Ethik und Beruf

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Ethik und Beruf
(Prof. Dr. Zitt)
-Ethik: Wissenschaft (Reflexionsarbeit)
-Moral: gesellschaftliche und persönliche
Wertvorstellungen und Normen,
„Konventionen“, kulturell bedingt, zeitlich
bedingt
-Ethos: gruppenspezifische
Wertvorstellungen und Normen (Berufsethos)
-Recht: verbindliche Normen
(vgl. N. Knoepffler, Angewandte Ethik, 2010, 19)
Ethik und Moral
„Ethos“ (griechisch):
„Moral“ (lat. mos):
Gewohnheit, gewohnter Sitz, Brauchtum,
Inbegriff von Einstellungen und Verhaltensweisen,
die den gemeinsamen Lebensvollzug bestimmen
und steuern.
Sitte, Brauch, Art und Weise
„Moral
entwickelt sich aus in einer bestimmten Zeit geltenden Grundsätzen
und Normen, die auf Tradition, religiösen Glaubenssätzen und
gesellschaftlichen Gegebenheiten beruhen und
das Verhalten des Einzelnen gegenüber anderen beeinflussen.“
„Ethik
ist die wissenschaftliche Analyse des sittlichen Wollens und Handelns
unter Berücksichtigung personen- und situationsbedingter unterschiedlicher
Gegebenheiten.“
(Eisenmann, Werte und Normen in der Sozialen Arbeit, 2006, S. 38)
Zitt
Metaethik
(Reflexion der Begriffe der Ethik)
Metaethik klärt
welche Begriffe wie in ethischen Diskursen verwendet werden.
z.B. „das Gute“.
-„gut“ als Werturteil im Alltag (gutes Essen)
-„gut“ im Sinne von Funktionalität (gutes Auto)
-„gut“ als Charakterbewertung (guter Mensch)
-„gute Handlung“ (im moralischen Sinne)
„Das Gute“ in der Philosophie
-Platon: Die Idee aller Ideen, höchstes Prinzip
-Aristoteles: Ziel zu dem alles strebt (Gerechtigkeit, gutes Leben)
-Kant: gut ist nur der freie, Vernunft bestimmte Wille
-Scheler: das Gute ist als objektiver Wert „fühlbar“
Deskriptive Ethik: beschreibend
Deskriptive Ethik (Eisenmann 2006, 48f.) Ist-Zustand
„Die deskriptive oder auch empirisch genannte Ethik bezieht sich
auf
- Aussagen über bestehende Moralkodices, Wertordnungssysteme
und Rechtsordnungen.
Zudem beschränkt sie sich auf die
-Beschreibung einer zu einem bestimmten Zeitpunkt existierenden
Gesellschaft – also auf die ‚Tatsachenwelt‘ –, die wiederum durch
Werte gekennzeichnet ist.
- Damit sind jene Werte gemeint, die durch ethisch seitens dieser
Gesellschaft anerkannter Normen sanktioniert werden.
- Diese Sichtweise beschreibt deren Entstehung und den jeweiligen
Stellenwert in den verschiedenen Epochen und Kulturen, ohne
durch Bewertungen und Normierungen klare Vorgaben zu
machen.“
Normative Ethik: vorschreibend
Normative Ethik (Eisenmann 2006, 51f.) Soll-Zustand
„Die normative – oder auch präskriptiv genannte – Ethik
- fragt nach Werten, die allseits anerkannt werden und
- sucht nach allgemeingültigen Normen.
- Das heißt, dass sie die Richtigkeit und Korrektheit der Aussagen
über moralische Werte und Handlungsformen untersucht.
- Von jenen Werten und Normen leitet sie die Beurteilung von
Handlungen entweder als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ ab, indem sie
kritisch-wertend vorgeht und sich damit normativ auseinandersetzt.
- Dieser ethische Typus bzw. diese Sichtweise bemüht sich
allgemeingültige Motivationen, Prinzipien und Ziele
herauszuarbeiten.“
Quellen zur Ethik
Altägyptische Weisheitslehre (1185-1000 v. Chr).
„Hilf jedermann. Befreie einen, wenn du ihn in Banden findest; sei ein
Beschützer den Elenden. Gut nennt man den, der nicht die Augen
zumacht. Wenn eine Waise sich an dich wendet, die hilflos ist, da ein
anderer sie verfolgt, um sie zu Fall zu bringen, so flieg zu ihr hin und
unterstütze sie, sei der Retter für sie. Das wird gut sein im Herzen
Gottes, und die Menschen loben es.“
(aus: Die Weisheitsbücher der Ägypter, 1997, 223; Höffe, Lesebuch zur Ethik, 5)
Archaisches Griechenland: Herodot (485-406 v. Chr.)
„Wenn einer nämlich allen Menschen auf der Welt die Aufgabe stellt und
sie aufriefe, sich die schönsten Sitten und Gebräche von all den
bestehenden auszusuchen, so würden sie sich die ansehen und jeder
würde sich die seines Volkes wählen. So fest glaubt jedes Volk, seine
Sitten seien bei weitem die besten.“
(aus: Herodot, Geschichten und Geschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1990; Höffe, 53)
Ethik als systematische Reflexion
Ethik bekommt mit dem griechischen Philosophen
Sokrates (469-399) eine neue Bedeutung.
Die Lebensform des Einzelnen und sein Gewissen
werden entscheidend: „Erkenne Dich selbst.“
Bedingung ist für Sokrates das Streben nach Selbsterkenntnis.
Es geht um die Selbstverantwortung und das radikale Fragen:
Was soll ich aufgrund meiner Vernunfteinsicht tun?
(nicht nur aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen,
nicht nur was „man“ tut)
Aristoteles (384 – 322) entwirft in seinem Werk
„Nikomachische Ethik“ um 330
Ethik als Wissenschaft und als Teil der praktischen Philosophie
Aristoteles 384-322 v. Chr.
Ethik als Wissenschaft und Teil der Praktischen Philosophie
Der Mensch ist für Aristoteles ein „zoon politikon“, ein soziales, auf das
Gemeinwesen bezogenes Wesen
Er unterscheidet drei Fragerichtungen der Ethik.
a) die Lehre von den menschlichen Verhaltensformen
b) die Ökonomik (Lehre von der Wirtschaft) als Lehre von der
Verwaltung der gemeinsamen Güter des Hauses
c) die Politik als Lehre von der Führung des Gemeinwesens.
Nikomachische Ethik:
- Teleologische (zielorientierte) Betrachtung
- Glück (Gerechtigkeit und gutes Leben) als höchstes Ziel
-Ethische Tugenden: Vortrefflichkeiten (Tapferkeit,
Freigebigkeit, Seelengröße, Großzügigkeit, Freundlichkeit..)
-Tugenden und Angemessenheit: Theorie des mittleren
Maßes („mesothes“) zwischen den Extremen
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Ethik als Wissenschaft und Teil der Praktischen Philosophie
„Die Tugend ist also ein Verhalten der Entscheidung, begründet in der
Mitte im Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Überlegung bestimmt wird
und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde. Die Mitte liegt aber
zwischen zwei Schlechtigkeiten, dem Übermaß und dem Mangel. Statt in
den Leidenschaften und Handlungen hinter dem Gesollten
zurückzubleiben oder über es hinauszugehen, besteht die Tugend darin,
die Mitte zu finden und zu wählen. Darum ist die Tugend ihrem Wesen und
der Frage nach der Wesenheit nach eine Mitte, nach der Vorzüglichkeit
und Richtigkeit aber das Höchste.“
(aus: Nikomachische Ethik, 1951, II. Buch, 1106b f.; Höffe, Lesebuch zur Ethik, 64)
„Es gibt für so gut wie jeden einzelnen und für alle gemeinschaftlich ein
Ziel, auf das gerichtet man Dinge wählt oder ablehnt; und dies ist – um es
kurz zu sagen – das Glück und die Teile davon.“
(Über das Glück, aus: Rhetorik, I. Buch, 1360b.; Höffe, Lesebuch zur Ethik, 61.1)
Immanuel Kant (1724-1804)
- Geboren in Königsberg
-Studium der Theologie, Naturwissenschaften und Philosophie
-Tätigkeit als Hauslehrer, Abschluss des Studiums, Privatdozent,
Unterbibliothekar
-31.3.1770 Professor für Logik und Metaphysik in Königsberg
-Kant stellt drei Grundfragen, die er epochemachend bearbeitet:
-1. Was können wir wissen? „Kritik der reinen Vernunft 1781“ Prinzipien
der Erkenntnis: apriori Bedingungen der Erfahrung und Erkenntnis im
Subjekt sind Raum und Zeit; Begriffe ohne Anschauung sind blind,
Anschauung ohne Begriffe ist leer; Mensch=sinnlich-vernünftiges Wesen
-2. Was sollen wir tun? „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1785“;
„Kritik der praktischen Vernunft 1788“ Prinzip des Handelns:
Kategorischer Imperativ=Prinzip des auf vernünftige Selbstbestimmung
gegründeten moralischen Handelns: „Handle so, dass die Maximen deines
Willens jederzeit zugleich als Prinzipien einer allgemeinen Gesetzgebung
gelten können“. Pflicht ist nie Mittel zum Zweck, sondern Zweck an sich.
-3. Was können wir hoffen? „Kritik der Urteilskraft 1790“: Prinzipien der
Reflexion auf Sinn sind die drei regulativen Ideen: freier Wille,
Unsterblichkeit, Gott; „der bestirnte Himmel über mir und das moralische
Gesetz in mir.“
Immanuel Kant (1724-1804)
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer
derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut
könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“
„Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung,
auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen,
den Willen bestimmen muß, damit dieser schlechterdings und ohne
Einschränkung gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe
beraubt habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes
entspringen könnten, so bleibt nichts als die allgemein
Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig, welche allein
dem Willen zum Prinzip dienen soll, d.i. ich soll niemals anders
verfahren als so, dass ich auch wollen könne, meine Maxime solle
ein allgemeines Gesetz werden.“
Ethische Ansätze bzw. Konzeptionen
- 1) Tugendethik (Aristoteles: Mesothes-Lehre, Zweck-teleolog.: Glück)
- Unterscheidung von Verstandestugenden (dianoietisch):
Vernunftorientierung des Handelns (Intellekt, Weisheit, Wiss.) und
-Willenstugenden (ethische): rechte Mitte für das Handeln (Tapferkeit,
Besonnenheit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Seelengröße etc.)
- 2) Pflichtethik (Deontologisch) (Kant: „guter Wille“)
-Vernünftige, freiwillige Einsicht in die Pflicht
-Kategorischer Imperativ
Eisenmann: 84
-„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die (von der) du zugleich
wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
-Keine Neigungsorientierung, keine Nutzenorientierung
- 3) Nutzenethik: Sozialer Utilitarismus (Bentham/Mill)
-Teleologische, konsequenzialistische Ethik, Nützlichkeitsgrundsatz:
-„Es sind unter den verschiedenen Handlungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten jene auszuwählen, die für alle davon
Betroffenen das höchste Glück bzw. den größtmöglichen Erfolg
versprechen!“ (Eisenmann, 90)
Aspekte einer Verantwortungsethik
Verantwortungsethik (Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1981)
- Zukunftswirkung der Ethik angesichts der Globalisierung und
Hochtechnisierung (z.B. Umweltethik, Staatspolitische Ethik)
-Verantwortung für die zukünftigen Generationen (Nachhaltigkeit)
Bestimmungselemente ethischer Verantwortung: (Eisenmann, 98)
- a) Jemand ist verantwortlich (Wer?)
- b) Man trägt jemandem gegenüber Verantwortung (Wem?)
- c) Man trägt für etwas Verantwortung (Wofür?)
- d) Eine handelnde Person ist aufgrund einer bestimmten
Wertvorstellung, eines Maßstabes verantwortlich (Wodurch?
Weshalb?)
- „Wer hat wofür und vor wem und nach welchen Maßstäben
Verantwortung?“ (Eisenmann, 99)
-Gesinnungsethik und Verantwortungsethik (Max Weber)
Das Beziehungsfeld der Ethik
- Ethik hat es immer mit menschlichem Handeln und mit der Verantwortung
von Menschen für ihr Handeln zu tun.
-Der Mensch lebt dabei in Beziehung mit sich selbst, mit anderen und mit
der Welt.
-Der Mensch ist einerseits von seiner Umwelt abhängig und kann sie
andererseits (kulturell) gestalten. (Individualethik)
-Die ethischen Beziehungsfelder sind in der modernen Gesellschaft immer
auch institutionell vermittelt (Ethik in und durch Strukturen).
-Ethik reflektiert deshalb auch den Verantwortungsaspekt für die
Gestaltung von Organisationen und Strukturen. (Sozialethik)
Sozialethik nach Annemarie Pieper
„Da der Mensch ein soziales Wesen ist, das, um seine
Bedürfnisse befriedigen zu können, auf die Hilfe und
Anerkennung anderer Menschen angewiesen ist, haben
sich gewisse Formen des Zusammenlebens und –
handelns etabliert bzw. institutionalisiert (Ehe, Familie,
Gesellschaft, Staat etc.).
Deren Ordnungsprinzipien sind aus den verschiedenen
ethischen Grundprinzipen Freiheit, Gleichheit,
Gerechtigkeit und Menschenwürde hervorgegangen
und gebieten damit ein Verhalten, das nicht nur das
physische Überleben der Mitglieder der Gemeinschaft
ermöglicht, sondern auch zum größtmöglichen Glück
und Wohlergehen aller beiträgt.“
(Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik, Tübungen/Basel 2003, S. 97)
Typen ethischer Begründungen
- a) Teleologisch: Zielorientiert (Aristoteles: Eudaimonia, Glück)
- Folgen des Handelns, Erfolg des Handelns
Eisenmann: 58f.:
-„Ein Handeln wird erst durch das, was es hervorbringt, sittlich gut!“
-Utilitarismus: „Ein ethisches Bemühen ist dann sinnvoll, wenn es
nach dem Glück für alle, als dem größten Nutzen strebt.“
-Sozialer Utilitarismus (Bentham/Mill)
- b) Deontologisch: Pflichtgemäße Einstellung (Kant: „guter Wille“)
-Gesinnungsethik und Pflicht (nicht Neigung, nicht Nutzen)
-Motivation: Kategorischer Imperativ, Vernunftorientiert (E: 84+85)
-„Ein Handeln wird erst durch die innere Einstellung, aus der heraus
es begangen wird sittlich gut.“ (Eisenmann 59)
- c) Axiologisch: Wertorientierung des Handelns (Husserl, Scheler)
-Phänomenologische Philosophie des 19. und 20. Jh.
-Empathie, Fühlbarkeit der Werte, Theorie der sittlichen Werte
-„Werte und die strikte Orientierung an ihnen sind das
allgemeingültige Prinzip ethisch guten Handelns.“ (Eisenmann, 61)
-Materiale Ethik in der Situation (Werte sind objektiv)
Ethik in sozialen Berufen
Ethik in sozialen Berufen setzt bei der Fähigkeit des Menschen an, sein
Handeln reflexiv, mit Vernunftargumenten zu steuern und zu gestalten.
Ethik als Wissenschaft hat eine deskriptive und eine normative Seite.
Ethik im Kontext beruflichen Handelns mit anderen Menschen beinhaltet
auch das Nachdenken über den Entwurf menschlichen Lebens als Frage
nach dem „guten“, „gerechten“, „glücklichen“ Leben.
Nach dem Sozialphilosophen Jürgen Habermas (Kritische Theorie der
Frankfurter Schule, Theorie des kommunikativen Handelns 1981) muss
ethisches Nachdenken von der Verletzlichkeit des Menschen her konzipiert
werden. Diese Verletzlichkeit ist durch ein soziales, gerechtes und gutes
Handeln in der Gesellschaft zu kompensieren.
Im biblischen Ethos spiegeln sich ethische Prinzipien wie die Parteinahme
für die Schwachen, die Achtung jedes Menschen in seiner Würde als
Ebenbild Gottes, Freiheit und Verantwortung für den Nächsten und die
Schöpfung sowie der Einsatz für Gerechtigkeit wider.
Heinz-Eduard Tödt: 6-Schritte ethischer Urteilsbildung
- 1) Wahrnehmung, Feststellung und Bestimmung eines Problems
und dessen ethischer Relevanz (konkreter Problemfall im komplexen
Gesamtzusammenhang des Lebens)
- 2) Analyse der Situation, in der das definierte Problem den/die
Betroffenen herausfordert (Faktensammlung, Selektion, Reduktion)
- 3) Erwägen der Handlungs- bzw. Verhaltensoptionen, die als sittlich
geboten erscheinen (Verhaltensweisen, Brauchbarkeit, Folgen, Normen..)
- 4) Auswahl und Prüfung von Normen, Gütern und Perspektiven, die
angesichts des bestehenden Problems relevant sind
(Verhaltensalternativen normativ prüfen, Güterabwägung)
- 5) Prüfung der sittlich-kommunikativen Verbindlichkeit der
wählbaren Handlungs- und Verhaltensoptionen (zwischenmenschliche
Dimension, kategorischer Imperativ)
- 6) Urteilsentscheid als kognitiver, voluntativer und identitätsrelevanter
Akt (immer im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit)
(7) Evaluation
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