprache und anderem dazu gehört, darstellt. Der Weg dorthin
führt allein über das umfassende Tragen der islamischen
ideologischen Führung durch den Aufruf zum Islam und die
vollständige Umsetzung des Islam an jedem Ort. Wenn das Tragen
der ideologischen Führung auf die gesamte Umma und den
islamischen Staat übergeht, können wir uns dem Hinaustragen der
ideologischen Führung in die gesamte Welt widmen.
Dies ist der einzige Weg zur Nah6a, dem geistigen Aufstieg. Die
ideologische Führung des Islam muss zur Wiederaufnahme des Islam
im täglichen Leben zunächst an die Muslime herangetragen werden,
und danach durch den islamischen Staat an die gesamte Menschheit.
&&&
71
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 72
WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DA cWA
GETRAGEN WERDEN?
Die Muslime sind nicht wegen ihres Festhaltens an ihrer
Lebensordnung hinter den Stand der Welt zurückgefallen. Ihr Verfall
begann vielmehr an dem Tage, als sie dieses Festhalten aufgaben und
nachlässig darin wurden. Der Niedergang nahm seinen Lauf, als die
Muslime es der westlichen Kultur erlaubten, ihre Häuser zu betreten
und es den westlichen Konzepten ermöglichten, sich ihres Verstandes
zu bemächtigen, an dem Tage, als sie die ideologische Führung im
Islam aufgaben, indem sie die Dacwa zum Islam vernachlässigten, und
in der Umsetzung seiner Gesetze fehlerhaft wurden. Es gibt keinen
Zweifel daran, dass die Muslime den Islam im täglichen Leben, d.h. als
umfassende Lebensordnung, wiederaufnehmen müssen, damit ihnen
ein geistiger Aufstieg vergönnt ist. Diese Wiederaufnahme des Islam im
täglichen Leben wird ihnen erst gelingen, wenn sie die islamische Dacwa
durch die ideologische Führung des Islam tragen, und durch diese
Dacwa einen islamischen Staat errichten, der die ideologische Führung
durch seinen Aufruf zum Islam in die Welt trägt.
Es muss dabei klar sein, dass nur das Tragen der ideologischen
Führung durch die Dacwa zum Islam zum geistigen Aufstieg der
Muslime führt, weil der Islam allein die Welt zu retten vermag. Ein
wirklicher geistiger Aufstieg kann nur durch den Islam herbeigeführt
werden, sei es für die Muslime oder alle anderen. Auf dieser
Grundlage muss die Dacwa zum Islam getragen werden.
Dabei muss folgendes bedacht werden: Das Tragen dieser Dacwa in die
Welt muss als ideologische Führung erfolgen, aus der Systeme
hervorgehen. Sämtliche Ideen müssen auf dieser ideologischen
Führung basieren. Aus ihnen gehen ohne Ausnahme alle Erkenntnisse
hervor, die den Standpunkt im Leben beeinflussen.
72
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 73
WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN?
______________________________________________________
Die islamische Dacwa wird heute auf dieselbe Weise getragen wie
früher, und richtet sich nach dem Vorbild des Gesandten Allahs (s.a.s.)
in den umfassenden wie den detaillierten Fragen, ohne auch nur um
eine Haaresbreite von diesem Vorbild abzuweichen. Den
Unterschieden der Epochen wird dabei absolut keine Rechnung
getragen, denn das, was sich verändert, sind die Mittel und Formen,
während der Inhalt und die Bedeutung sich nicht verändert haben und
sich auch nicht verändern werden, unabhängig davon, wieviele
Jahrhunderte aufeinandergefolgt sind und wie sehr sich auch die Völker
und Regionen unterschieden.
Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert Offenheit und Mut, Stärke
und Denken, und eine Herausforderung all dessen, was der Idee und
der Methode widerspricht. Dem offensichtlich Falschen muss die Stirn
geboten werden, um diese Falschheit zu beweisen, und all dies
ungeachtet der Konsequenzen und Umstände.
Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert weiterhin, dass die
unbedingte Souveränität der islamischen Ideologie gehört, ohne
Rücksicht darauf, ob die Masse des Volkes mit ihr einverstanden ist
oder nicht, ob sie mit den Gewohnheiten der Menschen einhergeht
oder sie herausfordert, und ohne Rücksichtnahme darauf, ob die
Menschen sie akzeptieren oder ablehnen und sich ihr sogar
widersetzen. Der Dacwa-Träger darf dem Volk nicht schmeicheln.
Ebenso darf er die Herrschenden nicht umschmeicheln oder ihnen
schön tun. Er legt keinen Wert auf die Gewohnheiten und Sitten der
Menschen, und kümmert sich nicht darum, ob die Menschen ihn
akzeptieren oder ablehnen. Er hält sich allein an der Ideologie fest,
billgt nur sie und lässt nichts anderes als die Ideologie Eingang in seine
Erwägungen finden. Den Vertretern anderer Ideologien wird nicht
gesagt: ”Haltet an euren Ideologien fest”, sondern sie werden ohne
Zwang zur islamischen Ideologie aufgerufen, damit sie sie aus
Überzeugung anzunehmen: Denn die Dacwa bedingt, dass nur die
Ideologie des Islam Gültigkeit besitzt und die Souveränität ihr
73
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 74
allein gehört. Allah sagt:
”Er ist es, der seinen Gesandten mit der Rechtleitung
und dem Diin der Wahrheit entsandte, damit er über alle
un
anderen Anschauungen siegt, auch wenn die Mussriku
(Götzendiener) dies verabscheuen”
Der Gesandte Allahs brachte seine Botschaft herausfordernd, offen
sichtbar und in dem Glauben an die Wahrheit, zu der er aufrief, in die
Welt. Er forderte die gesamte Welt heraus, und erklärte sowohl den
Roten wie den Schwarzen den Krieg, ohne in irgendeiner Weise ihre
Gewohnheiten oder Sitten, ihre Anschauungen oder Überzeugungen,
Herrscher oder Untertanen zu berücksichtigen. Er richtete das
Augenmerk auf nichts anderes als die Botschaft des Islam. Er erklärte
die Götzen des Stammes Qurais für falsch, und forderte sie in ihren
Überzeugungen heraus, die er für töricht erklärte. Dies tat er, obwohl
er ein isoliertes Inividuum war, das weder zahlenmäßige noch sonstige
Unterstützung hatte, und keine Waffe besaß als seinen tiefen Glauben
an den Islam, zu dem er aufrief. Er kümmerte sich weder um die
Gewohnheiten und Traditionen der Araber, noch um ihre
Anschauungen und Überzeugungen. Er schmeichelte ihnen nicht damit
und brachte ihnen diesbezüglich keinerlei Beachtung entgegen.
Ebenso wie der Gesandte Allahs (s.a.s) muss der Träger der islamischen
Dacwa offen in seiner Herausforderung aller Dinge sein: Er muss die
Gewohnheiten und Traditionen, die kranken Ideen und fehlerhaften
Konzepte, ja sogar die öffentliche Meinung herausfordern, wenn sie
falsch ist, selbst wenn sie sich ihm entgegenstellen, um ihn zu
bekämpfen. Er fordert die Glaubensüberzeugungen und Anschauungen
heraus, selbst wenn sich ihm der Fanatismus ihrer Anhänger und der
Groll derer entgegenstellt, die an ihren Irrtümern festhalten.
Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert das Bedachtsein auf die
umfassende Ausführung der Gesetze des Islam. Vernachlässigungen,
74
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 75
WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN?
______________________________________________________
und seien sie noch so klein, darf es nicht geben. Der Dacwa-Träger
akzeptiert keine Kompromittierung und keine Nachlässigkeit, weder
macht er Zugeständnisse, noch lässt er Verzögerungen zu. Vielmehr
widmet er sich der Sache in ihrer Gesamtheit, erledigt sie unverzüglich
und akzeptiert kein Abweichen von der Wahrheit. Der Gesandte Allahs
(s.a.s.) akzeptierte nicht die Forderung von der Delegation des Stammes
Taqif, ihnen ihren Götzen al-Lat für drei Jahre zu lassen und nicht zu
zerstören sowie ihnen das Gebet für drei Jahre zu erlassen, damit sie als
Gegenleistung den Islam annehmen. Er akzeptierte auch nicht, al-Lat
für zwei Jahre oder einen Monat zu lassen, wie sie es verlangten,
sondern lehnte alle diese Forderungen vehement ab. Seine Ablehnung
war definitiv, sie kannte weder ein Zögern noch Nachsicht, denn
entweder der Mensch glaubt, oder er glaubt nicht, und die Konsequenz
ist entweder das Paradies oder das Feuer. Der Gesandte Allahs (s.a.s.)
akzeptierte aber, dass nicht sie selbst al-Lat zerstören mussten, und
beauftragte Abu Sufyan und al-Mu0ira Ibn Sucba damit. Er akzeptierte
somit nichts anderes als eine vollständige cAqida und die dazu
erforderliche Umsetzung. Was Mittel und Form anbelangt, so nahm er
sie an, weil sie die cAqida nicht beeinträchtigten. Die islamische Dacwa
muss daher die Vollständigkeit von Idee und Ausführung im Auge
haben, ohne dass mit der Idee und der Methode nachlässig
umgegangen wird, während man an Mitteln alles anwenden kann, was
man will, ohne der Glaubensgrundlage damit zu schaden.
Das Tragen der islamischen Dacwa ist dadurch bedingt, dass jede
einzelne Handlung ein genau definiertes Ziel haben muss. Dieses Ziel
muss dem Dacwa-Träger ständig vor Augen bleiben, er muss ständig für
seine Erreichung arbeiten und sich unermüdlich ohne Unterbrechung
für seine Verwirklichung einsetzen. Aus diesem Grunde ist er nicht mit
einer Idee zufrieden, die nicht mit einer Handlung verbunden ist, und
betrachtet sie als eine um sich selbst rotierende Philosophie, die nur in
einem Zustand der Erstarrung und Hoffnungslosigkeit enden kann.
Der Dacwa-Träger besteht auf der Verbindung zwischen Idee und
Handlung, sowie darauf, dass Idee und Handlung gemeinsam auf ein
75
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 76
DES ISLAM
Ziel ausgerichtet werden. Dieses Ziel wird durch seine Handlung
realisiert und ins Leben gerufen. Der Gesandte Allahs (s.a.s.) trug die
ideologische Führung in Mekka, bis die Gesellschaft Mekkas sich als
unfähig erwies, die Errichtung des Islam als System zu verwirklichen,
auf dessen Grundlage die Gesellschaft geführt würde. Er bereitete die
Gesellschaft Medinas vor, gründete daraufhin den islamischen Staat,
implementierte den Islam und trug seine Botschaft in die Welt hinaus.
Er bereitete die Umma darauf vor, den Islam nach seinem Tode
weiterzutragen und auf dem Weg zu verfahren, den er selbst
vorgezeichnet hatte.
Das Tragen der islamischen Dacwa muss also in dem Fall, dass die
Muslime keinen Kalifen haben, einen umfassenden Aufruf zum Islam
und zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben darstellen. Dies
geschieht durch die Arbeit für die Errichtung des islamischen Staates,
der den Islam implementiert und die Botschaft des Islam in die gesamte
Welt hinausträgt. Der Aufruf zum Islam besteht also zunächst in einem
Aufruf zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben innerhalb
der Umma und wird dann zum Tragen der Dacwa in die gesamte Welt
durch den Staat. Auf diese Weise wird sie von einer begrenzten zu einer
weltweiten Dacwa.
Die Dacwa zum Islam muss die Korrektur der cAqa’id, der
Glaubensgrundlagen, und eine Stärkung der Verbindung zu Allah
verkörpern. Den Menschen muss die Lösung ihrer Probleme deutlich
gemacht werden, so dass diese Dacwa in sämtlichen Gebieten des
Lebens lebendig wird. Der Gesandte Allahs rezitierte den Menschen in
Mekka die Aya:
”Die Hände Abu Lahabs sollen vergehen”
ebenso wie zur selben Zeit die Aya:
76
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 77
WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN?
______________________________________________________
”Es ist die Sprache eines würdigen Gesandten, nicht
die eines Dichters, wie wenig ihr doch glaubt”
und die Aya:
”Wehe denen, die das Maß verkürzen, denjenigen, die,
wenn sie sich von den Leuten zumessen lassen, volles
Maß verlangen, dann jedoch, wenn sie es ihnen
ausmessen oder auswägen, verkürzen sie es.”
und die Aya:
”Denjenigen, die glauben und gute Werke tun, werden
in Gärten eingehen, unter denen Flüsse fließen. Dies
ist wahrlich eine große Gnade.”
In Medina zitierte er ihnen die Ayat:
”Verrichtet das Gebet und gebt die Zakaat.”,
sowie:
”Zieht leicht und schwer (bewaffnet) aus und kämpft mit
euren Geldern und euren Leben auf dem Wege Allahs.”
Er zitierte die Aya :
”O ihr, die ihr glaubt, wenn ihr Geld für eine
festgesetze Frist verleiht, so schreibt es auf,”
77
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 78
DES ISLAM
und:
”damit das Geld nicht unter den Reichen unter euch
bleibt.”
und:
”Die Bewohner des Feuers und die Bewohner des
Paradieses sind nicht gleich. Die Bewohner des
Paradieses sind die Erfolgreichen.”
Ebenso wie diese Ayat alle Bereiche des Lebens ansprechen, muss der
Aufruf zum Islam den Menschen die Systeme vor Augen führen, die die
Probleme ihres Lebens behandeln, denn der Erfolg der islamischen
Dacwa ist ihr lebendiges Wesen, das den gesamten Menschen als
Menschen behandelt und in ihm eine umfassende Umwälzung
verursacht.
Die Träger dieser Dacwa können nur dann die Verantwortung
übernehmen, und die Konsequenzen tragen, wenn sie das Streben nach
Vollkommenheit verinnerlicht haben, beständig nach der Wahrheit
suchen und all ihre Kenntnisse stets überprüfen, um sie von fremden
Elementen zu reinigen und all das zu entfernen, was möglicherweise an
Falschem daran haftet, bis die Ideen, die sie tragen, völlig rein sind. Die
Reinheit der Idee ist der einzige Garant für den Erfolg und seinen
Fortbestand.
Ferner obliegt es den Trägern dieser Dacwa, ihre Pflicht als etwas zu
betrachten, das Allah ihnen aufgetragen hat, und sie aus Freude über
und in Erwartung des Wohlwollens Allahs anzunehmen. Sie dürfen für
ihre Arbeit weder Lohn erwarten, noch Dank von den Menschen
erhoffen. Das einzige Verlangen, das sie kennen, besteht im Wohlwollen
Allahs.
78
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 79
DIE ISLAMISCHE KULTUR
( AL-HA5A RATU-L-ISLAMIYYA )
Es besteht ein Unterschied zwischen Ha6ara, der Kultur , und
Madaniyya, der Zivilisation. Unter Ha6ara versteht man die Gesamtheit
der Erkenntnisse über das Leben. Der Begriff Madaniyya hingegen
bezeichnet die materiellen Formen der wahrnehmbaren Dinge, welche
in den Angelegenheiten des Lebens Anwendung finden. Die Ha6ara ist
gemäß dem Standpunkt, den man im Leben einnimmt, spezifisch,
während man bei der Madaniyya zwischen einer spezifischen und einer
allgemein zugänglichen unterscheiden muss. Die zivilisatorischen
Formen, die direkt aus der Kultur hervorgehen, wie etwa bildliche
Darstellungen, sind spezifisch, während die zivilisatorischen Formen,
die aus der Wissenschaft und Industrie und deren Fortschritt
resultieren, allgemein zugänglich sind. Sie sind nicht auf eine
bestimmte Nation begrenzt, sondern international wie Industrie und
Wissenschaft.
Diese Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation muss immer
vorgenommen werden. Ebenso ist es notwendig, zwischen den
zivilisatorischen Formen zu unterscheiden, die direkt aus der Ha6ara
hervorgehen und somit spezifisch sind, und denen, die aus Industrie
und Wissenschaft resultieren und einen allgemein zugänglichen
Charakter haben. Bei Übernahme von Dingen aus der Madaniyya muss
diese Unterscheidung zwischen ihren materiellen Formen, also den
allgemein zugänglichen und den spezifischen, sowie der Unterschied
zwischen der Madaniyya und der Ha6ara unbedingt berücksichtigt
werden. Es besteht kein Hinderungsgrund, die westliche Zivilisation,
die aus Wissenschaft und Industrie resultiert, zu übernehmen. Was
allerdings die westliche Zivilisation betrifft, die direkt aus der
westlichen Kultur hervorgeht, so ist ihre Übernahme aufgrund ihres
Widerspruchs mit der islamischen Kultur in keinem Fall erlaubt. Dieser
unvereinbare Widerspruch zwischen der westlichen und der
79
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 80
DES ISLAM
islamischen Ha6ara betrifft die Grundlagen, auf denen sie basieren, die
Gestaltung des diesseitigen Lebens und die Bedeutung der
Glückseligkeit für den Menschen.
Die westliche Ha6ara beruht auf der Grundlage der Trennung der
Religion vom täglichen Leben, und der Ablehnung jeglichen Einflusses
der Religion auf das tägliche Leben. Daraus ging in natürlicher
Konsequenz die Idee der Trennung der Religion vom Staat hervor. Auf
dieser Grundlage baut das tägliche Leben und das System des täglichen
Lebens auf. Die Gestaltung des täglichen Lebens wird durch den Profit
bestimmt, denn er stellt den Handlungsmaßstab dar. Somit ist es auch
der Profit, auf dem sich das System und die Kultur aufbauen. Es
handelt sich um das hervorstechende Konzept im System und in der
Kultur, da sie das Leben im Hinblick auf den Profit gestaltet. Das
Glück besteht in der westlichen Kultur darin, dem Menschen den
größtmöglichen Anteil an körperlichem Genuss zu geben und deren
Anlässe zu maximieren. Die westliche Kultur ist daher rein
profitorientiert. Sie misst nichts anderem als dem Profit Gewicht bei,
erkennt nur den Profit an und macht nur ihn zum Maßstab der
Handlungen. Die spirituelle Seite wird als individuell betrachtet. Mit der
Gemeinschaft hat sie folglich nichts zu tun, sondern ist auf Kirche und
Klerus beschränkt. Aus diesem Grund gibt es in der westlichen
Gesellschaft keine ethischen, spirituellen, oder menschlichen Werte. Es
finden sich ausschließlich materielle und profitorientierte Werte.
Humanitäre Handlungen werden folgerichtig von Organisationen
übernommen, die vom Staat getrennt sind, wie etwa das Rote Kreuz
und Missionsgesellschaften. Jeglicher Wert außer dem des Profits ist
vom täglichen Leben getrennt worden. Dies ist die Gesamtheit der
Erkenntnisse über das Leben, welche die westliche Ha6ara ausmachen.
Die islamische Ha6ara beruht auf einer Grundlage, die der westlichen
Kultur diametral widerspricht. Sie unterscheidet sich in ihrer
Gestaltung des Lebens wie in ihrem Verständnis des Glücks aufs
äußerste von der westlichen Ha6ara. Die Grundlage der islamischen
80
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 81
DIE
ISLAMISCHE
KULTUR
Kultur ist der Glaube an Allah, der Universum, Menschen und Leben
nach einem von Ihm bestimmten System funktionieren lässt und daran,
dass Er unseren Propheten Muhammad (s.a.s.) mit dem Islam als Din
entsandt hat. Die islamische Kultur beruht somit auf der Grundlage
der islamischen cAqida, welche den Glauben an Allah, Seine Engel,
Seine Bücher, Seine Gesandten, den Jüngsten Tag, und daran, dass das
Gute und das Schlechte in Qa6a’ und Qadar von Allah (t.) stammen,
beinhaltet. Die Glaubensgrundlage stellt das Fundament der
islamischen Kultur dar. Es handelt es sich um ein spirituelles
Fundament. Die Lebensgestaltung in der islamischen Kultur ist in der
Philosophie des Islam, welche aus der islamischen cAqida hervorgeht,
verkörpert. Sie ist es, auf der das Leben und die Handlungen des
Menschen im Leben aufbauen. Diese Philosophie besteht in einer
Verschmelzung von Madda (Materie) und Ruh (Spiritualität), mit
anderen Worten, die Grundlage der Lebensgestaltung besteht darin,
dass der Mensch seine Handlungen gemäß den Gesetzen und Verboten
Allahs (s.t.) ausführt. Die menschliche Handlung ist materiell, während
Ruh das Erfassen der Verbindung zu Allah durch den Menschen
darstellt, wenn dieser eine Handlung unter dem Gesichtspunkt
ausführt, ob sie Halal (Erlaubtes) oder Haram (Verboten) ist. Auf diese
Weise gelangt man zu einer Verschmelzung von Madda und Ruh.
Aufbauend darauf sind es die Befehle und Verbote Allahs, die die
Handlungen des Muslim lenken. Das Ziel in der Ausrichtung der
Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs ist es, das
Wohlgefallen Allahs zu erreichen, und in keinem Fall ein Profit. Was
den Zweck der Ausführung derselben Handlung betrifft, so handelt es
sich um den Wert (Qima), dessen Realisierung angestrebt wird. Dieser
Wert unterscheidet sich von Handlung zu Handlung. Wer etwa mit der
Absicht, einen Gewinn zu erzielen, Handel betreibt, verfolgt einen
materiellen Wert. Die Ausübung des Handels stellt eine materielle
Handlung dar, während das Erfassen der Verbindung zu Allah (t.) diese
Handlung steuert, indem sie gemäß den Geboten und Verboten Allahs
vollzogen wird, im Bestreben, Sein Wohlgefallen zu erreichen. Der
Wert, der durch diese Handlung realisiert werden soll, ist der Gewinn.
81
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 82
DES ISLAM
Er stellt somit einen materiellen Wert dar.
Darüber hinaus gibt es einen spirituellen Wert, wie er im Gebet, dem
Zahlen der Zakat, dem Fasten und dem Hagg (Pilgerfahrt) beinhaltet
ist. Der ethische Wert umfasst Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit
und Gewissenhaftigkeit. Ferner gibt es einen humanitären Wert, der
sich etwa im Retten eines Ertrinkenden zeigt. Der Mensch hat diese
Werte im Auge, wenn er eine Handlung ausführt, die sie verwirklicht.
Diese Werte lenken die Handlung jedoch nicht und stellen auch nicht
das höchste Ideal dar, nach dem man strebt. Es handelt sich lediglich
um den Wert der Handlung, der sich je nach Art der Handlung
unterscheidet.
Das Glück besteht in der islamischen Ha6ara im Erreichen des
Wohlwollens Allahs und steht nicht für die Befriedigung der
menschlichen Bedürfnisse. Sie sieht in der Befriedigung der Instinkte
und organischen Bedürfnisse lediglich ein notwendiges Mittel zur
Bewahrung der menschlichen Existenz. Ihr Vorhandensein bringt nicht
automatisch das Glück zustande. Es ist vielmehr die Gestaltung des
Lebens und die Grundlage, auf der diese Gestaltung aufbaut. Die
islamische Kultur widerspricht der westlichen Kultur in ihrer
Grundlage ebenso wie in den zivilisatorischen Formen, die aus dieser
Grundlage resultieren, in allen Punkten. Nehmen wir das Gemälde als
Beispiel einer zivilisatorischen Form: Die westliche Kultur betrachtet
das Bild einer nackten Frau, das alle ihre Reize offenbart, als eine
zivilisatorische Form, die mit ihren Erkenntnissen über die Frau
übereinstimmt. Im Westen wird es folglich, wenn es die Bedingungen
der Kunst erfüllt, als Kunstwerk betrachtet, auf das man als Ausdruck
der Zivilisation stolz ist. Dieser Ausdruck widerspricht jedoch der
Kultur des Islam und steht im Widerspruch zu ihren Verständnissen
über die Frau, die als eine Ehre betrachtet wird, die es zu schützen gilt.
Der Islam verbietet diese Art der Darstellung, weil sie eine Überreizung
des Sexualtriebs darstellt und zu moralischer Anarchie führt. Ein
weiteres Beispiel wäre die Errichtung eines Hauses als zivilisatorische
82
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 83
DIE
ISLAMISCHE
KULTUR
Form. Der Muslim berücksichtigt dabei die Privatsphäre der Frau, die
von außerhalb des Hauses nicht zugänglich sein darf und baut aus
diesem Grund eine Mauer um das Haus herum. In der westlichen
Kultur wird dieser Aspekt ganz im Sinne ihres Verständnisses nicht
berücksichtigt. Andere zivilisatorische Formen resultieren ebenfalls
direkt aus der westlichen Kultur, wie etwa bildliche Darstellungen und
ähnliches. Ebenso verhält es sich mit Kleidung. Es gibt Kleidungsarten,
die spezifisch für die Kuffar (die Nichtmuslime, die Abkehrer) sind und
von den Muslimen nicht übernommen werden dürfen, weil sie eine
bestimmte Sichtweise bezeichnen. Ist die Art der Kleidung nicht
spezifisch für Kuffar, besteht kein Hinderungsgrund in ihrer
Übernahme. Sie kann übernommen werden, etwa weil sie notwendig
oder anziehend ist. In diesem Fall gehört sie zu den allgemein
zugänglichen zivilisatorischen Formen, deren Benutzung gestattet ist.
Was die zivilisatorischen Formen betrifft, die aus den Wissenschaften
und der Industrie resultieren, wie Labor- und medizinische oder
industrielle Geräte, oder Möbel und Teppiche oder ähnliches, so
handelt es sich um allgemein zugängliche Formen, bei deren
Übernahme nichts weiter zu berücksichtigen ist, da sie nicht aus der
Ha6ara hervorgehen und auch nicht mit ihr in Verbindung stehen.
Ein rascher Blick auf die westliche Ha6ara, die zum heutigen
Zeitpunkt die Welt beherrscht, zeigt uns, dass sie nicht dazu in der Lage
ist, die Menschheit zu innerer Ruhe und Zufriedenheit zu führen. Im
Gegenteil: Sie hat das Elend verursacht, auf deren Dornen sich die
Welt herumwälzt, und deren Feuer sie quält. Die Kultur, deren
Grundlage die Trennung der Religion vom täglichen Leben ist,
widerspricht der Natur des Menschen. Sie räumt der spirituellen Seite
überhaupt kein Gewicht im täglichen Leben ein, gestaltet das Leben
allein nach dem Maßstab des Profits und macht diesen zur Grundlage
der zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine solche Kultur kann nur
zu Elend und ständiger Unruhe führen. Solange der Profit die
Grundlage des Handelns darstellt, ist der Kampf und Streit um
83
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 84
DES ISLAM
seinetwillen natürlich, ebenso wie es natürlich ist, sich in den
zwischenmenschlichen Beziehungen auf Gewalt zu stützen. Der
Kolonialismus ist daher eine natürliche Erscheinung bei den Vertretern
dieser Kultur. Die Moral wird aufs Heftigste erschüttert, weil der Profit
allein die Grundlage des täglichen Lebens darstellt. Es ist somit eine
natürliche Folge, dass eine würdige Moral ebenso aus dem Leben
verbannt wurde wie spirituelle Werte, und das tägliche Leben auf der
Grundlage von Rivalität, Kampf, Gewalttätigkeit und Kolonialismus
geführt wird. Der beste Beweis für die Resultate der westlichen Kultur
ist die Realität der Welt heute mit ihren spirituellen Krisen, ständiger
Verzweiflung und weit verbreitetem Übel, denn schließlich ist es diese
Kultur, die die Welt regiert und sie zu diesen gefährlichen Resultaten
geführt hat, die eine Gefährdung für die gesamte Menschheit
darstellen.
Eine Betrachtung der islamischen Kultur, welche die Welt vom
sechsten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts nach Christus
beherrschte, zeigt uns, dass sie keineswegs kolonialistisch war. Der
Kolonialismus entspricht nicht ihrer Kultur, weil sie nicht zwischen
Muslimen und anderen unterschied, sondern allen Völkern, die sich
während der gesamten Zeit ihrer Regierung ihrer Herrschaft
untergaben, Gerechtigkeit garantierte. Die islamische Kultur
verwirklicht sämtliche Werte, den materiellen, spirituellen, ethischen
und humanitären. Das gesamte Gewicht im täglichen Leben wird dabei
auf die cAqida gelegt. Die Gestaltung des Lebens verläuft nach den
Befehlen und Verboten von Allah s.t., und die Bedeutung des Glücks
liegt im Wohlgefallen Allahs. Wenn diese Kultur wieder die herschende
Position einnimmt, die sie in der Vergangenheit hatte, wird sie die
Lösung für die Krisen der Welt garantieren und den Wohlstand für alle
Menschen mit sich bringen.
iopiop
84
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 85
DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG
(NIZ AM-UL-ISLAM )
Der Islam ist die Lebensordnung (Din), die Allah unserem Propheten
Muhammad (s.a.s.) offenbart hat. Sie enthält die Organisation der
Beziehungen des Menschen zu seinem Schöpfer, zu sich selbst, und
zu den anderen Menschen. Die Beziehung des Menschen zu seinem
Schöpfer umfasst die Glaubensgrundlagen und cIbadat
(Gottesdienst), während die Beziehung des Menschen zu sich selbst
Moral (A2laq) ebenso beinhaltet wie Nahrungs- und
Kleidungsfragen. Seine Beziehung zu anderen Menschen schließlich
umfasst die Mucamalat (Vertrags- und Geschäftsbeziehungen) und
cUqubat (Strafgesetze). Der Islam ist eine Ideologie für sämtliche
Angelegenheiten des Lebens. Es handelt sich nicht um eine auf
geistliche Dinge beschränkte Religion. Der Islam besitzt keinerlei
Verbindung zu einer Priesterschaft. Er macht die religiöse Autokratie
(religiöse Willkür) zunichte, denn es gibt im Islam keine Gruppen, die
sich als Vertreter der Religion und andere, die sich als Vertreter
weltlicher Angelegenheiten bezeichnen. Im Gegensatz dazu werden
alle, die den Islam als Überzeugung angenommen haben, als Muslime
bezeichnet, und sie alle sind vor dem Din gleich. Es gibt keine
Einteilung in spirituell und weltlich orientierte Menschen. Die
spirituelle Seite besteht darin, dass die Dinge von einem Schöper
erschaffen wurden, und nach dem Plan dieses Schöpfers gelenkt
werden. Die tiefe Betrachtung des Universums, des Menschen und
des Lebens sowie dessen, was diese Elemente umgibt und mit ihnen
in Verbindung steht, und die Folgerung aus dieser Betrachtung zeigt
dem Menschen die Unfähigkeit, Schwäche und Bedürftigkeit, die in
allen Dingen zu beobachten und wahrzunehmen ist. Dies beweist
ohne den geringsten Zweifel (Dalala qa8ciyya), dass alle Dinge von
einem Schöpfer erschaffen wurden und nach Seinem Plan gelenkt
werden. Es beweist ebenfalls, dass der Mensch für die Organisation
seines täglichen Lebens eines Systems bedarf, das seine Instinkte und
85
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 86
DES ISLAM
organischen Bedürfnisse regelt. Dieses System kann aufgrund seiner
Schwäche und seines mangelnden Verständnisses nicht vom
Menschen selbst stammen. Sein Verstehen dieser Organisation ist der
Disharmonie, Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit
ausgesetzt. Es kann nur in einem widersprüchlichen System
resultieren, welches zum Unglück des Menschen führt. Das System
muss daher mit Gewissheit von Allah (s.t.) stammen. Der Mensch
muss also notwendigerweise seine Handlungen nach dem System
seines Schöpfers ausführen. Basiert die Ausrichtung nach diesem
System auf den Vorteilen, die es mit sich bringt, und nicht darauf,
dass es von Allah kommt, gibt es in seiner Ausführung keine
spirituelle Seite. Die Organisation der menschlichen Handlungen im
täglichen Leben nach den Befehlen und Verboten Allahs muss darauf
basieren, dass der Mensch seine Verbindung zu Allah begreift, um
Ruh (Spiritualität) in den Handlungen zustandezubringen. Mit
anderen Worten, der Mensch muss seine Verbindung zu Allah
begreifen, um aufbauend auf dem Begreifen dieser Verbindung seine
Handlungen gemäß den Befehlen und Veboten Allahs auszuführen,
damit er bei der Ausübung seiner Handlungen Ruh zustandebringt.
Ruh stellt also das Begreifen seiner Verbindung zu Allah durch den
Menschen dar. Die Bedeutung der Verschmelzung dieser Verbindung
mit der Materie besteht im Begreifen der Verbindung zu Allah bei der
Ausführung einer Handlung. Die Handlung wird also nach den
Befehlen und Verboten Allahs auf der Grundlage des Begreifens
dieser Verbindung zu Allah ausgeführt. Die Handlung selbst ist
materiell, während das Begreifen der Verbindung zu Allah bei der
Ausführung einer Handlung Ruh darstellt. Das Ausüben der
Handlung nach den Befehlen und Verboten Allahs auf Grundlage des
Begreifens der Verbindung wird somit zur Verschmelzung der
Materie mit Ruh. Führt ein Nichtmuslim seine Handlungen nach den
islamischen Gesetzen aus, die aus Qur’an und Sunna abgeleitet sind, so
stellt dies weder eine Ausführung im Sinne des Ruh dar, noch wird
dadurch die Bedeutung der Verschmelzung von Materie und Ruh
realisiert, weil dieser Nichtmuslim nicht an den Islam glaubt und die
86
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 87
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
Verbindung zu Allah nicht erfasst. Er hat die islamischen Gesetze
lediglich als ein System übernommen, das ihm gefallen hat, und nach
dem er seine Handlungen regelt. Im Gegensatz dazu führt der
Muslim seine Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs
auf der Grundlage seines Begreifens der Verbindung zu Allah aus.
Sein Ziel besteht dabei im Erlangen des Wohlwollens Allahs, nicht
lediglich im Nutzen des Systems. Es besteht dementsprechend eine
spirituelle Seite (Nahia Ruhia) in den Dingen, wobei Ruh bei der
Ausübung der Handlungen existiert. Es muss beständig deutlich sein,
dass unter der spirituellen Seite das Erschaffensein der Dinge durch
einen Schöpfer zu verstehen ist, d.h., dass sie die Verbindung des
Geschöpfes zum Schöpfer darstellt. Ruh bedeutet das Begreifen
dieser Verbindung, also das Begreifen seiner Verbindung zu Allah (t.)
durch den Menschen. Dies allein ist das richtige Verständnis von Ruh
und Nahia Ruhia (der spirituellen Seite). Jedes andere Verständnis ist
definitiv falsch. Es ist die tiefe, erleuchtende Betrachtung des
Universums, des Lebens und des Menschen, die zu den wahrhaftigen
Resultaten und zu diesem richtigen Verständnis (Mafhum) führt.
Einige Religionen sind der Auffassung, dass es im Universum
Wahrnehmbares und Verborgenes gebe, und dass der Mensch
spirituelle Erhabenheit und körperliche Neigung besäße. Das Leben
beinhalte eine materielle und eine spirituelle Seite, und das
Wahrnehmbare stehe im Widerspruch zum Verborgenen. Sie
vertreten die Auffassung, dass die spirituelle Erhabenheit nicht mit
der körperlichen Neigung einhergehen kann, und dass die Materie
vom Ruh getrennt ist. Aus diesem Grunde sind beide Seiten aus Sicht
der Vertreter dieser Vorstellungen getrennt, denn die Diskrepanz
zwischen ihnen liege grundsätzlich in ihrer Natur, und eine
Verschmelzung zwischen beiden sei nicht möglich. Nach ihrer
Vorstellung bedeutet jede Gewichtung der einen Seite - wie auf einer
Waage - gleichzeitig eine Herabsetzung der Anderen. Demjenigen, der
nach dem Jenseits strebt, bliebe also nur eine Betonung der
spirituellen Seite. Dies war der Anlass für die Entstehung zweier
87
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 88
DES ISLAM
Mächte im Christentum: Der geistlichen und der weltlichen Macht.
(Gib Cäsar, was Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist). Die Vertreter
der geistlichen Macht, die den Klerus darstellten, versuchten, die
weltliche Macht zu übernehmen, um der geistlichen Macht den
Vorrang im Leben zu geben. Dies war der Ausgangspunkt für die
Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und geistlichen Macht,
die schließlich mit der Beschränkung des Klerus auf die geistliche
ohne einen Zugriff auf die weltliche Macht endete. Die Religion
wurde, weil sie eine rein geistliche Funktion hatte, vom täglichen
Leben getrennt. Diese Trennung der Religion vom täglichen Leben
stellt die Glaubensgrundlage der kapitalistischen Ideologie und die
Grundlage der westlichen Kultur dar. Gleichzeitig ist sie die
ideologische Führung, die der westliche Kolonialismus in die Welt
trägt, zu der er aufruft und die er zur Basis seiner Geistesbildung
macht. Auf ihrer Grundlage erschüttert er die Glaubensüberzeugung
der Muslime an den Islam, weil er den Islam in einem Analogieschluss
mit dem Christentum vergleicht.
Jeder, der zur Trennung der Religion vom weltlichen Leben oder zur
Trennung der Religion von Staat und Politik aufruft, folgt und richtet
sich nach einer fremden ideologischen Führung aus, und handelt - sei
es in guter oder schlechter Absicht - als Agent des Kolonialismus.
Eine solche Person hat entweder kein Wissen über den Islam oder
steht ihm feindlich entgegen.
Der Islam vertritt die Ansicht, dass die durch die Sinne
wahrnehmbaren Dinge materiell sind. Die spirituelle Seite besteht
darin, dass sie von einem Schöpfer erschaffen wurden, während Ruh
das menschliche Begreifen dieser Verbindung zu Allah darstellt.
Demzufolge gibt es keinen spirituelle Seite, die von der materiellen
Seite getrennt wäre. Ebensowenig gibt es im Menschen spirituelle
Begierden und körperliche Neigungen. Der Mensch hat vielmehr
organische Bedürfnisse und Instinkte, deren Befriedigung notwendig
ist. Zu den Instinkten gehört der Anbetungsinstinkt, der das aus der
88
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 89
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
natürlichen Schwäche in der Beschaffenheit des Menschen
entstandene Bedürfnis nach dem Schöpfer, der alles nach Seinem
Plan erschaffen hat, darstellt. Die Befriedigung dieser Instinkte wird
weder als spirituelle, noch als materielle Seite bezeichnet, sondern ist
ganz einfach eine Befriedigung. Werden die organischen Bedürfnisse
und Instinkte nach dem System befriedigt, das vom Schöpfer selbst
kommt, und zwar basierend auf dem Begreifen der Verbindung zu
Allah, werden sie durch Ruh geleitet. Werden sie im Gegensatz dazu
ohne System oder nach einem System befriedigt, das nicht von Allah
stammt, handelt es sich um eine rein materielle Befriedigung, die nur
zum Elend des Menschen führen kann. Wird etwa der
Arterhaltungsinstinkt auf diese Weise, also entweder ohne System
oder nach einem System, das nicht von Allah stammt, befriedigt,
verursacht dies Elend. Findet seine Befriedigung im Gegensatz dazu
durch die Ehe statt, die von Allah gemäß den Gesetzen des Islam
vorgegeben ist, bringt dies innere Ruhe und Frieden mit sich. Wenn,
um ein weiteres Beispiel zu nennen, der Anbetungsinstinkt ohne
System bzw. durch ein System, das nicht von Allah kommt, befriedigt
wird, etwa durch die Anbetung von Götzen oder die Anbetung des
Menschen, handelt es sich dabei um eine Beigesellung, Sirk, oder um
eine Abkehrung, Kufr. Wird er nach den Gesetzen des Islam
befriedigt, handelt es sich um cIbada. Aus diesen Gründen ist es
notwendig, die geistige Seite in den Dingen zu berücksichtigen, und
alle Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs
auszuführen, und zwar auf der Grundlage des Begreifens der
Verbindung zu Allah durch den Menschen. Mit anderen Worten, es ist
unabdingbar, dass sie gemäß Ruh ausgeführt werden. Folglich gibt es
nicht in einer Handlung zwei Dinge, sondern es existiert nur eine
einzige Sache, nämlich die Handlung selbst. Die Beschreibung einer
Handlung als rein materiell oder gemäß Ruh ausgeführt geht nicht
aus der Handlung selbst hervor, sondern ist von der Ausführung der
Handlung abhängig, ob sie nun gemäß den Gesetzen des Islam
vollzogen wurde oder nicht. Tötet der Muslim seinen Feind im Krieg,
gilt dies als Gihad, für den er belohnt wird, weil er im Einklang mit
89
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 90
DES ISLAM
den Gesetzen des Islam handelte. Tötet er aber ohne Berechtigung
ein geschütztes Leben, sei es das eines Muslims oder Nichtmuslims,
gilt dies als Verbrechen, für das er bestraft wird, weil er im
Widerspruch zu den Geboten und Verboten Allahs handelte. Obwohl
beide Handlungen eine Tötung darstellen, die vom Menschen
ausgeht, handelt es sich bei der einen Tötung um eine cIbada, die
gemäß Ruh ausgeführt wird, während die andere ein Verbrechen
darstellt, da es nicht nach Ruh ausgeführt wird. Die Verschmelzung
von Materie und Ruh stellt somit nicht lediglich eine Möglichkeit dar,
sondern eine Verpflichtung. Es ist nicht erlaubt, Materie und Ruh
voneinander zu trennen, d.h., irgendeine Handlung von ihrer
Ausführung gemäß den Befehlen und Verboten Allahs auf Grundlage
des Begreifens der Verbindung zu Allah zu trennen. Von daher muss
alles getilgt werden, was eine Trennung zwischen Materie und Ruh
darstellt. Es gibt weder einen Klerus im Islam oder eine religiöse
Macht im geistlichen Sinne, noch eine weltliche Macht, die von der
Religion getrennt ist. Der Islam ist ein Din, aus dem der Staat
hervorgeht. Es handelt sich dabei um Gesetze der Sari ca, gleich den
Gesetzen des Gebetes, sowie eine Methode zur Umsetzung dieser
Gesetze und das Tragen seiner Dacwa. Alles das, was eine
Spezialisierung der Religion im geistlichen Sinne und ihre Trennung
von Politik und Regierung verspüren lässt, muss beseitigt werden.
Organisationen, die spirituelle Aspekte beabsichtigen, müssen ebenso
beseitigt werden wie die Verwaltung der Moscheen, die der
Verwaltung der Macarif angeschlossen wird. Die Unterscheidung von
sogenannten Sari ca-Gerichten und weltlichen Gerichten darf nicht
weiter existieren: Es darf nur ein einziges Gerichtswesen geben, das
ausschließlich nach dem Islam richtet, denn die Macht des Islam ist
eine einzige.
Der Islam besteht aus einer Glaubensgrundlage und Systemen. Die
cAqida beinhaltet den Glauben an Allah, an Seine Engel, Seine
Bücher, Seine Gesandten, an den Jüngsten Tag, und daran, dass Qa6a’
und Qadar (Schicksal und Bestimmung) in ihren guten und bösen
90
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 91
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
Aspekten von Allah (t.) festgelegt wurden. Die cAqida des Islam
basiert in den Aspekten auf dem Verstand, welche dieser erfassen
kann, wie dem Glauben an Allah, an das Prophetentum Muhammads
(s.a.s) und an den Qur’an. Sie basiert in den Dingen auf dem
Verborgenen, die der Verstand nicht erfassen kann, wie dem Tag der
Auferstehung, den Engeln, dem Paradies und der Hölle, unter der
Bedingung, dass ihre Quelle durch den Verstand fest belegt ist, also
im Qur’an und dem Hadit Mutawatir feststeht. Darüber hinaus hat der
Islam den Verstand zum Kriterium der Zurechnungsfähigkeit
gemacht.
Bei den Systemen handelt es sich um Gesetze der Sari ca, welche die
Angelegenheiten des Menschen regeln. Das System des Islam hat
bereits alle diese Angelegenheiten behandelt, und zwar auf eine
allgemeine Weise und in allgemeinen Bedeutungen. Die Einzelheiten
wurden der Ableitung von diesen Rahmenbedingungen überlassen,
wie sie im Verlauf der Umsetzungen vorgenommen werden. Qur’an
und Sunna beinhalten Richtlinien, d.h. allgemeine Inhalte zur
Behandlung der Angelegenheiten des Menschen in seiner Eigenschaft
als Mensch. Es ist den Mugtahidun (Islam-Gelehrte, die neue
Rechtssprüche ableiten) überlassen, von diesen allgemeinen
Bedeutungen detaillierte Gesetze für die Probleme abzuleiten, die im
Laufe der Jahrhunderte und durch die Unterschiedlichkeit der Orte
aufkommen.
Der Islam hat eine einzige Methode in der Behandlung der Probleme:
Er ruft den Mugtahid dazu auf, das entstandene Problem zu studieren,
um es zu verstehen. Darauf studiert er die Texte der Sari ca, die mit
diesem Problem in Verbindung stehen, um die Lösung für dieses
Problem aus den Texten abzuleiten. Das bedeutet, er leitet das Hukm
Sarci für diese Rechtsfrage aus den Beweisen der Sari ca ab, und
befolgt absolut keine andere Methode. Wenn der Mugtahid das
betreffende Problem studiert, untersucht er es als menschliches
Problem und nichts anderes. Er studiert es weder als ein
91
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 92
DES ISLAM
wirtschaftliches oder gesellschaftliches Problem, noch als ein
Problem des Regierens oder als etwas anderes. Er betrachtet es als
Problem, das eines Hukm Sarcis bedarf, damit das Gesetz Allahs in
dieser Angelegenheit bekannt wird.
DER ISLAMISCHE RECHTSSPRUCH
( AL- HUKM-US-SARcI )
Ein Hukm Sarci stellt die Ansprache des Gesetzgebers bezüglich der
Handlungen des Menschen dar. Er ist entweder qa8ciyy-ut-tubut (absolut
gesichert, absolut authentisch), wie der Qur’an und der Hadit Mutawatir,
oder zanniyy-ut-tubut (glaubhaft gesichert) wie der Hadit, der nicht
mutawatir ist. Ist die Ansprache qa8ciyy-ut-tubut, so muss man sehen: Ist
sie darüber hinaus auch qa8ciyy-ud-Dalala (eindeutig in der Aussage), so
ist der Rechtsspruch, den sie beinhaltet, qa8ci (feststehend). Dies trifft
etwa auf alle Rakcat der Pflichtgebete zu, denn sie wurden durch
Ahadit mutawatira überliefert. Dies gilt ebenso für das Verbot des Riba
(Zinses), das Abschneiden der Hand des Diebes und das Auspeitschen
des Zani (des Unzüchtigen). All diese stellen Ahkam qa8ciyya
(feststehende Gesetze) dar, die ganz genau als allein zutreffend
definiert sind. Es gibt in diesen Fragen nur eine einzige absolut sichere
(qa8ci) Aussage.
Ist die Ansprache des Gesetzgebers qa8ciyy-ut-tubut und zanniyy-udDalala (mehrdeutig in der Aussage), handelt es sich bei dem Gesetz,
das sie beinhaltet, um einen Hukm Zanni. Ein Beispiel hierfür ist die
Aya über die Gizia, die zwar als Bestandteil des Qur’an qa8ciyy-ut-tubut
ist, in der Erklärung der Details aber zanni ad-Dalala (mehrdeutig). So
hat es die Hanafitische Rechtsschule zur Bedingung gemacht, dass die
Abgabe als Gizia bezeichnet wird und die Unterwürfigkeit desjenigen,
der die Gizia übergibt, deutlich zu sein hat, während die Schafiitische
Rechtsschules keine Bedingung der Begriffsbezeichnung auferlegte,
92
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 93
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
sondern ihre Annahme auch unter der Bezeichnung einer
”vervielfachten Zakat” erlaubte. Für ein zusätzliches Zeigen der
Erniedrigung sah sie keine Veranlassung, weil sie der Auffassung war,
dass die Unterwerfung unter die Gesetze des Islam ausreiche.
Ist die Ansprache des Gesetzgebers zanniyy-ut-tubut wie der Hadit, der
nicht mutawatir ist, ist das Gesetz, das sie beinhaltet, zanni (nicht
definitiv), unabhängig davon, ob sie qa8ciyy-ud-Dalala ist, wie das
Fasten von sechs Tagen im Monat Sawwal, das in der Sunna feststeht,
oder zanniyy-ud-Dalala, wie das Verbot des Verpachtens von Land, das
ebenfalls in der Sunna überliefert ist.
Der Hukm sarci (islamisches Gesetz) wird durch eine korrekte
Ableitung (Igtihad) aus der Ansprache des Gesetzgebers verstanden. Es
ist also der Igtihad der Mugtahidun, welcher den Hukm sarci zutage
bringt. Hukm Allahs, das Gesetz Allahs, ist also für jeden Mugtahid das,
wozu ihn sein Igtihad führte und worin seine Ansicht überwog.
Besitzt der Mukallaf (die durch das göttliche Gebot angesprochene,
zurechnungsfähige Person) die vollständige Fähigkeit zum Igtihad in
einer Rechtsfrage, übt seinen Igtihad in dieser Frage aus und gelangt zu
dem entsprechenden Rechtsspruch, so ist es ihm nach
übereinstimmender Ansicht nicht erlaubt, den Igtihad eines anderen
Mugtahid in dieser Rechtsfrage im Gegensatz zu dem zu befolgen,
wozu ihn seine eigene Ansicht verpflichtet. Es ist ihm nur dann
gestattet, seine Ansicht aufzugeben, wenn der Kalif ein Hukm sarci
adaptiert hat. In diesem Fall ist er dazu verpflichtet, nach dem zu
handeln, was der Kalif befahl. Dies ist deswegen so, weil es sich bei
dem, wozu ihn sein Igtihad führte und worin seine Meinung überwog,
um den Hukm Allahs in einer Rechtsfrage und somit um ein Hukm
sarci handelt, und weil der Befehl des Imam den Meinungsunterschied
aufhebt. Nimmt derjeinige, der die Fähigkeit dazu besitzt, keinen
Igtihad vor, ist es ihm erlaubt, einen anderen Mugtahid in dessen
Rechtsableitung zu befolgen. Der Igmac (die Übereinstimmung) der
93
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 94
DES ISLAM
3ahaba (Gefährten des Propheten) bestätigt, dass es dem Mugtahid
erlaubt ist, seinen Igtihad zu verlassen und einen anderen Mugtahid zu
befolgen.
Derjenige, der nicht die Fähigkeit zum Igtihad besitzt, ist Muqallid
(Nachahmer). Es gibt zwei Sorten von Muqallidun, den Muqallid muttabic
und den Muqallid cammi. Der Muqallid muttabic ist jemand, der die mit
dem Igtihad verbundenen Wissenschaften nicht beherrscht. Er befolgt
die Rechtsableitung eines Mugtahid, nachdem er dessen Beweis (Dalil)
kennt. Für diesen Muqallid muttabic stellt der Hukm Allahs, das Gesetz
Allahs also, die Aussage jenes Mugtahid dar, dem er folgt. Der Muqallid
cammi beherrscht ebenfalls keine der mit dem Igtihad verbundenen
Wissenschaften und folgt einem Mugtahid, ohne dessen Dalil zu
kennen. Er ist zur Befolgung der Aussage der Mugtahidun und zur
Annahme der Gesetze, die sie ableiten, verpflichtet. Für ihn ist der
Hukm sarci (islamisches Gesetz) gleichbedeutend mit dem, was der
Mugtahid ableitete, den er befolgt. Der Hukm sarci ist also das, was der
Mugtahid mit der Fähigkeit zum Igtihad abgeleitet hat. Somit stellt es für
ihn den Hukm Allahs (das Gesetz Allahs) dar. Der Mugtahid darf
diesem weder zuwiderhandeln, noch etwas anderes befolgen. Ebenso
stellt es für denjenigen, der ihn befolgt, das Gesetz Allahs dar, dem er
nicht zuwiderhandeln darf.
Wenn der Muqallid einen Mugtahid in einem Rechtsspruch bezüglich
einer beliebigen Angelegenheit befolgt, und bereits nach dessen
Aussage in dieser Angelegenheit gehandelt hat, besteht danach keine
Möglichkeit für ihn, sich von diesem Hukm abzuwenden. In einem
anderen Gesetz ist ihm die Befolgung eines anderen Mugtahid jedoch
gestattet, wie der Igmac der 3ahaba es durch die Erlaubnis für den
Muqallid, jeden Gelehrten in einer Rechtsfrage um dessen Rechtsansicht
zu bitten, festgelegt hat. Folgt der Muqallid einer bestimmten
Rechtsschule (Madhab), wie zum Beipiel der Rechtsschule Saficis, und
sagt er ”Ich befolge seine Rechtsschule und bin ihr verpflichtet, verhält
es sich folgendermaßen: In Rechtsfragen, mit denen sein Handeln
94
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 95
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
bereits verknüpft wurde, kann er keinen anderen Igtihad befolgen. In
Fragen jedoch, die noch nicht mit einer Handlung seinerseits
einhergingen, besteht kein Hinderungsgrund in der Befolgung anderer
Igtihadat.
Gelangt der Mugtahid durch seinen Igtihad zu dem Rechtsspruch in
einer Rechtsfrage, ist es ihm erlaubt, diesen Igtihad aufzugeben und
einen anderen zu befolgen, wenn es der Vereinigung der Muslime auf
eine einzige Ansicht dient, wie es sich bei der Baica von cUtman
ereignete.
DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON
AHKAM SARcIYYA
Die islamischen Rechtssprüche umfassen Far6 (Pflicht), Haram
(verboten), Mandub (erwünscht), Makruh (unerwünschtes)und Mubah.
(erlaubt). Der Hukm sarci ergeht entweder durch eine Ansprache (des
Gesetzgebers) mit der Aufforderung zum Handeln oder Unterlassen.
Ist die Aufforderung zum Handeln zwingend (gazim) handelt es sich
um einen Far6 (Pflicht) oder Wagib. Beide Begriffe tragen dieselbe
Bedeutung. Ist die Aufforderung zum Handeln nicht zwingend (0air
gazim), ist die Handlung erwünscht (Mandub). Ist die zur Unterlassung
einer Handlung auffordernde Ansprache zwingend, handelt es sich
dabei um einen Haram oder Mahzur. Auch hier haben beide Begriffe
dieselbe Bedeutung. Ist die Aufforderung zum Unterlassen nicht
zwingend, handelt es sich um eine unerwünschte Handlung (Makruh).
Far6 und Wagib sind somit Handlungen, deren Ausführung belohnt,
deren Unterlassung aber getadelt bzw. bestraft wird. Das Ausführen des
Haram wird bestraft, während seine Unterlassung belohnt wird. Für
die Ausübung eines Mandub wird man belohnt, während seine
Unterlassung nicht bestraft wird. Das bedeutet, derjenige, der es
ausführt, wird belohnt, derjenige, der es unterlässt, aber nicht bestraft.
95
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 96
DES ISLAM
Das Unterlassen des Makruh wird belohnt und wird als angemessener
betrachtet als seine Ausführung. Als Mubah (erlaubt) bezeichnet man
das, was durch den Dalil (Dalil samci), den Beweis, in der Ansprache des
Gesetzgebers die Ausführung oder Unterlassung einer Handlung
freistellt.
DIE SUNNA
Sunna bedeutet sprachlich: Methode, Weg. Im Sarc, dem islamischen
Recht, wird der Begriff zur Bezeichnung dessen herangezogen, was an
wünschenswerten Handlungen (Nafila) vom Propheten (s.a.s.)
überliefert wurde. Dazu zählen etwa die Sunna-Gebete. Sie werden als
Sunna im Sinne von ”dem Far6 gegenübergestellt” bezeichnet. Die
Bezeichnung als Sunna bedeutet keineswegs, dass es sich um etwas
handelt, das vom Propheten stammt, während das, was man als Far6
bezeichnet, von Allah käme. Sunna und Far6 kommen beide von Allah.
Der Gesandte hat die Offenbarung von Allah empfangen und
weitergegeben und nicht aus seiner eigenen Laune gesprochen.
“Er spricht nicht aus seiner Neigung heraus, es ist nichts
anderes als Offenbarung, die ihm eingegeben wird.”
Die Sunna wurde vom Propheten als Nafila überliefert und mit dem
Begriff Sunna belegt, ebenso wie Far6 vom Propheten als Far6, also
verpflichtende Handlung, überliefert und mit dem Begriff Far6
bezeichnet wurde. Auf diese Weise wurden die beiden Rakcat, die im
Morgengebet Far6 (vepflichtend) sind, auf dem Wege des Tawatur (der
absolut gesicherten Überlieferung) vom Propheten (s.a.s.) als Far6
überliefert und so benannt, während die beiden Rakcat im
Morgengebet, die Sunna (nicht verpflichtend) sind und ebenfalls auf
dem Weg des Tawatur vom Propheten als Nafila überliefert wurden, als
Sunna bezeichnet worden sind. Beide stammen von Allah (t.) und nicht
96
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 97
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
von der Person des Propheten (s.a.s.). Man spricht daher von Far6 und
Nafila in den cIbadat, und Far6 und Mandub in den anderen
Handlungen. Die Begriffe Nafila und Mandub sind
also
gleichbedeutend. Auf beide wird auch der Begriff Sunna angewendet.
Darüber hinaus wird der Begriff Sunna für das verwendet, was außer
dem Qur’an an Adilla sarciyya (Rechtsbeweisen) vom Gesandten Allahs
ausgeht. Dazu gehören die Aussagen, die Handlungen und die
stillschweigenden Bestätigungen (Sukut) des Propheten (s.a.s.).
DAS BEFOLGEN DER HANDLUNGEN DES GESANDTEN
ALLAHS (S.A.S.)
( AT-TA’ASSI )
Die Handlungen, die vom Gesandten Allahs (s.a.s.) ausgingen, sind in zwei
Gruppen einzuteilen, nämlich in die aufgrund der menschlichen Natur
bedingten Handlungen und das, was darüber hinausgeht. Zu den
natürlicherweise bedingten Handlungen gehören das Stehen, Sitzen,
Essen, Trinken und dergleichen. Diese Handlungen sind unbestritten für
ihn und seine Umma erlaubt und fallen nicht in die Kategorie des Mandub.
Die Handlungen, welche nicht zu den genannten natürlichen gehören, sind
entweder für den Propheten spezifisch und dürfen nicht von anderen
Personen ausgeführt werden, oder sind nicht auf ihn beschränkt. Zu den
ersteren gehört z.B. die Erlaubnis des fortgesetzen Fastens über einen Tag
und eine Nacht ohne Unterbrechung, oder die Ehe mit mehr als vier
Frauen gleichzeitig und anderes. Es ist uns nicht gestattet, dem Propheten
(s.a.s.) in diesen Handlungen zu folgen, denn es steht durch den Igmac fest,
dass es sich hier um für ihn spezifische Handlungen handelt.
Jene Handlungen des Propheten, von denen man weiß, sie dienen uns als
Erläuterung, stellen unumstritten Rechtsbeweise dar. Diesbezüglich
97
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 98
DES ISLAM
erfolgte entweder eine ausdrückliche Aussage des Gesandten selbst,
wie:”Betet, wie ihr mich beten gesehen habt” und ”Nehmt von mir
eure Manasik (Hagg-Handlungen)” hier wird deutlich, dass der Prophet
uns auffordert, seine Handlungen zu befolgen - oder aber man erkennt es
an den Zusammenhängen der Umstände (Qara’in-ul-Ahwal). So hat der
Gesandte die Hand des Diebes am Handgelenk abgeschnitten und
dadurch die Aya erläutert:
”Schneidet ihrer beiden Hände ab”.
Diese Erläuterungen in seinen Taten, die durch seine Aussage (s.a.s.)
oder durch Zusammenhänge der Umstände bestätigt wurden, folgen in
der Art ihres Rechtsspruches, ob es sich also um Wugub (Verpflichtung),
Nadb (Empfehlung) oder Ibaha (Erlaubtem) handelt, - je nach
Beweisführung - dem Erläuterten.
Was die Handlungen betrifft, die weder mit einer Beweisführung
verknüpft sind, die darauf hinweist, dass sie uns zur Erläuterung dienen,
noch mit einer gegenteiligen, so gibt es diesbezüglich zwei
Möglichkeiten: Entweder es lässt sich an der Tat die Absicht der
Annäherung an Allah (t.) erkennen oder nicht. Ist dies der Fall, fällt die
Handlung in die Kategorie des Mandub, für deren Ausführung der
Mensch belohnt und für deren Unterlassung er nicht bestraft wird. Ein
Beispiel hierfür ist das Sunna-Gebet A6-5uha. Ist keine Absicht der
Annäherung zu erkennen, fällt die Handlung in die Kategorie des
Mubah.
DIE ADAPTION VON ISLAMISCHEN GESETZEN
(TABANN I AL- AHKAM AL-SARcIYYA )
Die Muslime in der Zeit der 3ahaba entnahmen die Ahkam Sarciyya
(Rechtssprüche) selbst aus Kitab und Sunna. In ihrer Behandlung von
98
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 99
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
Rechtsstreitigkeiten zwischen den Menschen leiteten die Richter selbst
den Hukm sarci (islamischen Rechtsspruch) in jedem Vorfall ab, der
ihnen unterlief. Die Regierenden unternahmen vom Kalifen beginnend
bis zu den Wulat (Gouverneuren) und anderen auch, selbst die
Ableitung von Ahkam sarciyya zur Behandlung jedes Problems, das
ihnen während ihrer Regierungstätigkeit wiederfuhr. Abu Musa alAscari und Suraih waren Richter, die Gesetze aus den Quellen
ableiteten und auf Grundlage ihres Igtihads richteten. Mucad Ibn Gabal
war Wali (Gouverneur) zur Zeit des Gesandten Allahs (s.a.s.). Er leitete
Gesetze ab und richtete in seiner Wilaya nach seinem Igtihad. Abu Bakr
und cUmar Ibn ul-1a88ab leiteten während ihres Kalifats selbst Gesetze
ab, und beide regierten die Menschen nach dem, was sie jeweils an
Gesetzen abgeleitet hatten. Mucawiya und cAmr Ibn-ul-cA4 sind als Wulat
bekannt, die ebenfalls selbst Gesetzesableitungen vornahmen und in
ihren Wilayat nach dem regierten, was sie durch ihre Igtihadat an
Gesetzen abgeleitet hatten. Ungeachtet dieses Igtihads, der von Wulat
und Richtern vorgenommen wurde, adaptierte der Kalif ein
bestimmtes islamisches Gesetz, dessen Ausführung er den Menschen
befahl. Die Menschen waren dazu verpflichtet, nach diesem
adaptierten Gesetz zu handeln und ihre eigenen Ansichten und ihren
Igtihad aufzugeben, denn der Hukm sarci besagt, dass der Befehl des
Imam im Ersichtlichen und Unersichtlichen vollzugspflichtig ist. So hat
Abu Bakr während seines Kalifats das dreimalige Aussprechen der
Scheidung in einer Sitzung als einmalige Scheidung betrachtet und dies
als Gesetz adaptiert. Er beschloss eine Verteilung des Reichtums unter
den Muslimen zu gleichen Anteilen ohne Berücksichtigung der Frage,
wer bereits länger im Islam war, und die Richter und Wulat handelten
danach. Als cUmar Kalif wurde, hat er eine andere Ansicht adaptiert,
die sich von der Abu Bakrs unterschied. Er befahl, den dreimaligen
Scheidungsausspruch als drei Scheidungen zu behandeln, und er
ordnete die Verteilung der Gelder nach der Dauer der Zugehörigkeit
zum Islam und nach Bedürftigkeit, also gemäß dem Vorzugsprinzip
(Tafa6ul) und nicht gemäß dem Prinzip der Gleichstellung, an. Die
Muslime folgten ihm darin, und die Richter und Wulat richteten
99
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 100
DES ISLAM
danach. cUmar adaptierte auch das Gesetz, dass jenes Land, welches
die Muslime im Krieg erobern, dem Bait-ul-Mal, dem muslimischen
Schatzhaus übertragen wird und in den Händen der bisherigen
Besitzer verbleibt und weder unter den Kämpfern noch unter den
Muslimen aufgeteilt wird. Die Wulat und Qu6at folgten seiner
Anweisung und verfuhren nach dem Gesetz, dass er adaptiert hatte.
Der Igmac-u4-3ahaba bestätigt, dass der Imam das Recht hat,
bestimmte Gesetze zu adaptieren und die dementsprechende
Handlung zu befehlen. Die Muslime sind zu ihrer Einhaltung
verpflichtet, selbst wenn sie ihrem eigenen Igtihad widersprechen
sollten. Die bekannten Richtlinien der Sari ca besagen: ”Der
Machthaber hat das Recht, in dem Maße Rechtssprüche
einzuführen, wie neue Probleme entstehen.”, ”Der Befehl
des Imam hebt den Meinungsunterschied auf.” und ”Der
Befehl des Imam ist im Ersichtlichen und Unersichtlichen
vollzugspflichtig.”.
Aus diesem Grunde adaptierten die Kalifen in der nachfolgenden Zeit
bestimmte islamische Gesetze. Harun ar-Rasid z.B. adaptierte den Kitab
al-1arag des Abu Yusuf im ökonomischen Bereich und verpflichtete
die Menschen dazu, nach den Gesetzen zu handeln, die in diesem Buch
enthalten sind.
VERFASSUNG UND GESETZ
( AD-DUST UR WA-L-Q ANUN )
Der Begriff Qanun (Gesetz) ist ein Fachbegriff nichtarabischen
Ursprungs. Er bezeichnet den Befehl, den der Machthaber erlässt,
damit die Menschen ihn befolgen. Qanun wird definiert als
”Gesamtheit von Richtlinien, zu deren Befolgung der Machthaber die
Menschen in ihren Beziehungen verpflichtet”. Für das jeder Regierung
zugrundeliegende Gesetz wird der Begriff Dustur (Verfassung)
gebraucht, während für das Gesetz, das aus dem in der Verfassung
100
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 101
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
(Dustur) festgelegten System hervorgeht, der Begriff ”Qanun”
verwendet wird. Dustur wird definiert als ”Gesetz, das die Form des
Staates und sein Regierungssystem und die Grenzen und Vorrechte
jeder Macht darin festlegt” oder ”das Gesetz, welches die allgemeine
Machtausübung, d.h. die Regierung regelt, ihre Beziehungen zu den
Individuen definiert und ihre Rechte und Pflichten dem Einzelnen
gegenüber sowie dessen Rechte und Pflichten der Regierung gegenüber
darlegt”. Verfassungen können verschiedenen Ursprungs sein. Es gibt
Verfassungen, die aus einem Gesetzesentwurf hervorgegangen sind,
oder aus Bräuchen und Traditionen, wie die englische Verfassung. Es
kommt auch vor, dass eine Versammlung von Bürgern, die zu einer
bestimmten Zeit die Macht in der Nation innehaben, mit dem Entwurf
einer Verfassung beauftragt wird, diesen Entwurf vornimmt und die
Art seiner Korrektur festlegt, worauf sich dieser Ausschuss auflöst und
sich diejenigen Gewalten an seine Stelle setzen, die durch die
Verfassung selbst gebildet wurden. Dies geschah in Frankreich und den
USA. Als Quellen für Verfassung und Gesetz kommen zwei
Möglichkeiten in Frage: Zunächst gibt es (1.) eine Quelle, aus der
Verfassung und Gesetz direkt hervorgehen, wie Bräuche, die Religion,
Meinungen der Rechtsgelehrten, Gerichtsbeschlüsse und Grundsätze
der Gerechtigkeit. Dies wird als gesetzgeberische Quelle bezeichnet.
Die Verfassungen einiger westlicher Staaten, etwa England und den
USA, sind auf diese Weise ins Leben gerufen worden. Demgegenüber
gibt es (2.) eine abgeleitete Quelle bzw. etwas, woraus Verfassung und
Gesetz zitieren, wie die Verfassung Frankreichs und die Verfassungen
einiger Staatsgebilde, die in der islamischen Welt entstanden sind, wie
die Türkei, Ägypten, Irak und Syrien. Diese Quelle wird als
geschichtliche Quelle bezeichnet.
Soviel zur Zusammenfassung der technischen Bedeutung der beiden
Begriffe Dustur und Qanun. Sie besagt, dass der Staat aus zahlreichen
Quellen, unabhängig davon, ob es sich um gesetzgeberische oder
geschichtliche Quellen handelt, bestimmte Gesetze annimmt und deren
Umsetzung befiehlt. Diese Gesetze werden, nachdem sie durch den
101
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 102
DES ISLAM
Staat übernommen wurden, zur Verfassung, wenn es sich um
allgemeine Gesetze handelt, und zu Gesetzen (Qanun), wenn es sich
um spezielle Gesetze handelt.
Den Muslimen stellt sich nun folgende Frage: Ist es erlaubt, diese
Fachbegriffe zu benutzen oder nicht?
Die Antwort darauf lautet, dass die fremden Fachbegriffe nicht benutzt
werden dürfen, wenn ihre Bedeutung der des Islam widerspricht. Der
Begriff der sozialen Gerechtigkeit etwa bezeichnet ein bestimmtes
System, das sich auf die Garantie von Bildung und medizinischer
Versorgung für die Armen sowie die Gewährleistung der Rechte für
Arbeiter und Angestellte zusammenfassen lässt. Diese Bedeutung
widerspricht aber dem Verständnis des Islam, denn Gerechtigkeit ist
aus islamischer Sicht das Gegenteil von Unterdrückung, und die
Garantie auf Bildung und medizinische Versorgung gilt für alle
Menschen, seien sie reich oder arm. Die Gewährleistung der Rechte für
die Bedürftigen und Schwachen ist ebenfalls ein Recht für alle
Menschen, die die Staatsangehörigkeit des islamischen Staates besitzen,
und zwar ungeachtet der Tatsache, ob sie nun Angestellte, Arbeiter,
Landwirte oder irgend etwas anderes sind oder nicht.
Bezeichnet das Wort aber im Gegenteil dazu einen technischen Begriff,
dessen Bedeutung bei den Muslimen vorhanden ist, ist seine Benutzung
gestattet. Das Wort ”Steuer” etwa bezeichnet das Geld, das zur
Verwaltung des Staates von den Menschen erhoben wird. Da es diesen
Sachverhalt auch im Islam gibt, ist die Benutzung des Wortes 5ara’ib
(Steuern) erlaubt. Genauso verhält es sich mit den Begriffen Dustur und
Qanun. Sie bezeichnen die Annahme bestimmter Gesetze durch den
Staat, welche er den Menschen zur Kenntnìs gibt, zu deren Beachtung
er verpflichtet und nach deren Maßgabe er richtet. Diese Bedeutung ist
bei den Muslimen durchaus vorhanden. Aus diesem Grunde ist nichts
zu finden, was einem Gebrauch der beiden Worte Dustur und Qanun
entgegenstehen würde. Sie bezeichnen die Gesetze, die der Kalif aus
102
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 103
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
den Gesetzen der Sari ca adaptiert. Der Unterschied zwischen der
islamischen Verfassung und den islamischen Gesetzen und den anderen
Gesetzen und Verfassungen besteht darin, dass letztere Sitten,
Gerichtsbeschlüsse und dergleichen als Rechtsquelle heranziehen. Ihr
Ursprung liegt in einer konstitutiven Versammlung, welche die
Verfassung entwirft. Vom Volk gewählte Ausschüsse entwerfen die
Gesetze, weil das Volk nach ihrer Auffassung die Quelle der Autorität
ist und ihm die Souveränität gehört. Die Quelle der islamischen
Verfassung und Gesetze ist aber einzig und allein Kitab (Qur’an) und
Sunna. Ihr Ursprung liegt im Igtihad der Mugtahidun, aus dem der Kalif
bestimmte Gesetze adaptiert, die er erlässt und zu deren Befolgung er
die Menschen verpflichtet. Die Souveränität liegt allein beim
islamischen Gesetz, dem Sarc. Der Igtihad zur Ableitung der Ahkam
sarciyya ist ein Recht für alle Muslime und stellt eine Pflicht der
genügenden Anzahl (Far6 Kifaya) dar. Das Recht, Gesetze zu
adaptieren, liegt allein beim Kalifen.
Soviel zur Erlaubnis, die beiden Begriffe Dustur und Qanun zu
benutzen. Bezüglich der Notwendigkeit zur Adaption von Gesetzen
lässt sich feststellen, dass es für die Muslime von der Zeit Abu Bakrs
bis zum letzten muslimischen Kalifen erforderlich war, bestimmte
Gesetze zu adaptieren, zu deren Umsetzung die Muslime verpflichtet
waren. Diese Adaption erfolgte in bestimmten Gesetzen, und wurde
nicht allgemein für alle Gesetze vorgenommen, mit denen der Staat
regierte. Nur in einigen Epochen gab es eine allgemeine Adaption: Die
Ayyubiten adaptierten die schafiitische Rechtsschule, während der
osmanische Staat die hanafitische annahm.
Fraglich bleibt nun noch, ob die Festlegung einer umfassenden
Verfassung und allgemeiner Gesetze für die Muslime von Nutzen ist?
Die Aufstellung einer umfassenden Verfassung und allgemeiner
Gesetze in allen Rechtsfragen (Ahkam) unterstützt keineswegs
Kreativität und Igtihad. Aus diesem Grunde vermieden es die Muslime
in den ersten Jahrhunderten, der Zeit der 3ahaba (Gefährten des
103
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 104
DES ISLAM
Propheten), der Tabicun (auf die Gefährten folgende Generation) und
Tabic-ut-Tabicin (den Tabicun folgende Generation) , sämtliche Gesetze
durch den Kalifen zu adaptieren. Sie beschränkten dies vielmehr auf
bestimmte Gesetze, deren Adaption für die Aufrechterhaltung der
Einheit der Herrschaft , Gesetzgebung und Verwaltung notwendig war.
Um Kreativität und Igtihad zu begünstigen, ist es am besten, keine
Adaption einer umfassenden Verfassung für alle Gesetze
vorzunehmen, sondern eine Verfassung zu verabschieden, die in
allgemeinen Gesetzen die Form des Staates definiert und den Erhalt
seiner Einheit garantiert. Den Qu6at (Richtern) und Wulat
(Gouverneuren) blieben auf diese Weise Igtihad und Gesetzesableitung
überlassen. Diese Möglichkeit besteht, wenn der Igtihad verbreitet ist
und die Menschen in einem Ausmaß Mugtahidun sind, wie es zur Zeit
der 3ahaba, Tabicun und Tabic-ut-Tabicin der Fall war. Ist aber die
Mehrheit der Menschen Muqallid und findet sich nur eine geringe
Anzahl an Mugtahidun, so muss der Staat notwendigerweise Gesetze
adaptieren, nach denen er die Menschen regiert, sei es durch den
Kalifen, die Wulat oder die Richter. Zeichnen sich die Wulat und
Richter durch einen Mangel an Igtihad und einen unterschiedlichen und
widersprüchlichen Taqlid (Nachahmung) aus, sieht sich ein Regieren
gemäß dem, was Allah offenbart hat, Schwierigkeiten ausgesetzt. Die
Gesetzesadaption findet erst nach dem Studium und der Kenntnis des
Ereignisses und des Dalil statt. Ließe man aber die Wulat und Richter
nach dem regieren, was in ihrer Kenntnis liegt, würde dies zu einer
Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit der Gesetze in einem
einzigen Staat oder sogar einer Region führen, oder sogar dazu, dass
nach etwas anderem regiert wird als dem, was Allah offenbart hat.
Daher ist es, solange die Unwissenheit im Islam den derzeitigen Grad
einnimmt, notwendig für den islamischen Staat, bestimmte Gesetze zu
adaptieren, und zwar in den Mucamalat (Vertrags- und
Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafen), aber nicht in den cIbadat
(Gottesdiensten) und cAqa’id (Glaubensgrundlagen). Diese Adaption
muss allgemein für sämtliche Gesetze sein, damit die Angelegenheiten
des Staates sorgfältig geregelt werden. Sämtliche Angelegenheiten der
104
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 105
DIE
ISLAMISCHE
LEBENSORDNUNG
Muslime müssen gemäß den Gesetzen Allahs geregelt werden. In seiner
Adaption von Gesetzen und seiner Aufstellung von Verfassung und
Gesetzen darf sich der Staat nur an den islamischen Gesetzen
ausrichten. Er darf weder etwas anderes annehmen, noch es überhaupt
studieren. Andere als islamische Gesetze dürfen nicht angenommen
werden, unabhängig davon, ob sie dem Islam entsprechen oder ihm
widersprechen. So wird zum Beispiel keine Verstaatlichung, sondern
ein Gesetz über das öffentliche Eigentum erlassen. Alles, was mit Idee
und Methode (Fikra und 7ariqa) in Verbindung steht, muss daher an
die islamischen Gesetze gebunden sein. Die Gesetze und Systeme, die
nicht mit Idee und Methode verbunden sind, und keine bestimmte
Betrachtungsweise im Leben zum Ausdruck bringen, wie
Verwaltungsgesetze
und
die
Strukturierung
der
Verwaltungsabteilungen, gelten als Mittel und Stil (Wasila und Uslub).
Der Staat kann sie, wie auch Wissenschaften, Industrie und Technik
übernehmen und seine Angelegenheiten nach ihnen ordnen, wie der
zweite Kalif cUmar es tat, als er die Register (Dawawin) von den Persern
übernahm.
Diese verwaltungstechnischen und technologischen Dinge sind weder
Teil der Verfassung, noch der Gesetze der Sari ca. Sie werden auch
nicht in die Verfassung eingefügt. Die Verfassung des islamischen
Staates muss aus islamischen Gesetzen bestehen, d.h., dass seine
Verfassung und seine Gesetze islamisch sein müssen. Die Adaption
jedes Gesetzes muss auf der Grundlage der Stärke des Dalil sarci (des
Rechtsbeweises) unter dem korrekten Verständnis des entstandenen
Problems erfolgen. Folglich muss das Problem zunächst studiert
werden, damit es verstanden wird. Dieses Verständnis ist unabdingbar.
Darauf wird der Rechtsspruch untersucht, der sich auf das betreffende
Problem bezieht. Im folgenden Schritt wird der Dalil (Beweis) des
Rechtsspruches studiert, und das islamische Gesetz wird auf der
Grundlage der Stärke des Dalils adaptiert. Die islamischen Gesetze
werden also entweder der Rechtsansicht eines der Mugtahidun nach
genauem Studium des Dalils und einer Gewissheit über seine Stärke,
105
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 106
DES ISLAM
oder aber aus Kitab, Sunna, Igmac und Qiyas (Analogieschluss) durch
einen rechtlich korrekten Igtihad (Igtihad Sarci) direkt entnommen,
selbst wenn es sich nur um einen Igtihad in einer Detailfrage, einem
Igtihad Mas’ala, handelt. Wenn etwa das Verbot der Versicherung von
Handelsware adaptiert werden soll, ist es notwendig, zunächst den
Sachverhalt genau zu verstehen. Dann werden die Wege der
Eigentumsbildung untersucht, um das Gesetz Allahs den Besitz
betreffend, auf die Versicherung anzuwenden und es zu adaptieren.
Daher ist es notwendig, dass der Verfassung und jedem Gesetz eine
Einleitung vorangeht, die in aller Klarheit die Rechtsschule (Madhab),
welcher jeder Artikel entnommen wurde, sowie den Dalil, auf den er
sich stützt, erkärt.
Andernfalls muss sie den Dalil erklären, aus dem das Gesetz in einem
korrekten Igtihad abgeleitet wurde, damit die Muslime wissen, dass die
Gesetze, welche der Staat in Verfassung und Gesetzbuch adaptiert hat,
rein islamische Gesetze sind, die durch einen korrekten Igtihad abgeleitet
wurden. Die Muslime sind nämlich nur dann zum Gehorsam
demgegenüber verpflichtet, womit der Staat regiert, wenn es sich bei
dem adaptierten Gesetz um ein islamisches Gesetz handelt. Auf dieser
Grundlage adaptiert der Staat islamische Gesetze, aus denen sich
Verfassung und Gesetzbuch konstituieren, um die Staatsbürger des
islamischen Staates damit zu regieren.
Im folgenden stellen wir den Muslimen den Entwurf einer Verfassung
des islamischen Staates vor, wie er in der islamischen Welt entstehen soll,
damit die Muslime sie studieren und für die Errichtung des islamischen
Staates arbeiten, welcher den Aufruf zum Islam in die Welt trägt. Dabei
muss beachtet werden, dass es sich nicht um eine auf eine bestimmte
Region oder ein Land begrenzte Verfassung handelt, sondern für den
islamischen Staat in der gesamten islamischen Welt aufgestellt wurde.
§&&&
106
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 107
VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN
ISLAMISCHEN STAAT
ALLGEMEINE GESETZE
Artikel 1 - Die islamische cAqida ist die Grundlage des Staates. Es darf
nichts in seiner Entität, seinem Apparat oder Rechenschaftsforderung
oder allem, was mit dem Staat verbunden ist, zustandekommen, was
nicht die islamische cAqida zur Grundlage hat. Sie ist zur gleichen Zeit
Grundlage der Verfassung und der Qawanin Sarciyya (islamischen
Gesetze). Es darf nichts geben, das damit in Verbindung steht, und
nicht aus der islamischen cAqida hervorgeht.
Artikel 2 - Dar-ul-Islam stellt das Gebiet dar, in dem die Gesetze des
Islam angewendet werden und in dem die Sicherheit (Aman) durch den
Islam (d.h. allein durch die Kraft der Muslime) gewährleistet ist. Dar-ulKufr ist das Gebiet, in welchem die Systeme des Kufr Anwendung finden
oder die Sicherheit nicht durch den Islam gewährleistet ist.
Artikel 3 - Der Kalif adaptiert bestimmte islamische Rechtsspruche,
die er als Verfassung und Gesetze einführt. Hat er einen Hukm Sarci
(Rechtsspruch) adaptiert, stellt dieser das einzige Gesetz dar, dessen
Befolgung verpflichtend ist. Es ist dadurch zu einem rechtsgültigen
Gesetz geworden, dem jeder Staatsbürger nach innen wie nach außen
Gehorsam zu leisten verpflichtet ist.
Artikel 4 - Der Kalif adaptiert keinen bestimmten Rechtsspruch in den
cIbadat (gottesdienliche Handlungen), ausgenommen in Bereichen der
Zakat und des Gihad, und adaptiert keine der Ideen, die die islamische
cAqida betreffen.
Artikel 5 - All diejenigen, die die Staatsangehörigkeit des islamischen
Staates tragen, genießen alle Rechte und Pflichten, die ihnen seitens der
107
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 108
DES ISLAM
Sari ca zuerkannt werden.
Artikel 6 - Der Staat darf keinerlei Unterscheidung zwischen den
Staatsbürgern bezüglich der Regierungsausübung, der Rechtsprechung,
der Wahrnehmung der Angelegenheiten oder dergleichen vornehmen.
Er muss sie vielmehr ungeachtet ihrer Rasse, Religion, Hautfarbe oder
anderem in gleicher Weise betreuen.
Artikel 7 - Der Staat wendet das islamische Gesetz nach den folgenden
Gesichtspunkten auf alle an, welche die Staatsangehörigkeit des
islamischen Staates besitzen, unabhängig davon, ob es sich um Muslime
oder Nichtmuslime handelt:
a) Alle Gesetze des Islam werden ohne Ausnahme auf die Muslime
angewendet.
b) Es ist den Nichtmuslimen überlassen, welche Überzeugungen sie
annehmen und was sie anbeten.
c) Auf die vom Islam Abtrünnigen (al-Murtaddun) wird das Gesetz der
Aposthasie angewendet, wenn sie selber dem Islam abgeschworen
haben. Handelt es sich aber um Kinder von Aposthaten und wurden sie
als Nichtmuslime geboren, werden sie als Musrikun (Götzendiener)
oder Ahl-ul-Kitab (Juden und Christen), nicht aber als Muslime behandelt.
d) Nichtmuslime werden in Angelegenheiten der Nahrung und
Kleidung im Rahmen dessen, was die islamischen Gesetze erlauben,
gemäß ihren Religionen behandelt.
e) Angelegenheiten der Ehe und Scheidung zwischen Nichtmuslimen
werden gemäß ihren Religionen geregelt, zwischen Nichtmuslimen und
Muslimen aber nach den Gesetzen des Islam.
f) Der Staat wendet alle weiteren islamischen Gesetze und übrigen
Angelegenheiten der islamischen Sari ca von Mucamalat (vertragliche
Beziehungen), cUqubat (Strafrecht), Bayyinat (Beweisführungen), den
Regierungs- Wirtschafts- und anderen Systemen auf alle Bürger an, auf
Muslime wie Nichtmuslime gleichermaßen. Er wendet sie auf
Mucahidun (Bürger von Staaten, mit denen das Kalifat bilaterale
108
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 109
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Verträge abgeschlossen hat) Musta’minun (staatsfremde Personen,
denen das Kalifat Schutz gewährt) und all jene, die sich unter der
Autorität des Islam befinden, genauso an wie auf die eigenen
Staatsbürger mit Ausnahme von Botschaftern, Konsulen, Gesandten
und dergleichen. Für sie gilt diplomatische Immunität.
Artikel 8 - Die arabische Sprache ist allein die Sprache des Islam und
allein die Sprache, derer sich der Staat bedient.
Artikel 9 - Der Igtihad ist ein Far6 Kifaya (Pflicht der genügenden
Anzahl). Jeder Muslim hat das Recht, den Igtihad auszuüben, wenn er
die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt.
Artikel 10 - Alle Muslime tragen die Verantwortung für den Islam. Es
gibt keine Geistlichen im Islam, und der Staat muss jeden Ansatz ihres
Erscheinens verhindern.
Artikel 11 - Das Tragen der islamischen Dacwa ist die Hauptaufgabe
des Staates.
Artikel 12 - Kitab, Sunna, Igmac-u4-3ahaba und Qiyas (Analogieschluss)
stellen die einzigen Rechtsquellen dar, die für die Ahkam sarciyya
berücksichtigt werden.
Artikel 13 - Al-A4lu Bara’at-ud-Dimma, grundsätzlich gilt für jeden die
Unschuldsvermutung. Eine Bestrafung erfolgt nur durch das Urteil
eines Gerichtes. Es ist absolut nicht gestattet, jemanden zu foltern. Wer
derartiges tut, wird bestraft.
Artikel 14 - Alle Handlungen sind grundsätzlich an den Hukm Sarci
(islamischen Rechtsspruch) gebunden. Eine Handlung wird erst nach
Kenntnis des betreffenden Rechtsspruches ausgeführt. Dinge und
Gegenstände sind grundsätzlich erlaubt, solange es keinen Dalil
(Beweis) gibt, der es verbietet.
109
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 110
DES ISLAM
Artikel 15 - Das, was zu Haram (Verbotenem) führt, ist selbst Haram,
vorausgesetzt es führt nach überwiegender Ansicht zu Haram. Besteht
nur die Befürchtung, dass es dazu führen könnte, so ist es nicht Haram.
DAS REGIERUNGSSYSTEM
Artikel 16 - Das Regierungssystem ist ein einheitliches System, nicht
föderativ.
Artikel 17 - Die Regierung ist zentral, die Verwaltung ist dezentral.
Artikel 18 - Die (eigentlichen) Regenten (Hukkam) im Staat sind vier
Personen: Der Kalif, der Mucawin a8-7afwi6 (bevollmächtigte Assistent),
der Wali (Gouverneur) und der cAmil (Vorsteher eines Landkreises). Alle
anderen Personen (welche in der staatlichen Institution Aufgaben
übernehmen) werden nicht als Regenten betrachtet, sondern sind
Beamte.
Artikel 19 - Mit der Regierungsausübung oder jeder damit in
Verbindung stehenden Handlung darf nur ein freier und
rechtschaffener (cAdl) muslimischer Mann beauftragt werden.
Artikel 20 - Die Rechenschaftsforderung von den Regierenden durch
die Muslime ist eines ihrer Rechte und ein Far6 Kifaya für sie. Die
nichtmuslimischen Staatsbürger haben das Recht, Beschwerden über
Ungerechtigkeiten des Regierenden ihnen gegenüber oder eine
fehlerhafte Anwendung der Gesetze des Islam über sie vorzubringen.
Artikel 21 - Die Muslime haben das Recht zur Gründung politischer
Parteien, um die Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen, oder auf
dem Wege der Umma die Regierungsausübung zu erlangen, unter der
Bedingung, dass sie auf der islamischen cAqida basieren, und dass die
110
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 111
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Rechtssprüche, die sie adaptiert haben, islamische Gesetze sind. Die
Gründung der Partei bedarf keinerlei Erlaubnis. Jede Blockbildung, die
nicht auf der Grundlage des Islam basiert, ist verboten.
Artikel 22 - Das Regierungssystem baut auf vier Grundpfeilern auf:
1) Die Souveränität gehört dem Sarc (dem islamischen Recht) und nicht
dem Volk.
2) Die Autorität liegt in der Umma.
3) Die Einsetzung eines einzigen Kalifen ist eine Pflicht für die
Muslime.
4) Der Kalif allein hat das Recht, Ahkam sarciyya (islamische Gesetze)
zu adaptieren. Er ist derjenige, der Dustur (Verfassung) und Qawanin
(die übrigen Gesetze) erlässt.
Artikel 23 - Der Staatsapparat basiert auf acht Säulen. Diese sind:
1) Der Kalif
2) Mucawin at-Tafwi6 (bevollmächtigte Assistent)
3) Mucawin at-Tanfid (Vollzugsassistent)
4) Amir ul-Gihad
5) Qu6at (Richter)
6) Wulat (Gouverneure)
7) Staatliche Dienstbehörden
8) Maglis al-Umma
Der Kalif
Artikel 24 - Der Kalif ist derjenige, der die Umma in der Autorität und
der Ausführung des Rechts vertritt.
Artikel 25 - Das Kalifat ist ein auf Zustimmung und freier Wahl
beruhender Vertrag. Niemand darf zu seiner Annahme gezwungen
werden, noch darf jemand zur Wahl einer Persom gezwungen werden,
der das Kalifat übertragen werden soll.
111
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 112
DES ISLAM
Artikel 26 - Jeder erwachsene Muslim, der im vollen Besitz seiner
Geisteskräfte ist, sei es Mann oder Frau, hat das Recht, den Kalifen zu
wählen und ihm die Baica zu geben. Die Nichtmuslime haben hierzu
kein Recht.
Artikel 27 - Ist der Kalifatsvertrag mit einer Person auf dem Wege der
Einsetzungs-Baica (Baicat-ul-Inciqad) durch diejenigen geschlossen
worden, die sie (rechtmäßig) abschließen können, ist die Baica für die
übrigen eine Gehorsams-Baica (Baicat-u8-7aca), keine Einsetzungs-Baica.
Danach wird jeder, bei dem die Möglichkeit zur Auflehnung besteht,
zur Gehorsams-Baica gezwungen.
Artikel 28 - Niemand wird zum Kalifen, es sei denn, die Muslime
haben ihn dazu beauftragt. Niemand hat die Vollmachten des Kalifats,
es sei denn, dass der Kalifatsvertrag wie jeder andere Vertrag im Islam
nach Maßgabe der Sari ca mit ihm geschlossen wurde.
Artikel 29 - Die Region oder das Land, das dem Kalifen die
Einsetzungs-Baica gibt, muss die Bedingung erfüllen, dass die Autorität
allein bei den Muslimen liegt, und nicht bei irgendeinem ungläubigen
Kufr-Staat. Die Sicherheit (Aman) der Muslime in dieser Region nach
innen wie nach außen muss durch den Islam (d.h. durch die eigene
Kraft der Muslime), nicht durch Kufr gewährleistet sein. Für die bloße
Gehorsams-Baica hingegen, ist dies nicht vorauszusetzen.
Artikel 30 - Derjenige, dem der Kalifatseid geleistet wird, muss
lediglich die Voraussetzungen der Einsetzung erfüllen, auch wenn er
nicht die Vorzugsbedingungen erfüllt, denn das Maßgebliche sind die
Einsetzungsbedingungen.
Artikel 31 - Der Kalif muss sieben Bedingungen erfüllen, damit ihm
rechtmäßig die Regierungsmacht zugeteilt wird: Er muss männlich,
Muslim, frei, geschlechtsreif, im Besitz seiner geistigen Kräfte, cadl
(rechtschaffen) und fähig sein, die Bürde des Kalifats auf sich zu nehmen.
112
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 113
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 32 - Wird das Amt des Kalifats bedingt durch Tod, Abdankung
oder Absetzung des Kalifen frei, muss innerhalb von drei Tagen vom
Datum des Freiwerdens des Amtes an dessen Stelle ein neuer Kalif
ernannt werden.
Artikel 33 - Die Methode zur Ernennung des Kalifen ist folgende:
a) Die muslimischen Mitglieder der Maglis al-Umma grenzen die
Ernennung der Kandidaten für dieses Amt ein, ihre Namen werden
bekannt gegeben, daraufhin werden die Muslime aufgefordert, einen
von ihnen zu wählen.
b) Das Ergebnis der Wahl wird verkündet, und die Muslime werden
darüber in Kenntnis gesetzt, wer die Mehrheit der Wählerstimmen
erreicht hat.
c) Die Muslime geben sofort demjenigen, der die Mehrheit der
Stimmen erlangt hat, die Baica als Kalif der Muslime, auf dass er nach
dem Buch Allahs (Qur’an) und der Sunna des Gesandten Allahs
regiert.
d) Nach Ausführung der Baica wird öffentlich verkündet, wer Kalif der
Muslime geworden ist, damit die Nachricht seiner Ernennung die
Umma in ihrer Gesamtheit erreicht, mit Erwähnung seines Namens
und seiner Person und der Eigenschaften, die er besitzt, und die ihn für
die Einsetzung als Staatsoberhaupt qualifizieren.
Artikel 34 - Es ist die Umma, die den Kalifen ernennt, aber sie besitzt
nicht das Recht zu seiner Absetzung, nachdem der Abschluss seiner
Baica nach Maßgabe der Sari ca vollzogen wurde.
Artikel 35 - Der Kalif ist der Staat, und er verfügt über alle Befugnisse
des Staates. Er besitzt die folgenden Befugnisse:
a) Er ist es, der die islamischen Gesetze rechtsgültig werden lässt, wenn
er sie adaptiert. Sie werden dadurch zu Qawanin (Gesetzen), denen
gegenüber der Gehorsam verpflichtend ist. Ein Verstoß gegen diese
113
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 114
DES ISLAM
Gesetze ist verboten.
b) Er ist in gleicher Weise für die Innen- und Außenpolitik des Staates
verantwortlich, hat die Führung der Armee inne, das Recht zur
Kriegserklärung, zum Abschluss des Friedens und des
Waffenstillstandes sowie aller übrigen Abkommen.
c) Er hat das Recht zur Annahme und Ablehnung ausländischer
Botschafter, sowie zur Ernennnung muslimischer Botschafter und ihrer
Amtsenthebung.
d) Er benennt und entlässt die Mucawinun (Assistenten) und Wulat
(Gouverneure).
Diese sind ihm, wie auch dem Maglis al-Umma gegenüber verantwortlich.
e) Er benennt und entlässt den Qa6i al-Qu6at (Obersten Richter), die
Direktoren der Ämter, die Führer der Armee, die Offiziere der
Divisionen, sie alle sind vor ihm verantwortlich, aber nicht vor dem
Maglis al-Umma.
f) Er adaptiert Ahkam sarciyya (Gestze), nach deren Maßgabe der
Staatshaushalt ausgerichtet wird. Er entscheidet über Abschnitte des
Haushaltes und die für jeden Bereich erforderlichen Mittel, ob es sich
um Einkünfte oder Ausgaben handelt.
Artikel 36 - Der Kalif ist in der Adaption von Ahkam sarciyya
gebunden. Es ist ihm verboten, ein Gesetz zu adaptieren, das nicht
korrekt von den Rechtsquellen abgeleitet wurde. Er ist an das
gebunden, was er an Ahkam (Rechtssprüchen) adaptierte, und wozu er
sich als Methode der Gesetzesableitung verpflichtete. Es ist ihm weder
erlaubt, ein Gesetz zu adaptieren, das gemäß einer Methode abgeleitet
wurde, die der von ihm adaptierten widerspricht, noch ist es ihm
gestattet, einen Befehl zu erteilen, der den von ihm adaptierten Ahkam
widerspricht.
Artikel 37 - Der Kalif hat die absolute Befugnis in der Wahrnehumg
der Angelegenheiten der Staatsbürger gemäß seiner Ansicht und
seinem Igtihad. Es steht ihm zu, alles das an Erlaubtem zu adaptieren,
was er braucht, um die Staatsangelegenheiten zu regeln und die
114
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 115
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Angelegenheiten des Volkes wahrzunehmen. Es ist ihm nicht gestattet,
irgendeinem Hukm Sarci unter dem Vorwand der Ma4laha (des
Nutzens, des Interesses) zuwider zu handeln. So wird z.B. keiner
Familie verboten, unter dem Vorwand der Nahrungsmittelknappheit
mehr als ein Kind auf die Welt zu bringen. Ebensowenig dürfen unter
dem Vorwand, die Ausbeutung zu verbieten, Preise festgelegt werden,
oder ein Kafir oder eine Frau zum Wali ernannt werden unter dem
Vorwand der Wahrnehmung der Angelegenheiten oder der Ma4laha,
oder dergleichen, was den Gesetzen des Islam widerspricht. Denn es ist
weder gestattet, das Erlaubte zu verbieten, noch das Verbotene zu
erlauben.
Artikel 38 - Der Kalif hat keine begrenzte Amtszeit. Befolgt der Kalif
die Sari ca und setzt ihre Gesetze um, und ist er in der Lage, die
Staatsangelegenheiten auszuüben, bleibt er Kalif, solange sich sein
Zustand nicht dergestalt ändert, dass er die Bedingungen des Kalifats
nicht mehr erfüllt. In diesem Fall ist seine Absetzung verpflichtend.
Artikel 39 - Der Eintritt von Veränderungen in drei Fällen enthebt den
Kalifen seines Amtes:
1 - Wenn eine der Bedingungen zur Einsetzung des Kalifen nicht erfüllt
sind, wenn er etwa vom Islam abtrünnig wird, offensichtlich frevelhaft
wird, seinen Verstand verliert oder dergleichen. Denn bei diesen
Bedingungen handelt es sich um die Bedingungen der Amtseinsetzung,
und sie müssen dauerhaft erfüllt sein.
2 - Wenn er aus irgendeinem Grund unfähig ist, die Verantwortlichkeiten
des Kalifats auszuführen.
3 - Wenn er unter Zwang steht und unfähig ist, die Angelegenheiten
der Muslime nach seiner Meinung im Einklang mit der Sari ca
auszuführen. Sollte er dergestalt überwältigt werden, dass er
unfähig wird, die Angelegenheiten der Staatsbürger nach seiner
Meinung in Übereinstimmung mit der Sari ca wahrzunehmen, gilt
er als faktisch unfähig, die Aufgaben des Staates auszuüben und
wird aus diesem Grunde nicht mehr als Kalif betrachtet. Dies
115
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 116
DES ISLAM
könnte in zwei Fällen eintreten:
Erstens: dass er durch eine oder mehrere Personen seiner Gefolgschaft
dermaßen beeinflusst wird, dass diese allein die Staatsangelegenheiten
in die Hand nehmen. Besteht Hoffnung zur Befreiung aus ihrer
Kontrolle, wird ihm eine bestimmte Frist gesetzt. Sollte ihre Kontrolle
danach nicht behoben werden, erfolgt die Absetzung.
Besteht keine Hoffnung zur Beendigung dieses Zustandes, erfolgt die
Absetzung auf der Stelle.
Zweitens: Der Kalif wird von einem Feind überwältigt und gerät in
seine Gefangenschaft, sei es durch seine faktische Gefangennahme, sei
es, dass er unter den Einfluss des Feindes fällt. In diesem Fall wird
untersucht: Besteht Hoffnung auf Beendigung des Zustandes, wird
eine Frist gewährt, bis keine Hoffnung mehr auf eine Beendigung diese
Zustandes besteht. Dann erfolgt seine Absetzung. Besteht keine
Hoffnung auf eine Beendigung, wird er unverzüglich abgesetzt.
Artikel 40 - Allein das Mazalim-Gericht hat das Recht, festzulegen, ob
eine Veränderung im Zustand des Kalifen eingetreten ist, und zu
entscheiden, ob ihn dieser Zustand des Kalifats enthebt oder nicht.
Dieses Gericht allein besitzt die Befugnis zu seiner Absetzung oder
Verwarnung.
M U CAW I N A T - T A F W I5
Artikel 41 - Der Kalif bestimmt einen Mucawin Tafwi6
(Bevollmächtigten Assistenten), der die Verantwortlichkeit der
Regierung trägt. Er erteilt ihm die Vollmacht zur Regelung der
Angelegenheiten nach seiner Meinung und zu ihrer Durchführung
nach seinem Igtihad.
Artikel 42 - Für den Mucawin at-Tafwi6 gelten dieselben Bedingungen
116
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 117
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
wie für den Kalifen, nämlich dass er männlich, frei, Muslim,
geschlechtsreif, im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten und cadl sein
muss. Darüber hinaus gilt für ihn die Bedingung, dass er für die
Aufgaben, die man ihm überträgt, kompetent sein muss.
Artikel 43 - Die Übertragung der Vollmacht an den Mucawin at-Tafwi6
muss sich durch zwei Dinge auszeichnen, und zwar erstens allgemeine
Befugnisse und zweitens Stellvertretung. Aus diesem Grund muss der
Kalif ihm sagen: ”Ich habe dich mit meiner Stellvertretung beauftragt”,
oder in anderen Begriffen dieselbe Bedeutung ausdrücken, die die
allgemeinen Befugnisse und die Stellvertretung umfassen. Findet die
Amtseinsetzung nicht unter diesem Gesichtspunkt statt, handelt es sich
nicht um einen Mucawin, und er besitzt nur die Vollmachten eines
Mucawin Tafwi6, wenn seine Amtsernennung unter diesem
Gesichtspunkt stattfand.
Artikel 44 - Die Aufgabe des Mucawin at-Tafwi6 besteht darin, den
Kalifen darüber zu informieren, was er angeordnet hat, und was er an
Verpflichtungen und übertragenen Aufgaben umgesetzt hat, damit er
in seinen Vollmachten dem Kalifen nicht gleicht. Es ist seine Aufgabe,
den Kalifen zu informieren und das auszuführen, was ihm befohlen
wurde.
Artikel 45 - Der Kalif muss die Handlungen des Mucawin Tafwid, und
seine Ausführung der Angelegenheiten prüfen, um das Richtige davon
zu bestätigen und das Fehlerhafte zu berichtigen, denn die Ausführung
der Angelegenheiten der Umma ist dem Kalifen übertragen, und wird
gemäß dessen Igtihad ausgeführt.
Artikel 46 - Hat der Mucawin at-Tafwi6 eine Angelegenheit geplant, die
der Kalif bestätigt hat, so ist es dessen Aufgabe, sie so auszuführen, wie
der Kalif sie bestätigt hat, ohne etwas hinzuzufügen oder zu
verringern. Wenn der Kalif die Angelegenheit überprüft und dem
Mucawin at-Tafwi6 in dessen Ausführung widerspricht, erfolgt eine
117
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 118
DES ISLAM
Untersuchung. Geht es um ein Gesetz, das korrekt angewendet wurde,
oder um Geld, das korrekt verwendet wurde, ist die Ansicht des
Mucawin rechtsgültig, weil es sich dabei ursprünglich um die Ansicht
des Kalifen handelt, und dieser nicht das Recht hat, Gesetze, die er
umgesetzt hat und Gelder, die er ausgegeben hat, zurückzunehmen.
Handelt es sich bei dem, was der Mucawin ausgeführt hat, um etwas
anderes wie um die Ernennung eines Wali oder die Ausrüstung der
Armee, ist es dem Kalifen gestattet, dem Mucawin zu widersprechen. In
diesem Fall ist die Ansicht des Kalifen die geltende und die Handlung
des Mucawin wird aufgehoben, denn der Kalif besitzt das Recht, das zu
revidieren, was er selber macht und folglich das, was sein Mucawin
gemacht hat.
Artikel 47 - Der Mucawin at-Tafwi6 ist nicht auf ein Amt oder ein
bestimmtes Aufgabengebiet spezialisiert, denn seine Befugnis (Wilaya)
hat
allgemeinen
Charakter.
Ebenso
führt
er
keine
Verwaltungshandlungen aus, sondern hat die allgemeine Aufsicht über
den Verwaltungsapparat.
M U CA W I N A T - T A N F ID
Artikel 48 - Der Kalif ernennt einen Mucawin Tanfid
(Vollzugsassistenten). Seine Tätigkeit ist Teil der Verwaltungstätigkeiten,
und gehört nicht zur Regierungsausübung. Er führt aus, was vom Kalifen
in den inneren wie äußeren Angelegenheiten erlassen wird, und
unterrichtet den Kalifen davon, was ihm in diesen Bereichen zugetragen
wird. Es handelt sich also um einen Mittler zwischen dem Kalifen und
den anderen Institutionen, der seine Anweisungen weitergibt und ihm
die Rückmeldungen zuführt.
Artikel 49 - Der Mucawin at-Tanfid muss Muslim sein, weil er zu den
Vertrauten des Kalifen zählt.
118
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 119
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 50 - Der Mucawin at-Tanfid steht in unmittelbarer Verbindung
zum Kalifen, wie der Mucawin at-Tafwi6, wird aber als Assistent im
Vollzug betrachtet, nicht jedoch in der Regierungsausübung selbst.
AMIR-UL-GIHAD
Artikel 51 - Das Amt des Amir-ul-Gihad umfasst vier Ressorts, die er
beaufsichtigt und verwaltet: Die Außenbeziehungen, Kriegsangelegenheiten,
die Innere Sicherheit und die Industrie.
Artikel 52 - Der Bereich der äußeren Angelegenheiten befasst sich mit
den auswärtigen Angelegenheiten, die sich auf die Beziehung des
Kalifats zu fremden Staaten beziehen, welcher Art diese
Angelegenheiten auch sind.
Artikel 53 - Der Bereich der Kriegsangelegenheiten befasst sich mit
allen Angelegenheiten, die mit den Streitkräften in Verbindung stehen,
sei es mit der Armee, der Polizei, Kriegsmaterial, Kriegslogistik,
Kriegsausrüstung und dergleichen. Dazu gehören auch die
militärischen Akademien, Militärmissionen, und alles was von der
islamischen Kultur und der allgemeinen Kultur für die Armee
notwendig ist, sowie alles, was sich auf den Krieg und die
Kriegsvorbereitung bezieht.
Artikel 54 - Der Bereich der Inneren Sicherheit umfasst die Verwaltung
all dessen, was mit der inneren Sicherheit in Zusammenhang steht. Er
umfasst die Bewahrung der Sicherheit im Lande mittels der Streitkräfte,
wobei die Polizei das Hauptmittel zur Bewahrung der Sicherheit
darstellt.
Artikel 55 - Der Bereich der Industrie befasst sich mit allen auf die
Industrie bezogenen Angelegenheiten, gleich, ob es sich um die
119
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 120
DES ISLAM
Schwerindustrie handelt, wie die Maschinen- und Motorenindustrie,
und die Transportmittelindustrie, die Materialherstellung und die
Elektroindustrie, oder ob es sich um Leichtindustrie handelt, und
unabhängig davon, ob die Fabriken zum öffentlichen Eigentum zählen
oder im Privatbesitz sind, wenn es eine Verbindung zur Kriegsindustrie
gibt. Alle Arten von Produktionsstätten müssen auf der Grundlage der
Kriegspolitik errichtet werden.
DIE ARMEE
Artikel 56 - Der Gihad ist eine Verpflichtung für die Muslime.
Militärdienst ist für jeden muslimischen Mann, der das Alter von 15
Jahren erreicht hat, vorgeschrieben. Er muss den Militärdienst als
Vorbereitung zum G ih a d ableisten. Was den Eintritt als
Berufssoldat in die Armee betrifft, so handelt es sich um einen Far6
Kifaya.
Artikel 57 - Die Armee besteht aus zwei Teilen, den Reservisten,
zu dem alle diejenigen Muslime gehören, die zum Dienst an der
Waffe fähig sind, und dem Aktiven Heer. Diesem ist eine feste
Besoldung im Staatshaushalt vorbehalten wie den Beamten.
Artikel 58 - Die Sreitkräfte bilden eine Einheit, und zwar die
Armee. Aus ihr werden bestimmte Divisionen ausgewählt, die eine
gesonderte Organisation und eine bestimmte Bildung erhalten, dies
ist die Polizei.
Artikel 59 - Der Polizei wird der Schutz der Ordnung und die
Wahrung der inneren Sicherheit sowie die Ausübung sämtlicher
Aspekte der Exekutive übertragen.
Artikel 60 - Die Armee erhält Banner und Flaggen. Der Kalif übergibt
demjenigen das Banner, den er als Oberbefehlshaber über die Armee
120
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 121
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
ernennt. Die Flaggen werden durch die Divisionskommandeure
eingeführt.
Artikel 61 - Der Kalif ist der Befehlshaber der Armee, er ernennt
den Generalstabschef, einen Amir für jede Brigade und einen
Kommandanten für jede Division. Die übrigen Einheiten der
Ränge der Armee werden durch die Kommandanten und Generäle
ernannt. Die Ernennnung der Person in den Generalstab erfolgt
auf Grundlage des Grades seiner Militärkultur und wird durch den
Generalstabschef vorgenommen.
Artikel 62 - Die Armee bildet eine geschlossene Einheit, die in
bestimmten Militärlager stationiert ist. Einige dieser Lager müssen
in den verschiedenen Wilayat (Provinzen) und in strategisch
wichtigen Punkten stationiert sein, während andere ständig mobil
und kampfbereit sein müssen. Die Lager werden in mehreren
Gruppen organisiert, von denen jede einen Namen ”Armee” und
eine Nummer erhält. So werden die Armeen etwa als erste und
dritte Armee oder nach dem Namen der Wilaya (Provinz) oder der
cImala (Distrikt) bezeichnet.
Artikel 63 - Die Armee muss das höchstmögliche Niveau an
militärischer Ausbildung erhalten. Ebenso muss das intellektuelle
Niveau so weit wie möglich gehoben werden. Jede Person in der
Armee muss mit der islamischen Geistesbildung kultiviert werden,
die es ihr ermöglicht, ein Bewusstsein über den Islam zu haben,
auch wenn es nur allgemeiner Natur ist.
Artikel 64 - Auf jeder Militärbasis muss es eine ausreichende
Anzahl von Stabsoffizieren geben, die einen hohen militärischen
Kenntnisstand und Erfahrung im Entwerfen von Plänen und dem
Führen von Schlachten haben. Die Armee im allgemeinen sollte
eine möglichst große Anzahl von Stabsoffizieren haben.
121
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 122
DES ISLAM
Artikel 65 - Die Armee muss mit allem, was sie an Waffen,
Ausrüstungen, und Ausstattung und notwendigen Dingen braucht,
ausgestattet werden, die es ihr ermöglichen, ihre Aufgaben als
islamische Armee wahrzunehmen.
DAS GERICHTSWESEN
( AL-QA 5A’ )
Artikel 66 -Das Gerichtsurteil stellt die verpflichtende Verkündung des
islamischen Rechtsspruchs dar. Es regelt die Rechtsstreitigkeiten
zwischen den Menschen, verbietet, was dem Recht der Gemeinschaft
schadet oder beseitigt vorfallende Streitigkeiten zwischen den
Menschen und irgendeiner Person des Regierungsapparates, sei sie
Regierender oder Beamter, der Kalif oder jemand, der hierarchisch
unter ihm steht.
Artikel 67 - Der Kalif bestimmt einen obersten Richter (Qa6i alQu6at), unter den erwachsenen, freien, muslimischen, geistig
zurechnungsfähigen und rechtschaffenen Männern unter den
Rechtsgelehrten (Ahl al-Fiqh). Dieser hat die Vollmacht zur Ernennung
der Richter, ihrer Disziplinierung und Absetzung im Rahmen der
Verwaltungsgesetze. Die übrigen Beamten der Gerichte sind an den
Amtsleiter gebunden, der mit der Verwaltung der Angelegenheiten der
Gerichte betraut ist.
Artikel 68 - Es gibt drei Arten von Richtern. Der erste ist der Qa6i, der
mit der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten betraut ist, die zwischen
den Menschen in den Mucamalat (Vertrags- und Geschäftsbeziehungen)
und cUqubat (Strafrecht) vorfallen. Der zweite ist der Muhtasib, der mit
der Entscheidung in den Muhalafat (Ordnungswidrigkeiten) beauftragt
ist, welche das Recht der Gemeinschaft beeinträchrigen. Der dritte ist
der Qa6i al-Mazalim, dessen Aufgabe in der Beseitigung eines zwischen
den Menschen und dem Staat aufkommenden Streites besteht.
122
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 123
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 69 - Derjenige, der mit dem Richteramt beauftragt wird, muss
folgende Bedingungen erfüllen: Er muss Muslim, frei, erwachsen, im
Besitz seiner geistigen Kräfte, cadl, Faqih (Rechtsgelehrter) sein und die
Ahkam (Gesetze) auf die jeweiligen Situationen anwenden können.
Derjeinige, der mit dem Richteramt der Mazalim beauftragt wird, muss
darüber hinaus als Bedingung männlich und Mugtahid sein.
Artikel 70 - Der Qa6i und der Muhtasib dürfen dazu ernannt
werden, in allen Rechtsfällen im gesamten Land zu urteilen. Sie
können auch für auf einen Ort oder auf gewisse Arten der
Rechtssprechung begrenztes Tätigkeitsfeld ernannt weden. Der
Qa6i al-Mazalim darf nur für eine allgemeine Ausübung der
Rechtssprechung ernannt werden, während es bezüglich des
örtlichen Tätigkeitsfeldes erlaubt ist, ihn entweder für alle
Regionen des Landes oder nur für eine Region zu ernennen.
Artikel 71 - Das Gericht darf nur aus einem Richter bestehen, der die
Befugnis zur Entscheidung und Urteilsfällung hat. Es darf noch einen
oder mehrere andere Richter an seiner Seite geben, die aber keine
Befugnis zur Urteilsfällung haben, sondern lediglich die Befugnis zur
Beratung und zum Geben ihrer Ansicht. Diese ist jedoch nicht bindend
für ihn.
Artikel 72 - Der Qa6i darf nur in einer Gerichtssitzung Urteile fällen,
Beweise und Eide werden nur dort berücksichtigt.
Artikel 73 - Es darf mehrere Stufen von Gerichten für verschiedene
Arten von Rechtsfällen geben. Einige Richter dürfen speziell bis zu
einer bestimmten Grenze mit bestimmten Rechtsfällen beauftragt
werden, während die anderen Rechtsfälle an andere Gerichte
weitergeleitet werden können.
Artikel 74 - Es gibt keine Wiederaufnahmegerichte oder
Revisionsgerichte (höhere Instanzen), denn die Richter stehen bezüglich
123
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 124
DES ISLAM
ihrer Entscheidung in einer Rechtsfrage auf einer Stufe. Hat ein Qa6i
ein Rechtsurteil gefällt, so ist es rechtskräftig gültig, und absolut nicht
durch das Urteil eines anderen Qa6i aufzuheben.
Artikel 75 - Der Muhtasib ist der Richter, der sämtliche Rechtsfälle
untersucht, bei denen es um Rechte der Allgemeinheit geht, in denen
es keinen Ankläger gibt. Bedingung ist allerdings, dass sie nicht Teil der
Hudud (von Allah festgelegte Strafen) und Ginayat
(Körperverletzungen) sind.
Artikel 76 - Der Muhtasib kann ein Urteil in einer Ordnungswidrigkeit
fällen, sobald er Wissen darüber erlangt. Die Urteilsverkündung kann
an jedem Ort ohne Notwendigkeit eines Gerichts ergehen. Dem
Muhtasib unterstehen eine Anzahl von Polizisten, um seine Befehle
auszuführen, und sein Urteil auf der Stelle umzusetzen.
Artikel 77 - Der Muhtasib hat das Recht, Stellvertreter für sich
auszuwählen, die die Bedingungen des Muhtasib-Amtes erfüllen. Er
verteilt sie auf verschiedene Posten, wobei diese Stellvertreter die
Vollmacht haben, das Amt des Muhtasib in der Region oder dem Ort,
für den sie ernannt wurden, in den dort vorfallenden
Rechtsangelegenheiten auszuüben.
Artikel 78 - Der Qa6i al-Mazalim ist ein Richter, der zur Beseitigung
jeder vom Staat oder einem seiner Vertreter ausgehenden
Ungerechtigkeit ernannt wird, die irgendeiner unter der Staatsmacht
lebenden Person widerfährt, unabhängig davon, ob sie zu den
Staatsbürgern gehört oder nicht, und unabhängig davon, ob diese
Ungerechtigkeit vom Kalifen oder einem anderen Regierenden oder
Beamten ausging.
Artikel 79 - Der Qa6i al-Mazalim wird durch den Kalifen oder vom
Qa6i al-Qu6at ernannt. Seine Rechenschaftsabgabe, seine
Disziplinierung und Absetzung erfolgt durch den Kalifen oder durch
124
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 125
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
das Mazalim-Gericht, wenn der Kalif diesem die entsprechende
Vollmacht erteilt hat. Seine Absetzung ist nicht gestattet, wenn er mit
der Untersuchung einer Ungerechtigkeitsbeschwerde gegen den
Kalifen, den Mucawin at-Tafwi6, oder den Qa6i al-Qu6at befasst ist.
Artikel 80 - Das Amt des Qa6i al-Mazalim ist nicht auf eine oder
mehrere Personen begrenzt. Das Staatsoberhaupt ernennt vielmehr
eine Anzahl von Mazalim-Richtern, gemäß dem, was zur Klärung der
Ungerechtigkeitsbeschwerden erforderlich ist, wie groß ihre Anzahl
auch sein mag. Bei der Ausübung der Rechtsprechung hat aber nur ein
einziger Richter die Vollmacht zur Urteilsfällung. Es ist zulässig, dass
eine Anzahl von Mazalim-Richtern ihm während der
Gerichtsverhandlung beisitzt, aber sie haben lediglich die Befugnis zur
Beratung. Der Qa6i al-Mazalim ist nicht dazu verpflichtet, ihre
Meinung anzunehmen.
Artikel 81 - Das Mazalim-Gericht (Mahkamat-ul-Mazalim) hat das
Recht zur Absetzung jedes Regierenden oder Beamten im Staat, wie es
auch das Recht zur Absetzung des Kalifen hat.
Artikel 82 - Das Mazalim-Gericht hat die Vollmacht, jede Beschwerde
zu untersuchen, ob sie mit Personen aus dem Staatsapparat in
Verbindung steht, sich auf einen Verstoß des Kalifen gegen die
islamischen Gesetze bezieht, oder mit dem Inhalt eines der
Gesetzestexte in Dustur (Verfassung) und Qanun (Gesetzbuch) und den
übrigen Gesetzen in Verbindung steht, die durch das Staatsoberhaupt
adaptiert wurden, oder ob sie sich auf eine Steuererhebung oder
dergleichen bezieht.
Artikel 83 - Eine Gerichtssitzung ist ebensowenig Bedingung für das
Mazalim-Gericht, wie die Vorladung des Angeklagten oder die Existenz
eines Klägers. Das Mazalim-Gericht hat vielmehr ein Recht zur
Untersuchung einer Ungerechtigkeit, auch wenn niemand eine
Beschwerde vorgebracht hat.
125
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 126
DES ISLAM
Artikel 84 - Jeder Mensch hat das Recht, in einer Rechtsstreitigkeit oder
einem Verteidigungsfall vertreten zu werden, von wem er will, ob er
Muslim oder Nichtmuslim ist, Mann oder Frau. Es gibt hier keinen
Unterschied zwischen dem Wakil (Vertreter) und dem Muwakkil
(Vertretetem). Es ist dem Wakil gestattet, eine Entlohnung zu
beanspruchen, und der Muwakkil hat die Pflicht, ihm diese gemäß ihrer
Übereinkunft zu bezahlen.
Artikel 85 - Es ist der Person, die Befugnisse zu einer bestimmten
Tätigkeit besitzt, wie dem Wa4iyy (Vormund) und dem Waliyy
(Vormund in familiärem Bunde), oder zu allgemeinen Tätigkeiten, wie
dem Kalifen, den Regierenden oder Beamten, oder auch dem Qa6i alMazalim und dem Muhtasib erlaubt, sich in einem Prozess oder einer
Verteidigung durch eine bevollmächtigte Person vertreten zu lassen.
Dies ist nur möglich für die jeweilige Befugnis als Wa4iyy oder Waliyy,
als Staatsoberhaupt, Regierender oder Beamter, als Qa6i al-Mazalim
oder Muhtasib. Es ist hier unerheblich, ob diese Person Kläger oder
Angeklagter ist.
DIE GOUVERNEURE
AL-WULAT
Artikel 86 - Das Land, welches der Staat regiert, wird in Einheiten
unterteilt. Jede Einheit wird als Wilaya (Provinz) bezeichnet. Jede
Wilaya wird wiederum in Einheiten unterteilt, die als cImala (Distrikt,
Landkreis) bezeichnet werden. Derjenige, dem die Leitung einer Wilaya
übertragen wird, wird als Wali oder Amir bezeichnet, während man
denjenigen, dem eine cImala unterstellt ist, als cAmil oder Hakim
bezeichnet.
Artikel 87 - Die Wulat (Gouverneure) werden durch den Kalifen
ernannt. Die cUmmal werden durch den Kalifen und die Wulat ernannt,
wenn diese dazu ermächtigt wurden. Für die Wulat und cUmmal gelten
126
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 127
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
dieselben Bedingungen wie für die Mucawinun, d.h. sie müssen freie,
muslimische, erwachsene, geistig zurechnungsfähige Männer sein, die
cadl sind. Sie müssen fähig sein, die Aufgaben auszuführen, mit denen
sie beauftragt wurden. Sie sollen unter den gottesfürchtigen und
durchsetzungskräftigen Personen ausgewählt werden.
Artikel 88 - Der Wali hat in seiner Wilaya stellvertretend für den
Kalifen die Vollmacht zur Regierung und Kontrolle der Tätigkeiten der
Verwaltungsdistrikte. Er besitzt in seiner Wilaya sämtliche
Vollmachten, über die der Mucawin at-Tafwi6 im Staat verfügt. Er besitzt
die Imara (Befehlsgewalt) über die Bevölkerung seiner Wilaya, und die
Kontrolle über alles, was mit der Wilaya verbunden ist, bis auf die
Staatsfinanzen, das Gerichtswesen und die Armee. Die Polizei
unterliegt seiner Befehlsgewalt in Bezug auf die Ausführung, nicht in
Bezug auf die Verwaltung.
Artikel 89 - Der Wali ist nicht zur Unterrichtung des Kalifen
darüber verpflichtet, was sich in seiner Tätigkeit nach den
Erfordernissen seiner Befehlsgewalt ereignet hat, es sei denn auf
freiwilliger Basis. Ereignet sich etwas Neues, mit dem er noch nicht
beauftragt wurde, bringt er es dem Kalifen zur Kenntnis und handelt
darauf nach dessen Befehl. Befürchtet er, dass die Angelegenheit
durch Abwarten außer Kontrolle gerät, handelt er zuerst und
informiert den Kalifen danach über die Angelegenheit unter
Anführung des Grundes, aus dem er ihn nicht vor der Ausführung
der Handlung informiert hat.
Artikel 90 - In jeder Wilaya gibt es einen von der Bevölkerung
gewählten Maglis, dem der Wali vorsteht. Dieser Maglis hat die Befugnis,
an der Meinungsbildung und den Verwaltungsangelegenheiten, nicht
aber an Regierungsangelegenheiten mitzuwirken. Seine Meinung ist
nicht bindend für den Wali.
Artikel 91 - Die Amtszeit einer Person in der Wilaya soll nicht zu lang
127
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 128
DES ISLAM
sein, sie soll ihrer Wilaya enthoben werden, sobald sie eine zu starke
Machtposition im Land erlangt, oder ihre Persönlichkeit zu viel
Anziehungskraft auf die Menschen ausübt.
Artikel 92 - Der Wali wird nicht von einer Wilaya zur anderen versetzt,
weil seine Ernennung allgemeiner Verantwortung unterliegt und örtlich
begrenzt ist. Er wird abgesetzt und erneut ernannt.
Artikel 93 - Der Wali wird abgesetzt, wenn der Kalif dies für richtig
hält, oder wenn der Maglis-ul-Umma – mit oder ohne Anführung eines
Grundes – seine mangelnde Zufriedenheit mit ihm ausdrückt, oder die
Mehrheit der Bewohner seiner Wilaya mit ihm unzufrieden ist. Seine
Absetzung erfolgt durch den Kalifen.
Artikel 94 - Dem Kalifen obliegt es, die Handlungen der Wulat zu
untersuchen, sie streng zu kontrollieren, und jemanden zu ernennen,
der ihn in der Untersuchung ihrer Umstände vertritt. Er muss sie
inspizieren, und alle oder einen Teil von ihnen von Zeit zu Zeit zu
versammeln, und die Beschwerden des Volkes über sie anhören.
STAATLICHE DIENSTBEHÖRDEN
Artikel 95 - Die Verwaltung der Staatsangelegenheiten und der
Interessen der Menschen werden durch Dienstbehörden, Ämter und
Verwaltungsstellen übernommen, welche die Staatsangelegenheiten
wahrnehmen und den Interessen der Menschen nachkommen.
Artikel 96 - Die Administrationspolitik der Dienstbehörden, Ämter
und Verwaltungsstellen besteht in der Einfachheit des Systems, der
Schnelligkeit der Ausführung der Aufgaben und der Kompetenz
derjenigen, die mit der Verwaltung betraut sind.
Artikel 97 - Jeder Inhaber der Staatsangehörigkeit, der die Kompetenz
128
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 129
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
dazu besitzt, sei es Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim, kann
zum Direktor jeder beliebigen Dienstbehörde oder Verwaltungsstelle
ernannt werden und Beamter darin sein.
Artikel 98 - Für jede Dienstbehörde wird ein Generaldirektor ernannt,
für jedes Amt und jede Verwaltungsstelle ein Direktor, der mit ihrer
Leitung beauftragt und direkt für sie verantwortlich ist. Diese
Direktoren sind bezüglich ihrer Tätigkeit demjenigen gegenüber
verantwortlich, der mit der obersten Leitung ihrer Dienstbehörden,
Ämter oder Verwaltungsstellen betraut ist. Bezüglich der Einhaltung
der Gesetze und allgemeinen Systeme sind sie vor dem Wali bzw. dem
c
Amil
verantwortlich.
Artikel 99 - Die Direktoren aller Dienstbehörden, Ämter und
Verwaltungsstellen werden nur wegen eines Grundes im Sinne der
Verwaltungsordnung abgesetzt. Gestattet ist aber ihre Versetzung von
einer Tätgkeit zu einer anderen und ihre Suspendierung. Ihre
Ernennung, Versetzung, Suspendierung, Bestrafung und Absetzung
erfolgt durch die, den entsprechenden Dienstbehörden, Ämtern oder
Verwaltungsstellen vorstehenden Leitern.
Artikel 100 - Die Ernennung, Versetzung, Suspendierung, Bestrafung
und Absetzung der Beamten, die nicht Direktoren sind, wird von der
den Dienstbehörden, Ämtern oder Verwaltungsstellen übergeordneten
Behörde vorgenommen.
DER MAGLIS AL-UMMA
Artikel 101 - Die Personen, welche die Muslime in der Darlegung
ihrer Meinung vertreten, damit der Kalif sie konsultieren kann,
bilden den Maglis al-Umma. Den Nichtmuslimen ist es gestattet, im
Ma glis al-Umma vertreten zu sein, um Beschwerden über
Ungerechtigkeiten der Regierenden oder eine fehlerhafte
129
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 130
DES ISLAM
Anwendung der Gesetze des Islam vorzubringen.
Artikel 102 - Die Mitglieder des Maglis al-Umma werden gewählt.
Artikel 103 - Jeder, der die Staatsangehörigkeit besitzt, volljährig und
im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, hat das Recht, Mitglied im
Maglis al-Umma zu sein, Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim.
Die Mitgliedschaft der Nichmuslime ist allerdings darauf begrenzt,
Beschwerden über die Ungerechtigkeit der Regierenden oder eine
mangelhafte Anwendung des Islam vorzubringen.
Artikel 104 - Unter Sura versteht man das Einholen einer Meinung
überhaupt. Sie ist dann verbindlich, wenn sie in Fragestellungen
eingeholt wird, die Tätigkeiten nach sich ziehen. Dazu gehören nicht
Gesetzgebung, Definitionen, intellektuelle Fragen wie das Aufdecken
von Tatsachen, sowie fachspezifische und wissenschaftliche
Angelegenheiten.
Artikel 105 - Die Sura ist ein Recht der Muslime. Die Nichtmuslime
haben kein Recht auf Sura, wobei aber das Vorbringen der Meinung
allen Staatsbürgern gestattet ist, seien es Muslime oder Nichtmuslime.
Artikel 106 - In jenen Fragestellungen, die Tätigkeiten nach sich ziehen
und denen die Meinung des Maglis al-Umma eingeholt wurde, ist die
Meinung der Mehrheit bindend, abgesehen davon, ob sie als richtig
oder falsch angesehen wird. In allen anderen Fragen, die unter Sura
fallen, wird nach der Wahrheit gesucht, abgesehen von jeglichen
Mehrheits- oder Minderheitsverhältnissen.
Artikel 107 - Der Maglis al-Umma hat vier Befugnisse:
Erstens:
a) Einsichtnahme in alle Angelegenheiten, die ihm seitens des Kalifen
vorgelegt werden und diesbezügliche Meinungsäußerung. Wenn es sich
130
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 131
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
dabei um praktische Angelegenheiten und Tätigkeiten handelt, die
keine tiefgründige Betrachtung erfordern, wie Bereiche der
Innenpolitik, zB (bürgernahe) Regierungsangelegenheiten, Erziehungsund Gesundheitswesen, Handel, Industrie, Landwirtschaft und
ähnliches, ist die Meinung des Maglis al-Umma für den Kalifen bindend.
Handelt es sich bei den Angelegenheiten, die ihm vom Kalifen
vorgelegt werden, um gesetzgeberische, intellektuelle oder
fachspezifische Fragen, oder um Fragen der Definition (die
Spezialwissen erfordern), ist seine Meinung für den Kalifen nicht
bindend.
b) Der Maglis al-Umma hat das Recht, über alle Handlungen, die im
Staat ausgeführt werden, gleichgültig, ob es sich um innere oder äußere
Angelegenheiten, Angelegenheiten des Finanzwesens oder der Armee
handelt, die Rechenschaftsablegung zu fordern. Die Meinung des
Maglis al-Umma ist dabei verbindlich, wenn sie nicht dem islamischen
Gesetz (Sarc) widerspricht. Sind sich Maglis al-Umma und die
Regierenden aus Sicht der Sari ca uneins, entscheidet in dieser
Angelegenheit die Meinung des Mazalim-Gerichts.
Zweitens:
Der Maglis al-Umma hat das Recht, seine Unzufriedenheit mit den
Wulat (Gouverneuren) und Mucawinun (Assistenten) darzulegen. Seine
Meinung ist in dieser Angelegenheit verbindlich, und der Kalif muss sie
unverzüglich absetzen.
Drittens:
Der Kalif legt dem Maglis al-Umma die Gesetze vor, die er in
Verfassung (Dustur) und Gesetz (Qawanin) adaptieren will. Die
Muslime unter seinen Mitgliedern haben das Recht, sie zu diskutieren
und ihre Meinung darüber abzugeben, welche aber in diesem Fall nicht
verbindlich ist.
Viertens:
Die Muslime unter den Mitgliedern des Maglis al-Umma haben das
131
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 132
DES ISLAM
Recht, Kandidaten für das Kalifat aufzustellen, ihre diesbezügliche
Ansicht ist verbindlich, und eine andere als ihre Aufstellung von
Kandidaten wird nicht akzeptiert.
DAS BEZIEHUNGSSYSTEM DER GESCHLECHTER
Artikel 108 - Die Frau ist in erster Linie Mutter und Hausherrin. Sie
ist eine Würde, die es zu schützen gilt.
Artikel 109 - Männer und Frauen müssen grundsätzlich voneinander
getrennt werden. Sie kommen nur für eine Notwendigkeit
zusammen, die das islamische Recht festgelegt hat, wie Hagg und
Verkauf.
Artikel 110 - Der Frau werden dieselben Rechte gegeben wie dem
Mann, und ihr obliegen dieselben Pflichten außer dem, was der Islam
durch die Beweise der Sari ca ihr oder dem Mann speziell auferlegt
hat. Sie hat das Recht, Handel, Landwirtschaft und Handwerk zu
betreiben, und Verträge und Mucamalat abzuschließen. Sie hat das
Recht auf jede Art von Besitz. Sie hat das Recht, ihren Besitz selbst
oder durch jemand anderen zu vermehren, und alle Angelegenheiten
ihres Lebens selbst auszuführen.
Artikel 111 - Die Frau darf in den Staatsdienst ernannt werden,
Mitglieder in die Maglis-ul-Umma wählen und selbst Mitglied darin
sein. Sie darf sich an der Wahl des Kalifen und daran beteiligen, ihm
die Baica zu leisten.
Artikel 112 - Die Frau darf nicht mit Regierungsaufgaben betraut
werden, sie darf weder Kalif, noch Mucawin, Wali oder cAmil sein
oder irgendeine Tätigkeit ausüben, die als Regierungsausübung zu
betrachten ist.
132
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 133
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 113 - Die Frau bewegt sich im privaten und im öffentlichen
Leben. Im öffentlichen Leben ist es ihr gestattet, mit Frauen,
Maharim (Männern, die in einem Mahram-Verhältnis zu ihr stehen,
siehe Glossar), und fremden Männern Umgang zu pflegen unter der
Voraussetzung, dass nichts von ihr zu sehen ist als das Gesicht und
die Hände, dass sie weder ihre Reize zur Schau stellt noch sich
unanständig verhält. Im privaten Leben darf sie nur mit Frauen oder
Maharim Umgang haben, der Umgang mit fremden Männern ist
nicht gestattet. Im privaten wie im öffentlichen Leben ist sie an
sämtliche Gesetze der Sari ca gebunden.
Artikel 114 - Eine private Zusammenkunft von Mann und Frau
ohne die Anwesenheit eines Ma hram ist untersagt. Das
Zurschaustellen von Reizen und die Enthüllung der cAura vor
Fremden ist untersagt.
Artikel 115 - Die Ausübung jedweder Handlung, die eine Gefahr für
die A2laq darstellt oder Verderben in der Gesellschaft hervorruft, ist
sowohl Männern als auch Frauen untersagt.
Artikel 116 - Das Eheleben soll von Zufriedenheit geprägt sein, und
das Verhältnis der Ehepartner zueinander ist wie das von Gefährten.
Die Fürsorge (Qawama) des Ehemannes über die Ehefrau entspricht
einer Obhut, nicht einer Herrschaft. Sie ist zu Gehorsam
verpflichtet, und er ist dazu verpflichtet, gemäß ihrem Status für
ihren Unterhalt aufzukommen.
Artikel 117 - Die beiden Ehepartner unterstützen sich vollständig in
der Ausübung der Tätigkeiten des Haushalts. Der Ehemann ist dazu
verpflichtet, alle außerhalb des Hauses anfallenden Arbeiten
auszuführen, während die Ehefrau sämtliche innerhalb des Hauses
anfallenden Arbeiten ausführt, soweit sie dazu in der Lage ist. Er ist
dazu verpflichtet, ihr in dem Maße Hausangestellte zur Verfügung zu
stellen, wie es zur Ausführung der Aufgaben ausreicht, die sie nicht
133
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 134
DES ISLAM
auszuführen in der Lage ist.
Artikel 118 - Das Sorgetragen um die Kleinkinder ist eine
Verpflichtung für die Frau und ihr Recht, unabhängig davon, ob sie
Muslimin oder Nichtmuslimin ist, solange das Kleinkind dieser
Obhut bedarf. Bedarf es ihrer nicht mehr, muss (im Falle einer
Trennung) festgestellt werden: Sind die Betreuerin des Kindes und
der Waliyy Muslime, kann das Kind, sei es weiblich oder männlich,
wählen, bei wem es bleiben will. Demjenigen , den es gewählt hat,
wird das Kind zugesprochen, sei es der Mann oder die Frau. Sollte
einer der beiden Nichtmuslim sein, kann das Kind nicht zwischen
ihnen wählen, sondern wird dem muslimischen Teil zugesprochen.
DAS WIRTSCHAFTSSYSTEM
Artikel 119 - Wirtschaftspolitik bedeutet, dass man, bei der Betrachtung
der menschlichen Bedürfnisse, stets den Standard vor Augen hat, in dem
sich die Gesellschaft befinden soll. Dieser Standard, auf dem sich die
Gesellschaft befinden soll, wird als Grundlage herangezogen, um die
menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Artikel 120 - Das wirtschaftliche Problem besteht in der Verteilung der
Güter und des Nutzens auf alle Staatsbürger und darin, ihnen deren
Nutzung dadurch zu ermöglichen, dass ihre Inbesitznahme und
Anstrebung ermöglicht wird.
Artikel 121 - Die Befriedigung sämtlicher Grundbedürfnisse muss allen
Individuen, jedes für sich, in vollständiger Weise garantiert werden.
Jedem Individuum muss die Möglichkeit garantiert werden, darüber
hinaus gehende, ergänzende Bedürfnisse auf dem höchstmöglichen
Niveau zu befriedigen.
Artikel 122 - Der Besitz gehört Allah allein, und Er ist es, Der ihn dem
134
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 135
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Menschen in Stell-vertretung übertragen hat. Durch diese allgemeine
Stellvertretung haben die Menschen das Recht auf Besitz erhalten. Allah
hat dem Individuum die Erlaubnis gegeben, es in Besitz zu nehmen.
Durch diese besondere Erlaubnis wird es zum tatsächlichen Besitz.
Artikel 123 - Es gibt drei Arten von Eigentum: Privateigentum,
Öffentliches Eigentum, und Staatseigentum.
Artikel 124 - Das Privateigentum ist ein Hukm Sarci (islamischer
Rechtsspruch), welcher die Sache selbst, oder den Nutzen daraus
umfasst. Es erfordert für denjenigen, dem es zugeteilt wird, die
Ermöglichung, es zu nutzen und einen Gegenwert dafür zu erhalten.
Artikel 125 - Das öffentliche Eigentum stellt die Erlaubnis des
Gesetzgebers für die Gemeinschaft dar, an der Nutzung des Eigentums
teilzuhaben.
Artikel 126 - Jedes Gut, dessen Ausgabe im Ermessen des Kalifen und
seines Igtihads liegt, wird als Staatseigentum betrachtet, wie die
Steuergelder, 1arag und Gizia.
Artikel 127 - Das Privateigentum beweglicher und unbeweglicher Güter
ist an fünf durch die Sari c a festgelegte Ursachen gebunden:
a) Arbeit
b) Erbschaft
c) Das Bedürfnis nach Gütern zum Zwecke des Lebens(unterhaltes)
d) Materielle Zuwendungen des Staates an seine Bürger
e) Güter, welche Individuen ohne entsprechende Bezahlung oder
Anstrengung erhalten
Artikel 128 - Das Verfügen über das erworbene Eigentum ist an die
Erlaubnis des Gesetzgebers (Allahs) gebunden, sei es zu dessen Ausgabe
oder Vermehrung. Ausgeben im Verbotenen, Überschwang und Geiz
sind untersagt. Kapitalistische Unternehmen, Genossenschaften und die
135
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 136
DES ISLAM
restlichen Mucamalat, welche dem islamischen Gesetz widersprechen,
sind untersagt. Riba (Zinsen), betrügerischer Wucher, Monopolisierung,
Glücksspiel und dergleichen sind verboten.
Artikel 129 - cUsr-Boden ist der Boden oder das Gebiet, dessen
Bewohner von sich aus (ohne vorhergehende Eroberung durch die
Muslime) den Islam annahmen sowie die Arabische Halbinsel. 1aragBoden ist der Boden, der außer der Arabischen Halbinsel durch Krieg
oder Friedensvertrag eröffnet wurde. Individuen können den cUsrBoden und dessen Ertrag besitzen. 1arag-Boden ist im Besitz des
Staates, während sein Ertrag im Besitz von Individuen ist. Jedes
Individuum hat das Recht auf den Austausch von cUsr-Boden und den
Ertrag von 1arag-Boden durch Sari ca-Verträge. Sie werden von ihnen
vererbt wie jeder andere Besitz.
Artikel 130 - Brachliegendes Land (al-Ar6 al-Mawat) gehört dem, der es
bestellt und einzäunt. Nicht brachliegendes Land kann nur durch eine
Sarci-Ursache (islamrechtliche Ursache) ins Eigentum genommen
werden, wie Erbschaft, Kauf und Iq8ac (Zuweisung).
Artikel 131 - Das Verpachten von Land zur landwirtschaftlichen
Nutzung ist absolut untersagt, gleich, ob es sich um 1arag- oder cUsrBoden handelt. Ebenso ist die Muzaraca (das Bewirtschaften des Ackers
durch einen anderen für einen Teil der Ernte) untesagt. Die Musaqat
hingegen (Bewässerung und Bewirtschaftung von Baumplantagen durch
andere für einen Teil des Ertrages) ist gestattet.
Artikel 132 - Jeder Landbesitzer ist dazu verpflichtet, es zu nutzen. Der
Bedürftige bekommt eine ausreichende Förderung aus dem Baytu-l-Mal
(Schatzhaus der Muslime), um ihm die Bewirtschaftung seines Landes
zu ermöglichen. Jedem, der Anbauland drei Jahre lang brach liegen lässt
und nicht nutzt, wird es entzogen und einem anderen gegeben.
Artikel 133 - Öffentliches Eigentum ist in drei Dingen verwirklicht:
136
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 137
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
a) Alles, was für den Erhalt der Gemeinschaft erforderlich ist, wie
öffentliche Anlagen und Plätze.
b) Große Rohstoffvorkommen, wie Ölquellen.
c) Die Dinge, die aufgrund ihrer Natur nicht vom Individuum besitzt
werden können, wie Flüsse.
Artikel 134 - Fabriken stehen im Privateigentum, wobei allerdings die
Fabrik unter das Gesetz des Erzeugnisses fällt, das sie herstellt. Gehört
das Erzeugnis in den Bereich des Privateigentums, fällt auch die
erzeugende Fabrik darunter, wie etwa Textilfabriken. Gehört das
Erzeugnis zum öffentlichen Eigentum, steht die Fabrik ebenfalls im
öffentlichen Eigentum, wie bei eisenfördernden Fabriken.
Artikel 135 - Es ist dem Staat nicht erlaubt, Privatbesitz in öffentliches
Eigentum umzuwandeln, weil das öffentliche Eigentum in der Natur
des Besitzes und seiner Beschreibung verankert ist und nicht in der
Ansicht des Staates liegt.
Artikel 136 - Jedes Individuum der Umma hat das Recht zur Nutzung
dessen, was sich im öffentlichen Besitz befindet. Es ist dem Staat nicht
gestattet, einer Einzelperson unter Ausschluss der restlichen
Staatsbürger die Erlaubnis zu erteilen, öffentliches Eigentum in Besitz
zu nehmen oder zu nutzen.
Artikel 137 - Es ist dem Staat erlaubt, den Zugang zu brachliegendem
Boden und dem, was sich im öffentlichen Eigentum befindet, aufgrund
eines Interesses, das er für die Staatsbürger sieht, zu untersagen.
Artikel 138 - Kanz-ul-Mal (Das Horten von Geld) ist untersagt, auch
wenn die Zakat davon geleistet wurde.
Artikel 139 - Zakat wird von den Muslimen erhoben, und von den
Besitztümern entnommen, die das Gesetz zur Entnahme bestimmt hat.
Dazu zählen Bargeld, Handelswaren, Vieh und Getreide. Zakat wird nur
137
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 138
DES ISLAM
von dem entnommen, was das islamische Gesetz vorgesehen hat. Es
wird von jedem Eigentümer erhoben, gleich, ob er rechtsfähig
(mukallaf) ist wie der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindliche
Erwachsene, oder ob er nicht rechtsfähig ist, wie das minderjährige
Kind und der Geisteskranke. Es wird gesondert im Schatzhaus
verwahrt, und ausschließlich für eine oder mehr der acht im Qur’an
Karim erwähnten Kategorien (von bezugsberechtigten Personen)
ausgegeben.
Artikel 140 - Die Gizia wird von den Dimmis (Schutzbefohlenen)
erhoben, und zwar von den erwachsenen Männern, wenn diese es
aufbringen können. Gizia wird nicht von Frauen und Kindern erhoben.
Artikel 141 -1arag wird vom 1arag-Land nach dessen Erntepotential
erhoben. Im Fall des cUsr-Landes wird Zakat vom realen Ertrag
erhoben.
Artikel 142 - Von den Muslimen werden die, zur Deckung der
Verpflichtungen des Schatzhauses, vom islamischen Gesetz
zugelassenen Steuern erhoben und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass
sie von jenem Vermögen geleistet werden, das über die normalen
Bedürfnisse hinausgeht, die der Eigentümer abdecken muss.
Gleichzeitig haben sie den Notwendigkeiten des Staates zu genügen.
Von Nichtmuslimen werden keine Steuern erhoben. Von ihnen wird nur
die Gizia geleistet.
Artikel 143 - All die Aufgaben, zu deren Ausführung die Umma durch die
Sari ca verpflichtet ist, und für deren Ausführung sich keine Mittel im
Schatzhaus befinden, werden auf die Umma übertragen. Der Staat hat in
diesem Fall das Recht, es durch die Auferlegung von Steuern von der
Umma zu erheben. Für das, was nicht durch das islamische Gesetz für die
Umma verpflichtend ist, darf der Staat der Umma keine Steuer auferlegen.
Es ist nicht gestattet, Gebühren für die Gerichte, Verwaltungsstellen oder
die Regelung irgendeiner Angelegenheit zu erheben.
138
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 139
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 144 - Der Staatshaushalt hat dauerhafte Quellen, welche von
den islamischen Gesetzen festgelegt wurden. Die Abschnitte des
Haushaltes und die Beträge, die in jeden Abschnitt eingehen, unterliegen
der Ansicht des Kalifen und seinem Igtihad.
Artikel 145 - Die ständigen Einkünfte des Schatzhauses sind der
gesamte Fay’ (Kriegsgüter), die Gizia, der 1arag, ein Fünftel der
Bodenschätze und die Zakat. Diese Gelder werden ständig erhoben, ob
nun ein Bedarf dafür besteht oder nicht.
Artikel 146 - Reichen die ständigen Einkünfte des Schatzhauses nicht
aus, um die Ausgaben des Staates zu decken, können Steuern von den
Muslimen erhoben werden. Die Erhebung von Steuern dient folgenden
Zwecken:
a) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben für
die Armen, die Bedürftigen, den Ibn us-Sabil (Reisenden), und zur
Ausführung des Far6 zum Gihad.
b) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben, die
der Aufwandsentschädigung dienen, wie die Ausgaben für die Beamten,
die Unterhaltung der Armee und die Entschädigungen der Regierenden.
c) Der Deckung der für das Staatshaus verpflichtenden Ausgaben, die
abgesehen von den (erwähnten) Entschädigungen dem allgemeinen
Interesse und Nutzen dienen, wie dem Bau von Straßen, der Förderung
von Wasser, dem Bau von Moscheen, Schulen und Krankenhäusern.
d) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben, die
durch Notwendigkeit entstehen, wie etwa durch Naturkatastrophen, die
die Staatsbürger treffen, wie Hungersnöte, Stürme oder Erdbeben.
Artikel 147 - Als Einkünfte, die in das Schatzhaus eingehen, gelten die
Gelder, welche vom Zoll an den Grenzstellungen des Landes
eingenommen werden, und die Gelder, die aus dem öffentlichen
Eigentum oder dem Staatseigentum hervorgehen, sowie die vererbten
Gelder, für die sich keine Erben finden.
139
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 140
DES ISLAM
Artikel 148 - Die Ausgaben des Schatzhauses teilen sich auf sechs
Bereiche auf:
a) Die acht Kategorien, welche einen Anspruch auf Zakat-Gelder
haben, werden aus dem Zakat-Fonds ausgezahlt. Findet sich in dem
Zakat-Fonds kein Geld, wird ihnen nichts ausgezahlt.
b) Für die Armen und Bedürftigen, den Reisenden (Ibnu-s-Sabil), den
Gihad und für die zahlungsunfähigen Schuldnern werden für den Fall,
dass sich kein Geld im Zakat-Fonds befindet, aus den ständigen
Einkünften des Schatzhauses Unterstützungen ausgezahlt. Findet sich
auch dort kein Geld, wird den zahlungsunfähigen Schuldnern nichts
ausgezahlt. Für die Armen, Bedürftigen, die Reisenden und für den
Gihad werden Steuern erhoben, um die Ausgaben für sie abzudecken.
Zu diesem Zweck kann auch eine Anleihe aufgenommen werden, wenn
die Befürchtung zu negativen Auswirkungen besteht.
c) Die Personen, die im Staatsdienst sind, wie die Beamten, die
Regierenden und die Armee, werden aus dem Schatzhaus bezahlt. Sollte
das Geld des Schatzhauses nicht ausreichen, werden auf der Stelle
Steuern erhoben, um diese Ausgaben zu decken. Es kann auch eine
Anleihe aufgenommen werden, wenn die Befürchtung negativer
Auswirkungen besteht.
d) Die Dienststellen und Infrastrukturen wie Straßen, Moscheen,
Krankenhäuser und Schulen werden aus dem Staatsschatz bezahlt.
Reichen die Gelder des Schatzhauses nicht aus, werden auf der Stelle
Steuern erhoben, um diese Ausgaben zu decken.
e) Zusatzeinrichtungen und zusätzliche Dienststellen werden aus dem
Staatsschatz bezahlt. Findet sich dafür nicht ausreichend Geld im
Schatzhaus, wird dafür nichts aufgewendet. Diese Anliegen werden
aufgeschoben.
f) Für Katastrophen wie Erdbeben und Überflutungen wird aus dem
Staatsschatz gezahlt. Findet sich dort kein Geld, wird unverzüglich eine
Anleihe aufgenommen, die danach durch erhobene Steuern abgedeckt wird.
Artikel 149 - Der Staat garantiert Arbeit für jeden, der die
Staatsangehörigkeit besitzt.
140
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 141
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Artikel 150 - Angestellte bei Einzelpersonen oder Unternehmen sind
in allen Rechten und Pflichten gleich den Angestellten beim Staat. Jeder,
der für einen Lohn arbeitet, ist ein Angestellter, wie sehr sich auch die
Art der Tätigkeit oder der Arbeitnehmer unterscheidet. Gibt es
Differenzen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber über
den Lohn, wird nach dem allgemeinen Standard entschieden. Haben sie
eine andere Differenz, wird im Arbeitsverhältnis gemäß den islamischen
Gesetzen entschieden.
Artikel 151 - Es ist gestattet, den Lohn nach dem Ertrag der Arbeit oder
dem Nutzen des Arbeitnehmers festzusetzen, nicht aber nach den
Kenntnissen und akademischen Qualifikationen des Arbeitnehmers. Es
gibt keine (automatischen) Lohnerhöhungen (Biennalien) für
Angestellte, vielmehr erhalten sie den vollen, ihnen zustehenden Lohn
ausbezahlt, sei es für den Nutzen ihrer Arbeit oder den ihrer selbst.
Artikel 152 - Der Staat garantiert den Unterhalt für diejenigen, die kein
Eigentum, keine Arbeit und niemanden haben, der für ihren Unterhalt
aufkommt. Der Staat ist verantwortlich für Unterkunft und Betreuung
der hilfsbedürftigen und behinderten Menschen.
Artikel 153 - Der Staat gewährleistet, dass das Geld unter allen
Staatsbürgern im Umlauf bleibt und verhindert den Geldumlauf unter
einer speziellen Gruppe.
Artikel 154 - Der Staat soll es jedem Staatsbürger ermöglichen, seine
ergänzenden Bedürfnisse zu befriedigen, und unter folgenden
Gesichtspunkten ein Gleichgewicht in der Gesellschaft herstellen:
a) Der Staat vergibt an die Staatsbürger seine beweglichen oder
unbeweglichen Besitztümer aus dem Schatzhaus, wie auch erworbene
Kriegsgüter und dergleichen.
b) Der Staat macht denjenigen, die nicht ausreichend viel Anbauland
besitzen, Schenkungen (Iq8ac) von den bewohnten Ländereien.
Denjenigen, die Land besitzen und es nicht nutzen, gibt er nichts.
141
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 142
DES ISLAM
Denjenigen, die (finanziell) nicht in der Lage sind, Landwirtschaft zu
betreiben, wird Geld gegeben, damit sie die Fähigkeit zur
Bewirtschaftung ihres Agrarlandes erhalten.
c) Der Staat deckt die Schulden derjenigen, die nicht zu ihrer
Rückzahlung in der Lage sind, aus dem Zakat-Geld, dem Fay’ und
dergleichen ab.
Artikel 155 - Der Staat betreut die landwirtschaftlichen Angelegenheiten und ihre Erzeugnisse gemäß den Anforderungen der
Landwirtschaftspolitik, deren Ziel die Bestellung des Bodens auf dem
höchstmöglichen Niveau der Produktion ist.
Artikel 156 - Der Staat betreut die gesamten Angelegenheiten der
Industrie und ist direkt mit den Industriezweigen betraut, die zum
öffentlichen Eigentum gehören.
Artikel 157 - Der Außenhandel wird nach der Staatsangehörigkeit des
Händlers geführt, nicht nach der Art der Ware. Den Händlern
feindlicher Nationen (Harbiyyun) ist es untersagt, im islamischen Staat
Handel zu betreiben, außer durch eine spezielle Erlaubnis für den
Händler oder für die Waren. Die Händler, mit deren Ländern ein
Vertrag abgeschlossen wurde (Mucahidun), werden gemäß den Verträgen
behandelt, die zwischen diesen Ländern und dem islamischen Staat
bestehen. Händler, welche Bürger des Staates sind, dürfen nichts
exportieren, was das Land an Ressourcen bedarf. Sie dürfen keine
Ressourcen ausführen, die der militärischen, industriellen oder
wirtschaftlichen Stärkung des Feindes dienen. Sie werden nicht an der
Einfuhr irgendeines Besitzes gehindert. Von diesen Gesetzen ist das
Land ausgenommen, zwischen dessen Bevölkerung und uns faktisch
Krieg herscht, wie Israel. In diesem Fall gelten die Gesetze des
faktischen Daru-l-Harb (Stätte des Krieges) in allen Beziehungen, seien
sie wirtschaftlicher oder anderer Natur.
Artikel 158 - Alle Staatsbürger haben das Recht zur Errichtung
142
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 143
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
wissenschaftlicher Labors, die sich auf sämtliche Angelegenheiten des
Lebens beziehen. Der Staat hat die Pflicht, solche Labors selbst zu
errichten.
Artikel 159 - Es ist den Individuen untersagt, im Besitz von Labors zu
sein, die Substanzen herstellen, deren Besitz zu einem Schaden für die
Umma oder den Staat führen.
Artikel 160 - Der Staat stellt sämtliche Gesundheitsdienste für die
Gesamtheit kostenlos zur Verfügung, verbietet aber nicht die
Inanspruchnahme von Privatärzten oder den Verkauf von
Medikamenten.
Artikel 161 - Die Nutzung und gewinnbringende Anlage ausländischer
Gelder im Land ist ebenso verboten wie die Gewährung von Privilegien
für Ausländer.
Artikel 162 - Der Staat gibt eine eigene, unabhängige Währung heraus,
die an keine fremde Währung gebunden sein darf.
Artikel 163 - Die Währung des Landes besteht aus geprägtem und
ungeprägtem Gold und Silber. Anderes Geld ist nicht gestattet. Der
Staat darf anstelle von Gold oder Silber etwas anderes herausgeben
unter der Bedingung, dass es den Gegenwert an Gold und Silber im
Staatstresor (Hizana) gibt. Der Staat darf Kupfer, Bronze, Papier oder
etwas anderes herausgeben, und es unter der Bezeichnung Geld prägen,
wenn es dafür eine vollständige Deckung in Gold und Silber gibt.
Artikel 164 - Ein direkter Umtausch zwischen der Währung des Staates
und anderen Währungen ist gestattet. Ein solcher Umtausch muss in bar
erfolgen und darf nicht auf Kredit stattfinden. Die Umtauschrate
zwischen zwei verschiedenen Währungen darf ohne Beschränkung
variieren.
Jeder Staatsbürger hat das Recht, die Währung im Inland oder Ausland
143
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 144
DES ISLAM
zu kaufen, die er will. Er kann sie kaufen, ohne eine Sondererlaubnis
oder Bewilligung für den Währungskauf zu brauchen.
BILDUNGSPOLITIK
Artikel 165 - Die Grundlage, auf der der Unterricht basiert, muss die
islamische cAqida sein. Die Unterrichtsinhalte und -methoden dürfen in
ihrer Gesamtheit nicht von dieser Grundlage abweichen.
Artikel 166 - Die Bildungspolitik stellt die Schaffung der islamischen
Denkweise und der islamischen Handlungsweise dar. Alle
Unterrichtsinhalte, die vermittelt werden sollen, müssen auf der
Grundlage dieser Politik basieren.
Artikel 167 - Das Ziel der Bildung ist das Zustandebringen der
islamischen Persönlichkeit und die Versorgung der Menschen mit den
Wissenschaften und Kenntnissen, die sich auf die Angelegenheiten des
Lebens beziehen. Die Methoden der Bildung werden darauf
ausgerichtet, dieses Ziel zu verfolgen. Jede Methode, die zu etwas
anderem als diesem Ziel führt, ist untersagt.
Artikel 168 - Unterrichtsstunden in den islamischen Wissenschaften
und der arabischen Sprache müssen im quantitativen und zeitlichen
Umfang der Unterrichtsstunden der übrigen Wissenszweige
wöchentlich erteilt werden.
Artikel 169 - In der Bildung muss zwischen den experimentellen
Wissenschaften, und was damit in Verbindung steht, wie Mathematik,
und den Kenntnissen der Geistesbildung unterschieden werden. Die
experimentellen Wissenszweige und benachbarte Fächer werden nach
Bedarf unterrichtet, und sind auf keine Schulstufe beschränkt. Die
Geistesbildung wird in den ersten Stufen vor der Hochschule in
Übereinstimmung mit einer bestimmten Politik, die nicht den Ideen des
144
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 145
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Islam und seinen Gesetzen widerspricht, unterrichtet.
In der Hochschulstufe wird sie gleich den Wissenschaften behandelt,
unter der Bedingung, dass sie nicht zu einem Verstoß gegen die
allgemeine Bildungspolitik und ihr Ziel führt.
Artikel 170 - Die Unterrichtung der islamischen Geistesbildung ist in
allen Schulstufen verpflichtend. In der Hochschulstufe erfolgt eine
Spezialisierung auf Zweige der verschiedenen islamischen
Wissensgebiete, wie dort auch eine Spezialisierung auf Medizin,
Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und dergleichen erfolgt.
Artikel 171 - Technologie und Handwerk können einerseits der
Wissenschaft zugeordnet, wie die Kunst des Handels, der Seefahrt und
der Landwirtschaft und somit unbegrenzt übernommen werden. Sie
können auch der Kultur zugeordnet werden, wenn sie durch die
Weltanschauung geprägt sind, wie Malerei und Bildhauerei. Sie werden
nicht übernommen, wenn sie der islamischen Weltanschauung
widersprechen.
Artikel 172 - Der Lehrplan ist an allen Schulen einheitlich. Ein anderer
Lehrplan als der des Staates wird nicht zugelassen. Privatschulen
werden nicht verboten, solange sie sich an den staatlichen Lehrplan
halten, auf Grundlage der Bildungsstrategie basieren und die
Bildungspolitik und ihr Ziel durch sie verwirklicht wird. Eine weitere
Bedingung ist, dass sie weder unter den Schülern noch unter dem
Lehrkörper zwischen den Geschlechtern gemischt sind, und nicht auf
eine Gruppe, Religion, Rechtsschule, Rasse oder Hautfarbe beschränkt
sind.
Artikel 173 - Das Erlernen dessen, was der Mensch im täglichen Leben
notwendigerweise wissen muss, ist eine Pflicht für jedes Individuum,
Mann oder Frau. Die Schulbildung ist für alle in der Primär - und
Sekundarstufe verpflichtend, und der Staat hat die Aufgabe, dies der
Gesamtheit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zugang zur
145
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 146
DES ISLAM
Hochschulbildung soll der Gesamtheit, unter Ausschöpfung aller
möglichen Ressourcen, kostenlos ermöglicht werden.
Artikel 174 - Der Staat stellt Büchereien, Labors und die übrigen
Lernmittel außerhalb der Schulen und Universitäten bereit, um denen,
die den Wunsch dazu haben, die Durchführung von Studien in den
verschiedensten Wissenszweigen von Fiqh, U4ulu-l-Fiqh, Hadit, Tafsir,
Fikr, Medizin, Ingenieurwesen und Chemie, sowie der Untersuchung
von Erfindungen, Entdeckungen und anderem zu ermöglichen, damit
in der Umma eine große Anzahl von Mugtahidun, brillianten Fachleuten
und Erfindern entstehen kann.
Artikel 175 - Ein Urheberrecht in der Bildung ist in allen Stufen
untersagt. Niemand, sei er Autor oder nicht, besitzt Rechte am Druck
und an der Verbreitung, wenn das Buch einmal gedruckt und im
Umlauf ist. Wenn er Ideen hat, die noch nicht gedruckt und verbreitet
wurden, ist es ihm gestattet, eine Bezahlung für die Herausgabe dieser
Ideen entgegenzunehmen, wie er auch eine Bezahlung für den
Unterricht erhält.
DIE AUßENPOLITIK
Artikel 176 - Politik ist die Wahrnehmung der Angelegenheiten der
Umma nach Innen wie nach Außen. Sie wird seitens des Staates und
der Umma ausgeübt. Der Staat führt diese Wahrnehmung praktisch
aus, während die Umma dafür vom Staat Rechenschaft fordert.
Artikel 177 - Es ist absolut keinem Individuum, keiner Partei,
Blockbildung oder Gruppierung gestattet, mit irgendeinem fremden
Staat Beziehungen zu unterhalten. Die Beziehung zu den Staaten ist auf
den Staat allein begrenzt, weil er allein das Recht hat, die
Angelegenheiten der Umma praktisch wahrzunehmen. Es ist die
Pflicht der Umma und der Blockbildungen, den Staat für diese
146
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 147
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
Außenbeziehungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Artikel 178 - Das Ziel heiligt nicht die Mittel. Die Methode ist mit der
Idee wesensgleich. Durch die Ausübung eines Haram gelangt man
weder zur Ausführung eines Wagib noch eines Mubah. Das politische
Mittel darf der politischen Methode nicht widersprechen.
Artikel 179 - Die politischen Manöver sind in der Außenpolitik
notwendig. Ihre Stärke liegt in der Bekanntmachung der Handlungen
unter Verheimlichung der Ziele.
Artikel 180 - Zu den wichtigsten politischen Verfahren gehören der
Mut in der Aufdeckung der Verbrechen der Staaten und die
Verdeutlichung der Gefahr der betrügerischen Politik, die Aufdeckung
der böswilligen Verschwörungen, und das Zerschmettern irreleitender
Persönlichkeiten.
Artikel 181 - Das Aufzeigen der Erhabenheit der islamischen Ideen in
der Wahrnehmung der Angelegenheiten von Einzelpersonen, von
Nationen und Staaten, gehört zu den bedeutendsten politischen
Methoden.
Artikel 182 - Die politische Hauptangelegenheit für die Umma ist der
Islam in der Stärke der Persönlichkeit seines Staates, in der Richtigkeit
der Ausführung seiner Gesetze und der Unermüdlichkeit im Tragen
seiner Dacwa in die Welt.
Artikel 183 - Das Tragen der islamischen Dacwa ist das Kernstück, um
das sich die Außenpolitik dreht. Auf ihrer Grundlage basiert die
Beziehung zwischen dem Staat und sämtlichen anderen Staaten.
Artikel 184 - Die Beziehung des Staates zu den anderen in der Welt
bestehenden Staaten basiert auf vier Erwägungen:
147
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 148
DES ISLAM
Erstens:
Die in der islamischen Welt bestehenden Staaten werden als ein
einziges Land betrachtet. Sie gehören nicht in den Rahmen der
Außenbeziehungen und die Beziehungen zu diesen Staaten werden
nicht als Außenpolitik betrachtet. Es muss dafür gearbeitet werden, sie
alle in einem einzigen Staat zu vereinen.
Zweitens:
Die Staaten, mit denen wir wirtschaftliche, Handelsverträge, Verträge
der guten Nachbarschaft oder kulturelle Abkommen unterhalten,
werden gemäß den Vertragstexten behandelt. Ihre Staatsangehörige
haben das Recht, mit einem Personalausweis einzureisen, ohne einen
Reisepass zu brauchen, wenn die Abkommen dies vorsehen, unter der
Bedingung gleicher Behandlung (unserer Staatsangehörigen in diesen
Ländern). Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit diesen
Staaten sind auf bestimmte Dinge und bestimmte Eigenschaften
begrenzt, für die eine Notwendigkeit besteht, und die nicht zu ihrer
Stärkung führen.
Drittens:
Staaten, mit denen wir keine Abkommen haben, und solche, die
tatsächlich kolonialistisch sind, wie England, die USA und Frankreich,
sowie Staaten, die nach unseren Ländern trachten wie Russland, werden
als gesetzlich zu bekriegende Staaten (muhariban hukman) angesehen.
Ihnen gegenüber werden alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen , und es
werden absolut keine diplomatischen Beziehungen zu ihnen
aufgenommen. Die Angehörigen dieser Staaten dürfen unser Land
betreten, aber nur mit einem Reisepass und einem besonderen Visum
für jedes Individuum und jede Reise.
Viertens:
Mit jenen Staaten, mit denen wir faktisch im Krieg stehen (muhariban
ficlan), wie beispielsweise Israel, wird der Kriegszustand zur Grundlage
sämtlichen Handelns gemacht, so als stünden wir mit ihnen bereits
148
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 149
VERFASSUNGSENTWURF
FÜR DEN ISLAMISCHEN
STAAT
tatsächlich im Krieg, gleichgültig, ob es einen Waffenstillstandsvertrag
zwischen uns und ihnen gibt oder nicht. Allen Staatsangehörigen dieser
Staaten ist die Einreise untersagt.
Artikel 185 - Militärabkommen, welcher Art auch immer, sind strikt
untersagt, ebenso wie das, was ihnen angeschlossen ist, wie politische
Abkommen, und Übereinkünfte zur Nutzung von Militärstützpunkten
und Flughäfen. Verträge über gutnachbarliche Beziehungen sind
gestattet, ebenso wie Wirtschafts- und Handelsverträge, finanzielle und
kulturelle Abkommen und Waffenstillstandsverträge.
Artikel 186 - An Organisationen, die nicht auf der Grundlage des
Islam basieren, oder andere als die Gesetze des Islam anwenden, darf
sich der Staat nicht beteiligen. Das gilt für internationale
Organisationen wie die Vereinten Nationen, den Internationalen
Gerichtshof, den Internationalen Währungsfond und die Weltbank
ebenso wie regionale Organisationen wie die arabische Liga.
iopiop
149
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 150
ETHIK IM ISLAM
A1LAQ
Der Islam wird definiert als der Din, den Allah unserem Propheten
Muhammad (a.s.s.) offenbart hat. Er organisiert die Beziehung des
Menschen zu seinem Schöpfer, zu sich selbst, und zu den anderen
Menschen. Die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer
umfasst die Glaubensgrundlagen und c Ib ad at (gottesdienliche
Handlungen), die Beziehung des Menschen zu sich selbst beinhaltet
die A 2l aq, Nahrungs- und Kleidungsvorschriften, und seine
Beziehung zu anderen Menschen schließt die Mucamalat (Vertragsund Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafen) ein.
Der Islam behandelt alle Probleme des Menschen. Er betrachtet den
Menschen als eine Gesamtheit, die nicht in Einzelteile zerlegbar ist.
Aus diesem Grunde behandelt er seine Probleme durch eine einzige
Methode. Seine Ordnung basiert auf einer spirituellen Grundlage,
nämlich der cAqida. Die spirituelle Seite stellt die Basis seiner Kultur
sowie seines Staates und seiner Sari ca dar.
Obwohl die islamische Sarica die Systeme detailliert erörtert hat,
etwa die der cIbadat, der Mucamalat und der cUqubat, hat sie den
A2laq allerdings kein detailliertes System gewidmet, sondern die
diesbezüglichen Gesetze in ihrer Eigenschaft als Befehle und
Verbote Allahs behandelt. Dabei wurde keine ausführliche
Darlegung vorgenommen etwa in dem Sinne, dass es sich um A2laq
handele, der man besondere Aufmerksamkeit schenken müsse, weil
sie die anderen Gesetze übertreffen würden. Sie wurden weniger
ausführlich dargelegt als die anderen Gesetze, und ihnen wurde im
Fiqh kein gesondertes Kapitel gewidmet. In den Fiqh-Büchern,
welche die Ahkam Sarciyya beinhalten, finden wir kein besonderes
Kapitel unter dem Titel ”Kapitel über die A2laq ”. Die Fuqaha’
(Gelehrten) und Mugtahidun wendeten sich in der Frage der A2laq-
150
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 151
ETHIK
IM ISLAM
Gesetze keiner genauen Untersuchung und detaillierten Ableitung
zu.
Die A2laq beeinflussen den Aufbau der Gesellschaft keineswegs,
denn die Gesellschaft basiert auf den Systemen des täglichen Lebens.
Das, was die Gesellschaft lenkt, sind nicht die A2laq, sondern die
Systeme, die auf diese Gesellschaft angewendet werden und die
Gefühle und Ideen welche die Gesellschaft beeinflussen. Die A2laq
beeinflussen weder den Aufbau der Gesellschaft noch ihren Aufstieg
oder Niedergang. Es sind vielmehr die allgemeinen Gewohnheiten,
die aus den Lebensverständnissen hervorgehen, die ihren Einfluss
hinterlassen. Die Systeme, die in der Gesellschaft Anwendung
finden, und die Ideen und Gefühle, welche die Menschen tragen,
sind es, die eine Gesellschaft lenken, nicht die A2laq. Diese selbst
gehen aus den Ideen und Gefühlen hervor und sind ein Resultat der
Anwendung des Systems.
Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, die Dacwa als Aufruf zu den
A2laq in der Gesellschaft zu führen, denn die A2laq stellen Resultate
der Befehle Allahs dar und kommen durch den Aufruf zur
Glaubensgrundlage, der cAqida, und der allgemeinen Umsetzung des
Islam zustande. Im Aufruf zu den A2laq besteht eine Verdrehung der
islamischen Lebensverständnisse, und eine Entfernung der Menschen
von einem Begreifen der Realität der Gesellschaft und ihrer
Komponenten. Es handelt sich um eine Betäubung der Menschen mit
individuellen Vorzügen, die zu einer Abblenkung bezüglich der
wirklichen Mittel führt, eine Aufwärtsentwicklung des Lebens zu
erreichen. Es stellt daher eine Gefahr dar, über die A2laq zum Islam
aufzurufen. Dies erweckt den falschen Eindruck, als sei die Dacwa
zum Islam rein moralischer Natur. Die intellektuelle Vorstellung vom
Islam wird verhüllt und ohne ein Verständnis der Menschen
ausgeschaltet, während die Menschen vom einzigen Weg, der zu einer
Anwendung des Islam führt, nämlich der Errichtung des islamischen
Staates, abgewendet werden. Als das islamische Rechtssystem, die
151
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 152
DES ISLAM
Sari ca, die Beziehung des Menschen zu sich selbst durch islamische
Gesetze behandelte, die mit moralischen Eigenschaften verbunden
sind, tat sie dies nicht in einem gesonderten System etwa wie im Falle
der cIbadat und Mucamalat. Vielmehr berücksichtigte sie darin die
Verwirklichung bestimmter Werte, die Allah befohlen hat. Dazu
gehören die Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, die Abwesenheit von
Betrug und Neid. Diese Werte werden durch eine einzige Sache
zustande gebracht, nämlich den Befehl Allahs, den moralischen Wert
umzusetzen, wie vornehme und vorzügliche Charaktereigenschaften.
Die Zuverlässigkeit ist eine moralische Eigenschaft, die Allah
befohlen hat. Ihr moralischer Wert muss bei der Ausführung einer
entsprechenden Handlung berücksichtigt werden. Auf diese Weise
wird der moralische Wert verwirklicht und als A2laq bezeichnet. Was
das Zustandekommen dieser Eigenschaften aus den Resultaten von
Handlungen betrifft, wie etwa die Züchtigkeit aus dem Gebet
hervorgeht, oder ihr Zustandekommen durch die Verpflichtung zu
ihrer Beachtung bei der Ausführung von Mucamalat, wie etwa die
Aufrichtigkeit beim Verkauf, so ist festzuhalten, dass dies keinen
moralischen Wert mit sich bringt, weil dieser nicht aus der
Ausführung der Handlung beabsichtigt ist. Vielmehr gehen diese
Eigenschaften aus den Ergebnissen der Handlungen und der
Verpflichtung zu ihrer Berücksichtigung als moralische Eigenschaften
des Gläubigen hervor, wenn er Allah anbetet und mit anderen
Menschen verkehrt. Im ersten Fall verwirklicht der Gläubige den
spirituellen Wert durch das Gebet, im zweiten Fall den materiellen
Wert durch den Handel. Zur gleichen Zeit zeichnet er sich durch die
moralischen Werte aus.
Das islamische Recht hat die Eigenschaften definiert, die als gute und
schlechte A2laq gelten. Zu den guten A2laq hat es angespornt,
während es die schlechten verbot. Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit,
Heiterkeit des Gesichtes, Schamhaftigkeit, gute Behandlung der
Eltern, Aufrechterhaltung der Verwandschaftsbeziehungen,
Hilfeleistung, dass man für seinen Bruder wünscht, was man auch für
152
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 153
ETHIK
IM ISLAM
sich selber wünscht, all dies sind Eigenschaften, zu denen der Islam
durch die Befolgung der Befehle Allahs aufrief. Er verbot ihre
Gegenteile, wie Lügen, Betrug, Neid, Unsittlichkeit und dergleichen.
Diese Eigenschaften gelten durch das Verbot Allahs als untersagt.
Die A2laq stellen einen Teil dieser Sari ca und der Gebote und
Verbote Allahs dar, die durch den Muslim verwirklicht werden
müssen, damit er seine Handlung nach dem Islam vollzieht und ihre
Ausübung nach den Befehlen Allahs vollendet. In der Gesellschaft als
Gesamtheit werden diese Eigenschaften dadurch erreicht, dass die
islamischen Gefühle und Ideen zustandegebracht werden. Durch ihre
Realisierung in der Gesellschaft werden sie notwendigerweise auch im
Individuum verwirklicht. Es liegt auf der Hand, dass man nicht durch
den Aufruf zu A2laq dorthin gelangt, sondern auf dem Wege des
Zustandebringens der Gefühle und Ideen.
Der Anfang muss damit gemacht werden, dass eine Blockbildung
durch den gesamten Islam vorbereitet wird. Diese Blockbildung
besteht aus Individuen, die Teile der Gemeinschaft und nicht von ihr
losgelöst sind. Sie tragen den vollständigen Aufruf zum Islam in die
Gesellschaft. Auf diese Weise bringen sie islamische Gefühle und
Ideen zustande, so dass die Menschen als Folge ihres scharenweisen
Eintritts in den Islam auch scharenweise die A2laq annehmen. Es
muss dabei ganz klar verstanden werden, dass wir durch unsere
Aussage den Charakter der A2laq als unabdingbaren Bestandteil der
Befehle Allahs bestätigen, die durch die Umsetzung des Islam
zustandekommen. Der Muslim muss sich notwendigerweise durch
gute A2laq auszeichnen.
Allah (t.) hat in vielen Suren des Qur’an die Eigenschaften, durch die
der Mensch sich auszeichnet und die er anstreben soll, erklärt. Diese
Eigenschaften umfassen die Glaubensgrundlagen, die cIbadat,
Mucamalat, und A2laq, wobei diese vier Eigenschaften miteinander
verbunden sind.
153
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 154
DES ISLAM
Allah (t.) sagt in Surat Luqman:
“Als Luqmaan zu seinem Sohn sagte, indem er ihn
ermahnte: ”O mein Sohn, geselle Allah nichts bei,
denn die Beigesellung ist wahrlich eine schwere
Sünde.” Und wir haben dem Menschen im Hinblick
auf seine Eltern befohlen – seine Mutter trägt ihn in
Schwäche über Schwäche, und seine Entwöhnung
erfordert zwei Jahre –: ”Sei Mir und deinen Eltern
dankbar. Zu Mir ist die Rückkehr. Doch wenn sie dich
auffordern, Mir das beizugesellen, wovon du keine
Kenntnis hast, dann gehorche ihnen nicht. In
weltlichen Dingen aber verfahremit ihnen auf gütige
154
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:22
Seite 155
ETHIK
IM ISLAM
Weise. Doch folge dem Weg dessen, der sich zu Mir
wendet. Dann werdet ihr zu Mir zurückkehren, und
Ich werde euch das verkünden, was ihr getan habt. O
mein Sohn, hätte es auch nur das Gewicht eines
Senfkorns und wäre es in einem Felsen oder in den
Himmeln oder in der Erde, Allah würde es
hervorbringen. Allah ist Gnädig, Kundig. O mein Sohn,
verrichte das Gebet und gebiete das Gute und verbiete
das Schlechte, und ertrage geduldig, was dich auch
treffen mag. Jenes ist eine Stärke in allen Dingen. Und
weise den Menschen deine Wange nicht verächtlich
und laufe nicht rücksichtslos auf der Erde, denn Allah
liebt keine eingebildeten Prahler. Und laufe mit
angemessenem Schritt und dämpfe deine Stimme,
denn wahrlich, die widerwärtigste Stimme ist die
Stimme des Esels.” (S urat Luqm an, Ay at 13-19)
In Surat al-Furqan sagt Allah (t.):
155
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 156
DES ISLAM
”Und die Diener des Allerbarmers, die in Demut auf
Erden gehen, und wenn die Unwissenden sie anreden,
sagen sie: “Friede.” Diejenigen, die die Nacht für ihren
Herrn in Niederwerfung und aufrechter Andacht
verbringen, und sie sind es, die sprechen: ”Unser Herr,
wende von uns die Höllenstrafe ab, denn wahrlich, ihre
Strafe ist eine bedrückende Qual. Sie ist schlimm als
Ruhestatt und Aufenthalt.” Und diejenigen, die, wenn sie
ausgeben, es weder im Verbotenen tun, noch damit geizen,
dazwischen gibt es einen Mittelweg. Und die, welche keine
anderen Götter außer Allah anrufen und niemanden töten,
dessen Leben Allah unverletzlich gemacht hat, es sei denn,
sie töten dem Recht nach, und keine Unzucht begehen.
Wer das aber tut, soll dafür zu büßen haben.Ihm soll
dieStrafe am Tage der Auferstehung verdoppelt werden,
und er soll darin ewigin Schmach verweilen, außer denen,
die bereuen und glauben und gute Werke tun, denn deren
böse Taten wird Allah in gute umwandeln, denn Allah ist
Allverzeihend, Barmherzig. Und der, der bereut und Gutes
tut, der wendet sich in wahrhafter Reue Allah zu. Und
diejenigen, die nichts falsches bezeugen, und die, wenn sie
unterwegs leeres Gerede hören, mit Würde daran
vorbeiziehen. Und diejenigen, die, wenn sie mit den
Zeichen ihres Herrn ermahnt werden, deswegen nicht taub
156
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 157
ETHIK
IM ISLAM
und blind niederfallen. Und diejenigen, die sprechen:
”Unser Herr, gewähre uns und unseren Frauen und
Kindern Trost und mache uns zu einem Vorbild für die
Gottesfürchtigen.” Diese werden mit der höchsten
Stätte (im Paradies) belohnt, weil sie standhaft waren,
Gruß und Frieden werden sie dort empfangen. Sie
werden ewig darin verweilen, herrlich ist es wahrhaft als
Ruhestatt und Aufenthalt.”(Surat al-Furqan, Ayat 63-77)
In Surat al-Isra’ sagt Allah:
157
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 158
DES ISLAM
”Und dein Herr hat befohlen: Verehrt keinen außer Ihm,
und erweist den Eltern Güte. Wenn ein Elternteil oder
beide bei die ein hohes Alter erreichen, sage kein böses
Wort zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sprich zu
ihnen in ehrerbietiger Weise. Und neige gütig gegen sie
den Flügel der Demut und sprich: ”Mein Herr, erbarme
dich ihrer (ebenso mitleidig), wie sie mich als Kleines
aufgezogen haben.” Euer Herr weiß am besten, was in
euren Seelen ist: Wenn ihr rechtgesinnt seid, dann ist Er
gewiß Verzeihend gegenüber den Sich-Bekehrenden.
Und gib dem Verwandten, was ihm gebührt, und ebenso
dem Armen und dem Reisenden, und gib es nicht im
Verbotenen aus. Denn diejenigen, die (ihr Geld) im
Verbotenen ausgeben, sind wahrlich Brüder der Satane,
und der Satan ist wahrlich ungehorsam gegen seinen
Herrn. Und wenn du dich von ihnen abwendest – im
Trachten nach der Barmherzigkeit deines Herrn, auf die
158
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 159
ETHIK
IM ISLAM
du hoffst – so sprich zu ihnen angenehme Worte. Ziehe
deine Hand nicht wie gefesselt bis zu deinem Halse
zurück, aber strecke sie auch nicht übermäßig aus, damit
du nicht getadelt und zerschlagen niedersitzt. Wahrlich,
dein Herr erweitert und beschränkt dem, dem er will, die
Mittel zum Unterhalt, denn Er kennt und sieht Seine
Diener wohl. Und tötet eure Kinder nicht aus Furcht vor
Armut; wir sorgen für sie und für euch. Sie zu töten ist
wahrlich ein großer Fehler. Und nähert euch nicht der
Unzucht, sie ist wahrlich eine Schändlichkeit und ein
übler Weg. Und tötet nicht das Leben, das Allah
unverletzlich gemacht hat, es sei denn, zu Recht. Und wer
unrechterweise getötet wird, dessen Waliyy (Angehöriger
im familiären Bunde) haben wir die Ermächtigung (zur
Vergeltung) gegeben. Doch soll er im Töten nicht maßlos
sein, denn ihm wird geholfen. Und tastet nicht das Gut
der Waise an, es sei denn, zu (ihrem) Besten, bis sie die
Reife erreicht hat. Und haltet den Vertrag ein, denn über
den Vertrag muss Rechenschaft abgelegt werden. Und
gebt volles Maß, wenn ihr messt, und wiegt mit richtiger
Waage, das ist am besten und das beste Verfahren. Und
verfolge nicht das, wovon du keine Kenntnis
hast.Wahrlich, das Ohr und das Auge und das Herz – sie
alle werden zur Rechenschaft gezogen. Und laufe nicht
überheblich auf der Erde, denn du kannst die Erde nicht
spalten, und du kannst die Berge nicht an Höhe erreichen.
Das Üble all dessen ist hassenswert vor deinem Herrn. ”
(Surat al-Isra’, Ayat 23-38)
Die hier zitierten Ayat aus den drei Suren zeigen, jede von ihnen in
umfassender Einheit, die verschiedenen Eigenschaften. Sie zeigen
deutlich das Bild des Muslim und verdeutlichen die islamische
Persönlichkeit in ihrem Wesen, das sich von anderen unterscheidet.
159
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 160
DES ISLAM
Dabei wird berücksichtigt, dass es sich um Befehle und Verbote von
Allah (t.) handelt. Sie umfassen Gesetze, die mit der cAqida verbunden
sind, ebenso wie Gesetze, die sich auf die cIbadat, Mucamalat und
A2laq beziehen. Sie beschränken sich also nicht auf ethische
Eigenschaften, sondern umfassen cAqida, cIbadat und Mucamalat
ebenso wie die A2laq. Es sind alle diese Eigenschaften, die die
islamische Persönlichkeit ausmachen. Eine Beschränkung auf die
A2laq bringt weder eine vollständige Person, noch eine islamische
Persönlichkeit zustande. Damit ihr Ziel, zu dessen Erreichung sie
existieren, realisiert werden kann, müssen sie auf einer spirituellen
Grundlage aufbauen, nämlich der islamischen cAqida. Die
Auszeichnung durch diese Eigenschaften muss also auf der Basis dieser
cAqida erfolgen. Der Muslim zeichnet sich also nicht um der
Wahrheitsliebe willen mit dieser Eigenschaft aus, sondern deshalb, weil
Allah sie befohlen hat; selbst wenn er die Verwirklichung des ethischen
Wertes im Auge hat, wenn er aufrichtig ist. Man zeichnet sich also nicht
um ihrer selbst willen mit den A2laq aus, sondern aus dem Grunde,
weil Allah sie befohlen hat.
Der Muslim muss diese ethischen Eigenschaften aufweisen, und führt
sie aus Gehorsam und Unterwerfung aus, weil sie mit der Furcht vor
Allah verbunden sind. Was die Tatsache betrifft, dass sich die A2laq als
Resultate der cIbada ergeben,
” Wahrlich das Gebet hält von Schändlichkeiten und
Schlechtem ab ” (Surat al-cAnkabut, Aya 45)
und in den Mucamalat berücksichtigt werden müssen, ”Der Din ist
Mu camala”, sie darüberhinaus allein in ihrer Eigenschaft als Gebote
und Verbote Allahs zu erfüllen sind, so sind es all diese
Komponenten, die sie im Muslim verankern und zu einer
notwendigen Eigenschaft machen. Demzufolge ist die
Verschmelzung der A2laq mit den übrigen Systemen des Lebens –
160
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 161
ETHIK
IM ISLAM
obwohl es sich dabei um unabhängige Eigenschaften handelt – eine
Garantie dafür, dass sie den Muslim tugendhaft heranbildet,
insbesondere deshalb, weil es sich bei der Aneignung von ethischen
Eigenschaften um die Einhaltung der Befehle und Enthaltung von
den Verboten Allahs handelt und nicht, weil sie ihm im Leben
Schaden oder Nutzen bringen. Auf diese Weise ist die Auszeichnung
des Muslim durch gute ethische Eigenschaften dauerhaft und fest
–- solange er an der genauen Umsetzung des Islam festhält –- und
wird sich nicht nach dem Profit ausrichten. Von einem Profit als
Zielsetzung muss man sich klar distanzieren. Nicht dieser wird
durch die Ausführung dieser Eigenschaften angestrebt, sondern
ausschließlich der ethische Wert. Es ist weder der materielle, noch
der menschliche oder spirituelle Wert. Diese Werte dürfen hier
keinen Eingang finden, damit es nicht zu einer Verwirrung in ihrer
Ausführung kommt. Es muss unbedingt auf eine Distanzierung
materieller Werte von den A 2 l a q sowie darauf hingewiesen
werden, dass ihre Ausführung nicht um des Nutzens und Gewinns
willen vorgenommen werden darf, denn dies stellt eine Gefährdung
der A2laq dar.
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die A2laq keine Basis
für die Gesellschaft darstellen, sondern das Individuum
ausmachen. Die Gesellschaft kann daher nicht durch die A2laq
reformiert werden, sondern durch islamische Ideen, Gefühle, und
die Anwendung der islamischen Systeme. Obwohl die A2laq
Bestandteil des Individuums sind, sind es nicht und dürfen es nicht
die einzigen Faktoren sein. Vielmehr sind es die cAq a id
(Glaubensgrundlagen), cIbadat, Mucamalat und A2laq gemeinsam.
Derjenige, der gute A2laq aufweist, dessen cAqida aber nicht
islamisch ist, kann nicht als ein gutes Beispiel angeführt werden,
weil er Kafir ist und es keine größere Sünde als den Unglauben gibt.
Ebenso verhält es sich mit demjenigen, der zwar gute A2laq hat,
aber die cIbadat nicht ausführt oder in seinen Mucamalat nicht nach
den islamischen Gesetzen verfährt. In der Verbesserung des
161
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 162
DES ISLAM
Individuums muss daher das Vorhandensein der cAqida ebenso
berücksichtigt werden wie der cIbadat, Mucamalat und A2laq.
Gemäß der islamischen Sari ca ist es nicht zulässig, die A2laq allein
unter Auslassung der anderen Eigenschaften anzustreben. Es ist,
um es noch genauer zu sagen, nicht gestattet, sich vor der
Gewissheit um die Glaubensgrundlage um irgendetwas anderes zu
bemühen. Der grundlegende Punkt in den A2laq ist, dass sie auf
der islamischen cAqida basieren müssen, und dass sich der Mu’min
(Gläubige) durch sie auszeichnet, weil es sich um Befehle und
Verbote Allahs, des Erhabenen, handelt.
B
162
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 163
WORTVERZEICHNIS
(ERKLÄRUNGENZUDENARABISCHENBEGRIFFEN)
cad l:
im islamischen Sinne rechtschaffen, d.h. nicht sündhaft
Ah ka m:
(Plural von H ukm) Gesetze
Ah l - u s - S u n n a :
eine Gruppe von islamischen Gelehrten, die u.a. eine eigene
Meinung hinsichtlich der Eigenschaften Allahs und der Frage
von Schicksal und Bestimmung vertrat.
A h l- u d - D i m m a:
Nichtmuslime, die die Oberhoheit der islamischen Herrschaft
und seines Rechts anerkennen und Bürger des islamischen
Staates sind (Schutzbefohlene).
A 2 l a q:
(Plural von 1 uluq) Moral, Ethik
cA m i l :
Vorsteher eines Landkreises bzw. Distrikts ( c Im a la)
Am i r u l - M u ’ m i n i n
Wörtl.: Befehlshaber der Gläubigen; Bezeichnung für den Kalifen
cAq i d a
Glaubensgrundlage; Überzeugungsfundament
al-A m ru b i - l - M a c r uf w a - n - N a h yu c a n i l - M u n k a r
Das Gute befehlen und das Schlechte verbieten
163
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 164
DES ISLAM
cA4 a b i y y a
Jede Art von Nationalismus, Rassismus, Nepotismus etc.
Az a l i
Immerwährend, ohne Anfang und Ende.
Ah l-ul-Fi q h
Fachleute im Bereich des islamischen Rechts.
B ai c a
Eid, der von den Muslimen gegenüber dem Kalifen geleistet wird.
B ai c a t - u l - I n c iq a d
Vollzugs-Bai c a; Eid, durch den die Muslime die von ihnen
gewünschte Person als Kalifen einsetzen.
B ai c a t - u 8 - 7 a c a
Gehorsamkeits-Bai c a; Eid, durch den sich die Muslime dem
Kalifen gegenüber zu Gehorsam verpflichten.
B ait-ul-M al
Schatzhaus der Muslime
5 al a l
Irreführung, Abgang vom Weg des Islam
Dal il
Beweis
D in
Lebensordnung, der Islam wird als D i n bezeichnet
Fat w a
Rechtsgutachten
164
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 165
WORTVERZEICHNIS
Far 6
Verpflichtung; Kategorie des islamischen Rechts: Das
Ausführen einer solchen Handlung wird belohnt, ihre
Unterlassung bestraft
Fai’
Beute, die im G ih a d gemacht wird
Fi 8 ra
natürliche Veranlagung des Menschen
Fik r a
Idee, Gedanke
Fiqh
islamische Rechtswissenschaft
Fut uha t
(Plural von Fat h ) Eröffnung eines Gebiets für den Islam durch
G ih a d
G ab r i y y a
Bezeichnung einer Denkrichtung, die eine bestimmte Ansicht in
der Frage von Qa 6a ’ und Qadar eingenommen hat
G in a y a t
Verstöße gegen die Rechte des Individuums (z.B. Körperverletzung)
G iz y a
Abgabe, die erwachsene, männliche, zahlungsfähige, nichtmuslimische
Bürger des islamischen Staates zu entrichten haben
H a 6 a ra
Kultur; die Gesamtheit von Erkenntnissen (Mafahim) über das Leben
165
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 166
DES ISLAM
Ha k i m
der Regierende
Ha g g
die Pilgerfahrt
H al a l
das von Allah Erlaubte
H ar a m
das von Allah Verbotene
1air
das, was Allah als gut definiert hat
H ar b i y y u n
Bürger einer feindlichen Nation
1 az i n a / 1 i z a na
Schatzhaus, Staatsschatz
1 i l a f a r as i d a
das rechtgeleitete Kalifat
H u k m s ar c i
islamischer Rechtsspruch; die Ansprache des Gesetzgebers
(Allahs), die Handlungen der Menschen betreffend
Hud ud
in Qur’ a n und Sunna genau festgesetzte Strafen für bestimmte
Vergehen
cIb ad a
die Anbetung Allahs
166
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 167
WORTVERZEICHNIS
Ib n-us-sab il
wörtl.: ”Sohn des Weges”; derjenige, der sich nicht an seinem
Wohnort aufhält und dadurch mittellos geworden ist; gehört zu
den im Qur’ a n genannten acht Kategorien von zakatberechtigten
Personen
I g m a c / I g m a c-uu 4-3 a ha ba
Einstimmigkeit
(Konsensus)
in
der
Rechtswissenschaft; die Übereinstimmung
(Prophetengefährten) in einer Rechtsfrage
islamischen
der 3 a ha ba
I gtih ad
wörtl.: Anstrengung; hier: größtmögliche Anstrengung zur
Ableitung eines Gesetzes aus den islamischen Rechtsquellen,
unter bestimmten Kriterien
c I l m Allahs
das allumfassende Wissen Allahs
cIlm azal i
das ewige, immerwährende Wissen Allahs
c I m a la
ein Distrikt im islamischen Staat, dem ein c A mil vorsteht
I s r ak / Sirk
bezeichnet das Vergehen, Allah Götzen bzw. Götter welcher Art
auch immer beizugesellen und nicht an Seine Einheit zu glauben
K af i r
Ungläubiger; jeder, der sich nicht zum Islam bekennt
Ka s b i h ti y a r i
auf freier Wahl beruhender Erwerb (der Handlungen)
167
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 168
DES ISLAM
Kit ab
Buch, Bezeichnung für den Qur’ a n
Ku f r
Unglaube, jede Überzeugung und Glaubensgrundlage außerhalb
des Islam
Kuff ar
Plural zu Kafir
A l - L a u h - u l - m a h f uz
die bewahrte Tafel; bei Allah bewahrte Niederschrift aller
Ereignisse, Synonym für das allumfassende Wissen Allahs
Madaniyya
Zivilisation; die materiellen Formen, derer man sich im Leben
bedient
M ad d a
Materie
Ma d h ab
Rechtsschule
Ma g l i s a l - U m m a
Versammlung von Vertretern der Umma und der Ahl-u d-D imma
Ma 4 la h a
Interesse, Nutzen
Mafh um
Pl. M a f a h i m :; Verständnis, Konzept, auch Erkenntnis
Das ist jener Gedanke, der sich in der Realität des Menschen wiederfindet
168
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 169
WORTVERZEICHNIS
Makr uh
unerwünschtes; Kategorie des islamischen Rechts: Das
Ausführen einer solchen Handlung wird nicht bestraft, ihre
Unterlassung aber belohnt
Malb us at
Kleidungsvorschriften
Mand ub
erwünschtes; Kategorie des islamischen Rechts: Das Ausführen
einer solchen Handlung wird belohnt, ihre Unterlassung aber
nicht bestraft
Ma 8 c u m a t
Nahrungsvorschriften
Ma c a r i f
Wissen (allgemein), auch Bezeichnung für Verwaltungsabteilung
im Islamischen Staat, welche u.a. Moscheen betreut
M a h k a m a t - u l - M a za l i m
Beschwerdegericht gegen Staatsvergehen oder einer seiner
Institutionen
Ma s w a r a
(= Su ra) Beratung allgemein, insbesondere das Zurateziehen
des Ma g lis al-Umma durch den Kalifen
Ma h z u r
(= H ar a m) verboten; Kategorie des islamischen Rechts. Die
Ausführung einer solchen Handlung wird bestraft, ihre
Unterlassung belohnt
Mu c a h i d u n
Pl. v. Mu c a hid, Bürger von Staaten, mit denen das Kalifat
169
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 170
DES ISLAM
bilaterale Verträge abgeschlossen hat
Mu g t a h i d
der Rechtsgelehrte, der die Fähigkeit zum I g tih a d besitzt und
diese ausübt
Mukallaf
die geschlechtsreife, geistig zurechnungsfähige und somit zum
Handeln nach den islamischen Gesetzen verpflichtete Person
Mun afiq
Heuchler
Mu c a w i n
Assistent des Kalifen, Helfer
Muqallid
derjenige, der mangels eigener Fähigkeit zum I g tih a d die
I g tih a d a t der Mu g tahid u n befolgt
M u q a l l i d c a mm i
Muqallid (Nachahmer), der
Rechtsspruchs nicht kennt
die
Beweisführung
eines
muqallid muttabi c
Muqallid, der einem Igtihad erst nach Kenntnis dessen Beweislage folgt
M u b ah
erlaubt; Kategorie des islamischen Rechts: Ausführen wie
Unterlassung einer solchen Handlung sind durch einen
Rechtsbeweis von Allah als gleichwertig festgelegt
M u w a zz af
(Staats-)angestelleter,
170
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 171
WORTVERZEICHNIS
Mu’min
Gläubiger (Muslim)
Musta habb
erwünscht; siehe: Mand u b
Murtadd
Aposthat, vom Islam Abtrünniger
Mu c g i z a
Wunder, übermenschliche Handlung, die ein Prophet durch die
Kraft Allahs bewirkt, als Beweis der Echtheit seines
Prophetentums
Mu c t a z i l a
Denkrichtung innerhalb des Islam, die eine bestimmte Haltung
zur Frage von Qa 6a ’ und Qadar eingenommen hat
Mu c a m a l a t
vertragliche Beziehungen
Musta’min un
Pl. v. Musta’min; staatsfremde Personen, denen das Kalifat Schutz
gewährt
mu 8 l a q
ungebunden, uneingeschränkt; ein Mu g tahid mu 8 laq (höchste
Stufe des Mu g tahid) hat seine eigene Methode in den U 4u l-ulFiqh, der Wissenschaft der islamischen Rechtsgrundlagen, und
ist in seinen Ableitungen an keine Rechtsschule gebunden
Mu h t a s i b
Richter, der sämtliche Rechtsfälle untersucht, die das Recht bzw
das Interesse der Allgemeinheit betreffen
171
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 172
DES ISLAM
M a ha r i m
Pl. von Ma h ram: im islamischen Recht genau bezeichnete engste
Familienangehörige einer Frau, die sie nicht ehelichen dürfen,
im privaten Leben sich bei ihr aufhalten und im öffentlichen
Leben sie begleiten dürfen und vor denen sich die Frau in ihrer
Hauskleidung zeigen darf.
Ma h r a m
Siehe: Ma ha rim
N ah i y a r uh i y y a
geistige, spirituelle Seite; die Tatsache, dass Mensch, Leben und
Universum von einem Schöpfer erschaffen wurden
N afila
freiwillige, erwünschte, über den Far 6
hinausgehende
Handlungen im Bereich der c Ib a d a t (Gottesdienst)
Nah 6a
geistiger Aufstieg
Na 44
Offenbarungstext; im islamischen Recht bezeichnet dieser
Begriff Qur’ a n und Sunna
N i za m
Ordnung
Q a6i
Richter
Q an un
Gesetz
172
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 173
WORTVERZEICHNIS
Q i ma
Wert einer Handlung; abhängig von der Absicht, die mit einer
Handlung verknüpft ist. Diese kann materieller, spiritueller,
moralischer oder humanitärer Natur sein
qat c i
wörtl: schneidend; mit absoluter Sicherheit feststehend; eine
eindeutige, absolut gesicherte Aussage, die nicht dem I g tih a d
unterliegt
qa 8 c i y y u - d - D a l a la
Na 44 ( A ya oder H ad it ), der in seiner Aussage eindeutig und
nicht interpretierbar ist
qa 8 c i y y u - t - t ub u t
mit absoluter Sicherheit authentisch feststehend, Qur’ a n und
A ha d it mutaw a tira sind qa 8 c iyyu- t-t ub u t
Quwwatu-d-Dal il
Stärke des Beweises, Beweiskraft
Qiy as
Analogieschluss; vierte Rechtsquelle des Islam
Q a’id
Heerführer
Q a 6a ’
Schicksal; bezeichnet das, was dem Menschen widerfährt und
nicht von ihm beeinflusst werden kann
Qadar
Bestimmung; bezeichnet die in den Dingen und im Menschen
vorherbestimmten Eigenschaften
173
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 174
DES ISLAM
Q a 6 i a l - Q u 6a t
Oberster Richter
Q u 6a t
Richter, pl. von Q a6i
Qaw an in
Gesetze, pl. von Q a n u n
Rizq
bezeichnet das, was Allah den Geschöpfen als Lebensunterhalt
bereitstellt
Ridda
Abtrünnigkeit vom Islam; Bezeichnung für eine Bewegung
während des Kalifats von Ab u Bakr, die die Zahlung der Zak a t
ablehnte und als Abtrünnige bekämpft wurden ( H ur u b ar-Ridda)
R uh
(Spiritualität, Geistlichkeit); bezeichnet das Erfassen der
eigenen Verbindung zu Allah
Rib a
Zinsen
Ra’y
(rechtliche) Ansicht
Rak c a
im Gebet ausgeführter Bewegungsablauf
R i w a ya
nach genauen Regeln verlaufende Überlieferung
174
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 175
WORTVERZEICHNIS
S u ra
geschlossene Einheit von A y a t (Versen) des Qur’ a n
Su r a
Beratung
S ar i c a
das islamische Recht
Sunna
(1) Bezeichnung für die Gesamtheit dessen, was an Berichten
über Aussagen, Handlungen und Stillschweigen (Bestätigung)
vom Gesandten Allahs (a.s.s.) überliefert wurde; zweite
Rechtsquelle des Islam; (2) Bezeichnung für eine Handlung in
den c Ib a d a t, die mand u b oder n a fila - d.h. erwünscht - ist
sarr
das, was Allah als schlecht definiert hat
3 a ha b a
Gefährten des Propheten Muhammad (a.s.s.)
S ai h u - l - I s l a m
Institution im Osmanischen Kalifat, Oberster Richter und
Mu g tahid
ta c a l a, (t.)
wörtl.: ”Er sei erhaben”, wird bei der Nennung Allahs zur
Anpreisung angeführt
Tabann i
Adaption einer Rechtsmeinung, die dadurch für die jeweilige
Person in ihren Handlungen und Äußerungen verbindlich wird,
Tabann i durch den Kalifen: Adaption eines islamischen
175
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 176
DES ISLAM
Gesetzes das dadurch für alle verbindlich wird
Tafs ir
Exegese, Erläuterung des Qur’ a n
Taql id
Nachahmung; im islamischen Recht die Befolgung von I g tih a d a t
der Mu g tahid u n
Taqw a
Furcht vor Allah
T a bi c u n
auf die 3 ah a ba folgende Generation
T a bi c - u t - T a bi c i n
den T a bi c u n nachfolgende Generation
7 ar i q u - l - I m a n
der durch Denken vollzogene Weg zum festen Glauben an den
Islam
7 ar i qa
Methode; die Methode muss im Islam von derselben Art wie die
Fikra sein (s.o.), d.h. dieselbe Quelle haben, also aus Qur’ a n und
Sunna entspringen
cUsr
Abgabe eines Zehntels vom Bodenertrag bei natürlicher
Bewässerung bzw eines Zwanzigstels bei künstlicher
Bewässerung als Zak a t
c Uq u b a t
Strafgesetze
176
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
Seite 177
WORTVERZEICHNIS
Umma
die weltumfassende Gemeinschaft aller Muslime
Usl ub
Stil; im Gegensatz zur 7 ar i qa, die durch den islamischen
Rechtsspruch Gesetz genau definiert ist, ist Usl u b nach der
besten Effizienz wählbar
Um ar a’
Pl. von Am i r; Befehlshaber, Herrscher
Wali
Gouverneur; derjenige, der mit einer Wil a ya betraut ist
W ag i b
Pflicht, s.a. Far 6
W a s i la
Mittel
Wa 4 i y y
Vormund
Wak il
Bevollmächtigter
Wa l i y y
Vormund im familieren Bund
Waz ir
siehe: Mu c a win
W i l a ya
Provinz; Regierungsbereich im islamischen Staat
177
NisamEnd.qxd
16.05.00
14:23
DIE LEBENSORDNUNG
Seite 178
DES ISLAM
Yaq in
Gewissheit; sichere Erkenntnis, auch: rationaler (nicht
übertragener) Beweis
Zak at
jährlich von Muslimen zu zahlende Abgabe von 2,5% des
Vermögens, die an acht im Qur’ a n genau definierte Kategorien
von Personen verteilt wird
Zan i
jemand, der das strafbare Vergehen der Unzucht (Zin a ) begeht
zann i
glaubhaft; nicht qa 8 c i
§
iop
178
Herunterladen