Agonistisches Verhalten in Abhängigkeit vom Geschlecht

Werbung
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
Januar 12
Agonistisches Verhalten in Abhängigkeit vom Geschlecht ist eine Ebermast unter LPA-Bedingungen möglich?
Dr. Beate Bünger, Institut für Tierschutz und Tierhaltung (FLI), Celle
Dr. Bernhard Zacharias, Dr. Peter Grün, Hansjörg Schrade, LSZ Boxberg
Nach der „Brüsseler Erklärung zu Alternativen für die chirurgische Kastration von Schweinen“ ist vorgesehen,
ab 2018 die Kastration von Ferkeln in allen Staaten der Europäischen Union abzuschaffen. Eine der vereinbarten Voraussetzung dafür ist, dass möglicherweise auftretende Verhaltensprobleme bei der Ebermast auf ein
Mindestmaß reduziert werden können. Deshalb wurde geprüft, ob und in welcher Form sich die agonistischen
Verhaltensweisen bei der Ebermast von denen der üblichen Masttiere unterscheiden und ob dadurch bei der
Mast von Ebern tierschutzrelevante Probleme auftreten.
In 3 Versuchsdurchgängen wurden insgesamt 108 Eber (E), 108 Kastraten (K) und 108 weibliche Tiere (W)
(Piétrain x Baden-Württemberg Hybriden der Boxberger Sauenherde) bei getrennt geschlechtlicher und zeitgleicher Aufstallung (12 Tiere pro Bucht; 1,2 m 2 pro Tier; Vollspaltenboden; ad libitum Fütterung, Tier-FressplatzVerhältnis 12 : 1) untersucht. Die Mast erfolgte bis zu einer Körpermasse von 115 kg was einer Schlachtmasse
von 95 kg entspricht. Der als kritisch angesehene Zeitpunkt des Rausschlachtens von 6 Tieren einer Gruppe
bildete den Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit.
In den 24 Stunden vor dem Rausschlachten waren die Summen der agonistischen Interaktionen (AI) pro Bucht
(LS-Means ± SE) bei E (141,6 ± 14,8) signifikant höher als bei K (48,7 ± 15,0) und W (52,2 ± 15,0) (p<0,0001).
Ein vergleichbares Ergebnis konnte für die 24 Stunden nach dem Rausschlachten für die verbleibende Gruppe
von 6 Tieren festgestellt werden, wobei die Häufigkeiten der Interaktionen pro Bucht durch die verringerte Tieranzahl deutlich niedriger waren. Wurde die Anzahl der Auseinandersetzungen jedoch pro Tier in 24 Stunden
umgerechnet, traten innerhalb jeder Geschlechtergruppe vor und nach dem Rausschlachten keine Unterschiede auf. In der Gruppe von 12 Tieren zeigten E im Mittel 12 und K ebenso wie W jeweils 4 Interaktionen je Tier in
24 Stunden. In der Gruppe mit nur noch 6 Tieren traten bei E geringfügig weniger AI pro Tier in 24 Stunden auf
als in der 12er Gruppe, nämlich durchschnittlich 10, während sowohl bei K als auch bei W die Anzahl der AI mit
4 pro Tier und Tag auf identischem Niveau wie vor dem Rausschlachten blieb. Die signifikanten Unterschiede
zwischen E im Vergleich zu K bzw. W blieben jedoch bestehen (Abb. 1).
Seite 1 von 6
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
16
agonistische Interaktionen pro Tier in 24 h mmm
vor dem Rausschlachten
Buchten: n = 9 Tiere pro Bucht: n = 12
nach dem Rausschlachten
Buchten: n = 9
Tiere pro Bucht: n = 6
14
a
12
a
10
8
6
b
b
b
b
4
2
0
Eber
Kastraten
weibliche
Tiere
Eber
Kastraten
weibliche
Tiere
Abb. 1: Zusammenhang zwischen Geschlecht und den agonistischen Interaktionen pro Tier in den 24 Stunden
vor bzw. nach dem Rausschlachten (a, b: Mittelwerte mit unterschiedlichen Buchstaben unterscheiden sich
signifikant).
Analog zur Gesamtsumme der AI zeigten E in den 24 Stunden vor dem Rausschlachten signifikante häufiger
die Verhaltensweisen Stoßen, Beißen, Kämpfen und Aufreiten als K und W. (Abb. 2). In den 24 Stunden nach
dem Rausschlachten war dieser Unterschied nur noch bei den Parametern Stoßen, Aufreiten und Kämpfen
nachzuweisen (Abb.3). Auch der Anteil der Tiere, die pro Bucht an den Auseinandersetzungen von jeweils zwei
Tieren beteiligt waren, wurde vom Geschlecht deutlich beeinflusst. So waren es in den 24 Stunden in den kompletten Gruppen bei E 62,4 %, bei K 32,6 % und bei W 39,0 % (p < 0,0001). Bei den agonistischen Interaktionen, bei denen beide Partner sowohl mal Angreifer als auch Angegriffener waren, betrug der Anteil bei
E 26,1 %, bei K 8,2 % und bei W 10,6 % (p < 0,0001). Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass bei E agonistische Auseinandersetzungen einen anderen Ablauf haben als bei K und W. Agonistische Verhaltensweisen haben seltener ein subdominantes Verhalten des Partners zur Folge (Wegdrehen, Flucht), sondern werden mit
aggressiven Verhaltensweisen wie Stoßen und Beißen beantwortet.
Verdrängen vom Futtertrog trat sowohl bei der kompletten Gruppe mit 12 Tieren als auch bei den 6 Tieren pro
Mastgruppe nach dem Rausschlachten relativ selten auf und ein Einfluss des Geschlechtes war zu beiden Zeitpunkten nicht zu finden (Abb. 2 u. 3). Das spricht dafür, dass bei ad libitum Fütterung das Futter auch bei einem
Tier-Freßplatz-Verhältnis von 12 : 1 keine begrenzte Ressource darstellt. Das wurde durch die Analyse des
Futteraufnahmeverhaltens untermauert, bei der festgestellt wurde, dass die Futterstation bei allen Geschlechtern jeweils 8-13 h pro Tag nicht besetzt war.
Seite 2 von 6
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
70
Eber
Kastraten
weibliche Tiere
a
b
b
a
60
Häufigkeit pro Bucht in 24 h mm
a
b
b
50
a
40
b
b
30
20
a
a
a
10
a
b
b
b
0
Verdrängen
Stoßen
Beißen
Aufreiten
Kämpfen
Abb. 2. Einfluss des Geschlechts auf die agonistischen Verhaltensweisen vor dem Rausschlachten (Erklärung
siehe Abb.1).
25
Eber
Kastraten
weibliche Tiere
a
b
b
20
Häufigkeit pro Bucht in 24 h mm
a
15
a
a
a
a
b
a
a
b
10
a
b
b
5
0
Verdrängen
Stoßen
Beißen
Aufreiten
Kämpfen
Abb. 3.: Einfluss des Geschlechtes auf die agonistischen Verhaltensweisen nach dem Rausschlachten (Erklärung siehe Abb.1).
Seite 3 von 6
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
Die Bonitur erfolgte an 5 Körperregionen (Hals/Nacken, Schulter, Flanke, Rücken und Schinken) und wurde mit
Werten von 0 bis 3 (einige Kratzer bis tiefe blutende Verletzungen) beurteilt. Die Unterschiede im aggressiven
Verhalten spiegelten sich jedoch nur bei den Körperregionen Hals/Nacken und Schinken wieder. Bei Letzterer
(Abb. 4) betrugen beispielsweise die Anteile mit leichten Hautverletzungen (Boniturwert 1) bei E 27 %, während
es bei K 4,5 % und bei W 1,3 % waren (p < 0,0005). Der Anteil der Tiere mit häufigeren oder größeren Hautverletzungen (Boniturwert 2) lag unter 3 %, tiefe Verletzungen, offene Stellen, Geschwüre und blutende Wunden
(Boniturwert 3) traten überhaupt nicht auf (Abb. 4).
120
***
Eber
***
Kastraten
weibliche Tiere
Anteil der Tiere (%)
100
80
60
***
40
***
20
0
Boniturwert 0
Boniturwert 1
Boniturwert 2
Abb. 4: Einfluss der Geschlechtes auf die Häufigkeit von Verletzungen am Beispiel der Schinkenregion
(E = Referenzkategorie; *** = p< 0,0001).
Aus den erfassten agonistischen Interaktionen (Verdrängen, Schlagen, Beißen Kämpfen und Aufreiten) in den
24 Stunden vor dem Rausschlachten wurde pro Bucht für jedes Tier der individuelle Rangindex ausgerechnet
und daraus die Rangplätze von 1 bis 12 bestimmt. Die Rangplätze 1 bis 4 wurden als „hoch“, die von 5 bis 8 als
„mittel“ und die von 9 bis 12 als „tief“ zusammengefasst. Für die Bewertung der agonistischen Interaktionen ist
insbesondere ein möglicher Zusammenhang zwischen Rangplatz und der Lebendmasse bei der Schlachtung
von Bedeutung. In der vorliegenden Untersuchung konnte jedoch kein Einfluss (p > 0,05) des Rangplatzes auf
die Körpermasse am Tag des Rausschlachtens weder für E, noch für K oder W nachgewiesen werden (Abb. 5).
Tiere, die beim Rausschlachttermin die entsprechende Körpermasse hatten, gehörten also sowohl zu der
Ranggruppe „hoch“ als auch zu den Gruppen „mittel“ und „tief“ (Abb. 5).
Seite 4 von 6
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
140
Rang 1-4 (hoch)
Rang 5-8 (mittel)
Rang 9-12 (tief)
120
Lebendmasse (kg) )
100
80
60
40
20
0
Eber
Kastraten
weibliche Tiere
Abb. 5: Zusammenhang zwischen Rangplatz und der Körpermasse am Tag des Rausschlachtens von 6 Tieren
Schlussfolgerungen
-
Beobachtungen aus der Praxis zeigen, dass Eber während der Mast unruhiger, ungeduldiger, bewegungsaktiver und aggressiver sind als Kastraten oder weibliche Mastschweine. Diese Verhaltensbesonderheiten von Ebern wurden durch die vorgelegten Untersuchungen der agonistischen Interaktionen
bei der Mast der 3 Geschlechtergruppen in der LPA Boxberg bestätigt.
-
Die Häufigkeiten, Ausprägung und Folgen dieser geschlechtsabhängigen Verhaltensunterschiede sind
in starkem Maße von den Haltungs-, Fütterungs- und Bewirtschaftungsbedingungen abhängig. Als besonders kritisch für aggressive Rangauseinandersetzungen gilt allgemein die Zeit unmittelbar nach dem
Rausschlachten der 6 schwersten Tiere einer 12er Gruppe. In der LPA Boxberg wurde jedoch keine
Zunahme der agonistischen Interaktionen nach dem Rausschlachten festgestellt.
-
Bei nur einer offenen Abruffutterstation pro 12 Masttiere hätte vermutet werden können, dass die Ranghöchsten die Rangniederen von der Futterstelle verdrängen, am meisten Futter aufnehmen und am
schnellsten wachsen, während die schwächeren immer weiter zurückbleiben. Tatsächlich war das aber
in keiner Geschlechtergruppe festzustellen, auch nicht, wie oft befürchtet, bei den Ebern. Die 6 beim
Rausschlachten schwersten Tiere hatten sowohl hohe, als auch mittlere und sogar niedrige Rangplätze.
Verdrängungen waren keineswegs die häufigsten sozialen Interaktionen und in der Häufigkeit des Auftretens bestanden keine Geschlechtsunterschiede. Das weist indirekt daraufhin, dass Futter während
der Mast in der LPA Boxberg keine begrenze Ressource darstellt.
-
Die Bonitur der Hautverletzungen in 5 Körperregionen zeigte, dass die meisten Tiere keine oder nur
wenige kleine Kratzer aufwiesen (Boniturwert 0), während tiefe Verletzungen, offene Stellen, Geschwüre oder blutende Wunden (Boniturwert 3) gar nicht zu beobachten waren. Der Anteil der Tiere mit häufigeren kleinen oder mehreren größeren Hautverletzungen (Boniturwert 2) lag unter 3 %.
-
Insgesamt ist festzustellen, dass eine Ebermast unter den LPA-Bedingungen in Boxberg durchaus
möglich ist. Bei Ebern trat im Verhältnis zu Kastraten und weiblichen Masttieren zwar eine signifikant
Seite 5 von 6
Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg
- Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht - LSZ)
höhere Anzahl agonistischer Interaktionen auf. Diese verursachten jedoch unter den gegebenen Haltungs- und Fütterungsbedingungen keine tierschutzrelevanten Probleme.
Eine ausführliche Darstellung dieser Versuchsergebnisse ist zu finden:
Bünger, B.; Zacharias, B.; Grün, P.; Tholen, E.; Schrade, H. (2011): Agonistisches Verhalten von nicht kastrierten männlichen, weiblichen und kastrierten männlichen Mastschweinen unter LPA-Standard. In: Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung 2011, KTBL-Schrift 489, 117-127
Über den Vergleich des Futteraufnahmeverhaltens von Ebern, Kastraten und weiblichen Mastschweinen unter
den LPA-Bedingungen Boxbergs wird in einem folgenden Newsletter berichtet.
Seite 6 von 6
Herunterladen