Tanja Kohlpoth Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den Internationalen Beziehungen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tanja Kohlpoth Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den Internationalen Beziehungen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsschutzgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 3- 933146-22-4 © Kassel University Press GmbH, 1999 Vorwort Einleitung 1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens 1.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften 1.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses 1.2.1 Die Definition von Theorie 1.2.2 Der Begriff der Erklärung 1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema 1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema 1.3 Kurze Zusammenfassung 4 4 10 11 19 19 22 23 2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie 24 2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs 2.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms 2.2.1 Die Definition von System 2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs 2.3 Terminologische Gesichtspunkte 2.4 Die Methoden der Systemanalyse 2.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der Sozialwissenschaften 25 26 29 32 34 35 36 3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie Der Strukturfunktionalismus 39 3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie nach T. PARSONS 3.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie 3.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften 3.3.1 Definition des Begriffs Funktion 3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie 3.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme 3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen 3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie 3.4.3 Das Sozialsystem 3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems 3.5 Das Konzept der generalisierten Medien 3.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel 3.7 Kurze Zusammenfassung 40 42 50 50 51 55 57 58 66 71 73 77 80 4. Der struktur-individualistische Ansatz 82 4.1 Grundlagen der theoretischen Konzeption des struktur-individualistischen Ansatzes 4.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen Ansatzes 4.3 Das Modell des homo oeconomicus 4.4 Das Modell des homo sociologicus 4.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Modellierung sozialer Prozesse 4.6 Die Rational Choice-Theorien 4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien 83 86 93 94 96 99 99 4.6.2 Die Theoriebildung 4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung 4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells 4.6.3.2 Der Makroeffekt im Mikromodell und das Problem der Transformation 4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie 4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen 4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion 4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion 4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion 4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion 5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und des strukturindividualistischen Ansatzes in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen 101 102 105 105 106 107 109 112 112 112 117 5.1 Die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen 5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der Internationalen Beziehungen 5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie 5.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der Systemkonzepte der Allgemeinen Systemtheorie und des Strukturfunktionalismus 5.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der Internationalen Beziehungen 5.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der Internationalen Beziehungen 5.4.1 Theorie(n) des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen 5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse 5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept 5.4.2.2 Formale Modellierung 5.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen 5.6 Die Erlangung von Kooperation 5.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich der Internationalen Beziehungen 118 Schlußwort 176 Literaturverzeichnis 121 123 127 139 154 155 157 160 162 164 168 172 i-xiii Vorwort Dieser Publikation liegt die Magisterarbeit Darstellung zweier grundlagentheoretischer Ansätze - der Systemtheorie und des struktur-individualistischen Ansatzes - und die Erörterung ihrer Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen im Rahmen der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen zugrunde. Sie wurde an der Gesamthochschule Kassel, Universität des Landes Hessen, Fachbereich 05, Gesellschsftswissenschaften, von Prof. Dr. Werner Ruf und Prof. Dr. Lothar Döhn, im Januar 1998 angenommen. Einleitung In der Politikwissenschaft können die Analysemethoden sowohl hinsichtlich der zugrundegelegten theoretischen Konzepte als auch bezüglich der Auswahl empirischer Daten unterschieden werden. Darüber hinaus ist das Forschungsinteresse an sozialen Sachverhalten auch durch die Ungleichheit metatheoretischer Fragestellungen und den damit verbundenen, teilweise auch miteinander konkurrierenden methodologischen Regeln1 gekennzeichnet. Der Status von Theorie, allgemein verstanden als Ansatzpunkt einer anwendungsbezogenen Realwissenschaft- hier der Politikwissenschaft- bedingt demungeachtet die kritische Einschätzung der Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen der praktischen Umsetzung theoretischer Erkenntnisse. Auf den Objektbereich der Internationalen Beziehungen bezogen, die auf dem außenpolitischen Entscheiden und Handeln von Staaten und Gesellschaften, d.h. der für sie handelnden Personen und Gruppen, basieren, wird die Beschreibung und Erklärung des „Wie“ und „Warum“ außenpolitischen Entscheidens und Handelns im Rahmen unterschiedlicher theoretischer Modelle erfolgen, wobei in der vorliegenden Arbeit die grundlagentheoretischen Konzeptionen der Systemtheorie und des strukturell-individualistischen Ansatzes diskutiert werden. Zwei scheinbar grundsätzlich unterschiedliche Theorieansätze hinsichtlich ihrer deskriptiven und erklärenden Kapazitäten zu erörtern, läßt sich aufgrund einiger wesentlicher Annahmen, die in beiden Konzeptionen identifizierbar sind, aber unterschiedliche Entwicklungsperspektiven der Erklärung sozialer Sachverhalte aufweisen, begründen. Da, hinsichtlich der Betrachtung systemtheoretischer Konzeptionen, der thematische Schwerpunkt in dieser Arbeit auf der Betrachtung des struktur-funktionalen Ansatzes liegt, wird auch explizit auf die Differenzierung zwischen struktur-funktionaler Systemtheorie und der Rational Choice-Theorie, als struktur-individualistischem Ansatz, fokusiert. 1 Wobei in der Literatur in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die „in der Gesamtbilanz fruchtbare Pluralität von Theorien“ (RITTBERGER 1990:12) verwiesen wird, die damit auch teilweise unterschiedliche metatheoretische Überlegungen mit einbeziehen (vgl. FREI 1977). 1 Den Ausgangspunkt markiert dabei der Sachverhalt, daß im strukturfunktionalen Ansatz PARSONS‘ zunächst - in Toward a General Theory of Action - eine, dem individuellen Handlungsakt inhärente Rationalität, eingebettet in einen sozialen Kontext aus Normen, Werten und Institutionen und der Thematisierung des Verhältnisses beider zueinander, festgestellt werden kann. Dies entspricht im wesentlichen auch der Ausgangsüberlegung von Rational Choice-Ansätzen. PARSONS modifiziert dann jedoch seinen theoretischen Ansatz dahingehend, daß er Rationalität als geschichtsabhängige gesellschaftliche Institution deutet und diese damit aus dem Bereich des Subjektiven herausnimmt. Auf die relevanten Theorieentscheidungen in den jeweiligen Ansätzen wird in Kap.5 näher eingegangen. Aufgrund beachtlicher Differenzen hinsichtlich der Definition von Theorie und des hieraus abgeleiteten Verständnisses von Erklärung wird der Arbeit ein Kapitel vorangestellt, das sich ausschließlich der Erörterung dieser Grundbegrifflichkeiten widmet. Die unterschiedlichen Orientierungen sozialwissenschaftlicher Positionen werden dabei ebenfalls kurz dargestellt, um auf diese Weise verdeutlichen zu können, welche „Perspektive“ mit welchem Theorieverständnis verbunden ist. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Grundlagendiskussion im Rahmen des Werturteils- bzw. Positivismusstreits ist jedoch nicht Anlage des Kapitels. Entwickelt werden soll statt dessen ein Grundverständnis, das die wissenschaftliche Einordnung der, in dieser Arbeit behandelten, sozialwissenschaftlichen Ansätze ermöglicht. In den weiteren Kapiteln werden die einzelnen theoretischen Konzeptionen vorgestellt, wobei in der Darstellung wesentlicher Enwicklungsschritte der Systemtheorie zunächst die überblicksartige Erläuterung der wichtigsten Begrifflichkeiten dieses Paradigmas erfolgt (Kap.2), von dem aus die Darstellung der sozialwissenschaftlichen Heuristik im Rahmen des Strukturfunktionalismus eingeleitet wird (Kap.3). Zudem erscheint es von Bedeutung auf das Programm der Allgemeinen Systemtheorie einzugehen, da im Bereich der Internationalen Beziehungen die Systemansätze auf dieses allgemeine Programm zurückgehen (Kap.5). 2 In der Erarbeitung des struktur-individualistischen Ansatzes, d.h. der Rational Choice-Theorie(n), werden neben wesentlichen Aspekten der Entwicklung des Ansatzes (Kap. 4) die Möglichkeiten der Analyse im Rahmen dieses forschungsanleitenden Programms insbesondere durch die Analysemöglichkeiten anhand spieltheoretischer Konzeptionen in den Internationalen Beziehungen vorgestellt (Kap.5). Den Abschluß der Arbeit bildet die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen der vorgestellten Ansätze im Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen (Kap.5). 3 1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens In diesem Kapitel werden überblicksartig wesentliche Aspekte der Wissenschaftstheorie im Bereich der Sozialwissenschaften angeschnitten. Der Beweggrund hierfür entwickelte sich aufgrund der Notwendigkeit der Klärung ausgewählter Positionen wissenschaftlicher Methoden, anhand derer im Rahmen der vorliegenden Arbeit sozialwissenschaftliche Aneignung von Wirklichkeit dargestellt werden wird. 1.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften Der Theoriebegriff in den Sozialwissenschaften hat viele, teilweise auch verschiedenartige Bedeutungen. Verwendet wird er sowohl als Synonym für Methodologie, Begriffsanalyse, theoretisches Modell usw., als auch für Theorie im engeren Sinn. Das Begriffsfeld Theorie läßt sich folglich in einen erkenntnistheoretischen und einen sachproblembezogenen Teil gliedern. Für den erstgenannten wäre von Wissenschaftstheorie zu sprechen, für den letzteren von Ansätzen oder Modellen. Zur Begriffsfassung Metatheorie sollen Standortbestimmung von Theorie aus der im als Vielfalt folgenden Methodologie, Paradigma2 unterschiedlicher einige zentrale Kriterien oder zur Diskussionspunkte angesprochen werden. Generell ist im Rahmen dieser Definition eine Menge von metatheoretischen Aussagen gemeint, die sich auf die bei der Analyse der 2 4 Die Diskussion über Paradigmen in den Wissenschaften begann Ende der 60er Jahre mit dem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. KUHN, wobei er im wesentlichen formuliert, daß Wissenschaft nicht eine von den Wissenschaftlern allein nach rationalen Gesichtspunkten gesteuerte Tätigkeit sei und zu immer wahreren Theorien der Natur führe, sondern schließlich nur eine modellhafte Lösung für ein wissenschaftliches Problem darstellt, welches zum Ursprung einer kollektiven Forschungstradition wird. Darüber hinaus wird in der Paradigmendiskussion die Frage nach der Bearbeitung ungelöster Probleme aufgeworfen, die zur Generierung eines forschungsanleitenden Konzepts notwendig sind (vgl. KUHN 1967). Im Rahmen der Erörterung dieser Problemstellung muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß für die Sozialwissenschaften ein rigider Paradigma-Begriff schwierig zu entwickeln ist, da der Forschungsgegenstand aus sozialen Akteuren besteht, die eine eigenständige Realitätsdeutung besitzen. Grundsätzlich muß für die Sozialwissenschaften dabei im Auge behalten werden, daß es keine unumstrittene Idee gesellschaftlicher Ordnung gibt. sozialen Wirklichkeit zugrunde gelegten wissenschaftstheoretischen Positionen beziehen (vgl. BOUDON/BAURRICAULD 1992:576ff.).3 Die Unterscheidung der einzelnen theoretischen Grundpositionen ist in der Literatur außerordentlich vielfältig angelegt. Oft wird die Differenzierung zwischen ontologisch-normativer, empirisch-analytischer und kritisch- dialektischer Theorie vorgenommen (vgl. ALEMANN 1995:124ff.). Der erstgenannte Theorietypus geht in seinen Grundannahmen davon aus, daß das Wesen der sozialen Realität objektiv richtig erkannt werden kann und auf dieser Basis die Planung und Steuerung der Gesellschaft möglich ist. Empirisch-analytische Theorien legen den thematischen Schwerpunkt auf die empirische Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Phänomene. Das Wesen von Gesellschaft wird dabei in phänomenologisch reduktionistischer Weise beschrieben. 4 Die kritisch-dialektische Theorie hat als zentralen Themenpunkt die wechselseitige Beeinflussung von Wissenschaftler und Objektbereich Gesellschaft und formuliert auf dieser Grundlage aufbauend einen emanzipatorischen Ansatz theoretischer Modelle. Sozialwissenschaftliche Konzeptionen können auch entlang der Positionen des sogenannten normativen Wissenschaftsverständnisses, dessen Vertreter neben der Erarbeitung theoretischer Lösungswege sozialer Problemstellungen auch eine Zielbegründung, im Sinne normativer Empfehlungen, anstreben, gegenüber der Auffassung von wissenschaftlichem Arbeiten im Rahmen des analytischen Wissenschaftsverständnisses, deren Vertreter formulieren, daß "normative Begründungen und Wertsetzungen nicht Aufgabe von Wissenschaft sind, weil dies logisch unmöglich sei, da sich Normen und Ziele im wissenschaftlichen Sinne nicht begründen und rechtfertigen ließen" (BÜSCHGES u.a. 1995:72f.) 3 4 Methodologie betrifft auch die Methoden der Forschung, ist aber nicht mit der Lehre von den Forschungstechniken zu verwechseln. Methodologie ist eine Metatheorie, welche sich, als Theorie über mehrere Theorien, der grundlegenden Untersuchung wissenschaftlicher Methoden widmet. Sie ist als solche Teil der Wissenschaftstheorie (vgl. LANKENAU/ ZIMMERMANN in Schäfers 1995:203). Edmund HUSSERL begründete die philosophische Richtung der Phänomenolgie, wobei wesentlich ist, die reinen Phänomen (von griechisch: phainomenon = das Erscheinende) ins Zentrum der Betrachtung zu stellen (vgl. LENK 1991:325). 5 unterschieden werden kontroversen zwischen (vgl. BÖTTCHER normativem und 1979:15ff.). Die analytischem Methoden- Wissenschafts- verständnis führten zu Beginn dieses Jahrhunderts zum Werturteilsstreit. In der Fortsetzung des Konflikts hinsichtlich des "richtigen" Verständnisses von Sozialwissenschaft kam es, in den 60er Jahren, zu einem Höhepunkt der Auseinandersetzung in den Streitigkeiten zwischen Theodor W. ADORNO (als Vertreter der Kritischen Theorie) und Karl R. POPPER (Kritischer Rationalismus) und der später, vor allem von Jürgen HABERMAS und Hans ALBERT, weitergeführten Grundsatzdiskussion über die Logik sozialwissen5 schaftlicher Forschung. Die schließlich als Positivismusstreit in die Geschichte der Sozialwissenschaften eingegangene Methodendiskussion erweitert den Bereich der Methodenstreitigkeiten insoweit, daß es "nun endgültig zu einem Kampf nicht mehr um die rechten Mittel, die wir zwecks kontrollierten Erkenntnisgewinns und zwecks kalkulierter Handlungschancen anwenden sollen, sondern unmittelbar zu einem Kampf um die Aufgaben soziologischer Wissenschaft" (BÖTTCHER 1979:10) kommt. Die Divergenzen zwischen empirisch-analytischer Wissenschaftstheorie und Kritischer Theorie beziehen sich demzufolge auf ein grundsätzlich unterschiedliches Anliegen sozialwissenschaftlicher Arbeit: Während im Rahmen des Kritischen Rationalismus die Gesellschaft empirisch erfaßt und deskriptiv bearbeitet wird, um die objektive Wirklichkeit wertfrei zu erkennen, ist die Anlage der Kritischen Theorie nicht nur beschreibend sondern emanzipatorisch tätig zu sein. Der Begründung, daß Erscheinung und Wesen gleich sind und daher bereits die Beschreibung als "Aufklärung" verstanden wird, folgt die Ablehnung normativer Empfehlungen im Rahmen des Kritischen Rationalismus. Die Kritische Theorie geht jedoch von der Annahme aus, daß Erscheinung nicht gleich Wesen ist und Theorie erklärende Funktion in bezug auf die vorfindbaren Erscheinungen haben muß. Als Folge der aufklärerischen Position Kritischer Theorie wird der Bereich der normativen Empfehlungen als Teil wissenschaftlicher Arbeit betrachtet. Die in dieser Arbeit miteinander zu 5 6 DAHRENDORF (1977) verweist auf die Ungenauigkeit der Verwendung des Begriffs Positivismus im Rahmen der Grundlagendebatte: Die Vertreter der Kritischen Theorie bezeichneten die am Streit beteiligten Vertreter des Kritischen Rationalismus als Positivisten. vergleichenden Theoriekonzeptionen, unterscheiden sich nur hinsichtlich der Mittel der Erkenntnisgewinnung, nicht jedoch in der Frage der Aufgabe sozialwissenschaftlicher Erkenntnis. Weder der struktur-individualistische Ansatz noch die struktur-funktionale Systemtheorie formulieren in ihren Annahmen eine aufklärerische Funktion im Sinne der Kritischen Theorie. Die Erklärung sozialer Sachverhalte wird sich daher, gemäß der angegebenen Differenzierung, im Rahmen dieser Arbeit explizit an ihrer Themenstellung orientieren. Die Untersuchung sozialer Sachverhalte im Rahmen von theoretischen Modellen ist weiterhin begleitet von der grundsätzlichen Kontroverse, ob soziale Phänomene nur sozial erklärbar sind und Gesellschaft demzufolge als Wesen sui generis betrachtet werden muß oder ob individuelles Verhalten gesellschaftliche Erscheinungen determiniert und diese damit vollständig oder zumindest teilweise erklärt. Die Differenzierung verläuft somit entlang einer kollektivistisch-holistischen gegenüber einer individualistischen Linie. Beide Ansätze bestehen nebeneinander und sind in verschiedenen Formen sogar miteinander kombiniert. In den Arbeiten WEBERs sind die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zur Erklärung sozialer Sachverhalte ausführlich thematisiert. Er versteht dabei soziales Handeln als ein Verhalten, dem ein subjektiv gemeinter Sinn in bezug auf das Verhalten anderer unterlegt und dadurch erklärbar ist. Sinn und Sinnzusammenhang sind somit entscheidend für das Verstehen (vgl. WEBER 6 1985:1). Neben dem subjektiv gemeinten Sinn bestehen auch kulturell und gesellschaftlich vermittelte Sinnzusammenhänge, die als Werte und Normen erfaßbar sind (vgl. WEBER 1985:4f.). Kollektive soziale Gebilde werden demzufolge nur als Kategorien für bestimmte Formen des Zusammenlebens aufgefaßt und können auf das Handeln der beteiligten Individuen reduziert werden. 6 Als Beispiel kann die Orientierung im Rahmen von Zweckrationalität angeführt werden, was in Rational Choice-Konzeptionen auch als Nutzenorientierung ausgelegt wird. 7 Demgegenüber wird z.B. in der theoretischen Konzeption DURKHEIMs der thematische Schwerpunkt auf das Zustandekommen von Strukturen, die Verhaltensregelmäßigkeiten bedingen, gelegt. Dem gesellschaftlichen Gebilde wird hierbei gegenüber der Individualebene Vorrang eingeräumt. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Positionen leitet zu einem weiteren Aspekt über, der die Unterscheidung zwischen sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Erklärungsweisen sozialer Sachverhalte thematisiert. In den Naturwissenschaften ist der Objektbereich weitgehend „unbelebte 7 Materie“, in den Sozialwissenschaften sind die Objekte hingegen Menschen . Und „Gesellschaft ist das Produkt menschlicher Handlungen, und Menschen sind in ihren Aktivitäten von Glauben und Wissen, von Selbstreflexion und Wahrnehmung ihrer sozialen Umwelt zutiefst beeinflußt.“ (WEISS 1993:1) Der Forschungsbereich sozialen Handelns umfaßt somit Handlungselemente, die nur subjektiv rational sind und daher nicht „berechenbar“. Hier schließt sich auch die Frage an, ob aufgrund des besonderen Forschungsbereichs die Sozialwissenschaften einen methodischen Sonderstatus benötigen oder ob sie den Naturwissenschaften ähnliche Forschungstechniken anwenden können. Die Orientierung an naturwissenschaftlichen Forschungstechniken basiert als Wissenschaftskonzeption auf einem mechanistisch-naturwissenschaftlichen Vorgehen, das auf die durch Beobachtung gewonnenen, positiven, Sachverhalte abzielt. Dadurch, daß Erscheinungen als Wirkungen bestimmter Ursachen aufgefaßt werden, d.h. der Herleitung von kausalen Beziehungen zwischen Erscheinungen, werden Erklärungen formuliert. Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen werden in der Regel als allgemeingültige Aussagen in Form von Gesetzen formuliert, mit deren Hilfe wiederum weitere Erscheinungen erklärt werden sollen (vgl. BÖTTCHER 1979:17). Inhaltlich wird im Rahmen dieser wissenschaftstheoretischen Linie die Position des „Erklärens“ vertreten. 7 8 Der Sozialwissenschaftler selbst ist zudem Gegenstand seines Erkenntnisbereichs und verfügt somit nicht über die Distanz des Naturwissenschaftlers zu dessen Objektbereich. Im Rahmen der Verstehenden Soziologie, als ideographische Wissenschaftsauffassung, steht hingegen die „interpretative Perspektive“ für die Erklärung sozialer Sachverhalte im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. (TREIBEL 1995:109), Ausgangspunkt ist auch hier die Darstellung empirisch vorfindbarer sozialer Tatbestände, aber aufgrund des deskriptiven Untersuchens von Einmaligem, d.h. Individuellem, sollen interessierende soziale Sachverhalte 8 nicht nur kausal erklärt, sondern auch teleologisch verstanden werden. Die interpretative Dimension sozialen Handelns (gegenüber der kausal- analytischen Erklärweise) wirft die Frage auf, ob eine andere Logik der Erklärung zugrunde gelegt werden muß. Die Berücksichtigung der subjektiven Konstruktionen erster Ordnung der Akteure könnten auch nicht-objektive Konstruktionen zweiter Ordnung bedingen. WEBER gibt in diesem Zusammenhang an, daß das Subjekt des Sozialen mit den gleichen Methoden angegangen werden muß, wie sie für alle Wissenschaften gelten. Die Konstruktionen zweiter Ordnung müssen rational sein, auch wenn die Konstruktionen erster Ordnung, auf denen sie beruhen, nicht-rational/nichtlogisch sind. Damit kann auch der Komplex sozialen Verhaltens logisch erfaßt und dargestellt werden, der scheinbar irrationalen Motivationen unterworfen ist (vgl. ESSER 1993:84). Die genannten methodologischen Aspekte sozialwissenschaftlichen Arbeitens bedingen ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der Konstruktion theoretischer Modelle, was im folgenden dargestellt wird. 8 Der Objektbereich der Sozialwissenschaften besteht neben beobachtbaren Merkmalen (im positivistischen Sinn des empirisch nachweisbaren) auch aus Ideen und Motiven der 9 1.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses Jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist eine Theorie vorangestellt - ganz gleich wie deutlich sie formuliert wird - denn Theorie „[...] dient der Präzisierung der Fragestellung und der Rekonstruktion Nachbildung - des Untersuchungsgegenstandes, des Erkenntnisobjektes.“ (KONEGEN/SONDERGELD1985:138) Theorie kann somit verstanden werden als Bezugsrahmen, der einen bestimmten interessierenden Sachverhalt in einer bestimmten Weise fokusiert und festlegt, welche Informationen als relevant bzw. irrelevant für die Untersuchung gelten sollen. Die aufgenommenen Informationen müssen darüber hinaus in eine Ordnung, d.h. systematischen Zusammenhang gebracht werden, was bedeutet, „daß den als relevant ausgewählten und zu ordnenden Fakten ein Sinn zugrunde gelegt wird.“ (FREI 1977:14) In der darauf folgenden Interpretation der ausgewählten Informationen liegt die Erklärungsfunktion von Theorie (vgl. FREI 1977:13 f.). Die Betrachtung sozialer Sachverhalte ist darüber hinaus durch zeitliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen bzw. Kontexte bedingt. Theorien enthalten somit Traditionen und formulieren Interessen. Auf diese Weise beeinflussen sie den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sie wirken. Eine grundlagentheoretische Auseinandersetzung im Rahmen (politik-) wissenschaftlicher Theorien setzt voraus, den Begriff Theorie zunächst zu bestimmen und weiterhin Merkmale von Theorie(n) darzustellen. Im Auge behalten werden muß auch, daß Theorien zur Erklärung interessierender sozialer Tatbestände dienen und erst über eine grundlegende Verständigung hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassungen von Erklärung in theoriespezifische Diskurse eingeleitet werden kann. Menschen, die es bedingen die kausale Verknüpfung durch Interpretation zu erweitern. 10 1.2.1 Die Definition von Theorie Der Begriff Theorie leitet sich vom griechischen theoria ab (das Anschauen, das Betrachten von etwas; theorein: anschauen). Gegenüber der Praxis (griechisch. praxis: Das Handeln, die Tat) und Empirie (griechisch: empeiria: Erfahrung, Übung) nimmt Theorie somit einen abstrakteren Charakter an. Unter Theorie im engeren Sinn ist die dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß nachgebildete Form der Abgrenzung, Einheitlichkeit und Überprüfbarkeit des Aussagezusammenhangs hinsichtlich einer Menge von Aussagen, die ein System bilden, aus dem sich empirisch überprüfbare Folgerungen ableiten lassen, zu verstehen (vgl. SCHÄFERS 1995:314). In der Ausformulierung dieser Auffassung wird Theorie als ein System logisch widerspruchsfreier und empirisch aussagekräftiger Hypothesen, das Basisannahmen (Axiome) enthält, aus denen weitere Aussagen abgeleitet werden können, definiert. In diesem Sinn bedeutet Theorie eine Menge empirisch überprüfbarer Aussagen über die Wirklichkeit. Das Spektrum der Anwendung von Theorien reicht von der Analyse des individuellen sozialen Handelns über die Untersuchung von Gruppen und Institutionen bis zum Versuch der Erklärung der Entstehung, Strukturiertheit und dem Veränderungsprozeß der verschiedenen gesellschaftlichen Zusammen-schlüsse. Hier ist wieder eine wesentliche Komponente der Paradigmen-diskussion angesprochen: Eine derartige Themenvielfalt kann kaum von einer Metatheorie erfaßt und bearbeitet werden. 9 Neben der Definition des Begriffs Theorie müssen im Rahmen der Beschreibung einer solchen ihre Haupteigenschaften und somit auch die Definition der in der Theorie enthaltenen Begriffe erörtert werden. Da in den Sozialwissenschaften zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Theorie unterschieden werden muß, behandelt der folgende Abschnitt das Verständnis 9 von Theorie zunächst nach den Gesichtspunkten, wie Hinsichtlich der Inhalte von Theorien finden sich Unterscheidungen in: Systemtheorien, Gesellschaftstheorien und Verhaltens- und Handlungstheorien als auch Kombinationen dieser (vgl. GUKENBIEHL/SCHÄFERS in Schäfers 1995:316). 11 beispielsweise HOMANS (1972) sie formuliert und nach denen unter Theorie die Erklärung eines Phänomens mit Hilfe eines deduktiven Systems verstanden werden soll. Demgegenüber steht die Auffassung von Theorie, wie sie im Werk Talcott PARSONS’ ausgearbeitet ist. Für HOMANS gehören zu den allgemeinen Merkmalen von Theorie zunächst eine Reihe von Begriffen (bzw. ein Begriffsschema). Einige der Terme im Schema klassifiziert er als deskriptive Begriffe, die aufzeigen, worauf Bezug genommen wird (z.B. Individualismus oder Kollektivismus etc.). Diese Begriffe werden durch die Kriterien, nach denen Beobachtungen unter ihnen subsumiert werden, definiert.10 Eine zweite Kategorie bezeichnet er als operative Begriffe, die Eigenschaften der Realität benennen. Diese Eigenschaften sind Variablen, die Wahrscheinlichkeiten sein können, so z.B. Nutzenmaximierung oder Erhaltung des Systemgleichgewichts. Die Variablen können stetig Veränderliche sein oder lediglich zwei Werte annehmen. 11 Eine Theorie besteht, nach HOMANS, darüber hinaus aus einer Reihe von Hypothesen, von denen jede eine Beziehung zwischen mindestens zwei Eigenschaften feststellt.12 Diese Hypothesen bilden ein deduktives System13, wobei einige der Hypothesen kontingent sein müssen.14 Hinsichtlich ihres Allgemeinheitsgrades können sich die Hypothesen unterscheiden. Die Unterschiede leiten sich aus den Bezügen ab, so beispielsweise hinsichtlich einer bestimmten Gesellschaft, einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Einheit auf die näher eingegangen werden soll (vgl. HOMANS 1972:10) Die allgemeineren Hypothesen werden Hypothesen höherer Ordnung genannt, 10 Wichtig ist, daß die Operationen, die durch solche Begriffe definiert werden unabhängig sind von denjenigen, die durch andere Begriffe definiert werden. 11 Eine Eigenschaft ist vorhanden oder sie ist es nicht. 12 Alle Verknüpfungen von Aussagen müssen logisch konsistent sein. 13 Die Reihe der Hypothesen bildet den theoretischen Kern und entsprechend den Festlegungen des Theoriekerns, müssen Hypothesen in logischer Folgerung auseinander abgeleitet werden können. Wenn Hypothesen so deduziert wurden, sagt man sie seien erklärt. HOMANS resümiert: “Eine Theorie ist nichts wenn sie keine Erklärung ist“ (1972:10). 14 HOMANS verwendet den Begriff Kontingenz in der Weise, daß für die „Wahrheit oder Falschheit oder für die der aus ihnen abgeleiteten Hypothesen die Erfahrung von Bedeutung ist (vgl. 1972:10). Nicht-kontingente Hypothesen werden in den Kalkül eingeführt um die Deduktion zu vereinfachen. Nicht-Kontingenz bedeutet hier Wahrheit aus rein logischen Gründen. 12 die weniger allgemeinen Hypothesen niederer Ordnung oder empirische Hypothesen (vgl. HOMANS 1972:11). Eine Theorie kann in der Zuweisung von Hypothesen unterschiedlich angelegt sein. Gewöhnlich spricht man von einer Theorie, wenn eine Klasse von Phänomenen behandelt wird. Dem zugrundeliegenden Verständnis folgend kann Theorie verstanden werden als ein Bündel von deduktiven Systemen, welche sich zwar hinsichtlich ihrer Hypothesen niederer Ordnung einschließlich der zu erklärenden Hypothese differenzieren, die jedoch eine oder mehrere Hypothesen höherer Ordnung gemeinsam haben (vgl. HOMANS 1972:11). Somit kann eine Vielzahl empirischer Hypothesen aus einer kleinen Anzahl von Hypothesen höherer Ordnung unter verschiedenen Randbedingungen abgeleitet werden. Dies umfaßt in der Gesamtkomplexität und Ausformulierung dann den Gehalt einer Theorie. Im Rahmen dieser Auffassung finden sich in der Entwicklung einer Theorie folglich Begriffe und Hypothesen, die hinsichtlich der Leistung an ihrer Deduktionsfähigkeit gemessen werden können. Die Darstellung der Merkmale von Theorie verweist auf eine wesentliche Schlußfolgerung, denn „Als Ideal unterscheidet sich das Wesen von Theorie, von Erklärung, in den Sozialwissenschaften nicht von den Naturwissenschaften [...]. Die beiden Gebiete unterscheiden sich natürlich in der Art der Hypothesen, die in ihre deduktiven Systeme eingehen, keineswegs jedoch darin, daß deduktive Systeme gemeint sind, wenn von Theorien gesprochen wird.“ (HOMANS 1972:15) Demgegenüber formuliert PARSONS ein Verständnis von Theorie, das im wesentlichen auf drei Funktionen begründet ist: „First, it should aid in the codification of our existing concrete knowledge.“ (PARSONS 1953:3) Dabei geht es PARSONS um die Bereitstellung von generalisierenden Hypothesen, die eine systematische Reformulierung von bestehenden Tatbeständen ermöglichen. Hierbei sollen Teilhypothesen erweitert und im 13 Rahmen von umfassenderen Konzepten verknüpfbar gemacht werden. Das entstehende Kodifikationsschema „[...] will help to promote the process of cumulative growth of our knowledge.“ (PARSONS 1953:3) Dabei verweist PARSONS auch auf die Möglichkeit der Verdeutlichung von „points where further work must be done.“ (PARSONS 1953:3) Die zweite Funktion von Theorie lokalisiert PARSONS den Aspekt, daß Theorie als Leitfaden der Forschung zu dienen hat. Als wesentliches Kriterium führt er die einheitliche Nutzung von Forschungsstrategien an, die zur „validation and revision of the theory“ (PARSONS 1953:3) führen sollen. Die Möglichkeit im Rahmen einer umfassenden Theorie Teilanalysen eine verläßliche „control of the biases of observation and interpretation“ (PARSONS 1953:3) zu liefern, wird als dritte Funktion von Theorie gekennzeichnet. In der Zusammenfassung der drei Funktionen kann formuliert werden, daß Theorie als „Gesamtheit allgemeiner Begriffe, die logisch interdependent sind und einen empirischen Bezug haben“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31) aufgefaßt werden kann. Die logische Geschlossenheit der Gesamtkonzeption ermöglicht im Idealfall ein Ausmaß logischer Integration, in dem „[...] jede logische Implikation aus einer beliebigen Kombination von Sätzen des Systems in einem anderen Satz des gleichen Systems ausdrücklich festgestellt wird.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31f.) 14 Ein hochentwickeltes theoretisches System kann weiterhin eine Vielzahl verschiedener allgemeiner Begriffstypen umfassen, die zudem unterschiedliche Funktionen aufweisen können. Nach PARSONS gehört zu den wichtigsten Funktionen von Theorie: 1. die Beschreibung der Sachverhalte 2. die Analyse derselben woraus er ableitet, daß Analyse nur nach genauer Beschreibung der wesentlichen Tatsachen möglich ist. Als Grundkategorie aller wissenschaftlichen Deskription legt er das empirische System als Explanandum zugrunde (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:32). Hierbei nimmt er Bezug zur Relation zwischen der Tatsachenfeststellung und der ihr nachfolgenden theoretischen Begriffsbildung, die selektiv erfolgen muß und dennoch ein möglichst kohärentes Ganzes ergeben sollte. Die Angemessenheit der Deskription läßt sich nach PARSONS zeigen, wenn „auf alle in dem jeweiligen Zusammenhang wissenschaftlich wichtigen Fragen genaue und verifizierbare Antworten gegeben werden können“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:32), Auf der Ebene der Beschreibung lokalisiert PARSONS dann zwei Elemente, die die Funktion eines allgemeinen Begriffsschemas erfüllen: 1. einen Bezugsrahmen bzw. ein Kategorienschema, innerhalb dessen sich die wissenschaftliche Untersuchung verortet (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:33). Wesentlich ist dabei, daß „[...] für eine begrenzte Anzahl von Grundkategorien bestimmte Werte festgestellt worden sein müssen, ehe man von einer genauen Beschreibung sprechen kann.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:33). 2. Die Erscheinungen, die zusammenhängend ein System bilden weisen auch auf der strukturellen Ebene Zusammenhänge auf (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:34). 15 Die Strukturkategorie dient dabei zur Beschreibung der wesentlichen Sachverhalte und schafft die Ausgangsposition für die Lösung von Problemen in der dynamischen Analyse. PARSONS differenziert hier die kausale Erklärung von der Auffindung von Gesetzen. Beide Aspekte werden aber in der Zielperspektive wieder zusammengeführt (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:34). Das Kennzeichen der dynamischen Analyse ist dann: „eine Reihe interdependenter Erscheinungen simultan im Sinn der Mathematik zu formulieren“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:35) und dies als Differentialgleichungssystem wiederzugeben. Um eine solche Ebene erreichen zu können, glaubt PARSONS zwei Voraussetzungen in seinem theoretischen Konstrukt erfüllt zu haben: 1. Variablen müssen empirischen Charakter haben und 2. sie müssen so beschaffen sein, daß bestimmte Techniken auf sie anwendbar sind (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:36). Die Problemperspektive, die hier entsteht erfaßt PARSONS folgendermaßen: „Dieser Art der analytischen Behandlung sind jedoch nur ganz bestimmte Variablen zugänglich - nämlich solche, die nur ihren numerisch quantitativen Wert entlang eines Kontinuums verändern.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:36) Eine erfolgreiche dynamische Analyse kann sich daher nur über die „ständige systematische Rückbeziehung jedes Problems auf den Zustand des Systems als Ganzem“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:36) ergeben. Sollte dies nicht möglich sein, schweift er ab, soll eine methodische Vereinfachung vorgenommen werden: „Logisch ist dies nur in der Form möglich, daß man einigen allgemeinen Kategorien die Rolle von Variablen entzieht und sie als Konstante behandelt. Genau dies tut ein analytisches System wie die Mechanik mit gewissen 16 Elementen außerhalb des Systems, die als Bedingungen behandelt werden. Das gleiche ist jedoch auch innerhalb des Systems logisch möglich. Die Verwendung von strukturellen Kategorien bei der Behandlung dynamischer Probleme erfüllt im wesentlichen diese Funktion.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:37). Sie, so führt PARSONS aus, kann somit als Vereinfachung der dynamischen Elemente betrachtet werden, wobei auf die Möglichkeit einer mathematischen Analyse verzichtet wird (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:37). Das Problem, das dabei entsteht, reduziert sich in seinem Ausmaß wiederum dadurch, daß immer die Beziehung von Teil zum Ganzen thematisiert wird. „Denn die Struktur eines Systems, wie sie durch ein allgemeines Begriffsschema beschrieben wird, ist ein echtes technisch-analytisches Werkzeug.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:37) Ableitend aus mechanistischen Systemvorstellungen kann er so ein Fundament der Erklärung schaffen und faßt zusammen: „Es gibt die Gewähr dafür, daß nicht wirklich wichtiges Wichtiges vernachlässigt wird; und indem es einen festen Zusammenhang schafft, trägt es zur Genauigkeit der Problemstellungen und Lösungen bei.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1963:37) Während er die Art der Struktur als selbständiges theoretisches Element für die Beschreibung des Systems aus mechanistischen Vorstellungen ableitet, zergliedert er es auf dynamischer Ebene in Prozeß und Interdependenz. Damit werden diese Aspekte zu wichtigen Kategorien seines theoretischen Modells. Struktur bezeichnet dabei die relative Stabilität und Gleichförmigkeit im Ergebnis bestimmter zugrundeliegender Prozesse. Weiterhin wird der Begriff der Funktion ein wesentliches Element der theoretischen Konzeption und PARSONS verdeutlicht dies folgendermaßen: „Führt man die Struktur eines Systems als einen positiven Grundbestandteil in die dynamische Analyse ein, so müssen diese >statischen< Strukturkategorien und die jeweiligen, sich aus ihnen ergebenden Tatsachenfeststellungen auf irgendeine Weise mit den dynamisch variablen Elementen des Systems verknüpft werden.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:38) 17 Wichtig ist hierbei, daß PARSONS Kriterien für die Wichtigkeit der unterschiedlichen dynamischen Faktoren und Prozesse innerhalb des Systems festlegt. Sie sind von funktionaler Bedeutung für das System und ermittelbar aus der „Analyse der jeweiligen funktionalen Beziehungen zwischen den Teilen des Systems, sowie dem System und seiner Umgebung.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:38) Über den Begriff der Funktion kann PARSONS auch die Dynamik des empirischen Systems verdeutlichen, denn Struktur meint Zusammenhänge innerhalb von Grenzen, Funktion verdeutlicht eine Entwicklungsperspektive. Auch wenn PARSONS den teleologischen Charakter dieser Annahme erkennt denn Prozesse können funktional oder dysfunktional verlaufen - ist hierbei vordergründig wichtig, daß das funktionale Moment in seinem ganzen Umfang „[...] das logische Äquivalent für die Simultangleichungen in einem voll entwickelten System der analytischen Theorie dar[stellt/Anm/TK].“ (PARSON in Rüschemeyer 1964:38) Auf diese Weise kann schlußfolgernd auch ohne entsprechende mathematische Techniken die dynamische Interdependenz variabler Faktoren in einem System analysiert werden. Theorie hat damit als Hauptfunktion die vollständige Beschreibung, aufgrund derer die Interpretation des interessierenden Sachverhalts erfolgt. Systeme enthalten dabei eine dysfunktionale funktionale Kategorie, die mit strukturellen Kategorien verknüpft werden müssen, d.h. „sie müssen Prozesse beschreiben, die diese bestimmten Strukturen erhalten bzw. abbauen und die Beziehungen des Systems zu seiner Umwelt vermitteln. Dieser Aspekt des Systems muß gleichfalls in dem oben beschriebenen Sinne vollständig sein“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:39) um darüber zu einer Interpretation zu gelangen. 18 PARSONS rekurriert in der Darstellung der Konzeption seines Theoriebegriffs auf Systeme der Physiologie und Psychologie, die beide als Bezugspunkt einen Organismus haben. Und verdeutlicht „Die Kriterien für die Bedeutung von Prozessen [...] und ihrer dynamischen Interdependenz ergeben sich aus ihrer Funktion in Bezug auf die Erhaltung dieser Struktur in einer gegebenen Umwelt.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:39) 1.2.2 Der Begriff der Erklärung Die Lösung sozialer Problembereiche erfordert eine Antwort auf die Frage, warum der interessierende Sachverhalt so besteht, so funktioniert und sich gegebenenfalls so verändert, wie es erfaßt worden ist (vgl. ESSER 1993:39ff.). Das der Erklärung zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis determiniert die Formulierung der Antworten. In den Sozialwissenschaften werden dabei verschiedene Erklärungsschemata von einander differenziert. 1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema Das Grundschema der Erklärung orientiert sich hier an dem von HEMPEL und OPPENHEIM (vgl. ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:101ff.) entwickelten Konzept der deduktiv-nomologischen Erklärung. 15 Die Erklärung eines Phänomens bedeutet hier, daß das zu erklärende Phänomen als Folge bestimmter kausaler Ursachen zu erkennen ist. Im Zentrum steht die Frage warum das explanandum-Ereignis geschah. Den Ausgangspunkt bildet die genaue Deskription, wobei es sich meist um Einzelfallanalysen handelt, die die 15 In der Literatur auch als Hempel-Oppenheim-Modell oder H-O-Schema bekannt. Diese Konzeption von Erklärung hat man auch als covering law model oder deduktives Erklärungsmodell bezeichnet. Ursprünglich nur für die Erklärung naturwissenschaftlicher Phänomene entwickelt, antizipiert dieser Erklärungstyp deterministische Gesetze und ist in der Übertragung auf die Gesellschaft umstritten, da für den Bereich der Sozialwissenschaften die Annahme einer interpretativen Dimension aller sozialen Prozesse besteht, vor deren Hintergrund jede kausale Erklärung in wichtiger Hinsicht unvollständig bleiben muß (vgl. ESSER 1993:40, vgl. auch ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:106f.). 19 Eingrenzung eines Phänomens auf zeitliche, räumliche und situative Konstellationen vorsieht. Das Schema entwickelt sich sodann wie folgt: Das Explanandum umfaßt die Beschreibung des Phänomens des „zu erklärenden“. Und im Explanans sind die Aussage über das Explanandum in einer Klasse von anderen Aussagen logisch enthalten (vgl. ESSER 1993:40f.). Das Explanans hat darüber hinaus zwei Bestandteile: allgemeine Gesetze, die Ursachen und Konsequenzen (Folgen) in „wenn dann“ Gesetzen verbinden, indem Folgen als Funktion der Ursachen benannt und als Kausalbeziehung(en) aufgefaßt werden und Randbedingungen (engl. initial conditions), d.h. Beschreibungen, daß die Ursachen (singuläre Ereignisse) tatsächlich vorliegen (vgl. ESSER 1993:41). „Die Erklärung eines Explanandums ist dann erfolgt, wenn es ein Gesetz gibt, daß das Explanandum allgemein als Folge der Randbedingungen aufführt, und wenn gezeigt werden kann, daß die im Gesetz für diese Folgen geforderten Randbedingungen im speziellen Fall auch wirklich erfüllt waren.“ (ESSER 1993: 41). Zusammenfassend läßt sich für das Prinzip der Erklärung folgendes angeben: Das Explanadum E(i) ist eine Aussage über ein zu erklärendes Phänomen, welches in einem Satz von Aussagen über allgemeine Gesetze L1, L2, L3...Lr und in einem Satz über relevante Randbedingungen C1,C2,C3...Ck aufgeführt werden kann. Die Erklärung von E(i) ergibt sich somit aus L1, L2, L3...Lr und C1, C2, C3...Ck. Gemäß den Bedingungen, daß 1. das E(i) im Explanans tatsächlich enthalten sein und aus den Aussagen schlüssig folgen muß und 2. das Explanans ein allgemeines Gesetz enthalten, empirisch Gehalt besitzen und somit überprüfbar ist, müssen außerdem die Aussagen im Explanans wahr sein, als auch das Explanandum selbst, um eine ausreichende Erklärung interessierender sozialer 20 Sachverhalte liefern zu können.16 Gilt das Gesetz (welches im Explanans formuliert wurde) und bestehen tatsächlich die Randbedingungen muß das Explanandum vorliegen. Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Erklärungsversuch gescheitert. Für den Bereich der Naturwissenschaften, d.h. den Typ der kausal-analytischen Erklärung, mutet die Anwendung dieses Schemas der Erklärung noch recht einfach an. Im Bereich der sinnhaften Handlungen sind kausale oder allgemeine Gesetze aber nicht ohne weiteres auszumachen. Die Erklärungen über interessierende Phänomene in den Sozialwissenschaften müssen daher Besonderheiten aufweisen, die in ihrer Entwicklungslinie nur von differenzierten Ausgangsbedingungen her interpretiert werden können. Die zentrale Überlegung ist, ob die erforderlichen Bedingungen für das Explanans gefunden werden können, um das Explanandum zu erklären? Von Bedeutung ist an dieser Stelle zu erwähnen, daß es keinerlei ontologischen oder methodologischen Zwang zu einer Entsprechung der logischen Form der Theorie und des Inhaltes des Explanandums gibt. 17 Theorie und Wirklichkeit müssen sich nur gleichen, um zu Erklärungen zu verhelfen. Theorien sind aufzufassen als bewußt konstruierte Vereinfachungen zur Erklärung bestimmter Phänomene und daher niemals mit der Realität gleichzusetzen. Es interessieren nur bestimmte Zwecke und für diese müssen Theorien (nur) isomorph mit der Realität sein, jedoch keineswegs identisch. Die Besonderheit des Objektbereichs der Sozialwissenschaften liegt im Rahmen der Untersuchung von handlungsfähigen Subjekten, die mit ihrem Handeln einen subjektiven Sinn verbinden und anhand des deutenden Verstehens im WEBERschen Sinn, das hier als Orientierung dient, erfaßt werden kann. 16 Dies sind nach HEMPEL/OPPENHEIM die vier Adäquatheitsbedingungen, die bei einer angemessenen Erklärung erfüllt sein müssen. Darüber hinaus umfassen Tiefenerklärungen die Reduktionen des spezielleren auf das allgemeine Gesetz und dienen so zur Integration von nebeneinander stehenden Einzelphänomen. Der logische Gehalt einer Tiefenerklärung gibt an, wann eine Variante des Gesetzes gilt und wann nicht. Damit ist ebenfalls eine Spezifikation der Folgen für die gegebenen Randbedingungen angelegt (vgl. ESSER 1993:43ff.). 17 Die Vorstellung, daß sich die inhaltlichen Strukturen eines Gegenstandes in den formalen Strukturen der Theorie manifestieren müssen geht auf ARISTOTELES zurück. Die Problematik einer solchen Auffassung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Theorien über komplexe Sachverhalte gemäß dieser Annahme dann selbst komplex sein müßten. Oder Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit nur erfaßbar werden, wenn eine Theorie selbst Widersprüche enthält (HEGEL) (vgl. ESSER 1993: 49ff.). 21 Daraus folgt, daß die objektive Modellierung sozialer Vorgänge, die als Grundmodell der sozialen Erklärung dient, folglich die naturwissenschaftliche Erklärungsweise erweitert zur analytisch-nomologischen Erklärung. 1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema Funktionalistische Erklärungen in den Sozialwissenschaften beruhen auf der Verknüpfung eines Handlungskonzepts mit dem Modell des sozialen Systems, wobei der Gleichgewichtszustand desselben im Mittelpunkt der theoretischen Untersuchung steht (vgl. SCHÜTTE 1971: 28). Zentral ist hierbei der Begriff der Funktion im Zusammenhang mit dem der Struktur, wobei die Strukturkomponente dem Funktionsaspekt vorgelagert ist. Der Zentralbegriff der Funktion hat seinen Ursprung in mehreren Richtungen sozialwissenschaftlicher Theoriebildung. Für die struktur-funktionale Systemtheorie, nach Talcott PARSONS (1902-1979), ist der Funktionsbegriff wesentlich, da er als Verbindung zwischen strukturellen Kategorien und den relevanten (dynamischen) Elementen des Systems entwickelt wird. Das funktionale Modell ist ein Konzept, das von der Annahme ausgeht, daß ein relativ stabiler und konsistenter Zusammenhang objektiver sozialer Sachverhalte besteht, der eine bestimmte Struktur aufweist und daß die, innerhalb dieses strukturellen Zusammenhangs, stattfindende soziale Handlung in der Weise analysierbar ist, daß ihr funktionaler Beitrag für die Erhaltung der Struktur des sozialen Systems ermittelt wird. Dies geschieht anhand der Formulierung eines Rollengeflechts, das die unterschiedlichen individuellen Handlungsweisen in einer verbindlichen Form reglementiert und als wesentliche Voraussetzung für den Bestand des sozialen Systems in die Konzeption eingeführt wird. Die funktionale Fragestellung richtet sich also von bestehenden Strukturen auf funktionale Vorbedingungen für ihren Bestand. In diesem Sinn wird nicht nach kausalen bzw. erklärenden Bedingungen gefragt, sondern danach, welche Rolle Verhaltensweisen für den Bestand eines Systems spielen. Wissenschaftstheoretisch werden im Rahmen der funktionalen 22 Erklärung Hypothesen über die Selbstregulierungsmechanismen eines Systems aufgestellt, die eine oder mehrere Zielvorstellungen anvisieren. Damit hebt die funktionale Erklärung von der Ebene des Individuums ab und fokusiert die des Systems. Die funktionale Modellbildung geht in der Formulierung allgemein gültiger Aussagen, über die Kontextuierung sozialer Sachverhalte hinaus und versucht so unabhängig von jeglicher Gesellschaft theoretisch zu begründen warum und wie eine bestimmte Handlung zur Erhaltung des gesellschaftlichen Systems beitragen kann, in dem die Handlung stattfindet. 1.3 Kurze Zusammenfassung Zusammenfassend kann für den in dieser Arbeit interessierenden Themenbereich angegeben werden, daß die für die Erörterung sozialer Sachverhalte notwendigen Begriffe Verhalten, Handeln, soziales Handeln von Max WEBER definiert und von einander differenziert worden sind. Die Erklärung von sozialem Handeln wird nach HOMANS durch „Wenn..., dann...“-Sätze begründet, wodurch eine Relation zwischen Verhaltensweisen angegeben werden kann und damit Hypothesenbildung ermöglicht wird. Die Definition von Theorie orientiert sich dabei an naturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen. PARSONS’ theoretischer Ansatz verbindet hingegen naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Komponenten. Soziales Handeln wird jedoch nur als sinnhaftes soziales Verhalten erfaßt, das sich aufgrund internalisierter Werte in institutionalisierten Rollen zeigt. Die funktionale Erklärung setzt damit bestimmte kulturelle Muster voraus, die als verbindlich unterstellt werden. Auf den in dieser außenpolitischen Arbeit gewählten Entscheidens und Untersuchungsgegenstand Handelns bezogen kann des folglich angegeben werden, daß die Analysen im Rahmen eines beschreibenden und eines kausal-erklärenden Modells erfolgen. 23 2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie18 Allgemeine Systemtheorie19 ist die zusammenfassende Bezeichnung für fachlich differenzierte Begriffsgefüge, die 1) durch die gemeinsame Verwendung des Systembegriffs und 2) durch das metateheoretische Programm, empirische Gegenstände als strukturierte und mit ihrer Umwelt in Austauschbeziehungen stehende Einheiten zu analysieren, verbunden sind. In seinem Entwurf einer Allgemeinen Systemtheorie entwickelt der Biologe Ludwig von BERTALANFFY in den 30er Jahren den Systembegriff als zentralen terminus technicus (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:316, vgl. auch MÜLLER 1996:68ff.). Davon ausgehend und unter Einflüssen aus den Bereichen u.a. der Kybernetik (Norbert WIENER) und der Spiel- und Entscheidungstheorie (John v. NEUMANN und Oskar MORGENSTERN) kommt es zur 1954 gegründeten Society for General Systems Research (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:107). In der Formulierung interdisziplinär zur Vereinheitlichung einer analytischen Verfahrensweise zu gelangen, wird die Aufgabenstellung im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie in der Weise verstanden, daß hier der dazu notwendige begriffliche Bezugsrahmen entwickelt wird. Zu den grundlegenden Vorwegannahmen des Programms gehört dabei die Ausgrenzbarbeit eines Teils aus der Realität, welcher als System verstanden zum Untersuchungsgegenstand wird. In der Analyse von Systemelementen mit ihren Eigenschaften und Beziehungen untereinander, als auch zum System und der Umwelt, werden bestimmte Fragestellungen und Problemsichten vorgegeben, die Komplexität und Gleichzeitigkeiten von Zusammenhängen im Rahmen einer analytischen Gesamtheit thematisieren und darüber hinaus Erkenntnisse aus unterschiedlichen Sachgebieten vergleichbar und übertragbar machen sollen. 18 In der englischen Übersetzung: General Systems Theory (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:8). Der Begriff Systemtheorie umfaßt im eigentlichen Sinn systemtheoretische Ansätze, die inhaltlich, eine vom jeweiligen Autor auf besondere Weise getroffene Auswahl und Zusammenstellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen aus Teildisziplinen kennzeichnen. Aus unterschiedlichen Disziplinen kann dabei ein Kernbestand von Begriffen, Thesen und Programmen abgeleitet werden, der das Konzept der Allgemeinen Systemtheorie umreißt. Jede Arbeit aus diesem Bereich unterscheidet sich von anderen, auch wenn ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird. 24 19 Ziel ist es, allgemeingültige Prinzipien des Aufbaus und der Funktionsweise von Systemen aufstellen zu können. 2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs Die Kennzeichnung eines Gegenstandes als System, im Sinne einer Ordnung von zueinander in einer bestimmten Beziehung stehenden Elementen, ist schon im Altertum von ARISTOTELES 20 thematisiert worden, wobei ein Rückbezug auf die Organismus-Vorstellung als System vorherrschte. Die Unterscheidung von Systemen in ideelle und materielle entwickelte sich mit dem Axiom des cartesianischen Denkansatzes „Cogito, ergo sum“, DESCARTES (1596-1650), wobei ein alles umschließender Systembegriff hervortrat, der die Identität von Denken und Sein auf einer ideellen Basis thematisierte. Die Entfaltung der Mechanik ermöglichte später die Interpretation der Welt als System im Rahmen mechanistischer Modelle. Im 19. Jahrhundert ist, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Biologie als Wissenschaft, die organismische Betrachtungsweise in bezug auf die Systemvorstellung jedoch wieder aufgetreten und die Arbeiten KANTs (1724-1804), HEGELs (1770-1831) und COMTES’ (1798-1857) thematisieren als wesentlichen Aspekt die strukturelle Komplexität eines Organismus gegenüber strukturellen Formen der Mechanik. Oberster Bezugspunkt im KANTischen Denkansatz ist dabei die Selbstgewißheit des Individuums, wobei er gegenüber DESCARTES ein System der Sachen (an sich) von einem System der Begriffe des Denkens (für sich) unterschiedet. HEGEL unternahm hiernach den Versuch der Überwindung dieses Dualismus im Sinn einer dialektischen Einheit. Hierbei werden die wirklichen Systeme der materiellen Welt als Äußerungen einer absoluten Idee, d.h. als Stufen, die sie zu durchlaufen hat um zu sich selbst zu gelangen, aufgefaßt. 20 Die aristotelische Metaphysik formuliert als Zentralaussage, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile (vgl. ARISTOTELES 1996). 25 Gegenüber dem Ordnungsziel der Klassifikation, im 19. Jahrhundert, entwickelt sich im 20. Jahrhunderts die Tendenz zur Integration, wobei der Systembegriff nun im Rahmen mathematisierter Theorien gebildet wird, die die Unterscheidung von konkreten, d.h. empirischen Systemen und abstrakten (analytischen), d.h. konstruierten Abbildern einer gedachten Wirklichkeit, nachvollziehen. Beides sind jedoch nur Modellbildungen mit quasi-objektivem Charakter. Mit der Verbindung von Sozialwissenschaften wird organizistischer Weise Funktionalismus der und Systembegriff interpretiert, wobei die Systemtheorie schließlich wichtige in den wieder in Neuerung die Thematisierung der sozialen Handlung als System und Systemaspekt darstellt. 21 2.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms Die Entstehung der Gruppe der Systemwissenschaften, beruhend auf systemtheoretischen Konzepten, begann Anfang der 1940er Jahre dieses Jahrhunderts (vgl. MÜLLER 1996:180, vgl. auch HÄNDLE/ JENSEN 1974:13). Ausschlaggebend für die Entwicklung der modernen Systemwissenschaften sind die während des Zweiten Weltkriegs entwickelten militärisch- ökonomischen Analysen und Strategien aus dem Bereich des operations research - der Analyse militärischer Operationen - die sich in den Kriegsjahren inhaltlich auf Untersuchungen über Entwicklungsfähigkeit, Kosten und taktische 21 Einher geht damit auch eine Akzentverlagerung von der statischen Betrachtung hin zur Analyse von Vorgängen, was zunächst im Rahmen einer behavioristischen Phase erfolgt. LUHMANN differenziert hier 1. Die ontologische Systemtheorie, die in den Kategorien von Ganzes und Teil und interner Ordnung ausgeht und keinen Bezug zur Umwelt untersucht, 2. Gleichgewichtstheorien, wobei Systeme aus sich heraus bestehen, die Umwelt dabei nur als Störfaktor in die Analysen eingeht, 3. Die Theorie der umweltoffenen Systeme, die die Interdependenz zwischen Umwelt und System thematisiert und 4. die kybernetischen Systemtheorien, in denen das Verhältnis von System und Umwelt als Differenz in Komplexität erfaßt wird und eine Theorie der Regelung, Steuerung und Kontrolle notwendig erscheinen läßt. Die Unterschiede der jeweiligen Konzeptionen liegen in den zentralen Kategorien. Weiterhin kann aus den unterschiedlichen Disziplinen ein Kernbestand von Begriffen, Thesen und Programmen abgeleitet werden, der das Programm der Allgemeinen Systemtheorie umreißt. Im Bereich dieser wissenschaftstheoretischen Linie unterscheiden sich aber auch die einzelnen Arbeiten von einander, trotzdem ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:12). 26 Einsatzmöglichkeiten neuer Waffensysteme konzentrierte.22 Auch zunehmend wichtiger werdende wirtschaftliche Aspekte wurden in diesem Rahmen thematisiert. Wesentlich war darüber hinaus auch die zunehmende Wichtigkeit theoretisch-wissenschaftlicher Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Biologie, die die Bezugnahme auf einen Organismus im Rahmen der Formulierung von Systemkonzepten förderte (vgl. MÜLLER 1996:186ff., vgl. auch BERTALANFFY in Händle/Jensen 1974:1108f.). Die Entwicklungen in den 40er Jahren markieren auch tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der Funktion von Wissenschaft. Diese Veränderungen beziehen sich auf veränderte Anforderungen von Theorie, einerseits als Grundlagenforschung und andererseits in Bezug auf ihre technologische Anwendung. Daraus entwickelt sich dann auch die Problematik zwischen klassischen Wissenschaften und modernen Systemwissenschaften (vgl. BERTALANFFY in Händle/ Jensen 1974:108), wobei die 40er Jahre noch von Problemen interdisziplinärer Kommunikation und dem Fehlen einer einheitlichen Begriffsbildung im Rahmen der Systemwissenschaften gekennzeichnet sind: „Trotz weitreichender Einsichten in die Grenzen der etablierten Forschungslogik, trotz vielfältiger Vorgaben zu einer wissenschaftstheoretischen Alternative, blieb ihr theoretischer Status unterbestimmt. Mangels eines ausgearbeitenden Theoriebegriffs gelang es nicht, eine kritische Gegenposition zur herrschenden Praxis der Wissenschaft zu begründen.“(MÜLLER 1996:181). Zunächst muß im Rahmen der neuen Wissenschaften demzufolge formuliert werden, aufgrund welcher Prinzipien ein eigenes Forschungsfeld begründet, d.h. welche Eigenschaften als Begründung für die Unterscheidung von den Gesetzen der gängigen Wissenschaft angeführt werden können. Eine Reflexion auf den Theoriebegriff der Systemwissenschaften entwickelte sich ab Mitte der 50er Jahre und formuliert als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer synthetisch-holistischen Verfahrensweise, wie sie in der Systemtheorie gegen- 22 Auch als Systemtechnik (engl. system analysis) in der Literatur verwendet (vgl. HÄNDLE/ JENSEN 1974:11). 27 über der traditionellen analytischen Methode begründet ist, die Auffassung, daß sich für komplexe Fragestellungen, aus denen sich auch u.a. das operations research oder die Spiel- und Handlungstheorie entwickelten, das bestehende System der klassischen Wissenschaften, d.h. ein rein analytisches Vorgehen, keine ausreichenden Erklärungsmöglichkeiten mehr bieten (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:12). Dem Denken in Kausalbezügen, d.h. der Feststellung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, tritt das Problem der Komplexität, d.h. die Interdependenz der objektiv wahrnehmbaren Sachverhalte, an die Seite. Die Thematisierung von Wechselwirkungen in Systemen wird somit ein wesentliches Moment der Begründung eines neuen Kodifikationsschemas zur Systematisierung rekonstruierbarer Sachverhalte. Die Fragestellungen mündeten schließlich in eine interdisziplinäre Bewegung, die sich zunehmend der Entwicklung einer theoretischen Basis widmet. Wesentliche theoretische Bedeutung kommt dabei insbesondere den Arbeiten Ludwig v. BERTALANFFYs zu, der im Verlauf seiner Tätigkeit zusammen mit Anatol RAPOPORT und Kenneth BOULDING die General Systems Theory entwickelt. „Die hier entwickelten Gedanken wurden zum wissenschaftlichen Paradigma, daß in allen Disziplinen auf alle möglichen Probleme Anwendung fand. Das generelle Motiv für die schnelle Übernahme des systemorientierten Denkens wird zumeist in der Notwendigkeit generalisierender, interdisziplinärer Grundlagen- und Projektforschung gesehen. Die Notwendigkeit dazu wird in doppelter Weise begründet: einmal mit der steigende Informationsflut und dem Bedarf an integrativem Wissen (Boulding, Berrien), zum anderen mit den Bedürfnissen der Praxis gegenüber den Problemen der Bewältigung hochkomplexer Zusammenhänge in der ökonomischen, technischen, politischen und militärischen Planung. Beiden Begründungen ist die Absicht gemeinsam, Strukturen objektiv gedachter Wirkungszusammenhänge aufzudecken, um Probleme - praktisch wie theoretisch - lösen zu können.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:13). Die Arbeiten der Allgemeinen Systemtheorie wirken in den 50er Jahren als integrativer Faktor. Methodologisch entwirft die Allgemeine Systemtheorie dabei eine Ontologie, die die Gegenstandswelt der einzelnen Fachwissenschaften nicht mehr als Entitäten auffaßt, sondern eine eigene systemtheoretische Konstruktion dieser Einheiten entwickelt. 28 Der Anspruch Grundlagenwissenschaft zu sein, wird dabei konzeptuell in der Weise hergeleitet, daß erkenntnistheoretisch das ontologische Denken in Substanzen in ein Denken in Funktionen umformuliert wird. Konstitutiv für das systemtheoretische Programm werden Erkenntnisse der Informationstheorie23 und der Kybernetik24. „Die Konstitution des Systems und seiner Umwelt, die Festlegung der Elemente und Eigenschaften sowie die Analyse von Struktur und Verhalten bilden die Grundlage des systemorientierten Vorgehens.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:26) Welche Konstruktionen des Programms der Allgemeinen Systemtheorie von Bedeutung sind, wird im folgenden Abschnitt dargestellt. 2.2.1 Die Definition von System Als basic science ist die Allgemeine Systemtheorie in der Formulierung ihrer methodologischen Prämissen angehalten zunächst einen Systembegriff zu definieren, der generell von inhaltlichen Aussagen absieht, wobei in der Definition des Systems25 zwei Probleme gelöst werden müssen: 1. der universelle Anspruch des Systembegriffs muß über dem der Einzelwissenschaften liegen und 2. er muß gleichzeitig Aussagen über gerade spezifische Systeme zulassen. Die Definition des terminus technicus erfolgt im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie in der Weise, daß er auf Systeme allgemein anwendbar sein muß und gleichzeitig spezifische Aussagen über Systeme im allgemeinen zuläßt (vgl. MÜLLER 1996:199). Anhand der Definition: „A system is a set of objects together with relationships between objects and between their attributes.“ (HALL/FAGEN in Händle/Jensen 1974:127) 23 Die Informationstheorie beschäftigt sich mit der Codierung und Decodierung von Nachrichten und ihrer Übertragung. Nützlich war die neue Technik vor allem im Rahmen der Entwicklung „intelligenter“ Waffensysteme und geheimdienstlicher Aufgabenstellungen. 24 Im Rahmen der Kybernetik geht es allgemein um die Anwendung von Kommunikations- und Steuerungsmethoden in technischen Systemen. Der Untersuchungsbereich umfaßt die Funktionsweise von komplexen Systemen, wobei als wesentlicher Faktor Rückkopplungsprozesse fokusiert werden. 25 Im sozialwissenschaftlichen Bereich ist der Systembegriff an einzelwissenschaftliche Gesichtspunkte gefesselt. 29 kann der Begriff des Systems in der Weise verstanden werden, daß es sich hierbei um ein Gefüge von Elementen handelt, wobei bestimmte Eigenschaften der Elemente bestimmt werden und in der Weise, wie Verbindungen zwischen den Elementen bestehen, sie die Struktur des Systems determinieren. Auf diese Weise wird deutlich, inwieweit das Ganze mehr sein kann als die Summe 26 seiner Teile. „Diese Minimalbestimmung, die beliebige Elemente einer Menge (formalabstrakt) oder Gegenstände (Ereignisse) eines bestimmten Untersuchungsbereichs (gegenständlich-konkret), vermittelt über Beziehungen (aller denk- und feststellbaren Art) zu Elementen bzw. Gegenständen und/oder ihren Merkmalen (Eigenschaften), zu einer gegliederten Einheit zusammenfaßt oder als solche erkennt, ist in allen Systemvorstellungen wiederzufinden.“ (PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:13). Diese formale Definition des Systems sagt allerdings nichts über die Qualitäten der Gegenstände aus, sondern bezieht sich lediglich auf die Beziehungen, die zwischen den Elementen bestehen. Die Allgemeine Systemtheorie beschäftigt sich also mit der „Systemhaftigkeit“ als Eigenschaft (vgl. MÜLLER 1996:201), d.h. konkrete Dinge der Realität erhalten abstrakte Eigenschaften, mit deren Hilfe die Realität rekonstruiert werden kann. „Die im Dingschema der Alltagssprache festgelegte ‘Ontologie‘ weicht einer neuen, zunächst nur schwer greifbaren Auffassung von ‘Wirklichkeit‘. Während die Gegenstände der alltäglichen Realität konkret unterschieden und einzeln aufweisbar sind, treten sie in dieser Sichtweise hinter die abstrakten Eigenschaften, die ihnen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit bzw. als Gliedern von Relationen zukommen, zurück [...].“ (MÜLLER 1996:201) Die Beziehungen geben dabei eine Auswahl aus kombinatorisch möglichen Anordnungen zwischen den Elementen an und ermöglichen auf diese Weise Aussagen über die Struktur des betrachteten Systems (vgl. MÜLLER 1996:202, vgl. auch HÄNDLE/JENSEN 1974:26). Im Rückgriff auf mathematische Allgemeinformulierungen gelingt dann neben der Erfassung aller Elemente eines Systems in Klassen auch die Ermittlung der Zustände des Systems (vgl. 26 Die Einheit von Elementen und ihren Beziehungen untereinander kann zu Merkmalsausprägungen führen, die sich von denen der einzelnen Elemente oder ihren Beziehungen unterscheiden (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:14) 30 MÜLLER 1996:202). Auf diese Weise sind Strukturanalysen ein wichtiger Teilaspekt der Systemanalyse, denn hier wird der Frage nachgegangen, welche Ordnungen bestehen und welchen Gesetzmäßigkeiten sie folgen. Die genannten Ordnungsbeziehungen können als strukturalistische Systeme27 aufgefaßt werden, daneben erfaßt das Instrumentarium der Allgemeinen Systemtheorie aber auch Systeme mit prozessualem Charakter, d.h. Verhaltenssyteme (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:31). Diesen unterliegen, neben Strukturgesetzen, zusätzliche Verhaltensgesetze, die das Systemverhalten determinieren. Dieser Aspekt wird interessant, wenn unter der Bedingung, die Systemtheorie als Problemlösungsansatz aufzufassen, der jeweilige Problembereich als systemischer Zusammenhang rekonstruiert wird. Dies geschieht unter der Vorannahme, daß der Problembereich selbst wieder unter bestimmten Fragestellungen aus einem umfassenderen Zusammenhang, der Umwelt des Systems, herausgelöst betrachtet wird. 28 Dieser umfassendere Zusammenhang muß in die Analyse miteinbezogen werden. Neben der Definition des Begriffs System erfolgt die Konstruktion des Umwelt-Konzepts, wobei Umwelt auch als Klasse von anderen Systemen, mit dem das betrachtete System in Interaktionsbeziehungen steht, aufgefaßt werden kann. Diese Begriffsbildung dient der Einführung von Einflußfaktoren auf das Systemverhalten, die nicht auf interne Funktionsmechanismen des Systems zurückgeführt werden können (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:18, vgl. auch HÄNDLE/JENSEN 1974:28). Theoretisch wird dieser Bereich durch die Annahme offener Systeme erfaßt und behandelt den Aspekt der Kopplung von Systemelementen des betrachteten Systems an unabhängige Elemente anderer Systeme. Systemanalysen betreffen folglich Systeme, die bestimmte Systemzustände aufweisen, die gegenüber der Umwelt als stabil erfaßt werden.29 Ausgehend von der Annahme, daß das System (mit spezifischer Innenstruktur) und die Umwelt nebeneinander bestehen, kann die Umwelt auch in der Weise erfaßt werden, daß sie auf das System in Form von Inputs, die 27 Die Standarddefinition von System als gegliederte Einheit von Elementen steht der Konzeption des geschlossenen Systems nahe. Dies orientiert sich an den Grundprinzipien thermodynamischer Systemauffassung. (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:16) 28 Geschieht dies nicht spricht man von geschlossenen Systemen. 29 Hier greift bereits der Begriff der Homöostasis, der die Anpassung eines Systems an Umwelteinflüsse allgemein umfaßt (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:112ff.). 31 von Rezeptoren aufgenommen werden, einwirkt (d. h. es muß ebenfalls ein genau bestimmtes anderes System definiert werden). Im System selbst bestehen Mechanismen, durch die die Inputs in bestimmte Leistungen überführt werden, die dann wiederum als Outputs des Systems an die Umwelt abgegeben werden.30 Verhalten wird in diesem Sinn aufgefaßt als „Verarbeitung systemspezifischer Inputs zu systemspezifischen Outputs in Abhängigkeit von der Innenstruktur des Systems“. (HÄNDLE/JENSEN 1974:31) Bei der Übertragung dieser Begrifflichkeiten in Erklärungsansätze über gesellschaftliche Zusammenhänge muß das Konzept des Verhaltenssystems in der Weise modifiziert werden, daß es sich hierbei um Sinnzusammenhänge handelt, die auch als Programme für die Organisation des Verhaltens von (Handlungs-)Systemen aufgefaßt werden können. Der Systembegriff als solcher ist darüber hinaus erweitert im Sinn eines Stadiums organisierter Beziehungen zwischen den Elementen, deren Einheit durch Grenzziehung31 zu seiner Umwelt determiniert ist, mit der es in Interaktionsbeziehungen steht. In der Soziologie ist dies der Bereich der Handlungssysteme (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:21). Die umfassendste Weiterentwicklung dieses Theorieansatzes wurde in den Sozialwissenschaften insbesondere von Talcott PARSONS vorgenommen. 2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs Die Analysen hinsichtlich des Verhaltens von Systemen werden im Rahmen eines allgemeinen Schemas vorgenommen und anhand eines natürlichen Systems entwickelt (vgl. MÜLLER 1996:205). Diese Grundlage ist der Ausgangspunkt für die Erörterung weiterer Begriffe und der Entwicklung der Methoden der Systemanalyse. 30 Aus der Kybernetik wird der Begriff der Rückkopplung (engl. feed-back) in die systemische Betrachtung eingebracht. Zusammenfassend geht es hierbei um einen Mechanismus, der „Input⇒Verarbeitung⇒Output“ beschreibt. 31 Der Begriff der Grenzziehung rührt her aus der Innen-Außen-Differenzierung, die insbesondere LUHMANN thematisiert. 32 Für die Systemtheorie ist der Begriff des Ganzen zentral, der in Analogie eines biologischen Organismus aufgefaßt wird, wobei BERTALANFFY einräumt, daß „Nobody should know better than the biologist that civilizations are no ‚organism‘. It is trivial to the extrem that a biological organism, a material entity and unity in space and time, is something different from a social group consisting of distinct individuals, and even more from a civilization consisting of generations of human beings [...].“ (BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974: 124). Jedoch sieht er die Möglichkeit der Erfassung von Entwicklung und Wachstum im Rahmen einer organismischen Perspektive als gewährleistet an. Die mathematische Erfassung des Ganzheitskonzepts ermöglicht weiterhin, im Rahmen eines Differentialgleichungssystems, Abhängigkeiten zwischen Teilen des Systems und dem System zu ermitteln. Dabei wird angenommen, daß alle Teile des Systems interdependent sind und auf diese Weise zum Indikator der Ganzheit des betreffenden Systems werden. Davon ausgehend lassen sich bestimmte Systemgesetze formulieren, die insgesamt auf die funktionale Differenzierung innerhalb des Systems abstellen. Dies leitet über zum Aspekt des Gleichgewichts in einem System, wobei „ein Gleichgewicht nicht notwendigerweise ein konstantes Verhältnis zwischen den Elementen eines Systems, einen Zustand der Symmetrie und Ausgeglichenheit unterstellt.“ (MÜLLER 1996:207) Die Allgemeine Systemtheorie entlehnt zur Konzeptionierung ihres Programms in dieser Frage Erkenntnisse aus den Bereichen Mechanik und Biologie und gelangt auf diese Weise zur Formulierung von dynamischen Gleichgewichten, die innerhalb des Systems stationäre Zustände durch interne Anpassungsleistungen des Systems an sich verändernde Umweltbedingungen erreicht (vgl. MÜLLER 1996:207). Schließlich ist der Begriff der Emergenz als wichtige Kategorie systemischer Begriffsfassung zu nennen: Emergenz spielt in allen organismischen Ansätzen eine wesentliche Rolle, da im Rahmen dieses Begriffs all jene Phänomene erfaßbar sind, die auf jeder spezifischen Ebene eines Systems eigene Wirklichkeiten mit eigenen Gesetzen entwickeln. 33 „Emergenz setzt demnach eine hierarchische Ordnung zunehmend komplexer Ebenen voraus, die sich jetzt durch die Relation zwischen Elementen und Gesamtheiten ausdrücken läßt...“ (MÜLLER 1996:210) Der Systembegriff in der allgemeinen Definition nach HALL und FAGEN war zunächst angelegt, dem Anspruch eines methodologischen Paradigmas gerecht zu werden, jedoch benötigte die Anwendung desselben in den spezifischen Forschungsbereichen eine Erweiterung, die anhand des Schemas des natürlichen Systems, in Anlehnung an das Organismusprinzip der Biologie, entwickelt werden sollte. Welche methodischen Rückschlüsse dies bedingt, behandelt der folgende Abschnitt. 2.3 Terminologische Gesichtspunkte Systemtheorie beschäftigt sich mit der Struktur und dem Verhalten von Systemen, wobei Systeme konzeptueller Natur sind und empirische oder abstrakte Zusammenhänge modelliert werden (vgl. HÄNDLE/ JENSEN 1974:26). Als Erkenntnismethode findet Systemdenken dabei in abstrakten Zusammenhängen statt, d.h. in der Bereitstellung methodologischer Konstruktionen oder der Systematisierung von Theorien. Wird ein interessierender Sachverhalt als System rekonstruiert und untersucht, wird die systemorientierte Methode auf empirische Zusammenhänge angewendet. Systeme sind als analytische Einheiten keine auffindbaren, d.h. empirischen Gegenstände. Der Begriff System thematisiert vielmehr die Systematisierung bestimmter Bedingungen eines Sachverhalts im Rahmen einer Theorie angesichts bestimmter Probleme. Dabei wird ein realer Untersuchungsbereich in Form der ihn konstituierenden Elemente und Eigenschaften und der Beziehungen zwischen den Elementen und weiterhin der Teile zum Ganzen und schließlich des Systems zu seiner Umwelt betrachtet. Die systemische Erfassung beruht dabei auf einem begrifflichen Rahmen, der die Zusammenhänge von Objekten mit ihren Merkmalen und Beziehungen untereinander erfaßt, diese in Bezug von System und Umwelt setzt und somit die systemtheoretisch begründete Untersuchung ermöglicht. 34 Systeme sind demzufolge aufzufassen als methodisch-begriffliche Prinzipien zur Konstitution von Wirklichkeit, nicht als Wirklichkeit an sich. Die Gegenstände oder Sachverhalte, die als Systeme betrachtet werden, können also empirischer oder nicht-empirischer, d.h. abstrakter Art sein. Die wissenschaftliche Systembildung führt jedoch zunächst zu abstrakten Systemen, d.h. Theorien, die dann wiederum auf empirische oder abstrakte Sachverhalte bezogen werden können. Theorien sind folglich als abstrakte Gebilde aufzufassen, ganz gleich auf welche Art Gegenstände oder Sachverhalte sie sich beziehen. Jede Aussage über Theorie bezieht sich danach auf ein abstraktes System und hat analytischen Charakter. Die systemorientierte Methode führt in der Behandlung eines abstrakten Systems somit zu einem analytischen System und die Allgemeine Systemtheorie ist ein solches. Die spezifischen disziplinären Systemtheorien sind ebenfalls abstrakte Systeme, beschäftigen sich aber mit empirischen Systemen (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:26). Empirische Systeme wiederum entstehen durch wissenschaftliche Rekonstruktion eines empirisch vorausgesetzten Sachverhalts. Terminologisch wichtig ist, eine Unterscheidung zwischen dem Sachverhalt und dem Konzept des zugeordneten empirischen Systems zu treffen. Die Gegenstände werden als „primäre Objekte“ verstanden, erkenntnistheoretisch können sie jedoch nur mittels späterer Reflexion (z.B. durch systemorientierte Methoden) ermittelt werden. Die so konstituierten Systeme stellen demzufolge Rekonstruktionen der Realität dar und erfüllen die Funktion eines erklärenden und handlungssteuernden Modells (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:27). 2.4 Die Methoden der Systemanalyse Um die mathematische Definition des Systembegriff in den fachspezifischen Anwendungsbereich übertragbar zu machen, müssen die entwickelten Begriffe in einen Kontext gebracht werden, der die Definitionen der Allgemeinen Systemtheorie erkenntnistheoretisch verallgemeinert (vgl. MÜLLER 1996:220). Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie basiert auf dem Modell 35 funktionaler Erklärungen.32 Aufgrund der Orientierung am Organismusprinzip muß im Rahmen des gegebenen Erklärungstyps entwickelt werden, inwiefern Anpassungsleistungen von Systemen erfolgen, wenn nicht physikalische Ursachen als Begründung angegeben werden können. Die Funktionsweise von Systemen wird folgend nicht in einzelnen Ursachen lokalisiert, sondern in der Formulierung funktionaler Endzustände festgemacht. Diese Systemkausalität entwickelt sich entlang der funktionalen Erklärung dahin, daß gewisse fundamentale Funktionen erfüllt sein müssen, damit das betrachtete System bestehen kann (vgl. MÜLLER 1996:221). Das funktionale Modell erklärt auf diese Weise bestandsnotwendige Bedingungen und Gleichgewichtszustände. In der Vorstellung, die hier entwickelt wird, werden Probleme der Life Sciences und der Sozialwissenschaft aufgrund funktionaler Erfordernisse verknüpft. 2.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der Sozialwissenschaften33 In der Übernahme wesentlicher Elemente der methodologischen Prämissen der Allgemeinen Systemtheorie wurde für die Disziplin der Sozialwissenschaften ein theoretisches Konzept entwickelt, das ein umfassendes Kategorienschema für die Klassifizierung und die Erklärung von Verhaltensprogrammen liefert, das von PARSONS weiterentwickelt wird. Verhaltenssysteme, wie sie die Allgemeine Systemtheorie versteht, sind physikalische Einheiten (z.B. Maschinen, Organismen etc.). Sie weisen bestimmte Innenstrukturen auf und können aufgrund ihrer Interaktionsbeziehungen durch eine gewisse Prozeßhaftigkeit gekennzeichnet werden, was als Verhalten aufgefaßt wird. „Dieses Verhalten kommt in der beobachtbaren Veränderung von konkreten, empirisch kontrollierbaren Einheiten (oder ihnen zugeordneten Merkmalswerten) zum Ausdruck und wird insbesondere in Größen wie Input/Output usw. gemessen.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:34) 32 In Gegenposition zur kausalistischen Sichtweise der empirisch-analytischen Wissenschaftstheorie. 33 Unter der Bezeichnung Behavioral Sciences entwickelte sich ein systemtheoretisches Grundlagenprogramm, das in seiner Theoriebildung exakt definierte Begriffe und mathematisch formalisierte Modelle entwickelte und anhand methodisch vereinheitlichter Empirie zu allgemeinen Erklärungsansätzen gelangen wollte (vgl. MÜLLER 1996:276). 36 Verhalten ist allerdings nicht als physikalisches Element aufzufassen, sondern als „organisierte[r] Prozeß insgesamt“ (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:34). Darüber hinaus ist es im Rahmen der Erfassung im Zusammenhang mit systemischen Konstrukten als theoretisches Konzept zu sehen. Da die Verhaltenstheorie keinen Anhaltspunkt für die Entstehung eines gesetzmäßig organisierten Verhaltensablaufs angibt, muß sie als ein Teilbereich der Systemtheorien des Verhaltens angesehen werden (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:34). Talcott PARSONS erweitert das o.g. Konstrukt, indem er als Verhaltenssystem den Menschen annimmt und Erklärungen für das alltägliche Verhalten sucht. Ausgangspunkt sind bestimmte Schemata, die dem Menschen zur Verfügung stehen, damit er seine Motive und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen kann. Die Schemata sind sozial konstituiert und werden im Sozialisationsprozeß internalisiert. Auf diese Weise bilden sie die Grundlage der Verhaltensorganisation. In der Übernahme der Emergenzthese gelingt PARSONS die theoretische Konstruktion, in der er die Konstitution umfangreicherer Handlungssyteme entwickelt. Sozialsysteme beinhalten demzufolge Persönlichkeitssysteme als speziellen Fall. Die Konstruktion von kulturellen Systemen schließlich bringt die systemische Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene auf den Aspekt der symbolischen Bezugssysteme und entwickelt so die Grundlage der Erörterung der Theorie der Handlungssysteme. Der Einfluß individueller Beiträge auf den Verlauf von Systemfunktionen bedingt die Betrachtung von Zusammenhängen als Handlungssysteme, die in ihrer Formulierung Faktoren aufweisen, die (Handlungs-)Motive von Menschen darstellen. Daher muß die Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge als System die Beachtung von Sinnzusammenhängen beachten, die kollektives oder individuelles Verhalten steuern. Gesellschaftliche Systeme sind nicht nur Verhaltenssysteme, sondern Anweisungen für die Organisation von Verhalten (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:33ff.). Wobei Verhalten in Ableitung biologischer Untersuchungen zu Gen- und Chromosomenstrukturen als auch technischer Ablaufmechanismen definiert wird. Diese thematische Linie verweist auf die organismische Komponente der systemwissenschaftlichen Erklärweise, 37 „... in der dem organischen Leben eine ‘sich selbst verwirklichende Kraft’ (‘Entelechie’ genannt) unterlegt wurde.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:19). In den Sozialwissenschaften findet sich die Verknüpfung der Systemtheorie mit einer Handlungstheorie, um so zu Kategorien für die Erklärung von Verhaltensprogrammen zu gelangen. 38 3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie - Der Strukturfunktionalismus34 Bedeutenden Niederschlag fand das Programm der Allgemeinen Systemtheorie in den 50er Jahren in den Sozialwissenschaften. Im Gegensatz zu den traditionellen Erklärungsansätzen, die sich auf sachbezogene Fragestellungen unter historischen Konstellationen beziehen, werden nun, im Rahmen systemtheoretischer Konzeptionen, die ihre formalen Begrifflichkeiten auf Aspekte der Struktur und Funktion, als auch der Entscheidung und Kommunikation begründen, neue Arten der Erklärung sozialer Phänomene hergeleitet.35 Das erste Werk ausgebildeter soziologischer Systemtheorie ist das frühe Werk des US-amerikanischen Soziologen Talcott PARSONS’. In den Arbeiten PARSONS’ werden zunächst, im Rahmen der Entwicklung der Theorie des Allgemeinen Handlungssystems, systemtheoretische Kategorien auf den Bereich der Gesellschaftstheorie übertragen, um auf diese Weise gesellschaftliche Beziehungen und Einrichtungen anhand einer ausreichend entwickelten Handlungstheorie36 zu beschreiben. Später formuliert PARSONS seinen frühen Handlungsbegriff in der Weise um, daß der Ausbau einer soziologischen Systemtheorie gelingt. 34 Deutsche Übersetzung des englischen Begriffs structural functionalism. Die Bezeichnungen für dieses theoretische Konzept variieren jedoch in der deutsch-sprachigen Literatur, je nach Schwerpunktsetzung hinsichtlich der als wesentlich betrachteten Komponenten des Ansatzes. 35 In der US-amerikanischen Politikwissenschaft wurde versucht im Rahmen der neuen wissenschaftlichen Orientierung im Begriff des politischen Systems eine aktuellere Grundlage zu finden (vgl. MÜLLER 1996). 36 PARSONS entwirft im Rahmen seiner Arbeiten weniger eine Handlungstheorie, als vielmehr eine Theorie des Handelns. Zur Vereinfachung wird jedoch im Rahmen dieses Kapitels von Handlungstheorie gesprochen. 39 3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie37 nach T. PARSONS Unter der Bezeichnung struktur-funktionale Systemtheorie ist ein komplexer theoretischer Bezugsrahmen zu verstehen, der von Talcott PARSONS zur Analyse sozialer Gebilde entwickelt wurde. Neben einem handlungstheoretischen Ansatz entwirft PARSONS ein Modell, das generell der Analyse sozialer Einheiten dienen soll. PARSONS strebt hierbei an, Handlung in konkreten sozialen Situationen aus dem Zusammenhang kultureller, sozialer und personaler Aspekte erklären zu können. Systemtheoretisch faßt er diese Aspekte als Kultur-, Sozial- und Persönlichkeitssystem. 38 Mit der Verknüpfung von Handlungstheorie und Systemtheorie zu einem Modell, das als Grundlage der Analyse beliebiger Interaktionsabläufe und struktureller Muster dient, sollen soziale Sachverhalte durch die Analyse des sozialen Handelns in der Weise erklärt werden, indem dessen strukturelle und funktionale Beiträge für ein soziales System untersucht werden. Besondere Bedeutung hat in diesem Rahmen die Erörterung des Zustandekommens eines geordneten und dauerhaften Zusammenlebens von Menschen, wobei als wesentliches Kriterium die Verbindung von Handlung im Zusammenhang mit institutionellen Komplexen ist, welche auf diese Weise als Form eines übergreifenden Wertsystems interpretierbar gemacht werden können (vgl. MIEBACH 1991:184). In der Entwicklung seines theoretischen Konstrukts rekurriert PARSONS auf Arbeiten des kulturanthropologischen Funktionalismus Bronislaw MALINOWSKIs und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs. Weiterhin finden sich im Werk Talcott PARSONS’ Einflüsse der Arbeiten Max WEBERs, Vilfredo PARETOs und Herbert SPENCERs. Auch die ökonomischen Theorien Alfred MARSHALLs und John M. KEYNES’, neben Elementen der psycho37 Im Rahmen der Systemtheorie ist im einzelnen von sytemtheoretischen Ansätzen zu sprechen, wobei vom jeweiligen Autor in besonderer Weise eine Auswahl und Zusammenstellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen getroffen wird. 38 Die Begriffe der struktur-funktionalen Systemtheorie sind analytische Begriffe und sollen nicht wirklich existierende Gegenstände als solche bezeichnen, sondern nur zur Analyse ihrer Funktion dienen. Die genannten Systeme sind folglich Perspektiven oder Bezugspunkte für die Analyse. Je nachdem welches System als Ausgangspunkt genommen wird, bilden die beiden 40 analytischen Arbeiten Sigmund FREUDs und Forschungsergebnissen der Gruppenforschung R. F. BALES’ sind in den Arbeiten PARSONS’ rezipiert. Die struktur-funktionale Systemtheorie weist dadurch deutliche Querverbindungen zur Sozialanthropologie, Psychologie und Ökonomie auf. Das theoretische Konzept PARSONS’ hat eine wechselvolle Bewertung in den Sozialwissenschaften erfahren: In den 50er Jahren wurde die strukturfunktionale Systemtheorie 39 Theoriebildung zum leitenden Paradigma soziologischer und ist in zahlreiche Arbeiten und Modelle verschiedener Theoretiker eingegangen (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:320). Die 60er Jahre brachten dann eine Distanzierung gegenüber strukturalistischer Theoriebildung, da die konkrete Anwendung im Rahmen der Forschung nicht die Effektivität aufweisen konnte, die zunächst angestrebt worden war. Verstärkt wurde die Kritik auch durch die gesellschaftspolitischen Entwicklungen dieser Jahre. PARSONS’ Arbeiten wurde eine konservative Grundhaltung und statische Theoriekonstruktion attestiert, die Formen gesellschaftlichen Konflikts und sozialen Wandels nicht oder nur unzureichend thematisieren könne.40 Seit den 80er Jahren kann jedoch eine gewisse Renaissance Parsonianischer Systemtheorie festgestellt werden.41 Im Rahmen der Darstellung des theoretischen Ansatzes von Talcott PARSONS können nur die wichtigsten Grundannahmen seines theoretischen Ansatzes hervorgehoben werden. Die Begründung hierfür liegt im Umfang seiner Arbeiten. Die Schriften The Structure of Social Action (1937), Toward a General Theory of Action und The Social System (1951) sowie Societies (1966) anderen das Milieu bzw. die Umwelt des betrachteten Systems (vgl. PARSONS in Hamilton 1985:74, vgl. auch JENSEN 1976:18 f.). 39 Wichtigster Gegenpol zu PARSONS war die Gruppe von Theoretikern um Paul F. LAZARSFELD an der Columbia University in New York, wo die Methoden der Empirischen Sozialforschung weiterentwickelt wurden. Die Chicagoer Schule, die in den 20er und 30er Jahren einen bedeutenden Stellenwert auf den Gebiet der ‘Behavioral Science’ hatte, trat bei der Harvard-Columbia-“Kontroverse“ in den Hintergrund (vgl. u.a. MIKL-HORKE 1992:164ff.). 40 Hier ist besonders auf die Auseinandersetzung DAHRENDORFs mit den Arbeiten PARSONS’ hinzuweisen. 41 Als prominentester Vertreter ist der US-amerikanische Soziologe Jeffrey C. ALEXANDER zu nennen. 41 markieren die programmatischen Eckpunkte des Werks und dienen daher als Grundlage der Darstellung Talcott PARSONS’ theoretischen Konstrukts. 3.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie In der 1937 erschienen Schrift The Structure of Social Action entwickelt PARSONS „the basis of all his later work.“(HAMILTON 1985:65) Er thematisiert das Problem der adäquaten Erfassung der Grundzüge einer Handlungstheorie im Rahmen positivistisch-behavioristischer und utilitaristischer Konzeptionen und formuliert demgegenüber den Entwurf einer voluntaristischen Handlungstheorie, die er im Aspekt des unit act als Ausgangspunkt eines zusammenhängenden Schemas von Begriffen, dem action frame of reference, konkretisiert (vgl. PARSONS 1968:731 ff). Die Frühphase der Arbeiten Talcott PARSONS’ ist gekennzeichnet von der Abgrenzung gegenüber der damals, in der US-amerikanischen Soziologie, vorherrschenden Tradition mikrosoziologischer Betrachtungen, wie sie z. B. in den Arbeiten zum Interaktionismus von George H. MEAD oder zum Evolutionismus von Herbert SPENCER zum Ausdruck kommen (vgl. WEISS 1993:18, vgl. auch MIKL-HORKE 1992:164ff.). PARSONS lehnt diese Strömungen ab, „weil soziale Strukturen darin schon begrifflich ausgeklammert sind.“ (WEISS 1993:18) Er entwickelt demgegenüber ein theoretisches Konzept, dessen grundlegender Handlungsbegriff die Auseinandersetzung mit europäischen Denktraditionen aufweist. Die 1937 erschienene Schrift The Structure of Social Action kann als Ausgangspunkt der Entwicklung seiner Handlungstheorie aufgefaßt werden. Erstmals werden hier im Rahmen der soziologischen Handlungstheorie die Gemeinsamkeiten auf theoretisch-methodischer Ebene in den Arbeiten Max WEBERs, Emile DURKHEIMs, Vilfredo PARETOs und Alfred MARSHALLs herausgearbeitet und in der Weise weiterentwickelt, daß PARSONS in ihren Werken eine konvergente theoretische Entwicklung aufzeigt. 42 „Finally , there is the very impressive fact of convergence, that the work of these men who started from markedly different points of view converges upon a single theory.“(PARSONS 1968:722)42 Die grundlegende Annahme, daß soziale Normen dabei als wichtigste Komponente sozialen Handelns fungieren, wird zum Kern Parsonianischer Handlungstheorie (vgl. PARSONS 1968:731). Diese Position erörtert PARSONS im Sinn von Ordnung als Zusammenhalt eines in Einheiten gegliederten gesellschaftlichen Systems. Zur Herleitung seiner Position rekurriert er auf die von HOBBES formulierte Auffassung „gesellschaftliche Synthesis als Resultat einer verständigen, zweckrationalen Kalkulation der Folgen bestehenden Naturzustandes“ (verstanden als Kriegszustand aller gegen alle/Anm. TK) (PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:78)43 anzunehmen. Davon ausgehend wird die Einsicht in die Notwendigkeit einer stabilisierenden gesellschaftlichen Ordnung im Rahmen zweckrationaler Handlungsmotivierung durch die Einbringung einer „Vertragsidee“ in die theoretische Konzeption HOBBES’ eingearbeitet. PARSONS nimmt dies als Ausgangslage seiner eigenen Fragestellung hinsichtlich der Integration der auseinander strebenden Interessen von Individuen in einem gesellschaftlichen Gebilde. Kritik erfährt in der Problemlösungsstrategie jedoch die LOCKE’sche Annahme einer „natürlichen Harmonie“ der Interessen ebenso wie Smiths invisible hand. Die voluntaristische Komponente wird vielmehr im Sinn einer Willensanstrengung der Handelnden zur Verwirklichung von Werten und Normen aufgefaßt (vgl. MIEBACH 1991:190, vgl. auch WEISS 1993:19). Damit distanziert klassischen sich PARSONS ökonomischen vom utilitaristischen Theorie. Wobei Handlungsmodell seine Kritik an der diesem Handlungsmodell insbesondere auf das Zugrundelegen des Profitmotivs als Ausgangspunkt der Formulierung einer Handlungstheorie abzielt (vgl. HAUCK 1988:134). Seiner Auffassung nach ist auch egoistisches Verhalten als eine 42 Die Konvergenz von Theorien kommt für PARSONS dadurch zustande, daß die in der positivistischen Tradition stehenden MARSHALL, PARETO und DURKHEIM ideelle Faktoren berücksichtigen und WEBER eine Vermittlung der idealistischen Tradition mit materialistischen Konzepten anstrebt (vgl. MOREL u.a. 1995:148). 43 Weiterführend siehe HOBBES 1996: Kap. 14. 43 spezifische Form institutionalistierten Verhaltens aufzufassen, welchem demzufolge eine normative Orientierung zugrunde liegt. Als Wesen sui generis treten gesellschaftliche Strukturen den rationalen Kalkülen als nicht-rationale jedoch auch nicht irrationale - Bestimmungsgröße des Handelns gegenüber. Die utilitaritische Position, menschliches Verhalten als zielgerichtetes zu kennzeichnen findet allerdings Eingang in das theoretische Konzept PARSONS’ und ermöglicht so die Thematisierung von zielorientiertem Handeln als „Verhalten, welches ein vom Standpunkt des Handelnden aus erwünschtes Ziel durch Anwendung geeigneter Mittel zu erreichen sucht.“ (HAUCK 1988:134) Die Verbindung zwischen diesen Determinanten leitet PARSONS somit theoretisch durch den Aspekt der Anstrengung - effort - her, durch den der Handelnde versucht den sozialen Determinanten in der Wirklichkeit des Handelns Geltung zu verschaffen. Damit ist die Begründung einer voluntaristischen Handlungstheorie über den Aspekt der „Anstrengung“ des einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte in seinem Handeln theoretisch hergeleitet. 44 Im Rahmen der Definition des Begriffs der sozialen Handlung bei PARSONS kommt dem Werk Max WEBERs wesentliche Bedeutung zu: Die Definition sozialer Handlung bei Weber, begriffen als Handeln „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (WEBER in Winkelmann 1982:542) und grenzt sich vor allem vom Verhaltensbegriff der behavioristischen Theorie 45 ab, wie dieser z.B. in den Arbeiten Herbert SPENCERs Das 44 positivistisch-behavioristische entwickelt worden ist. Wissenschaftsmodell gründete die Voluntarismus meint damit vor allem eine Zurückdrängung jeder biologischen Determination und eine Indienstnahme rationaler Kalküle durch nichtrationale Leitgesichtspunkte (vgl. auch Kap.5 dieser Arbeit). 44 Auffassung gegenüber philosophisch-spekulativer Stellungnahmen in der Verhaltenstheorie auf beobacht-bare, empirisch nachweisbare Verhaltensabläufe, die auf experimentell-kausale Reiz-Reaktions-Schemata beschränkt blieben. Durch die Einführung des Handlungsbegriffs Max WEBERs differenzierte sich auf methodologischem Gebiet die Forderung nach Erklärung von Verhalten zwischen kausaler Verhaltenserklärung und dem Verstehen des Sinns von Handeln (vgl. MOREL u.a. 1992:140, PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:81). Dies begründet einen wesentlichen Aspekt des theoretischen Ansatzes Talcott PARSONS’. Im Rekurs auf den Handlungsbegriff WEBERs, der Handeln am subjektiv gemeinten Sinn ausgerichtet sieht und soziales Handeln als sinnhaft auf das Verhalten anderer gerichtete Handlung bestimmt (vgl. WEBER 1985:1), bezieht PARSONS seine Position gegenüber Utilitarismus und Positivismus-Behaviorismus dahingehend, daß Handeln nicht allein durch äußere Bedingungen erklärbar noch zweckhaft instrumentell, wie es im Konzept der ökonomischen Theorie definiert ist , bestimmt sein muß. Eine weitere Komponente, die PARSONS an dieser Stelle einfügt, ist die Trennung zwischen tatsächlich nachweisbaren Verhaltensabläufen und der, aus der sinn-konstituierten Handlungserklärungs-Perspektive abgeleiteten, Thematik eines Programms zur Steuerung von Verhalten. Die Musterbildung von Verhaltensabläufen führt er hierbei auf die Entwicklung und Steuerung von und durch Werte und Normen zurück. Neben dem voluntaristischen Handlungsbegriff bezieht PARSONS daher Emile DURKHEIMs makrosoziologischen Blickpunkt in der Untersuchung von Gesellschaft als Wesen sui generis (siehe PARSONS 1968:709) mit ein, wobei Gesellschaft zwar als auf Interaktionen begründet verstanden wird, jedoch als verdichtete Interaktionsstruktur losgelöste Existenz gewinnt, die dem Individuum gegenübersteht und von diesem als Zwang wahrgenommen wird. 45 Das Buch beginnt mit: „Spencer is dead ! But who killed him and how?“ PARSONS in Hamilton 1985:67. In seiner späteren Phase kommt PARSONS allerdings auf die biologische 45 „Society in this context is not a concrete entity; it is, above all, not the concrete totality of human beings in relation to each other. It is a ‘moral reality’.“ (PARSONS 1968:712)46 Die aus diesem Kontext entwickelten Aspekte der Entstehung und dem Wandel von Steuerungsprogrammen des Verhaltens, von Kontroll-instanzen und konditionalen Bedingungen des Handelns markieren die zentralen Programmpunkte der Entwicklung seines Ansatzes. PARSONS verküpft die Möglichkeiten von Handlungsfreiheiten, gemäß eines voluntaristischen Konzepts, mit den Bedingungen und Strukturen, die für den Handelnden begrenzend wirken (vgl. WEISS 1993:18f.). Hierbei sieht das methodologische Konzept PARSONS vor, die theoretischen Begriffe des Theorieprogramms der voluntaristischen verknüpfen. 47 Handlungstheorie mit der empirischen Forschung zu PARSONS differenziert daher zwischen der Analyse von Elementen und Einheiten. „Die Untersuchung von Einheiten besteht aus der Definition von ‘TypenEinheiten’ und ‘empirischen Generalisierungen’, mit deren Hilfe konkrete soziale Strukturen und Prozesse beschrieben werden.“ (MIEBACH 1991:193) Der Ansatz, der von PARSONS verfolgt wird, ist der der Differenzierung zwischen theoretischen bzw. analytischen Systemen und empirischen. Dem Theorieverständnis folgend, das den Arbeiten PARSONS unterlegt ist, kann die Theorie nur ein Modell der Wirklichkeit sein und keinen unmittelbaren empirischen Bezug aufweisen. In der Annahme, daß Wirklichkeit begrifflich organisiert ist und damit selektiv wahrgenommen wird, muß die Theorie, die diese interpretieren will, ebenfalls eine selektive Organisation von Wahrnehmung ausmachen und kann folgerichtig nur ein Bereich von einzelnen Hypothesen über Bereiche der Wirklichkeit darstellen. PARSONS entwickelt den Ansatz einer allgemeinen Handlungstheorie quasi axiomatisch-deduktiv aus einigen wenigen Grundannahmen und Begrifflichkeiten, die er als den Bezugsrahmen des Handelns, den action frame of reference, kennzeichnet. 46 Systemanalogie zurück (vgl. PARSONS 1966).. Wesentlich ist hierbei die Unterscheidung von „social constraints from naturalistic causation.“ (PARSONS 1968:709) 46 Dieser kategoriale Bezugsrahmen gründet, wie bereits oben erwähnt, jedoch nicht auf der empirischen Beschreibung von Handlung, sondern ist ein Modell das Handlung beschreibt. Die Kategorien dienen somit als Anleitung zur Beschreibung von Wirklichkeit. Die Konkretisierung der einzelnen Komponenten und ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen, die PARSONS im Rahmen der Thematik der unit of action systems formuliert, entwickelt er vom basic unit, auch unit act, der Einzelhandlung aus (vgl. HAMILTON 1985:73). Denn „[t]his is the ‘smallest’ unit of an action system which still makes sense as a part of a concrete system of action.“ (PARSONS 1968:731) Von mechanistischen Systemanalogien leitet PARSONS die Herangehensweise ab, zunächst das kleinste Element zu identifizieren, um davon ausgehend die einzelnen Handlungsakte zu einer Einheit zu verknüpfen. Einleitend formuliert er „There must be a minimum number of descriptive terms applied to it, a minimum number of facts ascertainable about ist, before it can be spoken at all as a unit in a system.“ (PARSONS in Hamilton 1985:73) Der unit act ist folglich ein Komplex von Elementen, aus denen sich Handlung zusammensetzt „It implies an agent, an ‘actor’. For purposes of definition the act must have an ‘end’, a future state of affairs toward which the process of action is oriented. It must be initiated in ‘situation’ of which the trends of development differ in one or more important respects from the state of affairs to which the action is oriented, the end. This situation is in turn analyzable into two elements: those over which the actor has no control, that is which he cannot alter, or prevent from being altered, in conformity with this end, and those over which he has such control. The former may be termed the ‘conditions’ of action , the latter the ‘means’. Finally there is inherent in the conception of this unit, in its analytical uses, a certain mode of relationship between these elements. That is, in the choice of alternatives, there is a ‘normative orientation’ of action’.“ (PARSONS in Hamilton 1985:73f.) 47 Die Umsetzung erfolgt jedoch erst im Rahmen der struktur-funktionalen Systemtheorie (vgl. MIEBACH 1991:188). 47 In PARSONS Handlungskonzept, dem frame of reference, wird die „subjektive“ Perspektive der Handlung entworfen. „That is, it deals with phenomena, with things and events as they appear from the point of view of the actor whose action is being analyzed and considered.“ (PARSONS in Hamilton 1985:74) Im Zentrum des action frame of reference steht die Orientierung der Akteure an der Situation. Das Begriffsschema befaßt sich insbesondere mit den Beziehungen zwischen den Bestandteilen einer interaktiven Situation, d.h. mit den Prozessen und daraus entstehenden Strukturen. Wesentliches Kriterium ist dabei die normative Orientierung der Akteure. Damit wird deutlich, daß PARSONS nicht im Sinn des Behaviorismus einen Organismus als Bezugspunkt der Analyse wählt, sondern „The unit of reference which we are considering as the actor is not this organism but an ‘ego’ or ‘self’.“ (PARSONS in Hamilton 1985:75) Handeln hat neben der motivationalen Komponente, d.h. daß der Handelnde die Situation stets auf eigene Bedürfnisse und Ziele bezieht, immer auch eine Komponente, die durch die Bedürfnislage des Organismus bestimmt ist. PARSONS reflektiert zwar in diesem Zusammenhang die need disposition des Organismus, jedoch ist für seine Handlungstheorie lediglich die Organisation des Handelns von Interesse. PARSONS fokusiert hierbei insbesondere auf die Erfahrung des Handelnden mit der Bewältigung von Situationen. Nicht einfaches Reagieren steht im Mittelpunkt, sondern die Entstehung eines Systems von Erwartungen, die in bezug auf die Situationselemente entwickelt werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:14). Handlung wird daraus ableitend verstanden als „a state of tension between two different orders of elements, the normative and the conditional.“ (PARSONS 1968: 732) Das normative Element des unit act grenzt PARSONS von der utilitaristischen Tradition ab, wobei hier insbesondere die Ablehnung von Irrationalem, wie 48 beispielsweise Glauben, unter dem Gesichtspunkt thematisiert, das dies die Ziel-Mittel-Erwägung stören würde, von PARSONS kritisiert wird. Das Element der normativen Orientierung bedingt darüber hinaus die Möglichkeit, auf Handlung eine Strukturtheorie aufzubauen, da alles soziale Handeln in diesem Aspekt einen Bezugspunkt findet (vgl. WEISS 1993:21) und dies „... to the fact of integration of individuals with references to a common value system, manifested in the legacy of institutional norms, [...] and in various modes of expression.“ (PARSONS 1968:768) PARSONS folgt hier DURKHEIM im Sinn der common-value integration 48 als genereller Eigenschaft aller Handlungsysteme. Dabei sollen Handlungsziele, Mittel und normative Orientierungen, nach generellen analytischen Prinzipien, die von speziellen Situationen unabhängig sind, klassifiziert werden (vgl. WEISS 1993:21). Die voluntaristische Perspektive ist damit als Konzept nur in bezug auf die Möglichkeiten einer nicht determinierten Handlung DURKHEIMscher Provenienz aufzufassen. Wobei im Vordergrund steht, daß „Within the area of control of the actor, the means employed cannot, in general, be conceived [...], but must in some sense be subject to the influence of an independent, determinate selective factor... a normative orientation...“ (PARSONS 1968:44f.) In der Verbindung des voluntaristischen Handlungskonzepts mit dem Aspekt der normativen Orientierung entwickelt PARSONS in der Folge die systemtheoretische Komponente seines Ansatzes, die vom Funktionalismus inspiriert ist, aber eine Umformulierung in der Weise erfährt, daß Gesellschaft als System interdependenter, einander beeinflussender Teile auch dynamische Elemente aufweisen muß. Im Übergang von der Individualebene zur Systemebene treten funktionale Gesichtspunkte 48 in den Mittelpunkt der theoretischen Erörterung. Der DURKHEIM folgt in der theoretischen Erfassung gesellschaftlicher Realität nicht der Vorstellung, dass individuelle Rationalität für Integration sorgt, sondern entwickelt eine, an ROUSSEAU anlehnende, Konzeption eines Solidaritätsgefühls unter den Mitgliedern einer Gesellschaft, welches die gemeinsame Willensäußerung zur Einhaltung von Normen bedingt (vgl. WEISS 1993:18 f.). 49 anschließende Abschnitt widmet sich daher zunächst der Darstellung wesentlicher Entwicklungsschritte des Funktionalismus in den Sozialwissenschaften. 3.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften Talcott PARSONS’ theoretische Konzeption wird als funktionalistische Theorie gekennzeichnet und weist somit auf eine bestimmte, von der kausalwissenschaftlichen zu unterscheidende Erklärungsweise hin. Da der Funktionalismus unterschiedliche Ursprünge hat, werden in einem kurzen Überblick zur funktionalen Betrachtungsweise im Rahmen der Sozialwissenschaften wesentliche Einflußfaktoren PARSONS’ funktionalistischer Konzeption dargestellt. 3.3.1 Definition des Begriffs Funktion Der Begriff der Funktion hat unterschiedliche Definitionen. Allgemein finden sich im Lexikon folgende Ausführungen: Geltung, Tätigkeit, Amt, Stellung und [klar umrissene] Aufgabe innerhalb eines größeren Zusammenhangs, Rolle. Fachwissenschaftliche Verwendungen des Funktionsbegriffs gehen allerdings in abstrakteren Konzeptionen auf, so z.B. in der Mathematik, wo unter einer Funktion eine veränderliche Größe, die in ihrem Wert von einer anderen abhängig ist verstanden wird. Im Rahmen kybernetischer Funktionsdefinition ist ein bestimmtes Systemverhalten, das sich aus dem Verhältnis von Ein- und Ausgabe bestimmen läßt, zu verstehen. Alle diese Definitionen finden Eingang in die sozialwissenschaftliche Verwendung des Begriffs der Funktion. Jedoch ist hier nicht ohne weiteres mit (exakten) naturwissenschaftlichen oder mathematischen Vorstellungen zu arbeiten. 50 3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie Ansätze funktionalen Denkens finden sich bereits in den Arbeiten Auguste COMTEs (1798-1857) und werden hier in der Weise formuliert, daß Erklärungen von Einzelphänomenen nur im Rahmen des Ganzen erfolgen könnten, da alles in einer Gesellschaft in sehr hohem Masse verflochten sei (vgl. WEISS 1993:13). Die struktur-funktionale Systemtheorie geht in ihren Grundlagen allerdings auf Emile DURKHEIM (1858-1917) zurück. In seinen Arbeiten spielen funktionale Aspekte eine wesentliche Rolle, da mit den gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert, d.h. dem wissenschaftlichen Fortschritt und der zunehmenden technischen Beherrschung und Nutzbarmachung der Natur, die die Entwicklung des industriellen Kapitalismus mit seiner komplexen Arbeitsteilung und steigender Bevölkerungszahlen ausmachten, das Thema der zunehmenden Differenzierung ins Blickfeld theoretischer Erklärungsansätze tritt. DURKHEIM beschäftigt sich dabei im besonderen mit Themen der Differenzierung der Gesellschaft in Einheiten, z.B. Familien, unter besonderer Berücksichtigung der Erklärung von Interdependenz zwischen den Einheiten, als auch mit den Aspekten des Zerfalls und der Integration(sleistung) sozialer Systeme.49 Besonders die Relation des Teils zum Ganzen steht hierbei im Blickpunkt. Aber der Aspekt der Interdependenz allein ist für DURKHEIM kein ausreichendes Erklärungsschema für den Systemerhalt und er thematisiert kulturelle Begründungen, z.B. Werte, als integratives Moment gesellschaftlicher Systembetrachtung.50 Die Thematik der Differenzierung ist allerdings nicht erst bei DURKHEIM Bestandteil der Theorie, sondern findet sich auch in den Evolutionstheorien, die auf die Arbeiten Charles DARWINs folgen (vgl. WEISS 1993:14). Ein 49 Die differenzierte Gesellschaft basiert nach DURKHEIM auf einer „organischen Solidarität“, die sich in der unterschiedlichen Funktionsausübung von Einzelnen und der sich daraus entwickelnden Interdependenz ausdrückt. Infolge der zunehmenden Komplexität differenzierter Gesellschaften nimmt auch die gegenseitige Abhängigkeit zu und Durkheim entwickelt seinen theoretischen Ansatz dahingehend, daß die gesellschaftlichen Mitglieder ihre gegenseitige Verpflichtung schließlich als moralische Tatsache akzeptieren (vgl. DURKHEIM in Thompson 1985:46 ff.). 51 prominenter Vertreter dieses Theorietypus’ ist Herbert SPENCER (1820-1906). Er übernimmt evolutionstheoretische Vorstellungen, um gesellschaftlichen Fortschritt analysieren zu können. Hierbei vertritt er die Annahme, daß auch in der gesellschaftlichen Entwicklung ähnliche Gesetzmäßigkeiten bestehen, wie diese in der Natur nachweisbar sind. Spencer erfaßt die Tendenz zu größerer Komplexität gesellschaftlicher Strukturen in Form zunehmender Homogenität der einzelnen Gesellschaftsteile, was auch zunehmende Anpassungsleistungen, innerhalb wie außerhalb des betrachteten gesellschaftlichen Gebildes bedeutet. Dabei wird der Aspekt von Teil und Ganzem umfassend thematisiert (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:83ff.). Nach SPENCER ist soziale Evolution als Steigerung von Anpassungsleistungen aufzufassen, die aufgrund zunehmender Differenzierung und gleichzeitiger Integration möglich wird. Hierbei thematisiert er die Analogie zwischen organischen und sozialen Gebilden. Dieser Annahme folgend leitet er Funktionen von Teilen des sozialen Systems her, die wichtig für den Bestand des Gesamtsystems sind (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:85, vgl. auch WEISS 1993:15f.). Aufbauend auf diesen Thesen finden sich im soziologischen Funktionalismus zwei wichtige Ansatzpunkte: 1. Jede kulturelle Erscheinung muß eine bestimmte Funktion haben, woraus sich 2. ergibt, daß die Erscheinungsform auf die Funktionserfüllung schließen läßt (vgl. WEISS 1993:16). Eine Fortentwicklung, teilweise auch in Anlehnung an die Arbeiten DURKHEIMs, erfährt der funktionale Denkansatz in den 20er und 30er Jahren im Rahmen der Ethnologie/Anthropologie durch die Arbeiten Bronislaw MALINOWSKIs (1884-1942) und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs (1881-1955). Gestützt auf die Analyse primitiver Gesellschaften soll die Funktionsbestimmung von kulturellen Erscheinungen im Rahmen des Gesamtgefüges möglich werden. MALINOWSKIs Funktionsbegriff fokusiert hierbei insbesondere auf die individuellen Auswirkungen gesellschaftlicher Institutionen. Hierbei untersucht 50 Der Versuch der Erklärung gesellschaftlicher Integration durch Werte bedingt die Zurechnung 52 er die Funktionen, welche Institutionen zur Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse der Mitglieder des betrachteten gesellschaftlichen Gebildes erfüllen. Malinowski entwickelt ein allgemeines Funktionen-Schema, das sieben grundlegende individuelle Bedürfnisse thematisiert und diese mit zentralen gesellschaftlichen Institutionen in Beziehung setzt (vgl. HAUCK 1988:130). Darüber hinaus hat wesentliche Bedeutung, daß er Kultur bereits als Handlungssystem auffaßt und bemüht ist Teilbereiche der Kultur mit den Bedürfnissen des menschlichen Organismus zu verbinden. Alfred R. RADCLIFF-BROWN definiert den Funktionsbegriff im Zusammenhang mit der Frage der Erhaltung des Bestands des betrachteten gesellschaftlichen Gebildes. In Analogie eines biologischen Organismus analysiert er die Funktionen der einzelnen sozialen 51 gesellschaftlichen Gesamtheit. Phänomene für den Erhalt der RADCLIFF-BROWNs Interesse geht in Richtung der Formulierung von Gesetzmäßigkeiten zur Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Systemen. Die Arbeiten der funktionalen Ethnologie/Anthropologie haben wesentlich zur Entwicklung des Funktionalismus beigetragen und weisen ebenfalls starken Einfluß auf die Entwicklung sozialwissenschaftlich gewendeter Systemtheorie Parsonianischer Prägung auf. Die Arbeiten MALINOWSKIs und RADCLIFF-BROWNs konzentrierten sich auf die Analyse primitiver Gesellschaften. Robert K. MERTON betonte demgegenüber jedoch, daß die Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf die Untersuchung von modernen, komplexen Gesellschaften übertragen werden können. MERTON stellt im wesentlichen auf drei Kritikpunkte ab, wobei er 1. 51 die Differenzierung zwischen primitiven und modernen Gesellschaften, zur Bestimmung des Bezugspunktes von dem aus die Analyse erfolgen soll, thematisiert. Außerdem verweist der zum normativen Paradigma (vgl. MIEBACH 1991:193). Hier wird noch die, durch die Evolutionstheorien nahegelegte Vorstellung der Nützlichkeit von bestehenden Verhältnissen unterlegt. 53 2. 3. auf die Vielschichtigkeit sozialer Realität, die bedingt, daß nicht alle 52 Bestandteile einer Kultur funktional sein müssen. Und er wendet sich gegen den Erfordernisanspruch hinsichtlich der Funktionserfüllung bestimmter Elemente. Merton bringt hier die Möglichkeit funktionaler Äquivalente in die theoretische Auseinandersetzung ein (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:99). Im Rahmen seiner Arbeiten sind somit wesentliche Unterscheidungen in die funktionale Analyse eingegangen und die bis dahin bestehende Orientierung des Funktionalismus entwickelte sich in Richtung der Bestimmung von Phänomenen und Folgen für Strukturen, in die sie eingebettet sind. In der Weiterentwicklung des Funktionalismus liegt der Übergang zur Systemtheorie. Wobei der Begriff der Struktur, aus funktionalen Grundannahmen entwickelt, direkt in die Systemtheorie überleitet, denn ein System 53 kann nur als solches wahrgenommen werden, wo es sich aufgrund innerer Strukturbildung gegen seine Umwelt abgrenzt. Der Strukturbegriff ist folglich ein Systemmerkmal, welches Elemente in einem bestimmten Rahmen als Konstanten beschreibt. Ausgehend von dieser Fassung des Strukturbegriffs kann ein System definiert werden als ganzheitlicher „Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“ (WILLKE 1982:149) Talcott PARSONS verbindet handlungs- und systemtheoretische Begriffe zu einer Theorie der Handlungssysteme, wobei er den Systembegriff in seiner technisch-naturwissenschaftlichen Fassung auf die Erklärung von Handlung erweitert und den Versuch unternimmt, im Rahmen der Formulierung einer 52 MERTON trifft Unterscheidungen zwischen Funktionen, Dysfunktionen und Nicht-Funktionen. In der Differenzierung von individuellen Absichten und objektiven Folgen, gelingt darüber hinaus die Formulierung von manifesten und latenten Funktionen, die sich thematisch auf den gerade beschriebenen Aspekt sozialer Wirklichkeit beziehen (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:89). 53 Verstanden als analytische Konzeption oder als ein Gebilde im Sinn eines ganzheitlichen Zusammenhangs. 54 allgemeinen Handlungstheorie alternative Erklärungen sozialer Strukturen und Prozesse herzuleiten, die nicht aus den Erklärungsansätzen bereits bestehender Gesellschaftstheorien darzulegen waren (vgl. MIKL-HORKE 1992:191, vgl. auch WEISS 1993:24). Die Umformulierung der Handlungstheorie in eine struktur-funktionale Systemtheorie muß zwangsläufig die Struktur in bezug zur Funktion ableiten, wobei „die strukturellen Züge eines sozialen Systems nicht mehr aus den Propositionen des unit-act hergeleitet werden können.“ (WEISS 1993:22) PARSONS begründet die Abstrahierung von individueller Variabilität der Verhaltensweisen und Motivationen mit der Programmatik, soziale Faktoren identifizieren zu wollen (vgl. HAUCK 1988:137). 3.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme Im Rahmen des handlungstheoretischen Modells, das systemtheoretische und interaktionistische Komponenten in einem Theoriekonstrukt verbindet, unternimmt PARSONS den Versuch, eine allgemeine Theorie menschlichen Handelns zu entwerfen. Alle relevanten Aspekte der gesellschaftlichen Realtität sollen dabei mithilfe eines Systems von logisch zusammenhängenden Begriffen erfaßbar gemacht werden. Die Konkretisierung der theoretischen Konzeption erfolgt in den 1951 erschienen Schriften Toward a General Theory of Action und The Social System. Im Gegensatz zur Handlungstheorie, die „Strukturen als Rollenrechte und -pflichten, als institutionalisierte Werte und Normen, als primäre und sekundäre Regeln der Alltagshandlung, als im Verlauf der Biographie aufgebaute Identität und als Grundbedingung sozialen Handelns.“ (MIEBACH 1991:183) erfaßt und hierbei Bedingungen aufführt, die von Gruppen oder einzelnen Individuen beeinflußbar sind, sich aber für den Handelnden in einer konkreten Interaktionssituation als unveränderbare soziale Gegebenheit aufzeigen, liegt 55 die Betonung, im Rahmen der Systemtheorie, auf den strukturellen Mustern, die sich in Systemen zu einer eigenen Ebene verfestigen und von dem einzelnen Handelnden nicht kontrollierbar sind.54 Der Systembegriff, der der theoretischen Konstruktion Talcott PARSONS’ unterlegt ist, setzt sich aus verschiedenen Systemmerkmalen zusammen: PARSONS’ Verständnis des Systems sozialer Handlungsgefüge entwickelt sich einerseits am mechanischen Systemmodell Vilfredo PARETOs, der dieses auf soziale Aspekte anwendet, weiterhin am physikalisch-chemischen Systembegriff, wie ihn Lawrence J. HENDERSON entwickelte und auf biologische Systeme anwendet und schließlich am Ansatz der Homöostasis und der kybernetischen Steuerung bei Alfred EMERSON und Norbert WIENER. EMERSONS’ Auffassung folgend, daß zwischen Genen und Symbolen eine funktionale Äquivalent bestehe, gelangt PARSONS zur Überzeugung, daß zwischen den physischen Systemen der organischen Welt und denen der soziokulturellen Welt eine prinzipielle Beständigkeit von Gesetzmäßigkeit bestehe und demzufolge dieselben Gesetze für beide Bereiche angenommen werden können.55 PARSONS Auffassung nach ist ein System durch die Interdependenz der Teile gekennzeichnet, welches aufgrund des Ordnungscharakters der inter- dependenten Variablen die Tendenz zur Erhaltung der Struktur und damit dem Gleichgewicht im System aufweist. Die Ordnungsfrage wird somit im Hinblick auf Systembezüge und das „Überleben“ eines Systems im Sinn eines dynamischen Gleichgewichts erörterungsfähig. Die Untersuchung bedingt folglich die Bezugnahme einzelner Probleme systematisch auf die Gesamtheit. Auf diese Weise werden Erscheinungen, die systemerhaltend wirken oder die Integration beeinträchtigen, analysierbar (vgl. HAUCK 1988:135). Dieser Perspektive sind jene Konzepte untergeordnet, die reflexiv Handlung, im unit act, auf eine Einheit reduziert und Handlungsentwürfe als Ausdruck von 54 Auf den unterschiedlichen Emergenzniveaus werden strukturelle Verfestigungen beobachtet, die auf das Handeln der Individuen einwirken (vgl. MIEBACH 1991:183). PARSONS modelliert darauffolgend im Verlauf seiner Arbeiten die vier verschiedenen Ebenen seiner systemischen Analyse. 56 Rollenabläufen erfaßt, die dem Sozialsystem zugeordnet werden können. Hier entwickelt PARSONS den Bezug zu FREUDs Über-Ich-Konzeption und gelangt durch die Einführung der Prozesse der Internalisierung und Institutionalisierung zur Möglichkeit, die Subsysteme miteinander zu verbinden. Hierbei wird, im Rahmen der Definition von System als Menge von wechselseitig von einander abhängigen Elementen und ihren Beziehungen untereinander, die Problematik angesprochen, daß je komplexer das System wird desto weniger sind die Beziehungen untereinander wesentlicher Integrationsfaktor. Dieser Problembereich der theoretischen Konzeption wird im Rahmen einer Hierarchie thematisiert, wobei eine selektive Verknüpfung der Elemente notwendig wird. 56 3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen Mit der Einführung von Handlungssystemen in die theoretische Konzeption kategorisiert PARSONS Systeme nach unterschiedlichen Stufen der Evolution, die einerseits durch kybernetische Kontrollbeziehungen mit einander verbunden sind, andererseits durch Stufen konditionaler Voraussetzungen aufeinander basieren. Handlungssysteme werden dabei von physikalisch-chemischen und biologischen Systemen in der Weise differenziert, daß erstgenannte aufgrund einer „‘Interdependenz-Unterbrechung’ durch ein Fehlen von ausreichenden ‘inniate organizers’ (angeborenen Steuerungsfunktionen) für menschliches Verhalten“ (MOREL 1992:142) entstehen. Damit wird der Aspekt der (Nicht-)Determiniertheit menschlichen Verhaltens thematisiert und PARSONS ist vor diesem Hintergrund insbesondere an der Entstehung und Dauerhaftigkeit von sozialer Ordnung interessiert. 55 56 Die Darstellung der einzelnen System-Modelle findet sich bei TJADEN (1971). PARSONS führt hierzu die kybernetische Kontrollhierarchie in sein theoretisches Konzept ein. 57 3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie In Toward a General Theory of Action (zus. mit E. SHILS 1951) thema-tisiert PARSONS die Beziehung zwischen den drei Handlungssystemen Persönlichkeitssytem, soziales System und kulturelles System. Jedes System ist dabei als analytische Abstraktion von konkretem Verhalten aufzufassen. Einleitend erörtert PARSONS die Unterscheidung zwischen den Aspekten des physiologischen Organismus als Grundlage des individuellen Akteurs, der Handlung eines einzelnen Akteurs und den Handlungen von einer Mehrzahl von Akteuren in einem Kollektiv. Wichtig für PARSONS ist herauszustellen, daß die Organisation von Handlung im Zentrum der Diskussion steht. Damit stellt er den Aspekt der Handlungsorientierung in den Vordergrund. „Whether the acting unit is an individual or a collectivity, we shall speak of the actor’s orientation of action when we describe the action.“(PARSONS/SHILS 1962:4) Den Aspekt der Motivation thematisiert Talcott PARSONS im Rahmen der normativen Orientierung, was den Ausgangspunkt der theoretischen Erörterung bildet. PARSONS räumt ein, daß „The concept motivation in a strict sense applies only to individual actors.“ (PARSONS/SHILS 1962:4) Jedoch liegt das Erkenntnisinteresse auf dem Schwerpunkt der Identifikation von sozialen Handlungskonzeptionen und PARSONS führt aus, daß „[t]he motivational components of the action of collectivities are organized systems of the motivation of the relevant individual actors.“(PARSONS/SHILS 1962:4) Für die Handlungsorientierung bedeutet dies, daß „Action has an orientation when it is guided by the meaning which the actor attaches to it in its relationship to his goals and interests.“(PARSONS/SHILS 1962:4) 58 Der Handlungsorientierung wird ein set of objects of orientation unterlegt (siehe PARSONS/SHILS 1962:4). PARSONS differenziert dabei zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen von Objekten „to which the actor who is the point of reference may be oriented.“ (PARSONS/SHILS 1962:4). Die Klassifikation der Modalitäten von Objekten erfolgt hierbei nicht über ihre Eigenschaften, sondern über ihre Beziehung zum Handelnden. „These are either (1) nonsocial, that is, physical objects or accumulated cultural ressources, or (2) social objects, that is individual actors and collectivities.“(PARSONS/SHILS 1962:5) Das Unterscheidungskriterium liegt im Begriff der Interaktion, der gegenseitigen Orientierung und der damit verbundenen Bildung von Erwartungsstrukturen. In der spezifischen Kombination der Selektionen hinsichtlich der Objekte in einer Situation konstituiert sich so allmählich eine Handlungsorientierung für den einzelnen Akteur. In der organisierten Gesamtheit der Handlungsorientierungen besteht dann für PARSONS ein Handlungssystem, das durch das bereits beschriebene Fehlen einer Handlungsdeterminiertheit die Beziehung zwischen Handelndem und Situation durch bestimmte Orientierungsweisen festlegt. PARSONS unterscheidet hierbei drei unterschiedliche Orientierungsmodi bzw. Relationsmodi: a) den kognitiven, b) den teleologisch-evaluativen und c) den affektiv-kathektischen Relationsmodus. Wesentlich ist, daß zwischen der Umwelt, den Wünschen des Handelnden und den emotionalen Bedingtheiten (Bindungen) von Handlungsweisen differenziert wird (siehe PARSONS/SHILS 1962:4). Zusammenfassend können diese Relationsmodi aufgefaßt werden, als „the categories for the description, on the most elementary level, of the orientation of action, which is a constellation of selections from alternatives.“ (PARSONS/SHILS 1962:5 f.) 59 PARSONS geht in der Untersuchung der Handlungsorientierungen von einer bestimmten Konstellation der Orientierung aus, wobei er jedoch darauf hinweist, daß die „dynamic analysis would treat the process of action and is the proper goal of conceptualization and theory construction.“(PARSONS/SHILS 1962:6) Er schlussfolgert daraufhin, daß „these same variables are dealt with in the analysis of the processes in which, through change in the values of the variables, one orientation changes into another. There is, thus, no difference...“ (PARSONS/SHILS 1962:6) Der Handlungsbezugsrahmen wird von PARSONS auf alle Handlungsaspekte und -prozesse bezogen, wobei die Verhaltensweisen, die es zu analysieren gilt, in Systeme unterteilt werden. PARSONS differenziert drei unterschiedliche Konfigurationen: Persönlichkeit, das soziale und das kulturelle System (vgl. PARSONS/SHILS 1962:6f.). Der Begriff der Persönlichkeit umfaßt die Orientierung des Akteurs und die zugrunde liegenden motivationalen Prozesse. Das soziale System wird aus den Interaktionen von mehreren Handelnden geformt, kann jedoch nicht als „plurality of personalities“ verstanden werden (PARSONS/SHILS 1962:7). Das Kultursystem enthält schließlich kulturelle Tradierungen, die einmal als Objekt der Orientierung verstanden werden und zum anderen als Element der Handlungsorientierung in den Aspekten der Persönlichkeit und des sozialen Systems auffindbar sind (vgl. PARSONS/SHILS 1962:7). Die vorgestellten Konfigurationen müssen als eigenständige Systeme aufgefaßt werden und sind somit nicht aufeinander reduzierbar. Konkrete Handlungssysteme, faßt PARSONS zusammen, sind „personalities and social systems - have psychological, social and cultural aspects.“(PARSONS/SHILS 1962:7) Kulturelle Elemente unterteilt PARSONS wiederum in zwei Klassen 60 „First, they may be differenciated according to the predominance of each of the modes of motivational orientation. Second, culture patterns as objects of the situation may be distinguished from culture patterns as internalized components of the orientation system of an actor.“ (PARSONS/SHILS 1962:8) Wesentlich ist bei dieser Einteilung, daß die erste Klasse drei Typen von kulturellen Mustern hervorbringt, die Organisation und damit Systembildung bedingen. Es sind dies a) kognitive, b) expressive und c) evaluative Systeme der Wertorientierung. Ihre Funktion liegt im Bereich der Lösungsmöglichkeiten für bestimmte Orientierungsprobleme in bestimmten Situationen (vgl. PARSONS/ SHILS 1962:21). Auch die Systeme der Wertorientierung können wieder unterteilt werden, was auf die Klassifizierung von Einstellungen und Standards von Handlungsweisen hinausführt und PARSONS zu Typen sozialer Strukturen und damit der Einteilung von bestimmten Gesellschaftstypen gelangen läßt (vgl. PARSONS 1979:177ff.). Zur Verdeutlichung der „organization of action into systems“ entwirft PARSONS eine Handlungssituation, die nicht mehr aus der Perspektive des Individuums entworfen wird, sondern die Einführung der Interaktion mehrerer (Ego-AlterRelation) erfährt (PARSONS/ SHILS 1962:54). Er beginnt mit der Betrachtung einer Zwei-Personen-Interaktion. In einer solchen Situation stellen beide für einander jeweils Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung als auch zur Frustration dar – „the complementarity of expectations“ (PARSONS/ SHILS 1962:15). In gegenseitigem Lernprozeß zur Vermeidung von Frustrationen, sanctions, und darüber hinaus der Maximierung ihrer Bedürfnisbefriedigung, conformity, verdichtet sich so allmählich ein System von Erwartungen, welches festlegt wie Verhalten sein soll. „Thus consideration of the place of complementarity of expectations in the processes of human interaction has implications for certain categories which are central in the analysis of the origins and functions of cultural patterns. There 61 is a double contingency inherent in interaction.“(PARSONS/SHILS 1962:16) Und PARSONS kommt zum Schluß, daß hinsichtlich der gegenseitigen Erwartungen in der interaktiven Situation Stabilität nur durch die Etablierung bestimmter Konventionen gewährleistet sein kann. Diese Konventionen führt PARSONS auf die normative Orientierung und damit auf ein „shared symbolic system“ zurück (vgl. PARSONS/SHILS 1962:16). Dieser Satz von Normen steuert das Verhalten von Individuen und bedingt die Entwicklung eines Bezugsrahmens, der die, für die soziale Interaktion wichtigen Zeichen und Symbole, die mit bestimmten Bedeutungen belegt sind und als Kommunikationsmedien den Zusammenhang zwischen Handelnden und Situation herstellen, liefert, bis sich die Interaktionsmuster endgültig stabilisiert haben. Die Organisation der Handlung beinhaltet somit kulturelle Symbolismen (vgl. PARSONS/SHILS 1962:7-21, vgl. auch PARSONS 1979:5f.). Den Prozeß der Aneignung der kulturellen Muster siedelt PARSONS im Sozialisationsprozeß an. Die Persönlichkeit als System, ego structure, enthält neben Elementen der Motivation, die Gratifikations-Deprivations-Balance, Aspekte der Kognition und des Lernens auch Mechanismen, die auf den Relationsmodi aufbauen (vgl. PARSONS/ SHILS 1962:18). Neben den physiologischen Komponenten des individuellen Akteurs, der need disposition, führt PARSONS die interaktive Erfahrung in die Struktur der Persönlichkeit ein, wobei die symbolischen Aspekte der kulturellen Tradition „form an interdependent system of acquired need-disposition.“ (PARSONS/ SHILS 1962:54). Darauf aufbauend entwickelt PARSONS das Konzept der Rollenerwartung. Die Organisation von Handlungsalternativen in einem Handlungssystem ist wesentlich, da „[w]ithout this organization, the stable system of expectations which are essential to any system of action could not exist.“(PARSONS/SHILS 1962:20 f.) 62 Die Internalisierung von kulturellen Mustern ist somit eine wesentliche Komponente der theoretischen Konzeption PARSONS’. Und zusammenfassend formuliert er, daß „All concrete systems of action, at the same time, have a system of culture and are a set of personalities (or sectors of them) and a social system or subsystem. Yet all three are conceptually independent organizations of the elements of action.“(PARSONS/SHILS 1962:22) Aus dem action frame of reference leitet PARSONS weitere handlungstheoretische Konzepte ab, wobei das wichtigste das der pattern variables ist. Mit den Mustervariablen erweitert PARSONS die Handlungsorientierung der Akteure nach den genannten Relationsmodi in dem Sinn, daß der Akteur in einer Situation eine Entscheidung treffen muß, die das Primat bezüglich der Orientierungsmodi festlegt. Dies basiert auf der Grundlage des Verständnisses der Mustervariablen als „... which must be chosen by an actor before the meaning of a situation is determinate for him, and thus before he can with respect to that situation.“(PARSONS/SHILS 1962:76)57 PARSONS formuliert fünf dichotome Entscheidungsalternativen, deren Kombination die spezifische Orientierung und die Orientierungssysteme charakterisieren (vgl. PARSONS/SHILS 1962:76). Die Handlungsorientierungsmuster gehören zum normativen Aspekt der Struktur von Handlungssystemen und bilden eine Komponente des jeweiligen kulturellen Systems. Sie sind damit angelegt, grundlegende Dimensionen der Orientierung zu definieren und Verhalten danach auszurichten. Die dichotomen Musterpaare sind wie normative Vorgaben im Rollensystem und zugleich Lösung für Handlungssituationen. Auf diese Weise werden die pattern variables zum strukturellen Kern, welcher Handlung mit den Aspekten der Kultur, der Gesellschaft und der Persönlichkeit verknüpft (siehe PARSONS/SHILS 1962:79). Die Mustervariablen sind im Handlungsbezugsrahmen auf vier Ebenen lokalisierbar: 63 1) auf der Ebene des Akteurs, 2) auf der Ebene der habits of choice, 3) im Sozialsystem, wo sie Rechte und Pflichten determinieren und 4) im Kultursystem, wo sie sich in Form von Werten manifestieren. Dadurch können die pattern variables zur Beschreibung der Handlungssysteme Persönlichkeitssystem, Sozialsystem und Kultursystem genutzt werden. Ein System sozialen Handelns ist zusammenfassend eine integrierte Struktur von Handlungselementen in bezug auf eine bestimmte Situation, in welcher motivationale und kulturelle Elemente in eine Ordnung gebracht werden (siehe PARSONS 1979:24). Handlung setzt sich damit aus einer Reihe von untereinander zusammenhängenden und wechselseitig von einander abhängigen Elementen zusammen, erscheint aber als Ganzheit und steht als solche im Austauschverhältnis mit ihrer Umwelt. In der Formulierung der Komponenten der sozialen Handlung, als Teil eines Systems, entwickelt PARSONS somit die Auffassung, daß die Komponenten selbst Systemeigenschaften haben und somit organisierte Ganzheiten mit einer internen Struktur darstellen, die aber wiederum nur insoweit relevant sind, als das sie in Austauschbeziehungen mit Strukturteilen von anderen Systemen stehen. Die so gekennzeichneten Strukturelemente formieren sich infolgedessen als Subsysteme eines übergeordneten Systems, d.h. als Persönlichkeits-, Sozial- und Kultursystems des betrachteten Handlungssystems (vgl. PARSONS 1979:6). Das Persönlichkeitssystem erscheint hierbei als Organisation von Bedürfnisdispositionen, das Sozialsystem als Organisation von Interaktionen zwischen Akteuren, wobei es sich dabei um einen Satz stabilisierter Interaktionsmuster, die stabilized patterns of interaction, handelt. Das Kultursystem schließlich stellt den vorgenannten Systemen Symbole und Werte zur Verfügung (vgl. PARSONS/SHILS 1962:54ff.). Die systemischen Eigenschaften der Handlung aktivieren sich schließlich im Interaktionsprozeß und damit im Sozialsystem und lassen sich auf diese Weise als Interdependenz von Handlungssystemen auffassen. Daraus ergibt sich eine Auffassung des Sozialsystems als 57 64 Auf die genaue Wiedergabe der pattern variables wird verzichtet (vgl. PARSONS/SHILS a) das Inputfaktor des betrachteten Handlungssystems und b) als System der Handlungssysteme in einer Situation, in der die Handlungssysteme ihrerseits zu Inputfaktoren des Sozialsystems werden. PARSONS beschäftigt sich dann insbesondere mit der Darstellung des Sozialsystems, da zunächst gilt, daß „[t]he social system is made up of the actions of individuals.“(PARSONS/SHILS 1962:190) Die Unterscheidung zwischen Persönlichkeitssystem und Sozialsystem trifft PARSONS hinsichtlich der Foci der Organisation von Handlung (vgl. PARSONS/SHILS 1962:190). Hierbei enthebt er den individuellen Akteur als konkretes Handlungssystem seiner prominenten Position und fokusiert auf den Aspekt der Rolle als „conceptual unit of the social system“. (PARSONS/SHILS 1962:190). Dadurch ermittelt er den Bezugspunkt zwischen „the system of action of the individual actor and the social system.“ (PARSONS/SHILS 1962:190). Die Rolle wird als spezielle Abstraktion der konkreten Totaltität des „ego’s system of action“ (PARSONS/SHILS 1962:190) definiert. Auf diese Weise versucht PARSONS „a precondition of any fruitful empirical analysis of social order and change“ (PARSONS/SHILS 1962:190) zu entwickeln. Wesentliches Element der Rolle ist die Rollenerwartung, welche spezifische Situationskriterien zwischen Ego und Alter festlegt. Und 1951:77). 65 „[i]n a social system, roles vary in tionalization.“(PARSONS/SHILS 1962:191) the degree of their institu- Darüber hinaus sind Rollen für die Differenzierung innerhalb des Systems verantwortlich und PARSONS zieht den Schluß, daß „... in a system of differenciated actions, organized into a system of differentiated roles [.] [i]nternal differentiation, which is fundamental property of all systems, requires integration.“(PARSONS/SHILS 1962:197) Denn ungenügende Versorgung mit sozialen oder nicht-sozialen Objekten könnte im extremsten Fall zum state of nature im Hobbes’schen Sinn führen. Im Rahmen des Sozialisationsprozesses wird jedoch dafür gesorgt, daß „normal conditions“ eingehalten werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:197). Und PARSONS schließt seine Konzeption mit der Schlußfolgerung, daß „Without such a solution of this problem, there can be no social system.“(PARSONS/SHILS 1962:197) Die detaillierte Analyse des Sozialsystems wird jedoch nicht mehr in Toward a General Theory of Action vorgenommen, sondern erfolgt in The Social System. 3.4.3 Das Sozialsystem Die Schrift The Social System ist angelegt, das konzeptuelle Schema für die Untersuchung von Sozialsystemen in den Termen des Handlungsbezugsrahmens zu illustrieren. Dabei, hebt PARSONS hervor, ist The Social System „a theoretical work in a strict sense.“ Der Ausgangspunkt ist das „concept of social systems of action“ (PARSONS 1979:3). Er rekapituliert eingangs die Bedingungen der Handlungsorientierung gemäß den Festlegungen des Handlungsbezugsrahmens und stellt wesentliche Aspekte der objects of orientation heraus, wobei insbesondere kulturelle Objekte in den Vordergrund treten, da sie symbolische Elemente der kulturellen Tradition beinhalten und diese sind 66 „so far as they are treated as situational objects by ego and are not ‘internalized’ as constitutive elements of the structure of his personality.“ (PARSONS 1979:4) Das häufige Auftreten, das kontextuelle Regelmäßigkeiten und Gleichförmigkeiten für den betrachteten Zusammenhang liefert und auf diese Weise ein Muster „ideeller Grundlagen“ bedingt, ist, wie bereits gezeigt wurde grundlegendes Element des Bestands von sozialen Handlungssystemen. Handlung definiert PARSONS daraus ableitend als „a process in the actor-situation system which has motivational significance to the individual actor, or, in the case of a collectivity, its component individuals.“ (PARSONS 1979:4) Ein soziales System definiert PARSONS daraus ableitend als bestehend aus „a plurality of individual actors interacting with each other in a situation which has at least a physical or environmental aspect, actors who are motivated in terms of a tendency to the ‘optimization of gratification’ and whose relation to their situations including each other, is defined and mediated in terms of a system of culturally structured and shared symbols.“(PARSONS 1979:6) Das Sozialsystem ist somit als ein Aspekt der Strukturierung eines kompletten konkreten Systems sozialer Handlung aufzufassen. Die Verbindung zwischen den Systemen leitet PARSONS aus Prozessen der Interdependenz und Interpenetration her (vgl. PARSONS 1979:6). Wie bereits erwähnt kann PARSONS diesen Sachverhalt aufgrund der Transformationsmöglichkeiten, die er aus dem Handlungsbezugsrahmen ableitet, darstellen. Wesentlich in der Untersuchung des Sozialsystems wird eine veränderte Herangehensweise in der theoretischen Bearbeitung, denn „our dynamic knowledge of action-processes is fragmentary.“ (PARSONS 1979:6) PARSONS legt damit eine grundsätzlich andere Analyseebene fest, die ihren thematischen Schwerpunkt auf die Untersuchung von Mechanismen, die die 67 Funktion des Systems beeinflussen, legt (vgl. PARSONS 1979:6). Die Entwicklung dieser Perspektive verläuft über die Relationsmodi, die PARSONS in Toward a General Theory of Action thematisiert, und den Selektionsmechanismus hinsichtlich der Handlungsobjekte, die die Orientierung des Akteurs festlegen zu einem „time aspect in the orientation to future development of the actor-situation system and to the memory of past actions.“(PARSONS 1979:8) Mit dieser Komponente bringt PARSONS die „Zielvorstellung“ von Handlungsweisen in die theoretische Konzeption ein findet (vgl. PARSONS 1979:8). Von diesem Aspekt ausgehend leitet er auf Systemerfordernisse gemäß einer Zielvorstellung des sozialen Systems über. Dabei will er die Theorie in „structural-functional terms“ systematisieren findet (vgl. PARSONS 1979:19). Dabei wird der strukturelle Aspekt von prominenter Bedeutung. Und PARSONS verweist auf „one primary concern of this work must be with the categorization of the structure of social systems, the modes of structural differentiation within such systems, and the ranges of variations with reference to each structural category between systems.“ (PARSONS 1979:21) An dieser Stelle wird der zweite wesentliche Aspekt, der der Funktion, eingeführt, wobei PARSONS den strukturellen Aspekt hervorhebt: „We must, of course, ‘place’ a dynamic process structurally in the social system.“(PARSONS 1979:21) Erläuternd fährt er fort „It is placing dynamic motivational processes in this context of functional significance for the system which provides the basis for the formulation of the concept mechanism as introduced above. Motivational dynamics [...] must take the form in the first instance of the formulation of mechanism which ‘account’ for the functioning of social systems, for the maintanance or breakdown of given structural patterns.“ (PARSONS 1979:22) 68 PARSONS leitet die Untersuchung der strukturellen Komponenten des Sozialsystems mit dem Bezug zur Handlung ein: „In the most elementary sense the unit is the act.... of any system of action. The act than becomes a unit in a social system so far as it is part of a process of interaction between its author and other actors.“ (PARSONS 1979:24) Da ein soziales System jedoch als System von Interaktionen aufgefaßt wird, ergibt sich folgerichtig die Struktur des Systems aus den Beziehungen zwischen den Akteuren. Da „[e]ach individual actor is involved in a plurailty of such interactive relationships each with one or more partners in the complementary role“ (PARSONS 1979:25) ist die Teilnahme an den unterschiedlichen Interaktionsprozessen nach verschiedenen Aspekten aufgegliedert. In der Analyse des Sozialsystems wird der act daher als status-role betrachtet findet (vgl. PARSONS 1979:25). Das Sozialsystem besteht aus den Beziehungen zwischen den Handelnden und den durch diese Strukturen bedingten Interaktionen. PARSONS bezeichnet es als „a network of such relationships“ findet (PARSONS 1979:25). Der Handelnde ist Teil dieses Netzwerks und erfüllt dabei mehrere Rollenerwartungen: „Hence it is the participation of an actor in a patterned interactive relationship which is for many purposes the most significant unit of the social system.“(PARSONS 1979:25) PARSONS unterscheidet zwischen Status und Rolle in der Weise, dass er unter dem Begriff Status den Aspekt des Objekts der Orientierung in der interaktiven Situation fasst. Die Rolle ist dagegen der strukturierte Ausschnitt aus der Orientierung des Handelnden, der seine Teilnahme an der interaktiven Situation aufgrund gegenseitiger Rollenerwartungen begründet und festlegt findet (vgl. PARSONS 1979:25). Rollen sind dabei determiniert durch allgemein akzeptierte Wertvorstellungen und Teil von Institutionen, wo sie die Verteilung von Macht und Prestige bewirken. Sie beruhen auf Differenzierung- und Zuweisungsprozessen, die Integrationsprozesse notwendig machen. 69 Über den Aspekt der Systemintegration als Bedingung des Systembestands gelangt PARSONS zur Frage hinsichtlich des Gleichgewichtszustands des Systems. „The basis of this is the insight that action systems are structured about three integrative foci, the individual actor, the interactive system, and a system of cultural patterns.“(PARSONS 1979:27) Davon ausgehend untersucht er die Relationen der einzelnen Elemente und thematisiert dabei 1) die Notwendigkeit der Integration der verschiedenen Systemteile und 2) die Notwendigkeit der ‘Unterstützung’ der Akteure hinsichtlich Systembestands. des In der Frage des support erörtert PARSONS, daß „It must, that is, have a sufficient proportion of its component actors adequately motivated to act in accordance with the requirements of its role system, positively in the fulfillment of expectations and negatively in abstention from too much disruptive, i.e. deviant, behavior.“ (PARSONS 1979:27) Er identifiziert dabei Faktoren, analog einem biologischen Organismus, die insbesondere die funktionalen Vorbedingungen (functional prerequisites), d.h. die Systemintegration, unterlegt. Wichtig für die weitere Theorieentwicklung wird die Anwendung und Verknüpfung des Konzepts der Mustervariablen mit einem von Robert Bales entwickelten Beobachtungsschema der Interaktionen in Kleingruppen. Als Synthese entsteht das AGIL-Schema. 70 3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems Der Kleingruppen-Ansatz, nach R. BALES, wird zur Verdeutlichung der Systembedürfnisse, der functional prerequisites, in bezug auf den EquilibriumsAspekt übernommen. Im Mittelpunkt stehen dabei Gruppenprozesse, bei denen, aufgrund der Eigendynamik von Interaktionen, die Balance zwischen zentrifugalen und zentripedalen Kräften erhalten bleiben muß, um den Bestand des Systems zu gewährleisten. Die Erkenntnisse gruppendynamischer Prozesse, die sowohl die Ego-Alter-Beziehung als auch große Einheiten umfassen, sind in PARSONS’ Theoriekonstruktion in die Systemerfordernisse gemäß dem AGIL-Schema eingeflossen. Für den Aufbau von Handlungssystemen müssen vier Grundfunktionen erfüllt sein. PARSONS gewinnt diese auf der Kreuzung von zwei Dimensionen, die für die Systembildung im allgemeinen gelten und sich direkt aus der Definition des Systems ableiten lassen. Durch den Strukturaufbau wird das System gegen seine Umwelt abgrenzbar und nur durch die Aufrechterhaltung der Systemgrenze kann das System fortbestehen. Durch diese Abgrenzung entsteht eine Innen-Aussen-Dimension, die es erlaubt, Prozesse in einem System, der Umwelt oder auch intern oder extern motivierten input-outputBeziehungen zuzuordnen. Die Innen-Aussen-Verbindung läßt sich dabei durch den Zeitbezug von Systemen ergänzen. Wichtig ist, Eigenschaften und Prozesse darzustellen, die durch ihren zeitlichen Bezug zu Gegenwart oder Zukunft bestimmt sind. PARSONS führt für diese Zeitperspektive die Begriffe instrumentell und konsumatorisch ein. Konsumatorisch sind hierbei die Ziele und instrumentell die Einsätze zur Verwirklichung der gesteckten Ziele (vgl. PARSONS 1979:8ff.). In der Kreuzung der räumlichen und zeitlichen Dimension ergeben sich dann die vier Grundfunktionen des AGIL-Schemas. Der weitere Ausbau der Handlungssysteme besteht nun darin, die über AGIL gewonnenen Subsysteme weiter auszudifferenzieren. Die Bildung von Subsystemen ist dabei grundsätzlich analytisch konzipiert und PARSONS geht es dabei hauptsächlich um die Darstellung der Prozesse, die innerhalb eines Systems ablaufen. In der Frage nach dem Bestehen eines sozialen Systems thematisieren die functional prerequisites 71 a) das Persönlichkeitssystem, das motiviert sein muß, gemäß den Anforderungen des Rollensystems zu handeln und b) kulturelle Muster, die ein Mindestmaß an Ordnung definieren und erfüllbar sein müssen. Die Systemperspektive dominiert gegenüber dem voluntaristischen Ausgangspunkt seiner Arbeiten und PARSONS entwickelt somit zwei unterschiedliche Perspektiven: eine des Akteurs und eine Systemperspektive. Er vollzieht an dieser Stelle die Differenzierung von Systemtheorie und Funktionalismus. Die Entwicklung der Gesellschaft ist ein Prozeß funktionaler Differenzierung in den Subsystemen. Wesentlich wird der Prozeß der Integration, der zur Strukturerhalt und Adaption notwendig ist. Der Funktionsapekt setzt die strukturellen Elemente und das System in Beziehung. PARSONS ist hierbei insbesondere an der Frage interessiert, wodurch Veränderungen ausgelöst werden. Im Rahmen des AGIL-Schemas werden die vier fundamentalen funktionalen Aspekte aller Handlungssysteme benannt: Die Funktion Latenz, pattern maintanance, ist für Talcott PARSONS fundamentaler Bezugspunkt der Theorie sozialer Systeme. Hier wird der Imperativ genannt, der die Stabilität institutionalisierter Muster bezeichnet, welche die Struktur der Systeme definiert und diese aufrechtzuerhalten hat. Die Ziel-Erreichungsfunktion, goal-attainment, folgt aus der Tatsache des Zusammentreffens der stabilen allgemeinen Kulturmuster mit den täglich wechselnden Situationen in der Umwelt des kulturellen Systems. Wichtig ist, aus abstrakten Werten konkrete, für die Situation anwendbare Ziele abzuleiten. Darüber hinaus muß eine Prioritätshierarchie gemäß der vorhandenen Ressourcen aufgestellt werden. Anpassung, adaption, ergibt sich aus der Notwendigkeit, dem System die zur Zielerreichung notwendigen Ressourcen aus der Umwelt zu beschaffen. Diese Güter sind nicht an spezifische Ziele geknüpft, sondern können auch widersprechende Ziele haben. 72 Integration, integration, resultiert aus dem Fakt, daß Gesellschaft aus einer Vielzahl von relativ unabhängigen Untereinheiten besteht, deren Aktivitäten unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Erfüllung der gemeinsamen Ziele koordiniert werden müssen. Nach Talcott PARSONS sind diese Funktionen für jedes System existentiell notwendig. Die Funktionen sind nicht gleichwertig, sondern in der Kontrollhierarchie in umgekehrter Weise organisiert. Jedoch geht der Energiefluß in anderer Richtung (vgl. HAUCK 1988:140ff.). PARSONS wendet sich in der Folgezeit der Untersuchung zu, unter welchen Bedingungen der Austausch zwischen den vier Systemen funktionieren kann. Bei der Differenzierung der Handlungssysteme entwickelt sich in der theoretischen Konstruktion PARSONS’ eine evolutionistische Perspektive, die entsprechend der Vorstellung durch Anpassungserfordernisse des Systems an seine Umwelt thematisiert wird. 3.5 Das Konzept der generalisierten Medien Das Medienkonzept entwickelt Talcott PARSONS, inspiriert durch die Zusammenarbeit mit N. SMELSER, in Society and Economy (1956), wobei explizit die Austauschbedingungen zwischen den vier Subsystemen erörtert werden. In Anlehnung an Weber wird hier zudem der Versuch unternommen, eine Analyse von Wirtschaft als gesellschaftlichem Subsystem vorzunehmen, wobei auch eine Verbindung zwischen Ökonomie und Sozialem auf theoretischer Ebene entwickelt werden soll. In komplexen Gesellschaften, formuliert PARSONS, gilt als wichtigste Bedingung die Existenz generalisierter symbolischer Austauschmedien. Ausgangsthese von Economy and Society (1956) ist, daß „economic theory is a special case of the general theory of social systems.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156) PARSONS leitet die Parallelen zwischen den Kategorien beider Konzepte über über drei Beispiele her, wobei wesentlich ist zu zeigen, dass die Ökonomie 73 einerseits Teil eines umfassenden Systems, einer Gesellschaft, ist und andererseits selbst Systemeigenschaften gemäß des AGIL-Schemas aufweist. Im Sinn des Subsystems eines übergeordneten Gesamtsystems wird im Rahmen der Ökonomie die Adaptionsfunktion des Gesamtsystems erfüllt und dies „by means of the production of utility.“( vgl. PARSONS/Smelser in Hamilton 1985:156). Als eigenständiges System hat es darüber hinaus „goal-attainment, adaptive, integrative and pattern-maintanance exigencies of its own“ (vgl. PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156). Die input-Mechanismen, die das Verhalten des Bereichs der Wirtschaft beeinflussen, fliessen zum einen aus der Gesellschaft ein, zum anderen aus den Bedingungen der Wirtschaft selbst. Von diesen Vorannahmen ausgehend entwickelt PARSONS ein theoretisches Konzept, das den Bereich der Ökonomie als soziales System faßt und darüber hinaus zentrale dynamische Propositionen der ökonomischen Theorie miteinbezieht. Dies führt zur Thematisierung der Differenzierung. PARSONS legt hierbei den thematischen Schwerpunkt auf die value pattern und den Prozeß der Latenz: „One aspect of the value pattern concerns the modes in which it is incorporated into institutions, the primary function of which is to regulate certain classes of activity.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157) Weiter führt er aus, daß „... another context in which the institutionalization of value patterns is important for the economy as a system concerns the economy’s own patternmaintanance exigencies.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157) Wesentlich ist hierbei nach PARSONS die Kontrollfunktion über die Faktoren im produktiven Prozeß. Dabei differenziert er zwischen den gesamt74 gesellschaftlichen Anforderungen givens und den Mechanismen der Durchführbarkeit dieser Anforderungen. „In the utilization of rent factors, however, the mechanisms operating are of different character from those operating in the other boundary process of the economy.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158) Dies ist nach PARSONS ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Latenzfunktion. Und er kommt zum Schluß, daß innerhalb der verschiedenen Subsysteme des ökonomischen Systems Interdependenzen entstehen. Die „institutionalized value commitments guarantee the availability of a certain quota of resources for economic production.“ (PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158) An dieser Stelle kommt der bereits erwähnte Aspekt der Sub-System eigenen pattern-maintanance exigencies zum tragen, denn „the goal of the economy is to provide goods and services for consumption.“ (PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158) Der dynamische Aspekt leitet sich schliesslich aus den unterschiedlichen Anforderungen des übergeordneten Systems als auch denen der differenzierten Subsysteme der Ökonomie her und schließt die Betrachtung der Zielerreichungsfunktion mit dem Hinweis, daß „[t]his implementation involves continous mutual adjustment between changing states of demand and changing processes of production.“ (PARSONS/ SMELSER in Hamilton 1985:159) Bei der Differenzierung der Handlungssysteme geht es um analytisch abstrakte Subsystembildungen, anhand dessen PARSONS jedoch die evolutionstheoretische Perspektive von Systemen des Handelns auf der Grundlage einer Systemdifferenzierung erörtert. Evolution wird dabei in Gang gesetzt, als dieser Vorstellung entsprechend Anpassungserfordernisse des Systems an seine Umwelt in den Vordergrund rücken. Bessere Anpassung wird durch gesteigerte Spezialisierung erreicht. Mit dieser Differenzierung gerät jedoch das Problem 75 der Bestandsbedingungen in den Vordergrund und PARSONS entwickelt an dieser Stelle das Medienkonzept, wobei unter Medien Symbolsysteme zu verstehen sind, mit deren Hilfe Prozesse in komplexen, differenzierten Handlungssystemen gesteuert und koordiniert werden können. PARSONS erweitert so die Systemverbindungen der Interdependenz und Interpenetration. Durch den Mediengedanken gelingt es, Systeme autonom zu betrachten. Medien ermöglichen den Austausch im Sinn von Input-Output-Prozessen und können so die Anordnung der Systeme in hierarchischer Kontrolle anleiten. Gemäß der kybernetischen Steuerungstheorie ist auch ein Handlungssystem ein Fluß von Energie und Information, wobei jene Elemente mit viel Informationen jene mit hoher Energie kontrollieren (vgl. WEISS 1993: 31). Wirtschaft und Gesellschaft haben Austauschbeziehungen, wobei der Tausch auf Medien beruht, z.B. Geld, beruht. Vom Gebrauchswert abstrahierend hat es symbolische Funktion in den Tauschbeziehungen. Die Formalisierung bedingt oder ermöglicht ökonomische Transaktion und so kann das ökonomische System selbstregulierend werden. Ausgehend vom Medium Geld in einer Marktwirtschaft, entwickelt PARSONS ein Konzept allgemein anerkannter Austauschmedien, wobei es möglich ist, den abstrakten aber auch symbolischen Wert als Wertmaßstab allen Gütern gegenüber zu finden. In der Funktion des goal-attainment entwickelt er Macht, mit dem Definitionsmerkmal Legitimität, als generalisiertes Medium zur 58 Mobilisierung von Ressourcen für die effektive kollektive Aktion. Das kulturelle System (Wertbindung) umfaßt die vertragliche Verpflichtung der Arbeiter, der Tätigkeit nachzukommen, die ihm angetragen wird. Das Management kann jedoch über die Verwendung der Ressourcen entscheiden. Im Sozialsystem gilt Einfluß als Medium und zwar in Form von Mechanismen integrativer Kommunikation, die dazu dient, abweichendes Verhalten (Devianz) auf permissive Weise zur Akzeptanz institutionalisierter Standarddefinition zu bringen (vgl. HAUCK 1988:144). 58 Macht wird jedoch nicht immer zur Zielverwirklichung gemeinsamer Ziele eingesetzt. 76 Anhand des Mediums Geld kann PARSONS die Thematik von sozialem Wandel thematisieren, denn das kulturelle Objekt Geld ist Träger von Bedeutungen, deren Funktion in der Kontrolle von Tauschprozessen besteht. Durch Geld entsteht ein höheres Maß an Handlungsspielraum, da über dieses Medium allgemeingültige Wertmaßstäbe hinsichtlich einer Gütermenge etabliert werden können, die durch die Erweiterung des Mediums, z.B. in Form von Krediten, schnell und ausreichend zur Verfügung stehen. Andererseits können auch Instabilitäten entstehen, die dazu zwingen, das System erneut anzupassen. Der Mediengedanke bleibt allerdings fragmentarisch und PARSONS wendet sich in den 60er Jahren zunehmend der Neukonstruktion einer Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung zu. 3.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel Im Rahmen seiner evolutionstheoretischen Überlegungen erörtert PARSONS die Frage nach dem Sinn gesellschaftlichen Wandels als auch den Mechanismen desselben. Die Prozesse der Differenzierung und der Integration werden dabei zu den zentralen Untersuchungsobjekten. Evolutionstheoretisch formuliert Talcott PARSONS seit den 60er Jahren, daß Evolution im Rahmen von gesellschaftlichem Wandel eine konstante, eindeutige Richtung erkennbar macht. „Evolution, however, is a summary generalization standing for a type of process of change.“(PARSONS 1966:20) Der thematische Schwerpunkt liegt auf der Ebene der Interaktion und damit verknüpft, dem Fokus des symbolischen Aspekts. PARSONS stellt insbesondere auf Sprache, language, als Integration von Symbolen ab. Der Kommunikationsprozeß wird dabei wieder unter dem Gesichtspunkt des InputOut-Prozesses aufgefaßt: „[t]he input of a message may stimulate an output which is in some sense a response.“(PARSONS 1966:20) 77 Und weiterführend „The process which leads to a response that is somehow related to one or more communicative inputs we may call a decision.“ (PARSONS 1966:20) Dieser Prozeß findet innerhalb der Persönlichkeit des Handelnden statt und ist für die Systembetrachtung wesentliches Kriterium der Erfassung des „acting in a role“ (PARSONS 1966:20). Die Entscheidung wird als Konsequenz einer Kombination von Faktoren aufgefaßt, die wiederum im Bezug auf soziale Prozesse „must be conceived as the combination and re-combination of variable, communicable factors.“(PARSONS 1966:21) Als Beispiel führt PARSONS an „... the use of power can be conceived as the communication of a decision to the requisite parties, the implications of which bind a collectivity and the actions of its relevant members. Thus, in ordering his unit to carry out an attack, an officer merely gives the command, thereby activating a complex behavioral system on the part of his men.“(PARSONS 1966:21) Der Prozeß, auf den PARSONS dann überleitet, ist der des Wandels. Hierbei fokusiert er insbesondere auf den Wandel von sozialen Strukturen. Wobei er Wandel im Sinn des Systemerhalts thematisiert: „Here, it is evident that many complex processes are necessary to maintain the functioning of any social system...“(PARSONS 1966:21) Die Thematik des evolutionären Wandels ist dabei für Talcott PARSONS unter dem Aspekt der Zunahme des Anpassungsvermögens subsumiert, denn je effektiver eine Gesellschaft ist, desto entwickelter muß sie sein. Der Mechanismus der Anpassung wird als Differenzierung verstanden, wobei es sich im wesentlichen um die Bildung neuer Strukturen oder einer neuen Art von Strukturen handelt, was 78 „through cultural diffusion and the involvement of other factors“ (PARSONS 1966: 21) eingeleitet wird. Der Differenzierungsprozess führt im Idealfall zu einem „adaptive upgrading aspect of the evolutionary change cycle.“ (PARSONS 1966:21) Damit wird Verbesserung ein wichtiger Faktor und das daraus entstehende Problem der Integration löst er durch den Aspekt der Koordination der differenzierten Einheiten. „Adaptive upgarding thus requires that specialized functional capacities be freed from ascription within more diffuse structural units. There is, then, a reliance upon more generalized resources that are independant of their ascriptive sources. For these reasons, differenciation and upgrading processes may require the inclusion in a status of full membership in the relevant general community system of previously excluded groups which have developed legitimate capacities to ‘contribute’ to the functioning of the system.“ (PARSONS 1966:22) In der Thematisierung von sozialem Wandel fällt der Betrachtung des Wertsystems einer Gesellschaft wieder besondere Bedeutung zu und PARSONS charakterisiert die Wertorientierung als eine spezielle Form von „adjusted, specialized ‘application’“ (PARSONS 1966:23). Damit wird es möglich, die Thematik des gesellschaftlichen Wandels systemtheoretisch im Sinn des Systembestands zu erörtern: „A system or sub-system undergoing a process of differentiation however, encounters a functional problem which is the opposite of specification: the establishment of a version of the value pattern appropriate to the new type of system which is emerging. Since this type is generally more complex than its predecessor, its value pattern must be couched at a higher level of generality in order to legitimize the wider varity of goals and functions of its sub-units.“ (PARSONS 1966:23) Der Prozeß der Verallgemeinerung von Wertmustern stößt zuweilen auf Widerstand, den PARSONS als „fundamentalism“ bezeichnet (PARSONS 1966:23). Wird dagegen eine Veränderung durchgesetzt, erreicht das System 79 „a new level of adaptive capacity in some vital respect.“ (PARSONS 1966:23). „Neuerungen“ hinsichtlich bestehender Strukturen klassifiziert PARSONS nach verschiedenen Aspekten, wie z.B. der völligen Zerstörung eines Systems oder der Absorption durch größere Systeme. Im Bereich der Differenzierung von gesellschaftlichen Subsystemen thematisiert PARSONS zusätzlich zu den Differenzierungsprozessen auch Ausdifferenzierung gemäß dem AGIL-Schema, d.h. nicht nur die Anpassung, sondern auch die Funktion der gesellschaftlichen Systeme haben für die Weiterentwicklung wichtige Bedeutungen (vgl. PARSONS 1966:24). Der kulturelle Determinismus bedingt hierbei, dass Ausdifferenzierung wie Bevölkerungszunahme nicht zu Konflikten führt, sondern im Sinn von Harmonie über die Wertintegration verläuft. Die evolutionäre Perspektive impliziert für PARSONS schließlich neben dem Kriterium der Richtung auch die Abfolge evolutionärer Prozesse. „... we will disdinguish three very broad evolutionary levels, which we will call primitive, intermediate and modern.“(PARSONS 1966:26) Hier findet sich allerdings keine unilineare Abfolge der Entwicklungsstadien, da verschiedenartige Differenzierungsprozesse das Anpassungsvermögen in gleicher Weise erhöhen können. Drei Stadien und Durchbrüche werden durch die Kategorie der „evolutionären Universalien“ erklärbar gemacht, d.h. die Errungenschaften, die zur Weiterentwicklung notwendig sind, werden als Mechanismen der Differenzierung betrachtet und können zur Typisierung der Universalien herangezogen werden (vgl. HAUCK 1988:146f.). 3.7 Kurze Zusammenfassung In ihrer Anlage beschäftigt sich die struktur-funktionale Systemtheorie mit Strukturen, von denen angenommen wird, daß sie bestimmte Verhaltensweisen bei Individuen determinieren. Die Verknüpfung der Aspekte Struktur und Funktion 80 bedingen dabei die Vernachlässigung wesentlicher Aspekte individueller Entitäten, da sich aufgrund der Thematisierung der Notwendigkeit der Erhaltung des gesellschaftlichen Systems schlüssige Erklärungssätze im Rahmen funktionaler Leitideen nur unter Rückbezuf auf die gesellschaftliche Ebene herleiten lassen. Talcott PARSONS fokusiert damit auf die Erklärung sozialer Phänomene anhand makrosoziologischer Vorannahmen und stellt das soziale Ganze als selbständige Einheit über den Bereich des Individuellen. Diese theoretische Grundlegung bedeutet vice versa gesellschaftliche Sachverhalte anhand gesellschaftlicher Bedingungen zu erklären. Einen anderen Blickwinkel entwickelt hingegen die akteurstheoretische bzw. mikrosoziologische Modellierung zur Erklärung sozialer Sachverhalte, die im folgenden Kapitel vorgestellt wird. 81 4. Der struktur-individualistische Ansatz Das Grundmodell der Erklärung sozialer Fragestellungen im Rahmen dieser theoretischen Konzeption legt den inhaltlichen Schwerpunkt der Analyse auf die Ebene kollektiver Sachverhalte und Prozesse, theoretisch wird jedoch das Handeln als Anpassung an Situationen, d.h. Handeln als emergentes Ergebnis von anpassenden Selektionen menschlicher Individuen, in den Mittelpunkt gestellt. Damit treten die grundlegenden Interdependenzen der Handelnden, der interpretative Charakter der Analyse und die Bedingungen von Strukturen für die problemlösenden Handlungen in den Blickpunkt des Interesses.59 Die Verknüpfung von Kollektiv- und Individualebene bedingt, daß das theoretische Programm als struktur-individualistischer Ansatz bezeichnet wird. Den nomologischen Kern bildet dabei die Theorie der rationalen Wahl60, wobei sich die handlungstheoretische Perspektive entlang der Grundannahme, daß die Akteure sich nutzenoptimierend und in diesem Sinn rational verhalten, entwickelt. Durch die Betonung des Aspekts der Rationalität, der ökonomischen Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen Entscheidens zugrunde liegt, werden die theoretischen Ansätze, die sich in diesem Bereich entwickeln, auch Rational Choice-Theorien genannt. Zentralen Stellenwert nimmt dabei die Annahme des sozialen Tauschs im Rahmen der utilitaristischen Tradition ein.61 59 Hier findet sich ein deutlicher Hinweis auf das Programm der Verstehenden Soziologie Max WEBERs. 60 Formal bedeutet, im Rahmen dieser theoretischen Konstruktion, Rationalität auf der individuellen Handlungsebene zugrunde gelegt, daß soziales Handeln oder der Einsatz von sozial normierten Mitteln den Akteur in die Lage versetzen, subjektive Handlungszwecke zu realisieren. Die Erweiterung eines solchen Rationalitätsbe-griffs in inhaltlichem Sinn bezieht sich auf die subjektiven Handlungszwecke im Rahmen eines maximalen Spielraums von individuellen Wahlmöglichkeiten (vgl. ESSER 1991:50). 61 Unter Utilitarismus versteht man eine Nützlichkeitslehre, nach der alles menschliche Handeln am Maßstab ökonomischer Nützlichkeit gemessen wird. Als utility theory handelt es sich dabei um eine Theorie der Erklärung sozialen Handelns, derzufolge das treibende Handlungsmotiv die Erzielung des persönlichen Nutzens mit den günstigsten Mitteln ist. Unter Anwendung des Eigennutzaxioms zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesse knüpft die Neue Politische Ökonomie an diese theoriegeschichtliche Traditionslinie an (vgl. FRANKE in Druwe/Kunz 1994: 53 ff.). 82 4.1 Grundlagen der theoretischen dualistischen Ansatzes Konzeption des struktur-indivi- Im Rahmen der strukturell-individualistischen62 Konzeption wird eine Perspektive entwickelt, die Annahmen über Personen als Handelnde und die für diese geltenden Regelmäßigkeiten des Handelns, mit Annahmen über die Situation, in der sich Handelnde befinden, d.h. sowohl deren institutionelle Einbindungen, sowie deren verhaltens- und ergebnissteuernde Wirkungen, verknüpft. Den Ausgangspunkt der Analyse markiert die Annahme, daß jedes menschliche Handeln in seiner Form, seinem Inhalt, der Zielrichtung und seinen Wirkungen sozial bedingt ist und zugleich soziale Folgen bedingt, wobei diese über die Handlungsabsichten der Individuen hinausgehen und zu paradoxen, widersprüchlichen oder gar unerwünschten Effekten führen können (vgl. MERTON 1963:894ff.). Soziale Sachverhalte werden demzufolge als Ergebnis von Einstellungen, Entscheidungen und Handlungen von Personen aufgefaßt, die als lernende und handelnde Wesen ihr Leben und ihre Umwelt gestalten. Individuelles Handeln als sozial-kulturelle Handlung wird dabei nicht nur als, auf der ursprünglichen menschlichen Natur63 beruhend aufgefaßt, sondern auch in Beziehung (BÜSCHGES/ABRAHAM/FUNK zum sozio-kulturellen 1996:3f.). Der Mensch Kontext wird gesetzt dabei als intentional handelndes Subjekt verstanden, das mit begrenzter Rationalität ausgestattet und gleichzeitig in ein Netz sozialer Beziehungen eingebettet ist. Jede Handlung und jedes Handlungsresultat werden auf diese Weise als komplexes Produkt aus kulturellen Rahmenbedingungen, institutionalisierten Regeln, situationsbezogene Faktoren und personenspezifischen Bedingungen aufgefaßt. Menschliche Handlung ist somit abhängig von bestehenden Interaktionsbeziehungen und ihren Mustern und Ordnungen, vom jeweiligen Wissens- und Informationsstand, von sozialen Institutionen, von handlungsleitenden Weltbildern und sozialmoralischen Leitideen, wie auch vom erreichten technischen Niveau und von verfügbaren und ins Spiel gebrachten Ressourcen. Auf diese Weise können der gesellschaftliche Rahmen ebenso 62 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung ‘strukturell-’ bzw. ‘strukturindividualistischer’ Ansatz je nach Theoretiker variiert. 63 Die menschliche Natur umfaßt hier die physischen und psychischen Aspekte des Menschen. 83 wie andere Bedingungen und Möglichkeiten denen der Handelnde gegenüber steht, berücksichtigt werden. Die theoretischen Modelle, die sich im Rahmen dieser Konzeption entwickeln, müssen demzufolge zwei Arten der Erklärung aufweisen: 1. hinsichtlich der Beeinflussung der Handlungsakte64 durch soziale Bedingungen (Mikro-Ebene) und 2. hinsichtlich der Verbindung der sozialen Bedingungen mit dem individuellen Handeln der Akteure, d.h. deren wechselseitiger Verknüpfung, was gesellschaftliche Folgen zeitigen kann (Makro-Ebene). Bei der Darstellung der Verknüpfung von Mikro- und Makro-Ebene wird im Rahmen des Ansatzes der Versuch unternommen, diese aus einer „möglichst interpretativen Perspektive“(ESSER 1993:IX) herzuleiten. Ausgehend von der Annahme, „daß alle sozialen Prozesse das indirekte, meist unbeabsichtigte Ergebnis des problemlösenden, situationsorientierten, mit guten subjektiven Gründen, mit Sinn also, versehenen, aber auch immer von Knappheiten begrenzten Handelns der menschlichen Akteure sind, die ihrerseits von den Folgen ihres Tuns geprägt und so in ihren Erwartungen und Bewertungen immer wieder neu konstituiert werden“(ESSER 1993:X) tritt als wesentliches Verfahren das verstehende Erklären sozialer Sachverhalte in den Mittelpunkt der Analyse. Unter Rückbezug auf die Arbeiten Max WEBERs (1864-1920) wird dabei als Aufgabe der theoretischen Arbeit die Rekonstruktion des ‘subjektiven Sinns’ den Menschen mit ihrem Handeln verbinden, gesehen. Denn soziales Handeln liegt nach Weber vor, „wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“ (WEBER 1985:1) Die Konzeption WEBERs versteht dabei den Aspekt der gegenseitigen Bewertungen und Erwartungen, die den Austauschprozeß soziales Handeln beeinflussen, als einem sinnhaften Deuten der Individuen nachgestellten 64 Als zusammenfassende Bezeichnung für Handlungsziele, -mittel und -möglichkeiten des individuellen Akteurs. 84 Prozeß. Dabei wird der Fokus der Analyse auf die soziale Situation gerichtet, in der sich der Akteur befindet und dabei der Versuch unternommen, herauszufinden, wie der Akteur die Situation wahrnimmt und welche Absichten und Überzeugungen er mit seinem Handeln verbindet. Das Ziel der Verfahrensweise ist, auf der Grundlage des Verstehens, den Ablauf der subjektiven sinnhaften Handlung zu erklären. Handeln beinhaltet aber neben der subjektiven ‘Sinn-Komponente’ auch, den Sinn auf das Verhalten anderer zu beziehen und eigenes Handeln daran in seinem Ablauf zu orientieren (vgl. WEBER 1985:1). Die Konsequenzen, die sich schließlich aus der Wahl der Handlungsalternativen und dem Ablauf des sozialen Handelns ergeben, bedingen soziale Sachverhalte, die möglicherweise auch von den Absichten und Einzelhandlungen der Akteure unabhängige Tatsachen werden können. Demzufolge wird es möglich, subjektiv begründeten Handlungen eine gewisse objektive Gewalt zuzugestehen, die in Handlungsprozessen - als objektive Strukturen und Prozesse der Gesellschaft wahrgenommen - gleichwohl durch subjektives sinnhaftes Handeln entwickelt werden. Handeln und soziales Handeln werden auf diese Weise zum Objekt der Analyse und das deutende Verstehen zum objektbezogenen, spezifischen Erkenntnisziel (vgl. VANBERG 1975:102). Die Vorgehensweise WEBERs umfaßt folglich vier Elemente: 1. die Situation, 2. den Akteur, 3. das soziale Handeln und 4. die sozialen Wirkungen des Handelns. Im ersten Schritt ist es das deutende Verstehen, welches die Rekonstruktion des subjektiven Sinns ermöglicht. Darauf aufbauend wird im zweiten Schritt ursächlich der Ablauf der Handlung erklärbar. Die Wirkungen, d.h. die kollektiven Prozesse, derselben können im dritten Schritt der Analyse aufgezeigt werden (vgl. ESSER 1993:5ff.). Kollektive Prozesse, d.h. gesellschaftliche Sachverhalte, als Resultat menschlicher Handlungen aufzufassen und dabei endogene wie exogene 85 Faktoren65 in die Untersuchung einfließen zu lassen, knüpft an die Annahmen, wie sie im Rahmen der schottischen Moralphilosophie entwickelt wurden, an. Im folgenden Abschnitt wird diese theorie-geschichtliche Traditionslinie kurz dargestellt. 4.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen Ansatzes Zu den grundlegenden Annahmen des struktur-individualistischen Ansatzes zählen die Konstanz der menschlichen Natur, das Bestehen handlungsrelevanter Restriktionen, das Vorhandensein von Erwartungen und Bewertungen, die den Akteur in der Wahl unterschiedlicher Handlungsalternativen leiten, als auch die Idee der Unabhängigkeit der kollektiven Folgen von den Motiven der individuellen Akteure. Sie verweisen auf die Orientierung am Konzept des methodologischen Individualismus66, das auf die sozialtheoretische Auffassung, wie sie im Rahmen der angelsächsischen Aufklärung und hier insbesondere in der Schottischen Moralphilosophie entwickelt wurde. Die Ansätze der individualistischen Handlungstheorie gehen insbesondere auf die Arbeiten der schottischen Moralphilosophen67 David HUME (1711-1776), Adam SMITH (1723-1790) und Adam FERGUSON (1723-1816) zurück, wobei die Sozialtheorie der schottischen Moralphilosophen „... über ihre ökonomische Spezifikation durch A. Smith - hauptsächlich in der klassischen Ökonomie ihren Einfluß gezeitigt hat...“ (VANBERG 1975:5) Allerdings ist im Rahmen der Weiterentwicklung dieser Konzeption ein Erklärungsansatz entstanden „...der über den Bereich ‘wirtschaftlichen’ Handelns hinaus für die Analyse sozialen Handelns allgemein fruchtbar sein dürfte.“ (VANBERG 1975:5) 65 Gemeint sind beispielsweise Entdeckungen oder historische Ereignisse, wie Revolutionen, Hungersnöte usw. 66 Der Begriff methodologischer Individualismus stammt von J.A. SCHUMPETER („Österreichischen Schule der Nationalökonomie“) und thematisiert zusammengefaßt, die von den Klassikern des Utilitarismus übernommene individualistische Orientierung im Rahmen der Beschreibung wirtschaftlicher Vorgänge. 67 Im Rahmen dieser theoretischen Konzeptionen findet keine Trennung von Soziologie und Ökonomie statt und es kann somit von einer integrierten Theorie gesellschaftlicher Handlung gesprochen werden. 86 Ausgehend von der Frage nach dem Zustandekommen eines geordneten sozialen Gebildes wird auf der Grundlage der Verhaltensannahme, nach der dem Menschen eine allgemeine Tendenz zur Verbesserung der persönlichen Lage unterstellt wird, im Rahmen der individualistischen Sozialtheorie der Handlungszusammenhang in der Weise hergeleitet, daß zwischen den Individuen ein wechselseitiger Anpassungsprozeß angenommen wird, in dem Eigeninteressen verfolgt und gleichzeitig mit den Interessen anderer in Einklang gebracht werden müssen (vgl. PRISCHING 1992:417). Hierbei wird nicht auf Zusatzannahmen HOBBESscher oder systemtheoretischer Prägung zurückgegriffen, die „gleichermaßen auf dem Axiom aufbauen, sozialer Konflikt, soziale Desintegration seien das - aufgrund der Eigenart der individuellen menschlichen Handlungsantriebe - ‘an und für sich’ Erwartbare, wohingegen soziale Ordnung, soziale Integration nur durch Heranziehung eine neuen, individuen-unabhängigen Faktors zu erklären seien [...].“(VANBERG 1975:7) Es wird vielmehr die Auffassung vertreten, daß sowohl Konflikt und soziale Desintegration, als auch soziale Ordnung aufgrund individueller Handlungsmotivationen in ihren wechselseitigen Relationen entstehen und damit als Ergebnis individueller Handlungen aufzufassen sind. „Indem die schottischen Moralphilosophen eben diese Grundvorstellung ausarbeiteten, haben sie eine sozialtheoretische Konzeption formuliert, die eine konsistente Lösung der Grundprobleme jeder Sozialtheorie aufzeigt, der Probleme nämlich, wie es zu erklären ist, daß sich unzählige individuelle Handlungen zu einem geregelten, sozialen Netzwerk verknüpfen, und wie es zu erklären ist, daß der interindividuelle Handlungszusammenhang Resultate zeitigt, die den in ihm verbundenen Handelnden als von ihnen unabhängige, ‘objektive’ Realtitäten erscheinen.“ (VANBERG 1975:7) Soziale Prozesse und Institutionen als die unintendierten Folgen des absichtsvollen Handelns individueller interdependenter Akteure aufzufassen, ist im Rahmen der Arbeiten Bernard MANDEVILLEs (1760-1733), als einem gedanklichen Wegbereiter der schottischen Moralphilosophie, hergeleitet worden. Mandeville beschreibt in seiner Bienenfabel über die ‘öffentlichen Vorteile privater Laster’, daß die ‘egoistische’ (und damit konstante) Natur des 87 Menschen und die Notwendigkeit der Regulierung der unterschiedlichen Interessen nicht unbedingt in Konflikt geraten müssen, sondern letztere als „allmählich gewachsenes und sich änderndes Produkt eines in der gegenseitigen Verflechtung menschlichen Handelns ablaufenden Anpassungsprozesses“(VANBERG 1975:10) verstanden werden können. Dabei kann auf eine rationalistische VertragsKonstruktion verzichtet und soziale Ordnungsmuster aus den Bedingungen des Zusammenlebens und Zusammenhandelns als nicht-beabsichtigte Konsequenzen menschlicher Handlungen abgeleitet werden. Auf dieser These - der grundlegenden Unabhängigkeit der kollektiven Folgen der individuellen Handlung - beruht die theoretische Konzeption der Schottischen Moralphilosophie. Allerdings findet sich in den Arbeiten der schottischen Moralphilosophen eine weitere Ausformulierung dieser Position. So sind für Adam FERGUSON gesellschaftliche Vorgänge „... the result of human action, but not the execution of any human design.“(FERGUSON zit. nach Vanberg 1975:22) Von Adam SMITH stammt die Metapher der invisible hand, die die Vermehrung öffentlichen Wohlstandes bei freier Entfaltung der Möglichkeiten zur Mehrung individuellen Vorteils bedingt.68 Die Grundannahme der Konstanz der menschlichen Natur, in bezug auf das Verhalten der Menschen ihre Lage zu verbessern, ist weitgehend formaler Natur. Beabsichtigt ist hierbei vornehmlich die Darstellung der individuellen Verhaltenstendenz, wobei immer unterschiedliche Ausprägungen derselben auftreten können. „Nicht aus der Beschränktheit der Perspektive heraus, sondern durchaus in Kenntnis der kulturellen Mannigfaltigkeit sozialer Lebensformen geht man in der schottischen Moralphilosophie davon aus, daß es einige allgemeine Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens und insofern eine allgemein gleiche menschliche Natur gibt, die dem Menschen als Gattungswesen zukommt.“ (VANBERG 1975:12) 68 Hier wird auf einen Sachverhalt hingewiesen, der durch menschliche Handlungen bewirkt, allerdings als solcher nicht Teil des jeweiligen Handlungsentwurfs des individuellen Akteurs ist, sondern vielmehr im zeitlichen Verlauf einen unbe-absichtigten Effekt zeitigt. 88 Handelnde agieren somit vor dem Hintergrund der unterschiedlichen natürlichen und instituionalisierten Bedingungen nach gleichen allgemeinen Regeln der Wahrnehmung und Selektion. Kulturelle Unterschiede werden sodann im Rahmen dieser Auffassung als Folge der Variation von Randbedingungen, die zusammen mit den Gesetzen einer universalen und konstanten menschlichen Natur, welche Unterschiede im Verhalten bewirken, verstanden. Am deutlichsten ist die These der Uniformität und Konstanz bei gleichzeitiger Variabilität der gesellschaftlichen Bedingungen bei David HUME herausgearbeitet worden. Die Geschichte zeige, so HUME, den Menschen in unterschiedlichen Verhältnissen, welche Rückschlüsse auf bestimmte Verhaltensregelmäßigkeiten zulassen. Einschränkend formuliert er weiter, daß diese Regelmäßigkeiten allerdings durch die gesellschaftlichen Bedingungen und Zeiten unterschiedlich ausfallen (vgl. VANBERG 1975:13). Die Absicht des Menschen seine Lage zu verbessern ist ein wichtiges Moment der Gleichförmigkeit der menschlichen Natur. Weiterhin thematisieren die schottischen Denker, daß „dieses Streben durch Erfahrung gesteuert ist, daß menschliches Verhalten sich in einem erfahrungsgelenkten Lernprozeß, durch Versuch und Irrtum, Erfolg und Mißerfolg entwickelt.“ (VANBERG 1975:14) Dieser Aspekt leitet in den thematischen Rahmen von individuellem Handeln im gesellschaftlichen Zusammenhang über, der als zentralen Punkt soziales Verhalten als (Aus-)Tausch zur Disposition stellt. Gesellschaft wird als interindividueller Handlungszusammenhang aufgefaßt, „der aufgrund der ihm immanenten Bedingungen zur Etablierung und steten Veränderung von Strukturen und Regeln (zustande-/Anm.TK) kommt.“ (VANBERG 1975:15) An dieser Stelle wird ein weiterer wichtiger Themenpunkt in die theoretische Konzeption eingefügt, denn als ‘Integrationsmoment’ verstehen die schottischen Moralphilosophen einen Prozeß gegenseitiger Kontrolle, der auf der Grundlage von Interaktion gesteuert wird und für die Handelnden 89 bestimmte Effekte zeitigt, die Sanktion oder Akzeptanz im Handlungsablauf ausmachen. Wie bei Mandeville bereits aufgezeigt, erscheint gesellschaftliche Integration als Anpassungsprozeß69 „der in bestimmte Verhaltensregelmäßigkeiten einmündet, die ihrerseits wiederum die Grundlage sozialer Normierung und Institutionalisierung bilden.“ (VANBERG 1975:15) Der Gedanke, der hier entwickelt wird, verweist auf den Aspekt der Reziprozität als Grundlage sozialer Integration (vgl. PRISCHING 1992:417f.). Er ist vornehmlich in der klassischen Ökonomie aufgegriffen worden, wo er im Sinn des Austauschs thematisiert wurde. Die Verbindung zwischen ökonomischem und sozialem Handeln verläuft über die bereits angesprochene Bestrebung des Menschen, seine eigenen Vorteile auszunutzen, wobei von einer gewissen Notwendigkeit der Erfüllung der Bedürfnisse ausgegangen wird, die gesellschaftlich betrachtet ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Interessen bedingen und auf diese Weise quasi zum „generierenden“ Aspekt sozialer Integration werden. Adam SMITH hat hierbei insbesondere auf die Versorgung mit materiellen Gütern verwiesen, ist jedoch auch auf die nicht-materiellen Aspekte wie soziale Anerkennung eingegangen (vgl. VANBERG 1975:16). Expliziter hat David HUME den Zusammenhang zwischen Reziprozität und sozialer Integration dargestellt, indem er die Entstehung von sozialen Normen, als Regelungsmechanismus, im Zusammenleben der Menschen herausarbeitet hat. Da das Eigeninteresse eines Individuums im Gegensatz zu den Interessen der anderen steht, ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, „daß sich die verschiedenen Interessen in einer Weise aufeinander einstellen, die ihre Koexistenz in einem System von Verfahrens- und Verhaltensregeln ermöglicht.“(HUME zit. nach Vanberg 1975:17)70 Der einzelne handelt dabei in der Weise, daß er die Verhaltensweisen der anderen berücksichtigt. Auf eine übergeordnete Kollektivgewalt kann somit verzichtet werden. Jedoch entspannt sich an diesem Punkt ein weiteres 69 Friedrich JONAS erläutert diesen Sachverhalt mit dem Hinweis, daß Menschen aufgrund ihrer Erfahrungen in die Lage versetzt werden sich auf einander einzustellen (1981:106). 90 Problem, welches die unintendierten sozialen Konsequenzen individuellen Handelns zum Thema macht. Insbesondere die Frage nach bewußt gestalteten sozialen Einrichtungen steht im Mittelpunkt der Erörterung. Den schottischen Moralphilosophen wird in diesem Zusammenhang ein ‘anti-rationalistisches’ Denkmuster unterstellt (vgl. VANBERG 1975:20f.). Im Gegensatz zur rationalen ‘Vertragskonzeption’ rousseauscher Provenienz, werden soziale Institutionen bei den schottischen Theoretikern als weitgehend ungeplante Folgen des sozialen Anpassungsprozesses verstanden. VANDENBERG (1975) bemerkt hierzu „Indem ein solcher sozialtheoretischer Ansatz den Gedanken der unintendierten sozialen Konsequenzen individuellen Handelns zu seiner systematischen Grundlage nimmt, hebt er sich von den kurzschlüssigen Scheinlösungen des eigentlichen sozialtheoretischen Erklärungsproblems, wie sie von kollektivistischen Konzeptionen angeboten werden, ebenso ab wie von Auffassungen, die man - mit Popper - als ‘Verschwörungstheorien der Gesellschaft’ bezeichnen könnte.“ (VANBERG 1975:21) Damit ist der Bezug zur Eingangsüberlegung wiederhergestellt und erlaubt, die Überlegung von gesellschaftlicher Entwicklung als Auffassung von ‘Fortschritt’, in der Weise zu formulieren, daß die menschliche Gesellschaft nicht auf ein bestimmtes Ziel zusteuert, sondern sich aufgrund von Lernprozessen, die zu kumulativem Wachstum führen (können), entwickelt (vgl. VANBERG 1975:23). Der sozialtheoretische Ansatz der schottischen Moralphilosophie hat als zusammenhängendes theoretisches Konstrukt keine kontinuierliche Weiterentwicklung erfahren. Jedoch ist insbesondere der ‘Austauschgedanke’ im Kontext gesellschaftlicher Strukturierungsmechanismen von verschiedenen Theoretikern wieder aufgegriffen worden.71 Besonders im Bereich der ökonomischen Theorie entwickelte sich durch die Arbeiten Adam SMITHs die sog. Klassische Ökonomie, die in ihren Grundzügen eine individualistische Perspektive aufweist. Der Ansatz fungiert hier zum einen als Beschreibung 70 71 Hier kann eine quasi ‘funktionalistische’ Vorgehensweise entdeckt werden. Als Erklärungsprinzip findet es sich z.B. in der Kulturanthropologie. Eine explizite Thematisierung der Gegenseitigkeit wird dann in der neueren soziologischen Austauschtheorie vorgenommen. 91 eines Systems, in dem Individuen im Rahmen eines Marktes, der als Anreizund Steuerungsmechanismus aufgefasst wird, nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten handeln (vgl. BECKER 1993:3ff). Zum anderen werden soziale Vorgänge auf die Bedürfnislagen, der an ihnen beteiligten individuellen Akteure zurückgeführt. Im Rahmen der neoklassischen ökonomischen Theorie verengt sich dann jedoch der Fokus der Analyse72 und der ökonomische Ansatz unterstellt zwar „...die Existenz von Märkten, die mit wechselnder Effizienz die Handlungen der verschiedenen Beteiligten - Individuen, Unternehmen, ja Nationen - so koordinieren, daß sie mit einander in Einklang gebracht werden.“ (BECKER 1993:3) Aber die Motivation der Handelnden bleibt in der Weise unterbelichtet, daß wenig zum Verständnis von Präferenzen beigetragen wird und schließlich als Annahme gilt, „daß diese (Präferenzen/Anm.TK) sich im Zeitablauf nicht substantiell ändern, und, daß die Präferenzen von Reichen und Armen, oder selbst von Menschen in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen, sich nicht sehr von einander unterscheiden.“ (BECKER 1993:3) Im Mittelpunkt steht dabei, daß „der ökonomische Ansatz expliziter und extensiver als andere Ansätze nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt.“ (BECKER 1993:3) Das Akteursbild, das aus diesem Ansatz entwickelt wurde, wird in der Literatur als das Modell des homo oeconomicus bezeichnet und wird im folgenden Abschnitt kurz skizziert. 72 Die Verallgemeinerung der ökonomistischen Position auf alle Bereiche sozialen Verhaltens verläuft bei Jeremy BENTHAM (1748-1832) und John S. MILL (1806-1873) über die 92 4. 3 Das Modell des homo oeconomicus Beim Modell des homo oeconomicus handelt es sich um ein, von der neoklassischen Wirtschaftstheorie konzipiertes, Verhaltensmodell eines rational wirtschaftenden Menschen. Der homo oeconomicus gilt dabei als Käufer oder Produzent, wobei dessen Handlungen durch das Prinzip der Maximierung des individuellen Nutzens bei gegebenem Mitteleinsatz als determiniert aufgefaßt werden. Der Aspekt der Rationalität ergibt sich dabei aus der Handlungslogik des Akteurs, der gemäß seiner Wert-Erwartungs-Einschätzung73 aus gegebenen Handlungsalternativen jene Alternative auswählen wird, die den höchsten Wert seiner Nutzenerwartung realisieren kann. Im allgemeinen Erklärungsmodell des Ansatzes ist der soziologische Teil aus Brückenhypothesen und aus Einzelheiten der jeweiligen Logik der Aggregation aufgebaut, d.h. im Modell des homo oeconomicus (auch RPSMM-Model restricted, perfect informed, stable prefarring, maximizing man, genannt) (vgl. ESSER 1991:53) wird als Annahme formuliert, daß individueller Nutzen auf der Grundlage vollkommener Information und stabiler geordneter Präferenzen im Rahmen gegebener Restriktionen maximiert wird. Damit ist allerdings noch keine Erklärung der Motivation sozialer Prozesse angezeigt, denn dies kann nur über die Logik der Selektion, d.h. über eine Handlungstheorie erfolgen. ESSER (1991) verweist dabei auf die zu entwickelnden Kriterien, die nach Lindenberg und Wippler zur Formulierung einer Handlungstheorie notwendig sind (vgl. ESSER 1991:53). Im Zentrum der Überlegungen steht hierbei, daß Erkenntnisse, die durch die Verbindung zwischen typisierten Mustern von Handlungsalternativen und Brückenhypothesen gewonnen werden, in die Logik der Selektion einfließen sollen, um auf diese Weise eine realistische und den menschlichen Bedingtheiten angemessene Handlungstheorie entwickeln zu können. In den Verhaltensannahmen der Theorie der neoklassischen Ökonomie ist allerdings die Einbringung (realistischerer) Brückenannahmen nicht gegeben. Die grundlegenden Eigenschaften des Handelnden fügen sich vielmehr in ein Bild, in dem der Handelnder, nur aus gegebenen Alternativen Nützlichkeitstheorie, die als Rechtfertigung eines bestimmten (egoistischen) Verhaltens aufzufassen ist. 73 Dieses Wahlverhalten wird im Rahmen der SEU-Theorie (subjective expected utility-Theorie) thematisiert (vgl. Kap: 5) 93 auswählt, ohne selbst „aktiv“ zu werden, d.h. der Mensch lernt nicht und definiert nicht. Die Reduzierung des Ansatzes auf das entscheidungslogische - rationale Kalkül ist für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung jedoch insoweit problematisch, als daß die Verhaltensannahmen, die in die theoretische Konzeption einfließen, unter relativ weitreichender Ausklammerung des soziostrukturellen Kontextes formuliert werden.74 Demgegenüber werden im Modell des homo sociologicus soziale Aspekte in die Modellierung aufgenommen. 4. 4 Das Modell des homo sociologicus75 Der homo sociologicus ist ein Modell, in dem zwischen Individuum und Gesellschaft in der Weise vermittelt wird, daß das Individuum als Träger von Rollen und gesellschaftlichen Positionen gilt, die wiederum, im gesellschaftlichen Rahmenwerk, Rollenerwartungen gegenüber dem Individuum bedingen. Die soziale Rolle wird somit zur Elementarkategorie für eine Theorie der sozialen Handlung. Das Modell des homo sociologicus geht von der Annahme aus, daß die Selektion der Handlung vor allem Vorgaben der gesellschaftlichen Institutionen folgt, d.h. Normen, Regeln und Rollenvorgaben. Individuelles Handeln gilt folglich als normgesteuert, wobei als Begründung ein Belohnungs- /Bestrafungssystem, d.h. das Bestehen von inneren und äußeren Sanktionen, angenommen wird. Es gibt drei Varianten dieses Typs: 74 Die Verkürzungen der handlungstheoretischen Annahmen im Rahmen der neoklassischen Ökonomie bedingen die Vernachlässigung des Motivations- und Informations(verarbeitungs-) problems des individuellen Akteurs. Dadurch ist auch die Nicht-Berücksichtigung von Institutionen (und somit Normen) für das ökonomische Handeln im Ansatz nachweisbar. 75 Dahrendorf, R. (1977) 94 1. die rollentheoretische „Sub-“Spezies folgt in ihren Handlungen Normen und Werten, ohne eigene Selektierarbeit zu leisten.76 Davon ausgehend bestehen zwei Untervarianten: a. die normative Rollentheorie, die die automatische Ausübung von Normkonformität durch das Individuum beschreibt. Lindenberg (1985) nennt diesen Typ SRSM-Model (socialized, role-playing, sanctioned man) (vgl. ESSER 1993:232) b. das OSAM-Model (opionated, sensitive, acting man). Handeln wird im Rahmen dieses Modells aus Einstellungen und Haltungen des individuellen Akteurs, die Objekten gegenüber bestehen, erklärt. Hierbei folgt Handlung erworbenen Einstellungen ist nicht als Wahl, sondern als Umsetzung von Haltungen in sichtbares Verhalten (das sich aus jeweiligen Umgebungseinflüssen erklären läßt) aufzufassen.77 Beide Modelle stehen in der Tradition DURKHEIMs, der die Grundidee verfolgte, daß Soziologie sich an den Naturwissenschaften orientieren müsse und Normen so als kausale Faktoren der Erklärung der Handlung über strukturelle Effekte (wie in den Naturwissenschaften) verlaufen müsse. Die genannten Modelle haben allerdings bei Handlung unter Unsicherheit78 nur wenig Erklärungsgehalt. Die Gegenposition zum normativen Modell der klassischen Rollentheorie bildet das interpretative Paradigma. Grundlegende Annahme ist, daß das Handeln der Menschen nicht blind gesellschaftlichen Normen folgend verläuft, sondern ein interaktiver und symbolisch interpretierter Definitionsvorgang der Situation durch die Subjekte ist, die zu reflektierten und verständigen Entscheidungen fähig sind (vgl. WILSON in Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1980:58ff.). Diese Auffassung führte zu einem weiterem Modell, dem 3. SSSM-Modell (Symbols Interpreting Situation Defining Strategic Acting Man). Die theoretischen Grundannahmen, die in die Formulierung des Modells einfließen stammen u.a. von Edmund HUSSERL (1859-1938) und George H. MEAD (vgl. ESSER 1993:234 f.) 76 Als Beispiel läßt sich hier die normative Rollentheorie PARSONS’ anführen. Dieses variablenorientierte Handeln findet sich z.B. im Rahmen der empirischen Sozialforschung. 78 Dazu zählt z.B. die Unwirksamkeit sozial-demographischer Variablen oder das „Verschwinden“ übergreifender Orientierungen. 95 77 Alle genannten Varianten des homo sociologicus teilen die Auffassung, das Normen unabhängig von entstehenden Kosten befolgt werden und daß es außerdem kein Prinzip der Maximierung gibt. Restriktionen werden in diesen Modellen als unbedeutend eingestuft (vgl. ESSER 1993:345f.). Der Nachteil bezüglich der erklärenden Modellierung sozialer Prozesse ist somit, daß die genannten Modelle in ihren Annahmen über die Verbindung zwischen Situation und Akteur in der Weise fixiert sind, daß sie Brückenhypothesen nicht zulassen und somit bestimmte Elemente von Situationen notwendigerweise ausblenden müssen. Als zentralstes Problem sieht ESSER (1993) darüber hinaus das komplette Fehlen einer expliziten und präzisen Selektionsregel für das Handeln und damit das Fehlen eines erklärenden Kerns einer Handlungstheorie. Die Entwicklung eines adäquaten und weitreichenden Akteursbild sollen nun im folgenden Abschnitt unter Rekurs auf die anthropologischen Grundannahmen über den Menschen eingeleitet werden. 4.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Modellierung sozialer Prozesse Die erklärende Modellierung sozialer Prozesse erfordert eine vereinfachende Typisierung von Merkmalen der menschlichen Akteure, d.h. ein stilisiertes Modell des Menschen. Dabei werden biologische und anthropologische Grundlagen insoweit berücksichtigt, als daß diese methodologisch-theoretische Bedeutung haben können. Allgemeine Annahmen über das Modell des Menschen beruhen (auch) auf den physiologischen Gegebenheiten, die den Menschen ausmachen, denn „[b]ei aller Kulturfähigkeit und bei aller Ablösung des menschlichen Verhaltens von der biogenetischen Fixierung bleiben menschliche Akteure immer (auch) lebende Organismen, die im beständigen Austausch mit ihrer natürlichen Umwelt bleiben.“(ESSER 1993:219) 96 Auf diese Weise treten evolutionsbedingte Grundlagen79 des Menschen ins Blickfeld und bedingen, daß das Merkmal der hohen Lernfähigkeit und Handlungsflexibilität im Zusammenhang mit der physiologischen und biopsychischen Konstitution des homo sapiens betrachtet wird.80 Menschliches Handeln wird, davon abgeleitet, verstanden als Wahl zwischen Alternativen und Restriktionen. Zu unterscheiden sind dabei zwei Arten von Restriktionen: 1) natürliche, d.h. die objektive Knappheit von Ressourcen und 2) soziale Restriktionen, die sich aus Institutionalisierung und Codierung von Mustern der Problemlösung durch soziale Konventionen und der effektiven Organisation der Ressourcenverwendung ergeben (vgl. ESSER 1993:219). Soziale Restriktionen sind dabei als Element der symbolisch gesteuerten Definition der Situation aufzufassen und als solche „übergreifende und durch einen eigenen Kontrollapparat abgesicherte Regeln der Organisation der Handlungen der Akteure bzw. die kurzfristige, situationsgebundene Festlegung dieser Regeln in einem interaktiven Prozeß der Koordination.“ (ESSER 1993:220) Sie sind wichtig für die Erklärung der Handlung und deren Folgen innerhalb der Grenzen der natürlichen Restriktionen (vgl. ESSER 1993:221). Die Orientierung an Restriktionen ist ein grundlegendes Merkmal im Modell des Menschen. Innerhalb dieser Restriktionen bestehen aber eine Vielzahl von Alternativen oder Opportunitäten, zwischen denen der Handelnde wählen kann. Die Selektion nach dem Kriterium der Maximierung der fitness unter gegebenen Randbedingungen ist dabei Ausgangspunkt, wobei zwei Grundvariablen bestehen (vgl. ESSER 1993:187): 79 Zur Logik des Vorgangs der Evolution läßt sich an dieser Stelle zusammenfassend formulieren, daß drei unterschiedliche Bereiche evolutionstheoretisch erfaßt werden können: 1. individuelle Organismen, 2. die Population dieser Einzelorganismen und 3. der Bereich der Umwelt. Die Organismen bilden intern und interaktiv ein homöostatisches System mit ihrer Umwelt (Population), das auf der Produktion der Lebensgrundlagen und der Reproduktion der Population, im Austausch mit der Umwelt basiert. Dieser Austauschprozeß erfolgt unter Einsatz von Energie und prinzipieller Knappheit von lebensnotwendigen Ressourcen. Damit werden Beschaffung und Konkurrenz zu den Imperativen des menschlichen Lebens. Als Ausgangspunkt der Evolutionstheorie steht somit die Lösung von Problemen der Sicherung der Homöostasis (auch unter dem Begriff fitness formuliert) (vgl. ESSER 1993:186 ff.). 97 1) Beachtung der externen Bedingungen und die Formulierung der Erwartungen über mögliche Konsequenzen der Selektionen und 2) interne Funktionsbedingungen des Organismus, d.h. die Fähigkeit der Bewertung von Konsequenzen der Selektionen . Aufgrund der Eingeschränktheit des Menschen hinsichtlich der Fähigkeit Informationen zu verarbeiten und des Fehlens von vollständigen Informationen, sind Erwartungen an Handlungsergebnisse zwar ebenfalls unvollständig und ungenau, jedoch vollkommen ausreichend für die alltägliche Handlung. Hierbei wird grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Mensch in Mustern denkt, die wiederum als Grundlage der Musterbildung von Erwartungen im theoretischen Modell unterlegt werden können. Das Modell der Rational Choice- Theorie geht somit von einer bounded rationality aus.81 Aus der typisierten Vereinfachung der wahrgenommenen Situation durch den Akteur ergibt sich die Bedeutung von signifikanten Symbolen, die Hinweise auf relevante Situationsmerkmale geben, die dem Akteur als Orientierung dienen (vgl. ESSER 1993:225). Bewertungen werden als Zuweisung von emotionalen Besetzungen auf bestimmte Folgen der Selektion von Alternativen verstanden, wobei die Wahl nach Bedürfnissen, Präferenzen, d.h. Werten erfolgt. Da Werte in einem gesellschaftlichen Gebilde in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Institutionen stehen, werden diese dadurch ein wichtiges Element der Bewertung und Interessenformulierung des individuellen Akteurs. Die Regel nach der Erwartung und Bewertung in der Selektion der Handlung berücksichtigt werden, kann als Kombination von Erwartungen und Bewertungen aufgefaßt werden, d.h. Wissen und Werte steuern die Selektion. „‘Kombination’ heißt dabei, daß das Produkt der Sicherheit einer Erwartung und der Höhe der Bewertung in bezug auf die verschiedenen Folgen eines Handelns maximierend wird.“(ESSER 1993:226) 80 Gemeint sind die körperlichen und intellektuellen Bedingtheiten des Menschen, als auch seine Kulturfähigkeit und Sozialität. 81 Im Zusammenhang mit der Thematik der Ressourcenknappheit ist dieser Aspekt grundsätzlich rationaler als die Annahme der vollständigen Information (vgl. ESSER 1991:62 ff. und ESSER 1993:157 und 224 98 Damit sind externe Bedingungen in der Umgebung als auch interne Funktionserfordernisse gleichzeitig berücksichtigt (vgl. ESSER 1993:227). Inwieweit der struktur-individualistische Ansatz in seinem handlungs- theoretischen Kern der rationalen Wahlhandlungen die genannten Aspekte aufnimmt, wird im folgenden dargestellt. 4.6 Die Rational Choice-Theorien Rational Choice-Theorien orientieren sich an jenem Paradigma von Rationalität, das ökonomischen Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen Entscheidens (daher: rational choice) zugrunde liegt und Handlung als Optimierungsprozeß von Akteurspräferenzen, d.h. Eigeninteressen, versteht.82 Diese Theorien liefern konditionale Imperative, die sich auf die Mittel zur Erreichung vorgegebener Ziele und nicht auf Handlungszwecke selbst beziehen. 4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien Wissenschaftliche Diskussion kann nur dann sinnvoll sein, wenn der Gegenstand der Auseinandersetzung klar umrissen ist. Im folgenden Abschnitt sollen aus diesem Grund zunächst die Grundannahmen der Rational ChoiceTheorien vorgestellt werden. ZIMMERLING (1994) definiert drei Grundannahmen, die das Handlungsmodell des Rational Choice-Ansatzes bestimmen: 1) die Komponente des methodologischen Individualismus, die bedingt, daß soziale Situationen auf individuelles Handeln zurückgeführt werden, 2) Handeln beruht auf Entscheidungen, die als Ergebnis rationaler Wahlen aufgefaßt werden und 3) rational ist eine Wahl, wenn unter den jeweils effektiv gegebenen 82 Wobei alle möglichen Präferenzen, so auch altruistische, zugelassen sind (vgl. BURTH/DRUWE in Druwe/Kunz 1994:158). 99 Handlungsalternativen, die Wahl getroffen wird, die, unter Berücksichtigung aller damit verbundenen Vor- und Nachteile, den Präferenzen des Individuums am meisten entspricht, d.h. seinen Nutzen maximiert.83 Siegwart LINDENBERG hat die oben genannten Annahmen im RREEMMModell präzisiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:50). Das Akteursbild, das hier entworfen wird, stellt einen über gewisse Ressourcen verfügenden (resourceful), jedoch in seinen Handlungsmöglichkeiten beschränkten (restricted), aber zur Bildung von Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Ereignisse (expecting) sowie zur Bewertung alternativer Situationen fähigen (evaluating) und auf die Maximierung seines Nutzens bedachten (maximizing) Akteur (man) dar (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16). Der Ansatz betont die Vorstellung, daß individuelle Entscheidungen und Handlungen nicht in Abhängigkeit von der individuellen Situation und damit nach unterschiedlichen Mustern abläuft, wie dies z.B. in struktur-funktionalen Konzepten erfaßt wird, sondern die Bestimmungsfaktoren in den strukturellen Merkmalen der Situation, d.h. den Ressourcen, Beschränkungen und Präferenzen, mit denen sich der Akteur konfrontiert sieht, zu finden sind. Davon ausgehend lassen sich zwei Komponenten des Ansatzes differenzieren: a) in der Entscheidungssituation können Strukturmerkmale nach der Art ihrer Variablen bzw. festen Parameter dem Handelnden unterschiedliche Handlungsweisen abverlangen84 und b) können Annahmen in bezug auf die ‘innere Situation’ von Akteuren, d.h. deren Informationen über die Umwelt zum Zeitpunkt der Entscheidung, abgeleitet werden. In diesem Zusammenhang unterscheidet ZIMMERLING (1994) drei Grundsituationen: 83 Es besteht dabei die Annahme, daß bestimmte grundlegende Präferenzen, die alle Akteure aufweisen, als relativ stabil betrachtet werden können und so in die theoretische Konzeption einfließen (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16). 84 Zu unterscheiden sind dabei strategische von parametrischen Wahlhandlungen. 100 1) Entscheidung unter Unsicherheit In der Entscheidungssituation weiß der Akteur, welche Folgen sich für ihn aus der Wahl der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen jeweils definitiv ergeben werden. 2) Entscheidungen unter Risiko Der Handelnde ist sich über die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Folgen, die sich aus der Wahl der verfügbaren Handlungsalternativen für ihn ergeben, bewußt. 3) Handlung unter Unsicherheit Der Akteur ist sich über die möglichen Folgen seiner Wahl hinsichtlich der bestehenden Handlungsalternativen im klaren, weiß jedoch nicht mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten werden (vgl. ZIMMERLING in: Druwe/Kunz 1994:16). Diese Grundannahmen gelten in den unterschiedlichen Disziplinen, in denen der Rational Choice-Ansatz angewendet wird, als Basis der Theoriebildung. 4.6.2 Die Theoriebildung Die Theoriebildung erfolgt in Form der expliziten und weitgehend formalisierten Modellierung sozialer Prozesse, wobei durch den Prozeß der abnehmenden Abstraktion ein hinreichender Wirklichkeitsbezug herzustellen intendiert ist (vgl. LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3ff.). Im Ansatz ist die Rational ChoiceSoziologie zu verstehen als „... an attempt to combine the advantages of theory-guided research, as found in economics, with the strong empirical tradition of sociology [...]. Insights from neoclassical economics and from traditional sociology are then essential in the entire process of model development.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3) 101 4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung Zur Verdeutlichung der Strategie der Theoriebildung werden zunächst die interessierenden Zusammenhänge und die zugrunde liegende Erklärungsheuristik vorgestellt. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Darstellung der wesentlichen Komponenten des theoretischen Modells. Bei der Analyse sozialer Tatbestände geht es um die Erklärung kollektiver Phänomene, die nach ESSER (1993) differenziert werden können in: a) soziale Gebilde, in denen neben dem Verhalten von Individuen im Aggregat (eine allgemeine Anzahl von...), das Verhalten von Individuen als Mitglieder sozialer Kontexte (im Sinn der Verschiedenheit von Verhalten zwischen unterschiedlichen Kontexten) und das Verhalten von sozialen Gebilden (d.h. kollektives Verhalten) analysiert werden kann. b) Typen sozialer Prozesse, wobei inhaltlich die Genese, Reproduktion und der Wandel von sozialen Gebilden thematisiert wird. c) Allgemeinen Regelmäßigkeiten, die sich an inhaltlichen (im gleichen Kontext vorfindbaren interessierenden Phänomen), formalen (unterschiedlichen Kontexten) und systemischen Zusammenhängen und Differenzen (in temporalen und strukturellen Zusammenhängen) orientieren. d) Erklärung einmaliger Ereignisse, die raum-zeitlich fixiert sind (vgl. ESSER 1993:85ff.) Für die Darstellung des Explanans ist wichtig zu erwähnen, daß der strukturindividualistische Ansatz seine Ausrichtung zwischen ausgewählten Positionen des methodologischen Individualismus und der analytischen Wissenschaftstheorie findet, wobei im wesentlichen auf die Analyse sozialer Makrostrukturen und die Theorie der rationalen Wahl, als Grundlage der Verhaltenserklärung von Akteuren, fokusiert wird. In der Verknüpfung dieser Komponenten werden Makrostrukturen einerseits als die wichtigsten Randbedingungen für die Erklärung sozialen Handelns aufgefaßt und sollen andererseits als Wirkung der individuellen Handlungen von Akteuren erklärt werden. Im Rückbezug auf individuelles, rationales Handeln werden dabei Verhaltensunterschiede auf Unterschiede in den Handlungseinschränkungen für die Akteure zurückgeführt (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:27). Im Rahmen des strukturindividualistischen Programms steht folglich das Verhalten der individuellen 102 Akteure und die Aggregation ihrer Handlungen unter verschiedenen Randbedingungen und damit verbunden die Erklärung von sozialen Strukturen im Zentrum des Erkenntnisinteresses (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:28). „The analytic primacy thus lies at the aggregate level. Yet the explanation of social systems is based on explaining the mechanisms that go on in the system and that produce the system effects. In sociology, all such mechanisms involve purposive action of human beings. For this reason, the theoretical (or explanatory) primacy lies on the individuel level.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:7) Das Explanans besteht dabei aus drei Logiken, über die die Rekonstruktion der kollektiven Wirklichkeit als aggregierte Wirkung der Handlungen von Akteuren geleistet werden muß (vgl. ESSER 1993:85ff.). Die Kernstruktur der Erklärung läßt sich an folgenden Schritten kurz darstellen: Im ersten Schritt wird die Logik der Situation aus der Verbindung zwischen der Makroebene der speziellen Situation und der Mikroebene des Akteurs, über die Formulierung von Brückenhypothesen, entwickelt. Der zweite Schritt behandelt die Formulierung der Handlungstheorie, wobei Selektion zur Grundlage individuellen Handelns erklärt wird. Die Logik der Selektion wird anhand allgemeiner nomologischer Gesetze, nach denen Alternativen unter gegebenen Randbedingungen vom Handelnden ausgewählt werden, entwickelt. Die Verbindung der Elemente Akteur und soziale Situation auf der Mikroebene thematisiert die Beziehung zwischen Bewertung und Erwartung von Handlungsalternativen bzw. -folgen und dem individuellen Handeln. Die Verbindung von Mikro- und Makroebene des kollektiven Phänomens, was der eigentliche Untersuchungsgegenstand ist, führt zur Logik der Aggregation, d.h. der Transformation der individuellen Effekte der Handlung der Akteure zum jeweiligen kollektiven Explanandum, unter Beachtung bestimmter Regeln. Hierbei gibt ESSER (1993) verschiedenen Arten von Transformationsregeln an, wobei insbesondere partielle Definitionen von Bedeutung sind, da sie festlegen, 103 wann von einem kollektiven Ereignis gesprochen werden kann und erst so der Zugang zu weiterer Modellierung möglich wird.85 Die soziologische Erklärung eines Explanandums besteht somit aus der sukzessiven und kombinierten Lösung von drei unterschiedlichen Fragestellungen, die eine Beschreibung der Situation über Brückenhypothesen ermöglicht und damit die Entwicklung des Mikromodells, das die Erklärung der Selektion einleitet (erfolgt über eine allgemeine Handlungstheorie) und schließlich die Benennung der Randbedingungen zur Vervollständigung der Analyse. Hierbei verdichtet sich über den Aspekt der Aggregation, unter Berücksichtigung von Transformationsregeln, das zu erklärende kollektive Phänomen. Am Theoriemodell des kollektiven Handelns von Mancur OLSON (1985) soll das Erklärungsschema verdeutlicht werden: Das Modell der Erklärung legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf den Aspekt der Makrostrukturen oder die Ebene kollektiver Phänomene, bei Olson ist dies das Makrophänomen kollektives Handeln. Die inhaltliche Fragestellung richtet sich auf den Aspekt, unter welchen Bedingungen auf der Makroebene, die Gemeininteressen ihren Ausdruck in kollektivem Handeln finden. Dabei sind die Natur des zu produzierenden Gutes, daß dem Nichtausschlußprinzip unterliegt, die Gruppengröße und die Abwesenheit einer selektiven Anreizstruktur von 85 Sie sind Spezialfälle der operationalen Definition, der Meßbarmachung von theoretischen Begriffen. Das Grundmodell der Logiken ist der elementarste Schritt jeder soziologischen Erklärung, jedoch ist eine Erweiterung der Mikro-Makro-Differenzierung möglich. Hierbei kann eine horizontale Differenzierung, die Analyse sozialer Prozesse ermöglichen. In der vertikalen Differenzierung kann auf das Verhalten von sozialen Gebilden fokusiert werden. Die entstehenden Mehr-Ebenen-Modelle beinhalten als Ausgangsüberlegung die Annahme, daß Menschen nicht isoliert handeln, sondern Interaktionssysteme bilden, die ganz unterschiedlich angelegt sind. Soziale Gebilde konstituieren solche Interaktionssysteme und können über das Grundmodell der soziologischen Erklärung erfaßt werden. Das Handeln des sozialen Gebildes leitet sich weiterhin von der Akteursebene ab, auf der nutzenmaximierendes Handeln angenommen wird, das Gebilde handelt dann folgerichtig nach Maßgabe der komplexen Aggregation der individuellen Handlungen der Menschen und daher muß immer die Dekomposition des Verhaltens des sozialen Gebildes auf Mikroebene erfolgen. ESSER unterscheidet zwischen Situations- und Prozeßmodellen, wobei das wesentliche Element von Situationsmodellen die Wiedergabe von typisierbaren Situationen ist. Situations-modelle beruhen somit auf abstrakten Typen von Brückenannahmen und geben z.B. über die Interdependenzen von Akteuren Auskunft. Situationsmodelle finden sich in der Spieltheorie, wo sie sich in Spielen wie z.B. das prisoner’s dilemma niederschlagen. Prozeßmodelle dagegen bilden Sequenzen idealisierter Prozesse ab, wie z.B. im Diffusionsmodell. Hierbei können Prozesse wie die Entwicklung von sozialen Bewegungen verdeutlicht werden. 104 wesentlicher Bedeutung (vgl. OLSON 1985:8ff.). Der Zusammenhang zwischen diesen Bedingungen wird dann unter Rückbezug auf die Individualebene erklärt, d.h. im Entwurf eines Mikromodells hergeleitet. 4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells Im Mikromodell werden zunächst die unabhängigen Makrovariablen als Handlungsbedingungen der Akteure rekonstruiert, d.h. es werden Zwecksetzungen, Handlungsmöglichkeiten, die Übersetzung der möglichen Handlungen in zweckrelevante Wirkungen (bei denen Interdependenzen zwischen den Akteuren, als auch Unterschiede hinsichtlich der Zwecke, Möglichkeiten und Einschränkungen in einer Handlungssituation, eine wesentliche Rolle spielen) bestimmt. Der Akteur wählt dann in einer sozialen Situation eine bestimmte Handlung nach den Kriterien der Zweckrationalität. Und schließlich werden die individuellen Handlungen zu einem Makroeffekt zusammengefaßt, der unter weiteren Randbedingungen die zu erklärende Makrostruktur ergibt (vgl. OLSON 1985:5). 4.6.3.2 Der Makroeffekt Transformation im Mikromodell und das Problem der Der Makroeffekt ist, wie oben gezeigt, als aggregiertes Phänomen kollektiven Handelns im Mikromodell rekonstruiert worden. Damit entwickelt sich im struktur-individualistischen Theoriekonstrukt allerdings das Problem der Transformation (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30). Hierbei handelt es sich im wesentlichen um die Verbindung von Individual- und Kollektivebene. Die Problematik ist leicht einsichtig, denn es wird der methodologische Aspekt der korrekten Verwendung von Begriffen angeschnitten. Eine formal korrekt abgeleitete Aussage darf keine Begriffe enthalten, die nicht bereits in der Eingangsformulierung enthalten sind. D.h. individuelle Phänomene werden unter Verwendung von Individualbegriffen, die sich auf individuelle Merkmale beziehen, beschrieben, kollektive Phänomene 105 dagegen durch Kollektivbegriffe, die die Merkmale von Kollektiven wiedergeben. Sollen nun kollektive Phänomene aus individuellen Effekten abgeleitet werden, müssen folgerichtig Individual- und Kollektivbegriffe verknüpft werden. Wie diese Verbindung herzustellen ist, wird in der Transformationsregel86 angegeben. Im Rückgriff auf das vorgestellte Modell wird das Makrophänomen ‘kollektives Handeln’, wie gezeigt, zunächst auf die Individualebene bezogen und dabei im Mikromodell als die kontinuierliche Variable Teilnehmen an der kollektiven Handlung aufgefaßt. Dies bedeutet, daß Akteure ihren Beitrag zu einem kollektiven Gut leisten und dieser dabei einen beliebige Höhe annehmen kann. In OLSONs Modell wird für jeden Akteur, der das Gemeininteresse teilt, ein individueller Beitrag abgeleitet. Die kollektive Handlung ist dann die Summe der individuellen Beiträge und gibt schlußfolgernd das Versorgungsniveau mit dem kollektiven Gut an (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30). 4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie Die Thematik der Transformation ist eine wichtige Diskussionsplattform hinsichtlich der Frage der Rechtfertigung der Grundannahmen, die diesem Theoriekonstrukt unterlegt werden. Davon ausgehend wurde gezeigt, wie im Mikromodell die dem Kollektivphänomen ‘Versorgungsniveau eines kollektiven Gutes’ zugrunde liegenden Individualeffekte definiert sind (vgl. OLSON 1985:13ff.). Die sich anschließende Frage ist nun, ob und wieviele Akteure zur Produktion des kollektiven Gutes beitragen. Dieser Individualeffekt soll in Olsons Modell anhand der individuellen rationalen Entscheidungen der Akteure erfolgen. „Dabei bedient sich Olson eines Modells der rationalen Wahl: Die Akteure wählen denjenigen Beitrag, der ihren Nutzen (von Olson als persönlicher Wert bezeichnet) maximiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:32) 86 ESSER (1993) stellt verschiedene Transformationsregeln vor, auf die jedoch nicht weiter eingegangen muß. 106 Die Modellierung des Modells erfolgt somit auf der Basis des Modells des erwarteten Nutzens, expected utility, wobei die unterschiedlichen Alternativen abgewogen werden und die Entscheidung der Handlungsalternative nach dem höchsten Wert getroffen wird, d.h. OLSON geht von einer erwartungsgesteuerten Entscheidungssituation unter Risiko aus.87 Da individuelle Handlungsweisen immer in Zusammenhang mit Makrostrukturen betrachtet werden, muß diesem Entscheidungsmodell eine weitere Komponente hinzugefügt werden, um den Bezug zwischen beiden Aspekten herleiten zu können und dies erfolgt über die Formulierung von Brückenannahmen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:33). 4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen Im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen kann im vorliegenden Modell z.B. geklärt werden, inwieweit die Gruppengröße mit der Bereitschaft der Akteure, sich für eine gemeinsame Sache einzusetzen, zusammenhängt. Brückenhypothesen geben die Handlungsalternativen, zwischen denen der Akteur wählt und die damit verbundenen relevanten Konsequenzen der Handlungsalternativen an und geben somit auch Auskunft über die Bewertungen und Erwartungen der Handelnden hinsichtlich der Handlungskonsequenzen. „Die Formulierung solcher Brückenhypothesen wird im Rahmen der strukturellindividualistischen Theoriebildung als ‘Hauptaufgabe bei der Erklärung sozialen Verhaltens’ (Wippler, Lindenberg 1987:146) gesehen, da durch sie der Einfluß des sozialen Kontextes modelliert wird.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:34) Im Modell OLSONs wird von einer bestimmten Kategorie von Akteuren ausgegangen, die als Interessenten am kollektiven Gut bezeichnet werden und die gemeinsam haben, daß der Nutzen des kollektiven Gutes positiv ist. Olsons 87 Zugrunde gelegt wird, daß der Handelnde hinsichtlich der subjektiven Wahrscheinlichkeiten nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung operiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:33). 107 Situationsmodell sieht nun vor, daß bei der Wahl einer bestimmten Handlungsalternative Handlungskonsequenzen mit Sicherheit eintreten. Diese Handlungsalternativen sind im Modell als Spektrum von Handlungsalternativen im Rahmen des Kategorienpaares ‘Beitrag leisten - Beitrag nicht leisten’ formuliert. Der erste Schritt ist die Bestimmung der individuellen Beiträge, wobei sich zwei Dimensionen von Handlungsfolgen ableiten lassen: 1) das Versorgungsniveau wird durch die Beiträge der Individuen erhöht und 2) die geleisteten Beiträge der individuellen Akteure vermindern deren Ressourcen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:34). Diese Handlungsfolgen werden mit den Bewertungen der Akteure verknüpft und in einer Funktion dargestellt, die angibt, daß je größer das kollektive Gut ist, desto höher ist auch der Nutzen und je höher der individuelle Beitrag, desto höher sind die Kosten für den individuellen Akteur. Die Wahl des individuellen Beitrags erfolgt in diesem Modell so, daß der Handelnde das Verhältnis von Nutzen und Kosten optimal hält, d.h. eine nutzenmaximierende Orientierung aufweist (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35). In einem weiteren Schritt müssen nun die Effekte der Nichtausschließbarkeit von Konsumenten vom kollektiven Gut, das Fehlen einer selektiven Anreizstruktur und die Gruppengröße zusammengefaßt und auf die Wahl des individuellen Beitrags bezogen werden. Die Modellierung der Situation sieht vor, daß der Handelnde die Alternative hat, einen Beitrag zu leisten oder es nicht zu tun.88 Sein Nutzen ist unterschiedlich hoch, je nach Wahl der Alternative. Die Gesamtversorgung mit dem kollektiven Gut, von Olson gleichgesetzt mit dem der Gesamtsumme der geleisteten Beiträge, ist die Aufteilung des Gutes unter allen Akteuren, welches dadurch in Abhängigkeit zur Gruppengröße (aller konsumierenden Akteure) gesetzt werden muß. 108 „Der individuelle Anteil am kollektiven Gut,[...], ist damit das Verhältnis von Gesamtversorgung zur Gruppengröße,...“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:36) Im Modell werden die Nichtausschließbarkeit und das Fehlen einer selektiven Anreizstruktur als konstante Variablen angenommen, so daß die Größe der Gruppe eine variable Randbedingung ausmacht. Je größer die Gruppe der konsumierenden Akteure am kollektiven Gut wird, desto geringer erscheint der Nutzen, der durch den geleisteten Beitrag des individuellen Akteurs an der Gesamtversorgung ausmacht. Für die Wahl der Handlungsalternative des individuellen Akteurs wird, unter Einbeziehung der relevanten Makrovariablen Nichtausschließbarkeit, Gruppengröße und fehlende Struktur selektive Anreize, deutlich, daß je höher seine Kosten im Gegensatz zum tatsächlichen Nutzen liegen, er die Leistung von Beiträgen abbrechen wird (vgl. OLSON 1968). Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß im Rahmen des vorgestellten Modells der theoretische ‘Kern’, die Theorie der rationalen Wahl, gegenüber den Brückenhypothesen, als Verknüpfung der Individualebene mit der Kollektivebene, differenziert wird. Damit wird der Aspekt der rationalen Wahl als konstanter Faktor verstanden und die Formulierung von Brückenhypothesen als ‘Anpassungsmodus’ des theoretischen Kerns an die empirisch nachweisbaren Sachverhalte. Es schließt sich eine weitere Ebene der theoretischen Entwicklung an, die in der Literatur als method of decreasing abstraction (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992) bezeichnet wird. 4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion Bei dieser Methode handelt es sich um ein Vorgehen, welches ermöglichen soll, die Angemessenheit von Brückenhypothesen dadurch zu ermitteln, daß mehrere Varianten eines Modells miteinander verglichen und Abweichungen in den Ergebnissen festgestellt werden. Sind grundlegende Veränderungen der 88 Dies entspricht nicht ganz der Ausgangsbedingung im Modell, wird jedoch von Gilleßen und 109 Ergebnisse bei vereinfachten Brückenannahmen gegenüber einer realistischeren, auch durchaus komplizierteren Version festzustellen, so ist eine Ersetzung durchzuführen. Auf dieser Grundlage ist die Aussage Lindenbergs, daß ein theoretisches Modell eines Gegenstands als Sequenz von Modellen unterschiedlichen Komplexitätsgrades aufzufassen ist, angelegt (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41). Die Methode der abnehmenden Abstraktion beruht auf zwei wesentlichen Punkten: „First, the disaggregation of utility theory into a fixed core of assumptions on human nature and a variable belt of bridge assumptions [...] and second, the heuristics needed to reduce the uncertainty about appropriate bridge assumptions [...]“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3) Das Verfahren wird von LINDENBERG (1992) als integratives Moment der unterschiedlichen Disziplinen der Sozialwissenschaften verstanden, jedoch „... without losing the analytical power of the economic approach or the descriptive advantages of the sociological and psychological approaches.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:4) Daher sieht Lindenberg (1992) die Möglichkeit gegeben „to achive theory-driven analyses and empirical accuracy by taking model building to be a sequence of versions of theory in which empirical accuracy is stepwise approached, while the early versions of the theory provide analytical power.“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:6) Damit differenziert er wesentliche Aspekte der Theoriebildung, wobei neben der Notwendigkeit der Unterscheidung von Kerntheorie (core theory) und Brückenannahmen, die wichtig ist „to make the assumption about gain maximization more complex (say, by stating the conditions under which it may or may not occur) without simultaneously letting go out the core theory of rationality“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:6) Mühlau zur Vereinfachung eingeführt (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35). 110 auch der Aspekt der Zielbestimmung im Rahmen der unterschiedlichen Disziplinen wichtig ist. Für die Sozialwissenschaften ist anzugeben, daß Akteursziele (preferences) im wesentlichen „not from standpoint of choice under constraints but from the standpoint of social control“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992: 9) hergeleitet werden. Im Rahmen des zugrunde liegenden Modells sollen diese Aspekte nun in der Weise verbunden werden, daß Präferenzen, als Teil eines instrumentellen Kontextes aufgefaßt, Teil der Struktur sind und somit durch Beschränkungen erklärt Coleman/Fararo, 1992:10). werden Die können (vgl. Differenzierung von LINDENBERG ‘universellen’ in und ‘instrumentellen’ Präferenzen (auch goals) leitet sodann in die Formulierung der Brückenhypothesen über, wobei LINDENBERG (1992) als universelle Präferenzen zum einen das physical well-being und zum anderen das social approval bestimmt und diese means in sozialen Positionen als veränderlich definiert, was er mit dem Begriff der social production function kennzeichnet und ausführt, daß „They work like standard operating procedures for the production of one of both of the general goals.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11) Den Ausgangspunkt noch einmal aufgreifend, kommt Lindenberg auf die Komponente der sozialen Bindung durch Normen zurück: „Notice that effects of norms on behavior are entirely compatible with a social production function approach. Norms heavily influence social production functions.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11) Verdeutlicht jedoch auch die Komponente, daß die Definition einer Situation wesentliches Moment ist. Dies leitet zum Thema der ‘Wahl’ (choice) und damit zum Nutzen von Handeln (hier: Subjectively Expected Utility, kurz SEU) über (siehe LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:12). LINDENBERG entwickelt dazu das sog. discrimination model, auch framing theory genannt, was im 111 wesentlichen auf die Strukturbildung von Entscheidungen im Rahmen von Wahlhandlungen fokusiert. 4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion Die Methode der abnehmenden Abstraktion ist wesentliches Moment im Zusammenhang mit der Formulierung von Brückenannahmen (die die Klassifizierung und Typisierung der Situation unter Inbezugnahme der Idiosynkrasien der einzelnen Akteure thematisieren), da das Modell, im Kontext der durch die Situation gegebenen Bedingungen mit der einfachsten Annahme „... konsistenter Bewertungen für die Handlungskonsequenzen und von objektiven, nicht überschreitbaren Grenzen des Handelns - auch wenn diese Grenzen den Akteuren nicht bekannt sind“(ESSER 1993:134) beginnen soll. Darin fließt die Annahme ein, daß der Akteur seine Umgebung „objektiv und perfekt informiert“ wahrnehmen kann. Diese Annahmen werden im Verlauf der Modellbildung aufgegeben. 4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion Die nutzenmaximierende Selektion der Handlung ist Simplifikation und Verfälschung der wirklichen Gesetze des Handelns, jedoch ist es zulässig, denn der Aspekt der Nutzenmaximierung bzw. Zweckrationalität wird als einfachste, erklärungskräftigste Handlungstheorie verstanden. Veränderungen der Variablen der Handlungstheorie verändern auch die Brückenhypothesen. Vor der Änderung der Handlungstheorie (Nutzenmaximierung) sind zuerst Brückenhypothesen und Transformationsregelmöglichkeiten ausnutzen, um Anomalien zu erklären (vgl. ESSER 1993:135). 4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion Hier ist wichtig zu bedenken, daß es nicht immer gut sichtbare, formale Regelungen gibt, sondern oft informelle Regeln. Subjektive Definitionen der 112 Akteure sind oft wichtig für die eine partielle Definition der Existenz eines sozialen Gebildes (vgl. ESSER 1993:136). GILLEßEN und MÜHLAU (1994) unternehmen den Versuch, unter Bezug auf das Modell von Gerald MARWELL und Pamela OLIVER (1993)89, aufzuzeigen, wie strukturelle Bedingungen die Wahrschein-lichkeit der Mobilisierung eines bestimmten Niveaus von Beiträgen verändern können. Ausgangsthese ist, daß „viele kollektive Handlungen zunächst nur von besonders engagierten Partizipanten getragen werden, um später auch von durchschnittlich Interessierten gestützt zu werden. Es bedarf erst einer kritischen Masse, die die Kettenreaktion sozialer Mobilisierung katalysiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:42) Das Grundmodell besagt darauf folgend, daß der Nutzen des Akteurs, der einen Beitrag stiftet, die Differenz zwischen dem Nutzen des kollektiven Gutes für das Individuum einschließlich seines Beitrags und dem Nutzen des kollektiven Gutes ohne dessen Beitrag abzüglich der subjektiven Kosten des individuellen Beitrags ist. Vereinfacht ausgedrückt: Desto niedriger die Kosten, desto höher der Nutzen für den Akteur. In diesem Grundmodell werden nun zunächst die zentralen Makrovariablen benannt und ihr Einfluß auf das Verhalten der Akteure analysiert. Die Makrovariablen90 bestimmen a) die Natur des Gutes, b) die Gruppengröße und c) die Verteilung des Gutes (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz, 1994:44). Hierbei können als Parameter des Entscheidungsmodells die Natur des Gutes und die Gruppengröße angenommen werden. Im Rahmen der Verteilung 89 90 MARWELL/OLIVER (1993), The Critical Mass in Collective Action. Cambridge (siehe GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41). Vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:42, wobei auf weitere Vereinfachungen verzichtet werden kann, da es lediglich darum geht, das Grundprinzip zu verdeutlichen. 113 (sgerechtigkeit) handelt es sich um eine Variable, die Aufschluß über die ‘Beitragsleistungsbereitschaft’ der Akteure gibt. Als Ergebnisse formulieren GILLEßEN und MÜHLAU (1994): „Eine zunehmende Gruppengröße wirkt sich nachhaltig auf die Mobilisierung einer kritischen Masse aus, wenn es sich um ein Gut handelt, um das Rivalität herrscht (Natur des Gutes/Anm.TK). Wenn keine Rivalität vorliegt, hat die Gruppengröße bei homogenen Gruppen (Verteilung des Gutes/Anm.TK) auch keinen Effekt auf das Zustandekommen der kollektiven Handlung.“ (GILLEßEN/MÜHLAU 1994:44) Die Gruppengröße fördert die Beitragsleistung der Akteure einer kritischen Masse, wenn die Gruppe heterogen ist und damit die Verteilung des Gutes nicht gleichmäßig verläuft. Um zur Ausgangsthese zurückzukehren: „Die Wahrscheinlichkeit, daß sich eine ausreichende Menge stark interessierter Akteure findet, steigt mit bei zunehmender Gruppengröße an.“ (GILLEßEN/ MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44) Weiterhin wird nun der Effekt unterschiedlicher Transformations-funktionen untersucht. Dabei wird in einer Längsschnittanalyse auf zeitlicher Ebene die Mobilisierung der Handelnden in verschiedenen Situationen untersucht. Als Ergebnis kann zusammenfassend formuliert werden, daß die beiden Gruppen (engagierte und ‘weitere’ Teilnehmer) nicht gleichzeitig ausreichend motiviert werden können, wenn nicht eine gewisse Koordination der Handlungen möglich ist, d.h. wenn nicht festgelegt werden kann, daß entweder alle oder keiner zum kollektiven Gut beitragen. Damit wird in einem weiteren Schritt die Annahme aufgegeben, daß eine Gruppe ein Aggregat von Akteuren darstellt, denn durch den Aspekt der Koordination (auch Vertragsmöglichkeit) wird deutlich, daß die Netzwerke innerhalb sozialer Gruppen die Koordination oft einschränken. Um das Modell zu vervollständigen, wird in einem vierten Schritt deutlich gemacht, daß Koordinationsmöglichkeiten (Vertragsabschlüsse) auf einer Ebene stattfinden, die durch die beschränkte Information der Akteure 114 ausgezeichnet ist und dadurch nicht die höchstmöglichen Beiträge eingebracht werden können (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44ff.). Die Methode der abnehmenden Abstraktion verläuft in diesem Modell über zunächst unrealistische Brückenannahmen, die zunehmend an die realen Bedingungen angepaßt werden und so die Robustheit der zugrunde gelegten Makrovariablen überprüft und wieder in Zusammenhang mit dem erweiterten Modell gebracht. Als grundlegende Heuristik des Strukturindividualismus kann die Anpassung der Beschränkungen der Akteure an realistische Annahmen im Verlauf der Theoriebildung gelten. Erst dann erfolgt die Anreicherung der Nutzenargumente der Akteure. Realistischere Annahmen über Erwartungen und kognitive Verteilungsleistungen sollten dabei nur im Notfall in das Modell einfügt werden, da es nicht empfehlenswert ist, objektive Wahrscheinlichkeiten aus Makrostrukturkonstellationen zu berechnen, wenn subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzungen zur Verfügung stehen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:46f.). Bei der Situationsanalyse von Makroeffekten, wird somit zunächst auf den Mikrobereich fokusiert, um von dort den Makrobereich zu erklären. Es handelt sich folglich um eine Makro-Mikro-Makro-Erklärung. Die Gesamtheit bildet eine kausal-analytische Konstruktion 2. Ordnung über ein Geschehen. Dabei erfüllt das Modell die Erfordernisse der interpretativen Dimension, enthält Brückenhypothesen und eine Handlungstheorie hinsichtlich der Konstruktion erster Ordnung der Akteure, ist aber eine kausale Erklärung (analytischnomologischer Art). Das Erklärungsschema macht deutlich, daß der makrosoziologische Zusammenhang, das strukturelle Gesetz als indirekter Effekt über die anderen Schritte gilt und die Wahrnehmung der Akteure tiefenerklärt. Darauf aufbauend erfolgt die Selektion und schließlich die Aggregation. Dadurch wird deutlich, daß der kollektive Zusammenhang einen indirekten Effekt hat und ermöglicht 115 1. unvollständige makro-soziologische Zusammenhänge zu erklären und 2. der Verstehensaspekt ist ohne die Akteurs-Komponente sinnlos und soziale Prozesse laufen dann über die Köpfe der Handelnden (vgl. ESSER 1993:98ff.). 116 5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und des struktur-individualistischen Ansatzes in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen Im Forschungsbereich der internationalen Beziehungen91 sind die Erklärungsansätze sowohl in paradigmatischer als auch forschungsgegenständlicher Hinsicht zu unterscheiden.92 Bei der Untersuchung außenpolitischen Entscheidens und Handelns dominieren akteurstheoretische Konzeptionen, die von rationalem Verhalten individueller Akteure ausgehen.93 Als Grundannahme gilt, daß soziale Phänomene in ihrer Komplexität zwar erklärt werden sollen, jedoch als Untersuchungsentität das Individuum im Zentrum der Analyse steht, wobei dessen Antriebsstruktur als eine durch Interessen bestimmte Nutzenerwartung aufgefaßt wird. Demgegenüber fokusieren struktur-theoretische Ansätze94 in der Erklärung des Untersuchungsgegenstandes auf das Umfeld. Außenpolitisches Verhalten internationaler Akteure wird hierbei als von den politischen, sozialen und kulturellen Strukturen determiniert, in denen es stattfindet, begriffen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Erörterung der unterschiedlichen Erfassung und Deutung des Untersuchungsobjekts der außenpolitischen Interaktionen im Rahmen akteurs - bzw. strukturtheoretischer Modellbildung und die davon ableitbaren Leistungen und Grenzen der theoretischen Konzeptionen. 91 Der Begriff der Internationalen Beziehungen entstand nach dem Ersten Weltkrieg, wobei im Rahmen der Versailler Friedensvertragsverhandlungen, aufgrund des Bestrebens von Politikern und Wissenschaftlern einen weiteren Weltkrieg zu verhindern, die Gründung von wissenschaftlichen Institutionen zur Erforschung der internationalen Beziehungen in Großbritannien und den USA vereinbart wurde. Die Aufgabenstellung erstreckte sich dabei auf die Erforschung von Ursachen, Bedingungen und Erscheinungsformen von Krieg und Frieden (vgl. BELLERS/KIPKE 1993:174). 92 Dabei spielen insbesondere die nationalen Disziplinentwicklungen in den jeweiligen Ländern eine wesentliche Rolle. 93 Als Beispiele sind hier Realismus, Neo-Realismus und Spieltheorie zu nennen. 117 5.1 Die politikwissenschaftliche Beziehungen Teildisziplin der Internationalen Die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen theoretischen Arbeitens im Bereich der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen95 bedarf aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen über den Umfang des Gegenstandsbereichs zunächst einer Definition des Begriffs Internationale Beziehungen, wie er im Rahmen dieser Arbeit verstanden wird. Als Internationale Beziehungen wird sowohl die entsprechende Disziplin als auch ihr Gegenstand bezeichnet. Hinsichtlich ihres Objektbereichs kann hierbei insbesondere gegenüber dem Begriff der Internationalen Politik verdeutlicht werden, welches jeweils zugrunde liegende Erkenntnisinteresse und damit verbundene Fragestellungen die Objektbereiche determiniert. PFETSCH (1994) verweist in diesem Zusammenhang auf die Differenzierungsmöglichkeit der internationalen Beziehungen gegenüber der internationalen Politik nach Struktur- vs. Akteursorientiertheit, wobei Beziehungen den Aspekt der Strukturen, Politik den der Handlungen in den Vordergrund rücken. Der Bereich der Internationalen Politik umfaßt dabei insbesondere die zwischenstaatlichen Beziehungen auf politisch-machtpolitischer Ebene und kennzeichnet somit die national-staatliche Regierung als zentralen Akteur.96 Zu den Grundkategorien des Begriffs der Internationalen Politik zählt dabei das Interaktionssystem von mindestens zwei nationalstaatlichen Akteuren, denen zielorientiertes Handeln unterstellt wird und deren Aktivitäten als grenzüberschreitend aufzufassen sind. In der Bestimmung des Objektbereichs der internationalen Politik fällt damit „ ... eine große Gruppe von Arbeiten aus ihm heraus, die in der Regel (und zu Recht) dazu gezählt werden: Analysen von Außenpolitik“ (CZEMPIEL in Knapp/Krell 1991:4), d.h. es wird unterschieden zwischen der Interaktion mehrerer und der Aktion eines 94 einzelnen Akteurs im internationalen Kontext. Der Begriff der Hier sind z.B. die funktionale Systemtheorie oder die Politische Kybernetik anzuführen. Als Bezeichnung für die politikwissenschaftliche Teildisziplin wird vor allem in angelsächsischen Ländern der Begriff international relations verwendet. 96 Der Nationalstaat wird dabei als ausschließlicher, keiner höheren Gewalt untergeordneten Akteur aufgefaßt. 118 95 Internationalen Politik kann folglich auch zur Grobunterscheidung zwischen dem Niveau des internationalen Systems und dem des Nationalstaates dienen. Allerdings ist es wichtig, darauf zu verweisen, daß sich die Internationale Politik aus den Außenpolitiken der einzelnen Länder zusammensetzt und auf diese Weise als Analysebereiche der Internationalen Politik folglich die Prozesse und Ergebnisse der Interaktionen zwischen außenpolitischen Entscheidungen, die in mindestens zwei Staaten von den jeweiligen Akteuren unter Einbeziehung ihrer Regierungsapparate vollzogen werden, angegeben werden können.97 Aufgrund der veränderten weltpolitischen Lage und der damit verbundenen Zunahme nichtstaatlicher internationaler Akteure ist die Wirklichkeit auf internationaler Ebene sehr viel komplexer geworden, so daß neben den staatlich vermittelter Bereich der internationalen Politik ein, diesen übergreifender, gesellschaftlich vermittelter Zusammenhang gestellt werden kann. Damit geht eine differenziertere Erfassung des Gegenstandsbereichs einher. Eine Perspektive entwickelt sich dabei entlang der Unterscheidung zwischen dem Bereich der internationalen Politik gegenüber dem der internationalen Beziehungen. Letztgenannter Begriff fokusiert auf einen umfassenderen Gegenstandsbereich als nur die Analyse macht-politischer Phänomene. Vielmehr treten hier auch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen der einzelnen internationalen Akteure ins Blickfeld und ermöglichen Interaktionen, die die Analyse zwischen aller grenzüberschreitenden internationalen Akteuren Aktionen und stattfinden (vgl. BELLERS/KIPKE 1993:175ff.). Der Bereich der Internationalen Politik kann in diesem Sinn als Teilbereich der Internationalen Beziehungen bezeichnet werden.98 Aus den oben dargelegten Sachverhalten ergibt sich für diese Arbeit folgende Definition: der Objektbereich der Internationalen Beziehungen gilt als 97 Dies entspricht dem Modell der Welt als Staatenwelt. Macht- und Gewinn-maximierung als Außenbeziehung stehen im Vordergrund der Betrachtung. Staaten sind die Akteure, deren Handlungen das internationale Gefüge ausmachen. 98 CZEMPIELs Auffassung zufolge ist der Begriff Internationale Beziehungen somit sehr allgemein und muß daher zum Bereich der „Theorie-Begriffe“ gezählt werden. Was den empirisch-konkreten Gehalt des Begriffs betrifft, muß dieser Auffassung zufolge eine genauere Bestimmung der Beziehungsvariablen vorgenommen werden. CZEMPIEL schlägt aufgrunddessen vor, den Begriff der Internationalen Beziehungen für die Disziplin, den der Internationalen Politik für den Objektbereich, den Forschungsgegenstand zu verwenden (vgl. CZEMPIEL in Knapp/Krell 1991:3f.). Dies folgt in einer Richtung der von PFETSCH (1994) 119 Analysebereich außenpolitischer Entscheidungsprozesse und außenpolitischen Handelns, wobei neben machtpolitische auch soziale und ökonomische Beziehungen ins Blickfeld rücken. Als Modell für den Bereich der Internationalen Beziehungen kann die Welt als Weltwirtschaft, als Netz von Beziehungen zwischen den nationalen Ökonomien, angegeben werden. Seit Ende der 1950er Jahre wird im Rahmen der Analyse transnationaler Konzerne, die aufgrund ihrer Flexibilität als den Nationalstaaten überlegene internationale Akteure behandelt werden, formuliert, daß Außenpolitik heute von weiteren Faktoren als nur dem Entscheidungsrecht der Regierungen von Staaten bestimmt ist. Vielmehr verweist der Begriff der transnationalen Politik auf die unterschiedlichen Akteure und deren Beziehungen untereinander, die NYE/KEOHANE (1989) begrifflich als complex interdependence fassen. Analysen in diesem Bereich fokusieren dabei sachbezogene Problemstellungen (inhaltlicher Natur) oder akteursbezogene Teilbereiche (Untersuchungen von Entscheidungsverhalten). Der Begriff der wechselseitigen Abhängigkeit verweist hierbei auf die Verflechtung unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen, wobei angegeben werden kann, daß „These effects often result from international transactions - flows of money, goods, people, and messages across international boundaries“ (NEY/KEOHANE 1989:8) und somit Interdependenz das Verhältnis von mehr oder minder gleichgewichtigen Akteuren beschreibt, deren Ziele nicht übereinstimmen, jedoch aufgrund bestehender transnationaler Beziehungen kooperatives Handeln notwendig macht (vgl. NEY/ KEOHANE 1989:8). Erfaßt werden kann Interdependenz dabei durch das Kriterium der Kosten, womit eine Anknüpfung an die traditionelle Unterscheidung in der ökonomischen Theorie aufgezeigt wird (vgl. KEOHANE/NYE 1989:112ff.). Davon abgeleitet kann auf den unterschiedlichen Analysenebenen nach den veränderten Handlungsbedingungen vorgenommenen Unter-scheidung zwischen Handlungs- und Strukturebene, bzw. zwischen Akteur und Systembeziehung. 120 unter Interdependenz gefragt werden. Die Thematik der Regulierung der internationalen Beziehungen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Institutionalisierung von Kooperation, steht dabei im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit im Rahmen systemischer Betrachtung.99 Auf der Aktueursebene werden hingegen Optimierungsstrategien außenpolitischen Handelns zur Diskussion gestellt. Grundsätzlich werden somit im Rahmen sowohl der Internationalen Politik als auch der Internationalen Beziehungen die Bestimmung der Formation des internationalen Milieus, die in diesem Kontext operierenden Akteure, deren Ziele und die ihnen zur Erreichung ihrer Ziele zur Verfügung stehenden Mittel sowie die Interaktionsbeziehungen, die zwischen den Akteuren bestehen, fokusiert. Als Untersuchungsgegenstand kann in diesem Sinn außenpolitisches Entscheiden und Handeln in den internationalen Beziehungen genannt werden. 5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der Internationalen Beziehungen Außenpolitisches Entscheiden und Handeln ist zunächst als Außenpolitik erfaßbar. Die Umsetzung außenpolitischer Aktion eines Akteurs erfolgt jedoch im Zusammenwirken mit anderen internationalen Akteuren und wird so zu einem interaktiven Element im internationalen Kontext. Der Untersuchungsgegenstand soll daher im folgenden Abschnitt näher bestimmt werden. Außenpolitisches Entscheiden und Handeln als Objektbestimmung fokusiert auf das Handeln von autorisierten internationalen Akteuren (einzelne oder ein Kollektiv)100, die im Verlauf bestehender Interaktionen aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen und in Einschätzung ihrer Interessen eine Situation definieren und darauf gestützt eine Entscheidung zugunsten spezifischer Handlungsmöglichkeiten treffen. Beziehungen ist bezogen als Auf den Bereich der internationalen outcome folglich ein Komplex von Entscheidungen und Handlungen von mehreren kooperierenden und/oder 99 Dies ist ein Strang der neo-institutionalitischen Konzeption, auf die weiter unten eingegangen wird. 100 Die Akteursebenen erfassen dabei neben der gewählten Perspektive, auch die Umfelder bzw. Umwelten dieser. 121 konfligierenden internationalen Akteuren zu verstehen, die im Rahmen ihres Entscheidungsprozesses zudem von vielschichtigen Aspekten gesell- schaftlicher und internationaler Realität determiniert werden und diese auch determinieren (vgl. HAFTENDORN, in Rittberger 1990:404). Im Rahmen der Untersuchung außenpolitischer Entscheidungsprozesse und außenpolitischem Handelns im Bereich der internationalen Beziehungen geht es somit, vor dem Hintergrund ihres Erkenntnisinteresses, das sich insbesondere mit der Erforschung von Frieden als Prozeßmuster, d.h. der Verhinderung gewaltsamer und der Förderung friedlicher Behandlung internationaler Konflikte beschäftigt, im wesentlichen um die Analyse, was und wie entschieden wird und welche Begründung der getroffenen Entscheidung zugeordnet werden kann. Damit sind nach HAFTENDORN (1990) verschiedene Reichweiten der Untersuchung außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse angesprochen, bei denen es sich um a) die deskriptive Dimension, die die ideographische oder komparative Darstellung von Entscheidungsprozessen umfaßt, b) die analytische Dimension, bei der es sich im wesentlichen um die Erklärung von beobachtbarem Verhalten von Akteuren und den durch dieses Verhalten ausgelösten Rückkopplungsprozessen handelt und c) die nomothetische Dimension, die den Bereich einer möglichen Verallgemeinerung von Erkenntnissen über den Untersuchungsgegenstand behandelt.101 Da die in dieser Arbeit dargestellten Erklärungsansätze die Auffassung teilen, daß Handeln motiviert ist, d.h. das ein „Um-zu-Motiv“ besteht, das den individuellen Subjekten zugerechnet wird, kann für den teleologischen Aussagenbereich angegeben werden, daß der Begriff des zweckrationalen Handelns individuelle Interessen in einem begrenzte Handlungsspielraum hinsichtlich der Wahl von Mitteln zur Zielerreichung erfaßt. Zweckrationale Orientierungen können dabei sowohl im Rahmen ermächtigter Entscheidungsbefugnisse in repräsentativen Rollen als auch als situations- 101 Auf die normative Orientierung von Entscheidungen soll nicht eingegangen werden (vgl. HAFTENDORN in Rittberger 1990: 402). 122 strategisches, nutzenmaximierendes Verhalten der an wichtigen Ent- scheidungsprozessen beteiligten Individuen erfaßt werden. 102 Bevor in die Erörterung der Ansatzmöglichkeiten der unterschiedlichen Konzeptionen eingeleitet wird, soll jedoch in einer kurzen Zusammenfassung auf wesentliche Theorieentscheidungen in den Modellen verwiesen werden. Von Interesse ist hierbei zu verdeutlichen, welche grundlegenden Annahmen hinsichtlich der Erklärung sozialer Phänomene identifiziert werden können. 5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie In diesem Abschnitt werden wesentliche Elemente der Theoriebildung sowie die Darstellung der unterschiedlichen Theorieentscheidungen im systemtheoretischen Ansatz Talcott PARSONS‘ und in der Rational Choice-Theorie herausgearbeitet. Insbesondere wird auf die Interessenbildung sozialer Akteure, die Auslegung des Begriffs der Rationalität und die Entwicklung der Nutzenorientierung von Akteuren, sowie die Unterscheidung von Mikro- und Makroebene, die den Aspekt der Aggregation individueller Verhaltensweisen thematisiert, eingegangen. Talcott PARSONS theoretisches Konstrukt findet in The Structure of Social Action (1937) den Ausgangspunkt in der Annahme einer Handlungssituation, die starke biologische und ökonomische Determinanten aufweist. Über den biologischen Aspekt werden die für den Handelnden nicht direkt verwendbaren Bedingungen des Handlungsgeschehens markiert, der ökonomische Aspekt verweist auf die Handlungswahl (vgl. STICHWEH 1995:395). Der Handelnde tritt als Beobachter in Erscheinung, der hinsichtlich seiner Zielerreichung die angemessenen Mittel auswählt (Theorie der Rationalität). Da PARSONS jedoch über die ökonomisch-biologische Auffassung des Handelns keine Systemhaftigkeit derselben erfassen kann, verlagert er die rationale Wahl der Mittel in einen Bereich des Handlungsgeschehens, der seinerseits in einen normativ geprägten Selektionsmechanismus eingefügt wird. Diese Hierarchi-sierung ermöglicht sodann die Darstellung von Handeln als System, wobei die 102 Hierbei verweist DÖBERT (1973) auf den Sachverhalt, daß das wissenschaftstheoretische Problem der Teleologie als Problem der Spezifizierung von Übersetzungsregeln erscheint, die es ermöglichen den teleologischen Wendungen nicht-teleologische zuzuordnen. 123 systematische Ordnung durch Normen und die biologischen Bestimmungsfaktoren die Umwelt des Handelns ausmachen. PARSONS gelingt damit die Eigenwirklichkeit der Gesellschaft gegenüber biologischen und ökologischen Handlungsdeterminanten in die theoretische Konzeption einzubringen. Durch die Gegenüberstellung von rationalen Kalkülen und nicht-rationalen Bestimmungsgrößen des Handelns (in Form von gesellschaftlichen Normen) tritt der Aspekt der Anstrengung - effort - hinzu, wobei dem Handelnden unterstellt wird, daß er versucht, gesellschaftlichen Anforderungen in der Wirklichkeit des Handelns Geltung zu verschaffen. Die kollektive Eigenrealität der Gesellschaft als System von Normen und Werten und die Anstrengung des einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte begründen die voluntaristische Handlungstheorie in PARSONS’ Konzeption. Die Frage nach der Entstehung der Interessenbildung sozialer Akteure wird somit im Rahmen einer sozial-konstruktivistischen Perspektive beantwortet. Die voluntaritische Komponente sozialer Handlung wird im Rational ChoiceAnsatz hingegen in der Weise erfaßt, daß entweder die Erklärung eines kollektiven Handlungsresultats ohne die Annahme institutionalisierter Normen erfolgen kann, z.B. durch das COASE-Theorem oder das gezeigt wird, daß eine Rational Choice-Theorie die Entstehung von Normen und Werten, sowie Institutionen allein auf der Grundlage ihrer Basisannahmen (Selbstinteresse, Nutzenmaximierung, Tausch von benötigten Gütern gegen kontrollierte Ressourcennutzung) zu erklären im Stande ist. Rationalität wird von PARSONS in The Professions and Social Structure (1939) dann in der Form definiert, daß sie keine Begleiterscheinung von Handeln und somit eine konstante Größe darstellt, sondern von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt ist. Rationalität wechselt damit auf die Seite äußerer Bestimmungsfaktoren sozialen Handelns und kann PARSONS den Übergang zur Systemtheorie vollziehen. Alle Bedingungen des Handelns expliziert er im action frame of reference. „Alles andere - Biologie, Physik und die später eingeführte telische Sinnschicht [...] - sind Umwelten des Handelns, so daß System/Umwelt als eine universalistische Leitunterscheidung die Unterscheidung Akteur/Situation verdrängt.“(STICHWEH 1995:397) 124 Durch die Einführung der pattern variables ist schließlich die Grundlage der Interpretation von Handlungswahlen festgelegt und Handeln als Unterscheidungsgebrauch bestimmt. An dieser Stelle ist ein grundlegender Unterschied zwischen Systemtheorie und Rational Choice-Theorie identifizierbar: Die für die Rational Choice-Theorie wichtige Alternative von Selbstinteresse vs. Kollektivinteresse wird in der Systemtheorie als eine handlungsleitende Unterscheidung im Sinn einer sozialen Vorgabe des Handelns erfaßt. Selbstinteresse ist im struktur-funktionalen Ansatz folglich keine Prämisse mehr. Hinsichtlich der Definition des Rationalitätsbegriffs kann für die Differenzierung zwischen Systemtheorie und Rational Choice daraus abgeleitet werden, daß sich Rationalität in der Systemtheorie als institutionalisierte Wertorientierung äußert, wobei die institutionalisierte Erwartung an Rationalität zu paradoxen Situationen führen kann (vgl. STICHWEH 1995:399). Im Rational ChoiceAnsatz wird hingegen der Rationalitätsbegriff erweitert, indem anhand von Suchmechanismen in Bezug auf Entscheidungsoptionen auch irrationale Handlungen verständlich werden (bounded rationality). Vom Rationalitätsbegriff abgeleitet kann dann hinsichtlich der Nutzenorientierung von sozialen Akteuren im Rational Choice angegeben werden, daß Rationalität als subjektive Komponente der Handlungs- entscheidung erfaßt wird, wobei Nutzen auch als Synonym für Interesse steht. Interessen beziehen sich darüber hinaus auf die Kontrolle von Ressourcen. Die Thematik der Interessen wird besonders bei COLEMAN (1990) erörtert. Er geht von einem „allgemeinen Paradigma rationalen Handelns“ aus, wobei Nutzenmaximierung bei externen constraints thematisiert wird. „It is possible to formulate the principal’s problem as a special case of the general paradigm of rational action, that is, as the problem of maximizing utility (or interests, the term I use here) subject to certain constraints.“(COLEMAN 1990:152) Nutzen kann folglich operationalisiert werden, indem der Begriff der Interessen eingeführt wird und in Bezug auf Ressourcen und Ereignisse gesetzt wird. Für beide gilt dabei, daß Akteure die Kontrolle haben oder Interesse an der Kontrolle über Ressourcen haben. Bei unterschiedlichen Begierdeobjekten muß 125 sich der Akteur dann allerdings auf Transaktion, d.h. Tausch, einlassen (vgl. COLEMAN 1990:32). Dies kann als Grundaussage der Rational ChoiceTheorie verstanden werden (vgl. Kap.5). COLEMAN erweitert den Bezugspunkt der Analyse um den Modus der Ereignisse, da auch der Tausch von immateriellen Ressourcen, wie z.B. Drohungen, Voraussagen hinsichtlich eintretender Ereignisse bedingt. Auf diese Weise wird es über die Einführung der Austauschtheorie möglich, im Zusammenhang mit der Thematisierung von sozialen Interaktionsprozessen in komplexen Sozialsystemen, Rechte gegenüber Kontrolle von Handlungen als Tausch zu thematisieren (vgl. COLEMAN 1990:91ff.). Hier wird der Begriff des Vertrauens näher bestimmt, indem einem anderen Akteur unter der Voraussetzung, daß dieser im Interesse des Akteurs handeln wird, die Wahl oder Kontrolle überlassen wird (z.B. im Rahmen eines politischen Mandats). Gegenüber bisheriger austauschtheoretischer Überlegungen, die den Fokus auf den flow of benefits in Prozessen sozialer Interaktion richten, während der Informationsfluß durch symbolischen Interaktionismus dargestellt werden103, bedeutet dies ein Erweiterung. COLEMAN erweitert die Austauschtheorie, indem die Kontrolle über Handlungen eingeführt wird. Dies ermöglicht Analysen, die in der Systemtheorie, im Rahmen von Tauschmedien durchgeführt werden. Die wichtige Unterscheidung von Mikro- und Makroebene wird von COLEMAN in das Zentrum der theoretischen Arbeit gerückt. Er beschreibt Verhaltensinterdependenzen am Transitionspunkt, als sekundäre Möglichkeit der Erfassung, da er Transition selbst nicht erfassen kann. Auf der Systemebene versucht COLEMAN dabei die Interdependenz zwischen Bewußtseinssystemen und Strukturumbrüchen zu fassen. In der Systemtheorie wird dieser Sachverhalt in operational geschlossenen Systemtypen analysiert. Rational Choice-Theorien ermöglichen hingegen die Ableitung dieses Zusammenhangs. Mikroereignisse können allerdings nicht zu Makrogeschehen 103 PARSONS’ kybernetische Hierarchie: Energie – Information 126 aggregiert werden, da hier ein zu behandelndes Transitionsproblem zur Bearbeitung ansteht (vgl. COLEMAN 1987:153ff.).104 Die unterschiedlichen Analysemöglichkeiten werden in den folgenden Abschnitten im Rahmen systemtheoretischer und struktur-individualistischer Ansätze dargestellt. 5.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der Systemkonzepte der Allgemeinen Systemtheorie und des Strukturfunktionalismus Ein überwiegend akzeptiertes Systemmodell erschien in den 50er Jahren als vielversprechende theoretische Perspektive bei der Analyse der internationalen Beziehungen, denn anhand der Systemkonstruktion, die das Funktionieren einer Gesamtheit aufgrund der Interdependenzen seiner Teile ableitet (vgl. RAPOPORT 1989:79ff.), sollten die Elemente und ihre Funktionsweisen im internationalen Systems erfaßbar gemacht und somit Stabilitätsbedingungen und konforme Verhaltensweisen ermittelbar gemacht werden. Dem politischen (Sub-) System kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu, wobei systemtheoretische Modelle bzw. strukturbezogene Ansätze den Untersuchungsgegenstand des außenpolitischen Entscheidens und Handelns als von bestehenden Strukturen des internationalen Systems abhängige gesellschaftlich-soziale Phänomene erfassen. Das Umfeld als Erklärungsvariable tritt folglich ins Zentrum der Analyse.105 Die theoretischen und empirischen Prämissen der unterschiedlichen Systemansätze sowie die Operationalisierung des Systembegriffs werden in den folgenden Abschnitten erörtert. Im Bereich der internationalen Beziehungen gehen die systemtheoretischen Ansätze insbesondere auf das Konzept der Allgemeinen Systemtheorie106 zurück, die darauf abzielt, eine Theorie aller Systeme zu entwickeln, und dabei das internationale System als einen Spezialfall behandelt. Das Interesse an 104 Außenpolitischer treffen keine Entscheidungen über die Zukunft des inter-nationalen Systems, sondern über Zölle usw. Mikroentscheidungen werden aber durch Aspekte des internationalen Systems determiniert. 105 Auf diese Weise werden in den unterschiedlichen systemtheoretischen Modellen der Staat, das politische Subsystem eines Staates oder organisatorische Zusammenschlüsse als eigentliche Akteure erfaßt. 106 Die Entwicklung der Systemtheorie in den Internationalen Beziehungen war in einer ersten Phase behavioristisch beeinflußt und mit Ziel der Integration aller sozialwissenschaftlichen Forschung gekoppelt. Die zweite Phase ist jedoch durch eine Schwerpunktverlagerung in Richtung analytisch-empirische Forschung, d.h. die vergleichende Analyse von Datenmengen und deren maschinelle Verarbeitung, gekennzeichnet (vgl. SIMONIS 1973:62f.). 127 Stabilität und Veränderungen des internationalen Systems, Akteurs- identifikation, Prozeßanalysen, der Methodik der Systematisierung von Forschungsergebnissen und der Ableitung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten stehen dabei im Vordergrund. Durch die Integration von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften in einer allgemeinen Theorie isomorpher Strukturen, d.h. mathematischer Systeme, wird die Erklärung von Phänomenen angestrebt, die, als Einheiten aufgefaßt, eine organisierte Komplexität aufweisen, sich von ihrer Umwelt unterscheiden und die je nach Untersuchungsperspektive mit bestimmten Variablen belegt werden können und sich somit empirisch nachweisen lassen. Demzufolge kann im Rahmen dieses theoretischen Konzepts von der Multifunktionalität ihrer konkreten „Vorbilder“ ausgegangen werden. Aspekte biologischer Systemtheorie und die Untersuchung von Systemverhalten bekannter, technisch realisierbarer Strukturen aus dem Bereich der Kybernetik stehen dabei in der Übertragung auf den Bereich der Internationalen Beziehungen im Vordergrund.107 Neben den unterschiedlich ausgearbeiteten Systemvorstellungen in beiden Konzeptionen, unterliegt zunächst, gewissermaßen als Erkenntnis- vorbedingung, die generelle Annahme des Bestehens eines internationalen Systems. Die begriffliche Systematik fokusiert dabei vorab auf den Aspekt der wechselseitigen Wirkungszusammenhänge in einem globalen Gefüge.108 Im wesentlichen sind dabei regionale und funktionale Subsysteme von Interesse. Als regionale Zusammenschlüsse können zwischenstaatliche und transnationale Beziehungsgefüge bezeichnet werden, indessen zwischenstaatliche gegenüber transnationalen keine Zweckbestimmung unterstellen. Als ein weiteres Strukturelement des internationalen Systems kann die unterschiedliche Ordnung in den jeweiligen Teilsystemen genannt werden. Hier 107 Beispielsweise die mathematische Variante im Rahmen der Spieltheorie, die Betonung biologischer Komponenten, z.B. bei D. SINGER oder das kybernetische Modell K. DEUTSCHs oder M. KAPLANs. 108 Das internationale System kann in diesem Sinn seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes, als ein multipolares Ordnungsgefüge aufgefaßt werden, das durch vielfältige Ordnungselemente darstellbar ist. 128 weisen Beziehungsstrukturen, z.B. hierarchische, mögliche Erklärungs- perspektiven auf. In bezug auf die Annahme des Bestehens eines internationalen Systems wird im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie, die von der Isomorphie von Systemen ausgeht und einen allgemeinen Systembegriff herleitet, das Konzept eines offenen stabilen Systems unterlegt, das gegenüber seiner Umwelt Regelmechanismen ausbildet, um sich auf diese Weise an veränderte Umweltbedingungen anpassen zu können (vgl. CHURCHMANN in Händle/Jensen 1974:105). In der Anwendung dieses Konzepts entwickelt EASTON (1979)109 sein Erklärungsmodell zur Beantwortung der Frage: „How do any and all political systems manage to persist in a world of both stability and change?“(EASTON 1979:17) Dabei wird die theoretische Annahme unterlegt, daß hinsichtlich des politischen Bereichs von einem Handlungssystem ausgegangen werden kann, das in seine Umwelt eingebettet, deren Einflüssen ausgesetzt ist und auf diese wiederum reagiert. Umwelteinflüsse werden folglich nicht als Störfaktoren angesehen, sondern als Interaktionsmuster in die theoretische Konzeption aufgenommen. Auf diese Weise kann das politische Gefüge als ein offenes und adaptives System definiert werden (vgl. EASTON 1979:17f.). Der Nachweis der elementaren Funktionen „without no system could endure - together with the typical modes of response through which systems manage to sustain them“(EASTON 1979:17) ist für EASTON das zentrale Problem politischer Theorie. Vor diesem Problemhorizont entfaltet er die Möglichkeiten der Perzeption „that political interactions in a society constitute a system of behavior“(EASTON 1979:18), das mit verschiedenen Umfeldern, die physikalischer, biologischer, sozialer und psychologischer Natur sind, umgeben ist, deren Identifikation notwendig macht 109 Das Modell EASTONs wird unter Berücksichtigung des Sachverhalts, wonach sowohl die Allgemeine als auch die kybernetische Systemtheorie allgemeine strukturelle Beziehungen und Funktionen behandeln, als Beispiel für einen Ansatz aus dem Bereich der Allgemeinen Systemtheorie herangezogen. 129 (vgl. EASTON 1979:18) und somit die Prämisse zugrunde legt, daß das politische System als ein offenes gesehen werden muß. Die Einflüsse der Umfelder „shape the conditions under which the members of the system must act.“ (EASTON 1979:18) EASTON verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß der Systembestand anhand der internen Wahrnehmung der Fähigkeit des respond und der damit verknüpften Adaptionsmöglichkeit des Systems an äußere Bedingungen hergeleitet wird. Dies ermöglicht die Annahme einer internationalen Gesellschaft in der Weise, daß „soziale Einheiten als informationsverarbeitende Netzwerke untersucht werden, die gegenüber der Umwelt zielgerichtetes Verhalten zeigen...“ (SIMONIS 1973:68). Damit ist auch auf den Aspekt der Autonomie von Systemen hinsichtlich ihrer Selbstregelung verwiesen, denn „So könnte man sich politische Parteien und Interessengruppen als Organisationen vorstellen, die begrenzt fähig sind, sich selbst zu steuern.“ (PAWELKA 1973:37) Daraus abgeleitet werden können auch die Beziehungen (als Strukturgegebenheiten) und die Interaktionen (als Prozesse) zwischen den sozialen Einheiten und sind so z.B. als Konfliktsysteme analysierbar. Diese Perspektive verneint damit einen Gleichgewichtsansatz, der die Variabilität von Systemen vernachlässigt und kurzerhand alle sozialen Veränderungen lediglich unter dem Aspekt der Erreichung eines weiteren Equilibriums subsumiert. Auf den Bereich der internationalen Beziehungen bezogen kann anhand des EASTONschen Ansatzes damit teilweise die anarchische Struktur des globalen Beziehungsgefüges zumindest insoweit erfaßt werden, daß Prozesse innerhalb des Systems nicht als „gegeben-systemerhaltend“ angenommen werden können, d.h. daß 130 „at times members in a system may wish to take positive actions to destroy a previous equilibrium or even to achieve new point of continuing disequilibrium.“ (EASTON 1979:20) In der Entwicklung eines daraus abgeleiteten Anforderungsprofils an das System thematisiert EASTON, daß „Wants do not appear on the political scene as demands in some mysterious or inexplicable way. Members of the system must do the converting.“ (EASTON 1979:85) Damit verweist er auf die Notwendigkeit der Formulierung eines Bezugspunkts der Analyse, die er in Form von einzelnen Akteuren oder Gruppen in das Modell einfügt und so dem Vorwurf der Vernachlässigung des Sachverhalts entgeht, daß „the input of demands is the product of identifiable, observable behavior on the part of a person or a group.“ (EASTON 1979:85) Das System muß demgegenüber strukturelle Regulatoren entwickeln, die die Allokation von Werten für Gesellschaften ermöglichen und die Mitglieder eines Systems auf die Anerkennung und Durchsetzung dieser Werte zu verpflichten im Stande sind (vgl. EASTON 1979:86ff.). EASTON faßt dies unter dem Begriff des support als Inputfaktor eines Systems (vgl. EASTON 1979:153f.). Zusammengefaßt kann der Input folglich als Anforderungskomplex, bestehend aus demands und support aus den Umfeldern und der Umwelt definiert werden. „Thus, in speaking of the input of support, we are able to bring the extremly varied external conditions to a focus on a single question: what influences have they upon fluctuations in support? Support becomes the major summary variable linking a system to its environment.“(EASTON 1979:156) Das System hat schlußfolgernd so lang Bestand, wie es in der Lage ist, eine Balance zwischen Anforderungen und Unterstützung zu ermöglichen, d.h. einen quid pro quo-Status zu erhalten. Dies geschieht nach EASTON im Rahmen von respons (vgl. EASTON 1979:275), die er als „outputs, coercion and stimulation of good will“ (EASTON 1979:275) angibt und weiter formuliert, daß 131 „These are three interrelated but at least analytically separable, complex sets of responses the outcomes of which tend to strengthen the diffuse emotional attachment toward political objects.“ (EASTON 1979:277) Der Zusammenhang von demands und support, die Aussagen hinsichtlich der Verarbeitungsfähigkeit des Systems machen, wird im Output in der Weise erfaßt, daß dieser als Verhaltensergebnis der politischen Entscheidungsträger erklärbar wird. Der beschriebene Vorgang wird in Form eines Input-OutputModells in den theoretischen Ansatz aufgenommen. Zusammenfassend kann hinsichtlich des theoretischen Konstrukts David EASTONs angegeben werden, daß er die beiden Hauptströmungen der Systemtheorie (Allgemeine und struktur-funktionale) miteinander verknüpft und damit sowohl die Untersuchung auf Einheiten organisierter Komplexität bezieht, d.h. keine analytische Zergliederung der Akteure vornimmt, gleichzeitig jedoch auch ein Teilsystem – hier das politische (Sub-) System – eines Gesellschaftssystems als Analyseebene wählt. Dabei unterlegt er die Systemvorstellung eines offenen, stabilen Systems, das über bestimmte Fähigkeiten verfügt, sich verändernden Umfeld- bzw. Umweltbedingungen anzupassen, um so die empirisch nachweisbaren ungeordneten Bedingungen auf weltpolitischer Ebene im Sinn von Interaktionsmustern erfassen zu können. Das politische System wird hierbei in der Reformulierung im Sinn einer autoritativen Allokationskompetenz definiert. Im Rahmen des struktur-funktionalistischen Ansatzes wird explizit „auf den human-gesellschaftlichen Bereich“ (BUSSE-STEFFENS 1973:20), fokusiert, wobei von Talcott PARSONS der Versuch unternommen wird, die Sozialwissenschaften durch eine allgemeine Theorie des Handelns in einem analytischen System zusammenzufassen (vgl. SIMONIS 1973:65). Der Strukturfunktionalismus beansprucht dabei „Gültigkeit für alle sozialen Systeme von der Mikro- bis zur Makroebene, also auch für das internationale System...“ (SIMONIS in Nohlen 1993:519) 132 Ausgangspunkt ist die Annahme sozialer Ordnung und die Frage nach den Bedingungen ihres Erhalts. Dabei wird auf einen Systembegriff zurückgegriffen, der ein integriertes, d.h. geschlossenes, System thematisiert. PARSONS entwickelt dabei als Basishypothese das Vier-Funktionen-Schema und verknüpft die systemische Ebene mit einer Motivationstheorie, die Handeln als durch Motive verursachte Kräfte auffaßt, welche in Ableitung PARSONS‘ mechanistischer Systemvorstellung auf das System einwirken. An seine Ausgangsfrage anknüpfend wird Motivation als systemkonforme Handlungsdeterminante hergeleitet (vgl. SCHÜTTE 1971:39). Konstitutiv wird damit die Entwicklung eines Rollengeflechts, das die Einheiten des Systems durch Rollen bestimmt und so eine dezidierte analytisch-funktionale Aufspaltung der Rollenträger unterlegt (vgl. SIMONIS 1973:67). Die Differenzierung der sozialen Einheiten wird nach Funktionen festlegt, wobei die Relationen zwischen den analytischen Subsysteme definiert werden müssen und Funktionalität über diesen Aspekt hergeleitet wird. Paradigmatischer Ausgangspunkt ist schließlich ein Handlungssystem, das in seiner Aufspaltung in Subsysteme und deren Funktionsleistungen 1) u.a. die Thematisierung des politischen Subsystems, als Teil eines Gesellschaftssystems, ermöglicht und diesem die Funktion der Wertallokation und bindenden Durchsetzung von Werten zuschreibt und 2) den Funktionsbegriff entweder in bezug auf die System-Umwelt- oder Systemteile-Systemganzes-Beziehung herleitet. SIMONIS erläutert diesen Sachverhalt folgendermaßen „Einmal ist ein soziales System von seiner Umwelt nur unterscheidbar, weil es in dieser eine bestimmte Funktion erfüllt und zur Erfüllung der Funktion ein Mindestmaß an Komplexität (requisite variety) Voraussetzung ist. Zum anderen müssen in einem sozialen System bestimmte funktionale Leistungen erbracht werden (functional requisites), damit das System erhalten bleibt und nicht in seine Umwelt diffundiert.“ (SIMONIS 1973:66). Der Funktionsbegriff ist somit an den Aspekt der Komplexität gebunden, wobei explizit ein integrierter Zustand zu erhalten ist. Das struktur-funktionale Systemmodell beruht dann auch bezüglich der Übertragung des Ansatzes auf die internationalen Beziehungen auf der Überlegung, das internationale Beziehungsgeflecht und die sozialen Einheiten 133 als eine internationale Gesellschaft mit verschiedenen Subsystemen erfassen zu können.110 In Social Theory and Modern Society (1967) geht PARSONS im 14. Kapitel – Polarization of the World and International Order – näher auf die Übertragung seines Ansatzes auf den Bereich der internationalen Beziehungen ein, indem er die Zusammenhänge „from a particular process in our own society to the problem of the nature of the processes of integration which appear to be going on in the world as a whole“ (PARSONS 1967:466) herstellt und die Möglichkeit der Etablierung einer solid basis of international order thematisiert, die er unter dem Begriff der „modernization“ (vgl. PARSONS 1979:466) zusammenfaßt. Wesentlich ist ihm dabei, daß „underneath the ideological conflicts that have been so prominent, there has been emerging an important element of very broad consensus at the level of values“ (PARSONS 1979:466), die PARSONS als spezifischen Integrationsmechanismus darstellt. Die Überlegungen zur Thematik internationaler Ordnung sind vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges und den damit überdeckten Spannungen zwischen den Weltmächten USA und UdSSR zu sehen. Er fokusiert damit auf ein internationales System, das er in seiner Bipolarität als „The greatest and most immediate danger to world peace“ (PARSONS 1967:467) betrachtet. Die Entwicklung von Interdependenzen auf internationaler Ebene erschwert dabei die Isolierung eines Subsystems, das - ist es nicht von untergeordneter Wichtigkeit - aufgrund der bestehenden Bedingungen strenge Kontrollmechanismen hinsichtlich der analytisch notwendigen Begrenzungen zu seinem Umfeld aufweisen muß (vgl. PARSONS 1967:467). Dies leitet er über den Aspekt her, daß innerhalb der Strukturen des internationalen Systems laufende Prozesse Zusammenhang 110 angenommen aufweisen und das werden, System die einen funktionalen in diverse Subsysteme Das theoretische Konzept Talcott PARSONS’ ist für die Analyse internationaler Beziehungen 134 untergliedert, wobei den einzelnen Subsystemen bestimmte Funktionserfordernisse hinsichtlich der Erhaltung des internationalen Systems unterstellt werden. Die Beziehungen zwischen diesen Subsystemen sind von gegenseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet und wirken ebenfalls wechselseitig auf einander ein. „Die so bestimmten und bestimmbaren Relationen sind sowohl für die Beschreibung des Systems als auch für die Konstruktion von Ordnungs- und Bezugsrahmen von entscheidender Bedeutung.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:32) Auf diese Weise können z.B. internationale politische Organisationen oder wirtschaftliche Zusammenschlüsse erfaßt werden. In der Übertragung des geschlossenen Systemkonzepts - das für den Bereich des nationalen politischen Systems Politik als funktionalen „Teilbereich des arbeitsteiligen Gesellschaftssystems und gesell-schaftliche Existenzbedingung durch die verhaltenssteuernde Wirkung seiner Entscheidungs- und Leistungsfunktion“ (BUSSE-STEFFENS 1980:33) erfaßt - auf den Bereich der internationalen Beziehungen, kommt einem internationalen politischen System besondere Bedeutung zu, da sich hier soziales Handeln in politischem Kontext zeigt. Fokusiert wird dabei auf die Bildung und Durchsetzung verbindlicher Regelungen, die notwendig sind, um die gesellschaftliche Koordination aller gesellschaftlichen Subsysteme zu erreichen. In diesem Zusammenhang geht es um die Erkennung bzw. Formulierung von Motivations- und Wertorientierungsmustern, die nicht nur Bestandteil von Handlungen sind, sondern Untersuchungsgegenstand. PARSONS entwickelt sein Konzept einer internationalen Ordnung durch die Hinwendung auf den Begriff der Modernisierung und die ihr unterlegten Zielsetzungen durch die Staaten der westlichen Welt: „industrialization, economic development, political autonomy, and the like“ (PARSONS 1967:468), independence and nur ansatzweise entwickelt worden und kann demzufolge nur aspekthaft dargestellt werden. 135 die er als Konzept der Industrialisierung und damit auch als universell anerkannte Einflußnahme bezeichnet (vgl. PARSONS 1979:468). Vom Standpunkt der Wertbetrachtung leitet er dabei wirtschaftliche Produktivität als „the core of this pattern“ (PARSONS 1979:469) ab, die den Lebensstandard verbessert, Konsum auf einem höheren Niveau und soziale Sicherheiten, wie Gesundheitsfürsorge und Bildung, ermöglicht. Damit leitet PARSONS auf einen weiteren wesentlichen Bereich über: Die Thematik der Autonomie von Gesellschaften und Gruppen und die damit verknüpfte Frage nach Gleichheit (vgl. PARSONS 1967:469). „As might be expected, this has involved a general challenge to the superior status of traditional elites. On the one hand, this theme has an „internal“ frame of reference, in that it pertains to territorial societies; on the other, it pertains to a demand for equal status as societies, with its bearing on political independence.“ (PARSONS 1979:469) Dies bedingt nach PARSONS‘ Auffassung schließlich eine strukturelle Differenzierung (vgl. PARSONS 1967:471), die „in turn, presupposes a common normative framework, primarily on the level of values.“ (PARSONS 1967:471) Die Wertebetrachtung nutzt PARSONS als Grundlage von Fragestellungen hinsichtlich der Konfliktpotentiale auf internationaler Ebene. Nicht die kulturelle Relativität und ideologische Unterschiedlichkeit, sondern wirtschaftliche Produktivität und politische Macht sind die interessierenden Aspekte, denen er besondere Aufmerksamkeit widmet. PARSONS beschreibt davon ausgehend den Sachverhalt der Übernahme dieser Werte durch Gesellschaften, die diese nicht durch eine Tradition begründen können, sondern vielmehr in der Übernahme eine Art von Identifikation ausdrücken (vgl. PARSONS 1967:472). Dies bedeutet jedoch keine Begründung eines gemeinsamen Wert- verständnisses „Rather, it represents an instrumental consensus on the valuation of capacities, at various levels of the organization of the society, to undertake whatever activities may be deemed most important to the welfare of that society.“ (PARSONS 1967:472) 136 Darüber hinaus, so gibt PARSONS an, beinhaltet wirtschaftliche Produktivität und politische Integration die Möglichkeit der Festigung der normativen Ordnung gegenüber wirtschaftlicher Prädominanz in den unterschiedlichen Subsystemen des internationalen Systems. Dies, so gibt er an, ist: „the primary reason for the fact that present major conflicts are conceptualized in political terms, in spite of the ideological prominence of economic considerations“ (PARSONS 1967:472), wobei die Autonomiefrage einen zentralen Stellenwert in dieser Thematik einnimmt. PARSONS faßt dies im Sinn eines „Unterordnungsaspekts“ zusammen, was auf den Bereich der Wertallokationskompetenz hinführt (vgl. PARSONS 1967:472f.). In systematischen Zusammenhang gebracht, entwickelt PARSONS das Modell eines Systems, das folgende Merkmale aufweist: „The first of these comprises a set of minimum rules through which the implications of these values are defined in practice within the system. The second component is the structure of interests, which must be differenciated at appropriate levels. The third is an ideology in which the system of reference is defined as an empirical entity, rather than an ideology concerned merely with value patterns which define directions of desirability.“ (PARSONS 1967:474) Zusammengefaßt entwirft PARSONS in seinem Essay Polarization of the World and International Order (1967) ein System, das neben der Polarisierung insbesondere auf Wertorientierung basiert. Werte, so PARSONS, begründen Vorbedingungen internationaler Ordnung (vgl. PARSONS 1967:487), wobei er einräumt, daß sie „be spelled out in concrete terms. Moreover, it is particularly important that they be defined in terms of norms at a level of the procedures through which they can best be implemented.“ (PARSONS 1967:487) Ausgehend vom Aspekt der normativen Orientierung kann für PARSONS‘ Erklärungsansatz insgesamt gesehen angegeben werden, daß die Integration des internationalen Systems im Zentrum der Analyse steht. Dabei kann der Frage nachgegangen werden, wie das als soziales Makrosystem erfaßte internationale System die funktionalen Erfordernisse in spezifischen Subsystemen ausbildet. 137 Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß die deskriptive Dimensionen der Untersuchung außenpolitischen Entscheidens und Handelns vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses, das sich auf die Erforschung von Frieden im internationalen System bezieht, in systemtheoretischen Modellen in der Weise bearbeitet wird, daß der Untersuchungsgegenstand über die Bildung von Taxonomien von im Entscheidungsprozeß relevanten Faktoren zu erklären versucht wird. EASTON und PARSONS führen in diesem Rahmen eine Wertebetrachtung in ihre theoretischen Konzeptionen ein. Als Umfeldansätze sind systemtheoretische Konzeptionen bemüht, das Entscheidungs- und Handlungsverhalten von Akteuren - Rollenträgern oder konkreten Einheiten mit den sie umgebenden Bedingungen eines übergeordneten Gesellschaftssystems zu deuten. Wer jedoch im konkreten Fall als Entscheidungsträger betrachtet werden muß, wird unter Rückbezug auf das Umfeld als Erklärungsvariable nicht weiter ausgeführt. Da Individuen in makro- soziologischen Konzeptionen ohnehin nur als Teilaspekt eines umfassenderen Ganzen betrachtet werden, muß statt dessen über die Integrationsleistung des Gesamtsystems hinsichtlich divergierender Interessen eine Zielorientierung in Richtung Systemerhalt gedacht werden. Auf welche Weise Interessen kooperativ oder konfligierend entstehen wird aber nicht behandelt, sondern diese als Interaktionsmuster bzw. Störfaktoren in die Ansätze eingeführt und mit Hilfe systemimmanenter Regelungsmechanismen „verarbeitet“. Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsprozesse werden somit in der Kategorie „Staatshandeln“ erfaßt, wobei Anlaß und Ziele von staatlichem Handeln als selbstdefiniert angegeben werden. Die analytische Ebene, d.h. die Erklärung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen entwickelt sich somit im Rahmen systemimmanenter Betrachtung und wird weder bei EASTON noch bei PARSONS unter expliziter Nennung von Problemlösungsstrategien oder in Zusammenhang mit Rückkoppelungsprozessen im internationalen System behandelt, obwohl sich gerade die systemische Ebene für diese Analyseperspektive eignet. Für die nomothetische Dimension kann dabei angegeben werden, daß die vorgestellten Konzeptionen auf eine idealtypische Weise die Wertebetrachtung als Grundlage heranziehen und dementsprechend nur unzureichende Erklärungssätze für schematisch aufgezeigte Zusammen138 hänge liefern. Als zentrales Problem kann schlußfolgernd angegeben werden, daß der Zusammenhang und die wechselseitigen Wirkungen zwischen der Struktur und dem Akteur nicht ausreichend dargestellt werden. Zudem „werden die personellen, sozialen und institutionellen Attribute des Entscheidungsträgers vernachlässigt bzw. gehen im Rollenverhalten auf [...]." (HAFTENDORN in Rittberger 1990:417). Die Erörterung der Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der internationalen Beziehungen fokusiert somit insbesondere auf die Implikationen der in den theoretischen Konzepten zugrunde gelegten Prämissen. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine kritische Betrachtung der Problemlösungsvorschläge in gesellschaftlichen Zusammenhängen. 5.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der internationalen Beziehungen Die Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen lassen sich sowohl anhand methodologischer, als auch inhaltlicher Art aufzeigen. Die Differenzierung zwischen den Systemkonzepten allgemeiner und strukturfunktionaler Systemtheorie erfolgt dabei anhand der grundlegenden Variablen in beiden Ansätzen. Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Begriffe, mit denen sie interessierende Phänomene der Wirklichkeit zu beschreiben und zu erklären versucht. Die Vielfältigkeit der Aspekte auch in ausgewählten Teilbereichen realer Zusammenhänge ist jedoch so immens, daß wissenschaftliche Modelle sich dabei der Wirklichkeit nur annähern, diese jedoch nie exakt erfassen können. Wird aber Wissenschaft und Wirklichkeit gleichgesetzt, d.h. wird Wissenschaft für ungerechtfertigt wirklichkeitsnah gehalten, entsteht ein Reifikationsproblem. Je komplizierter das theoretische Erklärungsmodell ist, desto eher kann aufgrund der vermeintlichen Vollständigkeit desselben auch die Gefahr der Reifikation auftreten. Vor dem Hintergrund des Anspruchs systemtheoretischer Theoriebildung, wonach Theorie dazu dient „ein Sprachspiel (eine semantische Ordnung) zu entwerfen, welches die Definition universaler Probleme erlaubt“ (WILLKE 1993:9), 139 kann die Problematik der Reifikation insoweit deutlich gemacht werden, daß der Begriff Universalität die Erfassung unterschiedlichster Bereiche der Forschung anspricht, d.h. die interdisziplinäre Anschlußfähigkeit von Theorien, die die Entwicklung eines einheitlichen Begriffsapparates zur grundlegenden Komparatistik von Systemproblemen und Lösungsmöglichkeiten, einschließt. Die Behandlung von Problemen erfolgt dabei arbeitsteilig in den einzelnen Disziplinen, die Lösung muß jedoch in der Gesamtschau erbracht werden. Im Rahmen des systemtheoretischen Programms ist dies nicht erfolgt, womit die angestrebte Erklärungs- und Problemlösungsfähigkeit als relativ eingeschränkt zu betrachten ist. Der im Makroansatz der Konzeption enthaltene Allgemeinheitsanspruch, der sich auf den ausgewählten Geltungsbereich bezieht, kann somit nicht schlüssig erfüllt werden. Systemtheoretische Ansätze haben im Bereich der Makroanalysen zwar neue Überblicke hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge ermöglicht, allerdings aufgrund weitreichender Abstraktion aus dem historischen Kontext. Da der formale Charakter des systemtheoretischen Theoriegebäudes bedingt, daß erst durch Generalisierungen die systemische Betrachtung des ausgewählten Untersuchungsbereichs erfolgen kann, müssen aus einem Gesamtzusammenhang Teile hervorgehoben und in einen Merkmalszusammenhang gestellt werden. Dies ist insofern problematisch, da im Zusammenhang mit den zu erklärenden Aspekten die sie beeinflussenden Elemente nicht konstant sind - oder nur unter entsprechend weitreichenden Kriterien als konstant angenommen werden können. Im Rahmen der Bestimmung von Variablen kommt zudem erschwerend hinzu, daß deren Definition zum Teil durch Deskription ersetzt wird, wobei die Gefahr der Tautologie gegeben ist. Im Bereich der angestrebten Taxonomien bedingt dieser Sachverhalt, daß aus Hypothesen schnell Ist-Aussagen abgeleitet werden. Unter der Vorannahme der Allgemeinheit von Merkmalen, seien dies Verhaltensweisen oder Motivationen, die zwar offensichtlich sind, aber nicht wissenschaftlich bewiesen, bleiben die Variablen-Beziehungen in systemtheoretischen Ansätzen dabei oft unklar, d.h. ihr Zusammenhang und die sie bedingenden Konsequenzen lassen sich nicht überprüfen und Variablen 140 bleiben somit oft reine Merkmalssammlungen. Die Hypothesenbildung im Rahmen systemtheoretischer Ansätze gerät in diesem Zusammenhang leicht in Gefahr, die empirische Überprüfbarkeit nicht durch die Erfüllung bestimmter Kriterien untermauern zu können. Das Theoriegebäude ist insgesamt empirisch schwer zugänglich und nur bedingt umzusetzen.111 Die als deskriptive Theorie verstandene Konzeption ist im sozialwissenschaftlichen Bereich auf bestimmte gesellschaftliche Ebenen und bestimmte Arten von Problemen gerichtet. Das grundlegende Moment der Erfassung von Wirklichkeit ist die Rekonstruktion sozialer Phänomene als System. Die dabei notwendige Differenzierung zwischen Wirklichkeit und theoretischem Modell kann an folgendem Beispiel deutlich gemacht werden: Ein technisches System wird als funktionierend angesehen, wenn es die Resultate erbringt, die bei seiner Konstruktion zur Zielerreichung vorgegeben wurden, z.B. ein Raketenantrieb. Der Systembegriff ist dabei 1. für den ablaufenden Prozeß innerhalb des Raketenantriebs verwendbar und 2. für die Vorstellung, die ein Betrachter mit dem „Gebilde“ eines Raketenantriebs assoziiert. Soziale Gebilde, als Systeme aufgefaßt, sind jedoch nicht konstruiert, d.h. nach einem bestimmten Plan entworfen. In der theoretischen Rekonstruktion werden lediglich ausgewählte Objekte der sozialen Wirklichkeit als analytische Systeme - im Bereich der Sozialwissenschaften sind es beispielsweise Handlungssysteme - abgebildet. Dabei werden Variablen mit bestimmten Ausprägungen und Beziehungen untereinander angenommen, wobei durch die Bestimmung unterschiedlicher Ausprägungen von Variablen deren Werte variieren können, somit Veränderungen von Systemelementen beobachtbar werden und auf diese Weise die Annahme von Ablaufprozessen zulassen. 111 In diesem Sinn weisen Handlungssysteme bestimmte Bei MIEBACH (1984) findet sich die Ausführung dieser Problematik in besonders anschaulicher Form am Beispiel der strukturalistischen Handlungstheorie PARSONS’. An dieser Stelle soll allerdings aus Gründen der thematischen Begrenzung lediglich auf die unterschiedlichen Ebenen der Behandlung dieser Thematik verwiesen werden. MIEBACH leitet die Entwicklung des Erklärungsprogramms in der Weise her, daß er die Ebenen der Formalisierung von der Wissensstruktur über die theoretisch-logischen Elemente hin zu empirisch-referenziellen Komponenten gliedert und diese jeweils problemorientiert auf den Gehalt der zugrunde gelegten Grundhypothesen überprüft. Als Ergebnis findet sich die Bestätigung der Aussage, daß der Bezug zur empirisch-referentiellen Ebene in den Arbeiten PARSONS’ nebulös bleibt. 141 Regelmäßigkeiten auf, die als Teilaspekt der Wirklichkeit, d.h. der real ablaufenden Prozesse, im Rahmen von Systemmodellen erfaßbar sind. Hier liegt ein weiterer problematischer Aspekt systemtheoretischer Erklärungsmodelle, denn der der Systemtheorie allgemein anhaftende Vorwurf des Mangels der Prämissenreflexion verweist auf die Gefahr einer verborgenen Ontologie. Dies bedeutet in der Konkretisierung möglicherweise eine unreflektierte Akzeptanz sozialer Sachverhalte, die kritisch hinterfragt werden müßten. Im Rahmen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen von Vertretern der allgemeinen Systemtheorie wird zunächst der Untersuchungsbereich der internationalen Beziehungen in verschiedene Anwendungsbereiche aufgegliedert, wobei interdependente Aktionsebenen gekennzeichnet werden müssen, so z.B.: 1. das weltpolitische Interaktionssystem als Subsystem des internationalen Weltsystems, wobei Akteure als Einheiten bestimmbare Beziehungen zueinander haben. Das Systemverhalten an sich ist in diesem Bereich von Interesse. 2. regionale Subsysteme, die Zusammenschlüsse wie z.B. die NATO oder die Europäische Union, darstellen 3. nicht-regionale spezifische bi- oder multilaterale Beziehungsgeflechte, wie z.B. die UNO 4. 5. außenpolitische Interaktionsprozesse intranationale Prozesse, die Einfluß auf außenpolitische Entscheidungsund Handlungsvorgänge haben 6. transnationale Korporationen (vgl. BUSSE-STEFFENS 1980:127f). Auf den unterschiedlichen Aktionsebenen wird dann versucht, unterschiedliche Sachverhalte im internationalen System aufeinander zu beziehen und ihren Systemcharakter herauszustellen. Dabei müssen die grundlegenden Variablen beschrieben und ihre Beziehungen untereinander ermittelt werden. 142 „Für die Beziehungen werden Regeln aufgestellt, die in Bezug auf den Systemerhalt normativen Charakter haben. Unter diesen Bedingungen lassen sich systematische Wirkungszusammenhänge in technischen, ökonomischen und politischen Bereichen feststellen.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:132). Der Fokus der Erklärungsperspektive hinsichtlich interessierender Sachverhalte richtet sich dabei z.B. auf ein internationales politisches System, dem die Eigenschaft bzw. die Funktion der Wertzuweisung zugeschrieben wird. Als Vorannahme muß hier jedoch gelten, daß ein wesentliches Moment der Erfassung des Gesamtsystems das Fehlen einer zentralen Entscheidungsinstanz mit bindender Durchsetzungskraft von Regelungen ist. Entsprechend kann nur der Sachverhalt des politischen Handelns auf den Bereich der Erfassung der internationalen Beziehungen übertragen werden, was die Thematisierung einer gewissen Koordination von unterschiedlichen Interessen hervorruft. Die friedliche Regelung von Konflikten im internationalen Rahmen verläuft dabei vornehmlich über Verhandlungen. Der Bereich der internationalen Beziehungen kann auf diese Weise auch als Interaktionsfeld der Weltpolitik verstanden werden, wobei Bezug auf alle Bereiche globaler Beziehungen genommen transnationale wird, Interaktionen. d.h. internationale, Angestrebt wird so multinationale die Benennung und der unterschiedlichen Analyseebenen der internationalen Politik ebenso wie die der internationalen Beziehungen (vgl. BUSSE-STEFFENS 1973:29f.). Das Interaktionsfeld der Weltpolitik, im hier verstandenen Sinn, weist demzufolge bestimmte Akteure (Individuen, Staaten oder Gruppen) auf verschiedenen Aktionsebenen (z.B. regionale Subsysteme, multilaterale Beziehungsgefüge oder transnationale Aktionssysteme) auf, die interagierend ein System bilden. Dabei können sowohl Aktionen als auch die Reaktionen in ihrem systemischen Zusammenhang ins Blickfeld treten. Im Rahmen kybernetischer Systemvorstellungen aus dem Bereich der Allgemeinen Systemtheorie wird hierbei die Vorstellung eines input-output-Mechanismus auf den weltpolitischen Bereich übertragen, anhand dessen die Identifizierung der außenpolitischen Entscheidungs- und Handlungsprozesse ermöglicht werden soll. 143 Bei der Untersuchung von Problembereichen lassen sich dann die Grenzen der Anwendung insoweit lösungsstrategien erschließen, Problembereiche daß zunächst hinsichtlich einmal von dargestellt Problemwerden müssen. Die Untersuchung des internationalen Systems, als Interaktionsfeld betrachtet, fokusiert auf den individuellen Akteur als kleinster Einheit. Normativ begründete Interaktionen, als Handlungssequenzen verstanden, werden dabei in Form ihrer Problemlösungskapazität in bezug auf systemintegrierende Regelungsmechanismen in die Gesamtkonzeption aufgenommen. Politisches Handeln muß jedoch als zweck- und zielorientiert in die theoretische Konzeption einfließen. Der Grundbegriff des Interesses tritt dabei ins Zentrum der Erörterung. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie Wahrnehmung und Nützlichkeit, Macht, Kooperation und Konflikt definitionsbedürftig und können nicht im Rahmen einer „Systemrationalität“ erfaßt werden. Mit Hilfe systemtheoretischer Ansätze wird jedoch Konflikt in seinen diversen Ausprägungen als Systemzustand ermittelt und dabei als eine systeminterne Integrationsschwäche, die sich explizit auf das politische (Sub-)System bezieht, gedeutet. EASTONS Ansatz erfaßt in diesem Zusammenhang das politische System als einen grenzeinhaltenden Satz von Interaktionen, der in andere gesellschaftliche Systeme eingebettet und ihrem Einfluß ausgesetzt ist. Der außenpolitische Entscheidungsprozeß wird aber nicht näher thematisiert, sondern statt dessen im Rahmen des input-output-Modells über Anforderungen und Leistungen diskutiert. Es entfällt weiterhin die Verdeutlichung interdependenter Beziehungen zwischen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen, sowie die Erörterung internationaler Vernetzung. Die Verkürzungen des EASTONschen Ansatzes können anhand der Erweiterungen, die CZEMPIEL (1981) vornimmt, deutlich gemacht werden, wobei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden muß, daß auch CZEMPIELs struktur-funktionaler Ansatz in der Operationalisierbarkeit große Probleme aufweist und sich das gebrochene Gittermodell (vgl. CZEMPIEL (1981) nur schwer mit empirischen Daten füllen läßt. Mit der Einführung funktionaler Sachbereiche in die theoretische Konzeption versucht CZEMPIEL, die vielfältigen Aspekte außenpolitischer Entscheidungs144 und Handlungsprozesse umfassend zu thematisieren. Der Zusammenhang zwischen politischem System und Gesellschaft wird dabei in der Weise zu verdeutlichen versucht, daß vor dem Hintergrund des sich in Richtung Globalisierung verändernden Weltgefüges neben dem politischen Subsystem auch andere gesellschaftliche Gruppen Kompetenzen haben können – wenn auch nicht in rechtlicher Form. Darüber hinaus generiert das internationale System, welches die Umwelt des politischen Systems in Form eines Handlungszusammenhangs in den internationalen Beziehungen beschreibt, infolge der zunehmenden Interdependenz ebenfalls eine Verteilung von Werten – wiederum nur faktisch, nicht rechtlich autoritativ, da keine Rechtssprechungsinstanz mit Sanktionsgewalt vorhanden ist. Erörtert wird in CZEMPIELs theoretischem Ansatz somit vornehmlich die Gleichsetzung des Prozesses der Wertzuweisung, der Kontextverschiedenheit und der Problemlösungskapazität eines erweiterten Politikbegriffs. Die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik entfällt, da die Mittelauswahl bei der Wertzuweisung thematisiert wird und das politische System sowie bestimmte gesellschaftliche Gruppen innerhalb des Umfeld-/Umwelt-Zusammenhangs zugunsten der Wertallokation handeln, woraus sich die Entscheidung für adäquate Mittel zur Zielerreichung ergibt. Durch die Verknüpfung von Systemtheorie und Funktionalismus im Rahmen des Strukturfunktionalismus entwickelt sich die Perspektive der Differenzierung von Struktur und Funktion, die es erlaubt, Strukturwandel in Zusammenhang mit Funktionsveränderungen zu betrachten. Die damit verbundene Gleichsetzung eines Organismus und seiner funktionalen Bedürfnisse führt im Analogiebildungsprozeß zur Auffassung von Gesellschaft als Organismus und einer Verhaltensinterpretation im organizistischen Sinn, wobei das gesellschaftliche System nicht aus Personen, sondern aus Rollen besteht, denen bestimmte Funktionen unterstellt werden. Damit wird eine weitere Problemstellung in der Modellierung sozialer Sachverhalte angesprochen, die die Kritik am funktionalistischen Aspekt sozialwissenschaftlich gewendeter Systemtheorie ansetzen läßt. 145 Das Programm des Funktionalismus in der Politikwissenschaft gliedert sich in drei unterschiedliche Richtungen, die vom ekklektischen über den empirischen Funktionalismus hin zum struktur-funktionalen Ansatz reichen (vgl. BEYME 1980:104ff.). Der folgende Abschnitt beschäftigt sich dabei mit der Kritik sowohl des empirischen Funktionalismus als auch des Strukturfunktionalismus, da beide Richtungen in die Erklärungsansätze sozialwissenschaftlicher Systemtheorie eingegangen sind und in ihrer Verknüpfung nicht eindeutig differenziert werden.112 So behandelt der empirische Funktionalismus, wie ihn z.B. Robert MERTON vertrat, lediglich die Anpassung an ein gegebenes System nach latenten und manifesten Funktionen in der Form, daß letztgenannte von den Individuen nicht beabsichtigt oder erkannt werden und damit die Differenzierung zwischen Funktionen und Motiven möglich wird (vgl. BEYME 1980:105). Der struktur-funktionale Ansatz PARSONS’ strebt hingegen eine umfassende Erklärung institutionalisierten Verhaltens im Rahmen von sozialen Rollen an. Dabei wird der Ist-Zustand der Auswahl der soziologisch interessierenden Sachverhalte fokusiert und der als System begrifflich gefaßte, aus einer Gesamtheit herausgenommene Teilbereich systematisch analysiert. Nach der Benennung von vier grundlegenden Funktionen, deren Erfüllung für den Bestand des Systems notwendig ist, erfolgt die Identifizierung von vier Systemeigenschaften, anhand derer der Ausgangspunkt des Erklärungsansatzes überprüfbar gemacht werden soll. Eine allgemeine Theorie des Handelns, die die Interaktionen von Handelnden, die ein System bilden, beschreibt, wird zur Vervollständigung der Gesamtkonzeption unterlegt. Die Systemdefinition des struktur-funktionalen Ansatzes legt dabei als Variablen, mit deren Hilfe die Interaktionen und Beziehungen des Systems erfaßt werden sollen, analytische Einheiten, d.h. soziale Rollen, fest. Dies führt bei der Operationalisierung zu Problemen, die sowohl den Rollenbegriff113 an sich berühren, als auch die Vernachlässigung der raum-zeitlichen Kontextualisierung der Rolle und schließlich ebenfalls den Einfluß des Rollenträgers auf das spezifische Rollenverhalten vernachlässigen. In Zusammenhang mit der 112 Siehe z.B. SCHÜTTE (1971). 146 Organismus-Analogie, die das „Überleben“ als Bezugspunkt der funktionalen Analyse aufweist, kann die Problematik folgermaßen deutlich gemacht werden: PARSONS‘ theoretisches Konzept wird auf der Grundlage einer Sozialisationstheorie, in der Persönlichkeitsbildung als relativ einseitiger Prozeß der Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte durch das Individuum aufgefaßt wird, entwickelt. Das Individuum geht in diese Konzeption als nahezu passives Objekt des Sozialisierungsprozesses ein, wobei die Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen und aufgrund der individuellen Eigenschaft von „Plastizität“ Verhaltensweisen quasi individuelle veränderliche und implementiert. Vernachlässigt Komponente der wird Kognition, dabei die die keine unwesentliche Größe im Gesamtkomplex des als System rekonstruierten empirischen Zusammenhangs und der unterstellten Zielorientierung der Erhaltung des Gleichgewichtszustandes ausmacht. PARSONS leitet jedoch auf diese Weise theoretisch her, daß das Individuum immer das will, was die Gesellschaft erwartet. „The key question associated with this approach concerns whether the individual persons are socialized to conform to these expectations or whether the socialization system „misfires“ or fails in some way and deviant behavior occurs, in which case an ancillary set of mechanisms, usually categorized under the heading of „social control“, is called into play.“ (MÜNCH/SMELSER in Alexander/Giesen/Münch/Smelser 1987:380). Bedürfnisse werden dabei durch gesellschaftliche Werte definiert, d.h. Zielvorstellungen von Personen werden mit denen des Systems überlagert und so die Bedürfnisbefriedigung des einzelnen und die funktionalen Erfordernissen des Gesamtsystems gleichgesetzt. Die Beschreibung von Rollengeflechten ersetzt dabei die Untersuchung individuellen Verhaltens, wobei die Gruppe und der Überlebensaspekt des gesellschaftlichen Organismus identifiziert wird, ohne jedoch die Personenmenge zu betrachten (SCHÜTTE 1971:28). In der Konkretisierung bedeutet dies, daß einzelne soziale Erscheinungen nicht isoliert erfaßt, sondern in ihrer Beziehung zu einem umfassenden Ganzen untersucht werden. 113 Bei der Operationalisierung des Rollenbegriffs, d.h. Rollenerwartung, Rollenwahrnehmung und Rollenverhalten, müßte ein Durchschnitt der Konzepte angezeigt werden. 147 In der Übernahme eines organizistischen Modells auf den Bereich der Sozialwissenschaften entwickelt das gesellschaftliche System, als übergeordnete Größe, dann die Zielvorstellung auf einen Gleichgewichtspunkt hin. Gleichgewicht wird folglich zu einer zentralen Kategorie im struktur-funktionalen Ansatz (vgl. SCHÜTTE 1971:30). Eine explizite Definition von Gleichgewicht bleibt aber aus, d.h. relevante Eigenschaften werden nicht genannt, sondern lediglich funktional die Gleichgewichtsabhängigkeit des Systems von ausgewählten Elementen angegeben, wodurch die Formulierung von Aussagen ausbleibt. Statt dessen versucht PARSONS über den Begriff der Integration im Rahmen der sozialen Rolle und die Benennung von Werten, was kein Ziel im eigentlichen Sinn ausmacht, die Grundlage seiner theoretischen Annahmen herzuleiten. Psychologisch betrachtet wird dabei die Thematik von Widerstand ausgeblendet und entlang der gewählten Argumentationslinie die Herleitung der Notwendigkeit von strukturellem Wandel unterlassen, beziehungsweise struktureller Wandel nur als abnorm erfaßbar gemacht (vgl. DAHEIM in Endruweit 1993:42f.). Inhaltlich weist die theoretische Konzeption PARSONS‘ damit die Problematik einer stark konservativen Perspektive auf. Als Kritikpunkt läßt sich hier insbesondere die statische Perspektive auf der ideologischen Ebene anführen. PARSONS kann unterstellt werden, daß der Begriffsapparat seines theoretischen Ansatzes eine Bestätigung des Status quo bestehender Verhältnisse impliziert und soziale Ungerechtigkeiten mit der Überbetonung normativer Elemente des Handelns überdeckt. Idealtypisch dem Konzept der Sozialisation folgend kann weiterhin das Machtkonzept, das PARSONS entwirft, als altruistisch geprägt aufgefaßt werden. Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Interessen gegenüber anderen, als Widerspruch dazu, kann nicht aufgezeigt werden. Antagonistische Interessen sind in dieser Konzeption ohnehin nicht Gegenstand der Erörterung. Die Konsequenz ist ein Gesellschaftsbild, das einheitlich und integriert ist und in dem Interessen kollektiv entwickelt werden. Macht zur Erreichung kollektiver Ziele wird im Ansatz des altruistischen Verhaltens des Individuums in diesem Sinn als rationales Verhalten aufgefaßt (vgl. DAHEIM in Endruweit 1993:41f.). Zwischen Herrschenden und Beherrschten bestehen jedoch Divergenzen und 148 daher ist der Aspekt der Machtauflösung als rationales Interesse der (beherrschten) Individuen aufzufassen. PARSONS Akteure fallen jedoch nicht mehr in die Kategorie „Subjekt“ oder „Individuum“, sondern sind vielmehr Befolger von Normen und Werten mit der Zielsetzung der Erhaltung des Systembestandes. Die Entscheidungsträger vertreten dementsprechend nicht individuell-subjektive Sichtweisen, sondern folgen bei ihren Entscheidungen dem Selbstverständnis der Institutionen, die sie repräsentieren.114 Unter Vernachlässigung der Intentionen der Handelnden können schließlich Konsequenzen nur dargestellt, nicht aber erklärt werden. An dieser Stelle kann auch hinsichtlich der Diskrepanz zwischen funktionaler und kausaler Analyse ein wesentliches methodologisches Problem des Strukturfunktionalismus herausgestellt werden. Das Grundmuster der funktionalen Analyse fokusiert ein Phänomen A als Objekt der Untersuchung in einem System S, wobei S als im Gleichgewichtszustand R befindlich angenommen wird. Ziel ist der Nachweis, daß A unter systeminternen Bedingungen C und systemexterne Bedingungen E Wirkungen erzeugt, die ein funktionales Erfordernis von S (oder eines Teilsystems TS) darstellen, also eine Bedingung B zu erfüllen ist, um den Systemerhalt zu gewährleisten.115 Das funktionale Argument lautet dann: Das System S ist unter gegebenen systeminternen Bedingungen C und systemexternen Bedingungen E im Gleichgewichtszustand R, wenn die Bedingung des Systemerhalts durch die Wirkung von A gegeben ist. A beeinflußt also S. Vernachlässigt wird jedoch die Begründung für A, die Bedingung B zu erfüllen. Der Funktionsbegriff in der Soziologie bezieht sich somit auf Phänomene, die als Wirkungen die Relevanz der ihnen zugrunde liegenden Ursachen definieren. Dies birgt die Gefahr, die substantielle und evolutionistische Perspektive des sozialen Ganzen zugunsten einer Sicht aufzugeben, die Gesellschaft als Ergebnis des Zusammenwirkens seiner Teile aufgrund latenter Teleologie begreift. Teleologische Aussagen beziehen sich dabei auf die soziale Rolle, Prozesse oder Strukturen, die als Ursachen 114 Institutionen sind in diesem Zusammenhang einerseits für die Bedürfnis-befriedigung der Individuen aufgezeigt, andererseits jedoch werden Institutionen die Erfüllung von notwendigen Systembedingungen unterstellt, so daß wiederum nur die Erklärung des gesellschaftlichen Gleichgewichts erfolgt (vgl. SCHÜTTE 1971:16). 149 verstanden in einem System bzw. gesellschaftlichen Kontext ihre objektiven Konsequenzen für den betrachteten Gesamtzusammenhang aufweisen. Bei dauerhaften gesellschaftlichen Aktivitäten, die relativ konfliktfrei ablaufen, ist es infolge der theoretischen Beliebigkeit der funktionalen Erklärung sehr wohl möglich, eine positive gesellschaftliche Funktion zu entdecken und ihre Existenz damit zu rechtfertigen. Insofern können im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Funktionalismus, der mit der Identifizierung des Zustandes funktionaler Harmonie einher geht, soziale Konflikte nur als Störung des gesellschaftlichen Gleichgewichts wahrgenommen werden. Das Problem dabei ist die Konfliktunterdrückung. Hierbei kann zwar ein Beitrag zu einer funktionalen Konsistenz und scheinbarer gesellschaftlicher Harmonie geleistet werden, realpolitisch jedoch großes Konfliktpotential provoziert und Ungerechtigkeiten großen Ausmaßes begründet werden. Denn wenn normlose soziale Zustände erklärt werden müssen, kann als Basis wiederum nur die Gemeinsamkeit von Werten und Normen, die als gesellschaftliche Ordnung den Bezugspunkt bilden, genannt werden, wobei der tendenziell normative Charakter der Systemtheorie bedingt, daß konsensusdominierte Aspekte vorherrschend sind und Integration als wesentlichen Aspekt der Handlungsweisen thematisieren und somit „Konfliktmuster unter dem Aspekt ihrer Behebung“ (PAWELKA 1973:45) in die Untersuchung sozialwissenschaftlich einfließen. gewendeter In diesem funktionaler Sinn wird im Systemtheorie Rahmen versucht, Ursachen und Konsequenzen von Handlungsweisen darzustellen, wobei stabilisierende Aspekte zur Diskussion stehen. Die Logik der Argumentation funktionaler Erklärung weist somit fragwürdige Züge auf, denn „die Erklärungsabsicht orientiert sich an einem Wissenschaftsideal, das Abstraktionsniveau mit Allgemeinheit verwechselt, und die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität in den Kategorien tradierter Problemstellungen unreflektiert mit der Wirklichkeit von Gesellschaft in eins setzt“ (SCHÜTTE 1971:1) 115 Zur Vereinfachung wird die Zeitkomponente t in diesem Schema vernachlässigt. 150 Dies ist die Denkweise der funktionalen Argumentation und zugleich ihr Dilemma: Das Verhältnis von causa finalis, d.h. der Gesetze, die gesellschaftliche Entwicklung als von einem Endzweck oder Endziel her bestimmt begreifbar machen, und causa efficienz (vgl. DAHEIM in Endruweit 1993:24ff.). DÖBERT führt darüber hinaus an, daß funktionale systemtheoretische Theorieansätze als Theorien sozialen Handelns seit ihrer ersten systematischen Analyse durch Max Weber außerdem keine Erweiterung haben bringen können, da keine erklärenden Generalisierungen aus ihnen ableitbar waren, und sie lediglich „ein für Klassifikationszwecke Interpretationsschema“ (1973:9). halbwegs brauchbares Kategorien- und abgeben. Die Übertragung des funktionalen Systemmodells auf den Bereich der internationalen Beziehungen kann als Versuch verstanden werden, die internationale Gesellschaft als System mit verschiedenen Subsystemen zu betrachten. Das internationale System als Ebene der Analyse umfaßt dabei die Gesamtheit aller im System und seiner Umwelt stattfindenden Interaktionen, die als politische Interaktionen eine funktionale Spezifizierung erfahren. Die Welt als System aufzufassen ist jedoch problematisch, da es keine Grenze nach Außen gibt. Diese Ebene bedingt darüber hinaus Verallgemeinerungen im höchsten Maß, denn sie ist in einer Weise umfangreich, die einen notwendigen Grad an Gleichförmigkeit der außenpolitischen Entscheidungs- und Handlungsnormen der nationalen Akteure annehmen muß. Der Verhaltensspielraum der Handelnden kann dabei stark eingeengt werden, da die Betrachtung des Gesamtsystems im Mittelpunkt steht. Untersucht werden Internationale strukturelle Beziehungen Tendenzen des in ihrem systematischen Gesamtsystems und Zusammenhang, dessen Stabilitäts- bedingungen. Es besteht die Gefahr der Abstraktion und einer damit einhergehenden mangelnden Erklärungskraft. Gemäß der theoretischen Prämissen werden insbesondere die Erhaltung des internationalen Systems und die dazu notwendigen Funktionserfüllungen 151 thematisiert. Problematisch sind dabei folgende Aspekte: Der bereits oben genannte Sachverhalt des Fehlens eines politischen Entscheidungssubsystems läßt die Übertragbarkeit des für die Untersuchung eines national-staatlich verfaßten Gemeinwesens konzipierten Erklärungsansatzes auf den internationalen Interaktionszusammenhang als unangebracht erscheinen, da keine Allgemeinheit der Analysebereiche Gesellschaft/internationales System bestehen, und folglich ist das dem Ansatz unterliegende Integrationsmodell auch nicht geeignet, die Bedingungen und Konsequenzen außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsweisen auf internationaler Ebene adäquat zu erfassen. Die Erkenntnisse auf dieser Ebene bieten nicht die Basis für kausale Aussagen, sondern nur die Möglichkeit der Herleitung von Korrelationen. Schwierig erscheint ebenfalls die Kennzeichnung der, für die Erhaltung des internationalen Systems notwendigen Funktionserfüllung durch diverse Subsysteme. Weiterhin kann als Argument für die Nichtübertragbarkeit des struktur-funktionalen Ansatzes auf die internationalen Beziehungen die Tatsache, daß das internationale System nicht als ein Akteur erfaßt werden kann, angeführt werden. Eine Zielorientierung hinsichtlich des Systemerhalts kann somit in keinster Weise unterstellt werden. Die Differenzierung unterschiedlicher Analyseebenen ermöglicht jedoch die Betrachtung eines Nationalstaates als Untersuchungsbereich, wobei mehrere Aktionsebenen, die weltpolitisch relevant sein können, ins Blickfeld treten. Die Definition der gesellschaftlichen Entitäten muß einleitend angegeben werden, um zu verdeutlichen was den Nationalstaat ausmacht, d.h. wer als Akteur in Erscheinung tritt (Individuen, Gruppen von Individuen oder eine soziale Einheit). Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsansätze sind in diesem Bereich zu suchen. Wird allerdings der Staat als Entscheidungsträger zum Untersuchungsobjekt und Handlung als Staatshandeln erfaßt, „verkommen“ individuelle und kollektive Akteure zur black-box. Die Definition der Situation, die Auswahl der Handlungsstrategien und die Bewertung der Konsequenzen, unter Berücksichtigung des internen und externen Rahmens, können dann nicht auf der individuellen Ebene erfaßt werden (HAFTENDORN in Rittberger 1990:405ff.). Ein so gelagerter Ansatz vernachlässigt sowohl die 152 Erläuterung des Zusammenhangs von Entscheidungsträgern und Umfeld (vgl. BEYME 1980:109), d.h. den Sachverhalt, daß Persönlichkeit und soziale Rolle außenpolitisches Verhalten determinieren, als auch die Bestimmung wann Bedingungen aus dem Umfeld und der Umwelt als Einflußfaktoren zu gelten haben. Auf dieser Ebene können so lediglich korrelative Aussagen angeregt werden, die ansatzweise durch kausale ersetzt werden müssen. Zusammenfassend läßt sich für die Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen auf den Bereich der internationalen Beziehungen formulieren, daß die Unvollständigkeit der Gesamtkonzeption bei der Analyse interessierender Sachverhalte Interpretationen und die Reformulierung von Fragestellungen bedingt (vgl. SCHÜTTE 1971:2). Weiterhin läßt die Sprache wenig Platz für Kritik, wodurch die Durchsichtigkeit der Formulierung eingeschränkt wird und alternative Deutungen möglich werden. Auch ist der Fokus auf ein rudimentäres politisches System, das sich hauptsächlich mit Fragen der Integration des Staatensystems beschäftigt, stark normativ geprägt. Da Einheiten aus Handlungen und Verhalten, nicht aus Personen bestehen, sind typenmäßige Wiederholbarkeiten angezeigt. Über den Aspekt der Wertzuweisung werden das nationale und internationale System auf den Punkt zusammengeführt, daß alle Akteure in wertallokativem Zusammenhang in der internationaler Politik involviert sind. Entwicklung bzw. Fortschritt wird dabei als Komplexitätssteigerung des Systems erfaßt. Die Notwendigkeit sozialen Wandels ist in einer solchen Konzeption nicht als Analysegegenstand auszumachen. Insgesamt wird deutlich, daß „das analytisch funktionale Systemmodell nicht die Phänomene internationaler Beziehungen zufriedenstellend erfaßt, und daß es zusätzlich wegen seines hohen Abstraktionsgrades und seiner kaum operationaliserbaren Begriffe theorieorientierte empirische Forschung mehr erschwert als erleichtert.“ (SIMONIS 1973:72) Einsetzbar ist dieses theoretische Konzept jedoch, wenn einerseits Strukturmuster als Handlungsergebnisse aufgefaßt und/oder die intermediäre Ebene von Organisationen und Institutionen analysiert werden soll. Für Bestandsprobleme können auf der Grundlage funktionaler Deskription und in 153 einer anschließenden gesonderten Kausalanalyse alternative Lösungswege aufgezeigt werden. Der Strukturfunktionalismus kann so als Zugang zu bzw. Systematisierungs-möglichkeit der Fülle von Vorgängen, Strukturen, Fakten und Verläufen dienen. Wesentlich für die Methode ist dabei ein Analogieprinzip. Die Funktionsbezogenheit bedingt dabei Erklärungen nicht-kausaler Natur, sondern teleologischer Konstruiertheit. 5.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der Internationalen Beziehungen Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die Verwendung der Theorien des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen gegeben, wobei insbesondere auf die Ansätze fokusiert wird, die auf der Prämisse der rationalen Interessenverfolgung sozialer Akteure basieren und weiterhin mögliche Divergenzen individueller und kollektiver116 Rationalität thematisieren oder mit explizit formalen Methoden arbeiten. Im Rahmen der akteurstheoretischen Betrachtung geht es im wesentlichen um die Erklärung kollektiver Phänomene unter Rückbezug auf die individuelle Ebene. COLEMAN (1987) entwickelt die Analysesperspektive anhand von unterschiedlichen Ebenen, die eine Diskussion im Rahmen der Mikro-Makro Problematik erlaubt. Hierbei dienen Annahmen des methodologischen Individualismus als Grundlage der Akteursbetrachtung. Dabei liegt z.B. der thematische Schwerpunkt in der Verbindung von wirtschaftlichem Verhalten (auf der Mikroebene) und Kapitalismus (auf der Makroebene) liegt dabei der thematische Schwerpunkt. An dieser Stelle kann diskutiert werden, ob und wie gesellschaftliche Phönomene aus Interaktionen zwischen Indidividuen hervorgehen. Im Rahmen der Charakterisierung des Akteurs werden Handlungsweisen mit dem Attribut der „Nützlichkeit“ belegt und der aus der Ökonomie abgeleitete Diskurs über Rationalität in die Erörterung eingeführt. Im Rahmen der 116 Die Analyse der Logik kollektiver Entscheidungen wird explizit unter der Bezeichnung Social Choice vorgenommen (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN 1994). 154 Handlungstheorie und insbesondere durch die zur Präzisierung unterlegte Wert-Erwartungs-Theorie (auch SEU-Theorie) handelt es sich dabei um „eine >Rationalität< aus der Sicht des Akteurs und nicht um eine angenommene, vom Beobachter gesetzte oder >objektive< Rationalität“ (ESSER 1991:61). KUNZ gibt präzisierend an, daß anhand des SEU-Modells „Handlungswahlen der Akteure auf die von ihnen wahrgenommenen Auftrittswahrscheinlichkeiten und Bewertungen der Handlungskonsequenzen für jede Handlungsalternative“ (1994:112) zurückgeführt werden können. 5.4.1 Theorie(n) des Beziehungen Eine Theorie des rationalen rationalen Handelns Handelns als in den Internationalen Erklärungsmodell in den Objektbereich der Internationalen Beziehungen einzufügen, gründet auf der Überlegung, daß Verhaltensoptionen soziale Akteure wahrnehmen, eine Anzahl Konsequenzen von der möglichen verschiedenen Verhaltensoptionen evaluieren, diese in eine Abfolge der Wünschbarbeit bringen und schließlich die Verhaltensoption wählen, die ihre Nutzenerwartung befriedigt (vgl. ZANGL/ZÜRN 1994:82). Die Mehrzahl der traditionellen Ansätze im Rahmen der internationalen Beziehungen, vor allem auf der Grundlage des realistischen Paradigmas, unterstellen ein derartig definierbares rationales Verhalten der Akteure. Der wohl bekannteste Versuch einer Konzeption im Rahmen rationaler Akteursbetrachtung stammt von H.J. MORGENTHAU, der den Machtbegriff im Zusammenhang mit Interesse thematisiert. Die grundlegenden Annahmen der realistischen Schule, die in der Theorietradition MACHIAVELLIs oder HOBBES‘ steht, sind dabei vergleichbar mit einer Reihe von Annahmen aus dem Rational Choice-Bereich. Im Realismus werden Staaten als die wichtigsten Akteure der internationalen Politik betrachtet, die mit rationalen Mitteln ihr Interesse - hier das der Machtvermehrung – verfolgen. 155 Dem Staat als zentralem Akteur fallen dabei die primär gouvernementalen Aufgaben der Gewährleistung von Sicherheit und Herrschaft für das nationalstaatliche Gemeinwesen zu. Politische Macht wird dabei als Vorbedingung aufgefaßt, aufgrund derer Sicherheit garantiert werden kann (vgl. MORGENTHAU 1993:10ff.). Die Annahmen aus dem Modell des homo oeconomicus, nach dem sozialen Akteuren rationales Verhalten unterstellt wird, als Erklärungsansatz in den Bereich der Internationalen Beziehungen einzuführen, erscheint zunächst simplifizierend, da Individuen auch als homo sociologicus und homo psychologicus handeln. Für den Bereich der Internationalen Beziehungen können allerdings gewisse Bedingungen genannt werden, die das Modell des homo oeconomicus mit konkreten Zusatzannahmen, die insbesondere Handlungsbeschränkungen thematisieren, als teilweise erklärungsträchtig ausweisen. Einerseits gibt es in den Internationalen Beziehungen eine begrenzte Anzahl von gesellschaftlichen Akteuren, die „in Abwesenheit eines legalen Gewaltmonopols und im Vergleich zu anderen sozialen Systemen geringer funktionaler Differenzierung unter den Bedingungen ausgeprägter und sichtbarer Interdependenz miteinander interagieren.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe 1994:82) Andererseits finden Internationale Beziehungen zwischen Staaten und Gesellschaften statt, die keine ausgeprägte kollektive Identität der Akteure insgesamt aufweisen, und folglich kann davon ausgegangen werden, daß sich die Handelnden durch strategisches Denken auszeichnen (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe 1994:82). In diesem Zusammenhang weisen ZANGL/ZÜRN auf den Sachverhalt hin, daß ganze bürokratische Apparate in den einzelnen Staaten zur Ermittlung von Verhaltensmöglichkeiten, zur Abschätzung von Konsequenzen und deren Evaluation bestehen, um auf diese Weise zu befriedigenden Entscheidungen auf internationaler Ebene zu gelangen. Der Begriff der Strategie wird damit zu einem wesentlichen Aspekt im weltpolitischen Interaktionszusammenhang, mehr noch „Strategy is the essence of politics; a nonstrategic politician cannot archive his or her aims.“ (MORROW 1994:1) 156 Werden strategische Situationen als Untergruppe sozialer Situationen aufgefaßt, in denen es um die Interaktionen von Individuen geht, bedarf es folglich einer Theorie „that explains how individuals’ decisions are interrelated and how those decisions result in outcomes. Game theory is such a theory.“ (MORROW 1994:1) Aufgrund dieser Überlegung soll im folgenden eine Begründung für die Anwendung spieltheoretischer individualistischer Theoriebildung, Konzeptionen, in den als Zweig internationalen struktur- Beziehungen hergeleitet werden.117 Wichtig ist hierbei auch, auf die Problematik der Aggregation individueller Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz einzugehen. Anhand spieltheoretischer Modelle erfolgt dann die Darstellung und Analyse bestimmter Problemsituationen sowohl in der Außenpolitik als auch in der internationalen Politik. 5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse Als Problemstellung, die die Anwendung spieltheoretischer Konzeptionen sinnvoll erscheinen läßt, gibt MORROW an, daß „National leaders vie to prevail in international crisis, while also trying to avoid war. Nations raise and lower barriers to trade in order to influence other nations to lower their own trade barriers. All of these situations, and many others in politics are strategic. Actions are taken to influence other actors’ choices; no one actor alone can determine the outcome of the situation. All actors must think about what the other actors will do when choosing their own actions.“ (1994:1) 117 Von Spieltheorie kann seit den 20er Jahren gesprochen werden, als auf der Grundlage des Minmax Theorems Konfliktsituationen in einem 2-Personen-Nullsummenspiel untersucht wurden. Die Entwicklung spieltheoretischer Konzep-tionen im Rahmen einer mathematischen Theorie, die auf statische Modelle Bezug nimmt, wurden dann von v. NEUMANN und MORGENSTERN (1943) in Theory of Games and Economic Behavior veröffentlicht. Die Etablierung der Spieltheorie als Disziplin fand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg statt. 157 Mit Hilfe der Spieltheorie wird dabei versucht, Situationen zu analysieren, in denen Entscheidungen von mehreren Akteuren ein Handlungsresultat determinieren. In diese Untersuchung fließt auch die Darstellung ein, wie individuelle Wahlhandlungen, durch soziale Rahmenbedindungen beeinflußt, bestimmte Handlungskonsequenzen - outcomes - haben und wie diese von den individuellen Akteuren evaluiert werden (Nutzentheorie). Differenziert werden können folglich individuelle Präferenzen gegenüber einer Aggregation derselben zu einer kollektiven Präferenz. Die Untersuchungsperspektive richtet sich demnach auf Problemsituationen, die entstehen, wenn in Interaktionszusammenhängen Entscheidungen getroffen werden sollen, bei denen die beteiligten Entscheidungsträger mit unterschiedlichen Zielsetzungen Handlungsoptionen wählen, die Konflikt oder Kooperation bedeuten können. Die Spieltheorie ist folglich als Methode zu verstehen, Entscheidungen in Konfliktsituationen zu untersuchen, d.h. Entscheidungsprozesse zu analysieren, in denen einzelne Entscheidungsträger keine vollständige Kontrolle über andere beteiligte Entscheidungsträger haben. Die entstehenden Probleme übersteigen allerdings die einfache Maximierung, denn Ziele müssen im Zusammenhang mit Beschränkungen abgebildet werden. Dies kann zunächst als „Problem der Optimierung widerstrebender Interessen“ (SHUBIK 1964:19) verstanden werden, was generell Grundbedingung in wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Situationen sein kann. In der Analyse dieser Situationen ist für die Sozialwissenschaften besonders der Zweig der noncooperative game theory von Interesse, wobei „Noncooperative game theory has been applied to [...] international crises, and international organizations. General questions of how political institutions work and why they exist and change have been addressed with game-theoretic models. Communication in variety of settings has been examined in these models.“ (MORROW 1994:3) In der Politikwissenschaft, insbesondere im Rahmen der Teildisziplin der internationalen Beziehungen, ist beispielsweise im Rahmen des bargaining 158 oder der Abschreckung interessant, welche strategische Logik hinter Entscheidungen und Handlungsweisen steht. Für diese Situationen gibt es unterschiedliche Modelle, die jeweils unterschiedliche Aspekte einer Problemsituation fokusieren. Die Abschreckungsproblematik stellt z.B. eine Situation dar, in der mindestens zwei Staaten in einer Krisensituation versuchen, so gegeneinander vorzugehen, daß sie das Verhalten des anderen zu ihren eigenen Gunsten beeinflussen können. Die Frage ist, wie die Akteure erfolgreich ihre Interessen durchsetzen können. Drohungen spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle und MORROW führt aus, daß „Carrying out threats is costly to the threatener as well as the threatened. Nations receiving threats may not believe that the threat will be carried out if they do not comply. The credibility of a threat depends on both the magnitude of the costs to be imposed and the willingsness of the threatener to carry it out.“ (1994:4) Neben der eigentlichen Zielorientierung von Handeln müssen folglich Beschränkungen, wie z.B. Kosten, in der Modellbildung nachgewiesen werden. Im Rahmen von Bargaining-Situationen, die entstehen „when two or more actors are willing to reach any one of several agreements, but they disagree about which agreement is best“ (MORROW 1994:5) wird als Problemlösungsstrategie Entscheidung herzuleiten gewinnbringender die versucht, Kooperation auf Einigung auf um Seiten damit der eine gemeinsame die Realisierung beteiligten Akteure zu ermöglichen. Die Analyse einer solchen Situation kann dabei anhand der „Nash bargaining solution, the basic concept in two-person, cooperative game theory“ (MORROW 1994:5) erfolgen (vgl. auch SHUBIK 1982:242ff.). 159 5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept Im Rahmen von Rational Choice-Ansätzen werden interessierende Phänomene sozialer, ökonomischer oder politischer Realität immer unter dem Aspekt der Rationalität zu erklären versucht. Rationalität wird dabei als Nutzenorientierung bei der Handlungswahl aufgefaßt und die auf utilitaristischer Theoriebildung beruhende Spieltheorie, als eine einfache mathematische Theorie, ist dabei angelegt, nutzenorientierte Entscheidungen von sozialen Akteuren in Interaktionszusammenhängen darzustellen und zu analysieren.118 MORROW führt in diesem Sinn aus, daß „[...], rational behavior means choosing the best means to gain a predetermined set of ends. It is an evaluation of the consistency of choices and not of the thought process, of implementation of fixed goals and not of the morality of those goals.“ (1994:17) Als Ziele werden dabei Handlungsweisen, outcomes, angenommen, die durch Beobachtung oder in experimentellen Zusammenhängen als vorherrschendes Verhalten herausgefiltert werden. Im deduktiven Verfahren werden dann die Annahmen hinsichtlich der Ziele der Akteure und der situativen Restriktionen in der Erklärung sozialer Zusammenhänge in die theoretische Konzeption implementiert. „We fix the actor’s preferences and allow the information they have and the situation they face to change, creating variation in their actions.“ (MORROW 1994:17) Da Akteure bestimmte Erwartungen hinsichtlich bestimmter Handlungskonsequenzen haben, muß im Rahmen des jeweiligen Modells definiert werden, welche Resultate durch welche Handlungen erreicht werden sollen. Da unterschiedliche Präferenzen bestehen und in sozialen Zusammenhängen deren Gewichtung durchaus transitiven Charakter aufweist, d.h. vom Akteur in eine Abfolge gebracht werden kann, kann aufgrund der Vollständigkeit und 118 Politikwissenschaftlich nutzbar gemacht, wird das Eigennutzaxiom im Rahmen der neuen politischen Ökonomie, wo es zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesse herangezogen wird. (vgl. FRANKE in Druwe/Kunz 1994:53f.) 160 Transitivität der Ordnung von Präferenzen119 auch auf nicht-vergleichbare Konsequenzen in anderen sozialen Zusammenhängen Rückschlüsse gezogen werden. „Completeness and transitivity are the basic elements of a preference ordering. [...] These two assumptions are necessary for rationality. Without complete preferences, actors are unable to choose between noncomparable outcomes.“ (MORROW 1994:18) Die Festlegung von Präferenzen gilt in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Handlungsresultate, nicht jedoch in bezug auf Handlungen selbst. MORROW schreibt „We distinguish between preferences over outcomes and preferences over actions (or strategies). Outcomes are the final results; actions are choices that could produce one or several outcomes. Preferences over outcomes are assumed to be fixed. Preferences actions can change as the actors gain new information about the efficacy of different actions.“ (1994:19) Aufgrund von Entscheidungen unter Unsicherheit, mangelnder Information und Fehleinschätzungen von Handlungskonsequenzen können auch „fehlerhafte“ Entscheidungen getroffen werden. Damit wird das Konzept von Rationalität in der Weise eingeschränkt, daß „Rationality does not mean error-free decisions.“ (MORROW 1994:21) Die Rationaliätsprämisse auf individuelle Akteure bezogen kann jedoch nicht uneingeschränkt in der Aggregation zu kollektiver Rationalität übernommen werden (ARROW Theorem).120 Welche Probleme sich dabei ergeben kann im Rahmen des Gefangenen-Dilemmas aufgezeigt werden. 119 Diese Präferenzen werden ordinale Präferenzen genannt. Vgl. MORROW 1994:18, vgl. auch BOSSERT/STEHLING 1990:30. 120 Eine übersichtliche Darstellung findet sich bei KERN/NIDA-RÜMELIN 1994:27-42. 161 5.4.2.2 Formale Modellierung Wesentliches Kriterium spieltheoretischer Modelle ist, daß anhand von Gleichgewichtsvorstellungen versucht wird soziale Phänomene zu verstehen. Dabei wird mit der Einführung des Equilibrium-Aspekts nicht angezeigt, daß es sich um eine gerechte oder wünschenswerte Balance zwischen unterschiedlichen Interessen handelt, vielmehr verweist diese Annahme auf den Sachverhalt, daß „In equilibrium, no actor wishes to change its behavior on its own. Behavior at an equiilibrium is stable in the sense that no actor, given its current position and knowledge, can improve its own position on its own.“ (MORROW 1994:8) Soziale und politische Ebenen sind als komplexe Gebilde mit unterschiedlichen Inhalten aufzufassen. Die Modellbildung, anhand derer Erklärungen zu o.g. Problemsituationen entwickelt werden, ist jedoch formaler Natur und obwohl formale Modelle vor diesem Hintergrund als simplifizierende Analyseansätze erscheinen, kann hier angegeben werden, daß die Überprüfung von Annahmen zur Erklärung interessierender Sachverhalte, die eingangs in einem Modell formuliert worden sind, in den Schlußfolgerungen wiederum identifizierbar werden müssen (vgl. NICHOLSON 1990:216). „[...] formal models allow us to see exactly why the conclusions of a model follow from its assumptions. Other supporting arguments that do not follow from the assumptions are ruled out.“ (MORROW 1994:6) Damit kann für die formale Modellbildung angegeben werde, daß eine logische Struktur bei der Zusammenstellung von Einzeluntersuchungen hergeleitet werden kann und daraus abgeleitet Schlußfolgerungen quasi ansatzübergreifend verworfen bzw. aufgenommen werden können (vgl. MORROW 1994:6f.). Wichtig ist aber auch, bei aller konzeptueller Klarheit und strenger Argumentation die reale Blickrichtung sozialer Modellbildung ins Zentrum der Analyse zu stellen, wobei „The proper criterion to „judge“ the realism of an argument is the accuracy of its conclusions. Formal models help us determine the observable consequences 162 of our arguments. We can then test those hypotheses against the real world.“ (MORROW 1994:7) Nach der Darstellung grundlegender Annahmen im Rahmen der Spieltheorie kann damit unter Bezug auf die Differenzierung von Außenpolitik gegenüber Internationaler Politik die Analysen entlang der Thematik rationaler Interessenverfolgung sozialer Akteure und die daraus entstehende Problematik möglicher Divergenzen von individueller und kollektiver Rationalität auf a) das Problem der Verteilung knapper Ressourcen, im Sinn einer collective action und b) das Problem der Realisierung allseitig gewinnbringender Kooperation, d.h. eines bargaining- Effekts im Rahmen institutionalisierter Kooperation gelenkt werden. Die ökonomische Theorie der internationalen Politik stellt dabei Staaten als Nutzenmaximierer von knappen Gütern ins Zentrum der Erörterung und leitet mit dieser Fokusierung die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen ein (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:84). Die Frage nach der jeweiligen Strategie zur Erlangung der Kooperation von Interaktionspartner im Zusammenhang von Interessen und Institutionen im Bereich außenpolitischen Entscheidens und Handelns tritt hingegen im Rahmen rationaler Ansätze des Neoinstitutionalismus in den Mittelpunkt der Analyse.121 In der Verbindung beider Stränge können vier unterschiedliche Analyserichtungen ausgemacht werden, die sich der jeweiligen Problematik auf der Ebene der Außenpolitik und der Ebene der internationalen Politik widmen. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Aspekte dieser Theoriestränge vorgestellt und anhand spieltheoretischer Matrizen verdeutlicht. 121 Es wird nach den Rahmenbedingungen von sich international institutionell ausbildender Kooperation gefragt. 163 5.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen im Rahmen der Spieltheorie, läßt sich durch die Variante des Typs Koordinationsspiel mit Verteilungskonflikt anschaulich darstellen, wobei auf eine Matrix zur Verdeutlichung der Spielsituation zurückgegriffen wird. Ausgangsbedingung sind Spieler A und B, die jeweils über die Handlungsmöglichkeit der Selbsthilfe und die der Kooperation verfügen und sich für jeweils eine Handlungsoption entscheiden können. Bezüglich der Interaktionsergebnisse bestehen unterschiedliche Präferenzen, die z.B. in der Punktverteilung von Nutzenkennziffer 4 1 wird bis 4 dabei wiedergegeben als das am werden meisten können. Die gewünschte Interaktionsergebnis, die Nutzenkennziffer 1 als das am wenigsten gewünschte Interaktionsergebnis festgelegt. Die Matrix kann somit folgendermaßen dargestellt werden: Abb. 2: Koordinationsspiel mit Verteilungskonflikt Spieler A Kooperation Selbsthilfe Spieler B Selbsthilfe 4/3 2/2 Kooperation 1/1 3/4 (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:86) Im Rahmen der Interaktion der Akteure stellen die Interaktionsergebnisse mit der höchsten Punktverteilung (4/3 und 3/4) die Möglichkeiten rationaler Interaktionsergebnisse dar, die auch als pareto-optimal bezeichnet werden.122 Dies bedeutet, daß beide Spieler ihr jeweiliges Verhalten so koordinieren müssen, daß eines der beiden kollektiv rationalen Interaktionsergebnisse durchgesetzt werden kann. Da aber unterschiedliche Präferenzen bestehen, ist die Gefahr gegeben, daß ein Verteilungskonflikt entsteht, der bedeutet, daß beide Spieler gegenseitig nicht kooperativ sind, aber einer den größten Nutzen für sich in der Situation herbeizuführen beabsichtigt. Beide Spieler würden demzufolge die Möglichkeit der Selbsthilfe wählen (2/2) und folglich individueller Rationalität folgen. Dabei ergibt sich eine Situation, die beide 122 Ein Pareto Optimum liegt vor, wenn bei jeder denkbaren Abweichung die Schädi-gung mindestens eines Spielers erfolgt (was hier einem Nash- Equlibrium entspricht, d.h. der 164 Seiten ihre eigenen Interessen bedingungslos verfolgen läßt und sich die Maximin-Lösung des maximalen Minimalnutzens einstellt. Diese Variante ist eine Abweichung der kollektiv sinnvollen Interaktionsergebnisse mit Verteilungskonflikt. Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen kann sowohl im Rahmen der Außenpolitik als auch im Bereich der internationalen Politik aufgezeigt werden. Bei dieser Untersuchungsrichtung geht es insbesondere um die Fragestellung, mit welchen Strategien Staaten versuchen bei der Verteilung knapper Güter ihre Interessen gegenüber anderen Konkurrenten durchzusetzen. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Spielsituation wird dabei versucht zu ermitteln, welche außenpolitische Strategie als rationale Verhaltensweise zur Erlangung von Vorteilen gewählt wird. Als rational gelten hierbei die Verhaltensweisen, die in einer interdependenten Entscheidungssituation die Entscheidung des Konkurrenten in der Form beeinflussen, daß dieser Entscheidungen trifft, die die Durchsetzung der eigenen Interessen ermöglicht (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:88). Als Anwendungsbereich kann z.B. die Kriegsursachenforschung angegeben werden. Zentral sind hier Strategien wie Drohungen oder Verpflichtungen, die zunächst auf Nullsummenspiel-Basis hergeleitet wurden (vgl. SHUBIK 1964:217ff.).123 Aus dem Bereich der Strategic Studies entwickelte sich dann darauf aufbauend eine Präzisierung der grundlegenden Annahmen im Rahmen der Abschreckungstheorie. Der ökonomische Erklärungsansatz in der internationalen Politik bezieht sich dabei auf das Prinzip der Nutzenmaximierung unter der Zusatzannahme von Handlungsbeschränkungen, die WEEDE (1989) aus dem anarchischen Charakter des internationalen Systems ableitet. Neben der Polarität, Zerstörungspotentialen und der geographischen Lage sowie der relativen Machtposition eines Landes zählt WEEDE auch die innenpolitischen Bedingungen eines Landes zu wesentlichen Handlungsbeschränkungen im Bereich der internationalen Politik. Der homo oeconomicus als strategischer Spieler, der die Situation verläßt, schadet sich selbst). - NASH entwickelte in den 50er Jahren eine Theorie für die kooperative Lösung von Spielen. 165 Akteur auf weltpolitischer Ebene sieht sich Situationen gegenüber, die ihn zwingen unter einschränkenden Bedingungen - constraints - seine Ziele zu erreichen. WEEDE erörtert explizit sicherheitspolitische Entscheidungs- findungsprozesse und fokusiert dabei auf die Anwendung des Eigennutzaxioms auf sicherheitspolitische (individuelle) Entscheidungsträger und die Notwendigkeit der Abschreckung und/oder Verteidigung als Strategie im anarchischen Staatensystem (1989:256). In diesem Zusammenhang werden die ökonomische Rationalitätsprämisse und realistische Annahmen verknüpft, um auf diese Weise zu erklärenden Feststellungen von Verhaltensweisen auf weltpolitischer Ebene zu gelangen, die zeigen, daß „Kollektive eigennützige Akteure, also hier: Kollektive von Staaten, bei der rationalen Verfolgung ihrer Interessen ein Ergebnis erreichen, das aus der übergeordneten Perspektive des Kollektivs als irrational erscheinen muß.“ (WEEDE 1989:256)124 Allerdings wird an dieser Stelle deutlich, daß das Postulat der Nuzenmaximierung mit weiteren Annahmen verknüpft werden muß, denn Entscheidungen hängen immer auch von der Risikobereitschaft der Akteure ab (vgl. MORROW 1994:33ff.). „Außerdem impliziert das Argument der Flexibilität von Bündnissen in multipolaren Systemen die Homogenität oder Irrelevanz der Ideologie. Schließlich ist denkbar, daß multipolare Systeme wegen der größeren Unabhängigkeit vieler Entscheidungszentren die Entstehung einer Vielzahl von kleineren Konflikten begünstigt..“ (WEEDE 1989:258) Im Rahmen der Thematisierung der Verteilung knapper Güter im Hinblick auf den Aspekt der Erlangung von Kooperation können dabei Situationen entstehen, in denen „Kooperation selbst dann, wenn sie für alle beteiligten Staaten Gewinne abwirft, scheitern kann, weil sich die Akteure nicht auf die Verteilung von Gütern einigen können.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:85) Der Gewaltaspekt wird dabei ein wesentliches Element der Analyse insbesondere 123 vor dem Hintergrund, daß keine Zentralgewalt die Gezeigt werden konnte später, daß die überwiegende Zahl der Situationen in der Politik Variablen-Summen-Spiele darstellen und Kooperationsmöglichkeiten abge-leitet werden können (wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus). 166 Gewinnverteilung regelt. Die Frage nach dem Funktionieren kollektiver Sicherheit in einem multipolaren System und damit auch die Realisierung allseitig gewinnbringender Kooperation wird ins Zentrum der Untersuchung gerückt, um herauszufinden, ob Kooperation auch in Abwesenheit einer Zentralgewalt bzw. hierarchischen Ordnung einsetzen kann. Wird die Verteilung knapper Güter im Bereich der internationalen Politik untersucht, steht im Zentrum die Diskussion um Verhandlungs- und Austauschergebnisse im Rahmen internationaler Politik, was ebenfalls durch die ökonomische Theorie der internationalen Politik erfaßt werden kann. Rational Choice-Ansätze können hier angewendet werden, um die Rolle von Machtressourcen internationaler und Ebene die Grenzen von herauszuarbeiten. Kooperationschancen Unter den auf Sammelbegriff neorealistische Kooperationstheorie werden die Arbeiten subsummiert, die die Nicht-Einigung auf eine bestimmte Verteilung der gemeinsamen Gewinne, die sich aus Zusammenarbeit ergeben, als Hindernis internationaler Kooperation betrachten (vgl. KEOHANE 1984). Bei Kooperationsspielen mit Verteilungskonflikt auf der Ebene von internationalen Verhandlungen, wie z.B. der BSE-Debatte, sind oft Drohungen eine wirksame Strategie zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Um die Strategie der Drohungen glaubwürdig zu machen, bedienen sich Akteure auch der Strategie der Verpflichtungen, was bedeutet, daß die Verhaltensmöglichkeit Selbsthilfe festgelegt wird und andere Akteure, um Selbstschädigung zu vermeiden, einlenken werden, d.h. die Verhaltensoption Kooperation wählen. Im Rahmen der BSE-Debatte in der EG hat Großbritannien wiederholt versucht, nationale Prioritäten gegenüber Einfuhrstops durchzusetzen und die EGPartner zur Annäherung an britische Positionen zu zwingen. Erst durch die Verpflichtung auf eine angedrohte Reaktion kann eine Drohnung glaubhaft gemacht werden, da zusätzliche Kosten des Verlustes der Glaubwürdigkeit die angedrohte Reaktion bei nicht kooperierenden Partnern unumgänglich machen. 124 Zum selben Ergebnis kommt man auch anhand des Modells von OLSON (1985). 167 5.6 Die Erlangung von Kooperation Der Bereich der Erlangung internationaler Kooperation ist anhand des Spieltyps Gefangenendilemma anschaulich zu verdeutlichen: Abb. 2: Gefangenendilemma Spieler A Kooperation Selbsthilfe Spieler B Kooperation 3/3 1/4 Selbsthilfe 4/1 2/2 (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:98) Die Spielsituation zeigt eine Dilemmasituation, in der das gemeinsame Interesse der beteiligten Akteure darauf gerichtet ist, zu einem kooperativen Interaktionsergebnis zu gelangen, daß durch die Nutzenkennziffer (3/3) gekennzeichnet ist. Es besteht allerdings die Gefahr, daß die Akteure dieses Interaktionsergebnis verfehlen, da die Motivation stark ausgeprägt ist, die Verhaltensoption Selbsthilfe zu wählen. Dies kann durch die Sorge betrogen zu werden (4/1 und 1/4) begründet werden. Die Wahl der Handlungsoption Selbsthilfe bedeutet aber für beide Akteure ein niedrigeres Nutzenniveau als beidseitige Kooperation. Das Interaktionsergebnis (2/2) ist unerwünscht. Im Rahmen der Dilemmasituation kann anhand von Rational ChoiceKonzeptionen gezeigt werden, daß durch gegenseitige Kooperation kollektiv sinnvolle Interaktionsergebnisse erreicht werden können, da durch ständiges nicht-kooperieren auf Seiten der Beteiligten in Situationen, in denen Interessen an Gütern der anderen Akteure besteht, keine Gewinne erzielt werden können und weitere Interaktionen auf dieser Ebene sinnlos werden. Weiterhin kann bei wiederholten Spielsituationen im Rahmen des Gefangenendilemmas gezeigt werden, daß dezentrale Kontrolle und Sanktion möglich ist (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:99). Erreicht werden kann dies durch das Bestrafen eines Akteurs, der entgegen der kontingenten Strategie der anderen Akteure, z.B. Kooperation, versucht, durch NichtKooperation seine Gewinne zu maximieren. 168 Unter Rückbezug auf die Erfassung des internationalen Beziehungsgeflechts als eines anarchischen Staatensystems kann Anarchie einen Hinweis auf die Abwesenheit einer übergeordneten Autorität geben, nicht jedoch das Fehlen einer internationalen Gemeinschaft anzeigen, da sich die Bildung internationaler Organisationen oder Regime aufzeigen läßt. AXELROD/ KEOHANE schreiben in diesem Zusammenhang: „To say that world politics is anarchic does not imply that it entirely lacks organization. Relationships among actors may be carefully structured in some issue-areas, even though they remain loose in others. Likewise, some issues may be closely linked through the operation of institutions while the boundaries of other issues, as well as the norms and principles to be followed, are subject to dispute.“ (1986:226) Thematisiert wird im Rahmen dieser Analyserichtung die Bedeutung internationaler Institutionen bzw. Regime. Soziale Akteure passen in diesem Rahmen ihr Verhalten den aktuellen und wahrgenommenen Präferenzen anderer sozialer Akteure an, was jedoch nicht mit Harmonie125 vergleichbar ist. Vielmehr wird in Anlehnung an das sog. Coase-Theorem126 gezeigt, daß internationale Regime Kooperation in der Form ermöglichen, daß durch gemeinsam vereinbarte Normen oder Prozeduren und deren Einhaltung sowie der Bestätigung der Einhaltung stabile Handlungserwartungen im zwischenstaatlichen Interaktionsprozeß entwickelt werden können. Darüber hinaus lassen sich auch Transaktionskosten in bezug auf die Aufrechterhaltung der Kommunikation senken, da ein festes Procedere zur Verfügung gestellt werden kann (vgl. KECK 1991:640). Rationalen Akteuren kann in diesem Kontext unterstellt werden, daß sie Institutionen als dauerhaft einrichten werden, auch wenn sich die Bedingungen, unter denen diese zunächst gegründet wurden, verändern (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:102). Anhand spiel- 125 Harmonie wird als vollständige Interessengleichheit definiert (vgl. AXELROD/ KEOHANE 1986:226) 126 Das Coase-Theorem (CAOSE, R.H.) besagt inhaltlich, daß in der Unterscheidung zwischen (a) kollektivem Besitz (für dessen Nutzung Regelungen festgelegt sind) und (b) frei verfügbaren Ressourcen (die durch fehlende Nutzungsregelungen einen ungehinderten Zugriff aller ermöglichen), gezeigt werden kann, daß Eigentums-rechte, wie sie in (b) angelegt sind und allen Beteiligten Schwierigkeiten in der Nutzung bereiten, in Eigentumsrechte, wie sie in (a) möglich sind, von den Beteiligten vorgezogen werden können, da im Fall der Regelung eine effiziente Allokation durchaus erreicht werden kann (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN 1994:240f.). 169 theoretischen Instrumentariums kann darüber hinaus ein Ausblick hinsichtlich der Begründung des „Wann“ und „Warum“ der Bildung von Institutionen gegeben werden (vgl. AXERROD/ KEOHANE 1986). Die aufgezeigte Untersuchungsperspektive läßt sich unter dem Begriff der „institutions matter“ zusammenfassen (vgl. KECK 1991:635). „Für die Theorie der internationalen Politik erbrachte diese Forschungsrichtung die zentrale Erkenntnis, daß in einer Gruppe von Akteuren auch ohne zentrale staatliche Autorität Kooperation entstehen kann, ohne daß man altruistische oder solidarische Normen voraussetzen muß.“(KECK 1991:639)127 Von Interesse ist weiterhin, die Faktoren, die die Realisierung von Kooperation behindern können, zu identifizieren und diese durch die Schaffung geeigneter institutioneller Regelungen zu nivellieren. Das heißt, daß davon ausgegangen wird, daß Ergebnisse politischer Interaktionsprozesse in Äbhängigkeit der sie umgebenden Strukturen zu betrachten sind (außenpolitische Unter- suchungsebene). Inhaltlich wird damit die Thematik der Handlungs-restriktionen ins Zentrum gestellt, die einen gewissen Widerstand in Bezug auf Handlungen individueller und kollektiver Akteure aufweisen und sich dabei Handlungsoptionen ergeben, die das Kräftefeld der gesellschaftlichen Akteure verändern (vgl. KECK 1991:637). Die Übertragung auf den Bereich der internationalen Politik erfolgt über den Begriff des Regimes, der in verschiedenen Politikfeldern die Regulierung der zwischenstaatlichen Interaktionen übernimmt. Insgesamt gesehen kann für die Erklärung des Entscheidungs- und Handlungsverhalten von sozialen Akteuren in struktur-individualistischen Ansätzen angegeben werden, daß anhand der Benennung der unterschiedlichen Ebenen von Entscheidungsträgern, d.h. individuellen oder kollektiven Akteuren, rationale Aspekte unterschiedlich gewertet werden. Bei der Untersuchung von Entscheidungen und Handlungen individueller Akteure wird deren Verhalten fokusiert und weiterhin die Betonung auf die 127 Die Einbeziehung von Normen ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Überlegung, daß der neue Institutionalismus eine Synthese aus Funktionalismus und Realismus darstellt (vgl. KECK 1991:635). 170 Interaktion mit anderen individuellen oder kollektiven Akteuren im Spannungsverhältnis einer durch Interessen und Restriktionen bestimmten Nutzenerwartung gelegt, wobei als Handlungsoptionen Konflikt oder Kooperation möglich sind. Kollektive Akteure stellen dabei das gesellschaftliche, politische oder ökonomische Umfeld des Individuums dar und werden „nicht per se, sondern nur in ihrer Wirkung auf das Individuum in die Untersuchung einbezogen. “ (HAFTENDORN in Rittberger 1990:405) Wird Entscheidungs- und Handlungsverhalten auf der innerstaatlichen oder internationalen Ebene analysiert, so geht das Individuum als Teil eines kollektiven Entscheidungsträgers in die Untersuchung ein, wobei der Staat und das internationale System als Rahmenbedingungen, die individuelles Verhalten beeinflussen, gewertet werden. Wichtig ist, jeweilige Verkürzungen im Rahmen der Erklärung auf einer Ebene durch Untersuchungsergebnisse, die auf einer anderen Ebene hergeleitet wurden, auszugleichen. Rationale Entscheidungen werden als Nutzenmaximierung und Kostenminimierung in der Entscheidungssituation erfaßt, was spieltheoretisch auf unterschiedliche Analysebereiche übertragen werden kann. Durch die Unterlegung eines Konzepts von Rationalität mit notwendigen Zusatzannahmen wird versucht, Fragen wie Zusammenarbeit, Nutzenverteilung und Konflikt in einem empirisch untermauerten Rahmen zu beantworten. Durch die Prämisse der SEU-Theorie wird dabei eine gesetzmäßige Handlungswahl und damit Voraussagbarkeit von Ergebnissen zu erreichen versucht. 171 5.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich der internationalen Beziehungen Die Kritikpunkte bzw. Grenzen hinsichtlich der Anwendung von Rational Choice-Theorien in den internationalen Beziehungen werden im folgenden Abschnitt differenziert nach der Bestimmung grundlegender Annahmen und der Ausprägung der einzelnen Themenstränge. Rational Choice-Ansätze basieren auf einem Instrumentarium der ökonomischen Theorie, das sich explizit im Modell des homo oeconomicus fassen läßt. Das Programm der Rational Choice entwickelt dabei die Erklärungsperspektive von der individuellen Ebene auf die Ebene kollektiver Sachverhalte. Dem Individuum als „the most natural unit of observation“ (COLEMAN in Alexander/Giesen/ Münch/Smelser 1987:153) werden dabei rationale Verhaltensweisen unterstellt. Hinsichtlich der Ziele bedeutet dies Konsistenz (formale Rationalität), in Bezug auf die zugeschriebenen Handlungen Konsequenzorientierung, d.h. die Entscheidung zur Durchsetzung von Präferenzen in Form von Interessen gegenüber erwartbaren Restriktionen und Entscheidung für die nutzenbefriedigendste Handlungsoption. Offen bleibt dabei die Angabe von Inhalten individueller Präferenzordnungen. Damit ist ein zentrales Problem der Rational ChoiceTheorie für die Erklärung sozialer Sachverhalte angesprochen, denn die Ermittlung der Interessen der Akteure kann nur auf dem Weg erfolgen, Interessen als ein Element der unabhängigen Variable mittels der Veränderungen der abhängigen Variable, d.h. des Verhaltens, zu erklären. Wie Interessen auch unabhängig von dem Verhalten der beteiligten Akteure, das erklärt werden soll, entstehen, kann aufgrund des Fehlens einer Theorie der Formierung von Interessen nicht beantwortet werden. Damit kann insgesamt gesehen keine umfassende Erklärung sozialer Sachverhalte durch Rational Choice-Modelle geliefert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:105). Offen bleibt auch die Frage nach dem Informationsniveau und der Fähigkeit der Informationsverarbeitung der Akteure. Meist wird von einer begrenzten, für die Situation ausreichenden Information des Akteurs ausgegangen, aber auch 172 vollkommen informierte Akteure werden als Basiseinheiten der Erklärung angenommen. Hier muß angegeben werden, welche Vorstellungen über Informationsniveau und Kapazitäten allgemeine Sätze über das typische Verhalten rationaler Akteure bilden sollen. Ein wesentlicher Bestandteil des Instrumentariums von Rational ChoiceTheorien ist die Spieltheorie, die, wie gezeigt, die strategischen Eigenschaften von rationalen Akteuren in sozialen Interaktionszusammenhängen analysiert. Im Bereich der Transformation von Mikrogeschehen auf die Makroebene sieht COLEMAN (1990) dabei die wesentliche Aufgabe der Theoriebildung im gegebenen disziplinären Rahmen. Dabei muß die Unterscheidung zwischen der Logik individueller Rationalität gegenüber kollektiver Rationalität getroffen werden. Die Logik kollektiver Entscheidung(en) wird im Rahmen der Social ChoiceTheorie behandelt. Hierbei wird für den Bereich der individuellen Akteure lediglich unterstellt, daß sie fähig sind, die gegebenen Alternativen im Entscheidungsprozeß nach Maßgabe persönlicher Präferenzen in eine vollständige und konsistente Rangordnung zu bringen (vgl. BOSSERT/ STEHLING 1990). Die Aufgabe der Theorie ist dann, die Regeln anzugeben, nach denen die Informationen individueller Präferenzen sowohl in eine rationale als auch ethisch akzeptable kollektive Auswahl übertragen werden. Das Aggregationsproblem, das hier auftritt, wird im Rahmen des OLSON-Dilemmas als Themenstrang der Ökonomischen Theorie der Politik bearbeitet. Der Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Rationalität kann anhand des auf ARROW zurückgehenden Analyseansatzes verdeutlicht werden. Die Problematik der Erklärung rührt dabei aus der Ausgangsüberlegung her, nach der nur ordinale und interpersonell nicht vergleichbare Informationen über individuelle Präferenzen als Grundlage der kollektiven Entscheidung zu gelten haben. Kann jedoch ein Vergleich der interpersonellen Nutzeninformation nicht durchgeführt werden, so kann auch keine Regel für die Bedingung kollektiv rationaler und ethisch akzeptabler Auswahl angegeben werden. Verteilungskonflikte sind auf die Weise nicht adäquat zu bearbeiten. Zudem ist 173 die Annäherung an die Social Choice-Theorie schwierig, da die axiomatische Methode teilweise auf rein mathematische Herleitungen abzielt. Die Konzeptualisierung von Staaten als einheitlichen Akteuren bildet einen weiteren wesentlichen Problembereich von Rational Choice-Konzeptionen, da eine so gelagerte Akteursbetrachtung sich dem Risiko aussetzt, innenpolitische Faktoren, die auf individuellen Entscheidungs- und Handlungsprozessen aufliegen und im internationalen Kontext von Bedeutung sein können, zu vernachlässigen. Durch die Synthese von Spieltheorie und funktionaler Theorie im Rahmen des neuen Institutionalismus wird auf diese Problematik insoweit eingegangen, als daß die Erklärung individuellen Handelns im Spannungsverhältnis zwischen Individuen und Strukturen erfolgt. Indem deutlich gemacht wird, wie eine Anzahl von Strategien, die den Akteuren zur Verfügung stehen, durch Strukturen und Institutionen begrenzt werden und sich dadurch das Entscheidungskalkül der Individuen verändert, kann der Bezug zwischen individuellem Akteur und kollektiver Entscheidung verdeutlicht werden. Im Rahmen des Themenstrangs des neuen Institutionalismus läßt sich in der Konzeptualisierung der Theorie wiederum die Schwäche der Unterbewertung von Verteilungskonflikten als Kritikpunkt angeben. Regime werden zwar als Möglichkeiten der Erlangung von Kooperation aufgeführt, die Zusammenhänge zwischen der Festlegung von Regeln, die einen Problembereich betreffen, und der Festlegung von Kontroll- und Sanktionsmechanismen bleiben jedoch offen. Wie die Dilemmasituation hinsichtlich der Motivation der sozialen Akteure in Bezug auf die Kostenabwälzung bei der Etablierung von Regimen überwunden wird, wird ebenfalls nicht bearbeitet. Problematisch ist weiterhin die Dichotomisierung von Verhaltensoptionen nach Kooperation und Selbsthilfe. Zwischen diesen beiden Polen bestehen eine Vielzahl von weiteren Verhaltensmöglichkeiten, die zwar als Interaktionsergebnisse nicht paretooptimal, d.h. kooperativ sein müssen, jedoch wünschenswerter als Selbsthilfe sind. Diese werden jedoch nicht thematisiert. Der Problembereich der Operationalisierung von Machtbeziehungen in internationalen Regimen bzw. Institutionen schließt sich an. Viele spieltheoretische Modelle gehen noch immer von symmetrischen Aus174 zahlungen aus, was problematisch im Hinblick auf die Annahme der Robustheit von Kooperation gegenüber Asymmetrien ist. Die Frage der Machtausübung in Regimen ist noch nicht beantwortet. Bezogen auf den Aspekt der Interessenformation sozialer Akteure kann in der Gegenüberstellung der Grundannahmen hinsichtlich der Verhaltensweisen im Rahmen des homo oeconomicus und des homo sociologicus darauf verwiesen werden, daß das Verhalten sozialer Akteure, d.h. auch das Verhalten von Staaten, möglicherweise nicht auf reiner Interessenverfolgung beruht, sondern auch Normbefolgung beinhaltet. Betrachtet werden kann in diesem Zusammenhang die Rolle jedes Staates im internationalen Staatensystem, was insbesondere auf die Anerkennung normativer Vorgaben, wie die der Souveränität oder der Einhaltung von Verträgen, abzielt. Gerechtigkeit oder Legitimation als nicht-rationale, auch nicht irrationale, Handlungsdeterminanten können dabei als bedeutende Einflußfaktoren bei der Institutionenbildung thematisiert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:106). Die Problemlösungskapazitäten von Rational Choice-Ansätzen werden anhand der bestehenden Problembereiche zu entwickeln versucht. Politische Interaktionen zwischen Staaten und Gesellschaften stehen dabei im Zentrum der Untersuchung. Vernachlässigt wird nicht, daß sich Interaktionen zwischen Menschen vollziehen. Handeln als Form menschlichen Verhaltens bildet die Grundlage politischer Forschung im vorgestellten theoretischen Rahmen. Politisches Handeln wird als ziel- und zweckbestimmtes Verhalten aufgefaßt. Weiterhin wird eine Unterscheidung zwischen utilitaritischer Verhaltensdetermination und Normorientierung vorgenommen, um auf diese Weise zu schlüssigen Erklärungsansätzen zu gelangen. Hier stehen Konkurrenz und Ausgleich im Zentrum der Analysen, womit auch der Grundbegriff des Interesses angesprochen ist. ZANGL/ZÜRN geben dazu an: „Die grundlegenden Kategorien, mit denen internationale Politik analysiert wird, sind seit langem Interesse, zielgerichtetes Handeln, einheitliche Akteure, Anarchie u.ä.m. Insofern stellen Rational Choice-Analysen keine Alternative zu etablierten Ansätzen dar, sie selbst sind Establishment.“(1994:107) 175 Schlußwort In dieser Arbeit wurden zwei unterschiedliche grundlagentheoretische Ansätze dargestellt und hinsichtlich ihrer beschreibenden und erklärenden Kapazitäten im Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen erörtert. Die Auswahl der theoretischen Konzeptionen erfolgte dabei in der Weise, daß im gewählten Objektbereich der Internationalen Beziehungen aufgezeigt werden konnte, wie ein makrosoziologischer Ansatz und ein Ansatz, der sich primär auf die Analyse mikrosoziologischer Phänomene, aus denen makrosoziologische Sachverhalte abgeleitet werden können, zu Erklärungen gelangen. Wesentlich war hierbei, deutlich zu machen, wie sich grundsätzlich die Definitionen von Erklärung in den vorgestellten theoretischen Konstrukten unterscheiden und darauf aufbauend unterschiedliche Theorieentwicklungen bedingen. Der makrosoziologische Ansatz Talcott Parsons‘ gründet sich dabei auf die systematische Darstellung sozialer Bedingungen, wobei zentral die Frage nach der Wirkung von Handlungen auf das gesellschaftliche System gestellt wird, d.h. Parsons erklärt das Explanandum mit dem Explanandum. Welche Ursachen, d.h. Interessen, letztlich hinter Handlungen stehen (das Explanans), kann Parsons nur im Rückgriff auf gesellschaftliche Bestandsanalysen herleiten. Die funktionale Erklärung kann folglich keine kausale Begründung des „Warum“ oder „Wozu“ einer individuellen Handlung liefern. Der struktur-individualistische Theorieansatz begründet sich hingegen auf der kausalen, insbesondere der rationalen Erklärung. Systematisierung und funktionale Aspekte dienen dabei lediglich als Hilfsfunktion. Die Erklärungsperspektive richtet sich somit nicht auf die gesamte Dimension gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern nur auf Teilbereiche, zumeist Prozesse. Die Erklärung erfolgt also mit Hilfe der Gesellschaft, nicht die Gesellschaft an sich wird erklärt. Von diesem Aspekt ausgehend ist es möglich, akteursspezifische Analysekonzepte, zu deren grundlegenden Kriterien neben der Handlungstheorie der rationalen Wahl auch die Annahme einer beschränkten Rationalität gehören (die es ermöglichen auch nicht-vernünftige 176 Handlungsweisen zu erklären) und die sich z.B. in spieltheoretischen Matrizen nieder-schlagen. Wesentliches Moment ist die Untersuchung von Präferenzen, d.h. Interessen von individuellen/sozialen Akteuren im Rahmen einer kontextabhängigen, d.h. auf Beschränkungen beruhenden, Mittel-auswahl. In der Erweiterung wird dann das Aggregationsproblem hinsichtlich der Erfassung gesellschaftlicher Sachverhalte diskutiert. Die Erforschung sozialer Phänomene richtet sich damit auf den „Verursacher“ derselben, d.h. einzelne Individuen oder Individuen in Kollektiven. Bei der Übertragung der vorgestellten theoretischen Konzeptionen auf den Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen stand insbesondere die Erfassung und Erklärung außenpolitischen Entschei-dens und Handelns im Mittelpunkt. Unter Berücksichtigung der Frage nach den Bedingungen einer friedlichen Beilegung von Konflikten im internationalen Rahmen, wobei Konflikte als widersprechende Interessen auf unterschiedlichen Ebenen der Auseinandersetzung aufgefaßt werden, wird der Begriff des Interesses zur zentralen Kategorie. Die Analyse von Interessen muß vor diesem Hintergrund wesentliches Anliegen theoretischer Konzeptionen sein. Die system- theoretische Modellierung sozialer Phänomene greift diesen Aspekt im Kontext eines normativ geprägten, sozial-konstruktivistisch angelegten Bezugsrahmens auf und formuliert damit im wesentlichen die Problemstellung und gibt eine Beschreibung des Ist-Zustandes des internationalen Systems. Da die Vorgehensweise dabei eine ahistorische ist, kann nicht auf die Genese von Konfliktsituationen eingegangen werden. Außerdem muß im Rahmen systemischer Analysen immer der Bezugspunkt des Systemerhalts fokusiert werden, so daß notwendiger gesellschaftlicher Wandel nicht erörterungsfähig ist. Soziale Unge-rechtigkeit in ihren vielfältigen Ausprägungen kann anhand der bestehenden systemtheoretischen Modelle nicht erfaßt und unter der Voraussetzung, daß Theorie die Grundlage einer anwendungsbezogenen Realwissenschaft ist, nicht zum Thema praktischer Politik werden. Unter Beachtung der zeitlichen und gesellschaftlichen Bedingungen der Entstehung des systemtheoretischen Programms soll schließlich noch angemerkt werden, daß das internationale Gefüge bis in die Nachkriegsära des 177 Zweiten Weltkriegs sehr homogen war. Eine theoretische Konzeption, die ganzheitlich angelegt ist, übernimmt hier auch sinnversichernde Funktionen, die dann allmählich durch die Veränderungen in den 60er Jahren auf nationalen und internationaler Ebene(n) ihre Gültigkeit verloren. Die Problematik der Erfassung sozialer Veränderungsprozesse läßt sich bereits an diesen kurzen Hinweis verdeutlichen: Die Systemtheorie als Forschungsprogramm konnte im Verlauf der sich verändernden weltpolitischen Situation ihrem Anspruch, eine allgemeine Theorie zur Erklärung sozialer Phänomene zu sein, nicht gerecht werden. Die statische Theoriekonstruktion und die auf den Systemerhalt konzipierte Hypothesenbildung waren nicht geeignet, die gesellschaftlichen Interessengegensätze sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene in der Weise zu erfassen, daß die systemtheoretische Modellbildung den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen und daraus ihre Rechtfertigung ableiten konnte. Für den struktur-individualistischen Ansatz ist in Kapitel 5 dieser Arbeit bereits die Problemstellung hinsichtlich der Erfassung von Verteilungsgerechtigkeit, als wesentlichem Kriterium für eine befriedigende Konfliktlösungsmöglichkeit in internationalen Zusammenhängen, im Rahmen der unterschiedlichen Themenstränge angeführt worden. Geht man davon aus, daß gerade die NichtPartizipation an ökonomischen Gütern zu den grundlegenden Konfliktpunkten auf weltpolitischer Ebene zähltt, muß im Rahmen eines im wesentlichen ökonomischen Erklärungsansatzes die Frage nach der moralischen Rechtfertigung von sozialer Handlung, von Tausch im weiteren Sinn, zu den normativen Implikationen zählen. Der Aspekt der ökonomischen Verteilungsprobleme wird im Rahmen des struktur-individualistischen Programms anhand der Idee einer reinen Verfahrensgerechtigkeit zur Behebung von Verteilungskonflikten diskutiert. Auch wenn Marktmechanismen als Regelungsfaktoren bejaht werden, kann jedoch keine Einigung hinsichtlich der beschränkenden Bedingungen bei Tauschaktionen erzielt werden. Die Frage nach der Gerechtigkeit der Verteilung, basierend auf Verfahrensregeln, muß sich jedoch auf die Erfassung von sozialen Kontextbedingungen richten. 178 Die weiteren Entwicklungen dieser thematischen Richtung sind mit Interesse zu verfolgen und werden wohl einen wesentlichen Beitrag zur strukturindividualistischen Theoriebildung und ihrer Anwendung auf den Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen leisten. 179 Literaturverzeichnis AG Bielefelder Soziologen (Hg.) (1981), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, 5. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Alemann v., U. (1995), Grundlagen der Politikwissenschaft. Ein Wegweiser, 2. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag. Alexander, J.C., Giesen, B., Münch, R. und Smelser, N.J. (eds.) (1987), The Micro-Macro-Link. 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