Allgemeine Arzthaftung I Vertragliche und deliktische Haftung Trotz vielfältiger Bemühungen um eine spezialgesetzliche Regelung der zivilrechtlichen Arzthaftung in einem sog. Patientenschutzgesetz hat auch die Schuldrechts modernisierung 2002 eine solche Regelung nicht geschaffen. Daher verbleibt es für die Arzthaftung bei den allgemeinen Haftungsgrundsätzen des Zivilrechts. Danach können Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag und aus dem Deliktsrecht unabhängig voneinander geltend gemacht werden. = Anspruchskonkurrenz Dabei knüpft die vertragliche Haftung an die im Behandlungsvertrag übernommene Aufgabe (Tätigwerden oder Erfolg), also an eine Vertragsverletzung, die deliktische Haftung an die mit der Übernahme der Behandlung übernommene Garantenstellung an. Allgemeine Arzthaftung II Trotz der Unterschiedlichkeit der Anspruchsgrundlagen (Vertrag = §§ 611ff, 635ff. BGB, Delikt = § 823 BGB) haben sich die Haftungsinhalte inzwischen so stark angenähert, daß die Unterschiedlichkeit der Haftungsgrundlage sich praktisch kaum mehr auswirkt, weil die Kernfragen der Haftung von der Rechtsprechung in beiden Teilen weitgehend identisch gelöst werden. Deshalb kann man heute sagen, daß die Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages deliktsrechtlich als Körperverletzung zu qualifizieren ist. Insbesondere stimmen in beiden Haftungsordnungen der einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab und die Kausalitätsanforderungen im wesentlichen überein und auch der Umfang des ersatzfähigen materiellen Schadens des Patienten wird gleichgestellt. = Strukturgleichheit beider Haftungsregime Allgemeine Arzthaftung III Weitere Gleichstellungen hat zudem die Schuldrechtsmodernisierung 2002 dahingehend gebracht, daß die unterschiedlichen vertraglichen Verjährungsvorschriften angeglichen und mit der Verjährung deliktischer Ansprüche gleichgestellt wurden, so daß jetzt die neue 3jährige Regelverjährung des § 195 BGB sowohl für alle vertraglichen Ansprüche wegen Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) als auch für die deliktischen Ansprüche gilt. Aufgehoben wurde ferner die Sonderstellung des Schadenersatzes bei immateriellen Schäden (§ 847 BGB a.F.), der nunmehr nicht mehr nur bei den deliktischen Ansprüchen, sondern einheitlich nach § 253 Abs. 2 BGB auch bei Vertragsverletzungen gewährt wird. § 253 Abs. 2 BGB hat damit einen übergreifenden und vom Haftungsgrund unabhängigen Schmerzensgeldanspruch geschaffen, der auf eine billige Entschädigung in Geld gerichtet ist. Allgemeine Arzthaftung IV Es verbleiben damit für die Doppelspurigkeit der vertraglichen und deliktischen Haftung im wesentlichen noch zwei Ansatzpunkte. • Dies betrifft zum einen die Frage des Einstehenmüssens für Hilfspersonen. Während im Rahmen des Behandlungsvertrages der Arzt für ein Verschulden all seiner Hilfspersonen ohne Entlastungsmöglichkeit nach § 276 BGB einzustehen hat, gewährt § 831 Abs. 2 BGB dem Arzt bei der deliktischen Haftung die Möglichkeit einer Enthaftung durch den Nachweis, die Hilfskräfte - ordnungsgemäß ausgesucht - ordnungsgemäß angewiesen - ordnungsgemäß unterrichtet - ordnungsgemäß überwacht zu haben. • Zum anderen betrifft dies die Privilegierung beamteter Ärzte im Rahmen der deliktischen Haftung, die hier ihre Zahlungspflichten kraft des sog. Verweisungsprivilegs in § 839 Abs. 1 BGB auf die Ausstellungskörperschaft abwälzen können, sofern ihnen keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Anspruchsvoraussetzungen der Arzthaftung – schematische Darstellung Vertragliche Haftung Deliktische Haftung Behandlungsfehler oder Sorgfaltspflichtverletzung (= Nebenpflichten) dadurch (= Kausalität) materieller oder/und immaterieller Schaden + Körperverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung Tatbestand dadurch (= Kausalität) materieller oder/und immaterieller Schaden + Pflichtwidrigkeit insb. ohne Einwilligung Rechtswidrigkeit + Verschulden § 276 BGB: mindestens fahrlässig fehlendes Eingreifen von Rechtfertigungsgründen insb. Einwilligung Notwehr / Nothilfe + Schuld Verschulden mindestens fahrlässig Vertragliche Pflichtverletzung I Im Mittelpunkt der Arzthaftungsprozesse steht daher im vertraglichen Bereich regelmäßig die Frage, ob eine vertragliche Pflichtverletzung des Arztes vorliegt, die ihn nach § 280 Abs. 1 BGB zum Schadenersatz verpflichtet. Insoweit werden Verletzungen der vertraglichen Hauptpflicht, also der eigentliche Behandlungsfehler den Nebenpflichtverletzungen, insbesondere also Aufklärungs- und Organisationsfehlern gleichgestellt. Als Behandlungsfehler im engeren Sinne, der früher mit dem juristisch unscharfen Begriff "Kunstfehler" bezeichnet wurde, versteht man - Diagnosefehler - Therapiefehler - Koordinierungsfehler - Übernahmeverschulden. Vertragliche Pflichtverletzung II • Diagnosefehler Unter einem Diagnosefehler versteht man das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung anhand der sie kennzeichnenden Symptome. Allerdings geht die Rechtsprechung hier wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus und der Vieldeutigkeit vieler Krankheitssymptome nur mit einer gewissen Zurückhaltung von einem Behandlungsfehler aus. Fehlinterpretationen der diagnostischen Befunde führen daher nur dann zur Vertragshaftung, wenn sie aus der Sicht eines gewissenhaften Arztes unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums und aus der ex-ante-Sicht als nicht vertretbar erscheinen. Dagegen ist grundsätzlich von einem (meist sogar groben) Behandlungsfehler auszugehen, wenn eine Befunderhebung unterlassen oder differentialdiagnostische Maßnahmen trotz entsprechender Symptome nicht ergriffen wurden. Dabei hat sich der Umfang der Diagnostik am Krankheitsbild zu orientieren. Grundsätzlich aber ist festzuhalten, daß mangelnde Diagnoseerhebung stets haftungsrechtlich relevant ist, während Fehlinterpretationen nur zurückhaltend zu Haftungsfolgen führen. Daher bleibt auch eine "Überdiagnostik" zum Schutz des Arztes haftungsrechtlich irrelevant. Vertragliche Pflichtverletzung III • Therapiefehler Unter einem Therapiefehler versteht man das Ausbleiben einer Behandlung, obwohl sie nach der (richtigen) Diagnose erforderlich war. Denn der Arzt hat die möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um einen nach dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und ärztlichen Erfahrungen drohenden gesundheitlichen Schaden von seinem Patienten abzuwenden. Grundsätzlich ist der Arzt insoweit in der Wahl der therapeutischen Methode frei. Insbesondere ist er nicht zur Anwendung des jeweils neuesten Therapiekonzepts und/oder der neuesten apparativen Ausstattung verpflichtet. Fehlerhaft handelt er erst, wenn er veraltete, überholte Methoden anwendet oder Apparate einsetzt, die methodisch oder technisch dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht mehr entsprechen. Unter verschiedenen Therapiemöglichkeiten, die nach der medizinischen Literatur als gleichwertig einzustufen sind, hat der Arzt grundsätzlich den sichersten Weg zu wählen. Die Anwendung von Außenseitermethoden oder eines (noch) nicht allgemein eingeführten und bewährten Maßstabes ist nur zulässig, wenn der Arzt über besondere Erfahrungen mit dieser Methode verfügt und alle bewährten etablierten Maßnahmen bereits erfolglos angewandt wurden. Vertragliche Pflichtverletzung IV • Koordinierungsfehler Zu den konkreten Pflichten jeder ärztlichen Behandlung gehört auch die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, wie etwa - regelmäßige Nachuntersuchungen - Information über Dosis, Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen eines verordneten Medikaments - Hinweise auf notwendige Umstellungen der Lebensweise (Diät, Sport usw.) zu informieren und die Einhaltung - soweit ärztlich möglich - zu überwachen. Es handelt sich damit um die fortwirkende Pflicht des Arztes, die Auswirkungen des Eingriffs so gering wie möglich zu halten. Diese Pflicht kann es dem Arzt auch gebieten, einen eigenen Fehler zu offenbaren und das Erforderliche zu tun, um die schädlichen Folgen eines Eingriffs zu verhindern, auszugleichen oder zu mindern. Vertragliche Pflichtverletzung V • Übernahmeverschulden Zahlreiche Behandlungsfehler gehen auf ein sog. Übernahmeverschulden infolge unzureichender Fachkenntnisse des behandelnden Arztes oder unzureichender sachlicher und räumlicher Ausstattung der Praxis oder des Krankenhauses zurück. Verletzt ist damit die Pflicht des Arztes, eine ärztliche Behandlung nur aufgrund hinreichender allgemeiner und spezieller Fachkenntnisse vorzunehmen und die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung erforderlichen technischen Hilfsmittel und Apparate vorzuhalten. Ein Behandlungsfehler aus Übernahmeverschulden liegt damit vor, wenn der Arzt vor der Durchführung der Behandlung bzw. des Eingriffs hätte erkennen müssen, daß die Behandlung die Grenzen seines Fachbereiches, seiner persönlichen Fähigkeiten oder der ihm zur Verfügung stehenden technisch-apparativen Ausstattung überschreitet. Bei Notfällen gelten hier andere Grundsätze, jedoch korrespondiert dann - insbesondere in Kliniken - die Pflicht zu rechtzeitigen Notfallvorkehrungen. Haftung aus Aufklärungsfehlern I Grundlagen der Aufklärungspflicht Die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten über Art, Ausmaß und Folgen einer Behandlungsmaßnahme hat ihre primäre Wurzel und Grundlage in dem ethischen Gebot "Salus et voluntas aegrotii suprema lex". Juristische Basis ist das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Teil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 1, 2 Abs. 1 GG. Hieraus folgt, daß der Arzt den Patienten nicht ohne dessen Einwilligung behandeln darf. Diese Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Eingriff ihrerseits ist aber nur wirksam, wenn er weiß, worin er einwilligt, = informed consent. Deshalb stellt sich jeder Eingriff in die körperliche oder gesundheitliche Integrität des Patienten auch bei behandlungsfehlerfreier Vornahme der Maßnahme als rechtswidrige Körperverletzung dar, wenn und soweit er sich nicht im konkreten Fall durch eine wirksame Einwilligung des Patienten als gerechtfertigt erweist. Aus Achtung vor seiner personalen Würde hat der Patient einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, auch in der medizinischen Betreuung nicht Objekt, sondern eigenverantwortliches Subjekt der Behandlung zu bleiben. Deshalb bleibt es auch bei ärztlich noch so sinnvollen Maßnahmen stets dem Patienten überlassen, ob er sich für sie entscheidet und diesen zustimmt. Dies schließt auch die Freiheit zu absolut unvernünftigen Entscheidungen selbst dann ein, wenn der Tod des Patienten Folge dieser Unvernunft ist. Deshalb beruht die Legitimation des Arztes zur Behandlung des Patienten stets auf zwei Pfeilern, der medizinischen Indikation und der Einwilligung. Haftung aus Aufklärungsfehlern II Normative Grundlage der Haftung Die unterlassene, unvollständige oder inhaltlich falsche Aufklärung ist ein selbständiger, vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers unabhängiger Haftungsgrund. Während man vor der Schuldrechtsmodernisierung von einer auf der Nebenpflichtverletzung beruhenden Haftung aus pVV ausging, wird die Haftungsgrundlage heute in der allgemeinen Norm des § 280 Abs. 1 BGB wegen Pflichtverletzung festgeschrieben. Zugleich liegt in dieser Pflichtverletzung eine Körperverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB begründet, wobei dem Aufklärungsverantwortlichen aus Vertrag und Delikt jeweils identische Aufklärungspflichten obliegen. Bei der heutigen Handhabung der Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen besteht die Gefahr, daß die Rechtsprechung die fehlende Nachweisung des vermuteten Behandlungsfehlers durch eine Ausuferung der Haftung für Aufklärungsfehler substituiert. Haftung aus Aufklärungsfehlern III Inhalt der Aufklärungspflicht Die ärztliche Aufklärung soll es dem Patienten ermöglichen, Art und Schweregrad der in Betracht stehenden Behandlung, deren Ablauf samt den Belastungen und Risiken, denen er sich damit aussetzt, sowie die Folgen der Maßnahme zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den Grundzügen zu verstehen, um so zu einer informierten Risikoabwägung in der Lage zu sein. Umfang und Intensität der im jeweiligen Einzelfall geschuldeten Aufklärung lassen sich nicht abstrakt festlegen, sondern sie ist an der jeweiligen konkreten Sachlage, vor allem an der speziellen beruflichen und privaten Lebensführung des Patienten auszurichten. = sog. patientenbezogene Aufklärung Diese gebotene Grundaufklärung muß dem Patienten wegen der darauf fußenden Einwilligung grundsätzlich vor allen Behandlungsmaßnahmen (Narkose, Injektion, OP, Medikation, Bestrahlung usw.) zugekommen sein. Die Einwilligung in die Behandlung und demzufolge die notwendig vorausgehende Aufklärung muß für und durch die einzelnen an der Behandlung beteiligten Ärzte getrennt erfolgen, soweit diese selbständige Behandlungsschritte vornehmen (z.B.: Chirurg, Anästhesist). Haftung aus Aufklärungsfehlern IIIa Aufklärungsmodalitäten I. Zeitpunkt Die Aufklärung des Patienten hat grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, daß dieser durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise ausüben kann. Dies bedeutet, daß eine Aufklärung erst am Vorabend der Operation - wie verbreitet üblich - je nach den Vorkenntnissen des Patienten in der Regel zu spät ist. Bei schwierigeren oder risikoreichen Eingriffen hat das Aufklärungsgespräch unabhängig davon, ob es sich um eine stationäre oder ambulate Behandlung handelt, bereits in derjenigen Sprechstunde mit dem Patienten zu erfolgen, in der der spätere Eingriff verabredet und der Termin hierfür festgelegt wird. Da die Einwilligung des Patienten im Zeitpunkt der Operation noch andauern muß und zwischen der Aufklärung und dem Eingriff ein gewisses Maß an zeitlicher Nähe vorausgesetzt wird, kann unter Umständen eine "Doppelaufklärung" angebracht sein. Bei Operationserweiterungen muß danach differenziert werden, ob diese bereits vor dem Eingriff vorhersehbar waren. In diesem Fall muß schon vor dem Eingriff über die Risiken einer möglichen Erweiterung aufgeklärt werden. Zeigt sich überraschend erst während der Operation, daß eine Erweiterung vorzunehmen ist, muß die Operation - falls dies möglich und vertretbar ist - abgebrochen und der Patient nach Abklingen der Narkosewirkungen aufgeklärt werden. Ist die Nichtbehandlung oder der Abbruch des Eingriffs medizinisch unvertretbar oder liegt eine absolute Indikation vor, kann der Arzt von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten zur Fortsetzung des Eingriffs ausgehen, wenn angenommen werden kann, daß ein verständiger Patient dem Eingriff oder dessen medizinisch bedingter Fortsetzung zustimmen würde. Bei Notoperationen kann ein Aufklärungsgespräch naturgemäß nicht bzw. nur kurzfristig vor dem Eingriff durchgeführt werden. Auch insoweit ist regelmäßig von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten zur Vornahme vital indizierter Notoperationen auszugehen. II. Form Formvorschriften, wie die Aufklärung des Patienten zu erfolgen hat, gibt es nicht. Die Einwilligung braucht nicht förmlich erteilt zu werden. Wenn die Einwilligung in der Praxis üblicherweise schriftlich eingeholt wird, dient dies ausschließlich Beweiszwecken. Allerdings reicht eine rein formularmäßig schriftliche Aufklärung durch sog. Aufklärungsbögen allein nicht aus, selbst wenn auf Nachfrage ein Arztgespräch in dem Aufklärungsblatt angeboten wird. Vom Patienten unterzeichnete Formulare können das Aufklärungsgespräch daher nicht ersetzen. Lediglich bei Routinemaßnahmen, deren Risiken in der Patientenschaft seit langem bekannt sind, kann sich der Arzt ausnahmsweise auf die Aushändigung eines Merkbaltts beschränken, wenn er sich vergewissert, daß sein Patient das Merkblatt gelesen hat. Wichtig ist eine genaue Dokumentation von Aufklärung und Einwilligung, insbesondere wenn der Patient auf die Durchführung der Aufklärung verzichtet. III. Sprache Bei der Behandlung ausländischer Patienten muß der Arzt eine sprachkundige Person hinzuziehen, wenn zu befürchten ist, daß der Patient die ärztlichen Erläuterungen nicht bzw. nicht richtig versteht. Es muß gesichert sein, daß die Gefahr von Mißverständnissen ausgeschlossen ist. IV. Person des Aufklärenden Im Unterschied zum strengen "Ob" der Behandlungsaufklärung räumt der BGH für ihr "Wie" ein zunehmend breites Ermessen ein. Sicher ist, daß der Arzt aufklären muß, nicht eine Krankenschwester oder ein Mitglied der Krankenhausverwaltung. Indessen brauchen der die Operation durchführende und der aufklärende Arzt nicht identisch zu sein. Der Umstand, daß der Operateur die Aufklärung nicht selbst durchführt, sondern an einen Assistenzarzt oder Arzt im Praktikum delegiert, machen diese nicht unwirksam. V. Aufklärungsempfänger Notwendigerweise muß die ärztliche Aufklärung grundsätzlich gegenüber dem Patienten erfolgen. Wird dieser jedoch betreut oder ist er noch nicht volljährig, erfolgt die Aufklärung zunächst gegenüber dem Betreuer bzw. den Eltern. Insoweit kann der Arzt im allgemeinen davon ausgehen, daß der mit dem Kind erscheinende Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mitzuerteilen. Verweigern die Eltern, etwa aus religiösen Gründen (z.B. Zeugen Jehovas) ihre Einwilligung zu einer medizinisch indizierten Maßnahme (z.B. Bluttransfusion) ihres minderjährigen Kindes, ist die vormundschaftliche Genehmigung einzuholen (§§ 1628, 1666 BGB). Unabhängig davon sollte ab einer gewissen Verständnisreife auch ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten selbst geführt werden. Ist ein bewußtloser oder ein urteilsunfähiger Patient betroffen oder kann der Patient aus humanitären Gründen nicht voll aufgeklärt werden, darf die Behandlung nach allerdings sehr umstrittener Auffassung u.U. ohne Aufklärung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung vorgenommen werden. Zur Ermittlung dieses Willens sind dem Patienten nahe stehende Personen, vor allem Angehörige zu befragen. Haftung aus Aufklärungsfehlern IV Unterteilung der Aufklärungspflicht Diese ärztlicherseits geschuldete Aufklärung wird in die - Diagnoseaufklärung Therapieaufklärung (= Behandlungsaufklärung) Verlaufserklärung Risikoaufklärung Aufklärung über wirtschaftliche Aspekte der Behandlung unterteilt. Haftung aus Aufklärungsfehlern V Diagnoseaufklärung Unter der Diagnoseaufklärung versteht man die Information des Patienten über den medizinischen Befund, soweit dieser für die Entscheidung über den weiteren Behandlungsablauf von Bedeutung ist. Beim sog. reinen Diagnosevertrag (= second opinion oder Zweitbefund) ist die Diagnoseaufklärung Hauptpflicht dieses atypischen Vertrages. Beruht die Diagnose auf einer ungesicherten Befundgrundlage und stellt sich als sog. Verdachtsdiagnose dar, muß der Arzt diese nur offenbaren, wenn der Patient ausdrücklich nach der Diagnose fragt. Trotz ausdrücklicher Befragung darf der Arzt ausnahmsweise die Diagnose verschweigen oder "geschönt" darstellen, wenn er davon ausgeht, daß der Patient eine wahre Diagnoseaufklärung nicht verkraften, sondern diese ihm nur den notwendigen Lebenswillen rauben und damit nicht nur die weitere Behandlung, sondern zugleich das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernsthaft gefährden würde. Man bezeichnet dies als das sog. therapeutische Privileg des behandelnden Arztes. Haftung aus Aufklärungsfehlern VI Therapie- oder Behandlungsaufklärung Bei der Therapie- oder Behandlungsaufklärung hat der Arzt den Patienten zunächst grundsätzlich über den ins Auge gefaßten Eingriff bzw. die angedachte Behandlung zu informieren. Hierzu gehört die Erläuterung der Art der konkreten Behandlung (konservative Methode, OP, Bestrahlung) samt Erläuterung der Tragweite des Eingriffs (Funktionsbeeinträchtigung von Organen, Dauer, Schmerzen, Belastungen für die künftige Lebensführung usw.) und sonstige Einzelheiten des Eingriffs oder der Behandlung, die für das Verständnis des Patienten erforderlich sind. Grundsätzlich gehört hierzu auch die Aufklärung über Behandlungsalternativen, sofern gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Risiken oder Erfolgschancen eine Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen. Insoweit sind auch alternativ-medizinische Maßnahmen jedenfalls ergänzend in die Aufklärung mit einzubeziehen. Eine gesteigerte Information schuldet der Arzt über die Folgen einer Nichtbehandlung, da diese eine "alternative Behandlungsmethode" darstellt. Dies gilt insbesondere, wenn der Arzt sich einer medizinisch unbegründeten Weigerung des Patienten (= Nichteinwilligung in die vorgeschlagene Behandlung) ausgesetzt sieht. Haftung aus Aufklärungsfehlern VII Verlaufsaufklärung Unter der Verlaufsaufklärung, die auch als Ergebnisaufklärung bezeichnet wird, versteht man die Information des Patienten über die voraussichtlichen (z.B. amputierte Gliedmaßen) oder auch nur möglichen Folgen (z.B. Dauerschmerzen, Belastungen für die künftige Lebensführung) der Behandlung sowie über den voraussichtlichen Verlauf der Erkrankung ohne Behandlung. Werden bei der Behandlung/dem Eingriff Gewebematerialien entnommen, so muß die Aufklärung auch den weiteren Umgang mit diesen Materialien umfassen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arzt/die Klinik diese Gewebematerialien aufbewahren oder weitere Forschungen und Untersuchungen damit veranstalten will. Fehlt hierzu die notwendige Einwilligung, haben derartige Maßnahmen zu unterbleiben. Wird der Patient über den weiteren Umgang mit den Gewebematerialien gar nicht aufgeklärt, so kann dieser davon ausgehen, daß diese Materialien in der vorgeschriebenen Weise hygienisch einwandfrei entsorgt werden. Jeder andere Umgang mit derartigen Materialien bedarf der Einwilligung des Patienten und damit der notwendigen vorausgehenden Aufklärung über die beabsichtigte weitere Verwendung. Haftung aus Aufklärungsfehlern VIII Risikoaufklärung Den vorläufigen Abschluß der Aufklärungsproblematik bildet die sog. Risikoaufklärung. Sie soll es dem Patienten ermöglichen, mit darüber zu entscheiden, auf welche Behandlung er sich einläßt und welchen Risiken er sich dabei aussetzt. Die Risikoaufklärung vermittelt dem Patienten Informationen über die bei fehlerfreiem medizinischen Vorgehen für den Patienten bestehenden, möglichen und nicht sicher beherrschbaren Eingriffskomplikationen und Gefahren im Zusammenhang mit der Behandlung und nicht sicher vermeidbaren Folgeschäden. Die Risikoaufklärung ist als "vertrauensbildende Maßnahme" zu verstehen, um Entscheidungsprozeß zu stellen. den Patienten verantwortungsbewußt in den Ausreichend ist eine Aufklärung über die "Stoßrichtung" der Risiken auf die Lebensführung des Patienten, mithin eine verständliche Vermittlung eines allgemeinen Bildes von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums. Hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden und aufklärungsnotwendigen Risiken ist in erster Linie auf das Risiko abzustellen, das dem Eingriff typischerweise oder auch nur mittelbar anhaftet sowie die Schwere der Schadensfolge für die weitere Lebensführung des Patienten im Fall einer Risikoverwirklichung. Haftung aus Aufklärungsfehlern IX Entscheidend für den Umfang der Risikoaufklärung ist der Stand der ärztlichen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung. Wenn der Arzt insoweit nicht mit Gefahren zu rechnen hat, entfällt die Informationspflicht. Ist allerdings in der medizinischen Wissenschaft ein Risiko bekannt, selbst wenn dessen Komplikationsrate weniger als 1% beträgt oder sich im Promillebereich bewegt, hat der Arzt darüber aufzuklären, wenn es im Fall einer Verwirklichung das Leben des Patienten schwer belastet und trotz der Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien jedoch überraschend ist. Nicht aufklärungspflichtig sind eingriffsspezifische Risiken, die so außergewöhnlich und nicht vorhersehbar sind, daß sie für den Entschluß des Patienten, ob er in den Eingriff einwilligt, keine Bedeutung haben. Haftung aus Aufklärungsfehlern X Wirtschaftliche Aufklärung Bei bestimmten Fallkonstellationen erstreckt sich die ärztliche Aufklärungspflicht auch auf wirtschaftliche Gesichtspunkte. So muß der Arzt den Patienten darauf hinweisen, daß die Krankenkasse die gewünschte oder von ihm vorgesehene Behandlung möglicherweise nicht bezahlen wird. Auch der Arzt, der dem Patienten zu einer stationären Behandlung rät, obwohl diese auch ambulant durchgeführt werden könnte, hat den Patienten darüber aufzuklären, daß die private Krankenversicherung die durch die stationäre Aufnahme bedingten Mehrkosten voraussichtlich nicht erstatten wird. Bietet der Arzt einem Krebspatienten im letzten Stadium der Krankheit eine Dauertherapie an, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen ist, muß er auf das Kostenrisiko unmißverständlich aufmerksam machen. Bei unterbliebener Aufklärung kann der Patient im Wege des Schadenersatzes ansonsten die Freistellung von den Kosten verlangen. Kausalität Zu einer Haftung des Arztes kommt es nur, wenn die sorgfaltswidrige Behandlung/Körperverletzung oder die fehlerhafte Aufklärung für den eingetretenen Schaden ursächlich war. Eine solche haftungsbegründende ursächliche Verknüpfung zwischen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler und Primärschädigung liegt vor, wenn der primäre Schaden auf die festgestellte Fehlbehandlung bzw. die nicht ordnungsgemäße Aufklärung zurückzuführen ist und wenn die nach dem medizinischen Soll-Standard richtige Behandlung den Eintritt des Primärschadens verhindert bzw. der Patient bei richtiger Aufklärung die Behandlungszustimmung nicht erteilt hätte. Für diese Ursächlichkeit werden verschiedene Kausalitätstheorien vertreten. Nach der vor Inkrafttreten des BGB (vor 1900) maßgeblichen sog. Bedingungstheorie galten alle Ursachenzusammenhänge als kausal, die nicht hinweggedacht werden konnten, ohne daß der schädigende Erfolg entfiel, = sog. Äquivalenztheorie (conditio sine qua non). Da diese Theorie jedoch keine haftungsbegrenzende Wirkung zeigt, wurde sie im Zivilrecht im wesentlichen durch die sog. Adäquanztheorie abgelöst. Danach ist jede Handlung kausal für den schädigenden Erfolg, die bei objektiver nachträglicher Betrachtung im allgemeinen und nicht nur unter besonders unwahrscheinlichen Umständen geeignet gewesen ist, den (Schadens-)Erfolg herbeizuführen. Außergewöhnliche Verläufe scheiden danach für einen solchen adäquaten Ursachenzusammenhang aus. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein Behandlungs- bzw. Aufklärungsfehler die ausschließliche oder alleinige Ursache einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ist. Auch eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als "Auslöser" neben erheblichen anderen Umständen steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich. Vorschäden gehen üblicherweise zu Lasten des Schädigers. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann Beispiel: nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. Lediglich eine strafrechtliche Verurteilung kann auf einen so weiten Kausalitätsbegriff nicht gestützt werden. Hier wird vielmehr eine objektive Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Tatbild des Täters erfordert, alle Abweichungen sind beachtlich. Beispiel 1: Täter stößt gefesseltes Opfer von einer Brücke, damit dieses ertrinkt. Zufällt prallt das Opfer aber auf ein vorbeifahrendes Schiff und bricht sich das Genick. = versuchter Mord in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge Beispiel 2: Täter "erdrosselt" Opfer, hält dieses für tot und wirft es in die Güllegrube. In Wahrheit war Opfer nur bewußtlos und erstickt in der Grube. = versuchter Mord in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge Beweis und Beweislast I I. Grundlagen Wie in kaum einer anderen Materie spielt im Arzthaftungsprozeß die Frage der Beweislastverteilung eine typischerweise verfahrensentscheidende Rolle. Denn aufgrund der spezifischen Situation bei der Behandlung, die den nicht voll beherrschbaren menschlichen Organismus zum Gegenstand hat und die besondere Lage des Patienten als Laie in medizinischen Fragen, bilden das Spannungsfeld, das durch eine ausgewogene Beweislastverteilung ausgeglichen werden muß. Einerseits darf dem Arzt keine Erfolgseinstandspflicht für eine Behandlung auferlegt werden, andererseits müssen dem Patienten praktikable Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, damit er sich gegen ärztliche Nachlässigkeit vor, bei und nach der Behandlung sowie ärztliche Großzügigkeit im Umgang mit dem auch vom Arzt zu respektierenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerichtlich zur Wehr setzen kann, ohne an einer für ihn von vornherein nahezu aussichtslosen Beweissituation scheitern zu müssen. Das verfassungsrechtliche Prinzip eines fairen, auf Waffen- und Chancengleichheit bedachten Verfahrens hat deshalb im Arzthaftungsrecht zur Ausprägung besonderer Grundsätze und Modifizierungen für das Beweislastverfahren geführt, die dem typischen Informationsgefälle, der erheblichen Gefahrneigung ärztlicher Tätigkeit und der typischen Beweis- und Interessenlage durch eine differenzierte, ausgleichende Anwendung der Regeln des Beweisrechts - insbesondere nach der Beweisführung gemäß §§ 292ff., 296ff. ZPO - Rechnung tragen. Beweis und Beweislast II II. Beweislast allgemein Grundsätzlich trägt im deutsches Zivilrecht der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für alle klagebegründenden tatsächlichen Voraussetzungen. Dies bedeutet im Arzthaftungsrecht, daß der Schadenersatz einklagende geschädigte Patient die ärztliche Fehlbehandlung und/oder Aufklärungspflichtverletzung vorbringen und beweisen muß. Gelingt dies nicht, so bleibt er beweisfällig und die Klage wird abgewiesen. Trägt der Kläger entsprechende Tatsachen vor, die aber von der Gegenseite (Arzt/Klinik) so widerlegt werden, daß der entscheidende Richter nicht eines der Vorbringen für überwiegend wahrscheinlich hält (Regelfall: Gutachten und Gegengutachten), spricht man von einem non liquet. Auch hier würde die Klage an sich mangels Nachweises der Tatsachen, nunmehr aus Beweislastgründen abgewiesen. Die oben benannten Besonderheiten führen aber dazu, daß im Arzthaftungsprozeß regelmäßig geringere Anforderungen an die Substantiierungsund Beweisführungspflichten des Patienten zu stellen sind, während eine verstärkte Pflicht des Gerichts besteht, von Amts wegen darauf hinzuwirken, daß die Beweisaufnahme auf die medizinisch wesentlichen Umstände ausgerichtet wird und die vorhandenen (weiteren) Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. So mag im Einzelfall der Vortrag konkreter Verdachtsmomente schon genügen; medizinische Einzelheiten sind nicht zu erwarten. Zwar obliegt auch im Arzthaftungsprozeß grundsätzlich dem Patienten die Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtverletzung des Arztes, das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, den Eintritt eines Körper- oder Gesundheitsschadens, die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Körper- oder Gesundheitsschaden und den Sachverhalt, aus dem sich ein Behandlungsverschulden begründet. Den Beweis für einen Behandlungsfehler führt der Patient durch den Nachweis einer Abweichung der Behandlung vom medizinischen Standard. Sache des Arztes ist es dann, ausreichende Befundtatsachen darzulegen (und ggf. zu beweisen), die eine Abweichung vom standardgemäßen Vorgehen gestatten. Das gilt sowohl für Ansprüche aus Delikt als auch für Ansprüche aus Vertrag. Insoweit ist streitig, ob die durch die Schuldrechtsmodernisierung mit § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB eingeführte Verschuldensvermutung bei nachgewiesener Vertragsverletzung bei einem festgestellten ärztlichen Fehlverhalten nicht zu einer Umkehr der Beweislast für die Kausalität führen muß. Beweis und Beweislast III III. Besonderheiten bei Aufklärungspflichtverletzungen Beruft sich der Patient auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht seitens des Arztes, trägt der Arzt die Beweislast dafür, daß er seiner Aufklärungspflicht genügt und deshalb der Patient aufgrund vollständiger und richtiger Selbstbestimmungsaufklärung der Behandlung zugestimmt hat. Dem Arzt obliegt deshalb der Beweis sämtlicher Tatsachen, aus denen sich eine wirksame Einwilligung ergibt. Die Behandlungsseite trägt u.a. die Beweislast für die erfolgte Grundaufklärung zumindest "im Großen und Ganzen", die Rechtzeitigkeit der Aufklärung, das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten in eine zuvor nicht besprochene Operationserweiterung bzw. daß eine echte, ernsthafte Behandlungsalternative, über die nicht aufgeklärt worden ist, bei ihrer Anwendung zu demselben Schaden geführt hätte. Beweis und Beweislast IV IV. Beweiserleichterungen bei groben Behandlungsfehlern Beweiserleichterungen treffen den Patienten insbesondere bei Vorliegen eines sog. groben Behandlungsfehlers. Eine begrifflich scharfe Definition, wann ein Behandlungsfehler "grob" ist, existiert nicht. Ob ein Fehler als "grob" einzustufen ist, obliegt vielmehr ausschließlich tatrichterlicher Bewertung und hat zur Folge, daß heute vielfach zugunsten des Patienten regelmäßig eine Beweislastumkehr schon dann eingreift, wenn überhaupt ein ärztlicher Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann. Richtigerweise ist von einem "groben" Behandlungsfehler dann auszugehen, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, welches aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Betroffen sind Verstöße gegen eindeutig gesicherte medizinische Kenntnisse und bewährte ärztliche Behandlungsregeln und Erfahrungen. Auch eine Häufung mehrerer, jeweils für sich nicht grober Behandlungsfehler kann die Behandlung im Rahmen der dann anzustellenden "Gesamtbetrachtung" als grob fehlerhaft erscheinen lassen. Ist ein grober Behandlungsfehler festgestellt, wird das gesamte klägerische Vorbringen des Patienten als richtig unterstellt und es tritt die Arztseite nunmehr die Pflicht zum vollen Gegenbeweis. Beweis und Beweislast V V. Dokumentationsmangel Grundsätzlich dienst die Pflicht zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung und bezweckt, Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf einer Krankheit und die bisherige Behandlung zu informieren. Insbesondere dokumentationspflichtig sind danach: Diagnoseuntersuchungen, Funktionsbefunde, Medikation, ärztliche Hinweise und Anweisungen in Bezug auf die Funktions- und Behandlungspflege, Maßnahmen der Intensivpflege, Abweichungen von der Standardbehandlung, Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Zwischenfälle, Wechsel des Operateurs in der Operation, Maßnahmen zur Überwachung eines in der Weiterbildung befindlichen Arztes, Verlassen des Krankenhauses gegen ärztlichen Rat, Patientenaufklärung etc. Bei standardisierten Routineeingriffen genügt die Angabe eines Kurzbegriffs. Details sind nur anzugeben, um Unklarheiten oder Verwechslungen für den Fachmann auszuschließen. Im Zusammenhang mit der Dokumentationspflicht verpflichtet die Rechtsprechung den Arzt auch dazu, die erhobenen Befunde zu sichern (Befundsicherungspflicht). Dementsprechend gehört es zu den Organisationsaufgaben der Behandlungsseite (Arzt, Krankenhausträger) sicherzustellen, daß Unterlagen, die Auskunft über das Behandlungsgeschehen geben, jederzeit aufgefunden werden können. Behandlungsunterlagen (Röntgenaufnahmen, Untersuchungsbescheinigungen, Aufzeichnungen über Befunde etc.) müssen aufbewahrt werden. Dokumentationsversäumnisse begründen grundsätzlich keine eigenständige Haftung. Führen sie zu Irrtümern im weiteren Behandlungsverlauf, zu Belastungen mit unnötigen doppelten Befunderhebungen, zur kontraindizierten Kombination von Medikamenten usw., lösen sie ggf. eine Haftung wegen Behandlungsfehler aus. Zugunsten des Patienten kommen insoweit jedoch Beweiserleichterungen in Betracht, wenn eine aus medizinischen - nicht aus juristischen - Gründen erforderliche ärztliche Dokumentation der wesentlichen medizinischen Fakten lückenhaft bzw. unzulänglich ist und deshalb für den Patienten im Falle einer Schädigung die Aufklärung des Sachverhalts unzumutbar erschwert wird. Die Beweiserleichterung der Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht besteht in der darin begründeten Vermutung, daß eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen wurde bzw. sich ein nicht dokumentierter, aber dokumentationspflichtiger wesentlicher Umstand so ereignet hat, wie ihn der Patient glaubhaft schildert. Organisationsmängel im Krankenhaus I I. Allgemeine Grundsätze Die Rechtsprechung stellt an die Pflicht des Krankenhausträgers, den Krankenhausbetrieb so zu organisieren, daß jede vermeidbare Gefährdung des Patienten ausgeschlossen ist, hohe Anforderungen. Hinzu kommt, daß Qualitätsmängel in der Organisation haftungsrechtlich als Behandlungsfehler zu qualifizieren sind. Insoweit nimmt die Rechtsprechung keine Rücksicht darauf, daß personelle oder sachliche Engpässe bisweilen eine ordnungsgemäße Organisation verhindern, noch, daß fehlende Ausbildung und Erfahrung Fehler produzieren oder auch dem geschultesten Kodierverantwortlichen Fehler bei der Auswahl der ICD-Schlüssel in Anwendung des neuen DRG-Entgeltsystems unterlaufen können. Insbesondere obliegt es dem Krankenhausträger, die Betriebssicherheit der medizinischtechnischen Einrichtungen zu gewährleisten. Dazu gehört, daß er z.B. die Einhaltung der Vorschriften des Medizinproduktegesetzes (MPG), des Gerätesicherheitsgesetzes (GSG), der Medizingeräteverordnung, der Unfallverhütungsvorschriften (UVV), der sonstigen gesetzlichen Gefahrenschutzvorschriften (z.B. Brandschutz) zu überwachen hat. Der Krankenhausträger muß weiter den Arzneimitteleinsatz sachgerecht organisieren. Alle erforderlichen Arzneimittel müssen in ausreichender Zahl vorhanden sein. Es kann ein Organisationsverschulden des Krankhausträgers darin liegen, daß ein Medikament mit erheblich niedrigeren Risiken für den Patienten nicht rechtzeitig vor der Operation zur Verfügung steht. Organisationsmängel im Krankenhaus II II. Organisation des ärztlichen und nichtärztlichen Dienstes Die Organisationsaufgaben des Krankenhausträgers für den ärztlichen und nichtärztlichen Dienst sind gekennzeichnet durch die Vorgaben: medizinischer Standard, Arbeitsteilung und Zusammenarbeit. Hinsichtlich des einzuhaltenden medizinischen Standards ist der ärztliche Dienst durch den Krankenhausträger so zu organisieren, daß die Behandlung des Patienten den Anforderungen des sog. Facharztstandards genügt. Der Krankenhausträger, der eine Überwachung von Behandlungsmaßnahmen einer Ärztin ohne abgeschlossene Facharztausbildung nicht gewährleistet, begeht einen Organisationsfehler. Der medizinische Standard bei der Behandlung durch das Pflegepersonal ergibt sich insbesondere aus den Stellungnahmen und Richtlinien der Fachgesellschaften und der Berufsverbände. Das hierarchische Prinzip trägt der vertikalen Arbeitsteilung im Krankenhaus in der Rangfolge vom Ärztlichen Direktor und Chefarzt über den Oberarzt zu den Assistenten bis zum nichtärztlichen Personal Rechnung. Hier ist die Wertung des § 831 BGB vorgegeben, nach der Gefahrenabwendung Sache nicht nur des Gehilfen, sondern auch des die Behandlungsaufgabe übernehmenden Krankenhausträgers und des behandlungsführenden Chefarztes ist. Allerdings haftet der behandelnde Arzt nur bis zu dem Punkt, an dem die Betreuung des Patienten ohne Experten-Defizite für diesen an eine andere, nichtärztliche Stelle überlassen werden kann: Der Oberin für den Pflegedienst, dem technischen Ingenieur für die Geräteverantwortung. Auch in der horizontalen Arbeitsteilung gilt der Vertrauensgrundsatz. Einem in der Facharztausbildung befindlichen Arzt fällt kein Verschulden zur Last, wenn er der fachlichen Anordnung eines ihm übergeordneten und ihm gegenüber weisungsbefugten Arztes folgt und es sich bei der Anweisung nicht um eine offensichtlich falsche Anordnung handelt. Da es für die zivilrechtliche Haftung nicht auf persönliche Schuld, sondern grundsätzlich auf Qualitätsmängel, die in einem Abweichen vom medizinisch gebotenen Standard liegen, ankommt, lassen es die Gerichte nicht gelten, daß personelle oder sachliche Engpässe bisweilen eine ordnungsgemäße Organisation verhindern oder Eil- und Notfälle den ärztlichen Standard wesentliche herabsetzen. Es gibt eine sog. unverzichtbare Basisschwelle, deren Qualität nicht unterschritten werden darf. So ist es ein Organisationsfehler, bei Unterversorgung einer Klinik mit Anästhesisten eine Parallelnarkose durchzuführen oder einen Arzt zu einer Operation nach einem anstrengenden Nachtdienst einzuteilen. Organisationsmängel im Krankenhaus III III. Anfängeroperation Der Patient hat nach ständiger Rechtsprechung Anspruch auf ärztliche Behandlung, die "dem Standard eines erfahrenen Facharztes entspricht". Die Übertragung einer selbständig durchzuführenden Operation auf einen hierfür noch nicht ausreichend qualifizierten Assistenzarzt stellt deshalb einen Behandlungsfehler dar, der im Falle der Schädigung des Patienten Schadenersatzansprüche gegen den Krankenhausträger, die für die Zuteilung der Operation verantwortlichen Ärzte und unter Umständen gegen den operierenden Arzt selbst wegen eines Übernahmeverschuldens auslösen kann. Der Facharztstandard ist jedoch nicht von der formellen Ernennung zum Facharzt abhängig. Wenn der Arzt in Weiterbildung nach sachverständiger Beurteilung die Behandlung theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie das von einem Facharzt dieses Fachs erwartet werden muß, ist es unerheblich, ob es sich dabei um einen approbierten Arzt in Weiterbildung zum Facharzt oder auch einen Arzt in einer anderen Fachrichtung handelt. Bei einer "Anfängeroperation" durch einen noch nicht ausreichend qualifizierten Assistenzarzt muß die ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit des aufsichtsführenden Facharztes, regelmäßig des Chef- oder Oberarztes, gewährleistet sein. Aus der haftungsrechtlich geforderten Einhaltung des Facharztstandards folgt, daß in einem etwaigen Schadenersatzprozeß sowohl der Krankenhausträger als auch der für die Übertragung der Operationsaufsicht auf den Nichtfacharzt verantwortlichen Arzt und der aufsichtsführende Arzt selbst die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, daß die eingetretene Komplikation nicht auf der geringen Erfahrung und Übung des noch nicht ausreichend qualifizierten Operateurs bzw. nicht auf der mangelnden Erfahrung des Aufsichtsführenden beruhen. Insoweit greift zugunsten des Patienten wiederum eine Beweislastumkehr ein! Mit dieser Darstellung soll nur eine Erstorientierung gegeben werden. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll den Rat eines spezialisierten Berufsträgers des Anwaltsberatungsnetzes nicht ersetzen. Wenden Sie sich für eine weitergehende und individuelle Beratung daher an unser Callcenter, dass sie an einen spezialisiertes Mitglied des Anwaltsberatungsnetz verweist. Verband der Schadensopfer e.V.