Robert Labus Skript zur Vorlesung Elementare und analytische Geometrie Studienkolleg für ausländische Studierende Universität Kassel Wintersemester 2017/2018 Inhaltsverzeichnis 1 Elementargeometrie 1 1.1 Punkte, Geraden und Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Strecken, Halbgeraden und Halbebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.3 Dreiecke und Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.4 Winkel und Winkelmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 i Kapitel 1 Elementargeometrie 1.1 Punkte, Geraden und Ebenen Die grundlegenden Objekte der Geometrie sind Punkte, Geraden und Ebenen. Wir bezeichnen Punkte mit Großbuchstaben wie A, B, C, . . . , P, Q, . . . , Geraden mit Kleinbuchstaben wie a, b, . . . , g, h, . . . und Ebenen mit griechischen Großbuchstaben wie Γ, ∆, Θ, Λ, . . . später werden wir auch die Buchstaben E,F verwenden, wenn keine Verwechslungsgefahr mit Punkten besteht. Im Folgenden unterscheiden wir neben Definitionen (Namensgebungen) und Sätzen (nachweisbaren Aussagen) sogenannte Axiome. Die Axiome beschreiben Zusammenhänge zwischen den Objekten. Alle Sätze der Geometrie werden mithilfe der Axiome bewiesen. Die Axiome selbst stellen der Anschauung entnommene Aussagen dar, die nicht weiter beweisbar sind. Solche Axiome bilden das Grundgerüst der Geometrie und dürfen daher nicht im Widerspruch zueinander stehen. Wir verwenden die Mengenlehre, um die Aussagen der Geometrie zu formulieren. Das heißt, (a) wir fassen Geraden und Ebenen als Mengen von Punkten auf und (b) Geraden als Teilmengen von Ebenen. Wir stellen jetzt eine kleine Auswahl der Axiome vor. Die vollständige Zusammenstellung aller Axiome würde hier zu umfangreich. Wer hierzu mehr erfahren möchte, dem sei das Buch [Günter Ewald, Geometrie, VandenHoeck-Ruprecht, Göttingen 1 2 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE 1965] empfohlen. Axiom 1: Zu je zwei verschiedenen Punkten A und B gibt es genau eine Gerade g, so dass A und B auf der Geraden liegen. Aǫg und Bǫg Bezeichnung: Die Gerade g durch die Punkte A und B bezeichnen wir auch mit g = AB Axiom 2: Auf jeder Geraden gibt es mindestens drei verschiedene Punkte. Axiom 3: Es gibt drei paarweise verschiedene Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen. Aus dem Axiom 3 folgt, dass es überhaupt Punkte geben muss (mindestens drei). Ebenso folgt, dass es auch mindestens drei Geraden geben muss, denn zu jeder Auswahl von 2 der 3 Punkte gibt es nach Axiom 1 eine Gerade, welche die beiden Punkte enthält. Da die drei Punkte nicht auf einer Geraden liegen, gehört der dritten Punkt nicht zu der Geraden durch die beiden ausgewählten Punkte. Axiom 4: In jeder Ebene gibt es mindestens drei verschiedene Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen. Axiom 5: Drei nicht auf ein und derselben Geraden liegende Punkte bestimmen stets eine Ebene. Axiom 6: Zu jeder Ebene gibt es (mindestens) einen Punkt, der nicht in dieser Ebene liegt. Wir benötigen nun auf jeder Geraden noch so etwas wie eine Richtung des Durchlaufens. Dann können wir davon sprechen, dass ein Punkt A vor einem Punkt B liegt im Sinne dieser Richtung. Wir verwenden für diesen Sachverhalt die Bezeichnung A < B. Eine solche Anordnung der Punkte heißt in der Mathematik eine Relation. Axiom 7: (Anordnungsaxiome) Auf jeder Geraden g ist für ihre Punkte eine Relation „<“ („liegt vor“) definiert, so dass gilt: a) A < A gilt für kein A ∈ g (nicht reflexiv). 3 1.1. PUNKTE, GERADEN UND EBENEN b) Aus A, B, C ∈ g und A<B, B <C folgt A<C c) Aus A, B ∈ g mit A 6= B folgt entweder A<B oder (transitiv) . B<A (Linearität) . d) Aus A, B ∈ g mit A < B folgt: es gibt Punkte C, D, E ∈ g mit C <A<D <B <E. d.h. es gibt jeweils einen Punkt vor A, zwischen A und B und nach B. Aus den Anordnungsaxiomen kann man nun erste Schlüsse ziehen. Satz 1.1 Auf jeder Geraden g ⊂ Γ in einer Ebene Γ liegen unendlich viele Punkte. Beweis: Laut Axiom 3 existieren mindestens zwei Punkte A, B ∈ Γ mit A, B ∈ g . Annahme: Es existiert eine Gerade mit endlich vielen Punkten. Dann existiert bezüglich der Anordnungsrelation „<“ aufgrund der Linearität und Transitivität ein erster Punkt C ∈ g mit C<D für alle D ∈ g \{ C } im Widerspruch zum Axiom 7 d), da die Gerade g durch C und D geht und somit einen Punkt vor C enthalten muss. Somit besitzt jede Gerade unendlich viele Punkte. Satz 1.2 Es gibt in jeder Ebene Γ unendlich viele Geraden g ⊂ Γ . Beweis: Sei P ∈ Γ mit P ∈ / g. Für je zwei Punkte A, B ∈ g , A 6= B , gilt P A 6= P B, denn aus P A = P B folgt B ∈ P A und somit wegen Axiom 1 g = AB = P A und folglich P ∈g im Widerspruch zur Voraussetzung. Damit gibt es mindestens so viele Geraden durch P wie es Punkte auf der Geraden g gibt. Nach Satz 1.1 existieren demnach unendlich viele Geraden. 4 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE PA PB A g = AB B P Abbildung 1.1: Geradendarstellung 1.2 Strecken, Halbgeraden und Halbebenen Definition 1.3 Strecken Sei AB ⊂ Γ eine Gerade mit der Orientierung A < B . Dann bezeichnet [ ] AB := {X ∈ AB | (X = A) ∨ (X = B) ∨ (A < X < B)} die Strecke mit Anfangspunkt A und Endpunkt B . Soll ein Randpunkt der Strecke ausgenommen werden, dann verwenden wir runde statt eckige Klammern. ( ] AB [ ) AB ( ) AB B A Abbildung 1.2: Strecke zwischen den Punkten A und B Satz 1.4 Eine Strecke enthält unendlich viele Punkte . Beweis: [ ] Hätte die Strecke AB mit A < B nur endlich viele Punkte, so würde ein Punkt [ ] P ∈ AB \{A} mit [ P <C ] für alle C ∈ AB \{A, P } (1.2.1) 1.2. STRECKEN, HALBGERADEN UND HALBEBENEN 5 existieren. Wegen P ∈ AB existiert laut Axiom 5 d) ein D ∈ AB mit A<D<P . [ ] Folglich gilt D ∈ AB , womit ein Widerspruch zu Gleichung (1.2.1) vorliegt. Bemerkung 1.5 Satz 1.4 macht deutlich, dass es zu einem Punkt auf einer Geraden keinen Nachbarpunkt gibt. Punkte liegen auf einer Geraden nicht wie Perlen auf einer Schnur. Stattdessen befindet sich zwischen zwei verschiedenen Punkt (egal wie eng sie beieinander liegen) stets ein weiterer Punkt. Definition 1.6 Für eine Gerade g ⊂ Γ , und A, B, C ∈ g mit B < A < C bezeichnen wir mit ] BA := {X ∈ g | (X = A) ∨ (X < A)} und [ AC := {X ∈ g | (X = A) ∨ (A < X)} die negative respektive positive Halbgerade (Strahl) von g mit Anfangspunkt A . Entsprechend werden die Halbgeraden ohne den Anfangspunkt mit runden Klammern geschrieben: ) ( BA B AC bzw. < A [ ] BA AC Abbildung 1.3: Halbgerade bzgl. A und B 6 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE Ganz offensichtlich gilt hiermit die Folgerung 1.7 g = BA = AC ] [ ] BA ∪ AC = g sowie [ ] [ [ BA ∩ AC = {A} und ] AC ∩ AC = AC [ AC AC A B < C [ ] AC Satz 1.8 Jede Halbgerade hat unendlich viele Punkte. Beweis: [ Wir betrachten beispielhaft den Fall AC . Mit Axiom 7 d) existiert ein D ∈ AC mit [ ] [ [ ] A < D. Hiermit gilt AD ⊂ AC . Laut Satz 1.4 besitzt AD bereits unendlich viele [ Punkte und folglich auch AC . 7 1.2. STRECKEN, HALBGERADEN UND HALBEBENEN Jede Gerade scheint die Ebene in zwei Teile zu zerlegen. Um diese Aussage genauer zu spezifizieren, müssen wir einen Begriff einführen, der uns die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, wann zwei Punkte auf verschiedene Seiten oder der gleichen Seite bezüglich einer Geraden g liegen. Fall 1: Fall 2: B g A A g B Verschiedene Seiten Gleiche Seiten Abbildung 1.4: Lage von Punkten bzgl. einer Geraden Definition 1.9 Sei g ⊂ Γ eine Gerade und A, B ∈ Γ \ g (d. h. A, B ∈ / g) mit A 6= B , dann sagen wir, dass A und B auf derselben Seite von g liegen, wenn ] [ AB ∩ g = ∅ gilt. g ] [ AB A B Axiom 8: (M. Pasch (1843 – 1930)) Sei g ⊂ Γ eine Gerade und A, B, C ∈ Γ \ g . Schneidet g eine der drei Strecken [ ] [ ] [ ] AB , BC und AC , so noch eine weitere (siehe Abbildungen 1.5 und 1.6). Definition 1.10 Unter der offenen Halbebene (g ; A ∈ / g) bezüglich einer Geraden g ⊂ Γ versteht man die Menge aller Punkte B ∈ Γ , die auf derselben Seite wie A bezüglich g liegen. Die Menge (g ; A ∈ / g) ∪ g heißt abgeschlossene Halbebene mit Rand g. 8 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE C g A B Abbildung 1.5: Lage einer Geraden zu den Strecken zwischen den Punkten A, B und C ( A, B, C nicht auf einer Geraden ). g C B A Abbildung 1.6: Lage einer Geraden zu den Strecken zwischen den Punkten A, B und C ( A, B, C auf einer Geraden ). Definition 1.11 Mengen M1 , M2 , . . . , Mn heißen paarweise disjunkt, wenn alle paarweise gebildeten Schnittmengen leer sind, das heißt Mi ∩ Mj = ∅ für alle i 6= j, i, j ∈ {1, . . . , n} gilt. Folgerung 1.12 Jede Gerade zerlegt die Ebene paarweise disjunkt in zwei offene Halbebenen und die Gerade selbst. 1.3 Dreiecke und Kreise Definition 1.13 (Kollinear) Seien A, B, C ∈ Γ . Wenn es eine Gerade g ⊂ Γ mit A, B, C ∈ g gibt, dann heißen A, B, C ∈ Γ kollinear. Definition 1.14 (Dreieck) Seien A, B, C ∈ Γ drei verschiedene Punkte, die nicht kollinear sind. Dann heißt [ ] [ ] [ ] AB ∪ BC ∪ AC 9 1.3. DREIECKE UND KREISE [ ] [ ] Dreiecksrand mit Dreiecksseiten AB , BC [ [ ] AC . Ein P ∈ Γ heißt innerer und ] [ ] [ ] Punkt bezüglich des Dreiecksrandes, wenn P ∈ / AB ∪ BC ∪ AC (kein Randpunkt) ist und jede Halbgerade mit Anfangspunkt P genau einen Punkt mit dem Dreiecksrand gemeinsam hat. Ein Punkt Q ∈ Γ heißt äußerer Punkt bezüglich des Dreiecksrandes, wenn Q weder Randpunkt noch innerer Punkt ist. Die Menge aller inneren Punkte und Randpunkte heißt Dreieck, kurz △ABC . Die Punkte A, B, C werden als Ecken des Dreiecks bezeichnet. B Q P A C Abbildung 1.7: Dreieck △ABC Bevor wir in der Lage sind, einen Kreis einzuführen, benötigen wir zunächst einen Abstandsbegriff. Axiom 9: (Abstandsaxiom) Zwei Punkten A, B ∈ Γ lässt sich eindeutig eine nichtnegative reelle Zahl |AB| (genannt Entfernung oder Abstand) derart zuordnen, dass a) |AB| = 0 ⇐⇒ A=B b) |AB| = |BA| [ ] c) |AB| + |BC| = |AC| für B ∈ AC , C ∈ Γ \ {A} [ ] d) |AB| + |BC| > |AC| für B ∈ / AC , C ∈ Γ \ {A} (Dreiecksungleichung) gilt. Bemerkung 1.15 Für A, B ∈ Γ mit A 6= B folgt |AB| > 0 aus dem Axiom 9a) und der Eigenschaft |AB| ≥ 0 . Kreis mit Radius r um M: 10 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE r M Abbildung 1.8: Kreisdarstellung Definition 1.16 Sei M ∈ Γ und r ∈ IR≥0 (r ≥ 0) , dann heißt die Menge Kr (M) = {A ∈ Γ | |AM| = r .} Kreis mit Mittelpunkt M und Radius r. Möglichkeiten von Kreisschnitten verschiedener Kreise sind in Abbildung 1.9 (links) dargestellt. P A l Abbildung 1.9: Kreisschnitte (links), Abstand auf Halbgeraden (rechts) Axiom 10: Zwei verschiedene Kreise haben höchstens zwei gemeinsame Punkte. Es sind genau zwei Punkte, wenn zum einen Kreis mindestens ein innerer und äußerer Punkt des anderen Kreises gehört. Abstände bei Halbgeraden: Axiom 11: [ Auf jeder Halbgeraden AB gibt es zu gegebenem l ≥ 0 genau einen Punkt [ P ∈ AB mit |P A| = l . 11 1.3. DREIECKE UND KREISE Definition 1.17 [ ] Seien A, B ∈ Γ mit A 6= B . Ein Punkt P ∈ AB heißt Mittelpunkt der Strecke [ ] AB , falls |AP | = |P B| . Konstruktion 1 (Mittelpunkt) A M B Abbildung 1.10: Mittelpunktkonstruktion bei Strecken 1. Schritt: Ziehe um A und B jeweils einen Kreis mit Radius |AB| . 2. Schritt: Verbinde die Schnittpunkte der beiden Kreise. 3. Schritt: [ ] Der erzeugte Schnittpunkt mit AB stellt den Mittelpunkt der Strecke dar. Satz 1.18 Jede Strecke hat genau einen Mittelpunkt. Beweis: [ Seien A, B ∈ Γ mit A 6= B . Sei g die Halbgerade g = AB . Existenz des Mittelpunktes: Zu r := 12 |AB| > 0 existiert laut Axiom 11 genau ein Punkt P ∈ g mit |AP | = r . ] [ Annahme: P ∈ / AB [ ] Dann gilt B ∈ AP und folglich mit dem Abstandsaxiom 9c) |AB| + |BP | = |AP | , | {z } = 21 |AB| 12 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE womit 1 |BP | = − |AB| < 0 2 [ ] folgt und somit ein Widerspruch zu |BP | ≥ 0 vorliegt. Folglich gilt P ∈ AB und somit 1 |AP | +|P B| = |AB| =⇒ |P B| = |AB| . | {z } 2 = 21 |AB| [ ] Somit liegt mit P ein Mittelpunkt von AB vor. Eindeutigkeit des Mittelpunktes: [ ] Seien M, P zwei Mittelpunkte der Strecke AB , dann gilt [ ] [ ] M ∈ P B ∨ M ∈ AP . [ ] Im Fall M ∈ P B erhalten wir mit Axiom 9c) |P M| + |MB| = |P B| | {z } | {z } = 12 |AB| = 12 |AB| =⇒ |P M| = 0 [ Axiom 9a =⇒ P =M. ] Analog ergibt sich der Nachweis im Fall M ∈ AP . Zur Klassifikation von Dreiecken und Vierecken sowie zum Nachweis zentraler Sätze (z. B. Pythagoras, Thales) ist der Begriff des Winkels und des Winkelmaßes wichtig. 1.4 Winkel und Winkelmaß Winkelmaß Winkelmaß Abbildung 1.11: Winkeldarstellung 13 1.4. WINKEL UND WINKELMAß Es gibt offensichtlich zwei Möglichkeiten, einem Winkel ein Maß zuzuordnen. Um eine eindeutige Festlegung zu erhalten, werden wir den Umlaufsinn dreier Punkte betrachten. Axiom 12: (Umlaufsinn) Allen Punktetripeln A, B, C ∈ Γ mit A ∈ / BC lässt sich ein Umlaufsinn zuordnen. Das ist auf genau zwei Weisen möglich, die in Abbildung 1.12 dargestellt sind. II) I) C C A A B B ACB ABC Abbildung 1.12: Positiver (links) und negativer (rechts) Umlaufsinn Der dem Uhrzeigersinn entsprechende Umlaufsinn II wird als (mathematisch) negativ, der andere als (mathematisch) positiv bezeichnet. Definition 1.19 (Winkel) [ [ Seien S, A, B ∈ Γ , S ∈ / {A, B} und g = SA , h = SB zwei Halbgeraden mit Anfangspunkt S . Dann versteht man unter dem Winkel g h , kurz ∠ (g, h) , die Punktmenge bestehend aus der Vereinigung der beiden Halbgeraden mit der Menge aller Punkte, die überstrichen werden, wenn g gegen den Uhrzeigersinn um S auf h gedreht wird. S heißt Scheitelpunkt des Winkels ∠ (g, h) und g, h heißen Schenkel des Winkels. Beispiel 1.20 T1 , T2 , T3 ∈ ∠ (g, h) , T4 ∈ / ∠ (g, h) b) a) 14 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE 111111111h 000000000 000000000 111111111 B 000000000 111111111 T 000000000 111111111 T 000000000 111111111 S 000000000 111111111 000000000 111111111 A 000000000 111111111 T4 3 1 g T1 1111111111111111 0000000000000000 g 0000000000000000 1111111111111111 T B S A h 3 T4 c) T2 1111111111 0000000000 0000000000 1111111111 g 0000000000 1111111111 S T A 0000000000 1111111111 0000000000 1111111111 B T 0000000000 1111111111 0000000000 1111111111 h T1 3 4 Den Beispielen können wir folgende Eigenschaften der Punkte T1 , T2 , T3 ∈ ∠ (g, h) entnehmen: [ T ∈ SA oder [ T ∈ SB [ [ oder T ∈ / SA ∪ SB hat folgende Eigenschaft: a) Falls SAB einen positiven Umlaufsinn besitzt oder S ∈ AB gilt, dann haben SAT und ST B einen positiven Umlaufsinn. b) Falls SAB einen negativen Umlaufsinn besitzt, dann hat SAT oder ST B einen positiven Umlaufsinn. Bemerkung 1.21 Anstelle ∠ (g, h) wird auch häufig ∠ (ASB) mit A ∈ g und B ∈ h oder ein griechischer Buchstabe (α, β, γ, . . .) verwendet . 15 1.4. WINKEL UND WINKELMAß Axiom 13: (Winkelmaße) Sei v ∈ IR>0 , dann lässt sich jedem Winkel α eindeutig eine Zahl |α| ∈ [0, v[ zuordnen (genannt Maß des Winkels α) , so dass a) |∠ (ASA)| = 0 gilt. A S [ ] 111111111 000000000 000000000 111111111 b) |∠ (ASB)| = 21 v , falls S ∈ AB gilt. B S A c) das Maß eines Winkels gleich der Summe der Maße der Teilwinkel ist, in die er durch geeignete Halbgeraden zerlegt werden kann. In mathematischer SchreibB C S A Abbildung 1.13: Winkelunterteilung weise gilt bezogen auf Abbildung 1.13 die Darstellung |∠ (ASB)| = |∠ (ASC)| + |∠ (CSB)|. Die beiden wichtigsten Winkelmaße in der Mathematik sind das Bogenmaß und das Gradmaß. Definition 1.22 (i) Wird v = 2π gewählt, dann heißt das zugehörige Winkelmaß das Bogenmaß ∠arc . (ii) Wird v = 360 gewählt, dann heißt das zugehörige Winkelmaß das Gradmaß ∠grad . 16 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE Die Indizes arc bzw grad werden wir meistens weglassen, wenn aus dem Zusammenhang klar ist um welches Winkelmaß es sich handelt oder es nicht auf das speziell verwendete Maß ankommt. In der Mathematik wird bevorzugt das Bogenmaß verwendet, insbesondere im Zusammenhang mit trigonometrischen Funktionen wie Sinus uns Cosinus wird ausschließlich das Bogenmaß verwendet. Wir vereinbaren deshalb, dass grundsätzlich das Bogenmaß gemeint ist, wenn im Kontext nichts anderes festgelegt wird. a) |∠ (ASA)| = 0 gilt für alle Winkelmaße. A S [ b) |∠arc (ASB)| = π 2 ] , falls S ∈ AB gilt und entsprechend |∠grad (ASB)| = 180 000000000 111111111 111111111 000000000 B S A Axiom 14: [ Seien die Halbgerade g = SA und ein Winkelmaß r gegeben, dann existiert genau [ eine Halbgerade h = SB mit |∠ (g, h)| = r . Winkel die beim Schnitt zweier Geraden entstehen β γ α δ Nebenwinkel α, β β, γ γ, δ δ, α Scheitelwinkel α, γ β, δ Abbildung 1.14: Paarweise Winkelbezeichnungen Definition 1.23 (Scheitel- und Nebenwinkel) Zwei Winkel heißen Nebenwinkel, wenn ihr Schnitt eine Halbgerade und ihre Vereinigung eine abgeschlossene Halbebene ist. Zwei Winkel heißen Scheitelwinkel, wenn sie einen gemeinsamen Nebenwinkel haben. 17 1.4. WINKEL UND WINKELMAß Aus Axiom 13 c) erhalten wir offensichtlich die folgende Aussage. Satz 1.24 Die Summe der Maße zweier Nebenwinkel ist π bzw. im Gradmaß 180 . Satz 1.25 Zwei Scheitelwinkel haben gleiches Maß. Beweis: Unter Verwendung der Bezeichnungen gemäß Abbildung 1.15 erhalten wir aus β α γ Abbildung 1.15: Winkelbezeichnungen |γ| + |β| = π und |α| + |β| = π die Gleichung 0 = (|γ| + |β|) − (|α| + |β|) = |γ| − |α| . Hiermit ergibt sich |γ| = |α|. Definition 1.26 (Winkeltypen) Ein Winkel α = ∠ (ASB) heißt (a) Nullwinkel, falls |α| = 0 gilt, siehe Abbildung 1.16 (links). (b) spitz, falls 0 < |α| < π 2 gilt, siehe Abbildung 1.16 (rechts). (c) rechter Winkel, falls |α| = (Zeichen . ) (d) stumpf, falls π 2 π 2 gilt, siehe Abbildung 1.17 (links). < |α| < π gilt, siehe Abbildung 1.17 (rechts). (e) gestreckter Winkel, falls |α| = π gilt, siehe Abbildung 1.18 (links). (f) überstumpf, falls π < |α| < 2π gilt, siehe Abbildung 1.18 (rechts). 18 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE S S A B B 111111 000000 000000 111111 000000 111111 000000 111111 000000 111111 A Abbildung 1.16: Nullwinkel (links), Spitzer Winkel (rechts) B S 11111 00000 00000 11111 00000 11111 00000 11111 A 00000000000 11111111111 111111 000000 000000 111111 00000000000 11111111111 000000 111111 000000 111111 00000000000 11111111111 B 000000 111111 A 000000 111111 00000000000 11111111111 000000 111111 S Abbildung 1.17: Rechter Winkel (links), Stumpfer Winkel (rechts) 0000000000 1111111111 1111111111 0000000000 A S B 1111111111 0000000000 0000000000 1111111111 A 0000000000 1111111111 S 0000000000 1111111111 0000000000 1111111111 B 0000000000 1111111111 0000000000 1111111111 0000000000 1111111111 Abbildung 1.18: Gestreckter Winkel (links), Überstumpfer Winkel (rechts) 19 1.4. WINKEL UND WINKELMAß Definition 1.27 (senkrecht, parallel) a) Zwei Geraden AB, CD , AB 6= CD heißen senkrecht. (Zeichen: AB ⊥ CD) , wenn AB ∩ CD 6= ∅ gilt und wenn zwei Halbgeraden vom Schnittpunkt aus existieren, die einen rechten Winkel bilden. b) Zwei Geraden AB, CD heißen parallel, wenn AB ∩ CD = ∅ oder AB = CD gilt. [ [ [ ] [ ] c) Zwei Halbgeraden AB , CD bzw. zwei Strecken SA , CD heißen senkrecht, respektive parallel, wenn die Geraden AB, CD es sind. D S A B Abbildung 1.19: Senkrechte Geraden C B A D C B D A Abbildung 1.20: Senkrechte Halbgeraden und Strecken Axiom 13: (Senkrechte, Parallelenaxiom (nach D. Hilbert 1862 – 1943)) a) Zu jeder Geraden gibt es durch jeden Punkt genau eine senkrechte Gerade. b) Zu jeder Geraden gibt es durch jeden Punkt genau eine parallele Gerade. 20 KAPITEL 1. ELEMENTARGEOMETRIE