Allgemeine Arzthaftung I Vertragliche und deliktische Haftung Trotz

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Allgemeine Arzthaftung I
Vertragliche und deliktische Haftung
Trotz vielfältiger Bemühungen um eine spezialgesetzliche Regelung der zivilrechtlichen
Arzthaftung in einem sog. Patientenschutzgesetz hat auch die Schuldrechts
modernisierung 2002 eine solche Regelung nicht geschaffen. Daher verbleibt es für die
Arzthaftung bei den allgemeinen Haftungsgrundsätzen des Zivilrechts.
Danach können Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag und aus dem Deliktsrecht
unabhängig voneinander geltend gemacht werden.
= Anspruchskonkurrenz
Dabei knüpft die vertragliche Haftung an die im Behandlungsvertrag übernommene
Aufgabe (Tätigwerden oder Erfolg), also an eine Vertragsverletzung, die deliktische
Haftung an die mit der Übernahme der Behandlung übernommene Garantenstellung an.
Allgemeine Arzthaftung II
Trotz der Unterschiedlichkeit der Anspruchsgrundlagen (Vertrag = §§ 611ff, 635ff. BGB,
Delikt = § 823 BGB) haben sich die Haftungsinhalte inzwischen so stark angenähert, daß
die Unterschiedlichkeit der Haftungsgrundlage sich praktisch kaum mehr auswirkt, weil die
Kernfragen der Haftung von der Rechtsprechung in beiden Teilen weitgehend identisch
gelöst werden.
Deshalb kann man heute sagen, daß die Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages
deliktsrechtlich als Körperverletzung zu qualifizieren ist.
Insbesondere stimmen in beiden Haftungsordnungen der einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab
und die Kausalitätsanforderungen im wesentlichen überein und auch der Umfang des
ersatzfähigen materiellen Schadens des Patienten wird gleichgestellt.
= Strukturgleichheit beider Haftungsregime
Allgemeine Arzthaftung III
Weitere Gleichstellungen hat zudem die Schuldrechtsmodernisierung 2002 dahingehend
gebracht, daß die unterschiedlichen vertraglichen Verjährungsvorschriften angeglichen
und mit der Verjährung deliktischer Ansprüche gleichgestellt wurden, so daß jetzt die neue
3jährige Regelverjährung des § 195 BGB sowohl für alle vertraglichen Ansprüche wegen
Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) als auch für die deliktischen Ansprüche gilt.
Aufgehoben wurde ferner die Sonderstellung des Schadenersatzes bei immateriellen
Schäden (§ 847 BGB a.F.), der nunmehr nicht mehr nur bei den deliktischen Ansprüchen,
sondern einheitlich nach § 253 Abs. 2 BGB auch bei Vertragsverletzungen gewährt wird.
§ 253 Abs. 2 BGB hat damit einen übergreifenden und vom Haftungsgrund unabhängigen
Schmerzensgeldanspruch geschaffen, der auf eine billige Entschädigung in Geld gerichtet
ist.
Allgemeine Arzthaftung IV
Es verbleiben damit für die Doppelspurigkeit der vertraglichen und deliktischen Haftung im
wesentlichen noch zwei Ansatzpunkte.
•
Dies betrifft zum einen die Frage des Einstehenmüssens für Hilfspersonen. Während
im Rahmen des Behandlungsvertrages der Arzt für ein Verschulden all seiner
Hilfspersonen ohne Entlastungsmöglichkeit nach § 276 BGB einzustehen hat, gewährt
§ 831 Abs. 2 BGB dem Arzt bei der deliktischen Haftung die Möglichkeit einer
Enthaftung durch den Nachweis, die Hilfskräfte
- ordnungsgemäß ausgesucht
- ordnungsgemäß angewiesen
- ordnungsgemäß unterrichtet
- ordnungsgemäß überwacht
zu haben.
•
Zum anderen betrifft dies die Privilegierung beamteter Ärzte im Rahmen der
deliktischen Haftung, die hier ihre Zahlungspflichten kraft des sog.
Verweisungsprivilegs in § 839 Abs. 1 BGB auf die Ausstellungskörperschaft abwälzen
können, sofern ihnen keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
Anspruchsvoraussetzungen der Arzthaftung – schematische Darstellung
Vertragliche Haftung
Deliktische Haftung
Behandlungsfehler oder
Sorgfaltspflichtverletzung
(= Nebenpflichten)
dadurch
(= Kausalität)
materieller oder/und
immaterieller Schaden
+
Körperverletzung oder
Gesundheitsbeeinträchtigung
Tatbestand
dadurch
(= Kausalität)
materieller oder/und
immaterieller Schaden
+
Pflichtwidrigkeit
insb. ohne Einwilligung
Rechtswidrigkeit
+
Verschulden
§ 276 BGB:
mindestens fahrlässig
fehlendes Eingreifen von
Rechtfertigungsgründen
insb. Einwilligung
Notwehr / Nothilfe
+
Schuld
Verschulden
mindestens fahrlässig
Vertragliche Pflichtverletzung I
Im Mittelpunkt der Arzthaftungsprozesse steht daher im vertraglichen Bereich regelmäßig
die Frage, ob eine vertragliche Pflichtverletzung des Arztes vorliegt, die ihn nach § 280
Abs. 1 BGB zum Schadenersatz verpflichtet.
Insoweit werden Verletzungen der vertraglichen Hauptpflicht, also der eigentliche
Behandlungsfehler den Nebenpflichtverletzungen, insbesondere also Aufklärungs- und
Organisationsfehlern gleichgestellt.
Als Behandlungsfehler im engeren Sinne, der früher mit dem juristisch unscharfen Begriff
"Kunstfehler" bezeichnet wurde, versteht man
- Diagnosefehler
- Therapiefehler
- Koordinierungsfehler
- Übernahmeverschulden.
Vertragliche Pflichtverletzung II
• Diagnosefehler
Unter einem Diagnosefehler versteht man das Nichterkennen einer erkennbaren
Erkrankung anhand der sie kennzeichnenden Symptome.
Allerdings geht die Rechtsprechung hier wegen der Unterschiedlichkeiten des
menschlichen Organismus und der Vieldeutigkeit vieler Krankheitssymptome nur mit einer
gewissen Zurückhaltung von einem Behandlungsfehler aus. Fehlinterpretationen der
diagnostischen Befunde führen daher nur dann zur Vertragshaftung, wenn sie aus der
Sicht eines gewissenhaften Arztes unter Berücksichtigung des ihm zustehenden
Beurteilungsspielraums und aus der ex-ante-Sicht als nicht vertretbar erscheinen.
Dagegen ist grundsätzlich von einem (meist sogar groben) Behandlungsfehler
auszugehen, wenn eine Befunderhebung unterlassen oder differentialdiagnostische
Maßnahmen trotz entsprechender Symptome nicht ergriffen wurden. Dabei hat sich der
Umfang der Diagnostik am Krankheitsbild zu orientieren. Grundsätzlich aber ist
festzuhalten, daß mangelnde Diagnoseerhebung stets haftungsrechtlich relevant ist,
während Fehlinterpretationen nur zurückhaltend zu Haftungsfolgen führen. Daher bleibt
auch eine "Überdiagnostik" zum Schutz des Arztes haftungsrechtlich irrelevant.
Vertragliche Pflichtverletzung III
• Therapiefehler
Unter einem Therapiefehler versteht man das Ausbleiben einer Behandlung, obwohl sie
nach der (richtigen) Diagnose erforderlich war. Denn der Arzt hat die möglichen und
zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um einen nach dem jeweiligen Stand der
naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse
und
ärztlichen
Erfahrungen
drohenden
gesundheitlichen Schaden von seinem Patienten abzuwenden.
Grundsätzlich ist der Arzt insoweit in der Wahl der therapeutischen Methode frei.
Insbesondere ist er nicht zur Anwendung des jeweils neuesten Therapiekonzepts und/oder
der neuesten apparativen Ausstattung verpflichtet. Fehlerhaft handelt er erst, wenn er
veraltete, überholte Methoden anwendet oder Apparate einsetzt, die methodisch oder
technisch dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht mehr entsprechen.
Unter verschiedenen Therapiemöglichkeiten, die nach der medizinischen Literatur als
gleichwertig einzustufen sind, hat der Arzt grundsätzlich den sichersten Weg zu wählen.
Die Anwendung von Außenseitermethoden oder eines (noch) nicht allgemein eingeführten
und bewährten Maßstabes ist nur zulässig, wenn der Arzt über besondere Erfahrungen mit
dieser Methode verfügt und alle bewährten etablierten Maßnahmen bereits erfolglos
angewandt wurden.
Vertragliche Pflichtverletzung IV
• Koordinierungsfehler
Zu den konkreten Pflichten jeder ärztlichen Behandlung gehört auch die Verpflichtung des
Arztes, den Patienten über die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, wie etwa
- regelmäßige Nachuntersuchungen
- Information über Dosis, Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen eines
verordneten Medikaments
- Hinweise auf notwendige Umstellungen der Lebensweise (Diät, Sport usw.)
zu informieren und die Einhaltung - soweit ärztlich möglich - zu überwachen. Es handelt
sich damit um die fortwirkende Pflicht des Arztes, die Auswirkungen des Eingriffs so gering
wie möglich zu halten.
Diese Pflicht kann es dem Arzt auch gebieten, einen eigenen Fehler zu offenbaren und
das Erforderliche zu tun, um die schädlichen Folgen eines Eingriffs zu verhindern,
auszugleichen oder zu mindern.
Vertragliche Pflichtverletzung V
• Übernahmeverschulden
Zahlreiche Behandlungsfehler gehen auf ein sog. Übernahmeverschulden infolge
unzureichender Fachkenntnisse des behandelnden Arztes oder unzureichender sachlicher
und räumlicher Ausstattung der Praxis oder des Krankenhauses zurück. Verletzt ist damit
die Pflicht des Arztes, eine ärztliche Behandlung nur aufgrund hinreichender allgemeiner
und spezieller Fachkenntnisse vorzunehmen und die nach dem Stand der medizinischen
Wissenschaft für die Behandlung erforderlichen technischen Hilfsmittel und Apparate
vorzuhalten. Ein Behandlungsfehler aus Übernahmeverschulden liegt damit vor, wenn der
Arzt vor der Durchführung der Behandlung bzw. des Eingriffs hätte erkennen müssen, daß
die Behandlung die Grenzen seines Fachbereiches, seiner persönlichen Fähigkeiten oder
der ihm zur Verfügung stehenden technisch-apparativen Ausstattung überschreitet.
Bei Notfällen gelten hier andere Grundsätze, jedoch korrespondiert dann - insbesondere in
Kliniken - die Pflicht zu rechtzeitigen Notfallvorkehrungen.
Haftung aus Aufklärungsfehlern I
Grundlagen der Aufklärungspflicht
Die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten über Art, Ausmaß und Folgen einer
Behandlungsmaßnahme hat ihre primäre Wurzel und Grundlage in dem ethischen Gebot
"Salus et voluntas aegrotii suprema lex".
Juristische Basis ist das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des
Patienten als Teil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 1, 2 Abs. 1 GG.
Hieraus folgt, daß der Arzt den Patienten nicht ohne dessen Einwilligung behandeln darf.
Diese Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Eingriff ihrerseits ist aber nur wirksam,
wenn er weiß, worin er einwilligt,
= informed consent.
Deshalb stellt sich jeder Eingriff in die körperliche oder gesundheitliche Integrität des
Patienten auch bei behandlungsfehlerfreier Vornahme der Maßnahme als rechtswidrige
Körperverletzung dar, wenn und soweit er sich nicht im konkreten Fall durch eine
wirksame Einwilligung des Patienten als gerechtfertigt erweist.
Aus Achtung vor seiner personalen Würde hat der Patient einen verfassungsrechtlichen
Anspruch darauf, auch in der medizinischen Betreuung nicht Objekt, sondern
eigenverantwortliches Subjekt der Behandlung zu bleiben. Deshalb bleibt es auch bei
ärztlich noch so sinnvollen Maßnahmen stets dem Patienten überlassen, ob er sich für sie
entscheidet und diesen zustimmt. Dies schließt auch die Freiheit zu absolut
unvernünftigen Entscheidungen selbst dann ein, wenn der Tod des Patienten Folge dieser
Unvernunft ist.
Deshalb beruht die Legitimation des Arztes zur Behandlung des Patienten stets auf zwei
Pfeilern, der medizinischen Indikation und der Einwilligung.
Haftung aus Aufklärungsfehlern II
Normative Grundlage der Haftung
Die unterlassene, unvollständige oder inhaltlich falsche Aufklärung ist ein selbständiger,
vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers unabhängiger Haftungsgrund.
Während man vor der Schuldrechtsmodernisierung von einer auf der
Nebenpflichtverletzung beruhenden Haftung aus pVV ausging, wird die Haftungsgrundlage
heute in der allgemeinen Norm des § 280 Abs. 1 BGB wegen Pflichtverletzung
festgeschrieben. Zugleich liegt in dieser Pflichtverletzung eine Körperverletzung im Sinne
von § 823 Abs. 1 BGB begründet, wobei dem Aufklärungsverantwortlichen aus Vertrag
und Delikt jeweils identische Aufklärungspflichten obliegen.
Bei der heutigen Handhabung der Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen besteht die
Gefahr, daß die Rechtsprechung die fehlende Nachweisung des vermuteten
Behandlungsfehlers durch eine Ausuferung der Haftung für Aufklärungsfehler substituiert.
Haftung aus Aufklärungsfehlern III
Inhalt der Aufklärungspflicht
Die ärztliche Aufklärung soll es dem Patienten ermöglichen, Art und Schweregrad der in
Betracht stehenden Behandlung, deren Ablauf samt den Belastungen und Risiken, denen
er sich damit aussetzt, sowie die Folgen der Maßnahme zwar nicht in allen Einzelheiten,
aber doch in den Grundzügen zu verstehen, um so zu einer informierten Risikoabwägung
in der Lage zu sein.
Umfang und Intensität der im jeweiligen Einzelfall geschuldeten Aufklärung lassen sich
nicht abstrakt festlegen, sondern sie ist an der jeweiligen konkreten Sachlage, vor allem
an der speziellen beruflichen und privaten Lebensführung des Patienten auszurichten.
= sog. patientenbezogene Aufklärung
Diese gebotene Grundaufklärung muß dem Patienten wegen der darauf fußenden
Einwilligung grundsätzlich vor allen Behandlungsmaßnahmen (Narkose, Injektion, OP,
Medikation, Bestrahlung usw.) zugekommen sein.
Die Einwilligung in die Behandlung und demzufolge die notwendig vorausgehende
Aufklärung muß für und durch die einzelnen an der Behandlung beteiligten Ärzte getrennt
erfolgen, soweit diese selbständige Behandlungsschritte vornehmen (z.B.: Chirurg,
Anästhesist).
Haftung aus Aufklärungsfehlern IIIa
Aufklärungsmodalitäten
I. Zeitpunkt
Die Aufklärung des Patienten hat grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, daß dieser
durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine
Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise
ausüben kann. Dies bedeutet, daß eine Aufklärung erst am Vorabend der Operation - wie
verbreitet üblich - je nach den Vorkenntnissen des Patienten in der Regel zu spät ist. Bei
schwierigeren oder risikoreichen Eingriffen hat das Aufklärungsgespräch unabhängig
davon, ob es sich um eine stationäre oder ambulate Behandlung handelt, bereits in
derjenigen Sprechstunde mit dem Patienten zu erfolgen, in der der spätere Eingriff
verabredet und der Termin hierfür festgelegt wird.
Da die Einwilligung des Patienten im Zeitpunkt der Operation noch andauern muß und
zwischen der Aufklärung und dem Eingriff ein gewisses Maß an zeitlicher Nähe
vorausgesetzt wird, kann unter Umständen eine "Doppelaufklärung" angebracht sein.
Bei Operationserweiterungen muß danach differenziert werden, ob diese bereits vor dem
Eingriff vorhersehbar waren. In diesem Fall muß schon vor dem Eingriff über die Risiken
einer möglichen Erweiterung aufgeklärt werden. Zeigt sich überraschend erst während der
Operation, daß eine Erweiterung vorzunehmen ist, muß die Operation - falls dies möglich
und vertretbar ist - abgebrochen und der Patient nach Abklingen der Narkosewirkungen
aufgeklärt werden. Ist die Nichtbehandlung oder der Abbruch des Eingriffs medizinisch
unvertretbar oder liegt eine absolute Indikation vor, kann der Arzt von einer mutmaßlichen
Einwilligung des Patienten zur Fortsetzung des Eingriffs ausgehen, wenn angenommen
werden kann, daß ein verständiger Patient dem Eingriff oder dessen medizinisch bedingter
Fortsetzung zustimmen würde.
Bei Notoperationen kann ein Aufklärungsgespräch naturgemäß nicht bzw. nur kurzfristig
vor dem Eingriff durchgeführt werden. Auch insoweit ist regelmäßig von einer
mutmaßlichen Einwilligung des Patienten zur Vornahme vital indizierter Notoperationen
auszugehen.
II. Form
Formvorschriften, wie die Aufklärung des Patienten zu erfolgen hat, gibt es nicht. Die
Einwilligung braucht nicht förmlich erteilt zu werden. Wenn die Einwilligung in der Praxis
üblicherweise schriftlich eingeholt wird, dient dies ausschließlich Beweiszwecken.
Allerdings reicht eine rein formularmäßig schriftliche Aufklärung durch sog.
Aufklärungsbögen allein nicht aus, selbst wenn auf Nachfrage ein Arztgespräch in dem
Aufklärungsblatt angeboten wird. Vom Patienten unterzeichnete Formulare können das
Aufklärungsgespräch daher nicht ersetzen. Lediglich bei Routinemaßnahmen, deren
Risiken in der Patientenschaft seit langem bekannt sind, kann sich der Arzt
ausnahmsweise auf die Aushändigung eines Merkbaltts beschränken, wenn er sich
vergewissert, daß sein Patient das Merkblatt gelesen hat.
Wichtig ist eine genaue Dokumentation von Aufklärung und Einwilligung, insbesondere
wenn der Patient auf die Durchführung der Aufklärung verzichtet.
III. Sprache
Bei der Behandlung ausländischer Patienten muß der Arzt eine sprachkundige Person
hinzuziehen, wenn zu befürchten ist, daß der Patient die ärztlichen Erläuterungen nicht
bzw. nicht richtig versteht. Es muß gesichert sein, daß die Gefahr von Mißverständnissen
ausgeschlossen ist.
IV. Person des Aufklärenden
Im Unterschied zum strengen "Ob" der Behandlungsaufklärung räumt der BGH für ihr
"Wie" ein zunehmend breites Ermessen ein. Sicher ist, daß der Arzt aufklären muß, nicht
eine Krankenschwester oder ein Mitglied der Krankenhausverwaltung. Indessen brauchen
der die Operation durchführende und der aufklärende Arzt nicht identisch zu sein. Der
Umstand, daß der Operateur die Aufklärung nicht selbst durchführt, sondern an einen
Assistenzarzt oder Arzt im Praktikum delegiert, machen diese nicht unwirksam.
V. Aufklärungsempfänger
Notwendigerweise muß die ärztliche Aufklärung grundsätzlich gegenüber dem Patienten
erfolgen. Wird dieser jedoch betreut oder ist er noch nicht volljährig, erfolgt die Aufklärung
zunächst gegenüber dem Betreuer bzw. den Eltern. Insoweit kann der Arzt im allgemeinen
davon ausgehen, daß der mit dem Kind erscheinende Elternteil ermächtigt ist, die
Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mitzuerteilen.
Verweigern die Eltern, etwa aus religiösen Gründen (z.B. Zeugen Jehovas) ihre
Einwilligung zu einer medizinisch indizierten Maßnahme (z.B. Bluttransfusion) ihres minderjährigen Kindes, ist die vormundschaftliche Genehmigung einzuholen (§§ 1628, 1666
BGB). Unabhängig davon sollte ab einer gewissen Verständnisreife auch ein
Aufklärungsgespräch mit dem Patienten selbst geführt werden.
Ist ein bewußtloser oder ein urteilsunfähiger Patient betroffen oder kann der Patient aus
humanitären Gründen nicht voll aufgeklärt werden, darf die Behandlung nach allerdings
sehr umstrittener Auffassung u.U. ohne Aufklärung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung
vorgenommen werden. Zur Ermittlung dieses Willens sind dem Patienten nahe stehende
Personen, vor allem Angehörige zu befragen.
Haftung aus Aufklärungsfehlern IV
Unterteilung der Aufklärungspflicht
Diese ärztlicherseits geschuldete Aufklärung wird in die
-
Diagnoseaufklärung
Therapieaufklärung (= Behandlungsaufklärung)
Verlaufserklärung
Risikoaufklärung
Aufklärung über wirtschaftliche Aspekte der Behandlung
unterteilt.
Haftung aus Aufklärungsfehlern V
Diagnoseaufklärung
Unter der Diagnoseaufklärung versteht man die Information des Patienten über den
medizinischen Befund, soweit dieser für die Entscheidung über den weiteren
Behandlungsablauf von Bedeutung ist.
Beim sog. reinen Diagnosevertrag (= second opinion oder Zweitbefund) ist die
Diagnoseaufklärung Hauptpflicht dieses atypischen Vertrages.
Beruht die Diagnose auf einer ungesicherten Befundgrundlage und stellt sich als sog.
Verdachtsdiagnose dar, muß der Arzt diese nur offenbaren, wenn der Patient ausdrücklich
nach der Diagnose fragt.
Trotz ausdrücklicher Befragung darf der Arzt ausnahmsweise die Diagnose verschweigen
oder "geschönt" darstellen, wenn er davon ausgeht, daß der Patient eine wahre
Diagnoseaufklärung nicht verkraften, sondern diese ihm nur den notwendigen
Lebenswillen rauben und damit nicht nur die weitere Behandlung, sondern zugleich das
Leben oder die Gesundheit des Patienten ernsthaft gefährden würde. Man bezeichnet dies
als das sog. therapeutische Privileg des behandelnden Arztes.
Haftung aus Aufklärungsfehlern VI
Therapie- oder Behandlungsaufklärung
Bei der Therapie- oder Behandlungsaufklärung hat der Arzt den Patienten zunächst
grundsätzlich über den ins Auge gefaßten Eingriff bzw. die angedachte Behandlung zu
informieren. Hierzu gehört die Erläuterung der Art der konkreten Behandlung (konservative
Methode, OP, Bestrahlung) samt Erläuterung der Tragweite des Eingriffs
(Funktionsbeeinträchtigung von Organen, Dauer, Schmerzen, Belastungen für die künftige
Lebensführung usw.) und sonstige Einzelheiten des Eingriffs oder der Behandlung, die für
das Verständnis des Patienten erforderlich sind.
Grundsätzlich gehört hierzu auch die Aufklärung über Behandlungsalternativen, sofern
gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Risiken
oder Erfolgschancen eine Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen. Insoweit sind
auch alternativ-medizinische Maßnahmen jedenfalls ergänzend in die Aufklärung mit
einzubeziehen.
Eine gesteigerte Information schuldet der Arzt über die Folgen einer Nichtbehandlung, da
diese eine "alternative Behandlungsmethode" darstellt. Dies gilt insbesondere, wenn der
Arzt sich einer medizinisch unbegründeten Weigerung des Patienten (= Nichteinwilligung
in die vorgeschlagene Behandlung) ausgesetzt sieht.
Haftung aus Aufklärungsfehlern VII
Verlaufsaufklärung
Unter der Verlaufsaufklärung, die auch als Ergebnisaufklärung bezeichnet wird, versteht
man die Information des Patienten über die voraussichtlichen (z.B. amputierte
Gliedmaßen) oder auch nur möglichen Folgen (z.B. Dauerschmerzen, Belastungen für die
künftige Lebensführung) der Behandlung sowie über den voraussichtlichen Verlauf der
Erkrankung ohne Behandlung.
Werden bei der Behandlung/dem Eingriff Gewebematerialien entnommen, so muß die
Aufklärung auch den weiteren Umgang mit diesen Materialien umfassen. Dies gilt
insbesondere, wenn der Arzt/die Klinik diese Gewebematerialien aufbewahren oder
weitere Forschungen und Untersuchungen damit veranstalten will. Fehlt hierzu die
notwendige Einwilligung, haben derartige Maßnahmen zu unterbleiben. Wird der Patient
über den weiteren Umgang mit den Gewebematerialien gar nicht aufgeklärt, so kann
dieser davon ausgehen, daß diese Materialien in der vorgeschriebenen Weise hygienisch
einwandfrei entsorgt werden. Jeder andere Umgang mit derartigen Materialien bedarf der
Einwilligung des Patienten und damit der notwendigen vorausgehenden Aufklärung über
die beabsichtigte weitere Verwendung.
Haftung aus Aufklärungsfehlern VIII
Risikoaufklärung
Den vorläufigen Abschluß der Aufklärungsproblematik bildet die sog. Risikoaufklärung. Sie
soll es dem Patienten ermöglichen, mit darüber zu entscheiden, auf welche Behandlung er
sich einläßt und welchen Risiken er sich dabei aussetzt. Die Risikoaufklärung vermittelt
dem Patienten Informationen über die bei fehlerfreiem medizinischen Vorgehen für den
Patienten bestehenden, möglichen und nicht sicher beherrschbaren Eingriffskomplikationen und Gefahren im Zusammenhang mit der Behandlung und nicht
sicher vermeidbaren Folgeschäden. Die Risikoaufklärung ist als "vertrauensbildende
Maßnahme" zu verstehen, um
Entscheidungsprozeß zu stellen.
den
Patienten
verantwortungsbewußt
in
den
Ausreichend ist eine Aufklärung über die "Stoßrichtung" der Risiken auf die Lebensführung
des Patienten, mithin eine verständliche Vermittlung eines allgemeinen Bildes von der
Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums. Hinsichtlich der in Betracht zu
ziehenden und aufklärungsnotwendigen Risiken ist in erster Linie auf das Risiko
abzustellen, das dem Eingriff typischerweise oder auch nur mittelbar anhaftet sowie die
Schwere der Schadensfolge für die weitere Lebensführung des Patienten im Fall einer
Risikoverwirklichung.
Haftung aus Aufklärungsfehlern IX
Entscheidend für den Umfang der Risikoaufklärung ist der Stand der ärztlichen
Wissenschaft zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung. Wenn der Arzt insoweit nicht mit
Gefahren zu rechnen hat, entfällt die Informationspflicht. Ist allerdings in der medizinischen
Wissenschaft ein Risiko bekannt, selbst wenn dessen Komplikationsrate weniger als 1%
beträgt oder sich im Promillebereich bewegt, hat der Arzt darüber aufzuklären, wenn es im
Fall einer Verwirklichung das Leben des Patienten schwer belastet und trotz der Seltenheit
für den Eingriff spezifisch, für den Laien jedoch überraschend ist.
Nicht aufklärungspflichtig sind eingriffsspezifische Risiken, die so außergewöhnlich und
nicht vorhersehbar sind, daß sie für den Entschluß des Patienten, ob er in den Eingriff
einwilligt, keine Bedeutung haben.
Haftung aus Aufklärungsfehlern X
Wirtschaftliche Aufklärung
Bei bestimmten Fallkonstellationen erstreckt sich die ärztliche Aufklärungspflicht auch auf
wirtschaftliche Gesichtspunkte. So muß der Arzt den Patienten darauf hinweisen, daß die
Krankenkasse die gewünschte oder von ihm vorgesehene Behandlung möglicherweise
nicht bezahlen wird.
Auch der Arzt, der dem Patienten zu einer stationären Behandlung rät, obwohl diese auch
ambulant durchgeführt werden könnte, hat den Patienten darüber aufzuklären, daß die
private Krankenversicherung die durch die stationäre Aufnahme bedingten Mehrkosten
voraussichtlich nicht erstatten wird.
Bietet der Arzt einem Krebspatienten im letzten Stadium der Krankheit eine Dauertherapie
an, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen ist, muß er auf das Kostenrisiko
unmißverständlich aufmerksam machen.
Bei unterbliebener Aufklärung kann der Patient im Wege des Schadenersatzes ansonsten
die Freistellung von den Kosten verlangen.
Kausalität
Zu einer Haftung des Arztes kommt es nur, wenn die sorgfaltswidrige Behandlung/Körperverletzung oder die fehlerhafte Aufklärung für den eingetretenen Schaden
ursächlich war.
Eine solche haftungsbegründende ursächliche Verknüpfung zwischen Behandlungs- oder
Aufklärungsfehler und Primärschädigung liegt vor, wenn der primäre Schaden auf die
festgestellte Fehlbehandlung bzw. die nicht ordnungsgemäße Aufklärung zurückzuführen
ist und wenn die nach dem medizinischen Soll-Standard richtige Behandlung den Eintritt
des Primärschadens verhindert bzw. der Patient bei richtiger Aufklärung die
Behandlungszustimmung nicht erteilt hätte.
Für diese Ursächlichkeit werden verschiedene Kausalitätstheorien vertreten.
Nach der vor Inkrafttreten des BGB (vor 1900) maßgeblichen sog. Bedingungstheorie
galten alle Ursachenzusammenhänge als kausal, die nicht hinweggedacht werden
konnten, ohne daß der schädigende Erfolg entfiel,
= sog. Äquivalenztheorie (conditio sine qua non).
Da diese Theorie jedoch keine haftungsbegrenzende Wirkung zeigt, wurde sie im
Zivilrecht im wesentlichen durch die sog. Adäquanztheorie abgelöst. Danach ist jede
Handlung kausal für den schädigenden Erfolg, die bei objektiver nachträglicher
Betrachtung im allgemeinen und nicht nur unter besonders unwahrscheinlichen
Umständen
geeignet
gewesen
ist,
den
(Schadens-)Erfolg
herbeizuführen.
Außergewöhnliche Verläufe scheiden danach für einen solchen adäquaten
Ursachenzusammenhang aus.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein Behandlungs- bzw. Aufklärungsfehler die
ausschließliche oder alleinige Ursache einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ist. Auch
eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als "Auslöser" neben erheblichen anderen
Umständen steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich.
Vorschäden gehen üblicherweise zu Lasten des Schädigers.
Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann
Beispiel:
nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre.
Lediglich eine strafrechtliche Verurteilung kann auf einen so weiten Kausalitätsbegriff nicht
gestützt werden. Hier wird vielmehr eine objektive Zurechnung des eingetretenen Erfolges
zum Tatbild des Täters erfordert, alle Abweichungen sind beachtlich.
Beispiel 1: Täter stößt gefesseltes Opfer von einer Brücke, damit dieses ertrinkt. Zufällt
prallt das Opfer aber auf ein vorbeifahrendes Schiff und bricht sich das Genick.
= versuchter Mord in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge
Beispiel 2: Täter "erdrosselt" Opfer, hält dieses für tot und wirft es in die Güllegrube. In
Wahrheit war Opfer nur bewußtlos und erstickt in der Grube.
= versuchter Mord in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge
Beweis und Beweislast I
I. Grundlagen
Wie in kaum einer anderen Materie spielt im Arzthaftungsprozeß die Frage der
Beweislastverteilung eine typischerweise verfahrensentscheidende Rolle. Denn aufgrund
der spezifischen Situation bei der Behandlung, die den nicht voll beherrschbaren
menschlichen Organismus zum Gegenstand hat und die besondere Lage des Patienten
als Laie in medizinischen Fragen, bilden das Spannungsfeld, das durch eine
ausgewogene Beweislastverteilung ausgeglichen werden muß. Einerseits darf dem Arzt
keine Erfolgseinstandspflicht für eine Behandlung auferlegt werden, andererseits müssen
dem Patienten praktikable Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, damit er sich
gegen ärztliche Nachlässigkeit vor, bei und nach der Behandlung sowie ärztliche
Großzügigkeit im Umgang mit dem auch vom Arzt zu respektierenden
Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerichtlich zur Wehr setzen kann, ohne an einer
für ihn von vornherein nahezu aussichtslosen Beweissituation scheitern zu müssen.
Das verfassungsrechtliche Prinzip eines fairen, auf Waffen- und Chancengleichheit
bedachten Verfahrens hat deshalb im Arzthaftungsrecht zur Ausprägung besonderer
Grundsätze und Modifizierungen für das Beweislastverfahren geführt, die dem typischen
Informationsgefälle, der erheblichen Gefahrneigung ärztlicher Tätigkeit und der typischen
Beweis- und Interessenlage durch eine differenzierte, ausgleichende Anwendung der
Regeln des Beweisrechts - insbesondere nach der Beweisführung gemäß §§ 292ff., 296ff.
ZPO - Rechnung tragen.
Beweis und Beweislast II
II. Beweislast allgemein
Grundsätzlich trägt im deutsches Zivilrecht der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für
alle klagebegründenden tatsächlichen Voraussetzungen.
Dies bedeutet im Arzthaftungsrecht, daß der Schadenersatz einklagende geschädigte
Patient die ärztliche Fehlbehandlung und/oder Aufklärungspflichtverletzung vorbringen und
beweisen muß. Gelingt dies nicht, so bleibt er beweisfällig und die Klage wird abgewiesen.
Trägt der Kläger entsprechende Tatsachen vor, die aber von der Gegenseite (Arzt/Klinik)
so widerlegt werden, daß der entscheidende Richter nicht eines der Vorbringen für
überwiegend wahrscheinlich hält (Regelfall: Gutachten und Gegengutachten), spricht man
von einem non liquet. Auch hier würde die Klage an sich mangels Nachweises der
Tatsachen, nunmehr aus Beweislastgründen abgewiesen.
Die oben benannten Besonderheiten führen aber dazu, daß im Arzthaftungsprozeß
regelmäßig
geringere
Anforderungen
an
die
Substantiierungsund
Beweisführungspflichten des Patienten zu stellen sind, während eine verstärkte Pflicht des
Gerichts besteht, von Amts wegen darauf hinzuwirken, daß die Beweisaufnahme auf die
medizinisch wesentlichen Umstände ausgerichtet wird und die vorhandenen (weiteren)
Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. So mag im Einzelfall der Vortrag
konkreter Verdachtsmomente schon genügen; medizinische Einzelheiten sind nicht zu
erwarten. Zwar obliegt auch im Arzthaftungsprozeß grundsätzlich dem Patienten die
Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtverletzung des Arztes, das Vorliegen eines
Behandlungsfehlers, den Eintritt eines Körper- oder Gesundheitsschadens, die Kausalität
zwischen dem Behandlungsfehler und dem Körper- oder Gesundheitsschaden und den
Sachverhalt, aus dem sich ein Behandlungsverschulden begründet. Den Beweis für einen
Behandlungsfehler führt der Patient durch den Nachweis einer Abweichung der
Behandlung vom medizinischen Standard. Sache des Arztes ist es dann, ausreichende
Befundtatsachen darzulegen (und ggf. zu beweisen), die eine Abweichung vom
standardgemäßen Vorgehen gestatten. Das gilt sowohl für Ansprüche aus Delikt als auch
für Ansprüche aus Vertrag.
Insoweit ist streitig, ob die durch die Schuldrechtsmodernisierung mit § 280 Abs. 1 Satz 2
BGB eingeführte Verschuldensvermutung bei nachgewiesener Vertragsverletzung bei
einem festgestellten ärztlichen Fehlverhalten nicht zu einer Umkehr der Beweislast für die
Kausalität führen muß.
Beweis und Beweislast III
III. Besonderheiten bei Aufklärungspflichtverletzungen
Beruft sich der Patient auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht seitens des Arztes, trägt
der Arzt die Beweislast dafür, daß er seiner Aufklärungspflicht genügt und deshalb der
Patient aufgrund vollständiger und richtiger Selbstbestimmungsaufklärung der Behandlung
zugestimmt hat. Dem Arzt obliegt deshalb der Beweis sämtlicher Tatsachen, aus denen
sich eine wirksame Einwilligung ergibt. Die Behandlungsseite trägt u.a. die Beweislast für
die erfolgte Grundaufklärung zumindest "im Großen und Ganzen", die Rechtzeitigkeit der
Aufklärung, das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten in eine zuvor
nicht besprochene Operationserweiterung bzw. daß eine echte, ernsthafte
Behandlungsalternative, über die nicht aufgeklärt worden ist, bei ihrer Anwendung zu demselben Schaden geführt hätte.
Beweis und Beweislast IV
IV. Beweiserleichterungen bei groben Behandlungsfehlern
Beweiserleichterungen treffen den Patienten insbesondere bei Vorliegen eines sog.
groben Behandlungsfehlers. Eine begrifflich scharfe Definition, wann ein
Behandlungsfehler "grob" ist, existiert nicht. Ob ein Fehler als "grob" einzustufen ist,
obliegt vielmehr ausschließlich tatrichterlicher Bewertung und hat zur Folge, daß heute
vielfach zugunsten des Patienten regelmäßig eine Beweislastumkehr schon dann eingreift,
wenn überhaupt ein ärztlicher Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann.
Richtigerweise ist von einem "groben" Behandlungsfehler dann auszugehen, wenn ein
medizinisches Fehlverhalten vorliegt, welches aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr
verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen
darf. Betroffen sind Verstöße gegen eindeutig gesicherte medizinische Kenntnisse und
bewährte ärztliche Behandlungsregeln und Erfahrungen. Auch eine Häufung mehrerer,
jeweils für sich nicht grober Behandlungsfehler kann die Behandlung im Rahmen der dann
anzustellenden "Gesamtbetrachtung" als grob fehlerhaft erscheinen lassen.
Ist ein grober Behandlungsfehler festgestellt, wird das gesamte klägerische Vorbringen
des Patienten als richtig unterstellt und es tritt die Arztseite nunmehr die Pflicht zum vollen
Gegenbeweis.
Beweis und Beweislast V
V. Dokumentationsmangel
Grundsätzlich dienst die Pflicht zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens der
Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung und bezweckt, Ärzte und
Pflegepersonal über den Verlauf einer Krankheit und die bisherige Behandlung zu
informieren.
Insbesondere
dokumentationspflichtig
sind
danach:
Diagnoseuntersuchungen,
Funktionsbefunde, Medikation, ärztliche Hinweise und Anweisungen in Bezug auf die
Funktions- und Behandlungspflege, Maßnahmen der Intensivpflege, Abweichungen von
der Standardbehandlung, Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Zwischenfälle, Wechsel
des Operateurs in der Operation, Maßnahmen zur Überwachung eines in der
Weiterbildung befindlichen Arztes, Verlassen des Krankenhauses gegen ärztlichen Rat,
Patientenaufklärung etc. Bei standardisierten Routineeingriffen genügt die Angabe eines
Kurzbegriffs. Details sind nur anzugeben, um Unklarheiten oder Verwechslungen für den
Fachmann auszuschließen.
Im Zusammenhang mit der Dokumentationspflicht verpflichtet die Rechtsprechung den
Arzt auch dazu, die erhobenen Befunde zu sichern (Befundsicherungspflicht).
Dementsprechend gehört es zu den Organisationsaufgaben der Behandlungsseite (Arzt,
Krankenhausträger) sicherzustellen, daß Unterlagen, die Auskunft über das
Behandlungsgeschehen
geben,
jederzeit
aufgefunden
werden
können.
Behandlungsunterlagen
(Röntgenaufnahmen,
Untersuchungsbescheinigungen,
Aufzeichnungen über Befunde etc.) müssen aufbewahrt werden.
Dokumentationsversäumnisse begründen grundsätzlich keine eigenständige Haftung.
Führen sie zu Irrtümern im weiteren Behandlungsverlauf, zu Belastungen mit unnötigen
doppelten Befunderhebungen, zur kontraindizierten Kombination von Medikamenten usw.,
lösen sie ggf. eine Haftung wegen Behandlungsfehler aus.
Zugunsten des Patienten kommen insoweit jedoch Beweiserleichterungen in Betracht,
wenn eine aus medizinischen - nicht aus juristischen - Gründen erforderliche ärztliche
Dokumentation der wesentlichen medizinischen Fakten lückenhaft bzw. unzulänglich ist
und deshalb für den Patienten im Falle einer Schädigung die Aufklärung des Sachverhalts
unzumutbar erschwert wird. Die Beweiserleichterung der Verletzung der ärztlichen
Dokumentationspflicht besteht in der darin begründeten Vermutung, daß eine nicht
dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen wurde bzw. sich ein nicht
dokumentierter, aber dokumentationspflichtiger wesentlicher Umstand so ereignet hat, wie
ihn der Patient glaubhaft schildert.
Organisationsmängel im Krankenhaus I
I. Allgemeine Grundsätze
Die Rechtsprechung stellt an die Pflicht des Krankenhausträgers, den Krankenhausbetrieb
so zu organisieren, daß jede vermeidbare Gefährdung des Patienten ausgeschlossen ist,
hohe Anforderungen. Hinzu kommt, daß Qualitätsmängel in der Organisation
haftungsrechtlich als Behandlungsfehler zu qualifizieren sind.
Insoweit nimmt die Rechtsprechung keine Rücksicht darauf, daß personelle oder sachliche
Engpässe bisweilen eine ordnungsgemäße Organisation verhindern, noch, daß fehlende
Ausbildung und Erfahrung Fehler produzieren oder auch dem geschultesten
Kodierverantwortlichen Fehler bei der Auswahl der ICD-Schlüssel in Anwendung des
neuen DRG-Entgeltsystems unterlaufen können.
Insbesondere obliegt es dem Krankenhausträger, die Betriebssicherheit der medizinischtechnischen Einrichtungen zu gewährleisten. Dazu gehört, daß er z.B. die Einhaltung der
Vorschriften des Medizinproduktegesetzes (MPG), des Gerätesicherheitsgesetzes (GSG),
der Medizingeräteverordnung, der Unfallverhütungsvorschriften (UVV), der sonstigen
gesetzlichen Gefahrenschutzvorschriften (z.B. Brandschutz) zu überwachen hat. Der
Krankenhausträger muß weiter den Arzneimitteleinsatz sachgerecht organisieren. Alle
erforderlichen Arzneimittel müssen in ausreichender Zahl vorhanden sein. Es kann ein
Organisationsverschulden des Krankhausträgers darin liegen, daß ein Medikament mit
erheblich niedrigeren Risiken für den Patienten nicht rechtzeitig vor der Operation zur
Verfügung steht.
Organisationsmängel im Krankenhaus II
II. Organisation des ärztlichen und nichtärztlichen Dienstes
Die Organisationsaufgaben des Krankenhausträgers für den ärztlichen und nichtärztlichen
Dienst sind gekennzeichnet durch die Vorgaben: medizinischer Standard, Arbeitsteilung
und Zusammenarbeit. Hinsichtlich des einzuhaltenden medizinischen Standards ist der
ärztliche Dienst durch den Krankenhausträger so zu organisieren, daß die Behandlung
des Patienten den Anforderungen des sog. Facharztstandards genügt. Der Krankenhausträger, der eine Überwachung von Behandlungsmaßnahmen einer Ärztin ohne
abgeschlossene
Facharztausbildung
nicht
gewährleistet,
begeht
einen
Organisationsfehler.
Der medizinische Standard bei der Behandlung durch das Pflegepersonal ergibt sich
insbesondere aus den Stellungnahmen und Richtlinien der Fachgesellschaften und der
Berufsverbände.
Das hierarchische Prinzip trägt der vertikalen Arbeitsteilung im Krankenhaus in der
Rangfolge vom Ärztlichen Direktor und Chefarzt über den Oberarzt zu den Assistenten bis
zum nichtärztlichen Personal Rechnung. Hier ist die Wertung des § 831 BGB vorgegeben,
nach der Gefahrenabwendung Sache nicht nur des Gehilfen, sondern auch des die
Behandlungsaufgabe übernehmenden Krankenhausträgers und des behandlungsführenden Chefarztes ist. Allerdings haftet der behandelnde Arzt nur bis zu dem Punkt, an
dem die Betreuung des Patienten ohne Experten-Defizite für diesen an eine andere,
nichtärztliche Stelle überlassen werden kann: Der Oberin für den Pflegedienst, dem
technischen Ingenieur für die Geräteverantwortung. Auch in der horizontalen
Arbeitsteilung gilt der Vertrauensgrundsatz. Einem in der Facharztausbildung befindlichen
Arzt fällt kein Verschulden zur Last, wenn er der fachlichen Anordnung eines ihm übergeordneten und ihm gegenüber weisungsbefugten Arztes folgt und es sich bei der
Anweisung nicht um eine offensichtlich falsche Anordnung handelt.
Da es für die zivilrechtliche Haftung nicht auf persönliche Schuld, sondern grundsätzlich
auf Qualitätsmängel, die in einem Abweichen vom medizinisch gebotenen Standard
liegen, ankommt, lassen es die Gerichte nicht gelten, daß personelle oder sachliche
Engpässe bisweilen eine ordnungsgemäße Organisation verhindern oder Eil- und Notfälle
den ärztlichen Standard wesentliche herabsetzen. Es gibt eine sog. unverzichtbare Basisschwelle, deren Qualität nicht unterschritten werden darf. So ist es ein
Organisationsfehler, bei Unterversorgung einer Klinik mit Anästhesisten eine
Parallelnarkose durchzuführen oder einen Arzt zu einer Operation nach einem
anstrengenden Nachtdienst einzuteilen.
Organisationsmängel im Krankenhaus III
III. Anfängeroperation
Der Patient hat nach ständiger Rechtsprechung Anspruch auf ärztliche Behandlung, die
"dem Standard eines erfahrenen Facharztes entspricht". Die Übertragung einer
selbständig durchzuführenden Operation auf einen hierfür noch nicht ausreichend
qualifizierten Assistenzarzt stellt deshalb einen Behandlungsfehler dar, der im Falle der
Schädigung des Patienten Schadenersatzansprüche gegen den Krankenhausträger, die
für die Zuteilung der Operation verantwortlichen Ärzte und unter Umständen gegen den
operierenden Arzt selbst wegen eines Übernahmeverschuldens auslösen kann.
Der Facharztstandard ist jedoch nicht von der formellen Ernennung zum Facharzt
abhängig. Wenn der Arzt in Weiterbildung nach sachverständiger Beurteilung die
Behandlung theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie das von einem Facharzt dieses
Fachs erwartet werden muß, ist es unerheblich, ob es sich dabei um einen approbierten
Arzt in Weiterbildung zum Facharzt oder auch einen Arzt in einer anderen Fachrichtung
handelt.
Bei einer "Anfängeroperation" durch einen noch nicht ausreichend qualifizierten
Assistenzarzt muß die ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit des
aufsichtsführenden Facharztes, regelmäßig des Chef- oder Oberarztes, gewährleistet
sein. Aus der haftungsrechtlich geforderten Einhaltung des Facharztstandards folgt, daß in
einem etwaigen Schadenersatzprozeß sowohl der Krankenhausträger als auch der für die
Übertragung der Operationsaufsicht auf den Nichtfacharzt verantwortlichen Arzt und der
aufsichtsführende Arzt selbst die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, daß die
eingetretene Komplikation nicht auf der geringen Erfahrung und Übung des noch nicht
ausreichend qualifizierten Operateurs bzw. nicht auf der mangelnden Erfahrung des
Aufsichtsführenden beruhen. Insoweit greift zugunsten des Patienten wiederum eine
Beweislastumkehr ein!
Mit dieser Darstellung soll nur eine Erstorientierung gegeben werden. Sie erhebt
keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll den Rat eines spezialisierten
Berufsträgers des Anwaltsberatungsnetzes nicht ersetzen. Wenden Sie sich für
eine weitergehende und individuelle Beratung daher an unser Callcenter, dass sie
an einen spezialisiertes Mitglied des Anwaltsberatungsnetz verweist.
Verband der Schadensopfer e.V.
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