NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 1 Taqiyyu-d-Din an-Nabhani DIE LEBENSORDNUNG DES ISLAM (NIZAMU-L-ISLAM) veröffentlicht von Hizb-ut-Tahrir Al-Quds (Jerusalem) 1372 d.H. - 1953 n.C. NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 2 AL-Khilafah Publications PO Box 1100 London CR4 2ZR email: [email protected] web:http://www.khilafah.com 1418n.H. - 1997n.Chr. ISBN 1 899 574 123 Zu r Ü b e r s e t z u n g d e s Q u r a n: Es sollte absolut klar sein, daß der Qur a n nur in seiner Originalsprache, Arabisch, authentisch ist. Da eine Übersetzung des Qur a n unmöglich ist, handelt es sich bei den deutschen Texten unterhalb des arabischen Originals um eine ungefähre Bedeutung in deutscher Sprache. Zum Druck: Qur a nische A y a t wurden fett Had it e des Gesandten Mu h ammad (s.a.s.) fett und kursiv und die Umschrift arabischer Begriffe kursiv abgedruckt. s.w.s. : sub ha nahu wa ta c a l a s.a.s. : 3 al-l-All a hu c aleihi wa sallam a.s. : c aleihi- 4 - 3 al a tu wa-s-sal a m NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 3 INHALTSVERZEICHNIS DER WEG ZUM GLAUBEN SCHICKSAL UND BESTIMMUNG DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM C WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DA WA GETRAGEN WERDEN DIE ISLAMISCHE KULTUR DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG DER ISLAMISCHE RECHTSSPRUCH C AHKAM SAR IYYA DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VONA DIESSUNNA DAS BEFOLGEN DER HANDLUNGEN DES GESANDTEN ALLAHS (S.A.S.) DIE ADAPTION VON ISLAMISCHEN GESETZEN VERFASSUNG UND GESETZ VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT ALLGEMEINE GESETZE DAS REGIERUNGSSYSTEM DER KALIF MU CAWIN AT-TAFW I5 MU CAWIN AT-TANF ID AMIR-UL- GIH AD DIE ARMEE DAS GERICHTSWESEN DIE GOUVERNEURE STAATLICHE DIENSTBEHÖRDEN DER MA GLIS AL-UMMA DAS BEZIEHUNGSSYSTEM DER GESCHLECHTER DAS WIRTSCHAFTSSYSTEM BILDUNGSPOLITIK DIE AUßENPOLITIK ETHIK IM ISLAM WORTVERZEICHNIS 1 16 27 72 79 85 92 95 96 97 98 100 107 107 110 111 116 118 119 120 122 126 128 129 132 134 144 146 150 163 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 1 DER WEG ZUM GLAUBEN (7 ARIQU-L- IMAN ) Der Mensch erlebt einen geistigen Aufstieg (Nahda) auf Grundlage der Ideen, die er über das Leben, das Universum und den Menschen und über ihre Beziehung zu dem hat, was dem diesseitigen Leben voranging und was nach ihm folgt. Um dem Menschen zu einem geistigen Aufstieg zu verhelfen, ist es notwendig, sein gegenwärtiges Denken grundlegend und umfassend zu ändern. Es muss durch ein anderes Denken ersetzt werden, denn nur das Denken bringt Erkenntnisse (Mafahim) über die Dinge hervor und befestigt diese. Der Mensch gestaltet sein Verhalten im Leben gemäß den Erkenntnissen, die er darüber erworben hat. So bestimmen z.B. die Erkenntnisse des Menschen über eine Person, der er zugeneigt ist, sein Verhalten ihr gegenüber, im Gegensatz zu seinem Verhalten gegenüber jemandem den er ablehnt, aufgrund der negativen Erkenntnisse, die er über ihn gebildet hat, wie auch im Unterschied zu einer Person, die er nicht kennt, und von der er demzufolge gar keine Erkenntnis hat. Das menschliche Verhalten ist daher an seine Erkenntnisse gebunden. Wenn wir das degenerierte Verhalten des Menschen ändern und es durch ein fortgeschrittenes ersetzen möchten, müssen wir daher als erstes seine Erkenntnisse ändern. Allah (s.t.) sagt: Allah ändert den Zustand eines Volkes nicht, bis sie das ändern, was in ihnen selbst ist. Der einzige Weg zur Veränderung der Erkenntnisse ist es, ein Denken über das diesseitige Leben zu entwickeln, um mit seiner Hilfe die wahren Erkenntnisse darüber hervorzubringen. Dieses Denken über das diesseitige Leben wird jedoch erst dann fruchtbar verwurzelt, wenn ein Denken über das Universum, den Menschen und das Leben sowie 1 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 2 DIE LEBENSORDNUNG DES ISLAM über das entstanden ist, was vor dem diesseitigen Leben war, was nach dem diesseitigen Leben sein wird und über die Beziehung dieser Komponenten zueinander. Dies wird dadurch erreicht, dass man dem Menschen eine umfassende Idee über das gibt, was hinter diesem Universum, dem Leben und dem Menschen steht. Denn sie ist das Denkfundament, auf dem alle Ideen über das Leben basieren. Die Vermittlung einer umfassenden Idee über diese Dinge stellt die Lösung des größten Problems beim Menschen dar. Ist dieses Hauptroblem gelöst, werden auch alle übrigen Probleme gelöst werden, weil es sich dabei nur um Teile oder Abzweigungen des größten Problems handelt. Diese Lösung führt nur dann zu einer wirklichen Nahda, wenn sie korrekt ist, mit der Natur des Menschen übereinstimmt, seinen Verstand überzeugt und sein Herz mit Gewissheit erfüllt. Diese korrekte Lösung kann nur durch ein erleuchtendes Denken über das Universum, den Menschen und das Leben hervorgebracht werden. Es ist also für diejenigen, die den geistigen Aufstieg beabsichtigen und den Weg der Entwicklung einschlagen wollen, notwendig, zuerst dieses größte Problem auf korrekte Weise durch ein erleuchtendes Denken zu lösen. Diese Lösung stellt die Glaubensgrundlage (cAqida) und gleichzeitig das Denkfundament dar, auf dem das gesamte Denken aufbaut, mit dem das menschliche Verhalten im Leben und alle Lebenssysteme bestimmt werden. Der Islam hat sich diesem größten Problem des Menschen gewidmet und es auf eine Weise gelöst, die mit seiner Natur übereinstimmt, den Verstand mit Überzeugung und das Herz mit Gewissheit erfüllt. Die intellektuelle Bestätigung dieser Lösung hat der Islam zur Bedingung seiner Annahme gemacht. Der Islam beruht auf einer einzigen Grundlage, der cAqida, welche besagt, dass hinter dem Universum, dem Menschen und dem Leben ein Schöpfer steht, der diese Komponenten und alles andere erschaffen hat, nämlich ALLAH tacala. Sie besagt auch, dass dieser Schöpfer alles aus dem Nichts erschaffen hat, und dass Seine Existenz unabdingbar ist. Er ist nicht erschaffen, denn die 2 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 3 DER WEG ZUM GLAUBEN Tatsache, dass Er der Schöpfer des Universums ist, schließt dies aus. Alle Dinge sind auf Ihn zurückzuführen, während Er auf nichts zurückzuführen ist. Was die Tatsache betrifft, dass alle Dinge von einem Schöpfer erschaffen wurden, so ist ersichtlich, dass das, was der Verstand erfassen kann, nämlich der Mensch, das Leben und das Universum, begrenzt, schwach, unvollkommen und nach etwas anderem bedürftig ist. Der Mensch ist begrenzt, weil er sich in jeder Hinsicht bis zu einer Grenze entwickelt, die er nicht überschreiten kann. Das Leben ist begrenzt, weil es sich im Individuum äußert, und dort auch endet. Das Universum ist begrenzt, weil es sich um eine Gesamtheit von Himmelskörpern handelt, die ihrerseits begrenzt sind, und eine Gesamtheit von begrenzten Dingen unweigerlich begrenzt sein muss. Somit steht fest, dass Mensch, Leben und Universum mit absoluter Sicherheit begrenzt sind. Betrachten wir das Begrenzte als solches, stellen wir fest, dass es nicht ohne Anfang und Ende, d.h. azal i sein kann. Es muss unweigerlich von etwas anderem erschaffen worden sein, und dieses andere ist der Schöpfer des Menschen, des Lebens und des Universums. Was den Ursprung dieses Schöpfers betrifft, so gibt es drei Möglichkeiten: Entweder ist Er von etwas anderem erschaffen worden, hat sich selbst erschaffen, oder er ist azali , also ohne Anfang und Ende, und seine Existenz ist unabdingbar notwendig. Die erste Möglichkeit ist aus dem Grunde nichtig, weil der Schöpfer in diesem Fall begrenzt wäre. Die zweite Möglichkeit, dass Er sich selbst erschaffen habe, ist ausgeschlossen, weil Er dann zur selben Zeit Schöpfer und Geschöpf wäre. Somit bleibt (nach rationaler Betrachtung) nur die Möglichkeit, dass der Schöpfer azal i und seine Existenz unabdingbar ist. Dieser Schöpfer ist Allah tacala. Jeder Mensch, der einen Verstand hat, kann ausgehend von der bloßen Existenz der Dinge, die er wahrnehmen kann, schließen, dass sie einen Schöpfer haben, der sie erschaffen hat. Denn alles, was der Betrachter wahrnehmen kann, ist schwach, unvollkommen, bedürftig und somit 3 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 4 DIE LEBENSORDNUNG DES ISLAM mit absoluter Gewissheit erschaffen. Es genügt, den Blick auf irgendeine Sache im Universum, im Menschen oder im Leben zu richten, um dadurch die Existenz des Schöpfers, der alles nach Seinem Plan lenkt, zu beweisen. Die Betrachtung irgendeines Planeten im Universum, das Nachdenken über einen beliebigen Aspekt im Leben, und das Erfassen irgendeiner Seite im Menschen beweist die Existenz Allahs mit absoluter Sicherheit. Dementsprechend können wir feststellen, dass der Quran den Blick auf die Dinge lenkt, und den Menschen dazu aufruft, diese Dinge, ihre Umgebung und was mit ihnen in Verbindung steht, zu betrachten, um auf diese Weise die Existenz von Allah tacala zu beweisen. Der Mensch nimmt die Bedürftigkeit der Dinge wahr und begreift dadurch mit absoluter Sicherheit die Existenz Allahs, des Schöpfers, der alles nach Seinem Plan lenkt. Es gibt Hunderte von Ayat in dieser Bedeutung. Allah tacala sagt in Surat Al cImran: Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und dem Wechsel von Nacht und Tag sind Zeichen für die Denkenden. (Surat Al cImran, Aya 190) In Surat ar-Rum sagt Er: Und zu Seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der Erde und der Unterschied eurer Sprachen und Farben. (Surat ar-Rum, Aya 22) In Surat al-9asiya sagt Allah: 4 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 5 DER WEG ZUM GLAUBEN Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie sie erschaffen wurden, und zu dem Himmel, wie er emporgehoben ist, und zu den Bergen, wie sie aufgerichtet sind, und zu der Erde, wie sie hingebreitet ist? (Surat 9asiya, Ayat17-20) Allah tacala sagt in Surat a8-7ariq: Darum soll der Mensch betrachten, woraus er erschaffen wurde. Erschaffen wurde er aus einer sich kräftig hervorschießenden Flüssigkeit, (und) kommt zwischen den Lenden und den Rippen hervor. (Surat a8-7ariq, Ayat 5-7) Allah sagt in Surat al-Baqara: Wahrlich in der Schöpfung der Himmel und der Erde, und dem Wechsel von Nacht und Tag, und den Schiffen, die auf dem Meer fahren mit dem, was den Menschen nützt, und in dem, was Allah vom Himmel an Wasser herniedersandte und damit die Erde nach ihrem Tod belebte, und alle Arten von Tieren 5 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 6 DIE LEBENSORDNUNG DES ISLAM sich ausbreiten ließ; Und im Wechsel der Winde und den dienstbaren Wolken zwischen Himmel und Erde sind Zeichen für die Denkenden. (Surat al-Baqara, Aya 164) Zusätzlich zu den genannten Ayat gibt es noch viele, die den Menschen dazu auffordern, tief über die Dinge, das, was sie umgibt, und was mit ihnen in Verbindung steht, nachzudenken und davon ausgehend, die Existenz des planenden Schöpfers zu beweisen, so dass der Glaube an Allah auf dem Verstand beruht und durch Beweis fest verankert ist. Es stimmt, dass der Glaube an einen Schöpfer, der alles nach Seinem Plan lenkt, jedem Menschen angeboren ist. Doch dieser instinktive Glaube kommt durch Emotionen zustande. Dieser Weg ist in seinem Ergebnis nicht verlässlich, und kann alleine nicht zu einer tiefen Verwurzelung führen. Emotionen führen zahlreiche Dinge in den Glauben ein, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Der emotionale Glaube erhebt diese fälschlicherweise zu notwendigen Attributen dessen, woran man glaubt. Dieser Weg führt unweigerlich zu Unglauben (Kufr) oder (5alal). Götzenanbetung, Aberglauben und Mythologien sind nichts anderes als das Resultat der Fehlerhaftigkeit von Emotionen. Im Islam führt der Weg zum Glauben nicht allein über die Emotionen, damit Allah keine Attribute beigemessen werden, die seiner Göttlichkeit widersprechen, oder gar Seine Verkörperung in materiellen Dingen oder eine Annäherung an Ihn durch die Anbetung materieller Dinge für möglich gehalten wird. Dieser Weg würde entweder zu Unglauben (Kufr) und Beigesellung (Sirk) oder zu Einbildungen und Aberglauben führen, die der aufrichtige Iman ablehnt. Aus diesem Grunde hat es der Islam zur Obligation gemacht, dass der Verstand gemeinsam mit dem instinktiven Gefühl eingesetzt wird. Der Gebrauch des Verstandes ist für den Muslim verpflichtend, wenn er an Allah tacala glaubt. Der Islam hat die blinde Nachahmung in der Glaubensgrundlage verboten und macht den Verstand zum Entscheidungsträger über den Glauben an Allah. 6 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 7 DER WEG ZUM GLAUBEN Allah tacala sagt: Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und dem Wechsel von Nacht und Tag sind Zeichen für die Denkenden. Daher muss jeder Muslim seinen Glauben aus Denken, Untersuchung und Beobachtung hervorgehen lassen, und seinen Verstand zum absoluten Entscheidungsträger über den Glauben an Allah (t.) machen. Der Quran bestätigt den Aufruf zur Betrachtung des Universums mit dem Ziel, seine Gesetzmäßigkeiten abzuleiten und die Rechtleitung durch den Glauben an seinen Schöpfer zu finden, Hunderte von Malen in seinen verschiedenen Suren. Sie alle richten sich an die rationale Kapazität des Menschen und rufen ihn zur Betrachtung und zum Nachdenken auf, damit sein Glaube auf Verstand und Beweis beruht. Sie warnen den Menschen davor, in blinder Nachahmung das anzunehmen, was seine Vorfahren ohne Erwägung und Prüfung und ohne von seiner Korrektheit überzeugt zu sein, befolgten. Dies ist der Glaube, zu dem der Islam aufruft. Es ist alles andere als das, was man als blinden Glauben bezeichnet. Es handelt sich im Gegenteil um den Glauben der erleuchtend denkenden und überzeugten Person, welche wiederholt betrachtete und nachdachte, und dann durch den Weg dieser Betrachtung und dieses Nachdenkens zur sicheren Überzeugung über die Existenz Allahs, erhaben sei Seine Allmacht, kam. Obwohl der Gebrauch des Verstandes unabdingbar ist, um zum Glauben an Allah tacala zu gelangen, ist es dem Menschen nicht möglich, das zu erfassen, was über seine Wahrnehmung und seinen Verstand hinausgeht. Dies ist so, weil der menschliche Verstand begrenzt ist, und seine Fähigkeit, so sehr sie sich auch entwickelt und wächst, Grenzen 7 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 8 DIE LEBENSORDNUNG DES ISLAM erreicht, die er nicht zu überschreiten vermag. Daher ist auch sein Begreifen begrenzt, und es gibt keinen Zweifel daran, dass der menschliche Verstand nicht dazu in der Lage ist, das Wesen Allahs zu erfassen. Er ist unfähig, Seine Realität zu begreifen, weil Allah außerhalb des Universums, des Menschen und des Lebens steht. Der menschliche Verstand kann aber nicht die Realität dessen erfassen, was außerhalb seiner Sinneswahrnehmung steht und ist somit auch nicht fähig, das Wesen Allahs zu erfassen. Man kann hier nicht einwenden: Wie kann der Mensch denn durch seinen Verstand an Allah glauben, obwohl sein Verstand nicht dazu in der Lage ist, das Wesen Allahs zu erfassen? Der Glaube an Allah ist nämlich der Glaube an seine Existenz, und diese Existenz ist durch die Existenz Seiner Schöpfung, also des Universums, des Menschen und des Lebens, erkennbar.. Die Schöpfung befindet sich innerhalb der Grenzen, die der Verstand erfassen kann. So kann der Mensch sie begreifen und durch dieses Begreifen der Schöpfung auch die Existenz des Schöpfers, nämlich Allah (t.), erfassen. Somit ist also der Glaube an die Existenz Allahs rational und bewegt sich innerhalb der Grenzen des Verstandes. Im Unterschied dazu ist das Erfassen des Wesens Allahs unmöglich, weil Sein Wesen sich jenseits des Universums, des Menschen und des Lebens und somit jenseits der Wahrnehmungsfähigkeit des Verstandes befindet. Der Verstand kann aufgrund seiner Unzulänglichkeit nicht das erfassen, was über seine Wahrnehmugsfähigkeit hinausgeht. Diese Unzulänglichkeit selbst sollte den Glauben verstärken, und darf keineswegs ein Faktor der Unsicherheit und des Zweifels sein. Kommt unser Glaube an Allah auf dem Weg des Verstandes zustande, ist unser Erfassen Seiner Existenz vollständig. Und sind unsere Gefühle über Seine Existenz mit dem Verstand verbunden, sind auch diese Gefühle absolut sicher. Dies alles verwurzelt in uns ein vollständiges Begreifen und sichere Empfindungen über alle göttlichen Attribute. Es vermittelt uns die Überzeugung, dass wir das Wesen Allahs trotz der Stärke unseres Glaubens an Ihn nicht erfassen können. Daher müssen wir uns dem unterwerfen, was Er uns bezüglich dessen, was unser Verstand nicht erfassen kann, mitteilte. Der Grund dafür ist das natürliche 8 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 9 DER WEG ZUM GLAUBEN Unvermögen des menschlichen Verstandes, der sich ja durch begrenzte und relative Fähigkeiten auszeichnet, das zu begreifen, was über seine Sinneswahrnehmung hinausgeht. Dazu wären Fähigkeiten erforderlich, die weder relativ noch begrenzt sind. Das ist aber etwas, was der Mensch nicht besitzt und auch nicht besitzen kann. Was den Beweis für die Notwendigkeit von Gesandten betrifft, lässt sich folgendes festhalten: Es wurde bereits bewiesen, dass der Mensch von Allah erschaffen wurde, und dass ihm Religosität in Form eines seiner Instinkte angeboren ist. Es gehört zur Natur des Menschen, seinen Schöpfer zu verehren. Diese Verehrung ist gleichbedeutend mit Anbetung (cIbada), welche die Verbindung zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer herstellt. Ließe man diese Verbindung ohne eine Ordnung, würde dies dazu führen, dass die Verbindung zum Schöpfer gestört und etwas anderes als Er angebetet wird. Es ist also notwendig, diese Beziehung durch ein korrektes System zu organisieren. Dieses kann nicht vom Menschen herrühren, weil dieser die Realität des Schöpfers nicht erfassen und dementsprechend die Beziehung zu Ihm nicht ordnen kann. Die Ordnung muss demnach vom Schöpfer selbst stammen. Er muss sie dem Menschen mitteilen, und zu diesem Zweck muss es Gesandte geben, die den Menschen den Din (die Lebensordnung) Allahs übermitteln. Ein weiterer Beweis für das Bedürfnis der Menschen nach Gesandten beruht auf der Tatsache, dass der Mensch notwendigerweise seine Instinkte und organischen Bedürfnisse befriedigen muss. Wird diese Befriedigung ohne Ordnung ausgeführt, wird sie falsch oder fehlerhaft sein und zum Elend des Menschen führen. Es ist notwendig, ein System zur Ordnung der Instinkte und organischen Bedürnisse des Menschen zu haben. Dieses System kann nicht vom Menschen stammen, weil dessen Verständnis zur Regelung dieser Instinkte und Bedürfnisse der Disharmonie, Meinungsunterschieden, der Widersprüchlichkeit sowie der Beeinflussung durch die Umgebung, in der er lebt, unterliegt. Würde man dem Menschen diese Organisation 9 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 10 DES ISLAM überlassen, so wäre das System von eben dieser Disharmonie, diesen Meinungsunterschieden und dieser Widersprüchlichkeit geprägt. Folglich würde es nur zu seinem Elend führen. Aus diesem Grund muss das System von Allah tacala stammen. Was die Bestätigung der Tatsache angeht, dass der Quran das Wort Allahs ist, lässt sich folgendes feststellen: Der Quran ist ein arabisches Buch, das von Muhammad (a.s.s.) überbracht wurde. Er kann also entweder von den Arabern oder von Muhammad selbst, oder aber von Allah tacala stammen. Eine andere als diese drei Möglichkeiten für die Herkunft des Quran kann es nicht geben, weil der Quran in Sprache wie Stil arabisch ist. Dass der Quran von den Arabern stammt, ist unmöglich, da sie im Quran selbst dazu herausgefordert werden, etwas vergleichbares zustandezubringen: Sprich: So bringt doch zehn Suren hervor, die ihm gleichen! (Surat Hud, Aya 13) Sprich: So bringt doch eine Sura hervor, die ihm gleicht! (Surat Yunus, Aya 38) Die Araber haben vergeblich versucht, etwas vergleichbares hervorzubringen. Daher kann der Quran nicht ihr Wort sein. Was die Möglichkeit betrifft, dass der Quran von Muhammad selbst stammt, so ist sie ebenfalls unzutreffend, denn Muhammad war einer dieser Araber. So sehr man ihn auch als Genie bezeichnen mag, so ist er doch ein Mensch und ein Teil seiner Gemeinschaft und seines Volkes. Ebenso wie es den Arabern nicht gelang, eine vergleichbare Sura hervorzubringen, kann auch Muhammad, der Araber war, nichts gleichartiges geschaffen haben. Ferner sind uns von Muhammad (a.s.s) 10 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 11 DER WEG ZUM GLAUBEN Ahadit 3ahiha (richtige Hadite) und Ahadit mutawatira (absolut authentische Hadite) überliefert, die unzweifelhaft als zuverlässig gelten. Vergleicht man einen dieser Ahadit mit einer beliebigen Aya des Quran, stellt man fest, dass keine Ähnlichkeit in ihrem Stil besteht, obwohl er (a.s.s) die offenbarte Aya und den Hadit mit dem erwähnten Unterschied im Stil zur selben Zeit rezitierte bzw. vortrug. Die Sprache eines Menschen bleibt aber in ihrem Stil gleich und erkennbar, so sehr er auch versucht, diesen Stil zu verändern, weil es ein Teil seiner Persönlichkeit ist. In Anbetracht der Tatsache, dass es keinerlei Ähnlichkeit im Stil von Hadit und Aya gibt, kann der Quran auch definitiv nicht von Muhammad (a.s.s) stammen. Der Unterschied zwischen dem Quran und der Sprache Muhammads ist klar und offensichtlich. Die Araber selbst, die mit den Stilweisen der arabischen Sprache am besten vertraut waren, haben im Übrigen nicht behauptet, dass der Quran das Wort Muhammads sei oder seiner Sprache auch nur ähnele. Ihre einzige diesbezügliche Behauptung war es, dass Muhammad den Quran von einem christlichen Jungen namens Gabr erhalten habe. Allah selbst hat diesen Vorwurf zurückgewiesen, indem er sagte: Wir wissen bereits, dass sie sagen: Es ist ein Mensch, der ihn lehrt. Die Sprache desjenigen, auf den sie (in Abkehr) verweisen, ist nicht Arabisch, aber dies ist eine klare arabische Sprache. (Surat an-Nahl, Aya 103) Da nun nachgewiesen ist, dass der Quran weder das Wort der Araber, noch das Muhammads ist, muss der Quran mit absoluter Sicherheit das Wort Allahs sein. Der Quran stellt somit ein Wunder für denjenigen dar, der ihn überbracht hat. In Anbetracht der Tatsache, dass nur die Propheten und Gesandten die Sari ca Allahs erhalten, muss Muhammad, der den Quran als Wort 11 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 12 DES ISLAM Allahs und Seine Sari ca erhielt, ohne Zweifel ein Prophet und Gesandter sein. Diese Tatsache steht durch einen rationalen Beweis (Dalil caqli ) fest. Auf diese Weise ist der rationale Beweis für den Glauben an Allah, die Gesandtschaft Muhammads und dafür, dass der Quran das Wort Allahs ist, erbracht worden. Der Glaube an Allah erfolgt somit auf dem Weg des Verstandes und muss auch auf diese Weise zustandekommen. Er stellt darüber hinaus das Fundament dar, auf dem sich der Glaube an alles Verborgene und an alles das aufbaut, worüber Allah uns informiert hat. Vorausgesetzt, dass wir an Allah glauben, der die göttlichen Attribute besitzt, müssen wir definitiv an das glauben, was Er uns mitteilt, und zwar unabhängig davon, ob unser Verstand es erfassen kann oder es jenseits seines Horizonts liegt. Daher ist der Glaube an die Auferstehung, an das Paradies und das Feuer, an die Abrechnung und die Strafe, an die Engel, die Ginn, die Saya8in (Teufel) und alles das, was durch den Quran und die absolut sicheren Ahadit (Ahadit qa8ciyya) definitiv überliefert wurde, verpflichtend. Auch wenn dieser Glaube auf dem Weg der Überlieferung und des Hörens zustande kommt, so ist sein Ursprung rational, weil er durch den Verstand sicher erwiesen ist. Die Glaubensgrundlage (cAqida) des Muslim beruht also auf dem Verstand oder ist in ihrem Ursprung auf etwas zurückzuführen, was durch den Verstand erwiesen ist. Der Muslim muss das als Glaubensüberzeugung annehmen, was durch den rationalen Weg oder die absolut sichere Überlieferung, d.h. durch Quran und Hadit mutawatir, sicher erwiesen ist. Alles, was nicht auf diesen beiden Wegen, also durch den Verstand und den Offenbarungstext (Na44) von Kitab (Quran) und Sunna qa8ciyya (absolut authentischen Sunna), feststeht, darf nicht als Glaubensgrundlage angenommen werden. Die Glaubensgrundlagen können nur durch absolute Gewissheit (Yaqin) angenommen werden. Aus diesem Grunde ist der Glaube an das, was vor dem diesseitigen 12 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 13 DER WEG ZUM GLAUBEN Leben war, nämlich Allah (t.), und an das, was danach sein wird, nämlich der Tag der Auferstehung, verpflichtend. Dies betrifft auch den Glauben daran, dass die Befehle Allahs die Verbindung zwischen dem, was vor dem Leben war (nämlich Allah) und dem diesseitigen Leben selbst darstellen - zusätzlich zur bereits vorhandenen Schöpfungsverbindung. Die Rechenschaft abzulegen über das, was der Mensch im diesseitigen Leben getan hat, stellt - zusätzlich zur Auferstehung - die Verbindung zwischen dem diesseitigen Leben und dem, was danach sein wird, her. Somit besteht eine Verbindung zwischen diesem Leben, was vor diesem Leben war und was nach diesem Leben sein wird. Die Umstände des Menschen in diesem Leben sind an diese Verbindung gebunden, d.h., der Mensch muss sich im Leben gemäß den Systemen Allahs verhalten, da er davon überzeugt ist, dass er am Tag der Auferstehung für alle seine Handlungen im diesseitigen Leben zur Rechenschaft gezogen wird. Durch die vorangegangene Diskussion wurde das erleuchtende Denken über das, was hinter dem Universum, dem Leben und dem Menschen steht, sowie über das, was vor dem Leben war, was nach dem Leben sein wird und die Verbindung zwischen diesen Komponenten hervorgebracht. Dadurch wurde das größte Problem des Menschen in seiner Gesamtheit durch die islamische cAqida gelöst. Wenn der Mensch zu dieser Lösung gelangt ist, kann er damit fortfahren, über das diesseitige Leben nachzudenken und die richtigen und produktiven Erkenntnisse darüber zustandezubringen. Diese Lösung selbst ist die Grundlage, auf der die Ideologie als Methode zur Nah6a, zum geistigen Aufstieg, aufbaut. Es ist gleichzeitig die Basis der Kultur dieser Ideologie, die Grundlage, aus der ihre Systeme hervorgehen, und auf der sich ihr Staat aufbaut. Die Basis, auf der sich der Islam als Fikra (Idee) und 7ariqa (Methode) aufbaut, ist also die islamische cAqida. 13 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 14 DES ISLAM O ihr, die ihr glaubt! Glaubt an Allah und Seinen Gesandten und an das Buch, das Er Seinem Gesandten offenbarte, und das Buch, das Er zuvor offenbarte; und wer nicht an Allah glaubt und Seine Engel und Seine Bücher und Seine Gesandten und den Jüngsten Tag, der ist wahrlich weit irre gegangen. (Surat an-Nisa, Aya 136) Da dies nachgewiesen ist und der Glaube daran eine Gewissheit darstellt, ist es für jeden Muslim verpflichtend, an die gesamte islamische Sari ca zu glauben, weil sie durch den Gesandten Allahs (a.s.s) im Quran überbracht wurde. Derjenige, der nicht an diese Sari ca glaubt, ist Kafir. Es ist Kufr, die Ahkam sarciyya (islamischen Rechtssprüche) in ihrer Gesamtheit oder einzelne Ahkam qa8ciyya (absolut gesicherte Rechtssprüche) daraus abzulehnen, unabhängig davon, ob es sich um Gesetze im Bereich der cIbadat (Gebete und Gottesdienst), der Mucamalat (Vertrags- und Handelsrecht), der cUqubat (Strafrecht) oder Ma8cumat (Nahrungsvorschriften) handelt. Kufr über die Aya: Und verrichtet das Gebet (S urat al-Baqara, Aya 43) ist dasselbe wie Kufr über die Aya Und Allah hat den Handel erlaubt und das Zinsnehmen verboten (Surat al-Baqara, Aya 275) und: Dem Dieb und der Diebin schneidet die Hände ab (Surat Al-Maida Aya 38) 14 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 15 DER WEG ZUM GLAUBEN und Euch wurde das Verendete, das Blut und das Schweinefleisch und das verboten, worüber etwas anderes als der Name Allahs angerufen wurde. (Surat al-Maida, Aya 3) Der Glaube an die Sari ca ist nicht vom Verstand abhängig. Vielmehr müssen wir uns dem vollständig unterwerfen, was wir von Allah (t.) erhalten haben. Nein, bei deinem Herrn, sie sind nicht wirklich gläubig, bis sie dich zum Richter über alles machen, was zwischen ihnen strittig ist, und darauf in ihren Herzen keinen Widerstand finden gegen das, was du bestimmt hast, und sich völlig unterwerfen. (Surat an-Nisa, Aya 5) ipip 15 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 16 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG (QA5A UND QADAR ) Allah sagt in Surat Ali cImran: Keine Seele soll sterben außer mit der Erlaubnis Allahs zu einer festgesetzten Frist. (Surat Ali cImran, Aya 145) In Surat al-Acraf sagt Er: Jedem Volk ist eine Frist gesetzt. Wenn ihre Frist erreicht ist, können sie sie weder um eine Stunde hinausschieben, noch um eine Stunde vorverlegen. (Surat al-Acraf, Aya 34) In Surat al-Hadid sagt Allah: Es geschieht kein Unheil auf der Erde oder an euch, dass nicht in einem Buch verzeichnet wäre, bevor Wir es ins Leben rufen. Dies ist für Allah ein leichtes. (Surat al-Hadid, Aya 22) Allah sagt in Surat at-Tauba : Sprich: Nichts kann uns geschehen außer dem, was Allah uns bestimmt hat. Er ist unser Beschützer, und 16 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 17 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG auf Allah sollen die Gläubigen vertrauen. (Surat at-Tauba, Aya 51) In Surat Saba sagt Er: Nicht einmal das Gewicht eines Atoms in den Himmeln oder auf der Erde ist Ihm verborgen, noch gibt es etwas kleineres oder größeres als jenes, das nicht in einer klaren Schrift verzeichnet wäre. (Surat Saba, Aya 3) In Surat al-Ancam sagt Er: Und Er ist es, der eure Seelen in der Nacht abruft und weiß, was ihr am Tage begeht. Dann erweckt Er euch wieder zum Leben, damit die bestimmte Frist vollendet wird. Darauf werdet ihr zu Ihm zurückkehren, dann wird Er euch verkünden, was ihr getan habt. (Surat al-Ancam, Aya 60) in Surat an-Nisa sagt Allah: Und wenn sie etwas gutes trifft, sagen sie: Das ist von 17 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 18 DES ISLAM Allah; Und wenn sie etwas schlechtes trifft, sagen sie: Das ist von dir. Sprich: Alles ist von Allah. Warum verstehen denn diese Leute kaum etwas von dem, was ihnen gesagt wird?(Surat an-Nisa, Aya 78) Diese und andere Ayat des Quran in gleicher Bedeutung werden von vielen als Beweis in der Frage von Qa6a und Qadar, von Schicksal und Vorherbestimmung, herangezogen, um zu belegen, dass der Mensch durch den Willen Allahs dazu gezwungen ist, Handlungen auszuführen, und dass Allah selbst den Menschen und auch dessen Handlungen erschaffen hat. Diese Ansicht wird mit der Aussage Allahs zu unterstützen versucht: Allah hat euch erschaffen und das, was ihr tut. (Surat as-3affat, Aya 96) Auch Ahadit werden hierzu herangezogen, wie etwa der Ausspruch des Gesandten Allahs (s.): D e r R uh a l - Q u d u s ( E r z e n g e l G a b r i e l ) h a t m i r e i n g e g e b e n , dass keine Seele stirbt, bis sie nicht ihren Rizq (für sie bestimmten Gaben), ihren A gal (Lebensspanne) und das vollständig erhalten hat, was für sie bestimmt war. Die Frage nach Qa6a und Qadar (Schicksal und Vorherbestimmung) hat in den islamischen Rechtsschulen eine wichtige Rolle eingenommen. Die verschiedenen Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Ahl as-Sunna waren der Ansicht, dass dem Menschen in seinen Handlungen eine freiwillige Aneignung zusteht (Kasb Ihtiyari), und er dementsprechend für diesen freiwilligen Erwerb zur Rechenschaft gezogen wird. Die Muctazila vertraten die Meinung, dass der Mensch seine Handlungen selbst schafft und für sie zur Rechenschaft gezogen wird, weil er sie selbst hervorgebracht hat. Die Gabriyya schließlich hatten die Auffassung, der Mensch sei zu seinen Handlungen gezwungen und habe keine Wahl darin, wie eine Feder, die 18 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 19 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG durch den Wind hin und her geweht wird. Derjenige, der die Frage des Schicksals und der Vorherbestimmung genau untersucht, muss wissen, auf welcher Grundlage diese Untersuchung aufbaut. Diese Grundlage ist weder, ob es der Mensch ist, der seine Handlung erschafft oder Allah (t.); Noch geht es um das Wissen Allahs, also darum, dass Allah bereits weiß, wie der Mensch handeln wird, und Sein Wissen diese Handlung umfasst. Ausgangspunkt der Untersuchung ist auch nicht der Wille Allahs, der mit den Handlungen des Menschen verbunden ist, d.h. dass seine Handlungen durch den Willen Allahs hervorgebracht würden. Auch die Tatsache, dass die Handlung des Menschen bereits im Lauh Mahfuz (bei Allah verwahrte Tafel) niedergeschrieben ist, und er somit gemäß dem handeln müsse, was geschrieben steht, stellt nicht die Grundlage der Untersuchung dar. Absolut keines der erwähnten Dinge stellt also die Grundlage dieser Untersuchung dar, weil sie unter dem Aspekt der Belohnung und Bestrafung keine Beziehung zum Thema haben. Sie beziehen sich vielmehr auf den Aspekt der Schöpfung, des alle Dinge umfassenden Wissens und des Willens Allahs, der mit allem Möglichen in Verbindung steht, sowie des alle Dinge umfassenden Lauh Mahfuz. Diese Beziehung stellt aber ein anderes Thema dar, das von der Problematik der Belohnung und Bestrafung getrennt ist. Die besagte Frage muss also lauten: Ist der Mensch dazu gezwungen, eine Handlung auszuführen, sei sie nun gut oder schlecht? Und hat er eine Wahl darin, eine Handlung zu unternehmen oder zu unterlassen, oder hat er sie nicht? Derjenige, der die Handlungen genau betrachtet, stellt fest, dass der Mensch in zwei Bereichen lebt: Der erste Bereich ist ihm unterworfen, d.h., es ist der Bereich, in dem der Mensch Handlungen aus völlig freien Stücken unternimmt. Was den anderen Bereich betrifft, so ist der Mensch hier derjenige, der sich fügen muss, d.h., es geschehen 19 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 20 DES ISLAM Handlungen, auf die er keinen Einfluss hat, sei es, dass diese Handlungen ihm widerfahren oder von ihm selbst ausgehen. Die Handlungen in dem Bereich, in dem der Mensch keinen Einfluss ausüben kann, kann man in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe wird durch die Ordnung der Existenz bedingt, während die zweite Gruppe nicht durch diese Ordnung bedingt wird, aber trotzdem außerhalb jeder Kontrolle durch den Menschen geschieht. Was die Handlungen betrifft, die durch die Ordnungen der Schöpfung bedingt sind, so ist der Mensch ihnen völlig unterworfen. Ebenso wie das Leben und das Universum verhält er sich entsprechend einem bestimmten System, das fortdauernd ist. Die Handlungen auf dieser Ebene geschehen ohne den Willen und die freie Wahl des Menschen. Der Mensch wird gelenkt, ohne eine Wahl zu haben. So ist er ohne seinen Willen auf diese Welt gekommen, und wird sie auch ohne seinen Willen wieder verlassen. Er kann nicht mit seinem Körper allein in der Luft fliegen wie ein Vogel, oder in seiner natürlichen Gestalt über das Wasser laufen, oder sich die Farbe seiner Augen selbst wählen. Er kann weder die Form seines Kopfes, noch die Gestalt seines Körpers wählen. Es ist allein Allah (t.), der all dies erschaffen hat, ohne dass sein erschaffener Diener irgendeinen Einfluss darauf oder eine Beziehung dazu hätte. Allah ist es, der die Ordnung der Existenz erschaffen hat, sie das Universum ordnen und die Schöpfung nach dieser Ordnung funktionieren ließ, ohne eine Möglichkeit für den Menschen, sie zu verändern. Was die Handlungen betrifft, die außerhalb der menschlichen Kontrolle stattfinden, aber nicht durch die Ordnung der Existenz notwendigerweise bedingt werden, so stoßen sie ihm zu oder gehen durch Zwang von ihm aus, ohne dass er irgendeinen Einfluss darauf hätte. Wenn etwa eine Person von einer Mauer auf eine andere Person fällt und diese tötet, oder jemand auf einen Vogel schießt und einen Menschen trifft, den er nicht wahrgenommen hat, und diesen tötet, oder wenn ein Zug oder ein Auto verunglückt, oder ein Flugzeug 20 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 21 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG wegen eines Defektes abstürzt, den man zuvor nicht festgestellt hat, und die Passagiere durch diese Unglücke sterben, so handelt es sich um Handlungen, die ohne seinen Willen und außerhalb seiner Kontrolle vom Menschen ausgehen oder ihm widerfahren, aber nicht durch die Ordnung der Existenz bedingt werden. Sie finden in dem Bereich statt, dem der Mensch unterworfen ist. Alle Handlungen, die in diesem Bereich stattfinden, werden als Qa6a (Schicksal) bezeichnet, weil Allah sie bestimmt hat. Aus diesem Grunde wird der Mensch für diese Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen, unabhängig davon, ob er einen Nutzen oder Schaden davon hat, oder ob er sie aus seiner Sicht liebt oder verabscheut, d.h., unabhängig davon, ob diese Handlungen aus der Sicht und in der Erklärung des Menschen als gut oder schlecht betrachtet werden - Allah allein weiß, was in diesen Handlungen gut oder schlecht ist -, denn der Mensch hat keinen Einfluss darauf. Er kennt diese Handlungen nicht und weiß nicht, auf welche Weise sie zustande kommen. Er ist absolut nicht dazu in der Lage, sie abzuwenden, und muss daran glauben, dass es sich dabei um das Schicksal handelt, das von Allah (t.) bestimmt ist. Was die Vorherbestimmung (al-Qadar) betrifft, so ist festzustellen, dass die Handlungen sowohl in dem Bereich, dem der Mensch unterworfen ist, als auch in dem Bereich, der dem Menschen unterworfen ist, von Dingen ausgehen oder Dinge einbeziehen, die Bestandteil des Universums, des Menschen und des Lebens sind. Allah hat in diesen Dingen bestimmte Eigenschaften erschaffen. So hat Er z.B. im Feuer die Eigenschaft des Brennens, im Holz die Eigenschaft des Verbrennens und im Messer die Eigenschaft des Schneidens erschaffen. Allah hat diese Eigenschaften zum notwendigen Bestandteil der Ordnung der Existenz gemacht. Sollten diese Eigenschaften einmal ausbleiben, so ist es Allah selbst, der sie entgegen dem sonstigen Verlauf der Dinge aufgehoben hat. Dies geschieht nur im Zusammenhang mit den Propheten und als Wunder zum Beweis ihres Prophetentums. Ebenso wie Er in den Dingen bestimmte Eigenschaften erschaffen hat, hat Allah auch im Menschen Instinkte 21 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 22 DES ISLAM und Lebensbedürfnisse geschaffen, in denen es bestimmte Eigenschaften gibt. Allah hat im Fortpflanzungsinstinkt die sexuelle Neigung erschaffen, und in den organischen Bedürfnissen bestimmte Attribute wie Hunger, Durst und dergleichen. Diese Eigenschaften sind gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Existenz notwendig. Diese bestimmten Eigenschaften, die Allah subhanahu wa (t.) in den Dingen und den Instinkten und Lebensbedürfnissen des Menschen erschuf, bezeichnet man als Qadar (Vorherbestimmung), weil Allah allein die Dinge, Instinkte und Lebensbedürfnisse erschuf und darin ihre besonderen Attribute bestimmte. Diese Attribute werden weder durch die Dinge hervorgebracht, noch hat der Mensch irgendeine Kontrolle über oder einen Einfluss auf sie. Daher muss der Mensch daran glauben, dass es Allah ist, der in diesen Dingen die besonderen Eigenschaften erschuf. Der Mensch kann mithilfe dieser Attribute Handlungen ausüben. Führt der Mensch diese Handlungen, sei es durch die Nutzung der Dinge oder die Befriedigung der Instinkte und Lebensbedürfnisse, im Einklang mit den Befehlen Allahs aus, sind sie hair (gut), führt er sie aber im Widerspruch zu Seinen Befehlen aus, sind sie sarr (schlecht). Findet diese Handlung im Einklang mit den Befehlen und Verboten Allahs statt, ist sie gut, widerspricht sie Seinen Befehlen und Verboten, ist sie schlecht. Dementsprechend sind alle Handlungen - gut oder schlecht - die in jenem Bereich geschehen, welchem der Mensch unterworfen ist, von Allah (t.), ebenso wie die besonderen Eigenschaften in den Dingen und in den Instinkten und Lebensbedürfnissen von Allah sind, ob sie nun zum Guten oder zum Schlechten führen. Aus diesem Grunde muss der Muslim daran glauben, dass Qa6a (das Schicksal) - gut oder schlecht von Allah (t.) ist. D.h., er muss zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass die Handlungen, die außerhalb des menschlichen Einflussbereiches liegen, von Allah kommen. Er muss daran glauben, dass al-Qadar (die Vorherbestimmung), - das Gute wie das Schlechte darin - von Allah (t.) kommen. D.h., er muss zweifelsfrei davon überzeugt sein, dass die besonderen Eigenschaften der Dinge in ihrem natürlichen Zustand, ob 22 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 23 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG sie nun zum Guten oder zum Schlechten führen, von Allah (t.) kommen, und dass der erschaffene Mensch keinen Einfluss darauf hat. Die Lebensfrist des Menschen (Agal), sein Rizq und seine Seele stammen alle von Allah (t.), ebenso wie die sexuelle Neigung im Fortpflanzungsinstinkt, die dem Selbsterhaltungsinstinkt eigene Neigung, sich Besitz anzueignen, und Hunger und Durst in den organischen Bedürfnissen. Soviel zu den Handlungen, die in dem Bereich geschehen, dem der Mensch unterworfen ist sowie zu den Attributen der Dinge. Was den Bereich betrifft, der dem Menschen unterworfen ist, so kann sich der Mensch hier im Rahmen der Ordnung, die er selbst wählt - entweder der Sari ca Allahs oder einer anderen Ordnung - frei bewegen. Die Handlungen, die in diesem Bereich den Menschen betreffen oder von ihm ausgehen, beruhen auf seinem Willen. Er bewegt sich, isst, trinkt und reist, oder enthält sich dieser Handlungen, wann er will. Er nutzt das Feuer zum Brennen und schneidet mit dem Messer, wie er will. Er befriedigt seinen Selbsterhaltungstrieb und sein Bedürfnis nach Besitz wie auch seines Magens, wie er will und aus freier Wahl. Ebenso enthält er sich der Handlung aus freier Wahl. Aus diesem Grund wird er für die Handlungen, die er in diesem Bereich ausführt, zur Rechenschaft gezogen. Obwohl diese Attribute in den Dingen, den Instinkten und Lebensbedürfnissen von Allah vorherbestimmt und zum notwendigen Bestandteil gemacht wurden, und einen Einfluss auf das Ergebnis einer Handlung haben, sind es nicht diese Attribute selbst, die die Handlung hervorbringen. Es ist der Mensch, der die Handlung zustandebringt, indem er diese besonderen Eigenschaften nutzt. Die sexuelle Neigung im Fortpflanzungsinstinkt beinhaltet die Fähigkeit zum Guten wie zum Schlechten, wie auch der Hunger in den Lebensbedürfnisssen die Fähigkeit zum Guten wie zum Schlechten in sich trägt. Aber derjenige, der das Gute oder Schlechte ausführt, ist der Mensch und nicht der Instinkt oder das Lebensbedürfnis: Denn Allah (t.) hat im Menschen 23 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 24 DES ISLAM einen Verstand erschaffen, mit dem dieser unterscheiden kann. In der Natur des Verstandes hat er die Fähigkeit zum Begreifen und Unterscheiden erschaffen, und den Menschen somit auf den Weg des Guten wie des Schlechten geleitet. Und wir haben ihn auf zwei Wegen geleitet. (Surat al-Balad, Aya 10) Allah hat im Menschen auch das Begreifen der Sündhaftigkeit und der Gottesfurcht erschaffen: Und Der ihr (der Seele den Sinn für) ihre Sündhaftigkeit und ihre Gottesfurcht gegeben hat.((Surat as-Sams, Aya 8) Wenn der Mensch seine Instinkte und Lebensbedürfnisse gemäß den Befehlen und Verboten Allahs befriedigt, vollbringt er das Gute und befindet sich auf dem Weg der Taqwa (Gottesfurcht). Tut er dies unter Missachtung der Gebote und Befehle seines Schöpfers, vollbringt er das Schlechte und befindet sich auf dem Weg der Sündhaftigkeit. In jedem Fall ist er derjenige, von dem das Gute und das Schlechte ausgeht oder den es betrifft. Er ist derjenige, der das Gute vollbringt, wenn er seine Bedürfnisse im Einklang mit den Befehlen und Verboten Allahs befriedigt, und er ist es, der das Schlechte vollbringt, wenn er seine Bedürnisse entgegen den Befehlen und Verboten Allahs befriedigt. Auf dieser Grundlage wird er für die Handlungen zur Rechenschaft gezogen, die auf der Ebene geschehen, welche ihm unterworfen ist, und er wird für sie belohnt und bestraft, weil er sie aus freiem Willen ohne irgendeinen Zwang ausführte. Obwohl die besonderen Eigenschaften der Instinkte und Lebensbedürfnisse von Allah sind, und auch ihre Fähigkeit zum Guten und zum Schlechten von Allah ist, hat Allah den Menschen nicht zur Nutzung dieser besonderen Eigenschaft gezwungen, ob es sich nun um etwas handelt, was Allahs Wohlgefallen oder aber was seinen Zorn erweckt, d.h., ob es 24 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 25 SCHICKSAL UND BESTIMMUNG gut oder schlecht ist. Die Eigenschaft des Brennens zwingt den Menschen nicht dazu, etwas zu verbrennen, weder auf eine Weise, die Allah zufrieden stellt und gut ist, noch auf eine Weise, die Ihn erzürnt und somit schlecht ist. Vielmehr wurden diese besonderen Eigenschaften in den Dingen, Instinkten und Lebensbedürfnissen erschaffen, so dass derjenige, der eine Handlung ausführt, sie auf die geforderte Art umsetzt. Als Allah den Menschen und in ihm Instinkte und Lebensbedürfnisse erschuf, gab er ihm auch einen Verstand, der in der Lage ist, zu unterscheiden, und den freien Willen, eine Handlung auszuführen oder sich ihrer zu enthalten. Allah hat den Menschen nicht zur Ausführung oder Unterlassung einer Handlung gezwungen. Er erschuf in den Attributen der Dinge, Instinkte und Lebensbedürfnisse nichts, was den Menschen zur Ausführung oder Unterlassung einer Handlung zwingt. Der Mensch hat also die freie Wahl, sich durch den unterscheidenden Verstand, mit dem Allah ihn ausgezeichnet hat, und den Er zur Grundlage der Rechtsfähigkeit machte, einer Handlung zu nähern oder sich ihrer zu enthalten. Allah hat dem Menschen daher die Belohnung für die gute, und die Bestrafung für die schlechte Tat auferlegt, weil sich der Verstand frei für die Befriedigung der Instinkte und Lebensbedürfnisse im Einklang bzw. im Widerspruch zu den Geboten und Verboten Allahs (t.) entscheidet. Eine Bestrafung in diesem Fall ist wahrhaftig und gerecht, weil der Mensch sich für die Ausübung dieser Tat entschlossen hat und nicht dazu gezwungen wurde. Die Frage von Schicksal und Vorherbestimmung ist hier nicht relevant, da der Mensch hier seine Handlung aus freiem Willen ausführt und daher für das verantwortlich ist, was er tut. Jede Seele ist ein Pfand ihrer Taten. (Surat al-Muddattir, Aya 38) Was cIlm-ul-lah (das Wissen Allahs) betrifft, so zwingt es den Menschen nicht zur Ausführung einer Tat. Allah weiß, dass der Mensch eine Handlung aus freiem Willen ausführen wird. Die Ausführung selbst beruht aber nicht auf dem Wissen Allahs. Das al- c Ilm al-Azal i Allahs (das immer da gewesene Wissen) 25 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 26 DES ISLAM beinhaltet vielmehr, dass der Mensch diese Handlung unternehmen wird. Was die Niederschrift aller Handlungen im Lau h Ma h f uz betrifft, so ist es nur ein anderer Ausdruck dafür, dass Allahs Wissen alle Dinge umfasst. Auch Iradat-ul-lah (der Wille Allahs) zwingt den Menschen nicht zur Ausführung einer Tat. Der Wille Allahs steht dafür, dass nichts in Seinem Reich stattfinden kann, was Er nicht will: Nichts in der gesamten Existenz kann gegen seinen Willen geschehen. Wenn der Mensch also eine Handlung unternimmt und Allah ihn nicht daran hindert oder davon abhält, sondern ihn diese Handlung aus seinem freien Willen ausführen lässt, hat der Mensch nach dem Willen Allahs und nicht losgelöst von ihm gehandelt. Die Handlung des Menschen selbst erfolgte aus seinem freien Willen, und wurde nicht durch den Willen Allahs erzwungen. Wenn der Mensch versteht, dass Allah (t.) ihn beobachtet und für seine Handlungen zur Rechenschaft ziehen wird, und dass Allah ihm die freie Wahl gegeben hat, eine Handlung auszuführen oder sie zu unterlassen, und dass ihm die schwerste Strafe zuteil werden wird, wenn er sich im Gebrauch seiner freien Wahl nicht richtig verhält, wird die Frage von Qa6a und Qadar den Menschen dazu führen, das Gute zu tun und sich vom Schlechten fernzuhalten. Daher stellen wir fest, dass der aufrichtige Gläubige, der die Realität von Qa6a und Qadar begriffen hat, und der weiß, was für eine Gnade Allah ihm durch den Verstand und die freie Wahl zuteil werden ließ, Allah aufs Stärkste fürchtet. Er unternimmt alles, um die göttlichen Befehle auszuführen und sich von den Verboten Allahs fernzuhalten. Er tut dies aus Furcht vor der Strafe Allahs, aus Sehnsucht nach Seinem Paradies und aus dem Wunsch heraus, das zu erlangen, was noch größer ist als alles andere, nämlich das Wohlgefallen Allahs, des Erhabenen, des Barmherzigen. iopiop 26 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 27 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Immer dann, wenn das Denken besonders degeneriert, entsteht zwischen den Menschen eine patriotische Verbindung. Sie kommt dadurch zustande, dass die Menschen in einem Gebiet leben, mit dem sie sich verbunden fühlen. Der Selbsterhaltungsinstinkt veranlasst sie dazu, sich selbst und das Land und Territorium zu verteidigen, in dem sie leben. Daraus geht die patriotische Verbindung hervor. Es handelt sich dabei um die schwächste und am meisten degenerierte Verbindung, die zwischen Menschen entstehen kann. Bei Tieren und Vögeln ist diese Verbindung, die immer einen emotionalen Aspekt einnimmt, ebenso vorhanden wie bei Menschen. Die patriotische Verbindung wird im Fall einer ausländischen Aggression auf die Heimat in Form eines Angriffs oder einer Besatzung bedingt. Im Falle der Sicherheit der Heimat vor einer Aggression, und wenn der fremde Feind zurückgeschlagen oder aus der Heimat vertrieben wurde, verliert sie völlig an Bedeutung. Aus diesem Grund kann man sagen, dass es sich um eine degenerierte Verbindung handelt. Eine nationalistische Verbindung zwischen den Menschen entsteht dann, wenn ein engstirniges Denken vorherrscht. Sie besteht in einer 2Selbsterhaltungsinstinkt, der fest im Menschen verwurzelt ist, bringt in ihm den Drang zur Beherrschung anderer hervor. Sie zeichnet jenes Individuum aus, das in seinem Denken degeneriert ist, wobei es sich zunächst noch auf seine eigene Person beschränkt. Wenn aber sein Bewusstsein wächst, weitet sich der Wunsch zur Beherrschung anderer bei ihm aus, sodass er die Führung über seine Familie erlangen will. Mit der Erweiterung seines Horizontes und dem Wachsen seines Begreifens weitet sich dieser Wunsch weiter aus, so dass er zunächst die Herrschaft über sein Volk in seiner Heimat und dann über andere Völker erlangen will. Auf diese Art entstehen örtliche Streitigkeiten zwischen Angehörigen einer Familie um die Führung, bis sich die Herrschaft eines ihrer Mitglieder innerhalb der Familie befestigt hat 27 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 28 DES ISLAM und die Auseinandersetzungen um die Führung zwischen dieser Familie und anderen Familien geführt werden. Wenn sich schließlich die Herrschaft einer bestimmten Familie oder einer Gruppe aus verschiedenen Familien über das Volk gefestigt hat, kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen diesem Volk und anderen Völkern um die Vorherrschaft und um einen höheren Status im Leben. Daher überwiegt Fanatismus (cA4abiyya) bei denjenigen, die sich durch diese Verbindung auszeichnen. Sie sind durch Launenhaftigkeit und dadurch geprägt, dass sie sich gegenseitig gegen Außenstehende unterstützen. Es ist somit eine unmenschliche Verbindung, welche eine Gesellschaft inneren Konflikten aussetzt, solange die Menschen nicht durch äußere Konflikte beschäftigt und abgelenkt sind. Die patriotische Bindung ist somit aus drei Gründen falsch: 1. Es handelt sich um eine degenerierte Bindung, die einer Verbindung der Menschen auf dem Weg zum geistigen Aufstieg nicht dienlich ist. 2. Es ist eine emotionale Verbindung, die aus dem Selbsterhaltungsinstinkt mit seinem Bedürfnis zur Selbstverteidigung hervorgegangen ist. Als emotionale Verbindung unterliegt sie der Veränderung und ist nicht dazu geeignet, eine dauerhafte Verbindung zwischen den Menschen herzustellen. 3. Sie stellt eine zeitlich begrenzte Verbindung dar, die im Verteidigungsfall auftritt. Im Falle der Stabilität, also dem Normalzustand für den Menschen, existiert sie nicht und kann daher auch keine geeignete Verbindung für die Menschheit darstellen. Die nationalistische Bindung ist ebenfalls aus drei Gründen falsch: 1. Es handelt sich um eine tribale Bindung, welche die Menschen nicht auf ihrem Weg zum geistigen Aufstieg miteinander verbinden kann. 2. Die nationalistische Bindung ist ebenfalls emotional und hat ihren Ursprung im Selbsterhaltungsinstinkt, aus dem auch die Liebe zur Beherrschung anderer hervorgeht. 28 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 29 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM 3. Sie stellt eine unmenschliche Verbindung dar, die Auseinandersetzungen zwischen den Menschen um die Führung hervorruft. Aus diesem Grund kann sie keine richtige Verbindung für die Menschheit sein. Zu den falschen Bindungen, die keine wirkliche Verbindung zwischen den Menschen hervorbringen, gehören die auf gemeinsamen Interessen basierenden und die spirituellen Bindungen, aus denen kein System hervorgeht. Die Interessenverbindung ist zeitlich begrenzt und nicht dazu geeignet, die Menschheit miteinander zu verbinden, weil sie dem Kampf für noch größere Interessen unterliegt. Im Übrigen verschwindet sie, sobald das angestrebte Interesse erreicht wurde. Gehen die Interessen auseinander, ist die Verbindung beendet. Die Interessenverbindung trennt die Menschen voneinander, weil sie endet, sobald die Interessen erreicht wurden. Aus diesem Grund ist sie gefährlich für diejenigen, die sie annehmen. Was die spirituelle Bindung betrifft, aus der kein System hervorgeht, so erscheint sie bei der Ausübung religiöser Zeremonien und hat keinen Einfluss auf das tägliche Leben. Daher ist es eine partielle und unpraktikable Bindung, die die Menschen nicht in ihren Angelegenheiten des täglichen Lebens miteinander verbinden kann. So hat z.B. die christliche Glaubensgrundlage keine Verbindung zwischen den europäischen Völkern herstellen können, obwohl sie alle das Christentum angenommen haben, weil es sich um eine lediglich spirituelle Bindung handelt, aus der kein System hervorgeht. Die gesamten zuvor behandelten Verbindungen sind aus den genannten Gründen nicht dazu in der Lage, die Menschen im Leben auf ihrem Weg zum geistigen Aufstieg miteinander zu verbinden. Die einzig korrekte Bindung zwischen den Menschen im Leben ist jene, die auf einem intellektuellen Überzeugungsfundament basiert, aus dem ein System hervorgeht, mit anderen Worten, eine ideologische Verbindung. 29 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 30 DES ISLAM Die Ideologie ist eine durch den Verstand bewiesene Überzeugungsgrundlage (cAqida caqliya), aus der eine Lebensordnung hervorgeht. Unter cAqida (Überzeugungsgrundlage) versteht man eine umfassende Idee über das Universum, den Menschen und das Leben, und über das, was vor dem diesseitigen Leben war, was nach dem diesseitigen Leben sein wird sowie ihre Beziehung zueinander. Das System, das aus dieser Überzeugungsgrundlage hervorgeht, stellt die Behandlung der Probleme des Menschen dar. Es zeigt auch die Art der Umsetzung dieser Problemlösungen. Das System beschützt die cAqida und trägt die Ideologie. Die Art der Anwendung, des Schutzes und des Tragens der Dacwa aufzuzeigen, stellt die Methode (7ariqa) dar. Alles andere, d.h. die cAqida und die Problemlösungen, bilden eine Idee (Fikra). Dementsprechend besteht eine Ideologie aus einer Idee und einer Methode (Fikra wa 7ariqa). Eine Ideologie bildet sich ohne Zweifel im Verstand einer Person, und zwar entweder durch die Offenbarung dieser Ideologie an sie durch Allah s.t. mit dem Befehl, diese Ideologie zu verbreiten, oder durch ein Genie, das diese Person erleuchtet. Die Ideologie, die im Verstand einer Person durch die Offenbarung Allahs entsteht, ist die korrekte Ideologie, weil sie vom Schöpfer des Universums, des Menschen und des Lebens, von ALLAH, stammt. Es ist somit eine absolut definitive (qa8ci) Ideologie. Eine Ideologie, die durch das menschliche Genie im Verstand einer Person entsteht, ist deshalb falsch, weil sie nichtsdestotrotz aus einem begrenzten Verstand hervorgeht, der nicht dazu in der Lage ist, die gesamte Existenz zu umfassen. Ferner ist das Verständnis des Menschen für die Organisation seiner Belange Unterschiedlichkeiten, Meinungsdifferenzen und Widersprüchlichkeiten sowie der Beeinflussung durch die Umgebung ausgesetzt, in welcher der Mensch lebt. Das System, das daraus hervorgeht, wäre somit widersprüchlich und kann nur zum Elend des Menschen führen. Die Ideologie, welche aus dem Verstand eines Menschen hervorgeht, ist deshalb in ihrer cAqida wie in dem System, das daraus hervorgeht, falsch. 30 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 31 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Die Grundlage der Ideologie ist daher die umfassende Idee über das Universum, den Menschen und das Leben, und die Methode, die die Ideologie aufrecht erhält und im täglichen Leben umsetzt, muss notwendigerweise aus dieser Idee hervorgehen, um die Ideologie ins Leben zu rufen. Was die umfassende Idee in ihrer Eigenschaft als Grundlage betrifft, so stellt sie die cAqida, das Denkfundament, und die ideologische Führung dar. Auf ihrer Grundlage wird die Denkrichtung des Menschen und seine Anschauung im Leben definiert, auf ihr bauen alle Ideen auf, und aus ihr gehen alle Problemlösungen für das Leben hervor. Die 7ariqa (Methode) ist unbedingt notwendig, denn wenn das System, das aus der cAqida hervorgeht, keine Erklärung zur Umsetzung der Problemlösungen enthält, und nicht zeigt, wie die cAqida zu schützen ist, und wie die Dacwa (der Aufruf) zur Ideologie getragen wird, wäre die Idee nichts anderes als eine illusorische und hypothetische Philosophie, die in Büchern fest gehalten wird und keinen Einfluss auf das diesseitige Leben hat. Aus diesem Grunde sind sowohl die cAqida, als auch die Problemlösungen und die Methode notwendig für das Bestehen einer Ideologie. Die alleinige Existenz der Idee und der Methode in der cAqida, aus der ein System hervorgeht, sagt noch nichts darüber aus, ob die Ideologie korrekt ist. Sie zeigt lediglich, dass es sich um eine Ideologie handelt. Was den Ausschlag darüber gibt, ob eine Ideologie korrekt oder falsch ist, ist die cAqida, und zwar insofern, als diese cAqida selbst korrekt oder falsch sein kann. Die cAqida stellt das Denkfundament dar, auf dem sich jede Idee aufbaut, die jeden Standpunkt definiert und aus der jede Problemlösung und jede Methode hervorgeht. Ist dieses Denkfundament korrekt, ist auch die Ideologie korrekt, und ist es falsch, ist auch die Ideologie von ihrer Grundlage her falsch. Wenn das Denkfundament mit der Natur des Menschen übereinstimmt und auf dem Verstand beruht, handelt es sich um ein korrektes Fundament, wenn es aber der Natur des Menschen widerspricht und nicht auf dem Verstand basiert, ist es ein falsches Fundament. Mit der 31 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 32 DES ISLAM Übereinstimmung des Denkfundamentes mit der menschlichen Natur ist gemeint, dass es die Schwäche und Bedürftigkeit nach einem alles planenden und lenkenden Schöpfer in der menschlichen Natur bestätigt, oder, mit anderen Worten, dass es mit dem Anbetungsinstinkt übereinstimmt. Mit dem Beruhen auf dem Verstand ist gemeint, dass das Denkfundament weder auf der Materie noch auf der Kompromisslösung basiert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nur drei Ideologien auf der Welt: Kapitalismus, Sozialismus (und daraus hervorgehend Kommunismus) und Islam. Die beiden ersten Ideologien werden von einem oder mehreren Staaten getragen, während der Islam von keinem Staat umgesetzt wird. Er wird lediglich von Individuen in den verschiedenen Völkern getragen, ist allerdings auf der gesamten Welt verbreitet. Der Kapitalismus basiert auf der Trennung der Religion vom täglichen Leben. Diese Idee ist die Überzeugungsgrundlage, intellektuelle Führung und das Denkfundament des Kapitalismus. Aufbauend auf diesem Denkfundament ist es der Mensch, der sich seine Ordnung im Leben erstellt. Zu diesem Zweck müssen die Grundfreiheiten des Menschen gewährleistet werden. Dazu gehören die Glaubensfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und die persönliche Freiheit. Aus der Eigentumsfreiheit ging das kapitalistische Wirtschaftssystem hervor. Es handelt sich dabei um das markanteste Merkmal dieser Ideologie, und das augenfälligste, was aus ihrer Überzeugungsgrundlage hervorgegangen ist. Aus diesem Grunde wurde diese Ideologie nach ihrem hervorstechendsten Merkmal als Kapitalismus bezeichnet. Die Demokratie, die ein Ausdruck dieser Ideologie ist, geht daraus hervor, dass der Mensch sich sein eigenes System setzt. Daher gilt das Volk als Quelle der Gewalten, es bestimmt seine Systeme, und beauftragt den Herrscher damit, es zu regieren. Es kann ihm die 32 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 33 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Herrschaft entziehen, wann immer es will, und sich selbst die Ordnung geben, welche es möchte, denn die Regierung als solche ist ein Vertrag zwischen dem Volk und dem Herrscher, der besagt, dass der Herrscher das Volk nach der Ordnung regiert, welche das Volk zu diesem Zweck festgesetzt hat. Die Demokratie ist, auch wenn sie aus dieser Ideologie hervorgeht, nicht prägnanter als das Wirtschaftssystem. Als Beweis dafür kann man anführen, dass das kapitalistische System im Westen die Regierung beEinflusst. Sie hat sich den Großkapitalisten bis zu dem Ausmaß zu beugen, dass man in den Ländern, welche die kapitalistische Ideologie angenommen haben, von diesen Kapitalisten als den eigentlich Regierenden sprechen kann. Im Übrigen ist die Demokratie nicht auf diese Ideologie beschränkt, denn auch die Kommunisten propagieren die Demokratie und sprechen von der Herrschaft des Volkes. Aus diesem Grunde ist es genauer, diese Ideologie als kapitalistische Ideologie zu bezeichnen. Der Ursprung der kapitalistischen Ideologie liegt in einer geschichtlichen Entwicklung. Die Kaiser und Könige Russlands und Europas instrumentalisierten die Religion, um die Völker zu unterdrücken, zu tyrannisieren und ihr Blut auszusaugen. Sie bedienten sich dabei des Klerus als Instrument. Aus dieser Situation erwuchs eine heftige Auseinandersetzung, in deren Verlauf einige Philosophen und Denker die Religion völlig verneinten, während andere die Religion zwar anerkannten, aber zu ihrer Trennung vom täglichen Leben aufriefen. Schließlich setzte sich bei der Mehrheit der Philosophen und Denker als einzige die Idee der Trennung von Religion und täglichem Leben durch. Dies resultierte naturgemäß in der Trennung von Staat und Religion. Es setzte sich auch die Auffassung durch, dass man nicht mehr die Ablehnung oder Anerkennung der Religion, sondern ausschließlich die Notwendigkeit der Trennung der Religion vom täglichen Leben zum Gegenstand der Untersuchung machen sollte. Diese Idee kann folglich als 33 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 34 DES ISLAM Kompromisslösung zwischen dem Klerus auf der einen Seite, der die absolute Herrschaft im Namen der Religion anstrebte, und den Philosophen und Denkern auf der anderen Seite gelten, welche die Religion und die Macht des Klerus ablehnten. Diese Kompromisslösung negiert die Religion nicht, ermöglicht ihr aber auch keinen Eingang ins tägliche Leben. Somit hat sie die Religion vom täglichen Leben getrennt. Eben diese Trennung der Religion vom täglichen Leben stellt die Überzeugungsgrundlage dar, die der Westen angenommen hat. Sie ist gleichzeitig das Denkfundament, auf dem alle Ideen aufbauen. Auf ihrer Grundlage wird die Denkrichtung des Menschen und sein Blickwinkel im Leben definiert, sämtliche Probleme des Lebens werden auf ihrer Basis behandelt, und es handelt sich dabei um die ideologische Führung, die der Westen trägt und zu deren Anwendung er die ganze Welt aufruft. Die Überzeugungsgrundlage der Trennung der Religion vom täglichen Leben erkennt indirekt an, dass es etwas wie Religion gibt, d.h. dass es einen Schöpfer gibt, der das Universum, den Menschen und das Leben erschaffen hat. Sie erkennt an, dass es einen Tag der Auferstehung gibt, denn diese Aspekte bilden die Grundlage der Religion als Religion. Diese Anerkennung vermittelt eine Idee über das Universum, den Menschen und das Leben sowie über das, was dem diesseitigen Leben voranging und was danach folgt. Sie verleugnet die Existenz der Religion nicht, sondern erkennt dadurch, dass sie die Idee der Trennung vertritt, die Existenz der Religion implizit an. Somit hat sie die Existenz der Religion bekräftigt und vertritt, wenn von der Trennung der Religion vom täglichen Leben und davon gesprochen wird, dass die Religion nicht mehr darstellt als die Beziehung zwischen dem Individuum und seinem Schöpfer, die Idee, dass es keine Verbindung zwischen dem diesseitigen Leben und dem gibt, was davor war und was danach sein wird. Somit stellt die Überzeugungsgrundlage (der Trennung der Religion vom täglichen Leben) durch ihr umfassendes Konzept eine umfassende Idee über das Universum, den Menschen und das Leben dar. Aus diesem Grunde ist auch der 34 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 35 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Kapitalismus, wie wir es ausgeführt haben, eine Ideologie wie die übrigen Ideologien. Der Sozialismus bzw. Kommunismus betrachtet das Universum, den Menschen und das Leben als bloße Materie. Seiner Ansicht nach ist sie der Urprung aller Dinge. Die Dinge entstehen durch die Entwicklung der Materie. Außerhalb dieser Materie gibt es absolut nichts. Sie ist ewig (ohne Anfang und Ende), war schon immer vorhanden, und es gibt niemanden, der sie hervorgebracht hat. Mit anderen Worten, ihre Existenz bedingt sich selbst. Die Kommunisten verleugnen daher, dass die Dinge von einem Schöpfer erschaffen wurden, d.h., sie lehnen die geistige Seite (Nahia Ruhia) in den Dingen ab. Sie betrachten die Anerkennung ihrer Existenz sogar als Gefahr für das Leben, und bezeichnen die Religion aus diesem Grunde als Opium des Volkes, das die Menschen betäube und vom Handeln abhalte. Abgesehen von der Materie existiert aus kommunistischer Sicht nichts. Sogar das Denken ist nichts anderes als eine Wiederspiegelung der Materie auf das Hirn. Somit stellt die Materie den Ursprung des Denkens wie auch aller anderen Dinge dar. Aus der Evolution der Materie gehen aus kommunistischer Sicht die Dinge hervor. Aus diesem Grund verleugnen die Kommunisten die Existenz eines Schöpfers und betrachten die Materie als ewig. Sie verleugnen, dass es vor dem Leben etwas gab und dass nach dem Leben etwas sein wird: Nur das diesseitige Leben findet bei ihnen Anerkennung. Trotz der Unterschiede dieser beiden Ideologien in ihrer zugrundeliegenden Betrachtung des Menschen, des Universums und des Lebens stimmen sie darin überein, dass das höchste Ideal für den Menschen die Werte sind, die er selber aufstellt. Für beide Ideologien liegt das Glück des Menschen im Erwerb des größtmöglichen Anteils körperlicher Genüsse, weil diese aus ihrer Sicht das Mittel zum Glück oder sogar das Glück selbst darstellen. Beide Ideologien stimmen 35 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 36 DES ISLAM darin überein, dass man dem Menschen seine persönliche Freiheit geben muss, damit dieser sich so verhalten kann, wie er will, solange er in diesem Verhalten sein Glück sieht. Das persönliche Verhalten bzw. die persönliche Freiheit wird von beiden Ideologien angebetet. Kapitalismus und Kommunismus unterscheiden sich jedoch in ihrer Betrachtung des Individuums und der Gesellschaft. Der Kapitalismus ist eine individualistische Ideologie, die die Gesellschaft als eine Zusammensetzung aus Individuen betrachtet. Die Gesellschaft selbst ist in ihrer Betrachtung nur sekundär. Der Kapitalismus konzentriert seinen Blick auf das Individuum. Aus diesem Grunde hält er es für notwendig, die Freiheiten des Einzelnen zu garantieren. Zur Gewährleistung seiner eigenen Freiheit arbeitet jedes Individuum für die Gesellschaft. Demzufolge gelten die Glaubensfreiheit und die Eigentumsfreiheit als heilig. Dies bleibt keineswegs beschränkt auf ihre Philosophie, denn es ist der Staat der die Freiheiten durch die Stärke seines Militärs und die Härte seines Gesetzes umsetzt. Der Staat selbst stellt ein Mittel und nicht das Ziel dar. Die Souveränität liegt somit bei den Individuen und nicht beim Staat. Die kapitalistische Ideologie trägt als ideologische Führung die Trennung der Religion vom täglichen Leben. Auf dieser Grundlage schafft sie ihre Systeme, propagiert sie und versucht, sie auf der ganzen Welt anzuwenden. Der Sozialismus bzw. Kommunismus betrachtet die Gesellschaft als Kollektiv, das aus den Menschen und ihren Beziehungen zur Natur besteht. Diesen feststehenden und eingegrenzten Beziehungen hat der Mensch sich automatisch zu unterwerfen. Das gesamte Kollektiv ist eine einzige Sache, die Natur, der Mensch und die Beziehungen des Menschen zur Natur stellen eine Einheit dar. Es handelt sich dabei nicht um voneinander getrennte Teile. So wird die Natur als Bestandteil der Persönlichkeit des Menschen gesehen, der sein Wesen prägt. Der Mensch kann sich daher nur entwickeln, wenn er mit diesem Teil seiner 36 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 37 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Persönlichkeit, d.h. der Natur, verbunden ist. Seine Verbindung zur Natur stellt somit eine Verbindung zu sich selbst dar. Daher gilt die Gesellschaft als ein einziges Kollektiv, das sich nur als Ganzes entwickeln kann. Das Individuum folgt dieser Entwicklung wie der Zahn im Zahnrad. Aus diesem Grunde gibt es bei den Kommunisten weder eine Glaubensfreiheit noch eine Eigentumsfreiheit für das Individuum. Die Überzeugungsgrundlage wird wie die Wirtschaft vom Staat festgelegt. Der Staat ist somit für die kommunistische Ideologie heilig. Aus dieser materialistischen Philosophie gehen die Systeme des Lebens hervor, wobei das Wirtschaftssystem, das alle anderen Systeme überwiegt, die erste Grundlage darstellt. Die sozialistische bzw. kommunistische Ideologie trägt daher als ideologische Führung den Materialismus und die Dialektik. Auf dieser Grundlage schafft sie ihre Systeme, propagiert sie und versucht, sie überall umzusetzen. Der Islam erklärt, dass es außerhalb des Universums, des Menschen und des Lebens einen Schöpfer gibt, der alles erschaffen hat: Allah s.t. Die Grundlage des Islam ist daher der durch Überzeugung gewonnene feste Glaube an die Existenz Allahs. Diese cAqida ist es, welche die geistige Seite (Nahia Ruhia) definiert. Letztere besagt, dass der Mensch, das Leben und das Universum von einem Schöpfer erschaffen wurden. Somit besteht eine Verbindung zwischen dem Universum in seiner Eigenschaft als Schöpfung zu Allah als Schöpfer. Dies ist die Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Universum. Die Verbindung zwischen dem Leben in seiner Eigenschaft als Schöpfung und Allah als Schöpfer stellt Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Leben dar, während die Verbindung zwischen dem Menschen als Schöpfung und Allah als Schöpfer Nahia Ruhia (die geistige Seite) im Menschen ausmacht. Unter Ruh (Spiritualität, Geistigkeit) kann man demzufolge das Erfassen seiner Verbindung zu Allah (t.) durch den Menschen bezeichnen. Der feste Glaube an Allah muss mit dem festen Glauben an das Prophetentum Muhammads (a.s.s) und seine Botschaft sowie daran 37 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 38 DES ISLAM verbunden sein, dass der Quran das Wort Allahs ist. Der feste Glaube an alles das, wovon der Quran uns unterrichtet, ist verpflichtend. Die islamische cAqida bestimmt somit, dass es vor dem diesseitigen Leben etwas gab, woran man ohne den Schatten eines Zweifels glauben muss, nämlich Allah (t.), sie legt fest, dass man an das glauben muss, was es nach dem diesseitigen Leben geben wird, nämlich den Tag der Auferstehung, und dass der Mensch im diesseitigen Leben an die Befehle und Verbote Allahs gebunden ist. Dieser Aspekt stellt die Verbindung her zwischen dem diesseitigen Leben und dem, was ihm vorausging. Der Mensch ist durch die Rechenschaft, die er ablegen müssen wird, daran gebunden, diese Befehle auszuführen und sich von diesen Verboten fernzuhalten. Dieser Aspekt stellt die Verbindung zwischen dem diesseitigen Leben und dem her, was nach diesem Leben folgen wird. Dem Muslim ist es daher notwendigerweise auferlegt, seine Verbindung zu Allah zu erfassen, wenn er Handlungen ausführt, und die Ausführung seiner Handlungen in Einklang mit den Befehlen und Verboten von Allah (s.w.t.) vorzunehmen. Dies ist die Bedeutung der Verschmelzung von Madda (Materie) und Ruh (Geist). Das Ziel der Ausführung von Handlungen gemäß den Befehlen und Verboten Allahs ist es, das Wohlgefallen Allahs zu erreichen. Das beabsichtigte Ziel in der Ausführung der Handlungen an sich ist der Wert, den diese Handlung verwirklicht. Die hochstehenden Ziele zur Sicherung der Gesellschaft werden somit nicht vom Menschen selbst gesetzt, sondern es handelt sich dabei um die Befehle und Verbote von Allah s.t. Diese sind feststehend und unterliegen weder der Veränderung noch der Entwicklung. Die hochstehenden Ziele zur Sicherung der Gesellschaft umfassen den Schutz der menschlichen Rasse, des Verstandes, der menschlichen Würde, des menschlichen Lebens, des Privatbesitzes, der Religion, der Sicherheit und des Staates. Sie sind weder Veränderung noch Entwicklung ausgesetzt. Zum Schutz dieser feststehenden Ziele wurden strenge Strafen erlassen, die sogenannten cUqubat und Hudud. Den Schutz dieser hochstehenden Ziele vorzunehmen, ist aus dem 38 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 39 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Grunde eine Verpflichtung, weil es sich um die Befehle und Verbote Allahs handelt, nicht weil sie materielle Werte verwirklichen. Der Muslim und der Staat führen aus diesem Grunde alle Handlungen gemäß den Befehlen und Verboten Allahs aus, da sie alle Angelegenheiten des Lebens regeln. Die Ausübung seiner Handlungen gemäß den Befehlen und Verboten Allahs bringt eine innere Gewissheit beim Muslim hervor. Das Glück besteht demzufolge nicht in der Befriedigung körperlicher Vergnügen und der Erlangung materieller Werte, sondern im Wohlgefallen Allahs. Der Islam hat die organischen Bedürfnisse und Instinkte des Menschen auf eine Weise geregelt, die die Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse umfasst, sei es das Bedürfnis des Magens, oder den Selbsterhaltungstrieb, das spirituelle Bedürfnis oder andere. Kein Bedürfnis wird auf Kosten eines anderen befriedigt, noch wird eines von ihnen unterdrückt, um einem anderen völlig freien Lauf zu lassen. Auch eine völlig freider Umgang mit allen Bedürfnissen ist ausgeschlossen. Vielmehr hat der Islam sie alle geordnet und ihre Befriedigung nach einem genauen System vorgesehen, dessen Befolgung Ruhe und Wohlbefinden für den Menschen mit sich bringt. Auf diese Weise verhindert der Islam, dass der Mensch in der Befriedigung seiner Triebe ein dekadentes Niveau erreicht, dass dem von Tieren gleicht. Zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung betrachtet der Islam die Gemeinschaft als eine ungeteilte Gesamtheit, und das Individuum als Teil dieser Gemeinschaft, der nicht von ihr getrennt werden kann. Die Tatsache, dass der Einzelne ein Teil der Gemeinschaft ist bedeutet nicht, dass er sich zur Gesellschaft verhält wie ein Zahn zum Zahnrad. Es bedeutet vielmehr, dass er als Teil einer Gesamtheit betrachtet wird wie die Hand am Körper. Aus diesem Grunde hat sich der Islam des Individuums als Teil der Gemeinschaft angenommen, nicht als von ihr getrennte Einzelperson. Das Sorgetragen für den Einzelnen führt somit zum Schutz der Gemeinschaft. Zur gleichen Zeit nimmt sich der 39 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 40 DES ISLAM Islam der Gemeinschaft nicht als Gesamtheit an, die keine Einzelbestandteile hat, sondern eben als eine Gesamtheit, die aus Einzelteilen, nämlich den Individuen, besteht. Diese Betrachtung führt somit zum Sorgetragen um die Individuen als Bestandteile der Gesellschaft.Der Gesandte Allahs (a.s.s.) hat gesagt: Derjenige, der die Richtlinien Allahs einhält und derjenige, der sie verletzt, sind wie eine Gruppe von Menschen auf einem Schiff. Einige von ihnen befinden sich an Deck, während die anderen unter Deck reisen. Diejenigen, die sich unter Deck befinden, müssen, um ihren Wasserbedarf zu decken, an den oben Reisenden vorbei. Sie sagen sich daher: Wenn wir ein Loch in unseren Teil des Schiffes schlagen, können wir an Wasser gelangen, ohne die Anderen zu stören. Ließen die Oberen sie in ihrem Vorhaben gewähren, wären sie alle dem Untergang ausgesetzt. Nehmen sie die Unteren dagegen bei der Hand (und hindern sie an ihrem Vorhaben), so sind sie in ihrer Gesamtheit gerettet. Es ist diese Betrachtung der Gemeinschaft und des Einzelnen, die der Gesellschaft einen bestimmten Mafhum (Konzept, Verständnis) gibt. Die Individuen als Teile dieser Gemeinschaft haben Ideen, die sie miteinander verbinden und nach denen sie ihr Leben ausrichten. Sie haben gemeinsame Gefühle, durch welche sie beEinflusst werden und nach denen sie agieren. Ihnen ist ein System gemein, dass alle Probleme ihres täglichen Lebens löst. Somit ist die Gesellschaft aus Menschen, den Ideen, Gefühlen und den Systemen zusammengesetzt, wobei der Mensch in seinem täglichen Leben durch diese Ideen, Gefühle und Systeme gelenkt wird. Der Muslim ist in jeder Angelegenheit an den Islam gebunden, und er hat absolut keine Freiheiten. Die Überzeugungsgrundlage des Muslim ist durch die Grenzen, die der Islam vorgegeben hat, fest eingebunden und keineswegs freigestellt. Daher wird die Abtrünnigkeit (Ridda) vom Islam als Kapitalverbrechen betrachtet, das mit dem Tode bestraft wird, wenn der Betroffene nicht zum Islam zurückkehrt. Auch die persönliche Seite ist durch die islamische Ordnung gebunden. Unzucht wird daher als ein Verbrechen betrachtet, dessen Bestrafung 40 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 41 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM öffentlich und ohne Mitleid seitens der anwesenden Personen ausgeführt wird. Und ein Teil der Gläubigen soll die Bestrafung der beiden bezeugen (Surat an-Nur, Aya 2) Der Alkoholgenuss ist ein Verbrechen, das bestraft wird, ebenso wie Verstöße gegen andere Menschen als Verbrechen gelten, ob es sich nun um Verleumdung, Mord oder ähnliches handelt. Auch die wirtschaftliche Seite ist durch das islamische Recht geregelt. So werden die Möglichkeiten des Eigentumserwerbs durch das Individuum genau definiert. Der Privatbesitz stellt in Wirklichkeit die Erlaubnis des Gesetzgebers zur Nutzung einer Sache dar. Ein Verstoß gegen diese Gesetze wird als Verbrechen betrachtet, das je nach Art des Verstoßes vom Diebstahl bis zum Raub oder anderem variieren kann. Aus diesem Grunde ist der Staat unbedingt erforderlich, um die Gemeinschaft wie das Individuum zu schützen und das System auf die Gesellschaft anzuwenden. Ferner müssten diejenigen, die die Ideologie aus Überzeugung angenommen haben, unzweifelhaft derart von ihr beEinflusst werden, dass die Bewahrung und der Schutz dieser Ideologie auf natürliche Weise von den Menschen selbst vorgenommen wird. Es ist somit die Ideologie selbst, die lenkt und schützt, wobei der Staat derjenige ist, der ausführt. Die Souveränität gehört somit weder dem Staat noch der Umma, sondern dem islamischen Recht, der Sari ca. Die Autorität liegt bei der Umma und manifestiert sich im Staat. Die Methode zur Umsetzung des Systems ist somit der Staat, auch wenn man sich bei der Ausführung der Gesetze des Islam auf die Taqwa (Gottesfurcht) des einzelnen Gläubigen verlassen kann. Aus diesem Grunde muss es eine Gesetzgebung geben, die der Staat umsetzt, wobei es zur Ausrichtung des gläubigen Individuums gehört, den Islam auf Grund seiner 41 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 42 DES ISLAM Taqwa, also seiner Furcht vor Allah, auszuführen. Der Islam besteht aus einer cAqida (Überzeugungsgrundlage) und Systemen. Seine Ideologie stellt eine Fikra (Idee) und eine 7ariqa (Methode) dar, die von der gleichen Natur dieser Idee ist (d.h., die aus den selben Quellen hervorgeht.) Die Ordnung des Islam geht aus seiner cAqida hervor, und seine Kultur weist eine genau definierte Lebensart auf. Seine Methode der Dawa ist es, den Islam durch den Staat umzusetzen, und den Islam als ideologische Führung in die Welt zu tragen. Diese ideologische Führung stellt die Grundlage des Verständnisses der islamischen Ordnung und die Basis seiner Anwendung dar. Die Anwendung des Islam in der Gemeinschaft, die durch die Ordnung des Islam regiert wird, ist gleichbedeutend mit der Verbreitung der islamischen Dacwa. Die Anwendung seiner Ordnung auf die Nichtmuslime stellt die praktische Methode der Dacwa dar. Es war schließlich diese Anwendung, die den größten Einfluss auf das Entstehen der weitläufigen islamischen Welt hatte, wie wir sie heute kennen. Es gibt drei Ideologien auf der Welt: Kapitalismus, Sozialismus bzw. Kommunismus, und die dritte Ideologie ist der Islam. Jede dieser Ideologien hat eine cAqida, aus der Systeme hervorgehen, sowie Handlungsmaßstäbe, die der Mensch im täglichen Leben anwendet. Jede Ideologie verfügt auch über eine spezifische Betrachtung der Gesellschaft und eine Methode, um das System anzuwenden. Die Überzeugungsgrundlage des Kommunismus besagt, dass die Materie der Ursprung der Dinge ist und alle Dinge aus der Evolution der Materie hervorgegangen sind. Die kapitalistische Überzeugungsgrundlage besagt, dass die Religion vom täglichen Leben getrennt werden muss, was in der Trennung der Religion vom Staat resultiert. Die Kapitalisten haben nicht den Anspruch, die Frage zu untersuchen, ob es einen Schöpfer gibt oder nicht, sondern es ist für sie lediglich wichtig, dass dieser Schöpfer keinen Einfluss auf das tägliche Leben hat, unabhängig davon, ob sie nun seine Existenz 42 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 43 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM anerkennen oder nicht. Die Anerkennung oder Ablehnung der Existenz des Schöpfers ist daher nach ihrer Überzeugungsgrundlage, die sich auf die Trennung der Religion vom täglichen Leben beschränkt, gleich. Der Islam steht für die Überzeugung, dass Allah der Schöpfer der gesamten Existenz ist, und dass Er Propheten und Gesandte mit Seinem Din an die gesamte Menschheit entsandt hat. Der Mensch wird am Tag der Auferstehung für alle seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen. Die Überzeugungsgrundlage des Islam besteht in dem Glauben an Allah, Seine Engel, Seine Bücher und Gesandten, an den Jüngsten Tag und daran, dass das Gute wie das Schlechte in Qa6a und Qadar von Allah stammen. Bezüglich der Art und Weise, wie die Ordnung aus der Überzeugungsgrundlage abgeleitet wird, vertritt die kommunistische Ideologie die Ansicht, dass das System aus den Produktionsmitteln hervorgeht. So war zum Beispiel das Produktionsmittel der feudalistischen Gesellschaft die Axt. Aus ihrem Gebrauch ging die feudalistische Ordnung hervor. Mit der Entwicklung der Gesellschaft zum Kapitalismus wurde die Maschine das Produktionsmittel. Das kapitalistische System ging daraus hervor, mit anderen Worten, es ist der materiellen Entwicklung entnommen. Die kapitalistische Ideologie vertritt die Ansicht, dass dem Menschen durch die Trennung der Religion vom täglichen Leben die Aufgabe zukommt, sich seine Ordnung selbst zu schaffen, indem er sie dem Leben entnimmt. Er entnimmt sein System somit der Realität, die ihn umgibt. Der Islam vertritt die Ansicht, dass Allah dem Menschen ein System gegeben hat, dass er im täglichen Leben umzusetzen hat. ER entsandte unseren Propheten Muhammad (a.s.s.) mit diesem System und dem Auftrag, es zu verbreiten. Der Mensch ist dazu verpflichtet, 43 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 44 DES ISLAM nach diesem System zu leben. Aus diesem Grunde studiert er das Problem zunächst, um dann seine Lösung aus Kitab und Sunna abzuleiten. Die kommunistische Ideologie ist der Ansicht, dass der Materialismus bzw. das materialistische System den Handlungsmaßstab im täglichen Leben darstellt. Mit der Entwicklung der Materie entwickeln sich auch die Maßstäbe. Gemäß der kapitalistischen Ideologie besteht der Handlungsmaßstab im Profit, den man aus der jeweiligen Handlung zieht. Die Handlungen werden entsprechend ihrem Nutzen bewertet und auf dieser Grundlage ausgeführt. Die Auffassung des Islam ist es, dass der Handlungsmaßstab im täglichen Leben durch Halal (Erlaubtes) und Haram (Verbotenes), also durch die Gebote und Verbote Allahs bestimmt wird. Das Erlaubte wird ausgeführt, das Verbotene unterlassen. In diesem Punkt gibt es weder eine Entwicklung noch eine Veränderung. Nicht der Nutzen entscheidet über die Handlungen, sondern allein die Gesetzgebung von Allah (t.). Die Betrachtung der Gesellschaft im Kommunismus läuft darauf hinaus, dass die Gesellschaft ein Kollektiv ist, zu dem der Boden, die Produkionsmittel, die Natur und der Mensch in ihrer Eigenschaft als eine einzige Sache, d.h. als Materie, gehören. Wenn sich die Natur mit ihren Elementen entwickelt, entwickelt sich der Mensch mit ihr. Dadurch kommt es zu einer Entwicklung der gesamten Gesellschaft. Diese ist somit der Evolution der Materie unterworfen. Aufgabe des Menschen ist es lediglich, Widersprüche hervorzubringen, um diese Entwicklung zu generieren. Entwickelt sich die Gesellschaft, so entwickelt sich dadurch auch das Individuum. Es dreht sich mit ihr wie der Zahn im Zahnrad. Der Kapitalismus ist der Auffassung, dass sich die Gesellschaft aus Individuen zusammensetzt, und dass die Angelegenheiten der Gesellschaft dann geregelt sind, wenn es die Angelegenheiten der Individuen sind. Dementsprechend wird nur das Individuum 44 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 45 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM berücksichtigt, und der Staat arbeitet nur für das Individuum. Der Kapitalismus ist daher eine individualistische Ideologie. Im Islam ist die Grundlage, auf der sich die Gesellschaft aufbaut, die cAqida, und das, was sie an Ideen und Gefühlen hervorbringt und was an Systemen aus ihr hervorgeht. Wenn die islamischen Ideen und Gefühle vorherrschen und die islamische Ordnung über den Menschen angewendet wird, kommt die islamische Gesellschaft zustande. Die Gesellschaft besteht also aus Menschen, den Ideen, den Gefühlen und den Systemen. Der Mensch allein konstituiert zusammen mit anderen Menschen eine Gruppe, aber keine Gesellschaft. Diese wird nur durch die Ideen gebildet, die der Mensch trägt, die Gefühle, die in ihm vorherrschen, und die Systeme, die über ihm Anwendung finden. Es ist das gemeinsame Interesse (Ma4laha), welches die Beziehung zwischen den Menschen herstellt. Vereinigt dieses gemeinsame Interesse die Ideen und Gefühle auf sich, so bringen sie (je nach dem, ob eine Verwirklichung dieses gemeinsamen Interesses zu sehen ist oder nicht) Zufriedenheit oder Zorn zustande. Stellt das gemeinsame Interesse Einigkeit über das System her, das die Probleme des täglichen Lebens behandelt, ist bereits die Verbindung zwischen den Menschen zustande gekommen. Unterscheiden sich die Ideen oder die Gefühle bezüglich des gemeinsamen Interesses, vereinigen sie die Menschen nicht in Zufriedenheit oder Zorn. Dies ist auch der Fall, wenn Uneinigkeit über das System besteht, das die Probleme des täglichen Lebens behandelt: Es entsteht keine Verbindung zwischen den Menschen, und aus diesem Grunde kommt es nicht zur Entstehung einer Gesellschaft. Demzufolge ist die Gesellschaft zusammengesetzt aus den Menschen, den Ideen, Gefühlen und Systemen, denn sie sind es, die eine dauerhafte Beziehung zwischen den Menschen hervorbringen und aus einer Gruppe von Menschen eine genau definierte (bestimmte) Gesellschaft werden lassen. Selbst wenn alle Menschen Muslime wären, aber die Ideen, die sie 45 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 46 DES ISLAM tragen, kapitalistisch-demokratisch sind, und ihre Gefühle spirituellpriesterlich oder auch nationalistisch, und wenn das System, das über ihnen angewendet wird, kapitalistisch-demokratisch ist, handelt es sich bei der Gesellschaft um eine nicht islamische Gesellschaft. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die überwiegende Mehrheit der Menschen Muslime sind. Was die Umsetzung des Systems betrifft, vertritt die kommunistische Ideologie die Ansicht, dass der Staat allein das System mit der Stärke des Militärs und der unerbittlichen Härte des Gesetzes umsetzt. Der Staat übernimmt die Regelung der Angelegenheiten des Einzelnen und der Gemeinschaft, und er ist es, der das System weiterentwickelt. Aus kapitalistischer Sicht ist der Staat der Hüter der Freiheiten. Verstößt jemand gegen die Freiheit eines anderen, so unterbindet der Staat diese Überschreitung, denn seine Existenzberechtigung begründet sich in der Gewährleistung der Freiheiten. Verstößt jemand nicht gegen die Freiheit des anderen, greift der Staat nicht ein, selbst wenn er den anderen unterdrückt und seiner Rechte beraubt vorausgesetzt, dies geschieht mit seiner Zustimmung und es findet kein Verstoß gegen die Freiheiten statt. Der Staat existiert demzufolge nur zur Gewährleistung der Freiheiten. Aus islamischer Sicht wird das System aufgrund der Gottesfurcht des Einzelnen, durch das gläubige Individuum umgesetzt. Der Staat wird ferner in seiner Anwendung des Systems durch das Bewusstsein der Gemeinschaft um die Gerechtigkeit dieser Ordnung unterstützt. Darüber hinaus hilft die Umma dem Regierenden durch das Gebieten des Guten und Verwehren des Schlechten (al-amr bi-l-macruf wa n-nahi can il-munkar). Schließlich erfolgt die Umsetzung durch die Staatsmacht als solche. Der Staat regelt die Angelegenheiten der Gemeinschaft und nimmt dem Einzelnen die Regelungen seiner Angelegenheiten nur dann aus der Hand, wenn er nicht selbst dazu in der Lage ist. Das System unterliegt absolut keiner Entwicklung. 46 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 47 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Der Staat besitzt die Vollmacht zur Adaption von Ahkam sarciyya, wenn mehrere Igtihadat (abgeleitete Rechtsmeinungen) in einer Rechtsfrage vorhanden sind. Die ideologische Führung des Islam stimmt mit der Natur des Menschen überein. Sie ist trotz ihrer Tiefe leicht zugänglich. Der Mensch öffnet ihr schnell seinen Verstand und sein Herz, und widmet sich ihr, um sie zu begreifen, und um sich mit Leidenschaft und Wertschätzung in ihre Details zu vertiefen. Dies geschieht aus dem Grunde, weil das Bedürfnis der Anbetung Teil der menschlichen Natur ist und jeder Mensch aufgrund seiner Natur diesem Bedürfnis nachgehen möchte. Keine Macht ist dazu imstande, ihm diese Natur zu entreißen, weil sie fest im Menschen verwurzelt ist. Der Mensch spürt durch seine Natur, dass er unvollkommen ist, und dass es eine Macht gibt, die vollkommener ist als er. Er spürt instinktiv, dass diese Macht der Anbetung würdig ist. Der Anbetungsinstinkt besteht somit in der Bedürftigkeit nach dem Schöpfer, der alles nach Seinem Plan lenkt. Er geht aus dem natürlichen Unvermögen in der Erschaffenheit des Menschen hervor. Es handelt sich dabei um einen festen Instinkt, der in der Anbetung seinen bestimmten Ausdruck hat. Tatsächlich hat die gesamte Menschheit in allen Zeitaltern etwas angebetet, von der Anbetung des Menschen, über die Himmelskörper, Steine, Tiere, Sonne und Mond über anderes mehr. Als der Islam mit seiner Überzeugungsgrundlage kam, führte er die Menschheit weg von der Anbetung der Geschöpfe hin zur Anbetung Allahs, der alle Dinge erschaffen hat. Die materialistische Ideologie, welche die Existenz Allahs verneinte und die Verbindung zu Allah (Nahia Ruhia) negierte, war nicht dazu imstande, diesen natürlichen Anbetungsinstinkt zu beseitigen. Vielmehr übertrug sie die Vorstellung des Menschen von einer Macht, die größer ist als er selbst, und übertrug seine Verehrung dieser Macht auf die Ideologie und deren Propagierung. Dadurch vollzog sie einen Rückschritt. Das natürliche Verehrungsbedürfnis der Menschen 47 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 48 DES ISLAM wurde von der Anbetung Allahs auf die Anbetung der Menschen umgeleitet, und von der Verehrung der Verse Allahs zu Verehrung der Worte seiner Geschöpfe. Demzufolge war es ein Schritt zurück. Die materialistische Ideologie war nicht dazu in der Lage, die natürliche Veranlagung zur Anbetung zu beseitigen: Vielmehr formte sie sie durch Täuschung auf eine reaktionäre Weise um. Aus diesem Grunde steht die ideologische Führung des Kommunismus im Widerspruch zur menschlichen Natur, und stellt eine negative Führung dar. Durch diesen Aspekt ist sie zum Scheitern verurteilt. Zur Überlistung der Natur des Menschen lenkt sie die Aufmerksamkeit auf den Magen: Sie lockt die Hungernden, die Ängstlichen und Unglücklichen. Es sind die Degenerierten, die sich an ihr festhalten, diejenigen, die im Leben gescheitert sind und es hassen, diejenigen, die von intellektuellem Spleen befallen sind. Dies geht soweit, dass man sie als Denker bezeichnet, wenn sie prahlerisch die dialektische Lehre verkünden, die so offensichtlich und von Gefühl und Verstand nachvollziehbar nichtig und falsch ist. Sie bedient sich der Gewalt, um die Menschen unter ihre Ideologie zu zwingen. Dementsprechend sind Druck und Unterdrückung, Aufstände und Erschütterungen, Zerstörung und Unruhe ihre wichtigsten Mittel. Die ideologische Führung des Kapitalismus widerspricht ebenfalls der menschlichen Natur mit ihrem Bedürfnis der Anbetung. Ebenso wie sich die natürliche Veranlagung zur Anbetung in der Verehrung äußert, zeigt sie sich in der Planung der Handlungen im täglichen Leben. Die Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit bei der Ausführung dieser Planung ist ein Beweis für die Schwäche des Menschen. Aus diesem Grunde muss es der Din (die göttliche Lebensordnung) sein, welcher die Handlungen des Menschen im täglichen Leben plant. Die Entfernung der Religion aus dem täglichen Leben widerspricht der natürlichen Veranlagung des Menschen. Die Anwesenheit der Religion im täglichen Leben bedeutet nicht, dass die Handlungen im diesseitigen Leben zu gottesdienstlichen Handlungen werden, sondern dass die Ordnung, die die Probleme des Menschen 48 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 49 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM im täglichen Leben löst, auf dem Befehl Allahs beruht. Diese Ordnung geht aus der cAqida hervor, welche die natürliche Veranlagung des Menschen bestätigt. Sie aus dem täglichen Leben zu entfernen widerspricht der Natur des Menschen ebenso wie die Annahme einer Ordnung anzunehmen, die aus einer im Widerspruch zur menschlichen Natur stehenden Überzeugungsgrundlage hervorgeht, und nicht mit dem Bedürfnis der Anbetung übereinstimmt. Aus diesem Grunde ist die ideologische Führung des Kapitalismus zum Scheitern verurteilt, denn die Trennung der Religion vom täglichen Leben, ihre Erklärung zur Privatangelegenheit und somit die Entfernung der Ordnung, die Allah befohlen hat, von der Behandlung der Probleme des Menschen macht sie zu einer negativen Führung. Die ideologische Führung des Islam ist positiv, weil sie den Verstand zur Grundlage des Glaubens an die Existenz Allahs macht. Sie richtet den Blick auf das Universum, den Menschen und das Leben, und beweist dadurch die Existenz Allahs, der diese Geschöpfe erschaffen hat, definitiv. Sie nennt dem Menschen genau das, was er durch seine natürliche Veranlagung an absoluter Vollkommenheit, die weder im Menschen, noch im Universum oder im Leben vorhanden ist, sucht. Sie leitet seinen Verstand dorthin, so dass er dessen Existenz begreift und daran glaubt. Die ideologische Führung des Kommunismus beruht auf der Materie, nicht auf dem Verstand, auch wenn man über den Verstand dorthin gelangt. Das ist aus dem Grunde so, weil sie aussagt, die Materie existiere vor dem Denken, und weil sie die Materie zum Ursprung aller Dinge macht. Somit ist sie materialistisch. Die ideologische Führung des Kapitalismus beruht auf einer Kompromisslösung, zu der man durch den mehrere Jahrhunderte andauernden Kampf zwischen dem Klerus und den Denkern gelangte. Dieser resultierte in der Trennung der Religion vom 49 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 50 DES ISLAM täglichen Leben. Aus den obigen Ausführungen ist ersichtlich, dass beide ideologische Führungen, sowohl die kommunistische, als auch die kapitalistische, zum Scheitern verurteilt sind, weil sie der Natur des Menschen widersprechen, und nicht auf dem Verstand basieren. Daraus ergibt sich, dass die ideologische Führung des Islam die einzig richtige ideologische Führung ist, während alle anderen falsch sind. Denn die ideologische Führung des Islam beruht im Gegensatz zu den anderen auf dem Verstand, und stimmt im Gegensatz zu den anderen mit der Natur des Menschen überein und harmoniert mit ihr. Um es noch einmal zusammenzufassen: Die ideologische Führung des Kommunismus basiert auf der Materie, nicht auf dem Verstand, weil sie besagt, dass die Materie dem Denken, d.h. dem Verstand, vorausgeht. Wird die Materie auf das Hirn projiziert, bringt sie das Denken hervor, und der Mensch denkt durch die Materie, die auf ihn projiziert wurde. Vor der Projektion der Materie auf das Hirn gab es nach kommunistischer Auffassung kein Denken. Somit basiert alles auf der Materie, und der Ursprung der kommunistischen Überzeugungsgrundlage wie auch ihrer ideologischen Führung ist die Materie, nicht das Denken. Diese Ansicht ist aus zwei Gründen falsch: Erstens findet weder eine Reflexion der Materie auf das Hirn, noch des Hirns auf die Materie statt. Für eine Reflexion wäre eine Vorrichtung nötig, die Dinge reflektieren kann, wie ein Spiegel zum Beispiel. Eine solche Vorrichtung ist jedoch weder im Gehirn, noch in der materiellen Realität vorhanden. Daher findet auch absolut keine Reflexion zwischen Materie und Gehirn statt. Die Materie wird weder auf das Gehirn projiziert, noch dorthin transportiert. Vielmehr wird die Wahrnehmung der Materie mit Hilfe der Sinnesorgane auf das Gehirn übertragen. Die Übertragung der Wahrnehmung der Materie auf das Gehirn ist weder eine Projektion der Materie auf das Hirn, 50 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 51 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM noch des Hirns auf die Materie, sondern vielmehr das Empfinden der Materie. In dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied zwischen dem Auge und den anderen Sinnesorganen. Fühlen, Riechen, Schmecken und Hören bringen ebenso Wahrnehmungen hervor wie das Sehen. Was also aus den Dingen hervorgeht, ist keine Projektion auf das Gehirn, sondern eine Wahrnehmung der Dinge. Der Mensch nimmt die Dinge mittels seiner fünf Sinnesorgane wahr, und es wird nichts auf sein Gehirn reflektiert. Zweitens kommt aus der Wahrnehmung allein noch kein Denken hervor. Was zustandekommt, ist zunächst einmal nur die Empfindung, d.h. die Wahrnehmung der Realität. Es kann Wahrnehmungen über Wahrnehmungen, ja Millionen von Wahrnehmungen geben. Auf welche Weise sie auch immer stattfinden, sie bringen nichts anderes hervor als Wahrnehmungen. Sie bringen absolut kein Denken zustande, solange es beim Menschen keine Vorinformationen gibt, mit deren Hilfe die Realität, die er wahrnimmt, erklärt werden kann. Geben wir irgendeinem Menschen beispielsweise ein assyrisches Buch, er aber keine Vorinformationen über diese Sprache hat, kann seine Wahrnehmung durch Sehen und Fühlen Millionen von Malen auf die Schrift fallen, er wird jedoch nicht ein einziges Wort davon erkennen, bis man ihm Informationen über die assyrische Sprache gibt. Erst dann wird er anfangen zu denken und zu begreifen. Ebenso verhält es sich, wenn wir ein Kind, das zwar die Wahrnehmung, aber keinerlei Informationen besitzt, vor jeweils ein Stück Gold, Kupfer und einen Stein setzen. Es kann diese Dinge nicht begreifen, so sehr sich auch seine Wahrnehmungen wiederholen und so verschieden sie auch sein mögen. Werden ihm jedoch Informationen darüber gegeben, und nimmt es diese Gegenstände wahr, zieht es die Vorinformationen heran und begreift die Realität dieser Dinge. Auch wenn das Kind älter wird und ein Alter von zwanzig Jahren erreicht, so bleibt es wie am ersten Tag, solange ihm keine Informationen gegeben werden: Es nimmt die Dinge lediglich wahr, begreift sie aber nicht, unabhängig davon, wie 51 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 52 DES ISLAM sehr sein Gehirn auch wächst. Das Begreifen wird also nicht durch das Gehirn allein ermöglicht, sondern ist von Vorinformationen abhängig, die mit dem Gehirn und der Realität, die der Mensch wahrnimmt, einhergehen. Das bisher Gesagte betrifft das verstandesmäßige Erfassen. Das emotionale Erfassen geht im Gegensatz dazu aus den Instinkten und organischen Bedürfnissen hervor. Es ist beim Menschen ebenso zu beobachten wie beim Tier: Der Mensch weiß, wenn man ihm zum wiederholten Male einen Apfel und einen Stein gibt, dass der Apfel im Gegensatz zum Stein essbar ist. Auf dieselbe Weise weiß der Esel, dass er Gras fressen kann, Staub aber nicht bekömmlich für ihn ist. Diese Unterscheidung stellt weder einen Denkvorgang, noch ein Begreifen dar, sondern ist auf die Instinkte und organischen Bedürfnisse zurückzuführen. Sie ist beim Tier ebenso zu beobachten wie beim Menschen und kann daher nicht als Denken bezeichnet werden, solange neben der Übertragung der Wahrnehmungen der Realität auf das Gehirn mittels der Sinnesorgane keine Vorinformationen vorhanden waren. Somit kann der Verstand, bzw. das Denken oder Begreifen definiert werden als die Übertragung der Wahrnehmung der Realität mit Hilfe der Sinnesorgane auf das Gehirn, unter Vorhandensein von Vorinformationen, mit denen die Realität erklärt wird. Die ideologische Führung des Kommunismus ist somit fehlerhaft und ungültig, weil sie nicht auf dem Verstand basiert. Ihre Definition des Denkens und des Verstandes ist ebenfalls fehlerhaft. Die ideologische Führung des Kapitalismus beruht auf der Kompromisslösung zwischen dem Klerus auf der einen und den Denkern auf der anderen Seite. Nach einer schweren Auseinandersetzung, die über mehrere Jahrhunderte zwischen Klerus und Denkern andauerte, gelangte man schließlich zu der Kompromisslösung, die Religion vom täglichen Leben zu trennen, d.h. die Existenz der Religion implizit anzuerkennen, und sie vom 52 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 53 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM täglichen Leben zu trennen. Die ideologische Führung des Kapitalismus beruht somit nicht auf dem Verstand, sondern einer Kompromisslösung. Die Idee der Kompromisslösung ist den Vertretern dieser Ideologie eigen: Sie versuchen, wahr und falsch durch einen Kompromiss einander anzunähern, ebenso wie Iman und Kufr, Licht und Dunkelheit, ungeachtet der Tatsache, dass es hier keinen Kompromiss geben kann. Es gibt nur ein entweder wahr oder falsch, entweder Iman oder Kufr, entweder Licht oder Dunkelheit. Die Kompromisslösung, auf der sie ihre cAqida und ihre ideologische Führung aufbauen, hat sie von der Wahrheit, dem Iman und dem Licht entfernt, und aus diesem Grunde ist ihre ideologische Führung falsch. Sie basiert nicht auf dem Verstand. Im Gegensatz dazu basiert die ideologische Führung des Islam auf dem Verstand. Dem Muslim wird der Glaube an die Existenz Allahs, an das Prophetentum Muhammads und an den Quran als Wort Allahs auf dem Weg des Verstandes zugeführt. Der Glaube an die verborgenen Dinge (al-Mu0ibat) ist dem Muslim unter der Bedingung auferlegt, dass sie durch Beweise erbracht sind, deren Authentizität, d.h. deren göttlicher Ursprung durch den Verstand zweifelsfrei festgestellt wurde. Dies ist nur beim Quran und den Ahadit mutawatira der Fall. Die ideologische Führung des Islam basiert somit auf dem Verstand. Ebenso wie mit dem Verstand, stimmt die ideologische Führung des Islam auch mit der Fitra (natürlichen Veranlagung) des Menschen überein, denn sie bestätigt die Existenz der Religion und ihr Vorhandensein im Leben, welches sie nach den Befehlen und Verboten Allahs leitet. Die Veranlagung zur Anbetung ist dem Menschen angeboren, es handelt sich dabei um einen seiner Instinkte, der in der Verehrung seinen bestimmten Ausdruck hat. Er unterscheidet sich vom Ausdruck jedes anderen Instinktes, denn jeder Instinkt hat seine eigene, natürliche Äußerungsform. Der Glaube an die Religion und an die Notwendigkeit, die Handlungen des 53 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 54 DES ISLAM Menschen im täglichen Leben an den Befehlen und Verboten Allahs auszurichten, ist instinktiv. Sie befindet sich in Übereinstimung mit der menschlichen Natur und harmonisiert aus diesem Grunde mit dem Menschen. Im Gegensatz dazu widersprechen die ideologischen Führungen des Kommunismus und des Kapitalismus der Natur des Menschen, denn im Falle des Kommunismus wird die Existenz der Religion völlig abgelehnt, und ihre Anerkennung bekämpft, während im Fall des Kapitalismus die Religion weder anerkannt noch abgelehnt wird. Anerkennung oder Ablehnung der Religion sind im Kapitalismus nicht Gegenstand der Untersuchung. Vielmehr wird die Notwendigkeit ihrer Trennung vom täglichen Leben betont. Das Verhalten im Leben soll rein auf den eigenen Nutzen bedacht sein, ohne dass die Religion irgendeinen Einfluss darauf hat. Dies widerspricht der menschlichen Natur und ist weit von ihr entfernt. Die ideologische Führung des Islam ist die einzig richtige und erfolgreiche, weil sie sowohl mit der Natur des Menschen als auch mit dem Verstand übereinstimmt. Alles andere kann nur falsch sein. Es bleibt nun noch eine Frage zu klären: Haben die Muslime den Islam überhaupt angewendet? Oder haben sie nicht vielmehr den Islam als Überzeugung angenommen, aber andere Systeme und Gesetze angewendet? Die Antwort darauf ist, dass die Muslime in allen Epochen, d.h. von der Ankunft des Gesandten Allahs (s.a.s.) in Medina bis zum Jahre 1336 der Higra bzw. 1918 n. Chr., als der letzte islamische Staat dem Kolonialismus zum Opfer fiel, den Islam allein umgesetzt haben. Seine Anwendung war in einer Art und Weise umfassend, die den größtmöglichen Erfolg mit sich brachte. Bezüglich der praktischen Anwendung des Islam durch die Muslime lässt sich folgendes feststellen: Es ist der Staat, der, vertreten durch zwei Personen, das System anwendet: Durch den Qa6i (Richter), der 54 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 55 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Menschen entscheidet, und den Hakim (Regenten), der die Menschen regiert. Es wurde uns auf dem Weg des Tawatur überliefert, dass die Richter, die seit der Zeit des Gesandten Allahs (s.a.s.) bis zum Ende des Kalifats in Istanbul die Streitigkeiten der Menschen entschieden, dies in allen Angelegenheiten des Lebens gemäß den Gesetzen der Sari ca taten, zwischen den Muslimen ebenso wie zwischen Muslimen und anderen. Es gab nur ein einziges Gericht, das alle Rechtsangelegenheiten über Rechte, Strafen, Personenstand und alles andere ausschließlich gemäß dem islamischen Recht regelte. Es hat niemand überliefert, dass auch nur eine einzige Rechtsfrage nach etwas anderem als den islamischen Gesetzen geregelt wurde, oder irgendein Gericht in den islamischen Regionen vor der Aufteilung in Sari ca- und Nizamiyya-Gerichte, die durch den Einfluss des Kolonialismus vorgenommen wurde, nach etwas anderem als dem Islam Recht sprach. Der beste Beweis hierfür sind die Gerichtsakten der Sari ca-Gerichte, die in den alten Gebieten der islamischen Welt aufbewahrt wurden, wie in Jerusalem, Bagdad, Damaskus, Kairo, Istanbul und anderen. Es handelt sich hier um einen absolut sicheren Beweis, dass nichts anderes als das islamische Recht von den Richtern befolgt wurde. Sogar die Nichtmuslime, wie Christen und Juden, studierten den islamischen Fiqh und verfassten Bücher darüber, wie Salim al-Baz, der die Magalla kommentierte, und andere, die durch die Epochen Bücher über den islamischen Fiqh schrieben. Gesetze wurden auf Grundlage einer Fatwa (Rechtsgutachtens) der Rechtsgelehrten erlassen, welches besagte, dass sie den Gesetzen des Islam nicht widersprachen. Auf diese Weise wurde 1275 n.H. (1857 n. Chr.) das Osmanische Strafgesetz, 1276 n.H. (1858 n. Chr.) das Handelsrecht eingeführt. 1288 d.H. (1870 n. Chr.) fand die Unterteilung der Gerichte in Sarciyya- und NizamiyyaGerichte statt, und im Jahre 1295 n.H. (1877 n. Chr.) erging der Erlass zur Bildung der Nizamiyya-Gerichte. Als die Rechtsgelehrten nichts fanden, was die Einführung des bürgerlichen Gesetzes in den Staat rechtfertigte, wurde die Magalla 55 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 56 DES ISLAM als in den Mucamalat (Geschäfts- und Vertragsbeziehungen) geltendes Recht erlassen. Das bürgerliche Gesetz wurde im Jahre 1286 n.H. zurückgestellt. Die genannten Gesetze wurden als Gesetze erlassen, die der Islam erlaubt, und sie wurden nicht zum Gegenstand des Handelns gemacht, bevor sie durch ein Fatwa erlaubt wurden und der Saih ul-Islam (oberster Richter und Gelehrte) seine Erlaubnis zu ihrer Annahme gab. Dies geht aus den Protokollen hervor, die sie einleiten. Auch wenn der Kolonialismus seit dem Jahre 1918, d.h. seit der Besetzung der islamischen Länder, die Rechtsstreitigkeiten in Rechten und Strafen nicht nach der islamischen Sari ca regelte, so entschieden doch die Gebiete der islamischen Welt, die der Kolonialismus nicht mit seiner Armee betrat, wenn er dort auch Einfluss nahm, weiterhin in ihrer Gerichtsbarkeit nach dem Islam. Dies war in der gesamten arabischen Halbinsel, also im Higaz, Nagd und Kuwait, aber auch in Afghanistan der Fall. Dort wird bis zum heutigen Tag nach der islamischen Sari ca gerichtet, wenn auch die Regierenden in diesen Ländern den Islam heute nicht anwenden. Trotzdem können wir feststellen, dass während der gesamten Jahrhunderte des islamischen Staates der Islam im Rechtswesen angewendet wurde und nichts anderes. Was die Anwendung des Islam durch die Regierenden betrifft, so spiegelt sie sich in fünf Dingen wieder: In den islamischen Gesetzen, die mit dem Sozial- und Familienrecht, der Wirtschaft, der Erziehung, der Außenpolitik und dem Regierungssystem in Verbindung stehen. Alle diese fünf Bereiche wurden von Seiten des islamischen Staates umgesetzt. Das Sozial-und Familienrecht das die Beziehungen zwischen Mann und Frau sowie das bestimmt, was an diese Beziehung gebunden ist, also die persönlichen Umstände, wird ungeachtet des Kolonialismus und der Anwesenheit der Herrschaft des Kufr bis heute angewendet. In diesem Bereich kommt bis heute absolut nichts anderes zum Tragen. Das Wirtschaftssystem wird durch zwei Bereiche verkörpert: In der Art und Weise, wie der Staat Gelder vom Volk einhebt, um damit die Probleme der Menschen zu 56 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 57 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM behandeln, und darin, wie er sie verteilt. Der Staat erhob die Zakat (die Pflichtabgabe) auf Gelder, Ländereien und Vieh als eine Form von cIbada (Gottesdienst). Er verteilte diese Gelder lediglich an die im Quran erwähnten acht Kategorien von bezugsberechtigten Personen und verwandte sie nicht etwa für die Verwaltung von Staatsangelegenheiten. Gelder für die Verwaltungsangelegenheiten des Staates und der Umma erhob der Staat nach Maßgabe des islamischen Rechts. Er stellte kein Steuersystem auf, sondern wendete den Islam an, zog den 1arag (Lehnsgeld) von Ländereien (1arag-ulArd) sowie die Gizia von Nichtmuslimen ein. Zölle erhob er kraft seiner Kontrolle des Außen- und Innenhandels. Mit anderen Worten: Gelder wurden ausschließlich nach Maßgabe des islamischen Rechts erhoben. In der Verteilung der Gelder wurden die Gesetze der Zuwendung an Personen angewendet, die nicht für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen konnten. Geschäftsunfähige und solche Personen, die ihr Geld im Verbotenen ausgeben, wurden unter Kuratell gestellt und erhielten einen Vormund. In jeder Stadt wie auch auf den Hagg -Routen (Pilgerrouten) wurden Einrichtungen unterhalten, um die Armen, Unvermögenden und die Reisenden zu verpflegen. Die Zeugnisse dieser Einrichtungen sind bis heute in den Kernländern der islamischen Welt zu finden. Um es in einem Satz zu sagen, die Verteilung der Gelder durch den Staat wurde gemäß der Sari ca und nach keinem anderen Gesetz ausgeführt. Was man an Vernachlässigungen in diesem Bereich beobachten kann, stellt eine Pflichtversäumnis und fehlerhafte Anwendung dar, und ist kein Ausdruck einer fehlenden Umsetzung der islamischen Gesetze. Die Politik des Erziehungswesens beruhte auf den Grundlagen des Islam. Die islamische Geistesbildung stellte die Grundlage der Unterrichtsmethode dar, während fremde Kulturen nicht herangezogen wurden, wo sie dem Islam widersprachen. Der Mangel an der Errichtung von Schulen trat erst gegen Ende des Osmanischen Staates auf, und war, wie in der gesamten islamischen Welt, ein Resultat des intellektuellen Verfalls, der in dieser Epoche seinen 57 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 58 DES ISLAM Gipfel erreichte. Es ist eine in der ganzen Welt bekannte Tatsache, dass die islamische Welt allein in den vorhergehenden Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Wissenssuchenden auf sich zog. Die Universitäten von Cordoba, Bagdad, Damaskus, Alexandria und Kairo hatten einen großen Einfluss auf die Bildung der ganzen Welt. Die Außenpolitik beruhte insofern auf einer islamischen Grundlage, als der islamische Staat seine Beziehungen zu den anderen Staaten auf der Basis des Islam führte, und alle anderen Staaten ihn in seiner Eigenschaft als islamischen Staat betrachteten. Die gesamte Außenpolitk des islamischen Staates beruhte auf der Grundlage des Islam und wurde im Interesse der Muslime geführt. Die Tatsache, dass die Außenpolitik des islamischen Staates eine gänzlich islamische war, ist weltweit so bekannt, dass sich weitere Beweise erübrigen. In Bezug auf das Regierungssystem lässt sich feststellen, dass der Staatsapparat im Islam auf sieben Pfeilern beruht, und zwar: Dem Kalifen als Staatsoberhaupt, seinen Mucawinun (Assistenten) in Regierungsangelegenheiten, den Wulat (Gouverneuren der Provinzen), den Richtern, der Armee, dem Verwaltungswesen und dem Maglis al-Umma. Dieser Staatsapparat war existent. Es gab keine Zeit, in der die Muslime keinen Kalifen hatten. Dies geschah erst durch die Zerstörung des Kalifats durch die ungläubigen Kolonialisten, die durch die Hand Kemal Atatürks im Jahre 1342 n.H. (1924 n. Chr.) ausgeführt wurde. In der Zeit davor kam es selbst in der Zeit des schlimmsten Niedergangs nicht vor, dass einem Kalifen, der aus seinem Amt ausschied, kein Kalif nachfolgte. Wenn es einen Kalifen gab, bedeutet das auch, das der islamische Staat existierte, denn beide bedingen einander. Die Mucawinun waren in allen Epochen vorhanden. Es handelte sich dabei um Assistenten in der Ausführung, nicht um Minister (im westlichen Sinne des Wortes). Unter den Abbasiden gab man ihnen aber die Bezeichnung Wazir. Trotzdem handelte es sich bei ihnen um Mucawinun, also Assistenten. 58 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 59 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Sie besaßen absolut nicht die Vollmachten des Ministeramts im demokratischen System. Ihre Aufgabe beschränkte sich auf die Ausführung von Anordnungen des Kalifen, während die Vollmachten ausschließlich bei Letzterem lagen. Die Existenz der Wulat, Qu6at und des Verwaltungswesens war eine feststehende Tatsache. Zu dem Zeitpunkt, als die ungläubigen Kolonialisten die islamische Welt in Besitz nahmen, gab es dort einen funktionierenden Staatsapparat mit Wulat, Qu6at und einer Verwaltung. Diese Tatsache bedarf keiner weiteren Beweise. Bei der Armee handelte es sich um eine islamische Armee. Die Welt lebte in dem Bewusstsein, dass die islamische Armee unbesiegbar sei. Um den Maglis al-Umma, hat man sich nach der Zeit der Rechtgeleiteten Kalifen nicht mehr gekümmert. Grund dafür war, dass es sich dabei nicht um ein Fundament des Regierungssystems handelt. Er gehört zwar zum Staatsapparat und ist eines der Rechte des Volkes gegenüber der Regierung, und sein Nichtvorhandensein stellt eine Vernachlässigung dar. Die Regierung bleibt jedoch auch ohne diese Einrichtung eine islamische Regierung. Der Maglis alUmma dient im Gegensatz zum Parlament des demokratischen Systems dem Zwecke der Meinungsanhörung, nicht der Regierung. Das Regierungssystem des Islam wurde also, wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, umgesetzt. Es bleibt nun noch die Frage der Baica, des dem Kalifen geleisteten Eides, zu klären. Das Kalifat ist, und dies ist eine unstrittige Tatsache, kein erbliches System. Dies bedeutet, dass es keine festgesetzte Erbschaft in der Regierungsnachfolge im Staat gibt, wie es etwa bei der Monarchie der Fall ist. Die Übernahme der Regierungsgewalt im islamischen Staat erfolgt durch die Baica. In einigen Epochen wurde diese von den Muslimen entgegengenommen, in einigen Epochen von Ahl ul-halli wa l- caqd (angesehene Gelehrte und Meinungsvertrer der Muslime), und zum Ende der Periode des Niedergangs vom Saih 59 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 60 DES ISLAM ul-Islam. Zu keiner Zeit des islamischen Staates wurde jedoch ein Kalif ohne Baica eingesetzt. Es wurden auch keine erblichen Nachfolger ernannt, ohne dass zuvor die Baica abgegeben wurde. Es wird von keinem einzigen Vorfall berichtet, dass ein Kalif einen Nachfolger bestimmte, ohne dass diesem die Baica gegeben wurde. Allerdings kam es zu einer fehlerhaften Anwendung der Baica. So hat der Kalif zu seinen Lebzeiten die Baica für seinen Sohn, oder seinen Bruder, oder seinen Neffen oder eine andere Person aus seiner Familie von den Muslimen entgegengenommen. Die Baica wurde darauf nach dem Tode des Kalifen für die betreffende Person erneuert. Es handelt sich bei diesem Verfahren um eine fehlerhafte Anwendung der Baica, und nicht um eine Erb- oder Thronfolge (Wilayat cahd). Vergleichbar damit ist die fehlerhafte Anwendung des Wahlsystems für das Parlament in der Demokratie, die als Wahlen und nicht als Ernennung bezeichnet werden, selbst wenn diejenigen Personen erfolgreich aus den Wahlen hervorgehen, welche die Regierung haben will. Aus all diesen Punkten ergibt sich, dass das islamische System praktisch umgesetzt wurde. Während der gesamten Jahrhunderte, in denen der islamische Staat existierte, fand kein anderes System oder Gesetz Anwendung. Der praktische Erfolg der ideologischen Führung des Islam war nicht zuletzt in zwei Punkten offensichtlich: Erstens gelang es dieser ideologischen Führung, das gesamte arabische Volk aus dem intellektuell verfallenen Zustand, der einem blinden Herumtappen in der Dunkelheit des Stammesnationalismus glich, und der Finsternis der dunkelsten Unwissenheit zu einer Epoche des intellektuellen Aufstiegs zu bringen, so dass es mit dem Licht des Islam nicht nur die Araber, sondern die gesamte Welt erleuchtete. Die Muslime verteilten sich über den Erdball, und trugen den Aufruf zum Islam in die Welt. Sie bemächtigten sich Persiens, des 60 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 61 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Irak, Großsyriens, Ägyptens und Nordafrikas. Jedes der dort lebenden Völker besaß einen eigenen nationalen Charakter und eine eigene Sprache, die sich von denen der anderen Völker unterschied. Die Sassaniden Persiens unterschieden sich von den Römern Syriens, den Kopten Ägyptens und den Berbern Nordafrikas in ihrer Nationalität, ihren Traditionen, Gebräuchen und Religionen. Kaum unterstanden sie dem Schutz der islamischen Herrschaft und verstanden den Islam, nahmen sie schließlich alle den Islam an und wurden zu einer einzigen Gemeinschaft, der islamischen Umma. Der Erfolg der ideologischen Führung des Islam in der Verschmelzung dieser Völker und Nationalitäten entbehrt seinesgleichen und ist einmalig - und dass, obwohl die Transportmittel in ihrer Verbreitung sich auf das Kamel beschränkten, und die einzigen Kommunikationsmittel die Zunge und das Schreibrohr waren. Die islamischen Eröffnungen (Futuhat) fanden mit dem Ziel der Entfernung der bestehenden Herrschaft durch Gewalt und dem Zerbrechen der materiellen Hindernisse statt, um den Menschen den Weg dorthin frei zu machen, wohin sie der Verstand bzw. ihre natürliche Veranlagung rechtleiten würde. Auf diese Weise sind die Menschen scharenweise in den Din Allahs eingetreten. Im Gegensatz dazu trennt die (imperialistische) Eroberung zwischen Erobernden und Eroberten, zwischen Sieger und Besiegten. Der westliche Kolonialismus im Osten hat Jahrzehnte angedauert, ohne in seinem Ergebnis im entferntesten erfolgreich gewesen zu sein. Gäbe es nicht den Einfluss der irreleitenden Kultur, der ausgelöscht wird, und nicht den Druck der tyrannischen Führer, der verschwinden wird, würde die Rückkehr zur Ideologie und zur Lebensordnung des Islam schneller vor sich gehen, als ein Augenzwinkern. Es bleibt uns nur zu wiederholen: Der Erfolg der islamischen ideologischen Führung in der Verschmelzung dieser so verschiedenen 61 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 62 DES ISLAM Völker ist einzigartig. Diese Völker sind bis zum heutigen Tage Muslime geblieben, trotz der Angriffe des Kolonialismus, seiner Bosheit und List in dem Versuch, die Glaubensgrundlagen zu zerstören und die Ideen zu vergiften. Bis zum Jüngsten Tag werden die Muslime eine einzige islamische Umma bleiben. Es ist in der Geschichte niemals vorgekommen, dass auch nur ein einziges Volk, das den Islam aus Überzeugung angenommen hat, ihm wieder abgeschworen hätte. Die Muslime Spaniens wurden durch Inquisition, Scheiterhaufen und Fallbeile vernichtet, während die Muslime Bucharas, des Kaukasus und Turkestans das Unglück ihrer Vorgänger traf. Der Islam dieser Völker, ihr Fortbestand als eine einzige Umma und die Heftigkeit ihres Festhaltens an der cAqida gibt einen Eindruck vom Erfolg, der durch diese cAqida erreicht wurde. Er verdeutlicht auch den Erfolg des islamischen Staates in der Umsetzung der islamischen Ordnung. Der zweite Aspekt, der den Erfolg dieser ideologischen Führung beweist, besteht in der Tatsache, dass die islamische Umma über einen Zeitraum von zwölfhundert Jahren, vom sechsten Jahrhundert n. Chr. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts n. Chr., die in ihrer Kultur, ihrer Zivilisation, ihrer Bildung und ihrem Wissen weltweit führende Nation blieb und der islamische Staat über denselben Zeitraum hinweg der mächtigste Staat war. Er allein war über diesen Zeitraum die Blume der Welt und die unter den Nationen aufgehende Sonne. Dies beweist den Erfolg dieser Führung sowie den Erfolg des Islam in der Anwendung seiner Ordnung und seiner cAqida über den Menschen. Als der islamische Staat und die islamische Umma im Tragen dieser ideologischen Führung nachlässig wurden, den Aufruf zum Islam vernachlässigten und im Verständnis und in der Umsetzung des Islam Unzulänglichkeiten aufwiesen, sanken sie unter das Niveau der anderen Nationen. Die ideologische Führung des Islam ist die einzig richtige, und sie allein muss in die Welt getragen werden. Sobald der islamische Staat 62 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 63 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM verwirklicht wird, der diese Führung trägt, wird ihr Erfolg dieselbe Größe erreichen wie in der Vergangenheit. Wir haben bereits festgestellt, dass der Islam in den Systemen, die aus ihm hervorgehen, mit der menschlichen Natur übereinstimmt. Der Mensch kann nicht als genormtes Wesen betrachtet werden, das wie nach dem Lineal gezeichnet lebt, und die Ordnung ohne Unregelmäßigkeit nach genauer technischer Vorgabe anwendet. Er ist ein soziales Wesen, welches die Ordnung als solches mit bestehenden Unterschieden in seiner Fähigkeit und seinen besonderen Eigenschaften umsetzt. Unter dieser Voraussetzung ist es nur natürlich, dass die Unterschiede zwischen den Menschen durch den Islam so weit wie möglich verringert, aber nicht völlig gleichgemacht werden können, mit der Gewissheit, dass der Islam allen Zufriedenheit garantiert. Darüber hinaus ist es natürlich, und dies stellt nun den Gegenstand der Untersuchung dar, dass sich einige Einzelpersonen dieser Ordnung entziehen und ihr zuwiderhandeln. Es ist natürlich, dass es Personen gibt, die dieser Ordnung nicht entsprechen und sich von ihr abwenden. Daher gibt es in der Gesellschaft unweigerlich Sünder (Fasiqun) und solche, die ihre Sündhaftigkeit sogar offen begehen (Fuggar), Ungläubige und Heuchler, vom Islam Abtrünnige und Atheisten. Die Gesellschaft muss aber in ihrer Gesamtheit als aus Ideen, Gefühlen, Systemen und Menschen zusammengesetzt betrachtet werden, und gilt dann als islamisch, wenn diese Komponenten islamisch sind. Der Beweis dafür ist, dass es selbst in der Zeit des Propheten (s.a.s.) Ungläubige, Munafiqun (Heuchler), Fasiqun und Fuggar sowie Murtaddun (Aposthaten) und Atheisten gab, obwohl man mit Sicherheit sagen kann, dass niemand den Islam besser anwenden kann als der Gesandte Allahs (s.a.s.) selbst. Man kann zu keinem anderen Schluss kommen als den, dass der Islam vollständig umgesetzt wurde, und die Gesellschaft eine islamische Gesellschaft war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Anwendung über Menschen als soziale, 63 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 64 DES ISLAM nicht als genormte Wesen stattfand. Allein der Islam wurde seit der Ankunft des Gesandten Allahs in Medina bis zur Besetzung der islamischen Welt durch die Kolonialmächte, als die islamische Ordnung durch das kapitalistische System ausgetauscht wurde, in seiner Gesamtheit auf die islamische Umma angewendet, bei Arabern wie Nichtarabern. Er wurde also seit dem Jahre eins der Higra bis zum Jahre 1336 d.H. (1918 n. Chr.) praktisch umgesetzt. Während dieser gesamten Periode hat die islamische Umma keine andere Ordnung angewendet als die des Islam. Obwohl die Muslime Philosophie, Wissenschaften und verschiedene fremde Geistesbildungen in die arabische Sprache übersetzt haben, übersetzten sie kein einziges Gesetz, noch eine Gesetzgebung oder ein System irgendeiner anderen Nation. Weder, um danach zu handeln, noch, um es zu studieren. Der Islam als Lebensordnung wurde jedoch von Menschen ausgeführt, manchmal besser und manchmal weniger gut, je nach Stärke oder Schwäche des Staates, der Präzision oder der Abweichung seines Islam-Verständnisses, und je nach der Stärke oder Schwäche im Tragen der ideologischen Führung. Auf diese Weise hat die Nachlässigkeit in der Umsetzung des Islam, wie sie in einigen Jahrhunderten anzutreffen war, die islamische Gesellschaft zu einem Verfall geführt. Es ist nicht so, dass dem Islam eine Ordnung fehlt, denn er stützt sich gerade darauf, unter den Menschen umgesetzt zu werden. Aus der fehlerhaften Anwendung lässt sich nicht schließen, dass der Islam nicht praktiziert wurde. Es steht mit Sicherheit fest, dass der Islam und nichts anderes an Ideologien und Systemen angewendet wurde. Entscheidend für die Anwendung sind die Gesetze und Systeme, deren Umsetzung der Staat befahl. In dieser Beziehung bediente sich der islamische Staat jedoch absolut nichts, was außerhalb des Islam steht. Vorgefallen ist lediglich eine fehlerhafte Anwendung einiger seiner Systeme seitens 64 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 65 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM einiger Regierender. Beim Überprüfen, ob der Islam in der Geschichte angewendet wurde, müssen wir zwei Aspekte berücksichtigen: Zunächst dürfen wir diese Geschichte nicht von den Feinden des Islam übernehmen, die ihn hassen, sondern nur nach genauester Überprüfung von den Muslimen selbst, um kein entstelltes Bild zu erhalten. Ferner ist es nicht zulässig, ausgehend von der Geschichte Einzelner einen verallgemeinernden Analogieschluss auf die Gesellschaft zu ziehen. Es ist falsch, etwa die Geschichte der Umayyaden der Geschichte Yazids zu entnehmen, oder die Geschichte der abbasidischen Epoche einigen Ereignissen um ihre Kalifen. Ebenso ist es nicht zulässig, die Gesellschaft der abbasidischen Zeit ausgehend vom Kitab al-A0ani (das Buch der Lieder) zu beurteilen, das von Trinkern, Dichtern und Autoren berichtet, oder ausgehend von den Büchern der Mystiker oder ähnlichem. Täten wir dies, würden wir entweder feststellen, dass es sich um eine Epoche der Sündhaftigkeit und Unzucht oder um eine Zeit der Enthaltsamkeit und Weltfremdheit handelt. Es ist unabdingbar, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Eine Geschichte der islamischen Gesellschaft aber ist zu keiner Zeit verfasst worden. Das, was verfasst wurde, sind Berichte über die Herrschenden und einige Einflussreiche Personen, wobei diejenigen, die diese Berichte verfassten, keine zuverlässigen Quellen darstellen, weil sie entweder unzulässigerweise verleumden oder lobpreisen. Keine von beiden Aussagen kann akzeptiert werden. Studieren wir die islamische Gesellschaft auf dieser Grundlage, d.h. von allen Seiten und nach präziser Überprüfung, stellen wir fest, dass es sich um die beste Gesellschaft handelt. Dies war im ersten, zweiten, dritten, und allen folgenden Jahrhunderten bis zur Mitte des zwölften Jarhunderts der Higra der Fall. Wir können feststellen, dass der Islam durch alle Jahrhunderte hindurch bis zum Ende des Osmanischen Staates, in seiner Eigenschaft als islamischer Staat, ununterbrochen 65 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 66 DES ISLAM angewendet wurde. Dabei muss ausdrücklich festgehalten werden, dass die Geschichte keine Quelle für das System und den Fiqh sein kann. Das System wird den Rechtsquellen entnommen, nicht der Geschichte. Wenn wir z.B. das kommunistische System verstehen wollen, greifen wir nicht auf die Geschichte Russlands zurück, sondern auf die Bücher der kommunistischen Ideologie selbst. Die Kenntnis des englischen Rechts entnimmt man ebenfalls nicht der Geschichte Englands, sondern der englischen Rechtslehre, in gleicher Weise geht man mit jedem System oder Gesetz vor. Der Islam ist eine Ideologie, die eine Überzeugungsgrundlage und ein System beinhaltet. Wenn wir ihn studieren und heranziehen wollen, ist es absolut unzulässig, die Geschichte als Quelle dafür heranzuziehen, weder zum Zweck der Kenntnis, noch zum Zwecke der Ableitung seiner Gesetze. Die Quelle zur Kenntnis des Islam sind die Bücher des islamischen Rechts, während ihre detaillierten Beweise (adilla tafsiliyya), d.h. Quran und Sunna, die Quelle zur Ableitung seiner Gesetze darstellen. Die Geschichte kann daher nicht Quelle der islamischen Ordnung sein, weder in Bezug auf seine Kenntnis, noch, um sie als Beweisführung im Sinne des islamischen Rechts zu verwenden. Weder die Geschichte von cUmar Ibn ul-1a88ab, noch die des cUmar Ibnu cAbd il-cAziz, Harun ar-Rasid oder irgendeines anderen kann eine Quelle für die Gesetze der Sari ca darstellen. Dies gilt sowohl für die geschichtlichen Ereignisse, die über sie überliefert werden, als auch für die Bücher, die über ihre Geschichte verfasst wurden. Wird eine Meinung cUmars (Ray), wie sie sich in einem Ereignis zeigt, befolgt, dann nur in ihrer Eigenschaft als Gesetz der Sari ca, das cUmar ableitete und anwendete. Auf dieselbe Weise werden die von Abu Hanifa, as-Safici, Gacfar und anderen abgeleiteten Gesetze nicht als geschichtliche Ereignisse befolgt. Die Geschichte hat keinen Platz in der Entnahme oder auch nur in der Kenntnis des Systems. Die Frage, ob das System befolgt wurde oder nicht, wird nicht der Geschichte entnommen, sondern dem Fiqh, denn es gab zu jeder Zeit Probleme, 66 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 67 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM die durch das System behandelt wurden. Solange wir nicht wissen, wie dieses System beschaffen war, das die Probleme löste, wenden wir uns nicht den geschichtlichen Ereignissen zu, die uns lediglich als Informationen überliefert wurden. Wir müssen uns der Ordnung selbst zuwenden, die angewendet wurde, mit anderen Worten, dem islamischen Recht. Beschäftigen wir uns mit dem islamischen Recht, stellen wir fest, dass es hier kein System gibt, das die Muslime anderswo entnommen oder selbst entworfen hätten. Wir können vielmehr beobachten, dass alle Gesetze der Sari ca aus ihren Quellen abgeleitet sind. Die Muslime waren überaus sorgfältig in der Reinigung des Fiqh von schwachen Aussagen, d.h. von schwachen Gesetzesableitungen. Dies ging so weit, dass sie sich sogar der Anwendung einer schwachen Aussage enthielten, auch wenn sie von einem Mugtahid mu8laq (Islamischer Rechtsgelehrter, der über so viel Rechts- und Grundlagenwissen verfügt, dass er in seinen Rechtsableitungen an keine Rechtsschule gebunden ist) stammte. In der gesamten islamischen Welt findet sich kein einziger gesetzgebender Text außerhalb des islamischen Fiqh. Es findet sich ausschließlich das islamische Recht. Die alleinige Existenz eines Gesetzestextes in einer Nation unter Ausschluss anderer Texte beweist, dass diese Nation in ihrer Gesetzgebung nichts anderes als diesen Text verwendet hat. Wenn wir uns der Geschichte zuwenden dürfen, dann zur Prüfung der Art der Anwendung. Die Geschichte kann von politischen Ereignissen berichten, an denen sich die Art der Anwendung zeigt. Doch auch hier darf sie nur nach genauer Überprüfung von Muslimen angenommen werden. Es gibt drei Quellen der Geschichte: Geschichtsbücher, archäologische Funde und die Überlieferung (Riwaya). Geschichtsbücher dürfen überhaupt nicht als Quelle herangezogen werden, weil sie zu jeder Zeit von den politischen 67 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 68 DES ISLAM Umständen abhängig sind. Sie sind voll von Lügen, sei es, dass sie diejenigen unterstützen, in deren Zeit sie verfasst wurden, sei es, dass sie in der nachfolgenden Zeit gegen sie verfasst wurden. Der beste Beweis dafür ist die Geschichte der calawitischen Familie in Ägypten, von der vor 1952 ein leuchtendes Bild gezeichnet wurde, während ihre Geschichte nach 1952 in den dunkelsten Farben zum genauen Gegenteil dessen verkehrt wurde. Ein weiteres Beispiel gibt die Darstellung der politischen Ereignisse unserer Zeit wie der Vergangenheit. Geschichtsbücher dürfen folglich nicht als Quelle zur Kenntnis der Geschichte herangezogen werden, selbst wenn es sich um die Memoiren einer Person handelt, die sie persönlich verfasste. Was archäologische Funde betrifft, so geben sie, wenn sie objektiv studiert werden, die geschichtliche Realität über eine Sache wieder. Auch wenn sie keine ununterbrochene geschichtliche Folge darstellen, bestätigen sie doch einige Ereignisse. Die archäologischen Funde in der islamischen Welt in der Bauweise der Muslime, ihren Gebrauchsgegenständen oder irgendetwas anderem, was als historisches Denkmal betrachtet wird, beweisen, dass in der gesamten islamischen Welt nichts anderes als der Islam, seine Ordnung und seine Gesetze angewendet wurden. Das Leben der Muslime und ihre Verhaltensweisen waren ausschließlich islamischer Natur. Die Überlieferung (Riwaya) als dritte Quelle gehört zu den authentischen Quellen, auf die man sich verlassen kann, vorausgesetzt, dass die Überlieferung selbst authentisch ist und der Methode folgt, die auch in der Hadit-Überlieferung befolgt wurde. Nach dieser Methode muss auch die Geschichte niedergeschrieben werden. Sie wurde von den Muslimen befolgt, als sie begannen, sich der Geschichtsschreibung zu widmen. Die alten Geschichtsbücher wie die Geschichte a8-7abaris, die Sirat Ibn Hisams und vergleichbare Werke wurden nach dieser Methode verfasst. Es ist den Muslimen nicht erlaubt, ihren Kindern ihre Geschichte aus Büchern zu lehren, deren Quellen lediglich andere Bücher sind. Ebenso ist es nicht 68 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 69 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM gestattet, die Frage der Anwendung des Islam auf Grundlage dieser Geschichtsschreibung zu untersuchen. Auf diese Weise wird deutlich, dass allein der Islam in jeder Epoche in der islamischen Umma angewendet wurde. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Sieg der Alliierten, als Lord Allenby, der die Offensive in der Eroberung Jerusalems anführte, verkündete: Jetzt sind die Kreuzzüge beendet!; seit dieser Zeit wenden die ungläubigen Kolonialisten ihr kapitalistisches System in allen Angelegenheiten des Lebens über uns an, um den Triumph, den sie erlangten, zu verewigen. Aus diesem Grund muss das falsche und korrupte System, das noch immer den Kolonialisten den Zugriff auf unsere Länder ermöglicht, ausgetauscht werden, es muss vollständig in seiner Gesamtheit wie im Detail an seinen Wurzeln ausgerissen werden, damit wir das islamische Leben wieder aufnehmen können. Es wäre sehr oberflächlich gedacht, unsere Ordnung durch irgendeine Ordnung ersetzen zu wollen, oder anzunehmen, dass die Umma durch die Umsetzung der Ordnung allein gerettet werden könnte, ohne die Überzeugungsgrundlage verinnerlicht zu haben. Es ist selbstverständlich, dass die Umma als erstes die cAqida aus Überzeugung verinnerlicht haben muss, um dann die Ordnung, die sich aus dieser cAqida ableitet, anzuwenden. Erst dann stellt die Anwendung der Ordnung nach der Verinnerlichung der cAqida eine Rettung dar. Dies bezieht sich auf die Nation, die sich auf Grundlage der Ideologie konstituiert und ihren Staat auf dieser Grundlage aufbaut. Für andere Völker und Nationen jedoch besteht keine Notwendigkeit, die Ideologie aus Überzeugung anzunehmen, um diese auf sie anwenden zu können. Jene Nation, welche die Ideologie aus Überzeugung verinnerlicht hat und weiterträgt, wendet diese über jedes beliebige Volk oder jede beliebige Gemeinschaft an, selbst wenn letztere nicht von der Ideologie überzeugt sind. Denn die Ideologie lässt sie ebenfalls einen geistigen Aufstieg erleben und führt sie 69 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 70 DES ISLAM schließlich zu deren Annahme hin. Die Verinnerlichung der Ideologie ist keine Bedingung für jene, auf welche sie angewendet wird, sondern eine zwingende Bedingung für jene, die sie anwenden. Es ist gefährlich, Nationalismus in Verbindung mit dem sozialistischen System anzunehmen, denn letzteres kann nicht unabhängig von seiner materialistischen Idee angenommen werden. Ein solches Vorgehen wird weder erfolgreich sein noch einen (positiven) Einfluss hinterlassen. Es kann nicht in Verbindung mit seiner materialistischen Idee angenommen werden, weil es sich dabei um eine negative Idee handelt, die im Widerspruch zur Natur des Menschen steht. Sie würde von der islamischen Umma fordern, die Glaubensüberzeugung des Islam aufzugeben. Es ist nicht zulässig, unter Beibehaltung der sprirituellen Seite des Islam den Sozialismus anzunehmen. Auf diese Weise hätten wir aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit und der Unvollkommenheit dessen, was übernommen wurde, weder den Islam noch den Sozialismus richtig angenommen. Es ist keineswegs zulässig, die Ordnung des Islam unter Aufgabe seiner cAqida, aus der seine Systeme hervorgehen, anzunehmen. Dadurch würden wir das System als ein starres Gebilde ohne Ruh, ohne Spiritualität, übernehmen, wo es doch offensichtlich ist, dass der Islam nur umfassend in seiner cAqida und seinen Systemen angenommen werden kann, und dass wir seine ideologische Führung tragen müssen, wenn wir seine Dacwa betreiben. Es gibt nur einen Weg zu unserem geistigen Aufstieg: Wir müssen den Islam im täglichen Leben wiederaufnehmen. Der einzige Weg zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben ist der islamische Staat. Seine Verwirklichung ist nur durch die umfassende Annahme des Islam möglich: Wir müssen den Islam als Überzeugungsfundament (cAqida) verinnerlichen, welches das größte Problem des Menschen löst, und auf dem sich die Anschauung im Leben festigt, wobei Systeme aus dieser cAqida hervorgehen, deren Grundlage das Buch Allahs und die Sunna seines Gesandten sind, deren kultureller 70 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 71 DIE IDEOLOGISCHE FÜHRUNG IM ISLAM Reichtum die islamische Geistesbildung mit allem, was an Fiqh, Hadit, Tafsir, Sprache und anderem dazu gehört, darstellt. Der Weg dorthin führt allein über das umfassende Tragen der islamischen ideologischen Führung durch den Aufruf zum Islam und die vollständige Umsetzung des Islam an jedem Ort. Wenn das Tragen der ideologischen Führung auf die gesamte Umma und den islamischen Staat übergeht, können wir uns dem Hinaustragen der ideologischen Führung in die gesamte Welt widmen. Dies ist der einzige Weg zur Nah6a, dem geistigen Aufstieg. Die ideologische Führung des Islam muss zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben zunächst an die Muslime herangetragen werden, und danach durch den islamischen Staat an die gesamte Menschheit. &&& 71 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 72 WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DA cWA GETRAGEN WERDEN? Die Muslime sind nicht wegen ihres Festhaltens an ihrer Lebensordnung hinter den Stand der Welt zurückgefallen. Ihr Verfall begann vielmehr an dem Tage, als sie dieses Festhalten aufgaben und nachlässig darin wurden. Der Niedergang nahm seinen Lauf, als die Muslime es der westlichen Kultur erlaubten, ihre Häuser zu betreten und es den westlichen Konzepten ermöglichten, sich ihres Verstandes zu bemächtigen, an dem Tage, als sie die ideologische Führung im Islam aufgaben, indem sie die Dacwa zum Islam vernachlässigten, und in der Umsetzung seiner Gesetze fehlerhaft wurden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Muslime den Islam im täglichen Leben, d.h. als umfassende Lebensordnung, wiederaufnehmen müssen, damit ihnen ein geistiger Aufstieg vergönnt ist. Diese Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben wird ihnen erst gelingen, wenn sie die islamische Dacwa durch die ideologische Führung des Islam tragen, und durch diese Dacwa einen islamischen Staat errichten, der die ideologische Führung durch seinen Aufruf zum Islam in die Welt trägt. Es muss dabei klar sein, dass nur das Tragen der ideologischen Führung durch die Dacwa zum Islam zum geistigen Aufstieg der Muslime führt, weil der Islam allein die Welt zu retten vermag. Ein wirklicher geistiger Aufstieg kann nur durch den Islam herbeigeführt werden, sei es für die Muslime oder alle anderen. Auf dieser Grundlage muss die Dacwa zum Islam getragen werden. Dabei muss folgendes bedacht werden: Das Tragen dieser Dacwa in die Welt muss als ideologische Führung erfolgen, aus der Systeme hervorgehen. Sämtliche Ideen müssen auf dieser ideologischen Führung basieren. Aus ihnen gehen ohne Ausnahme alle Erkenntnisse hervor, die den Standpunkt im Leben beeinflussen. 72 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 73 WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN? ______________________________________________________ Die islamische Dacwa wird heute auf dieselbe Weise getragen wie früher, und richtet sich nach dem Vorbild des Gesandten Allahs (s.a.s.) in den umfassenden wie den detaillierten Fragen, ohne auch nur um eine Haaresbreite von diesem Vorbild abzuweichen. Den Unterschieden der Epochen wird dabei absolut keine Rechnung getragen, denn das, was sich verändert, sind die Mittel und Formen, während der Inhalt und die Bedeutung sich nicht verändert haben und sich auch nicht verändern werden, unabhängig davon, wieviele Jahrhunderte aufeinandergefolgt sind und wie sehr sich auch die Völker und Regionen unterschieden. Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert Offenheit und Mut, Stärke und Denken, und eine Herausforderung all dessen, was der Idee und der Methode widerspricht. Dem offensichtlich Falschen muss die Stirn geboten werden, um diese Falschheit zu beweisen, und all dies ungeachtet der Konsequenzen und Umstände. Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert weiterhin, dass die unbedingte Souveränität der islamischen Ideologie gehört, ohne Rücksicht darauf, ob die Masse des Volkes mit ihr einverstanden ist oder nicht, ob sie mit den Gewohnheiten der Menschen einhergeht oder sie herausfordert, und ohne Rücksichtnahme darauf, ob die Menschen sie akzeptieren oder ablehnen und sich ihr sogar widersetzen. Der Dacwa-Träger darf dem Volk nicht schmeicheln. Ebenso darf er die Herrschenden nicht umschmeicheln oder ihnen schön tun. Er legt keinen Wert auf die Gewohnheiten und Sitten der Menschen, und kümmert sich nicht darum, ob die Menschen ihn akzeptieren oder ablehnen. Er hält sich allein an der Ideologie fest, billgt nur sie und lässt nichts anderes als die Ideologie Eingang in seine Erwägungen finden. Den Vertretern anderer Ideologien wird nicht gesagt: Haltet an euren Ideologien fest, sondern sie werden ohne Zwang zur islamischen Ideologie aufgerufen, damit sie sie aus Überzeugung anzunehmen: Denn die Dacwa bedingt, dass nur die Ideologie des Islam Gültigkeit besitzt und die Souveränität ihr 73 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 74 allein gehört. Allah sagt: Er ist es, der seinen Gesandten mit der Rechtleitung und dem Diin der Wahrheit entsandte, damit er über alle un anderen Anschauungen siegt, auch wenn die Mussriku (Götzendiener) dies verabscheuen Der Gesandte Allahs brachte seine Botschaft herausfordernd, offen sichtbar und in dem Glauben an die Wahrheit, zu der er aufrief, in die Welt. Er forderte die gesamte Welt heraus, und erklärte sowohl den Roten wie den Schwarzen den Krieg, ohne in irgendeiner Weise ihre Gewohnheiten oder Sitten, ihre Anschauungen oder Überzeugungen, Herrscher oder Untertanen zu berücksichtigen. Er richtete das Augenmerk auf nichts anderes als die Botschaft des Islam. Er erklärte die Götzen des Stammes Qurais für falsch, und forderte sie in ihren Überzeugungen heraus, die er für töricht erklärte. Dies tat er, obwohl er ein isoliertes Inividuum war, das weder zahlenmäßige noch sonstige Unterstützung hatte, und keine Waffe besaß als seinen tiefen Glauben an den Islam, zu dem er aufrief. Er kümmerte sich weder um die Gewohnheiten und Traditionen der Araber, noch um ihre Anschauungen und Überzeugungen. Er schmeichelte ihnen nicht damit und brachte ihnen diesbezüglich keinerlei Beachtung entgegen. Ebenso wie der Gesandte Allahs (s.a.s) muss der Träger der islamischen Dacwa offen in seiner Herausforderung aller Dinge sein: Er muss die Gewohnheiten und Traditionen, die kranken Ideen und fehlerhaften Konzepte, ja sogar die öffentliche Meinung herausfordern, wenn sie falsch ist, selbst wenn sie sich ihm entgegenstellen, um ihn zu bekämpfen. Er fordert die Glaubensüberzeugungen und Anschauungen heraus, selbst wenn sich ihm der Fanatismus ihrer Anhänger und der Groll derer entgegenstellt, die an ihren Irrtümern festhalten. Das Tragen der islamischen Dacwa erfordert das Bedachtsein auf die umfassende Ausführung der Gesetze des Islam. Vernachlässigungen, 74 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 75 WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN? ______________________________________________________ und seien sie noch so klein, darf es nicht geben. Der Dacwa-Träger akzeptiert keine Kompromittierung und keine Nachlässigkeit, weder macht er Zugeständnisse, noch lässt er Verzögerungen zu. Vielmehr widmet er sich der Sache in ihrer Gesamtheit, erledigt sie unverzüglich und akzeptiert kein Abweichen von der Wahrheit. Der Gesandte Allahs (s.a.s.) akzeptierte nicht die Forderung von der Delegation des Stammes Taqif, ihnen ihren Götzen al-Lat für drei Jahre zu lassen und nicht zu zerstören sowie ihnen das Gebet für drei Jahre zu erlassen, damit sie als Gegenleistung den Islam annehmen. Er akzeptierte auch nicht, al-Lat für zwei Jahre oder einen Monat zu lassen, wie sie es verlangten, sondern lehnte alle diese Forderungen vehement ab. Seine Ablehnung war definitiv, sie kannte weder ein Zögern noch Nachsicht, denn entweder der Mensch glaubt, oder er glaubt nicht, und die Konsequenz ist entweder das Paradies oder das Feuer. Der Gesandte Allahs (s.a.s.) akzeptierte aber, dass nicht sie selbst al-Lat zerstören mussten, und beauftragte Abu Sufyan und al-Mu0ira Ibn Sucba damit. Er akzeptierte somit nichts anderes als eine vollständige cAqida und die dazu erforderliche Umsetzung. Was Mittel und Form anbelangt, so nahm er sie an, weil sie die cAqida nicht beeinträchtigten. Die islamische Dacwa muss daher die Vollständigkeit von Idee und Ausführung im Auge haben, ohne dass mit der Idee und der Methode nachlässig umgegangen wird, während man an Mitteln alles anwenden kann, was man will, ohne der Glaubensgrundlage damit zu schaden. Das Tragen der islamischen Dacwa ist dadurch bedingt, dass jede einzelne Handlung ein genau definiertes Ziel haben muss. Dieses Ziel muss dem Dacwa-Träger ständig vor Augen bleiben, er muss ständig für seine Erreichung arbeiten und sich unermüdlich ohne Unterbrechung für seine Verwirklichung einsetzen. Aus diesem Grunde ist er nicht mit einer Idee zufrieden, die nicht mit einer Handlung verbunden ist, und betrachtet sie als eine um sich selbst rotierende Philosophie, die nur in einem Zustand der Erstarrung und Hoffnungslosigkeit enden kann. Der Dacwa-Träger besteht auf der Verbindung zwischen Idee und Handlung, sowie darauf, dass Idee und Handlung gemeinsam auf ein 75 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 76 DES ISLAM Ziel ausgerichtet werden. Dieses Ziel wird durch seine Handlung realisiert und ins Leben gerufen. Der Gesandte Allahs (s.a.s.) trug die ideologische Führung in Mekka, bis die Gesellschaft Mekkas sich als unfähig erwies, die Errichtung des Islam als System zu verwirklichen, auf dessen Grundlage die Gesellschaft geführt würde. Er bereitete die Gesellschaft Medinas vor, gründete daraufhin den islamischen Staat, implementierte den Islam und trug seine Botschaft in die Welt hinaus. Er bereitete die Umma darauf vor, den Islam nach seinem Tode weiterzutragen und auf dem Weg zu verfahren, den er selbst vorgezeichnet hatte. Das Tragen der islamischen Dacwa muss also in dem Fall, dass die Muslime keinen Kalifen haben, einen umfassenden Aufruf zum Islam und zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben darstellen. Dies geschieht durch die Arbeit für die Errichtung des islamischen Staates, der den Islam implementiert und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt hinausträgt. Der Aufruf zum Islam besteht also zunächst in einem Aufruf zur Wiederaufnahme des Islam im täglichen Leben innerhalb der Umma und wird dann zum Tragen der Dacwa in die gesamte Welt durch den Staat. Auf diese Weise wird sie von einer begrenzten zu einer weltweiten Dacwa. Die Dacwa zum Islam muss die Korrektur der cAqaid, der Glaubensgrundlagen, und eine Stärkung der Verbindung zu Allah verkörpern. Den Menschen muss die Lösung ihrer Probleme deutlich gemacht werden, so dass diese Dacwa in sämtlichen Gebieten des Lebens lebendig wird. Der Gesandte Allahs rezitierte den Menschen in Mekka die Aya: Die Hände Abu Lahabs sollen vergehen ebenso wie zur selben Zeit die Aya: 76 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 77 WIE MUSS DIE ISLAMISCHE DACWA GETRAGEN WERDEN? ______________________________________________________ Es ist die Sprache eines würdigen Gesandten, nicht die eines Dichters, wie wenig ihr doch glaubt und die Aya: Wehe denen, die das Maß verkürzen, denjenigen, die, wenn sie sich von den Leuten zumessen lassen, volles Maß verlangen, dann jedoch, wenn sie es ihnen ausmessen oder auswägen, verkürzen sie es. und die Aya: Denjenigen, die glauben und gute Werke tun, werden in Gärten eingehen, unter denen Flüsse fließen. Dies ist wahrlich eine große Gnade. In Medina zitierte er ihnen die Ayat: Verrichtet das Gebet und gebt die Zakaat., sowie: Zieht leicht und schwer (bewaffnet) aus und kämpft mit euren Geldern und euren Leben auf dem Wege Allahs. Er zitierte die Aya : O ihr, die ihr glaubt, wenn ihr Geld für eine festgesetze Frist verleiht, so schreibt es auf, 77 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 78 DES ISLAM und: damit das Geld nicht unter den Reichen unter euch bleibt. und: Die Bewohner des Feuers und die Bewohner des Paradieses sind nicht gleich. Die Bewohner des Paradieses sind die Erfolgreichen. Ebenso wie diese Ayat alle Bereiche des Lebens ansprechen, muss der Aufruf zum Islam den Menschen die Systeme vor Augen führen, die die Probleme ihres Lebens behandeln, denn der Erfolg der islamischen Dacwa ist ihr lebendiges Wesen, das den gesamten Menschen als Menschen behandelt und in ihm eine umfassende Umwälzung verursacht. Die Träger dieser Dacwa können nur dann die Verantwortung übernehmen, und die Konsequenzen tragen, wenn sie das Streben nach Vollkommenheit verinnerlicht haben, beständig nach der Wahrheit suchen und all ihre Kenntnisse stets überprüfen, um sie von fremden Elementen zu reinigen und all das zu entfernen, was möglicherweise an Falschem daran haftet, bis die Ideen, die sie tragen, völlig rein sind. Die Reinheit der Idee ist der einzige Garant für den Erfolg und seinen Fortbestand. Ferner obliegt es den Trägern dieser Dacwa, ihre Pflicht als etwas zu betrachten, das Allah ihnen aufgetragen hat, und sie aus Freude über und in Erwartung des Wohlwollens Allahs anzunehmen. Sie dürfen für ihre Arbeit weder Lohn erwarten, noch Dank von den Menschen erhoffen. Das einzige Verlangen, das sie kennen, besteht im Wohlwollen Allahs. 78 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 79 DIE ISLAMISCHE KULTUR ( AL-HA5A RATU-L-ISLAMIYYA ) Es besteht ein Unterschied zwischen Ha6ara, der Kultur , und Madaniyya, der Zivilisation. Unter Ha6ara versteht man die Gesamtheit der Erkenntnisse über das Leben. Der Begriff Madaniyya hingegen bezeichnet die materiellen Formen der wahrnehmbaren Dinge, welche in den Angelegenheiten des Lebens Anwendung finden. Die Ha6ara ist gemäß dem Standpunkt, den man im Leben einnimmt, spezifisch, während man bei der Madaniyya zwischen einer spezifischen und einer allgemein zugänglichen unterscheiden muss. Die zivilisatorischen Formen, die direkt aus der Kultur hervorgehen, wie etwa bildliche Darstellungen, sind spezifisch, während die zivilisatorischen Formen, die aus der Wissenschaft und Industrie und deren Fortschritt resultieren, allgemein zugänglich sind. Sie sind nicht auf eine bestimmte Nation begrenzt, sondern international wie Industrie und Wissenschaft. Diese Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation muss immer vorgenommen werden. Ebenso ist es notwendig, zwischen den zivilisatorischen Formen zu unterscheiden, die direkt aus der Ha6ara hervorgehen und somit spezifisch sind, und denen, die aus Industrie und Wissenschaft resultieren und einen allgemein zugänglichen Charakter haben. Bei Übernahme von Dingen aus der Madaniyya muss diese Unterscheidung zwischen ihren materiellen Formen, also den allgemein zugänglichen und den spezifischen, sowie der Unterschied zwischen der Madaniyya und der Ha6ara unbedingt berücksichtigt werden. Es besteht kein Hinderungsgrund, die westliche Zivilisation, die aus Wissenschaft und Industrie resultiert, zu übernehmen. Was allerdings die westliche Zivilisation betrifft, die direkt aus der westlichen Kultur hervorgeht, so ist ihre Übernahme aufgrund ihres Widerspruchs mit der islamischen Kultur in keinem Fall erlaubt. Dieser unvereinbare Widerspruch zwischen der westlichen und der 79 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 80 DES ISLAM islamischen Ha6ara betrifft die Grundlagen, auf denen sie basieren, die Gestaltung des diesseitigen Lebens und die Bedeutung der Glückseligkeit für den Menschen. Die westliche Ha6ara beruht auf der Grundlage der Trennung der Religion vom täglichen Leben, und der Ablehnung jeglichen Einflusses der Religion auf das tägliche Leben. Daraus ging in natürlicher Konsequenz die Idee der Trennung der Religion vom Staat hervor. Auf dieser Grundlage baut das tägliche Leben und das System des täglichen Lebens auf. Die Gestaltung des täglichen Lebens wird durch den Profit bestimmt, denn er stellt den Handlungsmaßstab dar. Somit ist es auch der Profit, auf dem sich das System und die Kultur aufbauen. Es handelt sich um das hervorstechende Konzept im System und in der Kultur, da sie das Leben im Hinblick auf den Profit gestaltet. Das Glück besteht in der westlichen Kultur darin, dem Menschen den größtmöglichen Anteil an körperlichem Genuss zu geben und deren Anlässe zu maximieren. Die westliche Kultur ist daher rein profitorientiert. Sie misst nichts anderem als dem Profit Gewicht bei, erkennt nur den Profit an und macht nur ihn zum Maßstab der Handlungen. Die spirituelle Seite wird als individuell betrachtet. Mit der Gemeinschaft hat sie folglich nichts zu tun, sondern ist auf Kirche und Klerus beschränkt. Aus diesem Grund gibt es in der westlichen Gesellschaft keine ethischen, spirituellen, oder menschlichen Werte. Es finden sich ausschließlich materielle und profitorientierte Werte. Humanitäre Handlungen werden folgerichtig von Organisationen übernommen, die vom Staat getrennt sind, wie etwa das Rote Kreuz und Missionsgesellschaften. Jeglicher Wert außer dem des Profits ist vom täglichen Leben getrennt worden. Dies ist die Gesamtheit der Erkenntnisse über das Leben, welche die westliche Ha6ara ausmachen. Die islamische Ha6ara beruht auf einer Grundlage, die der westlichen Kultur diametral widerspricht. Sie unterscheidet sich in ihrer Gestaltung des Lebens wie in ihrem Verständnis des Glücks aufs äußerste von der westlichen Ha6ara. Die Grundlage der islamischen 80 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 81 DIE ISLAMISCHE KULTUR Kultur ist der Glaube an Allah, der Universum, Menschen und Leben nach einem von Ihm bestimmten System funktionieren lässt und daran, dass Er unseren Propheten Muhammad (s.a.s.) mit dem Islam als Din entsandt hat. Die islamische Kultur beruht somit auf der Grundlage der islamischen cAqida, welche den Glauben an Allah, Seine Engel, Seine Bücher, Seine Gesandten, den Jüngsten Tag, und daran, dass das Gute und das Schlechte in Qa6a und Qadar von Allah (t.) stammen, beinhaltet. Die Glaubensgrundlage stellt das Fundament der islamischen Kultur dar. Es handelt es sich um ein spirituelles Fundament. Die Lebensgestaltung in der islamischen Kultur ist in der Philosophie des Islam, welche aus der islamischen cAqida hervorgeht, verkörpert. Sie ist es, auf der das Leben und die Handlungen des Menschen im Leben aufbauen. Diese Philosophie besteht in einer Verschmelzung von Madda (Materie) und Ruh (Spiritualität), mit anderen Worten, die Grundlage der Lebensgestaltung besteht darin, dass der Mensch seine Handlungen gemäß den Gesetzen und Verboten Allahs (s.t.) ausführt. Die menschliche Handlung ist materiell, während Ruh das Erfassen der Verbindung zu Allah durch den Menschen darstellt, wenn dieser eine Handlung unter dem Gesichtspunkt ausführt, ob sie Halal (Erlaubtes) oder Haram (Verboten) ist. Auf diese Weise gelangt man zu einer Verschmelzung von Madda und Ruh. Aufbauend darauf sind es die Befehle und Verbote Allahs, die die Handlungen des Muslim lenken. Das Ziel in der Ausrichtung der Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs ist es, das Wohlgefallen Allahs zu erreichen, und in keinem Fall ein Profit. Was den Zweck der Ausführung derselben Handlung betrifft, so handelt es sich um den Wert (Qima), dessen Realisierung angestrebt wird. Dieser Wert unterscheidet sich von Handlung zu Handlung. Wer etwa mit der Absicht, einen Gewinn zu erzielen, Handel betreibt, verfolgt einen materiellen Wert. Die Ausübung des Handels stellt eine materielle Handlung dar, während das Erfassen der Verbindung zu Allah (t.) diese Handlung steuert, indem sie gemäß den Geboten und Verboten Allahs vollzogen wird, im Bestreben, Sein Wohlgefallen zu erreichen. Der Wert, der durch diese Handlung realisiert werden soll, ist der Gewinn. 81 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 82 DES ISLAM Er stellt somit einen materiellen Wert dar. Darüber hinaus gibt es einen spirituellen Wert, wie er im Gebet, dem Zahlen der Zakat, dem Fasten und dem Hagg (Pilgerfahrt) beinhaltet ist. Der ethische Wert umfasst Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Gewissenhaftigkeit. Ferner gibt es einen humanitären Wert, der sich etwa im Retten eines Ertrinkenden zeigt. Der Mensch hat diese Werte im Auge, wenn er eine Handlung ausführt, die sie verwirklicht. Diese Werte lenken die Handlung jedoch nicht und stellen auch nicht das höchste Ideal dar, nach dem man strebt. Es handelt sich lediglich um den Wert der Handlung, der sich je nach Art der Handlung unterscheidet. Das Glück besteht in der islamischen Ha6ara im Erreichen des Wohlwollens Allahs und steht nicht für die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Sie sieht in der Befriedigung der Instinkte und organischen Bedürfnisse lediglich ein notwendiges Mittel zur Bewahrung der menschlichen Existenz. Ihr Vorhandensein bringt nicht automatisch das Glück zustande. Es ist vielmehr die Gestaltung des Lebens und die Grundlage, auf der diese Gestaltung aufbaut. Die islamische Kultur widerspricht der westlichen Kultur in ihrer Grundlage ebenso wie in den zivilisatorischen Formen, die aus dieser Grundlage resultieren, in allen Punkten. Nehmen wir das Gemälde als Beispiel einer zivilisatorischen Form: Die westliche Kultur betrachtet das Bild einer nackten Frau, das alle ihre Reize offenbart, als eine zivilisatorische Form, die mit ihren Erkenntnissen über die Frau übereinstimmt. Im Westen wird es folglich, wenn es die Bedingungen der Kunst erfüllt, als Kunstwerk betrachtet, auf das man als Ausdruck der Zivilisation stolz ist. Dieser Ausdruck widerspricht jedoch der Kultur des Islam und steht im Widerspruch zu ihren Verständnissen über die Frau, die als eine Ehre betrachtet wird, die es zu schützen gilt. Der Islam verbietet diese Art der Darstellung, weil sie eine Überreizung des Sexualtriebs darstellt und zu moralischer Anarchie führt. Ein weiteres Beispiel wäre die Errichtung eines Hauses als zivilisatorische 82 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 83 DIE ISLAMISCHE KULTUR Form. Der Muslim berücksichtigt dabei die Privatsphäre der Frau, die von außerhalb des Hauses nicht zugänglich sein darf und baut aus diesem Grund eine Mauer um das Haus herum. In der westlichen Kultur wird dieser Aspekt ganz im Sinne ihres Verständnisses nicht berücksichtigt. Andere zivilisatorische Formen resultieren ebenfalls direkt aus der westlichen Kultur, wie etwa bildliche Darstellungen und ähnliches. Ebenso verhält es sich mit Kleidung. Es gibt Kleidungsarten, die spezifisch für die Kuffar (die Nichtmuslime, die Abkehrer) sind und von den Muslimen nicht übernommen werden dürfen, weil sie eine bestimmte Sichtweise bezeichnen. Ist die Art der Kleidung nicht spezifisch für Kuffar, besteht kein Hinderungsgrund in ihrer Übernahme. Sie kann übernommen werden, etwa weil sie notwendig oder anziehend ist. In diesem Fall gehört sie zu den allgemein zugänglichen zivilisatorischen Formen, deren Benutzung gestattet ist. Was die zivilisatorischen Formen betrifft, die aus den Wissenschaften und der Industrie resultieren, wie Labor- und medizinische oder industrielle Geräte, oder Möbel und Teppiche oder ähnliches, so handelt es sich um allgemein zugängliche Formen, bei deren Übernahme nichts weiter zu berücksichtigen ist, da sie nicht aus der Ha6ara hervorgehen und auch nicht mit ihr in Verbindung stehen. Ein rascher Blick auf die westliche Ha6ara, die zum heutigen Zeitpunkt die Welt beherrscht, zeigt uns, dass sie nicht dazu in der Lage ist, die Menschheit zu innerer Ruhe und Zufriedenheit zu führen. Im Gegenteil: Sie hat das Elend verursacht, auf deren Dornen sich die Welt herumwälzt, und deren Feuer sie quält. Die Kultur, deren Grundlage die Trennung der Religion vom täglichen Leben ist, widerspricht der Natur des Menschen. Sie räumt der spirituellen Seite überhaupt kein Gewicht im täglichen Leben ein, gestaltet das Leben allein nach dem Maßstab des Profits und macht diesen zur Grundlage der zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine solche Kultur kann nur zu Elend und ständiger Unruhe führen. Solange der Profit die Grundlage des Handelns darstellt, ist der Kampf und Streit um 83 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 84 DES ISLAM seinetwillen natürlich, ebenso wie es natürlich ist, sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen auf Gewalt zu stützen. Der Kolonialismus ist daher eine natürliche Erscheinung bei den Vertretern dieser Kultur. Die Moral wird aufs Heftigste erschüttert, weil der Profit allein die Grundlage des täglichen Lebens darstellt. Es ist somit eine natürliche Folge, dass eine würdige Moral ebenso aus dem Leben verbannt wurde wie spirituelle Werte, und das tägliche Leben auf der Grundlage von Rivalität, Kampf, Gewalttätigkeit und Kolonialismus geführt wird. Der beste Beweis für die Resultate der westlichen Kultur ist die Realität der Welt heute mit ihren spirituellen Krisen, ständiger Verzweiflung und weit verbreitetem Übel, denn schließlich ist es diese Kultur, die die Welt regiert und sie zu diesen gefährlichen Resultaten geführt hat, die eine Gefährdung für die gesamte Menschheit darstellen. Eine Betrachtung der islamischen Kultur, welche die Welt vom sechsten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts nach Christus beherrschte, zeigt uns, dass sie keineswegs kolonialistisch war. Der Kolonialismus entspricht nicht ihrer Kultur, weil sie nicht zwischen Muslimen und anderen unterschied, sondern allen Völkern, die sich während der gesamten Zeit ihrer Regierung ihrer Herrschaft untergaben, Gerechtigkeit garantierte. Die islamische Kultur verwirklicht sämtliche Werte, den materiellen, spirituellen, ethischen und humanitären. Das gesamte Gewicht im täglichen Leben wird dabei auf die cAqida gelegt. Die Gestaltung des Lebens verläuft nach den Befehlen und Verboten von Allah s.t., und die Bedeutung des Glücks liegt im Wohlgefallen Allahs. Wenn diese Kultur wieder die herschende Position einnimmt, die sie in der Vergangenheit hatte, wird sie die Lösung für die Krisen der Welt garantieren und den Wohlstand für alle Menschen mit sich bringen. iopiop 84 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 85 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG (NIZ AM-UL-ISLAM ) Der Islam ist die Lebensordnung (Din), die Allah unserem Propheten Muhammad (s.a.s.) offenbart hat. Sie enthält die Organisation der Beziehungen des Menschen zu seinem Schöpfer, zu sich selbst, und zu den anderen Menschen. Die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer umfasst die Glaubensgrundlagen und cIbadat (Gottesdienst), während die Beziehung des Menschen zu sich selbst Moral (A2laq) ebenso beinhaltet wie Nahrungs- und Kleidungsfragen. Seine Beziehung zu anderen Menschen schließlich umfasst die Mucamalat (Vertrags- und Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafgesetze). Der Islam ist eine Ideologie für sämtliche Angelegenheiten des Lebens. Es handelt sich nicht um eine auf geistliche Dinge beschränkte Religion. Der Islam besitzt keinerlei Verbindung zu einer Priesterschaft. Er macht die religiöse Autokratie (religiöse Willkür) zunichte, denn es gibt im Islam keine Gruppen, die sich als Vertreter der Religion und andere, die sich als Vertreter weltlicher Angelegenheiten bezeichnen. Im Gegensatz dazu werden alle, die den Islam als Überzeugung angenommen haben, als Muslime bezeichnet, und sie alle sind vor dem Din gleich. Es gibt keine Einteilung in spirituell und weltlich orientierte Menschen. Die spirituelle Seite besteht darin, dass die Dinge von einem Schöper erschaffen wurden, und nach dem Plan dieses Schöpfers gelenkt werden. Die tiefe Betrachtung des Universums, des Menschen und des Lebens sowie dessen, was diese Elemente umgibt und mit ihnen in Verbindung steht, und die Folgerung aus dieser Betrachtung zeigt dem Menschen die Unfähigkeit, Schwäche und Bedürftigkeit, die in allen Dingen zu beobachten und wahrzunehmen ist. Dies beweist ohne den geringsten Zweifel (Dalala qa8ciyya), dass alle Dinge von einem Schöpfer erschaffen wurden und nach Seinem Plan gelenkt werden. Es beweist ebenfalls, dass der Mensch für die Organisation seines täglichen Lebens eines Systems bedarf, das seine Instinkte und 85 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 86 DES ISLAM organischen Bedürfnisse regelt. Dieses System kann aufgrund seiner Schwäche und seines mangelnden Verständnisses nicht vom Menschen selbst stammen. Sein Verstehen dieser Organisation ist der Disharmonie, Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit ausgesetzt. Es kann nur in einem widersprüchlichen System resultieren, welches zum Unglück des Menschen führt. Das System muss daher mit Gewissheit von Allah (s.t.) stammen. Der Mensch muss also notwendigerweise seine Handlungen nach dem System seines Schöpfers ausführen. Basiert die Ausrichtung nach diesem System auf den Vorteilen, die es mit sich bringt, und nicht darauf, dass es von Allah kommt, gibt es in seiner Ausführung keine spirituelle Seite. Die Organisation der menschlichen Handlungen im täglichen Leben nach den Befehlen und Verboten Allahs muss darauf basieren, dass der Mensch seine Verbindung zu Allah begreift, um Ruh (Spiritualität) in den Handlungen zustandezubringen. Mit anderen Worten, der Mensch muss seine Verbindung zu Allah begreifen, um aufbauend auf dem Begreifen dieser Verbindung seine Handlungen gemäß den Befehlen und Veboten Allahs auszuführen, damit er bei der Ausübung seiner Handlungen Ruh zustandebringt. Ruh stellt also das Begreifen seiner Verbindung zu Allah durch den Menschen dar. Die Bedeutung der Verschmelzung dieser Verbindung mit der Materie besteht im Begreifen der Verbindung zu Allah bei der Ausführung einer Handlung. Die Handlung wird also nach den Befehlen und Verboten Allahs auf der Grundlage des Begreifens dieser Verbindung zu Allah ausgeführt. Die Handlung selbst ist materiell, während das Begreifen der Verbindung zu Allah bei der Ausführung einer Handlung Ruh darstellt. Das Ausüben der Handlung nach den Befehlen und Verboten Allahs auf Grundlage des Begreifens der Verbindung wird somit zur Verschmelzung der Materie mit Ruh. Führt ein Nichtmuslim seine Handlungen nach den islamischen Gesetzen aus, die aus Quran und Sunna abgeleitet sind, so stellt dies weder eine Ausführung im Sinne des Ruh dar, noch wird dadurch die Bedeutung der Verschmelzung von Materie und Ruh realisiert, weil dieser Nichtmuslim nicht an den Islam glaubt und die 86 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 87 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG Verbindung zu Allah nicht erfasst. Er hat die islamischen Gesetze lediglich als ein System übernommen, das ihm gefallen hat, und nach dem er seine Handlungen regelt. Im Gegensatz dazu führt der Muslim seine Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs auf der Grundlage seines Begreifens der Verbindung zu Allah aus. Sein Ziel besteht dabei im Erlangen des Wohlwollens Allahs, nicht lediglich im Nutzen des Systems. Es besteht dementsprechend eine spirituelle Seite (Nahia Ruhia) in den Dingen, wobei Ruh bei der Ausübung der Handlungen existiert. Es muss beständig deutlich sein, dass unter der spirituellen Seite das Erschaffensein der Dinge durch einen Schöpfer zu verstehen ist, d.h., dass sie die Verbindung des Geschöpfes zum Schöpfer darstellt. Ruh bedeutet das Begreifen dieser Verbindung, also das Begreifen seiner Verbindung zu Allah (t.) durch den Menschen. Dies allein ist das richtige Verständnis von Ruh und Nahia Ruhia (der spirituellen Seite). Jedes andere Verständnis ist definitiv falsch. Es ist die tiefe, erleuchtende Betrachtung des Universums, des Lebens und des Menschen, die zu den wahrhaftigen Resultaten und zu diesem richtigen Verständnis (Mafhum) führt. Einige Religionen sind der Auffassung, dass es im Universum Wahrnehmbares und Verborgenes gebe, und dass der Mensch spirituelle Erhabenheit und körperliche Neigung besäße. Das Leben beinhalte eine materielle und eine spirituelle Seite, und das Wahrnehmbare stehe im Widerspruch zum Verborgenen. Sie vertreten die Auffassung, dass die spirituelle Erhabenheit nicht mit der körperlichen Neigung einhergehen kann, und dass die Materie vom Ruh getrennt ist. Aus diesem Grunde sind beide Seiten aus Sicht der Vertreter dieser Vorstellungen getrennt, denn die Diskrepanz zwischen ihnen liege grundsätzlich in ihrer Natur, und eine Verschmelzung zwischen beiden sei nicht möglich. Nach ihrer Vorstellung bedeutet jede Gewichtung der einen Seite - wie auf einer Waage - gleichzeitig eine Herabsetzung der Anderen. Demjenigen, der nach dem Jenseits strebt, bliebe also nur eine Betonung der spirituellen Seite. Dies war der Anlass für die Entstehung zweier 87 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 88 DES ISLAM Mächte im Christentum: Der geistlichen und der weltlichen Macht. (Gib Cäsar, was Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist). Die Vertreter der geistlichen Macht, die den Klerus darstellten, versuchten, die weltliche Macht zu übernehmen, um der geistlichen Macht den Vorrang im Leben zu geben. Dies war der Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und geistlichen Macht, die schließlich mit der Beschränkung des Klerus auf die geistliche ohne einen Zugriff auf die weltliche Macht endete. Die Religion wurde, weil sie eine rein geistliche Funktion hatte, vom täglichen Leben getrennt. Diese Trennung der Religion vom täglichen Leben stellt die Glaubensgrundlage der kapitalistischen Ideologie und die Grundlage der westlichen Kultur dar. Gleichzeitig ist sie die ideologische Führung, die der westliche Kolonialismus in die Welt trägt, zu der er aufruft und die er zur Basis seiner Geistesbildung macht. Auf ihrer Grundlage erschüttert er die Glaubensüberzeugung der Muslime an den Islam, weil er den Islam in einem Analogieschluss mit dem Christentum vergleicht. Jeder, der zur Trennung der Religion vom weltlichen Leben oder zur Trennung der Religion von Staat und Politik aufruft, folgt und richtet sich nach einer fremden ideologischen Führung aus, und handelt - sei es in guter oder schlechter Absicht - als Agent des Kolonialismus. Eine solche Person hat entweder kein Wissen über den Islam oder steht ihm feindlich entgegen. Der Islam vertritt die Ansicht, dass die durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge materiell sind. Die spirituelle Seite besteht darin, dass sie von einem Schöpfer erschaffen wurden, während Ruh das menschliche Begreifen dieser Verbindung zu Allah darstellt. Demzufolge gibt es keinen spirituelle Seite, die von der materiellen Seite getrennt wäre. Ebensowenig gibt es im Menschen spirituelle Begierden und körperliche Neigungen. Der Mensch hat vielmehr organische Bedürfnisse und Instinkte, deren Befriedigung notwendig ist. Zu den Instinkten gehört der Anbetungsinstinkt, der das aus der 88 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 89 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG natürlichen Schwäche in der Beschaffenheit des Menschen entstandene Bedürfnis nach dem Schöpfer, der alles nach Seinem Plan erschaffen hat, darstellt. Die Befriedigung dieser Instinkte wird weder als spirituelle, noch als materielle Seite bezeichnet, sondern ist ganz einfach eine Befriedigung. Werden die organischen Bedürfnisse und Instinkte nach dem System befriedigt, das vom Schöpfer selbst kommt, und zwar basierend auf dem Begreifen der Verbindung zu Allah, werden sie durch Ruh geleitet. Werden sie im Gegensatz dazu ohne System oder nach einem System befriedigt, das nicht von Allah stammt, handelt es sich um eine rein materielle Befriedigung, die nur zum Elend des Menschen führen kann. Wird etwa der Arterhaltungsinstinkt auf diese Weise, also entweder ohne System oder nach einem System, das nicht von Allah stammt, befriedigt, verursacht dies Elend. Findet seine Befriedigung im Gegensatz dazu durch die Ehe statt, die von Allah gemäß den Gesetzen des Islam vorgegeben ist, bringt dies innere Ruhe und Frieden mit sich. Wenn, um ein weiteres Beispiel zu nennen, der Anbetungsinstinkt ohne System bzw. durch ein System, das nicht von Allah kommt, befriedigt wird, etwa durch die Anbetung von Götzen oder die Anbetung des Menschen, handelt es sich dabei um eine Beigesellung, Sirk, oder um eine Abkehrung, Kufr. Wird er nach den Gesetzen des Islam befriedigt, handelt es sich um cIbada. Aus diesen Gründen ist es notwendig, die geistige Seite in den Dingen zu berücksichtigen, und alle Handlungen nach den Befehlen und Verboten Allahs auszuführen, und zwar auf der Grundlage des Begreifens der Verbindung zu Allah durch den Menschen. Mit anderen Worten, es ist unabdingbar, dass sie gemäß Ruh ausgeführt werden. Folglich gibt es nicht in einer Handlung zwei Dinge, sondern es existiert nur eine einzige Sache, nämlich die Handlung selbst. Die Beschreibung einer Handlung als rein materiell oder gemäß Ruh ausgeführt geht nicht aus der Handlung selbst hervor, sondern ist von der Ausführung der Handlung abhängig, ob sie nun gemäß den Gesetzen des Islam vollzogen wurde oder nicht. Tötet der Muslim seinen Feind im Krieg, gilt dies als Gihad, für den er belohnt wird, weil er im Einklang mit 89 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 90 DES ISLAM den Gesetzen des Islam handelte. Tötet er aber ohne Berechtigung ein geschütztes Leben, sei es das eines Muslims oder Nichtmuslims, gilt dies als Verbrechen, für das er bestraft wird, weil er im Widerspruch zu den Geboten und Verboten Allahs handelte. Obwohl beide Handlungen eine Tötung darstellen, die vom Menschen ausgeht, handelt es sich bei der einen Tötung um eine cIbada, die gemäß Ruh ausgeführt wird, während die andere ein Verbrechen darstellt, da es nicht nach Ruh ausgeführt wird. Die Verschmelzung von Materie und Ruh stellt somit nicht lediglich eine Möglichkeit dar, sondern eine Verpflichtung. Es ist nicht erlaubt, Materie und Ruh voneinander zu trennen, d.h., irgendeine Handlung von ihrer Ausführung gemäß den Befehlen und Verboten Allahs auf Grundlage des Begreifens der Verbindung zu Allah zu trennen. Von daher muss alles getilgt werden, was eine Trennung zwischen Materie und Ruh darstellt. Es gibt weder einen Klerus im Islam oder eine religiöse Macht im geistlichen Sinne, noch eine weltliche Macht, die von der Religion getrennt ist. Der Islam ist ein Din, aus dem der Staat hervorgeht. Es handelt sich dabei um Gesetze der Sari ca, gleich den Gesetzen des Gebetes, sowie eine Methode zur Umsetzung dieser Gesetze und das Tragen seiner Dacwa. Alles das, was eine Spezialisierung der Religion im geistlichen Sinne und ihre Trennung von Politik und Regierung verspüren lässt, muss beseitigt werden. Organisationen, die spirituelle Aspekte beabsichtigen, müssen ebenso beseitigt werden wie die Verwaltung der Moscheen, die der Verwaltung der Macarif angeschlossen wird. Die Unterscheidung von sogenannten Sari ca-Gerichten und weltlichen Gerichten darf nicht weiter existieren: Es darf nur ein einziges Gerichtswesen geben, das ausschließlich nach dem Islam richtet, denn die Macht des Islam ist eine einzige. Der Islam besteht aus einer Glaubensgrundlage und Systemen. Die cAqida beinhaltet den Glauben an Allah, an Seine Engel, Seine Bücher, Seine Gesandten, an den Jüngsten Tag, und daran, dass Qa6a und Qadar (Schicksal und Bestimmung) in ihren guten und bösen 90 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 91 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG Aspekten von Allah (t.) festgelegt wurden. Die cAqida des Islam basiert in den Aspekten auf dem Verstand, welche dieser erfassen kann, wie dem Glauben an Allah, an das Prophetentum Muhammads (s.a.s) und an den Quran. Sie basiert in den Dingen auf dem Verborgenen, die der Verstand nicht erfassen kann, wie dem Tag der Auferstehung, den Engeln, dem Paradies und der Hölle, unter der Bedingung, dass ihre Quelle durch den Verstand fest belegt ist, also im Quran und dem Hadit Mutawatir feststeht. Darüber hinaus hat der Islam den Verstand zum Kriterium der Zurechnungsfähigkeit gemacht. Bei den Systemen handelt es sich um Gesetze der Sari ca, welche die Angelegenheiten des Menschen regeln. Das System des Islam hat bereits alle diese Angelegenheiten behandelt, und zwar auf eine allgemeine Weise und in allgemeinen Bedeutungen. Die Einzelheiten wurden der Ableitung von diesen Rahmenbedingungen überlassen, wie sie im Verlauf der Umsetzungen vorgenommen werden. Quran und Sunna beinhalten Richtlinien, d.h. allgemeine Inhalte zur Behandlung der Angelegenheiten des Menschen in seiner Eigenschaft als Mensch. Es ist den Mugtahidun (Islam-Gelehrte, die neue Rechtssprüche ableiten) überlassen, von diesen allgemeinen Bedeutungen detaillierte Gesetze für die Probleme abzuleiten, die im Laufe der Jahrhunderte und durch die Unterschiedlichkeit der Orte aufkommen. Der Islam hat eine einzige Methode in der Behandlung der Probleme: Er ruft den Mugtahid dazu auf, das entstandene Problem zu studieren, um es zu verstehen. Darauf studiert er die Texte der Sari ca, die mit diesem Problem in Verbindung stehen, um die Lösung für dieses Problem aus den Texten abzuleiten. Das bedeutet, er leitet das Hukm Sarci für diese Rechtsfrage aus den Beweisen der Sari ca ab, und befolgt absolut keine andere Methode. Wenn der Mugtahid das betreffende Problem studiert, untersucht er es als menschliches Problem und nichts anderes. Er studiert es weder als ein 91 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 92 DES ISLAM wirtschaftliches oder gesellschaftliches Problem, noch als ein Problem des Regierens oder als etwas anderes. Er betrachtet es als Problem, das eines Hukm Sarcis bedarf, damit das Gesetz Allahs in dieser Angelegenheit bekannt wird. DER ISLAMISCHE RECHTSSPRUCH ( AL- HUKM-US-SARcI ) Ein Hukm Sarci stellt die Ansprache des Gesetzgebers bezüglich der Handlungen des Menschen dar. Er ist entweder qa8ciyy-ut-tubut (absolut gesichert, absolut authentisch), wie der Quran und der Hadit Mutawatir, oder zanniyy-ut-tubut (glaubhaft gesichert) wie der Hadit, der nicht mutawatir ist. Ist die Ansprache qa8ciyy-ut-tubut, so muss man sehen: Ist sie darüber hinaus auch qa8ciyy-ud-Dalala (eindeutig in der Aussage), so ist der Rechtsspruch, den sie beinhaltet, qa8ci (feststehend). Dies trifft etwa auf alle Rakcat der Pflichtgebete zu, denn sie wurden durch Ahadit mutawatira überliefert. Dies gilt ebenso für das Verbot des Riba (Zinses), das Abschneiden der Hand des Diebes und das Auspeitschen des Zani (des Unzüchtigen). All diese stellen Ahkam qa8ciyya (feststehende Gesetze) dar, die ganz genau als allein zutreffend definiert sind. Es gibt in diesen Fragen nur eine einzige absolut sichere (qa8ci) Aussage. Ist die Ansprache des Gesetzgebers qa8ciyy-ut-tubut und zanniyy-udDalala (mehrdeutig in der Aussage), handelt es sich bei dem Gesetz, das sie beinhaltet, um einen Hukm Zanni. Ein Beispiel hierfür ist die Aya über die Gizia, die zwar als Bestandteil des Quran qa8ciyy-ut-tubut ist, in der Erklärung der Details aber zanni ad-Dalala (mehrdeutig). So hat es die Hanafitische Rechtsschule zur Bedingung gemacht, dass die Abgabe als Gizia bezeichnet wird und die Unterwürfigkeit desjenigen, der die Gizia übergibt, deutlich zu sein hat, während die Schafiitische Rechtsschules keine Bedingung der Begriffsbezeichnung auferlegte, 92 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 93 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG sondern ihre Annahme auch unter der Bezeichnung einer vervielfachten Zakat erlaubte. Für ein zusätzliches Zeigen der Erniedrigung sah sie keine Veranlassung, weil sie der Auffassung war, dass die Unterwerfung unter die Gesetze des Islam ausreiche. Ist die Ansprache des Gesetzgebers zanniyy-ut-tubut wie der Hadit, der nicht mutawatir ist, ist das Gesetz, das sie beinhaltet, zanni (nicht definitiv), unabhängig davon, ob sie qa8ciyy-ud-Dalala ist, wie das Fasten von sechs Tagen im Monat Sawwal, das in der Sunna feststeht, oder zanniyy-ud-Dalala, wie das Verbot des Verpachtens von Land, das ebenfalls in der Sunna überliefert ist. Der Hukm sarci (islamisches Gesetz) wird durch eine korrekte Ableitung (Igtihad) aus der Ansprache des Gesetzgebers verstanden. Es ist also der Igtihad der Mugtahidun, welcher den Hukm sarci zutage bringt. Hukm Allahs, das Gesetz Allahs, ist also für jeden Mugtahid das, wozu ihn sein Igtihad führte und worin seine Ansicht überwog. Besitzt der Mukallaf (die durch das göttliche Gebot angesprochene, zurechnungsfähige Person) die vollständige Fähigkeit zum Igtihad in einer Rechtsfrage, übt seinen Igtihad in dieser Frage aus und gelangt zu dem entsprechenden Rechtsspruch, so ist es ihm nach übereinstimmender Ansicht nicht erlaubt, den Igtihad eines anderen Mugtahid in dieser Rechtsfrage im Gegensatz zu dem zu befolgen, wozu ihn seine eigene Ansicht verpflichtet. Es ist ihm nur dann gestattet, seine Ansicht aufzugeben, wenn der Kalif ein Hukm sarci adaptiert hat. In diesem Fall ist er dazu verpflichtet, nach dem zu handeln, was der Kalif befahl. Dies ist deswegen so, weil es sich bei dem, wozu ihn sein Igtihad führte und worin seine Meinung überwog, um den Hukm Allahs in einer Rechtsfrage und somit um ein Hukm sarci handelt, und weil der Befehl des Imam den Meinungsunterschied aufhebt. Nimmt derjeinige, der die Fähigkeit dazu besitzt, keinen Igtihad vor, ist es ihm erlaubt, einen anderen Mugtahid in dessen Rechtsableitung zu befolgen. Der Igmac (die Übereinstimmung) der 93 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 94 DES ISLAM 3ahaba (Gefährten des Propheten) bestätigt, dass es dem Mugtahid erlaubt ist, seinen Igtihad zu verlassen und einen anderen Mugtahid zu befolgen. Derjenige, der nicht die Fähigkeit zum Igtihad besitzt, ist Muqallid (Nachahmer). Es gibt zwei Sorten von Muqallidun, den Muqallid muttabic und den Muqallid cammi. Der Muqallid muttabic ist jemand, der die mit dem Igtihad verbundenen Wissenschaften nicht beherrscht. Er befolgt die Rechtsableitung eines Mugtahid, nachdem er dessen Beweis (Dalil) kennt. Für diesen Muqallid muttabic stellt der Hukm Allahs, das Gesetz Allahs also, die Aussage jenes Mugtahid dar, dem er folgt. Der Muqallid cammi beherrscht ebenfalls keine der mit dem Igtihad verbundenen Wissenschaften und folgt einem Mugtahid, ohne dessen Dalil zu kennen. Er ist zur Befolgung der Aussage der Mugtahidun und zur Annahme der Gesetze, die sie ableiten, verpflichtet. Für ihn ist der Hukm sarci (islamisches Gesetz) gleichbedeutend mit dem, was der Mugtahid ableitete, den er befolgt. Der Hukm sarci ist also das, was der Mugtahid mit der Fähigkeit zum Igtihad abgeleitet hat. Somit stellt es für ihn den Hukm Allahs (das Gesetz Allahs) dar. Der Mugtahid darf diesem weder zuwiderhandeln, noch etwas anderes befolgen. Ebenso stellt es für denjenigen, der ihn befolgt, das Gesetz Allahs dar, dem er nicht zuwiderhandeln darf. Wenn der Muqallid einen Mugtahid in einem Rechtsspruch bezüglich einer beliebigen Angelegenheit befolgt, und bereits nach dessen Aussage in dieser Angelegenheit gehandelt hat, besteht danach keine Möglichkeit für ihn, sich von diesem Hukm abzuwenden. In einem anderen Gesetz ist ihm die Befolgung eines anderen Mugtahid jedoch gestattet, wie der Igmac der 3ahaba es durch die Erlaubnis für den Muqallid, jeden Gelehrten in einer Rechtsfrage um dessen Rechtsansicht zu bitten, festgelegt hat. Folgt der Muqallid einer bestimmten Rechtsschule (Madhab), wie zum Beipiel der Rechtsschule Saficis, und sagt er Ich befolge seine Rechtsschule und bin ihr verpflichtet, verhält es sich folgendermaßen: In Rechtsfragen, mit denen sein Handeln 94 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 95 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG bereits verknüpft wurde, kann er keinen anderen Igtihad befolgen. In Fragen jedoch, die noch nicht mit einer Handlung seinerseits einhergingen, besteht kein Hinderungsgrund in der Befolgung anderer Igtihadat. Gelangt der Mugtahid durch seinen Igtihad zu dem Rechtsspruch in einer Rechtsfrage, ist es ihm erlaubt, diesen Igtihad aufzugeben und einen anderen zu befolgen, wenn es der Vereinigung der Muslime auf eine einzige Ansicht dient, wie es sich bei der Baica von cUtman ereignete. DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON AHKAM SARcIYYA Die islamischen Rechtssprüche umfassen Far6 (Pflicht), Haram (verboten), Mandub (erwünscht), Makruh (unerwünschtes)und Mubah. (erlaubt). Der Hukm sarci ergeht entweder durch eine Ansprache (des Gesetzgebers) mit der Aufforderung zum Handeln oder Unterlassen. Ist die Aufforderung zum Handeln zwingend (gazim) handelt es sich um einen Far6 (Pflicht) oder Wagib. Beide Begriffe tragen dieselbe Bedeutung. Ist die Aufforderung zum Handeln nicht zwingend (0air gazim), ist die Handlung erwünscht (Mandub). Ist die zur Unterlassung einer Handlung auffordernde Ansprache zwingend, handelt es sich dabei um einen Haram oder Mahzur. Auch hier haben beide Begriffe dieselbe Bedeutung. Ist die Aufforderung zum Unterlassen nicht zwingend, handelt es sich um eine unerwünschte Handlung (Makruh). Far6 und Wagib sind somit Handlungen, deren Ausführung belohnt, deren Unterlassung aber getadelt bzw. bestraft wird. Das Ausführen des Haram wird bestraft, während seine Unterlassung belohnt wird. Für die Ausübung eines Mandub wird man belohnt, während seine Unterlassung nicht bestraft wird. Das bedeutet, derjenige, der es ausführt, wird belohnt, derjenige, der es unterlässt, aber nicht bestraft. 95 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 96 DES ISLAM Das Unterlassen des Makruh wird belohnt und wird als angemessener betrachtet als seine Ausführung. Als Mubah (erlaubt) bezeichnet man das, was durch den Dalil (Dalil samci), den Beweis, in der Ansprache des Gesetzgebers die Ausführung oder Unterlassung einer Handlung freistellt. DIE SUNNA Sunna bedeutet sprachlich: Methode, Weg. Im Sarc, dem islamischen Recht, wird der Begriff zur Bezeichnung dessen herangezogen, was an wünschenswerten Handlungen (Nafila) vom Propheten (s.a.s.) überliefert wurde. Dazu zählen etwa die Sunna-Gebete. Sie werden als Sunna im Sinne von dem Far6 gegenübergestellt bezeichnet. Die Bezeichnung als Sunna bedeutet keineswegs, dass es sich um etwas handelt, das vom Propheten stammt, während das, was man als Far6 bezeichnet, von Allah käme. Sunna und Far6 kommen beide von Allah. Der Gesandte hat die Offenbarung von Allah empfangen und weitergegeben und nicht aus seiner eigenen Laune gesprochen. Er spricht nicht aus seiner Neigung heraus, es ist nichts anderes als Offenbarung, die ihm eingegeben wird. Die Sunna wurde vom Propheten als Nafila überliefert und mit dem Begriff Sunna belegt, ebenso wie Far6 vom Propheten als Far6, also verpflichtende Handlung, überliefert und mit dem Begriff Far6 bezeichnet wurde. Auf diese Weise wurden die beiden Rakcat, die im Morgengebet Far6 (vepflichtend) sind, auf dem Wege des Tawatur (der absolut gesicherten Überlieferung) vom Propheten (s.a.s.) als Far6 überliefert und so benannt, während die beiden Rakcat im Morgengebet, die Sunna (nicht verpflichtend) sind und ebenfalls auf dem Weg des Tawatur vom Propheten als Nafila überliefert wurden, als Sunna bezeichnet worden sind. Beide stammen von Allah (t.) und nicht 96 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 97 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG von der Person des Propheten (s.a.s.). Man spricht daher von Far6 und Nafila in den cIbadat, und Far6 und Mandub in den anderen Handlungen. Die Begriffe Nafila und Mandub sind also gleichbedeutend. Auf beide wird auch der Begriff Sunna angewendet. Darüber hinaus wird der Begriff Sunna für das verwendet, was außer dem Quran an Adilla sarciyya (Rechtsbeweisen) vom Gesandten Allahs ausgeht. Dazu gehören die Aussagen, die Handlungen und die stillschweigenden Bestätigungen (Sukut) des Propheten (s.a.s.). DAS BEFOLGEN DER HANDLUNGEN DES GESANDTEN ALLAHS (S.A.S.) ( AT-TAASSI ) Die Handlungen, die vom Gesandten Allahs (s.a.s.) ausgingen, sind in zwei Gruppen einzuteilen, nämlich in die aufgrund der menschlichen Natur bedingten Handlungen und das, was darüber hinausgeht. Zu den natürlicherweise bedingten Handlungen gehören das Stehen, Sitzen, Essen, Trinken und dergleichen. Diese Handlungen sind unbestritten für ihn und seine Umma erlaubt und fallen nicht in die Kategorie des Mandub. Die Handlungen, welche nicht zu den genannten natürlichen gehören, sind entweder für den Propheten spezifisch und dürfen nicht von anderen Personen ausgeführt werden, oder sind nicht auf ihn beschränkt. Zu den ersteren gehört z.B. die Erlaubnis des fortgesetzen Fastens über einen Tag und eine Nacht ohne Unterbrechung, oder die Ehe mit mehr als vier Frauen gleichzeitig und anderes. Es ist uns nicht gestattet, dem Propheten (s.a.s.) in diesen Handlungen zu folgen, denn es steht durch den Igmac fest, dass es sich hier um für ihn spezifische Handlungen handelt. Jene Handlungen des Propheten, von denen man weiß, sie dienen uns als Erläuterung, stellen unumstritten Rechtsbeweise dar. Diesbezüglich 97 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 98 DES ISLAM erfolgte entweder eine ausdrückliche Aussage des Gesandten selbst, wie:Betet, wie ihr mich beten gesehen habt und Nehmt von mir eure Manasik (Hagg-Handlungen) hier wird deutlich, dass der Prophet uns auffordert, seine Handlungen zu befolgen - oder aber man erkennt es an den Zusammenhängen der Umstände (Qarain-ul-Ahwal). So hat der Gesandte die Hand des Diebes am Handgelenk abgeschnitten und dadurch die Aya erläutert: Schneidet ihrer beiden Hände ab. Diese Erläuterungen in seinen Taten, die durch seine Aussage (s.a.s.) oder durch Zusammenhänge der Umstände bestätigt wurden, folgen in der Art ihres Rechtsspruches, ob es sich also um Wugub (Verpflichtung), Nadb (Empfehlung) oder Ibaha (Erlaubtem) handelt, - je nach Beweisführung - dem Erläuterten. Was die Handlungen betrifft, die weder mit einer Beweisführung verknüpft sind, die darauf hinweist, dass sie uns zur Erläuterung dienen, noch mit einer gegenteiligen, so gibt es diesbezüglich zwei Möglichkeiten: Entweder es lässt sich an der Tat die Absicht der Annäherung an Allah (t.) erkennen oder nicht. Ist dies der Fall, fällt die Handlung in die Kategorie des Mandub, für deren Ausführung der Mensch belohnt und für deren Unterlassung er nicht bestraft wird. Ein Beispiel hierfür ist das Sunna-Gebet A6-5uha. Ist keine Absicht der Annäherung zu erkennen, fällt die Handlung in die Kategorie des Mubah. DIE ADAPTION VON ISLAMISCHEN GESETZEN (TABANN I AL- AHKAM AL-SARcIYYA ) Die Muslime in der Zeit der 3ahaba entnahmen die Ahkam Sarciyya (Rechtssprüche) selbst aus Kitab und Sunna. In ihrer Behandlung von 98 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 99 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG Rechtsstreitigkeiten zwischen den Menschen leiteten die Richter selbst den Hukm sarci (islamischen Rechtsspruch) in jedem Vorfall ab, der ihnen unterlief. Die Regierenden unternahmen vom Kalifen beginnend bis zu den Wulat (Gouverneuren) und anderen auch, selbst die Ableitung von Ahkam sarciyya zur Behandlung jedes Problems, das ihnen während ihrer Regierungstätigkeit wiederfuhr. Abu Musa alAscari und Suraih waren Richter, die Gesetze aus den Quellen ableiteten und auf Grundlage ihres Igtihads richteten. Mucad Ibn Gabal war Wali (Gouverneur) zur Zeit des Gesandten Allahs (s.a.s.). Er leitete Gesetze ab und richtete in seiner Wilaya nach seinem Igtihad. Abu Bakr und cUmar Ibn ul-1a88ab leiteten während ihres Kalifats selbst Gesetze ab, und beide regierten die Menschen nach dem, was sie jeweils an Gesetzen abgeleitet hatten. Mucawiya und cAmr Ibn-ul-cA4 sind als Wulat bekannt, die ebenfalls selbst Gesetzesableitungen vornahmen und in ihren Wilayat nach dem regierten, was sie durch ihre Igtihadat an Gesetzen abgeleitet hatten. Ungeachtet dieses Igtihads, der von Wulat und Richtern vorgenommen wurde, adaptierte der Kalif ein bestimmtes islamisches Gesetz, dessen Ausführung er den Menschen befahl. Die Menschen waren dazu verpflichtet, nach diesem adaptierten Gesetz zu handeln und ihre eigenen Ansichten und ihren Igtihad aufzugeben, denn der Hukm sarci besagt, dass der Befehl des Imam im Ersichtlichen und Unersichtlichen vollzugspflichtig ist. So hat Abu Bakr während seines Kalifats das dreimalige Aussprechen der Scheidung in einer Sitzung als einmalige Scheidung betrachtet und dies als Gesetz adaptiert. Er beschloss eine Verteilung des Reichtums unter den Muslimen zu gleichen Anteilen ohne Berücksichtigung der Frage, wer bereits länger im Islam war, und die Richter und Wulat handelten danach. Als cUmar Kalif wurde, hat er eine andere Ansicht adaptiert, die sich von der Abu Bakrs unterschied. Er befahl, den dreimaligen Scheidungsausspruch als drei Scheidungen zu behandeln, und er ordnete die Verteilung der Gelder nach der Dauer der Zugehörigkeit zum Islam und nach Bedürftigkeit, also gemäß dem Vorzugsprinzip (Tafa6ul) und nicht gemäß dem Prinzip der Gleichstellung, an. Die Muslime folgten ihm darin, und die Richter und Wulat richteten 99 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 100 DES ISLAM danach. cUmar adaptierte auch das Gesetz, dass jenes Land, welches die Muslime im Krieg erobern, dem Bait-ul-Mal, dem muslimischen Schatzhaus übertragen wird und in den Händen der bisherigen Besitzer verbleibt und weder unter den Kämpfern noch unter den Muslimen aufgeteilt wird. Die Wulat und Qu6at folgten seiner Anweisung und verfuhren nach dem Gesetz, dass er adaptiert hatte. Der Igmac-u4-3ahaba bestätigt, dass der Imam das Recht hat, bestimmte Gesetze zu adaptieren und die dementsprechende Handlung zu befehlen. Die Muslime sind zu ihrer Einhaltung verpflichtet, selbst wenn sie ihrem eigenen Igtihad widersprechen sollten. Die bekannten Richtlinien der Sari ca besagen: Der Machthaber hat das Recht, in dem Maße Rechtssprüche einzuführen, wie neue Probleme entstehen., Der Befehl des Imam hebt den Meinungsunterschied auf. und Der Befehl des Imam ist im Ersichtlichen und Unersichtlichen vollzugspflichtig.. Aus diesem Grunde adaptierten die Kalifen in der nachfolgenden Zeit bestimmte islamische Gesetze. Harun ar-Rasid z.B. adaptierte den Kitab al-1arag des Abu Yusuf im ökonomischen Bereich und verpflichtete die Menschen dazu, nach den Gesetzen zu handeln, die in diesem Buch enthalten sind. VERFASSUNG UND GESETZ ( AD-DUST UR WA-L-Q ANUN ) Der Begriff Qanun (Gesetz) ist ein Fachbegriff nichtarabischen Ursprungs. Er bezeichnet den Befehl, den der Machthaber erlässt, damit die Menschen ihn befolgen. Qanun wird definiert als Gesamtheit von Richtlinien, zu deren Befolgung der Machthaber die Menschen in ihren Beziehungen verpflichtet. Für das jeder Regierung zugrundeliegende Gesetz wird der Begriff Dustur (Verfassung) gebraucht, während für das Gesetz, das aus dem in der Verfassung 100 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 101 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG (Dustur) festgelegten System hervorgeht, der Begriff Qanun verwendet wird. Dustur wird definiert als Gesetz, das die Form des Staates und sein Regierungssystem und die Grenzen und Vorrechte jeder Macht darin festlegt oder das Gesetz, welches die allgemeine Machtausübung, d.h. die Regierung regelt, ihre Beziehungen zu den Individuen definiert und ihre Rechte und Pflichten dem Einzelnen gegenüber sowie dessen Rechte und Pflichten der Regierung gegenüber darlegt. Verfassungen können verschiedenen Ursprungs sein. Es gibt Verfassungen, die aus einem Gesetzesentwurf hervorgegangen sind, oder aus Bräuchen und Traditionen, wie die englische Verfassung. Es kommt auch vor, dass eine Versammlung von Bürgern, die zu einer bestimmten Zeit die Macht in der Nation innehaben, mit dem Entwurf einer Verfassung beauftragt wird, diesen Entwurf vornimmt und die Art seiner Korrektur festlegt, worauf sich dieser Ausschuss auflöst und sich diejenigen Gewalten an seine Stelle setzen, die durch die Verfassung selbst gebildet wurden. Dies geschah in Frankreich und den USA. Als Quellen für Verfassung und Gesetz kommen zwei Möglichkeiten in Frage: Zunächst gibt es (1.) eine Quelle, aus der Verfassung und Gesetz direkt hervorgehen, wie Bräuche, die Religion, Meinungen der Rechtsgelehrten, Gerichtsbeschlüsse und Grundsätze der Gerechtigkeit. Dies wird als gesetzgeberische Quelle bezeichnet. Die Verfassungen einiger westlicher Staaten, etwa England und den USA, sind auf diese Weise ins Leben gerufen worden. Demgegenüber gibt es (2.) eine abgeleitete Quelle bzw. etwas, woraus Verfassung und Gesetz zitieren, wie die Verfassung Frankreichs und die Verfassungen einiger Staatsgebilde, die in der islamischen Welt entstanden sind, wie die Türkei, Ägypten, Irak und Syrien. Diese Quelle wird als geschichtliche Quelle bezeichnet. Soviel zur Zusammenfassung der technischen Bedeutung der beiden Begriffe Dustur und Qanun. Sie besagt, dass der Staat aus zahlreichen Quellen, unabhängig davon, ob es sich um gesetzgeberische oder geschichtliche Quellen handelt, bestimmte Gesetze annimmt und deren Umsetzung befiehlt. Diese Gesetze werden, nachdem sie durch den 101 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 102 DES ISLAM Staat übernommen wurden, zur Verfassung, wenn es sich um allgemeine Gesetze handelt, und zu Gesetzen (Qanun), wenn es sich um spezielle Gesetze handelt. Den Muslimen stellt sich nun folgende Frage: Ist es erlaubt, diese Fachbegriffe zu benutzen oder nicht? Die Antwort darauf lautet, dass die fremden Fachbegriffe nicht benutzt werden dürfen, wenn ihre Bedeutung der des Islam widerspricht. Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit etwa bezeichnet ein bestimmtes System, das sich auf die Garantie von Bildung und medizinischer Versorgung für die Armen sowie die Gewährleistung der Rechte für Arbeiter und Angestellte zusammenfassen lässt. Diese Bedeutung widerspricht aber dem Verständnis des Islam, denn Gerechtigkeit ist aus islamischer Sicht das Gegenteil von Unterdrückung, und die Garantie auf Bildung und medizinische Versorgung gilt für alle Menschen, seien sie reich oder arm. Die Gewährleistung der Rechte für die Bedürftigen und Schwachen ist ebenfalls ein Recht für alle Menschen, die die Staatsangehörigkeit des islamischen Staates besitzen, und zwar ungeachtet der Tatsache, ob sie nun Angestellte, Arbeiter, Landwirte oder irgend etwas anderes sind oder nicht. Bezeichnet das Wort aber im Gegenteil dazu einen technischen Begriff, dessen Bedeutung bei den Muslimen vorhanden ist, ist seine Benutzung gestattet. Das Wort Steuer etwa bezeichnet das Geld, das zur Verwaltung des Staates von den Menschen erhoben wird. Da es diesen Sachverhalt auch im Islam gibt, ist die Benutzung des Wortes 5araib (Steuern) erlaubt. Genauso verhält es sich mit den Begriffen Dustur und Qanun. Sie bezeichnen die Annahme bestimmter Gesetze durch den Staat, welche er den Menschen zur Kenntnìs gibt, zu deren Beachtung er verpflichtet und nach deren Maßgabe er richtet. Diese Bedeutung ist bei den Muslimen durchaus vorhanden. Aus diesem Grunde ist nichts zu finden, was einem Gebrauch der beiden Worte Dustur und Qanun entgegenstehen würde. Sie bezeichnen die Gesetze, die der Kalif aus 102 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 103 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG den Gesetzen der Sari ca adaptiert. Der Unterschied zwischen der islamischen Verfassung und den islamischen Gesetzen und den anderen Gesetzen und Verfassungen besteht darin, dass letztere Sitten, Gerichtsbeschlüsse und dergleichen als Rechtsquelle heranziehen. Ihr Ursprung liegt in einer konstitutiven Versammlung, welche die Verfassung entwirft. Vom Volk gewählte Ausschüsse entwerfen die Gesetze, weil das Volk nach ihrer Auffassung die Quelle der Autorität ist und ihm die Souveränität gehört. Die Quelle der islamischen Verfassung und Gesetze ist aber einzig und allein Kitab (Quran) und Sunna. Ihr Ursprung liegt im Igtihad der Mugtahidun, aus dem der Kalif bestimmte Gesetze adaptiert, die er erlässt und zu deren Befolgung er die Menschen verpflichtet. Die Souveränität liegt allein beim islamischen Gesetz, dem Sarc. Der Igtihad zur Ableitung der Ahkam sarciyya ist ein Recht für alle Muslime und stellt eine Pflicht der genügenden Anzahl (Far6 Kifaya) dar. Das Recht, Gesetze zu adaptieren, liegt allein beim Kalifen. Soviel zur Erlaubnis, die beiden Begriffe Dustur und Qanun zu benutzen. Bezüglich der Notwendigkeit zur Adaption von Gesetzen lässt sich feststellen, dass es für die Muslime von der Zeit Abu Bakrs bis zum letzten muslimischen Kalifen erforderlich war, bestimmte Gesetze zu adaptieren, zu deren Umsetzung die Muslime verpflichtet waren. Diese Adaption erfolgte in bestimmten Gesetzen, und wurde nicht allgemein für alle Gesetze vorgenommen, mit denen der Staat regierte. Nur in einigen Epochen gab es eine allgemeine Adaption: Die Ayyubiten adaptierten die schafiitische Rechtsschule, während der osmanische Staat die hanafitische annahm. Fraglich bleibt nun noch, ob die Festlegung einer umfassenden Verfassung und allgemeiner Gesetze für die Muslime von Nutzen ist? Die Aufstellung einer umfassenden Verfassung und allgemeiner Gesetze in allen Rechtsfragen (Ahkam) unterstützt keineswegs Kreativität und Igtihad. Aus diesem Grunde vermieden es die Muslime in den ersten Jahrhunderten, der Zeit der 3ahaba (Gefährten des 103 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 104 DES ISLAM Propheten), der Tabicun (auf die Gefährten folgende Generation) und Tabic-ut-Tabicin (den Tabicun folgende Generation) , sämtliche Gesetze durch den Kalifen zu adaptieren. Sie beschränkten dies vielmehr auf bestimmte Gesetze, deren Adaption für die Aufrechterhaltung der Einheit der Herrschaft , Gesetzgebung und Verwaltung notwendig war. Um Kreativität und Igtihad zu begünstigen, ist es am besten, keine Adaption einer umfassenden Verfassung für alle Gesetze vorzunehmen, sondern eine Verfassung zu verabschieden, die in allgemeinen Gesetzen die Form des Staates definiert und den Erhalt seiner Einheit garantiert. Den Qu6at (Richtern) und Wulat (Gouverneuren) blieben auf diese Weise Igtihad und Gesetzesableitung überlassen. Diese Möglichkeit besteht, wenn der Igtihad verbreitet ist und die Menschen in einem Ausmaß Mugtahidun sind, wie es zur Zeit der 3ahaba, Tabicun und Tabic-ut-Tabicin der Fall war. Ist aber die Mehrheit der Menschen Muqallid und findet sich nur eine geringe Anzahl an Mugtahidun, so muss der Staat notwendigerweise Gesetze adaptieren, nach denen er die Menschen regiert, sei es durch den Kalifen, die Wulat oder die Richter. Zeichnen sich die Wulat und Richter durch einen Mangel an Igtihad und einen unterschiedlichen und widersprüchlichen Taqlid (Nachahmung) aus, sieht sich ein Regieren gemäß dem, was Allah offenbart hat, Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Gesetzesadaption findet erst nach dem Studium und der Kenntnis des Ereignisses und des Dalil statt. Ließe man aber die Wulat und Richter nach dem regieren, was in ihrer Kenntnis liegt, würde dies zu einer Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit der Gesetze in einem einzigen Staat oder sogar einer Region führen, oder sogar dazu, dass nach etwas anderem regiert wird als dem, was Allah offenbart hat. Daher ist es, solange die Unwissenheit im Islam den derzeitigen Grad einnimmt, notwendig für den islamischen Staat, bestimmte Gesetze zu adaptieren, und zwar in den Mucamalat (Vertrags- und Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafen), aber nicht in den cIbadat (Gottesdiensten) und cAqaid (Glaubensgrundlagen). Diese Adaption muss allgemein für sämtliche Gesetze sein, damit die Angelegenheiten des Staates sorgfältig geregelt werden. Sämtliche Angelegenheiten der 104 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 105 DIE ISLAMISCHE LEBENSORDNUNG Muslime müssen gemäß den Gesetzen Allahs geregelt werden. In seiner Adaption von Gesetzen und seiner Aufstellung von Verfassung und Gesetzen darf sich der Staat nur an den islamischen Gesetzen ausrichten. Er darf weder etwas anderes annehmen, noch es überhaupt studieren. Andere als islamische Gesetze dürfen nicht angenommen werden, unabhängig davon, ob sie dem Islam entsprechen oder ihm widersprechen. So wird zum Beispiel keine Verstaatlichung, sondern ein Gesetz über das öffentliche Eigentum erlassen. Alles, was mit Idee und Methode (Fikra und 7ariqa) in Verbindung steht, muss daher an die islamischen Gesetze gebunden sein. Die Gesetze und Systeme, die nicht mit Idee und Methode verbunden sind, und keine bestimmte Betrachtungsweise im Leben zum Ausdruck bringen, wie Verwaltungsgesetze und die Strukturierung der Verwaltungsabteilungen, gelten als Mittel und Stil (Wasila und Uslub). Der Staat kann sie, wie auch Wissenschaften, Industrie und Technik übernehmen und seine Angelegenheiten nach ihnen ordnen, wie der zweite Kalif cUmar es tat, als er die Register (Dawawin) von den Persern übernahm. Diese verwaltungstechnischen und technologischen Dinge sind weder Teil der Verfassung, noch der Gesetze der Sari ca. Sie werden auch nicht in die Verfassung eingefügt. Die Verfassung des islamischen Staates muss aus islamischen Gesetzen bestehen, d.h., dass seine Verfassung und seine Gesetze islamisch sein müssen. Die Adaption jedes Gesetzes muss auf der Grundlage der Stärke des Dalil sarci (des Rechtsbeweises) unter dem korrekten Verständnis des entstandenen Problems erfolgen. Folglich muss das Problem zunächst studiert werden, damit es verstanden wird. Dieses Verständnis ist unabdingbar. Darauf wird der Rechtsspruch untersucht, der sich auf das betreffende Problem bezieht. Im folgenden Schritt wird der Dalil (Beweis) des Rechtsspruches studiert, und das islamische Gesetz wird auf der Grundlage der Stärke des Dalils adaptiert. Die islamischen Gesetze werden also entweder der Rechtsansicht eines der Mugtahidun nach genauem Studium des Dalils und einer Gewissheit über seine Stärke, 105 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 106 DES ISLAM oder aber aus Kitab, Sunna, Igmac und Qiyas (Analogieschluss) durch einen rechtlich korrekten Igtihad (Igtihad Sarci) direkt entnommen, selbst wenn es sich nur um einen Igtihad in einer Detailfrage, einem Igtihad Masala, handelt. Wenn etwa das Verbot der Versicherung von Handelsware adaptiert werden soll, ist es notwendig, zunächst den Sachverhalt genau zu verstehen. Dann werden die Wege der Eigentumsbildung untersucht, um das Gesetz Allahs den Besitz betreffend, auf die Versicherung anzuwenden und es zu adaptieren. Daher ist es notwendig, dass der Verfassung und jedem Gesetz eine Einleitung vorangeht, die in aller Klarheit die Rechtsschule (Madhab), welcher jeder Artikel entnommen wurde, sowie den Dalil, auf den er sich stützt, erkärt. Andernfalls muss sie den Dalil erklären, aus dem das Gesetz in einem korrekten Igtihad abgeleitet wurde, damit die Muslime wissen, dass die Gesetze, welche der Staat in Verfassung und Gesetzbuch adaptiert hat, rein islamische Gesetze sind, die durch einen korrekten Igtihad abgeleitet wurden. Die Muslime sind nämlich nur dann zum Gehorsam demgegenüber verpflichtet, womit der Staat regiert, wenn es sich bei dem adaptierten Gesetz um ein islamisches Gesetz handelt. Auf dieser Grundlage adaptiert der Staat islamische Gesetze, aus denen sich Verfassung und Gesetzbuch konstituieren, um die Staatsbürger des islamischen Staates damit zu regieren. Im folgenden stellen wir den Muslimen den Entwurf einer Verfassung des islamischen Staates vor, wie er in der islamischen Welt entstehen soll, damit die Muslime sie studieren und für die Errichtung des islamischen Staates arbeiten, welcher den Aufruf zum Islam in die Welt trägt. Dabei muss beachtet werden, dass es sich nicht um eine auf eine bestimmte Region oder ein Land begrenzte Verfassung handelt, sondern für den islamischen Staat in der gesamten islamischen Welt aufgestellt wurde. §&&& 106 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 107 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT ALLGEMEINE GESETZE Artikel 1 - Die islamische cAqida ist die Grundlage des Staates. Es darf nichts in seiner Entität, seinem Apparat oder Rechenschaftsforderung oder allem, was mit dem Staat verbunden ist, zustandekommen, was nicht die islamische cAqida zur Grundlage hat. Sie ist zur gleichen Zeit Grundlage der Verfassung und der Qawanin Sarciyya (islamischen Gesetze). Es darf nichts geben, das damit in Verbindung steht, und nicht aus der islamischen cAqida hervorgeht. Artikel 2 - Dar-ul-Islam stellt das Gebiet dar, in dem die Gesetze des Islam angewendet werden und in dem die Sicherheit (Aman) durch den Islam (d.h. allein durch die Kraft der Muslime) gewährleistet ist. Dar-ulKufr ist das Gebiet, in welchem die Systeme des Kufr Anwendung finden oder die Sicherheit nicht durch den Islam gewährleistet ist. Artikel 3 - Der Kalif adaptiert bestimmte islamische Rechtsspruche, die er als Verfassung und Gesetze einführt. Hat er einen Hukm Sarci (Rechtsspruch) adaptiert, stellt dieser das einzige Gesetz dar, dessen Befolgung verpflichtend ist. Es ist dadurch zu einem rechtsgültigen Gesetz geworden, dem jeder Staatsbürger nach innen wie nach außen Gehorsam zu leisten verpflichtet ist. Artikel 4 - Der Kalif adaptiert keinen bestimmten Rechtsspruch in den cIbadat (gottesdienliche Handlungen), ausgenommen in Bereichen der Zakat und des Gihad, und adaptiert keine der Ideen, die die islamische cAqida betreffen. Artikel 5 - All diejenigen, die die Staatsangehörigkeit des islamischen Staates tragen, genießen alle Rechte und Pflichten, die ihnen seitens der 107 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 108 DES ISLAM Sari ca zuerkannt werden. Artikel 6 - Der Staat darf keinerlei Unterscheidung zwischen den Staatsbürgern bezüglich der Regierungsausübung, der Rechtsprechung, der Wahrnehmung der Angelegenheiten oder dergleichen vornehmen. Er muss sie vielmehr ungeachtet ihrer Rasse, Religion, Hautfarbe oder anderem in gleicher Weise betreuen. Artikel 7 - Der Staat wendet das islamische Gesetz nach den folgenden Gesichtspunkten auf alle an, welche die Staatsangehörigkeit des islamischen Staates besitzen, unabhängig davon, ob es sich um Muslime oder Nichtmuslime handelt: a) Alle Gesetze des Islam werden ohne Ausnahme auf die Muslime angewendet. b) Es ist den Nichtmuslimen überlassen, welche Überzeugungen sie annehmen und was sie anbeten. c) Auf die vom Islam Abtrünnigen (al-Murtaddun) wird das Gesetz der Aposthasie angewendet, wenn sie selber dem Islam abgeschworen haben. Handelt es sich aber um Kinder von Aposthaten und wurden sie als Nichtmuslime geboren, werden sie als Musrikun (Götzendiener) oder Ahl-ul-Kitab (Juden und Christen), nicht aber als Muslime behandelt. d) Nichtmuslime werden in Angelegenheiten der Nahrung und Kleidung im Rahmen dessen, was die islamischen Gesetze erlauben, gemäß ihren Religionen behandelt. e) Angelegenheiten der Ehe und Scheidung zwischen Nichtmuslimen werden gemäß ihren Religionen geregelt, zwischen Nichtmuslimen und Muslimen aber nach den Gesetzen des Islam. f) Der Staat wendet alle weiteren islamischen Gesetze und übrigen Angelegenheiten der islamischen Sari ca von Mucamalat (vertragliche Beziehungen), cUqubat (Strafrecht), Bayyinat (Beweisführungen), den Regierungs- Wirtschafts- und anderen Systemen auf alle Bürger an, auf Muslime wie Nichtmuslime gleichermaßen. Er wendet sie auf Mucahidun (Bürger von Staaten, mit denen das Kalifat bilaterale 108 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 109 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Verträge abgeschlossen hat) Mustaminun (staatsfremde Personen, denen das Kalifat Schutz gewährt) und all jene, die sich unter der Autorität des Islam befinden, genauso an wie auf die eigenen Staatsbürger mit Ausnahme von Botschaftern, Konsulen, Gesandten und dergleichen. Für sie gilt diplomatische Immunität. Artikel 8 - Die arabische Sprache ist allein die Sprache des Islam und allein die Sprache, derer sich der Staat bedient. Artikel 9 - Der Igtihad ist ein Far6 Kifaya (Pflicht der genügenden Anzahl). Jeder Muslim hat das Recht, den Igtihad auszuüben, wenn er die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt. Artikel 10 - Alle Muslime tragen die Verantwortung für den Islam. Es gibt keine Geistlichen im Islam, und der Staat muss jeden Ansatz ihres Erscheinens verhindern. Artikel 11 - Das Tragen der islamischen Dacwa ist die Hauptaufgabe des Staates. Artikel 12 - Kitab, Sunna, Igmac-u4-3ahaba und Qiyas (Analogieschluss) stellen die einzigen Rechtsquellen dar, die für die Ahkam sarciyya berücksichtigt werden. Artikel 13 - Al-A4lu Baraat-ud-Dimma, grundsätzlich gilt für jeden die Unschuldsvermutung. Eine Bestrafung erfolgt nur durch das Urteil eines Gerichtes. Es ist absolut nicht gestattet, jemanden zu foltern. Wer derartiges tut, wird bestraft. Artikel 14 - Alle Handlungen sind grundsätzlich an den Hukm Sarci (islamischen Rechtsspruch) gebunden. Eine Handlung wird erst nach Kenntnis des betreffenden Rechtsspruches ausgeführt. Dinge und Gegenstände sind grundsätzlich erlaubt, solange es keinen Dalil (Beweis) gibt, der es verbietet. 109 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 110 DES ISLAM Artikel 15 - Das, was zu Haram (Verbotenem) führt, ist selbst Haram, vorausgesetzt es führt nach überwiegender Ansicht zu Haram. Besteht nur die Befürchtung, dass es dazu führen könnte, so ist es nicht Haram. DAS REGIERUNGSSYSTEM Artikel 16 - Das Regierungssystem ist ein einheitliches System, nicht föderativ. Artikel 17 - Die Regierung ist zentral, die Verwaltung ist dezentral. Artikel 18 - Die (eigentlichen) Regenten (Hukkam) im Staat sind vier Personen: Der Kalif, der Mucawin a8-7afwi6 (bevollmächtigte Assistent), der Wali (Gouverneur) und der cAmil (Vorsteher eines Landkreises). Alle anderen Personen (welche in der staatlichen Institution Aufgaben übernehmen) werden nicht als Regenten betrachtet, sondern sind Beamte. Artikel 19 - Mit der Regierungsausübung oder jeder damit in Verbindung stehenden Handlung darf nur ein freier und rechtschaffener (cAdl) muslimischer Mann beauftragt werden. Artikel 20 - Die Rechenschaftsforderung von den Regierenden durch die Muslime ist eines ihrer Rechte und ein Far6 Kifaya für sie. Die nichtmuslimischen Staatsbürger haben das Recht, Beschwerden über Ungerechtigkeiten des Regierenden ihnen gegenüber oder eine fehlerhafte Anwendung der Gesetze des Islam über sie vorzubringen. Artikel 21 - Die Muslime haben das Recht zur Gründung politischer Parteien, um die Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen, oder auf dem Wege der Umma die Regierungsausübung zu erlangen, unter der Bedingung, dass sie auf der islamischen cAqida basieren, und dass die 110 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 111 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Rechtssprüche, die sie adaptiert haben, islamische Gesetze sind. Die Gründung der Partei bedarf keinerlei Erlaubnis. Jede Blockbildung, die nicht auf der Grundlage des Islam basiert, ist verboten. Artikel 22 - Das Regierungssystem baut auf vier Grundpfeilern auf: 1) Die Souveränität gehört dem Sarc (dem islamischen Recht) und nicht dem Volk. 2) Die Autorität liegt in der Umma. 3) Die Einsetzung eines einzigen Kalifen ist eine Pflicht für die Muslime. 4) Der Kalif allein hat das Recht, Ahkam sarciyya (islamische Gesetze) zu adaptieren. Er ist derjenige, der Dustur (Verfassung) und Qawanin (die übrigen Gesetze) erlässt. Artikel 23 - Der Staatsapparat basiert auf acht Säulen. Diese sind: 1) Der Kalif 2) Mucawin at-Tafwi6 (bevollmächtigte Assistent) 3) Mucawin at-Tanfid (Vollzugsassistent) 4) Amir ul-Gihad 5) Qu6at (Richter) 6) Wulat (Gouverneure) 7) Staatliche Dienstbehörden 8) Maglis al-Umma Der Kalif Artikel 24 - Der Kalif ist derjenige, der die Umma in der Autorität und der Ausführung des Rechts vertritt. Artikel 25 - Das Kalifat ist ein auf Zustimmung und freier Wahl beruhender Vertrag. Niemand darf zu seiner Annahme gezwungen werden, noch darf jemand zur Wahl einer Persom gezwungen werden, der das Kalifat übertragen werden soll. 111 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 112 DES ISLAM Artikel 26 - Jeder erwachsene Muslim, der im vollen Besitz seiner Geisteskräfte ist, sei es Mann oder Frau, hat das Recht, den Kalifen zu wählen und ihm die Baica zu geben. Die Nichtmuslime haben hierzu kein Recht. Artikel 27 - Ist der Kalifatsvertrag mit einer Person auf dem Wege der Einsetzungs-Baica (Baicat-ul-Inciqad) durch diejenigen geschlossen worden, die sie (rechtmäßig) abschließen können, ist die Baica für die übrigen eine Gehorsams-Baica (Baicat-u8-7aca), keine Einsetzungs-Baica. Danach wird jeder, bei dem die Möglichkeit zur Auflehnung besteht, zur Gehorsams-Baica gezwungen. Artikel 28 - Niemand wird zum Kalifen, es sei denn, die Muslime haben ihn dazu beauftragt. Niemand hat die Vollmachten des Kalifats, es sei denn, dass der Kalifatsvertrag wie jeder andere Vertrag im Islam nach Maßgabe der Sari ca mit ihm geschlossen wurde. Artikel 29 - Die Region oder das Land, das dem Kalifen die Einsetzungs-Baica gibt, muss die Bedingung erfüllen, dass die Autorität allein bei den Muslimen liegt, und nicht bei irgendeinem ungläubigen Kufr-Staat. Die Sicherheit (Aman) der Muslime in dieser Region nach innen wie nach außen muss durch den Islam (d.h. durch die eigene Kraft der Muslime), nicht durch Kufr gewährleistet sein. Für die bloße Gehorsams-Baica hingegen, ist dies nicht vorauszusetzen. Artikel 30 - Derjenige, dem der Kalifatseid geleistet wird, muss lediglich die Voraussetzungen der Einsetzung erfüllen, auch wenn er nicht die Vorzugsbedingungen erfüllt, denn das Maßgebliche sind die Einsetzungsbedingungen. Artikel 31 - Der Kalif muss sieben Bedingungen erfüllen, damit ihm rechtmäßig die Regierungsmacht zugeteilt wird: Er muss männlich, Muslim, frei, geschlechtsreif, im Besitz seiner geistigen Kräfte, cadl (rechtschaffen) und fähig sein, die Bürde des Kalifats auf sich zu nehmen. 112 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 113 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 32 - Wird das Amt des Kalifats bedingt durch Tod, Abdankung oder Absetzung des Kalifen frei, muss innerhalb von drei Tagen vom Datum des Freiwerdens des Amtes an dessen Stelle ein neuer Kalif ernannt werden. Artikel 33 - Die Methode zur Ernennung des Kalifen ist folgende: a) Die muslimischen Mitglieder der Maglis al-Umma grenzen die Ernennung der Kandidaten für dieses Amt ein, ihre Namen werden bekannt gegeben, daraufhin werden die Muslime aufgefordert, einen von ihnen zu wählen. b) Das Ergebnis der Wahl wird verkündet, und die Muslime werden darüber in Kenntnis gesetzt, wer die Mehrheit der Wählerstimmen erreicht hat. c) Die Muslime geben sofort demjenigen, der die Mehrheit der Stimmen erlangt hat, die Baica als Kalif der Muslime, auf dass er nach dem Buch Allahs (Quran) und der Sunna des Gesandten Allahs regiert. d) Nach Ausführung der Baica wird öffentlich verkündet, wer Kalif der Muslime geworden ist, damit die Nachricht seiner Ernennung die Umma in ihrer Gesamtheit erreicht, mit Erwähnung seines Namens und seiner Person und der Eigenschaften, die er besitzt, und die ihn für die Einsetzung als Staatsoberhaupt qualifizieren. Artikel 34 - Es ist die Umma, die den Kalifen ernennt, aber sie besitzt nicht das Recht zu seiner Absetzung, nachdem der Abschluss seiner Baica nach Maßgabe der Sari ca vollzogen wurde. Artikel 35 - Der Kalif ist der Staat, und er verfügt über alle Befugnisse des Staates. Er besitzt die folgenden Befugnisse: a) Er ist es, der die islamischen Gesetze rechtsgültig werden lässt, wenn er sie adaptiert. Sie werden dadurch zu Qawanin (Gesetzen), denen gegenüber der Gehorsam verpflichtend ist. Ein Verstoß gegen diese 113 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 114 DES ISLAM Gesetze ist verboten. b) Er ist in gleicher Weise für die Innen- und Außenpolitik des Staates verantwortlich, hat die Führung der Armee inne, das Recht zur Kriegserklärung, zum Abschluss des Friedens und des Waffenstillstandes sowie aller übrigen Abkommen. c) Er hat das Recht zur Annahme und Ablehnung ausländischer Botschafter, sowie zur Ernennnung muslimischer Botschafter und ihrer Amtsenthebung. d) Er benennt und entlässt die Mucawinun (Assistenten) und Wulat (Gouverneure). Diese sind ihm, wie auch dem Maglis al-Umma gegenüber verantwortlich. e) Er benennt und entlässt den Qa6i al-Qu6at (Obersten Richter), die Direktoren der Ämter, die Führer der Armee, die Offiziere der Divisionen, sie alle sind vor ihm verantwortlich, aber nicht vor dem Maglis al-Umma. f) Er adaptiert Ahkam sarciyya (Gestze), nach deren Maßgabe der Staatshaushalt ausgerichtet wird. Er entscheidet über Abschnitte des Haushaltes und die für jeden Bereich erforderlichen Mittel, ob es sich um Einkünfte oder Ausgaben handelt. Artikel 36 - Der Kalif ist in der Adaption von Ahkam sarciyya gebunden. Es ist ihm verboten, ein Gesetz zu adaptieren, das nicht korrekt von den Rechtsquellen abgeleitet wurde. Er ist an das gebunden, was er an Ahkam (Rechtssprüchen) adaptierte, und wozu er sich als Methode der Gesetzesableitung verpflichtete. Es ist ihm weder erlaubt, ein Gesetz zu adaptieren, das gemäß einer Methode abgeleitet wurde, die der von ihm adaptierten widerspricht, noch ist es ihm gestattet, einen Befehl zu erteilen, der den von ihm adaptierten Ahkam widerspricht. Artikel 37 - Der Kalif hat die absolute Befugnis in der Wahrnehumg der Angelegenheiten der Staatsbürger gemäß seiner Ansicht und seinem Igtihad. Es steht ihm zu, alles das an Erlaubtem zu adaptieren, was er braucht, um die Staatsangelegenheiten zu regeln und die 114 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 115 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Angelegenheiten des Volkes wahrzunehmen. Es ist ihm nicht gestattet, irgendeinem Hukm Sarci unter dem Vorwand der Ma4laha (des Nutzens, des Interesses) zuwider zu handeln. So wird z.B. keiner Familie verboten, unter dem Vorwand der Nahrungsmittelknappheit mehr als ein Kind auf die Welt zu bringen. Ebensowenig dürfen unter dem Vorwand, die Ausbeutung zu verbieten, Preise festgelegt werden, oder ein Kafir oder eine Frau zum Wali ernannt werden unter dem Vorwand der Wahrnehmung der Angelegenheiten oder der Ma4laha, oder dergleichen, was den Gesetzen des Islam widerspricht. Denn es ist weder gestattet, das Erlaubte zu verbieten, noch das Verbotene zu erlauben. Artikel 38 - Der Kalif hat keine begrenzte Amtszeit. Befolgt der Kalif die Sari ca und setzt ihre Gesetze um, und ist er in der Lage, die Staatsangelegenheiten auszuüben, bleibt er Kalif, solange sich sein Zustand nicht dergestalt ändert, dass er die Bedingungen des Kalifats nicht mehr erfüllt. In diesem Fall ist seine Absetzung verpflichtend. Artikel 39 - Der Eintritt von Veränderungen in drei Fällen enthebt den Kalifen seines Amtes: 1 - Wenn eine der Bedingungen zur Einsetzung des Kalifen nicht erfüllt sind, wenn er etwa vom Islam abtrünnig wird, offensichtlich frevelhaft wird, seinen Verstand verliert oder dergleichen. Denn bei diesen Bedingungen handelt es sich um die Bedingungen der Amtseinsetzung, und sie müssen dauerhaft erfüllt sein. 2 - Wenn er aus irgendeinem Grund unfähig ist, die Verantwortlichkeiten des Kalifats auszuführen. 3 - Wenn er unter Zwang steht und unfähig ist, die Angelegenheiten der Muslime nach seiner Meinung im Einklang mit der Sari ca auszuführen. Sollte er dergestalt überwältigt werden, dass er unfähig wird, die Angelegenheiten der Staatsbürger nach seiner Meinung in Übereinstimmung mit der Sari ca wahrzunehmen, gilt er als faktisch unfähig, die Aufgaben des Staates auszuüben und wird aus diesem Grunde nicht mehr als Kalif betrachtet. Dies 115 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 116 DES ISLAM könnte in zwei Fällen eintreten: Erstens: dass er durch eine oder mehrere Personen seiner Gefolgschaft dermaßen beeinflusst wird, dass diese allein die Staatsangelegenheiten in die Hand nehmen. Besteht Hoffnung zur Befreiung aus ihrer Kontrolle, wird ihm eine bestimmte Frist gesetzt. Sollte ihre Kontrolle danach nicht behoben werden, erfolgt die Absetzung. Besteht keine Hoffnung zur Beendigung dieses Zustandes, erfolgt die Absetzung auf der Stelle. Zweitens: Der Kalif wird von einem Feind überwältigt und gerät in seine Gefangenschaft, sei es durch seine faktische Gefangennahme, sei es, dass er unter den Einfluss des Feindes fällt. In diesem Fall wird untersucht: Besteht Hoffnung auf Beendigung des Zustandes, wird eine Frist gewährt, bis keine Hoffnung mehr auf eine Beendigung diese Zustandes besteht. Dann erfolgt seine Absetzung. Besteht keine Hoffnung auf eine Beendigung, wird er unverzüglich abgesetzt. Artikel 40 - Allein das Mazalim-Gericht hat das Recht, festzulegen, ob eine Veränderung im Zustand des Kalifen eingetreten ist, und zu entscheiden, ob ihn dieser Zustand des Kalifats enthebt oder nicht. Dieses Gericht allein besitzt die Befugnis zu seiner Absetzung oder Verwarnung. M U CAW I N A T - T A F W I5 Artikel 41 - Der Kalif bestimmt einen Mucawin Tafwi6 (Bevollmächtigten Assistenten), der die Verantwortlichkeit der Regierung trägt. Er erteilt ihm die Vollmacht zur Regelung der Angelegenheiten nach seiner Meinung und zu ihrer Durchführung nach seinem Igtihad. Artikel 42 - Für den Mucawin at-Tafwi6 gelten dieselben Bedingungen 116 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 117 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT wie für den Kalifen, nämlich dass er männlich, frei, Muslim, geschlechtsreif, im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten und cadl sein muss. Darüber hinaus gilt für ihn die Bedingung, dass er für die Aufgaben, die man ihm überträgt, kompetent sein muss. Artikel 43 - Die Übertragung der Vollmacht an den Mucawin at-Tafwi6 muss sich durch zwei Dinge auszeichnen, und zwar erstens allgemeine Befugnisse und zweitens Stellvertretung. Aus diesem Grund muss der Kalif ihm sagen: Ich habe dich mit meiner Stellvertretung beauftragt, oder in anderen Begriffen dieselbe Bedeutung ausdrücken, die die allgemeinen Befugnisse und die Stellvertretung umfassen. Findet die Amtseinsetzung nicht unter diesem Gesichtspunkt statt, handelt es sich nicht um einen Mucawin, und er besitzt nur die Vollmachten eines Mucawin Tafwi6, wenn seine Amtsernennung unter diesem Gesichtspunkt stattfand. Artikel 44 - Die Aufgabe des Mucawin at-Tafwi6 besteht darin, den Kalifen darüber zu informieren, was er angeordnet hat, und was er an Verpflichtungen und übertragenen Aufgaben umgesetzt hat, damit er in seinen Vollmachten dem Kalifen nicht gleicht. Es ist seine Aufgabe, den Kalifen zu informieren und das auszuführen, was ihm befohlen wurde. Artikel 45 - Der Kalif muss die Handlungen des Mucawin Tafwid, und seine Ausführung der Angelegenheiten prüfen, um das Richtige davon zu bestätigen und das Fehlerhafte zu berichtigen, denn die Ausführung der Angelegenheiten der Umma ist dem Kalifen übertragen, und wird gemäß dessen Igtihad ausgeführt. Artikel 46 - Hat der Mucawin at-Tafwi6 eine Angelegenheit geplant, die der Kalif bestätigt hat, so ist es dessen Aufgabe, sie so auszuführen, wie der Kalif sie bestätigt hat, ohne etwas hinzuzufügen oder zu verringern. Wenn der Kalif die Angelegenheit überprüft und dem Mucawin at-Tafwi6 in dessen Ausführung widerspricht, erfolgt eine 117 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 118 DES ISLAM Untersuchung. Geht es um ein Gesetz, das korrekt angewendet wurde, oder um Geld, das korrekt verwendet wurde, ist die Ansicht des Mucawin rechtsgültig, weil es sich dabei ursprünglich um die Ansicht des Kalifen handelt, und dieser nicht das Recht hat, Gesetze, die er umgesetzt hat und Gelder, die er ausgegeben hat, zurückzunehmen. Handelt es sich bei dem, was der Mucawin ausgeführt hat, um etwas anderes wie um die Ernennung eines Wali oder die Ausrüstung der Armee, ist es dem Kalifen gestattet, dem Mucawin zu widersprechen. In diesem Fall ist die Ansicht des Kalifen die geltende und die Handlung des Mucawin wird aufgehoben, denn der Kalif besitzt das Recht, das zu revidieren, was er selber macht und folglich das, was sein Mucawin gemacht hat. Artikel 47 - Der Mucawin at-Tafwi6 ist nicht auf ein Amt oder ein bestimmtes Aufgabengebiet spezialisiert, denn seine Befugnis (Wilaya) hat allgemeinen Charakter. Ebenso führt er keine Verwaltungshandlungen aus, sondern hat die allgemeine Aufsicht über den Verwaltungsapparat. M U CA W I N A T - T A N F ID Artikel 48 - Der Kalif ernennt einen Mucawin Tanfid (Vollzugsassistenten). Seine Tätigkeit ist Teil der Verwaltungstätigkeiten, und gehört nicht zur Regierungsausübung. Er führt aus, was vom Kalifen in den inneren wie äußeren Angelegenheiten erlassen wird, und unterrichtet den Kalifen davon, was ihm in diesen Bereichen zugetragen wird. Es handelt sich also um einen Mittler zwischen dem Kalifen und den anderen Institutionen, der seine Anweisungen weitergibt und ihm die Rückmeldungen zuführt. Artikel 49 - Der Mucawin at-Tanfid muss Muslim sein, weil er zu den Vertrauten des Kalifen zählt. 118 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 119 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 50 - Der Mucawin at-Tanfid steht in unmittelbarer Verbindung zum Kalifen, wie der Mucawin at-Tafwi6, wird aber als Assistent im Vollzug betrachtet, nicht jedoch in der Regierungsausübung selbst. AMIR-UL-GIHAD Artikel 51 - Das Amt des Amir-ul-Gihad umfasst vier Ressorts, die er beaufsichtigt und verwaltet: Die Außenbeziehungen, Kriegsangelegenheiten, die Innere Sicherheit und die Industrie. Artikel 52 - Der Bereich der äußeren Angelegenheiten befasst sich mit den auswärtigen Angelegenheiten, die sich auf die Beziehung des Kalifats zu fremden Staaten beziehen, welcher Art diese Angelegenheiten auch sind. Artikel 53 - Der Bereich der Kriegsangelegenheiten befasst sich mit allen Angelegenheiten, die mit den Streitkräften in Verbindung stehen, sei es mit der Armee, der Polizei, Kriegsmaterial, Kriegslogistik, Kriegsausrüstung und dergleichen. Dazu gehören auch die militärischen Akademien, Militärmissionen, und alles was von der islamischen Kultur und der allgemeinen Kultur für die Armee notwendig ist, sowie alles, was sich auf den Krieg und die Kriegsvorbereitung bezieht. Artikel 54 - Der Bereich der Inneren Sicherheit umfasst die Verwaltung all dessen, was mit der inneren Sicherheit in Zusammenhang steht. Er umfasst die Bewahrung der Sicherheit im Lande mittels der Streitkräfte, wobei die Polizei das Hauptmittel zur Bewahrung der Sicherheit darstellt. Artikel 55 - Der Bereich der Industrie befasst sich mit allen auf die Industrie bezogenen Angelegenheiten, gleich, ob es sich um die 119 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 120 DES ISLAM Schwerindustrie handelt, wie die Maschinen- und Motorenindustrie, und die Transportmittelindustrie, die Materialherstellung und die Elektroindustrie, oder ob es sich um Leichtindustrie handelt, und unabhängig davon, ob die Fabriken zum öffentlichen Eigentum zählen oder im Privatbesitz sind, wenn es eine Verbindung zur Kriegsindustrie gibt. Alle Arten von Produktionsstätten müssen auf der Grundlage der Kriegspolitik errichtet werden. DIE ARMEE Artikel 56 - Der Gihad ist eine Verpflichtung für die Muslime. Militärdienst ist für jeden muslimischen Mann, der das Alter von 15 Jahren erreicht hat, vorgeschrieben. Er muss den Militärdienst als Vorbereitung zum G ih a d ableisten. Was den Eintritt als Berufssoldat in die Armee betrifft, so handelt es sich um einen Far6 Kifaya. Artikel 57 - Die Armee besteht aus zwei Teilen, den Reservisten, zu dem alle diejenigen Muslime gehören, die zum Dienst an der Waffe fähig sind, und dem Aktiven Heer. Diesem ist eine feste Besoldung im Staatshaushalt vorbehalten wie den Beamten. Artikel 58 - Die Sreitkräfte bilden eine Einheit, und zwar die Armee. Aus ihr werden bestimmte Divisionen ausgewählt, die eine gesonderte Organisation und eine bestimmte Bildung erhalten, dies ist die Polizei. Artikel 59 - Der Polizei wird der Schutz der Ordnung und die Wahrung der inneren Sicherheit sowie die Ausübung sämtlicher Aspekte der Exekutive übertragen. Artikel 60 - Die Armee erhält Banner und Flaggen. Der Kalif übergibt demjenigen das Banner, den er als Oberbefehlshaber über die Armee 120 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 121 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT ernennt. Die Flaggen werden durch die Divisionskommandeure eingeführt. Artikel 61 - Der Kalif ist der Befehlshaber der Armee, er ernennt den Generalstabschef, einen Amir für jede Brigade und einen Kommandanten für jede Division. Die übrigen Einheiten der Ränge der Armee werden durch die Kommandanten und Generäle ernannt. Die Ernennnung der Person in den Generalstab erfolgt auf Grundlage des Grades seiner Militärkultur und wird durch den Generalstabschef vorgenommen. Artikel 62 - Die Armee bildet eine geschlossene Einheit, die in bestimmten Militärlager stationiert ist. Einige dieser Lager müssen in den verschiedenen Wilayat (Provinzen) und in strategisch wichtigen Punkten stationiert sein, während andere ständig mobil und kampfbereit sein müssen. Die Lager werden in mehreren Gruppen organisiert, von denen jede einen Namen Armee und eine Nummer erhält. So werden die Armeen etwa als erste und dritte Armee oder nach dem Namen der Wilaya (Provinz) oder der cImala (Distrikt) bezeichnet. Artikel 63 - Die Armee muss das höchstmögliche Niveau an militärischer Ausbildung erhalten. Ebenso muss das intellektuelle Niveau so weit wie möglich gehoben werden. Jede Person in der Armee muss mit der islamischen Geistesbildung kultiviert werden, die es ihr ermöglicht, ein Bewusstsein über den Islam zu haben, auch wenn es nur allgemeiner Natur ist. Artikel 64 - Auf jeder Militärbasis muss es eine ausreichende Anzahl von Stabsoffizieren geben, die einen hohen militärischen Kenntnisstand und Erfahrung im Entwerfen von Plänen und dem Führen von Schlachten haben. Die Armee im allgemeinen sollte eine möglichst große Anzahl von Stabsoffizieren haben. 121 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 122 DES ISLAM Artikel 65 - Die Armee muss mit allem, was sie an Waffen, Ausrüstungen, und Ausstattung und notwendigen Dingen braucht, ausgestattet werden, die es ihr ermöglichen, ihre Aufgaben als islamische Armee wahrzunehmen. DAS GERICHTSWESEN ( AL-QA 5A ) Artikel 66 -Das Gerichtsurteil stellt die verpflichtende Verkündung des islamischen Rechtsspruchs dar. Es regelt die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Menschen, verbietet, was dem Recht der Gemeinschaft schadet oder beseitigt vorfallende Streitigkeiten zwischen den Menschen und irgendeiner Person des Regierungsapparates, sei sie Regierender oder Beamter, der Kalif oder jemand, der hierarchisch unter ihm steht. Artikel 67 - Der Kalif bestimmt einen obersten Richter (Qa6i alQu6at), unter den erwachsenen, freien, muslimischen, geistig zurechnungsfähigen und rechtschaffenen Männern unter den Rechtsgelehrten (Ahl al-Fiqh). Dieser hat die Vollmacht zur Ernennung der Richter, ihrer Disziplinierung und Absetzung im Rahmen der Verwaltungsgesetze. Die übrigen Beamten der Gerichte sind an den Amtsleiter gebunden, der mit der Verwaltung der Angelegenheiten der Gerichte betraut ist. Artikel 68 - Es gibt drei Arten von Richtern. Der erste ist der Qa6i, der mit der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten betraut ist, die zwischen den Menschen in den Mucamalat (Vertrags- und Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafrecht) vorfallen. Der zweite ist der Muhtasib, der mit der Entscheidung in den Muhalafat (Ordnungswidrigkeiten) beauftragt ist, welche das Recht der Gemeinschaft beeinträchrigen. Der dritte ist der Qa6i al-Mazalim, dessen Aufgabe in der Beseitigung eines zwischen den Menschen und dem Staat aufkommenden Streites besteht. 122 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 123 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 69 - Derjenige, der mit dem Richteramt beauftragt wird, muss folgende Bedingungen erfüllen: Er muss Muslim, frei, erwachsen, im Besitz seiner geistigen Kräfte, cadl, Faqih (Rechtsgelehrter) sein und die Ahkam (Gesetze) auf die jeweiligen Situationen anwenden können. Derjeinige, der mit dem Richteramt der Mazalim beauftragt wird, muss darüber hinaus als Bedingung männlich und Mugtahid sein. Artikel 70 - Der Qa6i und der Muhtasib dürfen dazu ernannt werden, in allen Rechtsfällen im gesamten Land zu urteilen. Sie können auch für auf einen Ort oder auf gewisse Arten der Rechtssprechung begrenztes Tätigkeitsfeld ernannt weden. Der Qa6i al-Mazalim darf nur für eine allgemeine Ausübung der Rechtssprechung ernannt werden, während es bezüglich des örtlichen Tätigkeitsfeldes erlaubt ist, ihn entweder für alle Regionen des Landes oder nur für eine Region zu ernennen. Artikel 71 - Das Gericht darf nur aus einem Richter bestehen, der die Befugnis zur Entscheidung und Urteilsfällung hat. Es darf noch einen oder mehrere andere Richter an seiner Seite geben, die aber keine Befugnis zur Urteilsfällung haben, sondern lediglich die Befugnis zur Beratung und zum Geben ihrer Ansicht. Diese ist jedoch nicht bindend für ihn. Artikel 72 - Der Qa6i darf nur in einer Gerichtssitzung Urteile fällen, Beweise und Eide werden nur dort berücksichtigt. Artikel 73 - Es darf mehrere Stufen von Gerichten für verschiedene Arten von Rechtsfällen geben. Einige Richter dürfen speziell bis zu einer bestimmten Grenze mit bestimmten Rechtsfällen beauftragt werden, während die anderen Rechtsfälle an andere Gerichte weitergeleitet werden können. Artikel 74 - Es gibt keine Wiederaufnahmegerichte oder Revisionsgerichte (höhere Instanzen), denn die Richter stehen bezüglich 123 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 124 DES ISLAM ihrer Entscheidung in einer Rechtsfrage auf einer Stufe. Hat ein Qa6i ein Rechtsurteil gefällt, so ist es rechtskräftig gültig, und absolut nicht durch das Urteil eines anderen Qa6i aufzuheben. Artikel 75 - Der Muhtasib ist der Richter, der sämtliche Rechtsfälle untersucht, bei denen es um Rechte der Allgemeinheit geht, in denen es keinen Ankläger gibt. Bedingung ist allerdings, dass sie nicht Teil der Hudud (von Allah festgelegte Strafen) und Ginayat (Körperverletzungen) sind. Artikel 76 - Der Muhtasib kann ein Urteil in einer Ordnungswidrigkeit fällen, sobald er Wissen darüber erlangt. Die Urteilsverkündung kann an jedem Ort ohne Notwendigkeit eines Gerichts ergehen. Dem Muhtasib unterstehen eine Anzahl von Polizisten, um seine Befehle auszuführen, und sein Urteil auf der Stelle umzusetzen. Artikel 77 - Der Muhtasib hat das Recht, Stellvertreter für sich auszuwählen, die die Bedingungen des Muhtasib-Amtes erfüllen. Er verteilt sie auf verschiedene Posten, wobei diese Stellvertreter die Vollmacht haben, das Amt des Muhtasib in der Region oder dem Ort, für den sie ernannt wurden, in den dort vorfallenden Rechtsangelegenheiten auszuüben. Artikel 78 - Der Qa6i al-Mazalim ist ein Richter, der zur Beseitigung jeder vom Staat oder einem seiner Vertreter ausgehenden Ungerechtigkeit ernannt wird, die irgendeiner unter der Staatsmacht lebenden Person widerfährt, unabhängig davon, ob sie zu den Staatsbürgern gehört oder nicht, und unabhängig davon, ob diese Ungerechtigkeit vom Kalifen oder einem anderen Regierenden oder Beamten ausging. Artikel 79 - Der Qa6i al-Mazalim wird durch den Kalifen oder vom Qa6i al-Qu6at ernannt. Seine Rechenschaftsabgabe, seine Disziplinierung und Absetzung erfolgt durch den Kalifen oder durch 124 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 125 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT das Mazalim-Gericht, wenn der Kalif diesem die entsprechende Vollmacht erteilt hat. Seine Absetzung ist nicht gestattet, wenn er mit der Untersuchung einer Ungerechtigkeitsbeschwerde gegen den Kalifen, den Mucawin at-Tafwi6, oder den Qa6i al-Qu6at befasst ist. Artikel 80 - Das Amt des Qa6i al-Mazalim ist nicht auf eine oder mehrere Personen begrenzt. Das Staatsoberhaupt ernennt vielmehr eine Anzahl von Mazalim-Richtern, gemäß dem, was zur Klärung der Ungerechtigkeitsbeschwerden erforderlich ist, wie groß ihre Anzahl auch sein mag. Bei der Ausübung der Rechtsprechung hat aber nur ein einziger Richter die Vollmacht zur Urteilsfällung. Es ist zulässig, dass eine Anzahl von Mazalim-Richtern ihm während der Gerichtsverhandlung beisitzt, aber sie haben lediglich die Befugnis zur Beratung. Der Qa6i al-Mazalim ist nicht dazu verpflichtet, ihre Meinung anzunehmen. Artikel 81 - Das Mazalim-Gericht (Mahkamat-ul-Mazalim) hat das Recht zur Absetzung jedes Regierenden oder Beamten im Staat, wie es auch das Recht zur Absetzung des Kalifen hat. Artikel 82 - Das Mazalim-Gericht hat die Vollmacht, jede Beschwerde zu untersuchen, ob sie mit Personen aus dem Staatsapparat in Verbindung steht, sich auf einen Verstoß des Kalifen gegen die islamischen Gesetze bezieht, oder mit dem Inhalt eines der Gesetzestexte in Dustur (Verfassung) und Qanun (Gesetzbuch) und den übrigen Gesetzen in Verbindung steht, die durch das Staatsoberhaupt adaptiert wurden, oder ob sie sich auf eine Steuererhebung oder dergleichen bezieht. Artikel 83 - Eine Gerichtssitzung ist ebensowenig Bedingung für das Mazalim-Gericht, wie die Vorladung des Angeklagten oder die Existenz eines Klägers. Das Mazalim-Gericht hat vielmehr ein Recht zur Untersuchung einer Ungerechtigkeit, auch wenn niemand eine Beschwerde vorgebracht hat. 125 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 126 DES ISLAM Artikel 84 - Jeder Mensch hat das Recht, in einer Rechtsstreitigkeit oder einem Verteidigungsfall vertreten zu werden, von wem er will, ob er Muslim oder Nichtmuslim ist, Mann oder Frau. Es gibt hier keinen Unterschied zwischen dem Wakil (Vertreter) und dem Muwakkil (Vertretetem). Es ist dem Wakil gestattet, eine Entlohnung zu beanspruchen, und der Muwakkil hat die Pflicht, ihm diese gemäß ihrer Übereinkunft zu bezahlen. Artikel 85 - Es ist der Person, die Befugnisse zu einer bestimmten Tätigkeit besitzt, wie dem Wa4iyy (Vormund) und dem Waliyy (Vormund in familiärem Bunde), oder zu allgemeinen Tätigkeiten, wie dem Kalifen, den Regierenden oder Beamten, oder auch dem Qa6i alMazalim und dem Muhtasib erlaubt, sich in einem Prozess oder einer Verteidigung durch eine bevollmächtigte Person vertreten zu lassen. Dies ist nur möglich für die jeweilige Befugnis als Wa4iyy oder Waliyy, als Staatsoberhaupt, Regierender oder Beamter, als Qa6i al-Mazalim oder Muhtasib. Es ist hier unerheblich, ob diese Person Kläger oder Angeklagter ist. DIE GOUVERNEURE AL-WULAT Artikel 86 - Das Land, welches der Staat regiert, wird in Einheiten unterteilt. Jede Einheit wird als Wilaya (Provinz) bezeichnet. Jede Wilaya wird wiederum in Einheiten unterteilt, die als cImala (Distrikt, Landkreis) bezeichnet werden. Derjenige, dem die Leitung einer Wilaya übertragen wird, wird als Wali oder Amir bezeichnet, während man denjenigen, dem eine cImala unterstellt ist, als cAmil oder Hakim bezeichnet. Artikel 87 - Die Wulat (Gouverneure) werden durch den Kalifen ernannt. Die cUmmal werden durch den Kalifen und die Wulat ernannt, wenn diese dazu ermächtigt wurden. Für die Wulat und cUmmal gelten 126 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 127 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT dieselben Bedingungen wie für die Mucawinun, d.h. sie müssen freie, muslimische, erwachsene, geistig zurechnungsfähige Männer sein, die cadl sind. Sie müssen fähig sein, die Aufgaben auszuführen, mit denen sie beauftragt wurden. Sie sollen unter den gottesfürchtigen und durchsetzungskräftigen Personen ausgewählt werden. Artikel 88 - Der Wali hat in seiner Wilaya stellvertretend für den Kalifen die Vollmacht zur Regierung und Kontrolle der Tätigkeiten der Verwaltungsdistrikte. Er besitzt in seiner Wilaya sämtliche Vollmachten, über die der Mucawin at-Tafwi6 im Staat verfügt. Er besitzt die Imara (Befehlsgewalt) über die Bevölkerung seiner Wilaya, und die Kontrolle über alles, was mit der Wilaya verbunden ist, bis auf die Staatsfinanzen, das Gerichtswesen und die Armee. Die Polizei unterliegt seiner Befehlsgewalt in Bezug auf die Ausführung, nicht in Bezug auf die Verwaltung. Artikel 89 - Der Wali ist nicht zur Unterrichtung des Kalifen darüber verpflichtet, was sich in seiner Tätigkeit nach den Erfordernissen seiner Befehlsgewalt ereignet hat, es sei denn auf freiwilliger Basis. Ereignet sich etwas Neues, mit dem er noch nicht beauftragt wurde, bringt er es dem Kalifen zur Kenntnis und handelt darauf nach dessen Befehl. Befürchtet er, dass die Angelegenheit durch Abwarten außer Kontrolle gerät, handelt er zuerst und informiert den Kalifen danach über die Angelegenheit unter Anführung des Grundes, aus dem er ihn nicht vor der Ausführung der Handlung informiert hat. Artikel 90 - In jeder Wilaya gibt es einen von der Bevölkerung gewählten Maglis, dem der Wali vorsteht. Dieser Maglis hat die Befugnis, an der Meinungsbildung und den Verwaltungsangelegenheiten, nicht aber an Regierungsangelegenheiten mitzuwirken. Seine Meinung ist nicht bindend für den Wali. Artikel 91 - Die Amtszeit einer Person in der Wilaya soll nicht zu lang 127 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 128 DES ISLAM sein, sie soll ihrer Wilaya enthoben werden, sobald sie eine zu starke Machtposition im Land erlangt, oder ihre Persönlichkeit zu viel Anziehungskraft auf die Menschen ausübt. Artikel 92 - Der Wali wird nicht von einer Wilaya zur anderen versetzt, weil seine Ernennung allgemeiner Verantwortung unterliegt und örtlich begrenzt ist. Er wird abgesetzt und erneut ernannt. Artikel 93 - Der Wali wird abgesetzt, wenn der Kalif dies für richtig hält, oder wenn der Maglis-ul-Umma mit oder ohne Anführung eines Grundes seine mangelnde Zufriedenheit mit ihm ausdrückt, oder die Mehrheit der Bewohner seiner Wilaya mit ihm unzufrieden ist. Seine Absetzung erfolgt durch den Kalifen. Artikel 94 - Dem Kalifen obliegt es, die Handlungen der Wulat zu untersuchen, sie streng zu kontrollieren, und jemanden zu ernennen, der ihn in der Untersuchung ihrer Umstände vertritt. Er muss sie inspizieren, und alle oder einen Teil von ihnen von Zeit zu Zeit zu versammeln, und die Beschwerden des Volkes über sie anhören. STAATLICHE DIENSTBEHÖRDEN Artikel 95 - Die Verwaltung der Staatsangelegenheiten und der Interessen der Menschen werden durch Dienstbehörden, Ämter und Verwaltungsstellen übernommen, welche die Staatsangelegenheiten wahrnehmen und den Interessen der Menschen nachkommen. Artikel 96 - Die Administrationspolitik der Dienstbehörden, Ämter und Verwaltungsstellen besteht in der Einfachheit des Systems, der Schnelligkeit der Ausführung der Aufgaben und der Kompetenz derjenigen, die mit der Verwaltung betraut sind. Artikel 97 - Jeder Inhaber der Staatsangehörigkeit, der die Kompetenz 128 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 129 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT dazu besitzt, sei es Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim, kann zum Direktor jeder beliebigen Dienstbehörde oder Verwaltungsstelle ernannt werden und Beamter darin sein. Artikel 98 - Für jede Dienstbehörde wird ein Generaldirektor ernannt, für jedes Amt und jede Verwaltungsstelle ein Direktor, der mit ihrer Leitung beauftragt und direkt für sie verantwortlich ist. Diese Direktoren sind bezüglich ihrer Tätigkeit demjenigen gegenüber verantwortlich, der mit der obersten Leitung ihrer Dienstbehörden, Ämter oder Verwaltungsstellen betraut ist. Bezüglich der Einhaltung der Gesetze und allgemeinen Systeme sind sie vor dem Wali bzw. dem c Amil verantwortlich. Artikel 99 - Die Direktoren aller Dienstbehörden, Ämter und Verwaltungsstellen werden nur wegen eines Grundes im Sinne der Verwaltungsordnung abgesetzt. Gestattet ist aber ihre Versetzung von einer Tätgkeit zu einer anderen und ihre Suspendierung. Ihre Ernennung, Versetzung, Suspendierung, Bestrafung und Absetzung erfolgt durch die, den entsprechenden Dienstbehörden, Ämtern oder Verwaltungsstellen vorstehenden Leitern. Artikel 100 - Die Ernennung, Versetzung, Suspendierung, Bestrafung und Absetzung der Beamten, die nicht Direktoren sind, wird von der den Dienstbehörden, Ämtern oder Verwaltungsstellen übergeordneten Behörde vorgenommen. DER MAGLIS AL-UMMA Artikel 101 - Die Personen, welche die Muslime in der Darlegung ihrer Meinung vertreten, damit der Kalif sie konsultieren kann, bilden den Maglis al-Umma. Den Nichtmuslimen ist es gestattet, im Ma glis al-Umma vertreten zu sein, um Beschwerden über Ungerechtigkeiten der Regierenden oder eine fehlerhafte 129 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 130 DES ISLAM Anwendung der Gesetze des Islam vorzubringen. Artikel 102 - Die Mitglieder des Maglis al-Umma werden gewählt. Artikel 103 - Jeder, der die Staatsangehörigkeit besitzt, volljährig und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, hat das Recht, Mitglied im Maglis al-Umma zu sein, Mann oder Frau, Muslim oder Nichtmuslim. Die Mitgliedschaft der Nichmuslime ist allerdings darauf begrenzt, Beschwerden über die Ungerechtigkeit der Regierenden oder eine mangelhafte Anwendung des Islam vorzubringen. Artikel 104 - Unter Sura versteht man das Einholen einer Meinung überhaupt. Sie ist dann verbindlich, wenn sie in Fragestellungen eingeholt wird, die Tätigkeiten nach sich ziehen. Dazu gehören nicht Gesetzgebung, Definitionen, intellektuelle Fragen wie das Aufdecken von Tatsachen, sowie fachspezifische und wissenschaftliche Angelegenheiten. Artikel 105 - Die Sura ist ein Recht der Muslime. Die Nichtmuslime haben kein Recht auf Sura, wobei aber das Vorbringen der Meinung allen Staatsbürgern gestattet ist, seien es Muslime oder Nichtmuslime. Artikel 106 - In jenen Fragestellungen, die Tätigkeiten nach sich ziehen und denen die Meinung des Maglis al-Umma eingeholt wurde, ist die Meinung der Mehrheit bindend, abgesehen davon, ob sie als richtig oder falsch angesehen wird. In allen anderen Fragen, die unter Sura fallen, wird nach der Wahrheit gesucht, abgesehen von jeglichen Mehrheits- oder Minderheitsverhältnissen. Artikel 107 - Der Maglis al-Umma hat vier Befugnisse: Erstens: a) Einsichtnahme in alle Angelegenheiten, die ihm seitens des Kalifen vorgelegt werden und diesbezügliche Meinungsäußerung. Wenn es sich 130 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 131 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT dabei um praktische Angelegenheiten und Tätigkeiten handelt, die keine tiefgründige Betrachtung erfordern, wie Bereiche der Innenpolitik, zB (bürgernahe) Regierungsangelegenheiten, Erziehungsund Gesundheitswesen, Handel, Industrie, Landwirtschaft und ähnliches, ist die Meinung des Maglis al-Umma für den Kalifen bindend. Handelt es sich bei den Angelegenheiten, die ihm vom Kalifen vorgelegt werden, um gesetzgeberische, intellektuelle oder fachspezifische Fragen, oder um Fragen der Definition (die Spezialwissen erfordern), ist seine Meinung für den Kalifen nicht bindend. b) Der Maglis al-Umma hat das Recht, über alle Handlungen, die im Staat ausgeführt werden, gleichgültig, ob es sich um innere oder äußere Angelegenheiten, Angelegenheiten des Finanzwesens oder der Armee handelt, die Rechenschaftsablegung zu fordern. Die Meinung des Maglis al-Umma ist dabei verbindlich, wenn sie nicht dem islamischen Gesetz (Sarc) widerspricht. Sind sich Maglis al-Umma und die Regierenden aus Sicht der Sari ca uneins, entscheidet in dieser Angelegenheit die Meinung des Mazalim-Gerichts. Zweitens: Der Maglis al-Umma hat das Recht, seine Unzufriedenheit mit den Wulat (Gouverneuren) und Mucawinun (Assistenten) darzulegen. Seine Meinung ist in dieser Angelegenheit verbindlich, und der Kalif muss sie unverzüglich absetzen. Drittens: Der Kalif legt dem Maglis al-Umma die Gesetze vor, die er in Verfassung (Dustur) und Gesetz (Qawanin) adaptieren will. Die Muslime unter seinen Mitgliedern haben das Recht, sie zu diskutieren und ihre Meinung darüber abzugeben, welche aber in diesem Fall nicht verbindlich ist. Viertens: Die Muslime unter den Mitgliedern des Maglis al-Umma haben das 131 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 132 DES ISLAM Recht, Kandidaten für das Kalifat aufzustellen, ihre diesbezügliche Ansicht ist verbindlich, und eine andere als ihre Aufstellung von Kandidaten wird nicht akzeptiert. DAS BEZIEHUNGSSYSTEM DER GESCHLECHTER Artikel 108 - Die Frau ist in erster Linie Mutter und Hausherrin. Sie ist eine Würde, die es zu schützen gilt. Artikel 109 - Männer und Frauen müssen grundsätzlich voneinander getrennt werden. Sie kommen nur für eine Notwendigkeit zusammen, die das islamische Recht festgelegt hat, wie Hagg und Verkauf. Artikel 110 - Der Frau werden dieselben Rechte gegeben wie dem Mann, und ihr obliegen dieselben Pflichten außer dem, was der Islam durch die Beweise der Sari ca ihr oder dem Mann speziell auferlegt hat. Sie hat das Recht, Handel, Landwirtschaft und Handwerk zu betreiben, und Verträge und Mucamalat abzuschließen. Sie hat das Recht auf jede Art von Besitz. Sie hat das Recht, ihren Besitz selbst oder durch jemand anderen zu vermehren, und alle Angelegenheiten ihres Lebens selbst auszuführen. Artikel 111 - Die Frau darf in den Staatsdienst ernannt werden, Mitglieder in die Maglis-ul-Umma wählen und selbst Mitglied darin sein. Sie darf sich an der Wahl des Kalifen und daran beteiligen, ihm die Baica zu leisten. Artikel 112 - Die Frau darf nicht mit Regierungsaufgaben betraut werden, sie darf weder Kalif, noch Mucawin, Wali oder cAmil sein oder irgendeine Tätigkeit ausüben, die als Regierungsausübung zu betrachten ist. 132 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 133 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 113 - Die Frau bewegt sich im privaten und im öffentlichen Leben. Im öffentlichen Leben ist es ihr gestattet, mit Frauen, Maharim (Männern, die in einem Mahram-Verhältnis zu ihr stehen, siehe Glossar), und fremden Männern Umgang zu pflegen unter der Voraussetzung, dass nichts von ihr zu sehen ist als das Gesicht und die Hände, dass sie weder ihre Reize zur Schau stellt noch sich unanständig verhält. Im privaten Leben darf sie nur mit Frauen oder Maharim Umgang haben, der Umgang mit fremden Männern ist nicht gestattet. Im privaten wie im öffentlichen Leben ist sie an sämtliche Gesetze der Sari ca gebunden. Artikel 114 - Eine private Zusammenkunft von Mann und Frau ohne die Anwesenheit eines Ma hram ist untersagt. Das Zurschaustellen von Reizen und die Enthüllung der cAura vor Fremden ist untersagt. Artikel 115 - Die Ausübung jedweder Handlung, die eine Gefahr für die A2laq darstellt oder Verderben in der Gesellschaft hervorruft, ist sowohl Männern als auch Frauen untersagt. Artikel 116 - Das Eheleben soll von Zufriedenheit geprägt sein, und das Verhältnis der Ehepartner zueinander ist wie das von Gefährten. Die Fürsorge (Qawama) des Ehemannes über die Ehefrau entspricht einer Obhut, nicht einer Herrschaft. Sie ist zu Gehorsam verpflichtet, und er ist dazu verpflichtet, gemäß ihrem Status für ihren Unterhalt aufzukommen. Artikel 117 - Die beiden Ehepartner unterstützen sich vollständig in der Ausübung der Tätigkeiten des Haushalts. Der Ehemann ist dazu verpflichtet, alle außerhalb des Hauses anfallenden Arbeiten auszuführen, während die Ehefrau sämtliche innerhalb des Hauses anfallenden Arbeiten ausführt, soweit sie dazu in der Lage ist. Er ist dazu verpflichtet, ihr in dem Maße Hausangestellte zur Verfügung zu stellen, wie es zur Ausführung der Aufgaben ausreicht, die sie nicht 133 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 134 DES ISLAM auszuführen in der Lage ist. Artikel 118 - Das Sorgetragen um die Kleinkinder ist eine Verpflichtung für die Frau und ihr Recht, unabhängig davon, ob sie Muslimin oder Nichtmuslimin ist, solange das Kleinkind dieser Obhut bedarf. Bedarf es ihrer nicht mehr, muss (im Falle einer Trennung) festgestellt werden: Sind die Betreuerin des Kindes und der Waliyy Muslime, kann das Kind, sei es weiblich oder männlich, wählen, bei wem es bleiben will. Demjenigen , den es gewählt hat, wird das Kind zugesprochen, sei es der Mann oder die Frau. Sollte einer der beiden Nichtmuslim sein, kann das Kind nicht zwischen ihnen wählen, sondern wird dem muslimischen Teil zugesprochen. DAS WIRTSCHAFTSSYSTEM Artikel 119 - Wirtschaftspolitik bedeutet, dass man, bei der Betrachtung der menschlichen Bedürfnisse, stets den Standard vor Augen hat, in dem sich die Gesellschaft befinden soll. Dieser Standard, auf dem sich die Gesellschaft befinden soll, wird als Grundlage herangezogen, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Artikel 120 - Das wirtschaftliche Problem besteht in der Verteilung der Güter und des Nutzens auf alle Staatsbürger und darin, ihnen deren Nutzung dadurch zu ermöglichen, dass ihre Inbesitznahme und Anstrebung ermöglicht wird. Artikel 121 - Die Befriedigung sämtlicher Grundbedürfnisse muss allen Individuen, jedes für sich, in vollständiger Weise garantiert werden. Jedem Individuum muss die Möglichkeit garantiert werden, darüber hinaus gehende, ergänzende Bedürfnisse auf dem höchstmöglichen Niveau zu befriedigen. Artikel 122 - Der Besitz gehört Allah allein, und Er ist es, Der ihn dem 134 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 135 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Menschen in Stell-vertretung übertragen hat. Durch diese allgemeine Stellvertretung haben die Menschen das Recht auf Besitz erhalten. Allah hat dem Individuum die Erlaubnis gegeben, es in Besitz zu nehmen. Durch diese besondere Erlaubnis wird es zum tatsächlichen Besitz. Artikel 123 - Es gibt drei Arten von Eigentum: Privateigentum, Öffentliches Eigentum, und Staatseigentum. Artikel 124 - Das Privateigentum ist ein Hukm Sarci (islamischer Rechtsspruch), welcher die Sache selbst, oder den Nutzen daraus umfasst. Es erfordert für denjenigen, dem es zugeteilt wird, die Ermöglichung, es zu nutzen und einen Gegenwert dafür zu erhalten. Artikel 125 - Das öffentliche Eigentum stellt die Erlaubnis des Gesetzgebers für die Gemeinschaft dar, an der Nutzung des Eigentums teilzuhaben. Artikel 126 - Jedes Gut, dessen Ausgabe im Ermessen des Kalifen und seines Igtihads liegt, wird als Staatseigentum betrachtet, wie die Steuergelder, 1arag und Gizia. Artikel 127 - Das Privateigentum beweglicher und unbeweglicher Güter ist an fünf durch die Sari c a festgelegte Ursachen gebunden: a) Arbeit b) Erbschaft c) Das Bedürfnis nach Gütern zum Zwecke des Lebens(unterhaltes) d) Materielle Zuwendungen des Staates an seine Bürger e) Güter, welche Individuen ohne entsprechende Bezahlung oder Anstrengung erhalten Artikel 128 - Das Verfügen über das erworbene Eigentum ist an die Erlaubnis des Gesetzgebers (Allahs) gebunden, sei es zu dessen Ausgabe oder Vermehrung. Ausgeben im Verbotenen, Überschwang und Geiz sind untersagt. Kapitalistische Unternehmen, Genossenschaften und die 135 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 136 DES ISLAM restlichen Mucamalat, welche dem islamischen Gesetz widersprechen, sind untersagt. Riba (Zinsen), betrügerischer Wucher, Monopolisierung, Glücksspiel und dergleichen sind verboten. Artikel 129 - cUsr-Boden ist der Boden oder das Gebiet, dessen Bewohner von sich aus (ohne vorhergehende Eroberung durch die Muslime) den Islam annahmen sowie die Arabische Halbinsel. 1aragBoden ist der Boden, der außer der Arabischen Halbinsel durch Krieg oder Friedensvertrag eröffnet wurde. Individuen können den cUsrBoden und dessen Ertrag besitzen. 1arag-Boden ist im Besitz des Staates, während sein Ertrag im Besitz von Individuen ist. Jedes Individuum hat das Recht auf den Austausch von cUsr-Boden und den Ertrag von 1arag-Boden durch Sari ca-Verträge. Sie werden von ihnen vererbt wie jeder andere Besitz. Artikel 130 - Brachliegendes Land (al-Ar6 al-Mawat) gehört dem, der es bestellt und einzäunt. Nicht brachliegendes Land kann nur durch eine Sarci-Ursache (islamrechtliche Ursache) ins Eigentum genommen werden, wie Erbschaft, Kauf und Iq8ac (Zuweisung). Artikel 131 - Das Verpachten von Land zur landwirtschaftlichen Nutzung ist absolut untersagt, gleich, ob es sich um 1arag- oder cUsrBoden handelt. Ebenso ist die Muzaraca (das Bewirtschaften des Ackers durch einen anderen für einen Teil der Ernte) untesagt. Die Musaqat hingegen (Bewässerung und Bewirtschaftung von Baumplantagen durch andere für einen Teil des Ertrages) ist gestattet. Artikel 132 - Jeder Landbesitzer ist dazu verpflichtet, es zu nutzen. Der Bedürftige bekommt eine ausreichende Förderung aus dem Baytu-l-Mal (Schatzhaus der Muslime), um ihm die Bewirtschaftung seines Landes zu ermöglichen. Jedem, der Anbauland drei Jahre lang brach liegen lässt und nicht nutzt, wird es entzogen und einem anderen gegeben. Artikel 133 - Öffentliches Eigentum ist in drei Dingen verwirklicht: 136 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 137 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT a) Alles, was für den Erhalt der Gemeinschaft erforderlich ist, wie öffentliche Anlagen und Plätze. b) Große Rohstoffvorkommen, wie Ölquellen. c) Die Dinge, die aufgrund ihrer Natur nicht vom Individuum besitzt werden können, wie Flüsse. Artikel 134 - Fabriken stehen im Privateigentum, wobei allerdings die Fabrik unter das Gesetz des Erzeugnisses fällt, das sie herstellt. Gehört das Erzeugnis in den Bereich des Privateigentums, fällt auch die erzeugende Fabrik darunter, wie etwa Textilfabriken. Gehört das Erzeugnis zum öffentlichen Eigentum, steht die Fabrik ebenfalls im öffentlichen Eigentum, wie bei eisenfördernden Fabriken. Artikel 135 - Es ist dem Staat nicht erlaubt, Privatbesitz in öffentliches Eigentum umzuwandeln, weil das öffentliche Eigentum in der Natur des Besitzes und seiner Beschreibung verankert ist und nicht in der Ansicht des Staates liegt. Artikel 136 - Jedes Individuum der Umma hat das Recht zur Nutzung dessen, was sich im öffentlichen Besitz befindet. Es ist dem Staat nicht gestattet, einer Einzelperson unter Ausschluss der restlichen Staatsbürger die Erlaubnis zu erteilen, öffentliches Eigentum in Besitz zu nehmen oder zu nutzen. Artikel 137 - Es ist dem Staat erlaubt, den Zugang zu brachliegendem Boden und dem, was sich im öffentlichen Eigentum befindet, aufgrund eines Interesses, das er für die Staatsbürger sieht, zu untersagen. Artikel 138 - Kanz-ul-Mal (Das Horten von Geld) ist untersagt, auch wenn die Zakat davon geleistet wurde. Artikel 139 - Zakat wird von den Muslimen erhoben, und von den Besitztümern entnommen, die das Gesetz zur Entnahme bestimmt hat. Dazu zählen Bargeld, Handelswaren, Vieh und Getreide. Zakat wird nur 137 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 138 DES ISLAM von dem entnommen, was das islamische Gesetz vorgesehen hat. Es wird von jedem Eigentümer erhoben, gleich, ob er rechtsfähig (mukallaf) ist wie der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindliche Erwachsene, oder ob er nicht rechtsfähig ist, wie das minderjährige Kind und der Geisteskranke. Es wird gesondert im Schatzhaus verwahrt, und ausschließlich für eine oder mehr der acht im Quran Karim erwähnten Kategorien (von bezugsberechtigten Personen) ausgegeben. Artikel 140 - Die Gizia wird von den Dimmis (Schutzbefohlenen) erhoben, und zwar von den erwachsenen Männern, wenn diese es aufbringen können. Gizia wird nicht von Frauen und Kindern erhoben. Artikel 141 -1arag wird vom 1arag-Land nach dessen Erntepotential erhoben. Im Fall des cUsr-Landes wird Zakat vom realen Ertrag erhoben. Artikel 142 - Von den Muslimen werden die, zur Deckung der Verpflichtungen des Schatzhauses, vom islamischen Gesetz zugelassenen Steuern erhoben und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass sie von jenem Vermögen geleistet werden, das über die normalen Bedürfnisse hinausgeht, die der Eigentümer abdecken muss. Gleichzeitig haben sie den Notwendigkeiten des Staates zu genügen. Von Nichtmuslimen werden keine Steuern erhoben. Von ihnen wird nur die Gizia geleistet. Artikel 143 - All die Aufgaben, zu deren Ausführung die Umma durch die Sari ca verpflichtet ist, und für deren Ausführung sich keine Mittel im Schatzhaus befinden, werden auf die Umma übertragen. Der Staat hat in diesem Fall das Recht, es durch die Auferlegung von Steuern von der Umma zu erheben. Für das, was nicht durch das islamische Gesetz für die Umma verpflichtend ist, darf der Staat der Umma keine Steuer auferlegen. Es ist nicht gestattet, Gebühren für die Gerichte, Verwaltungsstellen oder die Regelung irgendeiner Angelegenheit zu erheben. 138 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 139 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 144 - Der Staatshaushalt hat dauerhafte Quellen, welche von den islamischen Gesetzen festgelegt wurden. Die Abschnitte des Haushaltes und die Beträge, die in jeden Abschnitt eingehen, unterliegen der Ansicht des Kalifen und seinem Igtihad. Artikel 145 - Die ständigen Einkünfte des Schatzhauses sind der gesamte Fay (Kriegsgüter), die Gizia, der 1arag, ein Fünftel der Bodenschätze und die Zakat. Diese Gelder werden ständig erhoben, ob nun ein Bedarf dafür besteht oder nicht. Artikel 146 - Reichen die ständigen Einkünfte des Schatzhauses nicht aus, um die Ausgaben des Staates zu decken, können Steuern von den Muslimen erhoben werden. Die Erhebung von Steuern dient folgenden Zwecken: a) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben für die Armen, die Bedürftigen, den Ibn us-Sabil (Reisenden), und zur Ausführung des Far6 zum Gihad. b) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben, die der Aufwandsentschädigung dienen, wie die Ausgaben für die Beamten, die Unterhaltung der Armee und die Entschädigungen der Regierenden. c) Der Deckung der für das Staatshaus verpflichtenden Ausgaben, die abgesehen von den (erwähnten) Entschädigungen dem allgemeinen Interesse und Nutzen dienen, wie dem Bau von Straßen, der Förderung von Wasser, dem Bau von Moscheen, Schulen und Krankenhäusern. d) Der Deckung der für das Schatzhaus verpflichtenden Ausgaben, die durch Notwendigkeit entstehen, wie etwa durch Naturkatastrophen, die die Staatsbürger treffen, wie Hungersnöte, Stürme oder Erdbeben. Artikel 147 - Als Einkünfte, die in das Schatzhaus eingehen, gelten die Gelder, welche vom Zoll an den Grenzstellungen des Landes eingenommen werden, und die Gelder, die aus dem öffentlichen Eigentum oder dem Staatseigentum hervorgehen, sowie die vererbten Gelder, für die sich keine Erben finden. 139 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 140 DES ISLAM Artikel 148 - Die Ausgaben des Schatzhauses teilen sich auf sechs Bereiche auf: a) Die acht Kategorien, welche einen Anspruch auf Zakat-Gelder haben, werden aus dem Zakat-Fonds ausgezahlt. Findet sich in dem Zakat-Fonds kein Geld, wird ihnen nichts ausgezahlt. b) Für die Armen und Bedürftigen, den Reisenden (Ibnu-s-Sabil), den Gihad und für die zahlungsunfähigen Schuldnern werden für den Fall, dass sich kein Geld im Zakat-Fonds befindet, aus den ständigen Einkünften des Schatzhauses Unterstützungen ausgezahlt. Findet sich auch dort kein Geld, wird den zahlungsunfähigen Schuldnern nichts ausgezahlt. Für die Armen, Bedürftigen, die Reisenden und für den Gihad werden Steuern erhoben, um die Ausgaben für sie abzudecken. Zu diesem Zweck kann auch eine Anleihe aufgenommen werden, wenn die Befürchtung zu negativen Auswirkungen besteht. c) Die Personen, die im Staatsdienst sind, wie die Beamten, die Regierenden und die Armee, werden aus dem Schatzhaus bezahlt. Sollte das Geld des Schatzhauses nicht ausreichen, werden auf der Stelle Steuern erhoben, um diese Ausgaben zu decken. Es kann auch eine Anleihe aufgenommen werden, wenn die Befürchtung negativer Auswirkungen besteht. d) Die Dienststellen und Infrastrukturen wie Straßen, Moscheen, Krankenhäuser und Schulen werden aus dem Staatsschatz bezahlt. Reichen die Gelder des Schatzhauses nicht aus, werden auf der Stelle Steuern erhoben, um diese Ausgaben zu decken. e) Zusatzeinrichtungen und zusätzliche Dienststellen werden aus dem Staatsschatz bezahlt. Findet sich dafür nicht ausreichend Geld im Schatzhaus, wird dafür nichts aufgewendet. Diese Anliegen werden aufgeschoben. f) Für Katastrophen wie Erdbeben und Überflutungen wird aus dem Staatsschatz gezahlt. Findet sich dort kein Geld, wird unverzüglich eine Anleihe aufgenommen, die danach durch erhobene Steuern abgedeckt wird. Artikel 149 - Der Staat garantiert Arbeit für jeden, der die Staatsangehörigkeit besitzt. 140 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 141 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Artikel 150 - Angestellte bei Einzelpersonen oder Unternehmen sind in allen Rechten und Pflichten gleich den Angestellten beim Staat. Jeder, der für einen Lohn arbeitet, ist ein Angestellter, wie sehr sich auch die Art der Tätigkeit oder der Arbeitnehmer unterscheidet. Gibt es Differenzen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber über den Lohn, wird nach dem allgemeinen Standard entschieden. Haben sie eine andere Differenz, wird im Arbeitsverhältnis gemäß den islamischen Gesetzen entschieden. Artikel 151 - Es ist gestattet, den Lohn nach dem Ertrag der Arbeit oder dem Nutzen des Arbeitnehmers festzusetzen, nicht aber nach den Kenntnissen und akademischen Qualifikationen des Arbeitnehmers. Es gibt keine (automatischen) Lohnerhöhungen (Biennalien) für Angestellte, vielmehr erhalten sie den vollen, ihnen zustehenden Lohn ausbezahlt, sei es für den Nutzen ihrer Arbeit oder den ihrer selbst. Artikel 152 - Der Staat garantiert den Unterhalt für diejenigen, die kein Eigentum, keine Arbeit und niemanden haben, der für ihren Unterhalt aufkommt. Der Staat ist verantwortlich für Unterkunft und Betreuung der hilfsbedürftigen und behinderten Menschen. Artikel 153 - Der Staat gewährleistet, dass das Geld unter allen Staatsbürgern im Umlauf bleibt und verhindert den Geldumlauf unter einer speziellen Gruppe. Artikel 154 - Der Staat soll es jedem Staatsbürger ermöglichen, seine ergänzenden Bedürfnisse zu befriedigen, und unter folgenden Gesichtspunkten ein Gleichgewicht in der Gesellschaft herstellen: a) Der Staat vergibt an die Staatsbürger seine beweglichen oder unbeweglichen Besitztümer aus dem Schatzhaus, wie auch erworbene Kriegsgüter und dergleichen. b) Der Staat macht denjenigen, die nicht ausreichend viel Anbauland besitzen, Schenkungen (Iq8ac) von den bewohnten Ländereien. Denjenigen, die Land besitzen und es nicht nutzen, gibt er nichts. 141 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 142 DES ISLAM Denjenigen, die (finanziell) nicht in der Lage sind, Landwirtschaft zu betreiben, wird Geld gegeben, damit sie die Fähigkeit zur Bewirtschaftung ihres Agrarlandes erhalten. c) Der Staat deckt die Schulden derjenigen, die nicht zu ihrer Rückzahlung in der Lage sind, aus dem Zakat-Geld, dem Fay und dergleichen ab. Artikel 155 - Der Staat betreut die landwirtschaftlichen Angelegenheiten und ihre Erzeugnisse gemäß den Anforderungen der Landwirtschaftspolitik, deren Ziel die Bestellung des Bodens auf dem höchstmöglichen Niveau der Produktion ist. Artikel 156 - Der Staat betreut die gesamten Angelegenheiten der Industrie und ist direkt mit den Industriezweigen betraut, die zum öffentlichen Eigentum gehören. Artikel 157 - Der Außenhandel wird nach der Staatsangehörigkeit des Händlers geführt, nicht nach der Art der Ware. Den Händlern feindlicher Nationen (Harbiyyun) ist es untersagt, im islamischen Staat Handel zu betreiben, außer durch eine spezielle Erlaubnis für den Händler oder für die Waren. Die Händler, mit deren Ländern ein Vertrag abgeschlossen wurde (Mucahidun), werden gemäß den Verträgen behandelt, die zwischen diesen Ländern und dem islamischen Staat bestehen. Händler, welche Bürger des Staates sind, dürfen nichts exportieren, was das Land an Ressourcen bedarf. Sie dürfen keine Ressourcen ausführen, die der militärischen, industriellen oder wirtschaftlichen Stärkung des Feindes dienen. Sie werden nicht an der Einfuhr irgendeines Besitzes gehindert. Von diesen Gesetzen ist das Land ausgenommen, zwischen dessen Bevölkerung und uns faktisch Krieg herscht, wie Israel. In diesem Fall gelten die Gesetze des faktischen Daru-l-Harb (Stätte des Krieges) in allen Beziehungen, seien sie wirtschaftlicher oder anderer Natur. Artikel 158 - Alle Staatsbürger haben das Recht zur Errichtung 142 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 143 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT wissenschaftlicher Labors, die sich auf sämtliche Angelegenheiten des Lebens beziehen. Der Staat hat die Pflicht, solche Labors selbst zu errichten. Artikel 159 - Es ist den Individuen untersagt, im Besitz von Labors zu sein, die Substanzen herstellen, deren Besitz zu einem Schaden für die Umma oder den Staat führen. Artikel 160 - Der Staat stellt sämtliche Gesundheitsdienste für die Gesamtheit kostenlos zur Verfügung, verbietet aber nicht die Inanspruchnahme von Privatärzten oder den Verkauf von Medikamenten. Artikel 161 - Die Nutzung und gewinnbringende Anlage ausländischer Gelder im Land ist ebenso verboten wie die Gewährung von Privilegien für Ausländer. Artikel 162 - Der Staat gibt eine eigene, unabhängige Währung heraus, die an keine fremde Währung gebunden sein darf. Artikel 163 - Die Währung des Landes besteht aus geprägtem und ungeprägtem Gold und Silber. Anderes Geld ist nicht gestattet. Der Staat darf anstelle von Gold oder Silber etwas anderes herausgeben unter der Bedingung, dass es den Gegenwert an Gold und Silber im Staatstresor (Hizana) gibt. Der Staat darf Kupfer, Bronze, Papier oder etwas anderes herausgeben, und es unter der Bezeichnung Geld prägen, wenn es dafür eine vollständige Deckung in Gold und Silber gibt. Artikel 164 - Ein direkter Umtausch zwischen der Währung des Staates und anderen Währungen ist gestattet. Ein solcher Umtausch muss in bar erfolgen und darf nicht auf Kredit stattfinden. Die Umtauschrate zwischen zwei verschiedenen Währungen darf ohne Beschränkung variieren. Jeder Staatsbürger hat das Recht, die Währung im Inland oder Ausland 143 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 144 DES ISLAM zu kaufen, die er will. Er kann sie kaufen, ohne eine Sondererlaubnis oder Bewilligung für den Währungskauf zu brauchen. BILDUNGSPOLITIK Artikel 165 - Die Grundlage, auf der der Unterricht basiert, muss die islamische cAqida sein. Die Unterrichtsinhalte und -methoden dürfen in ihrer Gesamtheit nicht von dieser Grundlage abweichen. Artikel 166 - Die Bildungspolitik stellt die Schaffung der islamischen Denkweise und der islamischen Handlungsweise dar. Alle Unterrichtsinhalte, die vermittelt werden sollen, müssen auf der Grundlage dieser Politik basieren. Artikel 167 - Das Ziel der Bildung ist das Zustandebringen der islamischen Persönlichkeit und die Versorgung der Menschen mit den Wissenschaften und Kenntnissen, die sich auf die Angelegenheiten des Lebens beziehen. Die Methoden der Bildung werden darauf ausgerichtet, dieses Ziel zu verfolgen. Jede Methode, die zu etwas anderem als diesem Ziel führt, ist untersagt. Artikel 168 - Unterrichtsstunden in den islamischen Wissenschaften und der arabischen Sprache müssen im quantitativen und zeitlichen Umfang der Unterrichtsstunden der übrigen Wissenszweige wöchentlich erteilt werden. Artikel 169 - In der Bildung muss zwischen den experimentellen Wissenschaften, und was damit in Verbindung steht, wie Mathematik, und den Kenntnissen der Geistesbildung unterschieden werden. Die experimentellen Wissenszweige und benachbarte Fächer werden nach Bedarf unterrichtet, und sind auf keine Schulstufe beschränkt. Die Geistesbildung wird in den ersten Stufen vor der Hochschule in Übereinstimmung mit einer bestimmten Politik, die nicht den Ideen des 144 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 145 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Islam und seinen Gesetzen widerspricht, unterrichtet. In der Hochschulstufe wird sie gleich den Wissenschaften behandelt, unter der Bedingung, dass sie nicht zu einem Verstoß gegen die allgemeine Bildungspolitik und ihr Ziel führt. Artikel 170 - Die Unterrichtung der islamischen Geistesbildung ist in allen Schulstufen verpflichtend. In der Hochschulstufe erfolgt eine Spezialisierung auf Zweige der verschiedenen islamischen Wissensgebiete, wie dort auch eine Spezialisierung auf Medizin, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und dergleichen erfolgt. Artikel 171 - Technologie und Handwerk können einerseits der Wissenschaft zugeordnet, wie die Kunst des Handels, der Seefahrt und der Landwirtschaft und somit unbegrenzt übernommen werden. Sie können auch der Kultur zugeordnet werden, wenn sie durch die Weltanschauung geprägt sind, wie Malerei und Bildhauerei. Sie werden nicht übernommen, wenn sie der islamischen Weltanschauung widersprechen. Artikel 172 - Der Lehrplan ist an allen Schulen einheitlich. Ein anderer Lehrplan als der des Staates wird nicht zugelassen. Privatschulen werden nicht verboten, solange sie sich an den staatlichen Lehrplan halten, auf Grundlage der Bildungsstrategie basieren und die Bildungspolitik und ihr Ziel durch sie verwirklicht wird. Eine weitere Bedingung ist, dass sie weder unter den Schülern noch unter dem Lehrkörper zwischen den Geschlechtern gemischt sind, und nicht auf eine Gruppe, Religion, Rechtsschule, Rasse oder Hautfarbe beschränkt sind. Artikel 173 - Das Erlernen dessen, was der Mensch im täglichen Leben notwendigerweise wissen muss, ist eine Pflicht für jedes Individuum, Mann oder Frau. Die Schulbildung ist für alle in der Primär - und Sekundarstufe verpflichtend, und der Staat hat die Aufgabe, dies der Gesamtheit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zugang zur 145 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 146 DES ISLAM Hochschulbildung soll der Gesamtheit, unter Ausschöpfung aller möglichen Ressourcen, kostenlos ermöglicht werden. Artikel 174 - Der Staat stellt Büchereien, Labors und die übrigen Lernmittel außerhalb der Schulen und Universitäten bereit, um denen, die den Wunsch dazu haben, die Durchführung von Studien in den verschiedensten Wissenszweigen von Fiqh, U4ulu-l-Fiqh, Hadit, Tafsir, Fikr, Medizin, Ingenieurwesen und Chemie, sowie der Untersuchung von Erfindungen, Entdeckungen und anderem zu ermöglichen, damit in der Umma eine große Anzahl von Mugtahidun, brillianten Fachleuten und Erfindern entstehen kann. Artikel 175 - Ein Urheberrecht in der Bildung ist in allen Stufen untersagt. Niemand, sei er Autor oder nicht, besitzt Rechte am Druck und an der Verbreitung, wenn das Buch einmal gedruckt und im Umlauf ist. Wenn er Ideen hat, die noch nicht gedruckt und verbreitet wurden, ist es ihm gestattet, eine Bezahlung für die Herausgabe dieser Ideen entgegenzunehmen, wie er auch eine Bezahlung für den Unterricht erhält. DIE AUßENPOLITIK Artikel 176 - Politik ist die Wahrnehmung der Angelegenheiten der Umma nach Innen wie nach Außen. Sie wird seitens des Staates und der Umma ausgeübt. Der Staat führt diese Wahrnehmung praktisch aus, während die Umma dafür vom Staat Rechenschaft fordert. Artikel 177 - Es ist absolut keinem Individuum, keiner Partei, Blockbildung oder Gruppierung gestattet, mit irgendeinem fremden Staat Beziehungen zu unterhalten. Die Beziehung zu den Staaten ist auf den Staat allein begrenzt, weil er allein das Recht hat, die Angelegenheiten der Umma praktisch wahrzunehmen. Es ist die Pflicht der Umma und der Blockbildungen, den Staat für diese 146 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 147 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT Außenbeziehungen zur Rechenschaft zu ziehen. Artikel 178 - Das Ziel heiligt nicht die Mittel. Die Methode ist mit der Idee wesensgleich. Durch die Ausübung eines Haram gelangt man weder zur Ausführung eines Wagib noch eines Mubah. Das politische Mittel darf der politischen Methode nicht widersprechen. Artikel 179 - Die politischen Manöver sind in der Außenpolitik notwendig. Ihre Stärke liegt in der Bekanntmachung der Handlungen unter Verheimlichung der Ziele. Artikel 180 - Zu den wichtigsten politischen Verfahren gehören der Mut in der Aufdeckung der Verbrechen der Staaten und die Verdeutlichung der Gefahr der betrügerischen Politik, die Aufdeckung der böswilligen Verschwörungen, und das Zerschmettern irreleitender Persönlichkeiten. Artikel 181 - Das Aufzeigen der Erhabenheit der islamischen Ideen in der Wahrnehmung der Angelegenheiten von Einzelpersonen, von Nationen und Staaten, gehört zu den bedeutendsten politischen Methoden. Artikel 182 - Die politische Hauptangelegenheit für die Umma ist der Islam in der Stärke der Persönlichkeit seines Staates, in der Richtigkeit der Ausführung seiner Gesetze und der Unermüdlichkeit im Tragen seiner Dacwa in die Welt. Artikel 183 - Das Tragen der islamischen Dacwa ist das Kernstück, um das sich die Außenpolitik dreht. Auf ihrer Grundlage basiert die Beziehung zwischen dem Staat und sämtlichen anderen Staaten. Artikel 184 - Die Beziehung des Staates zu den anderen in der Welt bestehenden Staaten basiert auf vier Erwägungen: 147 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 148 DES ISLAM Erstens: Die in der islamischen Welt bestehenden Staaten werden als ein einziges Land betrachtet. Sie gehören nicht in den Rahmen der Außenbeziehungen und die Beziehungen zu diesen Staaten werden nicht als Außenpolitik betrachtet. Es muss dafür gearbeitet werden, sie alle in einem einzigen Staat zu vereinen. Zweitens: Die Staaten, mit denen wir wirtschaftliche, Handelsverträge, Verträge der guten Nachbarschaft oder kulturelle Abkommen unterhalten, werden gemäß den Vertragstexten behandelt. Ihre Staatsangehörige haben das Recht, mit einem Personalausweis einzureisen, ohne einen Reisepass zu brauchen, wenn die Abkommen dies vorsehen, unter der Bedingung gleicher Behandlung (unserer Staatsangehörigen in diesen Ländern). Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit diesen Staaten sind auf bestimmte Dinge und bestimmte Eigenschaften begrenzt, für die eine Notwendigkeit besteht, und die nicht zu ihrer Stärkung führen. Drittens: Staaten, mit denen wir keine Abkommen haben, und solche, die tatsächlich kolonialistisch sind, wie England, die USA und Frankreich, sowie Staaten, die nach unseren Ländern trachten wie Russland, werden als gesetzlich zu bekriegende Staaten (muhariban hukman) angesehen. Ihnen gegenüber werden alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen , und es werden absolut keine diplomatischen Beziehungen zu ihnen aufgenommen. Die Angehörigen dieser Staaten dürfen unser Land betreten, aber nur mit einem Reisepass und einem besonderen Visum für jedes Individuum und jede Reise. Viertens: Mit jenen Staaten, mit denen wir faktisch im Krieg stehen (muhariban ficlan), wie beispielsweise Israel, wird der Kriegszustand zur Grundlage sämtlichen Handelns gemacht, so als stünden wir mit ihnen bereits 148 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 149 VERFASSUNGSENTWURF FÜR DEN ISLAMISCHEN STAAT tatsächlich im Krieg, gleichgültig, ob es einen Waffenstillstandsvertrag zwischen uns und ihnen gibt oder nicht. Allen Staatsangehörigen dieser Staaten ist die Einreise untersagt. Artikel 185 - Militärabkommen, welcher Art auch immer, sind strikt untersagt, ebenso wie das, was ihnen angeschlossen ist, wie politische Abkommen, und Übereinkünfte zur Nutzung von Militärstützpunkten und Flughäfen. Verträge über gutnachbarliche Beziehungen sind gestattet, ebenso wie Wirtschafts- und Handelsverträge, finanzielle und kulturelle Abkommen und Waffenstillstandsverträge. Artikel 186 - An Organisationen, die nicht auf der Grundlage des Islam basieren, oder andere als die Gesetze des Islam anwenden, darf sich der Staat nicht beteiligen. Das gilt für internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, den Internationalen Gerichtshof, den Internationalen Währungsfond und die Weltbank ebenso wie regionale Organisationen wie die arabische Liga. iopiop 149 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 150 ETHIK IM ISLAM A1LAQ Der Islam wird definiert als der Din, den Allah unserem Propheten Muhammad (a.s.s.) offenbart hat. Er organisiert die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer, zu sich selbst, und zu den anderen Menschen. Die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer umfasst die Glaubensgrundlagen und c Ib ad at (gottesdienliche Handlungen), die Beziehung des Menschen zu sich selbst beinhaltet die A 2l aq, Nahrungs- und Kleidungsvorschriften, und seine Beziehung zu anderen Menschen schließt die Mucamalat (Vertragsund Geschäftsbeziehungen) und cUqubat (Strafen) ein. Der Islam behandelt alle Probleme des Menschen. Er betrachtet den Menschen als eine Gesamtheit, die nicht in Einzelteile zerlegbar ist. Aus diesem Grunde behandelt er seine Probleme durch eine einzige Methode. Seine Ordnung basiert auf einer spirituellen Grundlage, nämlich der cAqida. Die spirituelle Seite stellt die Basis seiner Kultur sowie seines Staates und seiner Sari ca dar. Obwohl die islamische Sarica die Systeme detailliert erörtert hat, etwa die der cIbadat, der Mucamalat und der cUqubat, hat sie den A2laq allerdings kein detailliertes System gewidmet, sondern die diesbezüglichen Gesetze in ihrer Eigenschaft als Befehle und Verbote Allahs behandelt. Dabei wurde keine ausführliche Darlegung vorgenommen etwa in dem Sinne, dass es sich um A2laq handele, der man besondere Aufmerksamkeit schenken müsse, weil sie die anderen Gesetze übertreffen würden. Sie wurden weniger ausführlich dargelegt als die anderen Gesetze, und ihnen wurde im Fiqh kein gesondertes Kapitel gewidmet. In den Fiqh-Büchern, welche die Ahkam Sarciyya beinhalten, finden wir kein besonderes Kapitel unter dem Titel Kapitel über die A2laq . Die Fuqaha (Gelehrten) und Mugtahidun wendeten sich in der Frage der A2laq- 150 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 151 ETHIK IM ISLAM Gesetze keiner genauen Untersuchung und detaillierten Ableitung zu. Die A2laq beeinflussen den Aufbau der Gesellschaft keineswegs, denn die Gesellschaft basiert auf den Systemen des täglichen Lebens. Das, was die Gesellschaft lenkt, sind nicht die A2laq, sondern die Systeme, die auf diese Gesellschaft angewendet werden und die Gefühle und Ideen welche die Gesellschaft beeinflussen. Die A2laq beeinflussen weder den Aufbau der Gesellschaft noch ihren Aufstieg oder Niedergang. Es sind vielmehr die allgemeinen Gewohnheiten, die aus den Lebensverständnissen hervorgehen, die ihren Einfluss hinterlassen. Die Systeme, die in der Gesellschaft Anwendung finden, und die Ideen und Gefühle, welche die Menschen tragen, sind es, die eine Gesellschaft lenken, nicht die A2laq. Diese selbst gehen aus den Ideen und Gefühlen hervor und sind ein Resultat der Anwendung des Systems. Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, die Dacwa als Aufruf zu den A2laq in der Gesellschaft zu führen, denn die A2laq stellen Resultate der Befehle Allahs dar und kommen durch den Aufruf zur Glaubensgrundlage, der cAqida, und der allgemeinen Umsetzung des Islam zustande. Im Aufruf zu den A2laq besteht eine Verdrehung der islamischen Lebensverständnisse, und eine Entfernung der Menschen von einem Begreifen der Realität der Gesellschaft und ihrer Komponenten. Es handelt sich um eine Betäubung der Menschen mit individuellen Vorzügen, die zu einer Abblenkung bezüglich der wirklichen Mittel führt, eine Aufwärtsentwicklung des Lebens zu erreichen. Es stellt daher eine Gefahr dar, über die A2laq zum Islam aufzurufen. Dies erweckt den falschen Eindruck, als sei die Dacwa zum Islam rein moralischer Natur. Die intellektuelle Vorstellung vom Islam wird verhüllt und ohne ein Verständnis der Menschen ausgeschaltet, während die Menschen vom einzigen Weg, der zu einer Anwendung des Islam führt, nämlich der Errichtung des islamischen Staates, abgewendet werden. Als das islamische Rechtssystem, die 151 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 152 DES ISLAM Sari ca, die Beziehung des Menschen zu sich selbst durch islamische Gesetze behandelte, die mit moralischen Eigenschaften verbunden sind, tat sie dies nicht in einem gesonderten System etwa wie im Falle der cIbadat und Mucamalat. Vielmehr berücksichtigte sie darin die Verwirklichung bestimmter Werte, die Allah befohlen hat. Dazu gehören die Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, die Abwesenheit von Betrug und Neid. Diese Werte werden durch eine einzige Sache zustande gebracht, nämlich den Befehl Allahs, den moralischen Wert umzusetzen, wie vornehme und vorzügliche Charaktereigenschaften. Die Zuverlässigkeit ist eine moralische Eigenschaft, die Allah befohlen hat. Ihr moralischer Wert muss bei der Ausführung einer entsprechenden Handlung berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird der moralische Wert verwirklicht und als A2laq bezeichnet. Was das Zustandekommen dieser Eigenschaften aus den Resultaten von Handlungen betrifft, wie etwa die Züchtigkeit aus dem Gebet hervorgeht, oder ihr Zustandekommen durch die Verpflichtung zu ihrer Beachtung bei der Ausführung von Mucamalat, wie etwa die Aufrichtigkeit beim Verkauf, so ist festzuhalten, dass dies keinen moralischen Wert mit sich bringt, weil dieser nicht aus der Ausführung der Handlung beabsichtigt ist. Vielmehr gehen diese Eigenschaften aus den Ergebnissen der Handlungen und der Verpflichtung zu ihrer Berücksichtigung als moralische Eigenschaften des Gläubigen hervor, wenn er Allah anbetet und mit anderen Menschen verkehrt. Im ersten Fall verwirklicht der Gläubige den spirituellen Wert durch das Gebet, im zweiten Fall den materiellen Wert durch den Handel. Zur gleichen Zeit zeichnet er sich durch die moralischen Werte aus. Das islamische Recht hat die Eigenschaften definiert, die als gute und schlechte A2laq gelten. Zu den guten A2laq hat es angespornt, während es die schlechten verbot. Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Heiterkeit des Gesichtes, Schamhaftigkeit, gute Behandlung der Eltern, Aufrechterhaltung der Verwandschaftsbeziehungen, Hilfeleistung, dass man für seinen Bruder wünscht, was man auch für 152 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 153 ETHIK IM ISLAM sich selber wünscht, all dies sind Eigenschaften, zu denen der Islam durch die Befolgung der Befehle Allahs aufrief. Er verbot ihre Gegenteile, wie Lügen, Betrug, Neid, Unsittlichkeit und dergleichen. Diese Eigenschaften gelten durch das Verbot Allahs als untersagt. Die A2laq stellen einen Teil dieser Sari ca und der Gebote und Verbote Allahs dar, die durch den Muslim verwirklicht werden müssen, damit er seine Handlung nach dem Islam vollzieht und ihre Ausübung nach den Befehlen Allahs vollendet. In der Gesellschaft als Gesamtheit werden diese Eigenschaften dadurch erreicht, dass die islamischen Gefühle und Ideen zustandegebracht werden. Durch ihre Realisierung in der Gesellschaft werden sie notwendigerweise auch im Individuum verwirklicht. Es liegt auf der Hand, dass man nicht durch den Aufruf zu A2laq dorthin gelangt, sondern auf dem Wege des Zustandebringens der Gefühle und Ideen. Der Anfang muss damit gemacht werden, dass eine Blockbildung durch den gesamten Islam vorbereitet wird. Diese Blockbildung besteht aus Individuen, die Teile der Gemeinschaft und nicht von ihr losgelöst sind. Sie tragen den vollständigen Aufruf zum Islam in die Gesellschaft. Auf diese Weise bringen sie islamische Gefühle und Ideen zustande, so dass die Menschen als Folge ihres scharenweisen Eintritts in den Islam auch scharenweise die A2laq annehmen. Es muss dabei ganz klar verstanden werden, dass wir durch unsere Aussage den Charakter der A2laq als unabdingbaren Bestandteil der Befehle Allahs bestätigen, die durch die Umsetzung des Islam zustandekommen. Der Muslim muss sich notwendigerweise durch gute A2laq auszeichnen. Allah (t.) hat in vielen Suren des Quran die Eigenschaften, durch die der Mensch sich auszeichnet und die er anstreben soll, erklärt. Diese Eigenschaften umfassen die Glaubensgrundlagen, die cIbadat, Mucamalat, und A2laq, wobei diese vier Eigenschaften miteinander verbunden sind. 153 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 DIE LEBENSORDNUNG Seite 154 DES ISLAM Allah (t.) sagt in Surat Luqman: Als Luqmaan zu seinem Sohn sagte, indem er ihn ermahnte: O mein Sohn, geselle Allah nichts bei, denn die Beigesellung ist wahrlich eine schwere Sünde. Und wir haben dem Menschen im Hinblick auf seine Eltern befohlen seine Mutter trägt ihn in Schwäche über Schwäche, und seine Entwöhnung erfordert zwei Jahre : Sei Mir und deinen Eltern dankbar. Zu Mir ist die Rückkehr. Doch wenn sie dich auffordern, Mir das beizugesellen, wovon du keine Kenntnis hast, dann gehorche ihnen nicht. In weltlichen Dingen aber verfahremit ihnen auf gütige 154 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:22 Seite 155 ETHIK IM ISLAM Weise. Doch folge dem Weg dessen, der sich zu Mir wendet. Dann werdet ihr zu Mir zurückkehren, und Ich werde euch das verkünden, was ihr getan habt. O mein Sohn, hätte es auch nur das Gewicht eines Senfkorns und wäre es in einem Felsen oder in den Himmeln oder in der Erde, Allah würde es hervorbringen. Allah ist Gnädig, Kundig. O mein Sohn, verrichte das Gebet und gebiete das Gute und verbiete das Schlechte, und ertrage geduldig, was dich auch treffen mag. Jenes ist eine Stärke in allen Dingen. Und weise den Menschen deine Wange nicht verächtlich und laufe nicht rücksichtslos auf der Erde, denn Allah liebt keine eingebildeten Prahler. Und laufe mit angemessenem Schritt und dämpfe deine Stimme, denn wahrlich, die widerwärtigste Stimme ist die Stimme des Esels. (S urat Luqm an, Ay at 13-19) In Surat al-Furqan sagt Allah (t.): 155 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 156 DES ISLAM Und die Diener des Allerbarmers, die in Demut auf Erden gehen, und wenn die Unwissenden sie anreden, sagen sie: Friede. Diejenigen, die die Nacht für ihren Herrn in Niederwerfung und aufrechter Andacht verbringen, und sie sind es, die sprechen: Unser Herr, wende von uns die Höllenstrafe ab, denn wahrlich, ihre Strafe ist eine bedrückende Qual. Sie ist schlimm als Ruhestatt und Aufenthalt. Und diejenigen, die, wenn sie ausgeben, es weder im Verbotenen tun, noch damit geizen, dazwischen gibt es einen Mittelweg. Und die, welche keine anderen Götter außer Allah anrufen und niemanden töten, dessen Leben Allah unverletzlich gemacht hat, es sei denn, sie töten dem Recht nach, und keine Unzucht begehen. Wer das aber tut, soll dafür zu büßen haben.Ihm soll dieStrafe am Tage der Auferstehung verdoppelt werden, und er soll darin ewigin Schmach verweilen, außer denen, die bereuen und glauben und gute Werke tun, denn deren böse Taten wird Allah in gute umwandeln, denn Allah ist Allverzeihend, Barmherzig. Und der, der bereut und Gutes tut, der wendet sich in wahrhafter Reue Allah zu. Und diejenigen, die nichts falsches bezeugen, und die, wenn sie unterwegs leeres Gerede hören, mit Würde daran vorbeiziehen. Und diejenigen, die, wenn sie mit den Zeichen ihres Herrn ermahnt werden, deswegen nicht taub 156 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 157 ETHIK IM ISLAM und blind niederfallen. Und diejenigen, die sprechen: Unser Herr, gewähre uns und unseren Frauen und Kindern Trost und mache uns zu einem Vorbild für die Gottesfürchtigen. Diese werden mit der höchsten Stätte (im Paradies) belohnt, weil sie standhaft waren, Gruß und Frieden werden sie dort empfangen. Sie werden ewig darin verweilen, herrlich ist es wahrhaft als Ruhestatt und Aufenthalt.(Surat al-Furqan, Ayat 63-77) In Surat al-Isra sagt Allah: 157 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 158 DES ISLAM Und dein Herr hat befohlen: Verehrt keinen außer Ihm, und erweist den Eltern Güte. Wenn ein Elternteil oder beide bei die ein hohes Alter erreichen, sage kein böses Wort zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sprich zu ihnen in ehrerbietiger Weise. Und neige gütig gegen sie den Flügel der Demut und sprich: Mein Herr, erbarme dich ihrer (ebenso mitleidig), wie sie mich als Kleines aufgezogen haben. Euer Herr weiß am besten, was in euren Seelen ist: Wenn ihr rechtgesinnt seid, dann ist Er gewiß Verzeihend gegenüber den Sich-Bekehrenden. Und gib dem Verwandten, was ihm gebührt, und ebenso dem Armen und dem Reisenden, und gib es nicht im Verbotenen aus. Denn diejenigen, die (ihr Geld) im Verbotenen ausgeben, sind wahrlich Brüder der Satane, und der Satan ist wahrlich ungehorsam gegen seinen Herrn. Und wenn du dich von ihnen abwendest im Trachten nach der Barmherzigkeit deines Herrn, auf die 158 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 159 ETHIK IM ISLAM du hoffst so sprich zu ihnen angenehme Worte. Ziehe deine Hand nicht wie gefesselt bis zu deinem Halse zurück, aber strecke sie auch nicht übermäßig aus, damit du nicht getadelt und zerschlagen niedersitzt. Wahrlich, dein Herr erweitert und beschränkt dem, dem er will, die Mittel zum Unterhalt, denn Er kennt und sieht Seine Diener wohl. Und tötet eure Kinder nicht aus Furcht vor Armut; wir sorgen für sie und für euch. Sie zu töten ist wahrlich ein großer Fehler. Und nähert euch nicht der Unzucht, sie ist wahrlich eine Schändlichkeit und ein übler Weg. Und tötet nicht das Leben, das Allah unverletzlich gemacht hat, es sei denn, zu Recht. Und wer unrechterweise getötet wird, dessen Waliyy (Angehöriger im familiären Bunde) haben wir die Ermächtigung (zur Vergeltung) gegeben. Doch soll er im Töten nicht maßlos sein, denn ihm wird geholfen. Und tastet nicht das Gut der Waise an, es sei denn, zu (ihrem) Besten, bis sie die Reife erreicht hat. Und haltet den Vertrag ein, denn über den Vertrag muss Rechenschaft abgelegt werden. Und gebt volles Maß, wenn ihr messt, und wiegt mit richtiger Waage, das ist am besten und das beste Verfahren. Und verfolge nicht das, wovon du keine Kenntnis hast.Wahrlich, das Ohr und das Auge und das Herz sie alle werden zur Rechenschaft gezogen. Und laufe nicht überheblich auf der Erde, denn du kannst die Erde nicht spalten, und du kannst die Berge nicht an Höhe erreichen. Das Üble all dessen ist hassenswert vor deinem Herrn. (Surat al-Isra, Ayat 23-38) Die hier zitierten Ayat aus den drei Suren zeigen, jede von ihnen in umfassender Einheit, die verschiedenen Eigenschaften. Sie zeigen deutlich das Bild des Muslim und verdeutlichen die islamische Persönlichkeit in ihrem Wesen, das sich von anderen unterscheidet. 159 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 160 DES ISLAM Dabei wird berücksichtigt, dass es sich um Befehle und Verbote von Allah (t.) handelt. Sie umfassen Gesetze, die mit der cAqida verbunden sind, ebenso wie Gesetze, die sich auf die cIbadat, Mucamalat und A2laq beziehen. Sie beschränken sich also nicht auf ethische Eigenschaften, sondern umfassen cAqida, cIbadat und Mucamalat ebenso wie die A2laq. Es sind alle diese Eigenschaften, die die islamische Persönlichkeit ausmachen. Eine Beschränkung auf die A2laq bringt weder eine vollständige Person, noch eine islamische Persönlichkeit zustande. Damit ihr Ziel, zu dessen Erreichung sie existieren, realisiert werden kann, müssen sie auf einer spirituellen Grundlage aufbauen, nämlich der islamischen cAqida. Die Auszeichnung durch diese Eigenschaften muss also auf der Basis dieser cAqida erfolgen. Der Muslim zeichnet sich also nicht um der Wahrheitsliebe willen mit dieser Eigenschaft aus, sondern deshalb, weil Allah sie befohlen hat; selbst wenn er die Verwirklichung des ethischen Wertes im Auge hat, wenn er aufrichtig ist. Man zeichnet sich also nicht um ihrer selbst willen mit den A2laq aus, sondern aus dem Grunde, weil Allah sie befohlen hat. Der Muslim muss diese ethischen Eigenschaften aufweisen, und führt sie aus Gehorsam und Unterwerfung aus, weil sie mit der Furcht vor Allah verbunden sind. Was die Tatsache betrifft, dass sich die A2laq als Resultate der cIbada ergeben, Wahrlich das Gebet hält von Schändlichkeiten und Schlechtem ab (Surat al-cAnkabut, Aya 45) und in den Mucamalat berücksichtigt werden müssen, Der Din ist Mu camala, sie darüberhinaus allein in ihrer Eigenschaft als Gebote und Verbote Allahs zu erfüllen sind, so sind es all diese Komponenten, die sie im Muslim verankern und zu einer notwendigen Eigenschaft machen. Demzufolge ist die Verschmelzung der A2laq mit den übrigen Systemen des Lebens 160 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 161 ETHIK IM ISLAM obwohl es sich dabei um unabhängige Eigenschaften handelt eine Garantie dafür, dass sie den Muslim tugendhaft heranbildet, insbesondere deshalb, weil es sich bei der Aneignung von ethischen Eigenschaften um die Einhaltung der Befehle und Enthaltung von den Verboten Allahs handelt und nicht, weil sie ihm im Leben Schaden oder Nutzen bringen. Auf diese Weise ist die Auszeichnung des Muslim durch gute ethische Eigenschaften dauerhaft und fest - solange er an der genauen Umsetzung des Islam festhält - und wird sich nicht nach dem Profit ausrichten. Von einem Profit als Zielsetzung muss man sich klar distanzieren. Nicht dieser wird durch die Ausführung dieser Eigenschaften angestrebt, sondern ausschließlich der ethische Wert. Es ist weder der materielle, noch der menschliche oder spirituelle Wert. Diese Werte dürfen hier keinen Eingang finden, damit es nicht zu einer Verwirrung in ihrer Ausführung kommt. Es muss unbedingt auf eine Distanzierung materieller Werte von den A 2 l a q sowie darauf hingewiesen werden, dass ihre Ausführung nicht um des Nutzens und Gewinns willen vorgenommen werden darf, denn dies stellt eine Gefährdung der A2laq dar. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die A2laq keine Basis für die Gesellschaft darstellen, sondern das Individuum ausmachen. Die Gesellschaft kann daher nicht durch die A2laq reformiert werden, sondern durch islamische Ideen, Gefühle, und die Anwendung der islamischen Systeme. Obwohl die A2laq Bestandteil des Individuums sind, sind es nicht und dürfen es nicht die einzigen Faktoren sein. Vielmehr sind es die cAq a id (Glaubensgrundlagen), cIbadat, Mucamalat und A2laq gemeinsam. Derjenige, der gute A2laq aufweist, dessen cAqida aber nicht islamisch ist, kann nicht als ein gutes Beispiel angeführt werden, weil er Kafir ist und es keine größere Sünde als den Unglauben gibt. Ebenso verhält es sich mit demjenigen, der zwar gute A2laq hat, aber die cIbadat nicht ausführt oder in seinen Mucamalat nicht nach den islamischen Gesetzen verfährt. In der Verbesserung des 161 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 162 DES ISLAM Individuums muss daher das Vorhandensein der cAqida ebenso berücksichtigt werden wie der cIbadat, Mucamalat und A2laq. Gemäß der islamischen Sari ca ist es nicht zulässig, die A2laq allein unter Auslassung der anderen Eigenschaften anzustreben. Es ist, um es noch genauer zu sagen, nicht gestattet, sich vor der Gewissheit um die Glaubensgrundlage um irgendetwas anderes zu bemühen. Der grundlegende Punkt in den A2laq ist, dass sie auf der islamischen cAqida basieren müssen, und dass sich der Mumin (Gläubige) durch sie auszeichnet, weil es sich um Befehle und Verbote Allahs, des Erhabenen, handelt. B 162 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 163 WORTVERZEICHNIS (ERKLÄRUNGENZUDENARABISCHENBEGRIFFEN) cad l: im islamischen Sinne rechtschaffen, d.h. nicht sündhaft Ah ka m: (Plural von H ukm) Gesetze Ah l - u s - S u n n a : eine Gruppe von islamischen Gelehrten, die u.a. eine eigene Meinung hinsichtlich der Eigenschaften Allahs und der Frage von Schicksal und Bestimmung vertrat. A h l- u d - D i m m a: Nichtmuslime, die die Oberhoheit der islamischen Herrschaft und seines Rechts anerkennen und Bürger des islamischen Staates sind (Schutzbefohlene). A 2 l a q: (Plural von 1 uluq) Moral, Ethik cA m i l : Vorsteher eines Landkreises bzw. Distrikts ( c Im a la) Am i r u l - M u m i n i n Wörtl.: Befehlshaber der Gläubigen; Bezeichnung für den Kalifen cAq i d a Glaubensgrundlage; Überzeugungsfundament al-A m ru b i - l - M a c r uf w a - n - N a h yu c a n i l - M u n k a r Das Gute befehlen und das Schlechte verbieten 163 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 164 DES ISLAM cA4 a b i y y a Jede Art von Nationalismus, Rassismus, Nepotismus etc. Az a l i Immerwährend, ohne Anfang und Ende. Ah l-ul-Fi q h Fachleute im Bereich des islamischen Rechts. B ai c a Eid, der von den Muslimen gegenüber dem Kalifen geleistet wird. B ai c a t - u l - I n c iq a d Vollzugs-Bai c a; Eid, durch den die Muslime die von ihnen gewünschte Person als Kalifen einsetzen. B ai c a t - u 8 - 7 a c a Gehorsamkeits-Bai c a; Eid, durch den sich die Muslime dem Kalifen gegenüber zu Gehorsam verpflichten. B ait-ul-M al Schatzhaus der Muslime 5 al a l Irreführung, Abgang vom Weg des Islam Dal il Beweis D in Lebensordnung, der Islam wird als D i n bezeichnet Fat w a Rechtsgutachten 164 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 165 WORTVERZEICHNIS Far 6 Verpflichtung; Kategorie des islamischen Rechts: Das Ausführen einer solchen Handlung wird belohnt, ihre Unterlassung bestraft Fai Beute, die im G ih a d gemacht wird Fi 8 ra natürliche Veranlagung des Menschen Fik r a Idee, Gedanke Fiqh islamische Rechtswissenschaft Fut uha t (Plural von Fat h ) Eröffnung eines Gebiets für den Islam durch G ih a d G ab r i y y a Bezeichnung einer Denkrichtung, die eine bestimmte Ansicht in der Frage von Qa 6a und Qadar eingenommen hat G in a y a t Verstöße gegen die Rechte des Individuums (z.B. Körperverletzung) G iz y a Abgabe, die erwachsene, männliche, zahlungsfähige, nichtmuslimische Bürger des islamischen Staates zu entrichten haben H a 6 a ra Kultur; die Gesamtheit von Erkenntnissen (Mafahim) über das Leben 165 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 166 DES ISLAM Ha k i m der Regierende Ha g g die Pilgerfahrt H al a l das von Allah Erlaubte H ar a m das von Allah Verbotene 1air das, was Allah als gut definiert hat H ar b i y y u n Bürger einer feindlichen Nation 1 az i n a / 1 i z a na Schatzhaus, Staatsschatz 1 i l a f a r as i d a das rechtgeleitete Kalifat H u k m s ar c i islamischer Rechtsspruch; die Ansprache des Gesetzgebers (Allahs), die Handlungen der Menschen betreffend Hud ud in Qur a n und Sunna genau festgesetzte Strafen für bestimmte Vergehen cIb ad a die Anbetung Allahs 166 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 167 WORTVERZEICHNIS Ib n-us-sab il wörtl.: Sohn des Weges; derjenige, der sich nicht an seinem Wohnort aufhält und dadurch mittellos geworden ist; gehört zu den im Qur a n genannten acht Kategorien von zakatberechtigten Personen I g m a c / I g m a c-uu 4-3 a ha ba Einstimmigkeit (Konsensus) in der Rechtswissenschaft; die Übereinstimmung (Prophetengefährten) in einer Rechtsfrage islamischen der 3 a ha ba I gtih ad wörtl.: Anstrengung; hier: größtmögliche Anstrengung zur Ableitung eines Gesetzes aus den islamischen Rechtsquellen, unter bestimmten Kriterien c I l m Allahs das allumfassende Wissen Allahs cIlm azal i das ewige, immerwährende Wissen Allahs c I m a la ein Distrikt im islamischen Staat, dem ein c A mil vorsteht I s r ak / Sirk bezeichnet das Vergehen, Allah Götzen bzw. Götter welcher Art auch immer beizugesellen und nicht an Seine Einheit zu glauben K af i r Ungläubiger; jeder, der sich nicht zum Islam bekennt Ka s b i h ti y a r i auf freier Wahl beruhender Erwerb (der Handlungen) 167 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 168 DES ISLAM Kit ab Buch, Bezeichnung für den Qur a n Ku f r Unglaube, jede Überzeugung und Glaubensgrundlage außerhalb des Islam Kuff ar Plural zu Kafir A l - L a u h - u l - m a h f uz die bewahrte Tafel; bei Allah bewahrte Niederschrift aller Ereignisse, Synonym für das allumfassende Wissen Allahs Madaniyya Zivilisation; die materiellen Formen, derer man sich im Leben bedient M ad d a Materie Ma d h ab Rechtsschule Ma g l i s a l - U m m a Versammlung von Vertretern der Umma und der Ahl-u d-D imma Ma 4 la h a Interesse, Nutzen Mafh um Pl. M a f a h i m :; Verständnis, Konzept, auch Erkenntnis Das ist jener Gedanke, der sich in der Realität des Menschen wiederfindet 168 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 169 WORTVERZEICHNIS Makr uh unerwünschtes; Kategorie des islamischen Rechts: Das Ausführen einer solchen Handlung wird nicht bestraft, ihre Unterlassung aber belohnt Malb us at Kleidungsvorschriften Mand ub erwünschtes; Kategorie des islamischen Rechts: Das Ausführen einer solchen Handlung wird belohnt, ihre Unterlassung aber nicht bestraft Ma 8 c u m a t Nahrungsvorschriften Ma c a r i f Wissen (allgemein), auch Bezeichnung für Verwaltungsabteilung im Islamischen Staat, welche u.a. Moscheen betreut M a h k a m a t - u l - M a za l i m Beschwerdegericht gegen Staatsvergehen oder einer seiner Institutionen Ma s w a r a (= Su ra) Beratung allgemein, insbesondere das Zurateziehen des Ma g lis al-Umma durch den Kalifen Ma h z u r (= H ar a m) verboten; Kategorie des islamischen Rechts. Die Ausführung einer solchen Handlung wird bestraft, ihre Unterlassung belohnt Mu c a h i d u n Pl. v. Mu c a hid, Bürger von Staaten, mit denen das Kalifat 169 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 170 DES ISLAM bilaterale Verträge abgeschlossen hat Mu g t a h i d der Rechtsgelehrte, der die Fähigkeit zum I g tih a d besitzt und diese ausübt Mukallaf die geschlechtsreife, geistig zurechnungsfähige und somit zum Handeln nach den islamischen Gesetzen verpflichtete Person Mun afiq Heuchler Mu c a w i n Assistent des Kalifen, Helfer Muqallid derjenige, der mangels eigener Fähigkeit zum I g tih a d die I g tih a d a t der Mu g tahid u n befolgt M u q a l l i d c a mm i Muqallid (Nachahmer), der Rechtsspruchs nicht kennt die Beweisführung eines muqallid muttabi c Muqallid, der einem Igtihad erst nach Kenntnis dessen Beweislage folgt M u b ah erlaubt; Kategorie des islamischen Rechts: Ausführen wie Unterlassung einer solchen Handlung sind durch einen Rechtsbeweis von Allah als gleichwertig festgelegt M u w a zz af (Staats-)angestelleter, 170 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 171 WORTVERZEICHNIS Mumin Gläubiger (Muslim) Musta habb erwünscht; siehe: Mand u b Murtadd Aposthat, vom Islam Abtrünniger Mu c g i z a Wunder, übermenschliche Handlung, die ein Prophet durch die Kraft Allahs bewirkt, als Beweis der Echtheit seines Prophetentums Mu c t a z i l a Denkrichtung innerhalb des Islam, die eine bestimmte Haltung zur Frage von Qa 6a und Qadar eingenommen hat Mu c a m a l a t vertragliche Beziehungen Mustamin un Pl. v. Mustamin; staatsfremde Personen, denen das Kalifat Schutz gewährt mu 8 l a q ungebunden, uneingeschränkt; ein Mu g tahid mu 8 laq (höchste Stufe des Mu g tahid) hat seine eigene Methode in den U 4u l-ulFiqh, der Wissenschaft der islamischen Rechtsgrundlagen, und ist in seinen Ableitungen an keine Rechtsschule gebunden Mu h t a s i b Richter, der sämtliche Rechtsfälle untersucht, die das Recht bzw das Interesse der Allgemeinheit betreffen 171 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 172 DES ISLAM M a ha r i m Pl. von Ma h ram: im islamischen Recht genau bezeichnete engste Familienangehörige einer Frau, die sie nicht ehelichen dürfen, im privaten Leben sich bei ihr aufhalten und im öffentlichen Leben sie begleiten dürfen und vor denen sich die Frau in ihrer Hauskleidung zeigen darf. Ma h r a m Siehe: Ma ha rim N ah i y a r uh i y y a geistige, spirituelle Seite; die Tatsache, dass Mensch, Leben und Universum von einem Schöpfer erschaffen wurden N afila freiwillige, erwünschte, über den Far 6 hinausgehende Handlungen im Bereich der c Ib a d a t (Gottesdienst) Nah 6a geistiger Aufstieg Na 44 Offenbarungstext; im islamischen Recht bezeichnet dieser Begriff Qur a n und Sunna N i za m Ordnung Q a6i Richter Q an un Gesetz 172 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 173 WORTVERZEICHNIS Q i ma Wert einer Handlung; abhängig von der Absicht, die mit einer Handlung verknüpft ist. Diese kann materieller, spiritueller, moralischer oder humanitärer Natur sein qat c i wörtl: schneidend; mit absoluter Sicherheit feststehend; eine eindeutige, absolut gesicherte Aussage, die nicht dem I g tih a d unterliegt qa 8 c i y y u - d - D a l a la Na 44 ( A ya oder H ad it ), der in seiner Aussage eindeutig und nicht interpretierbar ist qa 8 c i y y u - t - t ub u t mit absoluter Sicherheit authentisch feststehend, Qur a n und A ha d it mutaw a tira sind qa 8 c iyyu- t-t ub u t Quwwatu-d-Dal il Stärke des Beweises, Beweiskraft Qiy as Analogieschluss; vierte Rechtsquelle des Islam Q aid Heerführer Q a 6a Schicksal; bezeichnet das, was dem Menschen widerfährt und nicht von ihm beeinflusst werden kann Qadar Bestimmung; bezeichnet die in den Dingen und im Menschen vorherbestimmten Eigenschaften 173 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 174 DES ISLAM Q a 6 i a l - Q u 6a t Oberster Richter Q u 6a t Richter, pl. von Q a6i Qaw an in Gesetze, pl. von Q a n u n Rizq bezeichnet das, was Allah den Geschöpfen als Lebensunterhalt bereitstellt Ridda Abtrünnigkeit vom Islam; Bezeichnung für eine Bewegung während des Kalifats von Ab u Bakr, die die Zahlung der Zak a t ablehnte und als Abtrünnige bekämpft wurden ( H ur u b ar-Ridda) R uh (Spiritualität, Geistlichkeit); bezeichnet das Erfassen der eigenen Verbindung zu Allah Rib a Zinsen Ray (rechtliche) Ansicht Rak c a im Gebet ausgeführter Bewegungsablauf R i w a ya nach genauen Regeln verlaufende Überlieferung 174 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 175 WORTVERZEICHNIS S u ra geschlossene Einheit von A y a t (Versen) des Qur a n Su r a Beratung S ar i c a das islamische Recht Sunna (1) Bezeichnung für die Gesamtheit dessen, was an Berichten über Aussagen, Handlungen und Stillschweigen (Bestätigung) vom Gesandten Allahs (a.s.s.) überliefert wurde; zweite Rechtsquelle des Islam; (2) Bezeichnung für eine Handlung in den c Ib a d a t, die mand u b oder n a fila - d.h. erwünscht - ist sarr das, was Allah als schlecht definiert hat 3 a ha b a Gefährten des Propheten Muhammad (a.s.s.) S ai h u - l - I s l a m Institution im Osmanischen Kalifat, Oberster Richter und Mu g tahid ta c a l a, (t.) wörtl.: Er sei erhaben, wird bei der Nennung Allahs zur Anpreisung angeführt Tabann i Adaption einer Rechtsmeinung, die dadurch für die jeweilige Person in ihren Handlungen und Äußerungen verbindlich wird, Tabann i durch den Kalifen: Adaption eines islamischen 175 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 176 DES ISLAM Gesetzes das dadurch für alle verbindlich wird Tafs ir Exegese, Erläuterung des Qur a n Taql id Nachahmung; im islamischen Recht die Befolgung von I g tih a d a t der Mu g tahid u n Taqw a Furcht vor Allah T a bi c u n auf die 3 ah a ba folgende Generation T a bi c - u t - T a bi c i n den T a bi c u n nachfolgende Generation 7 ar i q u - l - I m a n der durch Denken vollzogene Weg zum festen Glauben an den Islam 7 ar i qa Methode; die Methode muss im Islam von derselben Art wie die Fikra sein (s.o.), d.h. dieselbe Quelle haben, also aus Qur a n und Sunna entspringen cUsr Abgabe eines Zehntels vom Bodenertrag bei natürlicher Bewässerung bzw eines Zwanzigstels bei künstlicher Bewässerung als Zak a t c Uq u b a t Strafgesetze 176 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 Seite 177 WORTVERZEICHNIS Umma die weltumfassende Gemeinschaft aller Muslime Usl ub Stil; im Gegensatz zur 7 ar i qa, die durch den islamischen Rechtsspruch Gesetz genau definiert ist, ist Usl u b nach der besten Effizienz wählbar Um ar a Pl. von Am i r; Befehlshaber, Herrscher Wali Gouverneur; derjenige, der mit einer Wil a ya betraut ist W ag i b Pflicht, s.a. Far 6 W a s i la Mittel Wa 4 i y y Vormund Wak il Bevollmächtigter Wa l i y y Vormund im familieren Bund Waz ir siehe: Mu c a win W i l a ya Provinz; Regierungsbereich im islamischen Staat 177 NisamEnd.qxd 16.05.00 14:23 DIE LEBENSORDNUNG Seite 178 DES ISLAM Yaq in Gewissheit; sichere Erkenntnis, auch: rationaler (nicht übertragener) Beweis Zak at jährlich von Muslimen zu zahlende Abgabe von 2,5% des Vermögens, die an acht im Qur a n genau definierte Kategorien von Personen verteilt wird Zan i jemand, der das strafbare Vergehen der Unzucht (Zin a ) begeht zann i glaubhaft; nicht qa 8 c i § iop 178