27.01.16 Depression ist eine Volkskrankheit • 12-Monats-Prävalenzaffek8verStörungenin%mit95%-Konfidenzintervall Elektrokrampftherapie und Psychotherapie in der Behandlung chronischer Depressionen. Geht das zusammen? Dr. med. Andreas Linde Psychiatrische Dienste Aargau WHO: Burden of Disease 2030 der Industrieländer 2030 in DALY* • Lebenszeitprävalenzen ca. 20-26% bei Frauen und ca. 10-13% bei Männern (Kessler et al. 1994, APA 2007) • Assoziiert mit erhöhter Krankheitsanfälligkeit, Fähigkeits- und Teilhabeverlust (Arbeitsunfähigkeitstage, Lebensqualität), erhöhter somatischer Komorbidität (v.a. kardiovaskuläre Erkrankungen, Schlaganfälle), erhöhter Sterblichkeit (durch Suizid oder durch somatische Komorbidität) (Hays et al. 1995, Mussselman et al. 1998, Nemeroff 2001) Depression nach DSM-V (Falkai et al. 2015) • Major Depression (MD) • Persistierende Depressive Störung (Chron. MD + Dysthymie) • Therapieresistente Depressionen haben eine Punktprävalenz von 20 % (CAVE: Pseudotherapieresistenz) (Bauer 2008) • Ca. 35% aller Depressionen verlaufen chronisch (Arnow et al. 2003; Berger et al 2009, 2012) DALY:Disability-AdjustedLifeyears:SummederLebensjahredieaufgrundvonBehinderungund vorzei8gemTodverlorengehen • Komorbiditäten: Angst- und Panikstörungen (ca. 46%), Substanzmissbrauch und –abhängigkeit (30%), Persönlichkeitsstörung (50%) (Berger et al. 2009) 1 27.01.16 Major Depression (DSM-V) – Leitsymptome Major Depression (DSM-V) – Leitsymptome In einer min. 2 Wochen andauernden Episode 5 (von max. 9) Symptomen an fast allen Tagen auftreten, mit min. einem der beiden Leitsymptome: In einer min. 2 Wochen andauernden Episode 5 (von max. 9) Symptomen an fast allen Tagen auftreten, mit min. einem der beiden Leitsymptome: • (1.) depressive Stimmung oder (und) (1.) depressive Stimmung oder (und) • (2.) Interesse- bzw. Freudeverlust (2.) Interesse- bzw. Freudeverlust Major Depression (DSM-V) – akzessorische Symptome • (3.) Deutlicher Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme von mehr als 5% des Körpergewichts in einem Monat bzw. verminderter oder gesteigerter Appetit • (4.) Insomnie oder Hypersomnie • (5.) psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung Major Depression (DSM-V) – akzessorische Symptome • (6.) Müdigkeit oder Energieverlust • (7.) Gefühle von Wertlosigkeit, unangemessene bzw. übertriebene Schuldgefühle • (8.) Verminderte Fähigkeit zu denken, sich zu konzentrieren oder Entscheidungen zu fällen • (9.) Wiederkehrende Gedanken an den Tod, wiederkehrende Suizidvorstellungen mit oder ohne genauen Plan, Suizidversuche. 2 27.01.16 Therapieresistente akute Depression Chronische Depression • Wenn mindestens 2 Behandlungsversuche mit Antidepressiva nicht ansprechen • Bis zu 35% aller Depressionen verlaufen chronisch (Arnow et al. 2003; • Punktprävalenz 20% aller Depressionen Berger et al 2009, 2012) • Aber: 30% der therapieresistenten Patienten sprechen auf einen weiteren antidepressiven Therapieversuch an (Bauer et al. 2005) • Erstmanifestationen meist (70% d. F.) vor dem 21. Lj. mit ersten Symptomen schon in der Kindheit. • Geschlechterverhältnis: 2.5:3.1 (w:m) • Geschlechterverhältnis: 2:1 (w:m) • Häufigstes Erkrankungsalter: mittleres Lebensalter • Komorbiditäten: Angst- und Panikstörungen (ca. 46%), Substanzmissbrauch und –abhängigkeit (30%), Persönlichkeitsstörung (50%) (Berger et al. 2009) • Problem: Pseudotherapieresistente Depressionen = Nicht ausreichend oder falsch behandelte Depressionen Persistierende depressive Störung nach DSM-V Persistierende depressive Störung nach DSM-V A Depressive Verstimmung die meiste Zeit des Tage und die Mehrzahl aller Tage über einen Zeitraum von min. 2 Jahre. C. Während des Mindestzeitraums von 2 Jahren gab es keine Symptomfreiheit von mehr als 2 Monaten. B Während der depressiven Verstimmung bestehen mindestens zwei der folgenden Symptome: - Schlechter Appetit oder Überessen Weiter ist bei der Diagnosestellung nach DSM-V zu bestimmen, - Insomnie oder Hypersomnie - ob ein rein dysthymes Syndrom vorliegt, also die Kriterien einer Major Depression während der letzten 2 Jahre nicht erfüllt wurden, - Geringe Energie oder Erschöpfungsgefühle - Geringes Selbstbewusstsein - Konzentrationsschwierigkeiten oder Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen - Gefühle der Hoffnungslosigkeit 27.01.16 D. Kriterien einer Major Depression können im Zweijahreszeitraum durchgängig erfüllt sein 11 - ob eine persistierende Major Depression vorliegt, d. h. dass die Kriterien der MD während der letzten 2 Jahre durchgehend erfüllt wurden, 27.01.16 12 3 27.01.16 Persistierende depressive Störung nach DSM-V Dysthymie - ob intermittierende Episoden einer Major Depression mit aktueller Episode vorliegen. Dabei muss es in den letzten 2 Jahren Zeiträume von mindestens 8 Wochen Dauer gegeben haben, an denen die Kriterien einer MD nicht erfüllt waren. - ob intermittierende Episoden einer Major Depression ohne aktuelle Episode vorliegen. Aktuell dürfen dementsprechend die diagnostischen Kriterien einer Major Depression nicht erfüllt sein. Es müssen aber eine oder mehrere MD-Episoden während der letzten zwei Jahre vorgelegen haben. 27.01.16 • Gekennzeichnet durch ständige depressive Herabgestimmtheit über min. 2 Jahre Dauer • Symptome sind weniger schwer ausgeprägt als bei einer leichten depressiven Episode dafür aber sehr hartnäckig. • Beginnt üblicherweise im frühen Erwachsenenalter • Patienten sind müde, pessimistisch und ihnen ist alles zu viel, aber sie können noch ihren alltäglich Aufgaben nachkommen 13 Dysthymie • Bis zu 50% der Dysthymie-Pat. entwickeln eine Major Depression und ca. 25 % der Pat. mit einer Major Depression haben auch eine Dysthymie (Keller et al. 1995) • Double Depression haben signifikant schlechte Verläufe • RCT zeigen ein Ansprechen auf Antidepressivabehandlung mit ähnlicher Response wie bei akuter Depression (Miller et al. 1994; Posner et al. 2013) • Residualsymptome nach einer MDD zeigen dagegen offenbar ein besseres Ansprechen auf kognitive Verhaltenstherapie (Fava et al. 1994; Keller et al. 2000) 27.01.16 16 4 27.01.16 Woran denken Sie, wenn Sie an Elektrokrampftherapie denken? 1936 Entdeckung der Konvulsionstherapie 1938 Entdeckung der Elektrokonvulsionstherapie UgoCerleU LucioBini,MarioFelici, FerdinandoAccornero 27.01.16 17 Entwicklung der EKT Entdeckung der Konvulsionstherapie Entwicklung der EKT Meilensteine • AusEinzelbeobachtungenbekannt:Krampfanfällekönnenpsychische Störungenbessern • Cerletti untersuchte Epilepsie im Tierversuch. Es war seine Idee, elektrischen Strom für die Konvulsionstherapie Medunas einzusetzen • LadislasMeduna,1896Budapest-1964ChicagoAntagonismuszwischen SchizophrenieundEpilepsie • GeneralisierterKrampfanfallalstherapeu8schesAgens • Ab 1936 Tierversuche im Hinblick auf EKT zur Frage der Sicherheit, Elektrodenlage und der Hirnschädigung • KonvulsionstherapiegegenSchizophrenie • 15.04. 1938 erste offizielle Vorstellung • AnfangsKampfer,späterCardiazol • 23.01.1934 erste Behandlung: 4 Jahre katatoner Pa8ent, Anfall nach 45 Min., Aufstehennach5.Therapie,Entlassungnachder8.(Fink2001) • Nachteile: Körperliche Missempfindungen, Angst, Unplanbarkeit des Anfalls (ZeitundDosierung),Venenverödung,Verletzungen,Frakturen • 1938benutztedieHäleederdt.psychiatrischenKlinikendieMethode 27.01.16 19 • 1940 Cerletti: Erfolge bei Schizophrenie in frühen Stadien, bei affektiven Störungen ausgeprägter, Frakturen seltener, generalisierter Anfall erfasst tiefe Hirnstrukturen und induziert Hormonausschüttung • Ab 1940: Weite Verbreitung innerhalb weniger Jahre, breite Anwendung ohne differenzierte Indikation, ohne Aufklärung und ohne Einwilligung 27.01.16 20 5 27.01.16 Entwicklung der EKT Meilensteine Imageproblem der EKT • Ab den 50er Jahren erstmals auch unter Narkose durchgeführt aber ohne Muskelrelaxation «Dieimmerwieder gezieltindieÖffentlichkeit getrageneDarstellungder Elektrokrampeherapieals veraltete,überholteoder garinhumaneund grausameBehandlungsmethodeistfalschund beruhtweitgehendauf einermangelhaeen Informa8on.» (Stellungnahmeder DeutschenBundesärztekammer2003) • Ab 1960: Verdrängung nach Einführung von Psychopharmaka • In der Folge Ablehnung wegen Komplikationen und Nebenwirkungen • Ab ca. 1970: Breite wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit, Einführung der „modifizierten“ EKT • Ab ca. 1980 „Renaissance“ der EKT • 2015 S3-LL/NVL: Im Hinblick auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen mit am besten untersuchtes Behandlungsverfahren bei Depressionen 22 Entwicklung der EKT Moderne Behandlung Entwicklung der EKT Wichtigste Innovationen • Anästhesie und Muskelrelaxation • EEG- Monitoring • Bedarfsgerechte Dosierung der Energie • Wechsel von Sinus- auf Rechteckimpulse • Kurzpulstechnik und Ultrakurzpulstechnik 6 27.01.16 EKT ist keine Arme-Länder-Therapie EKT - Indikationen Psychiatrie / Neurologie Psychiatrische Indikationen • Depressive Episoden (unipolar und bipolar) • Akute Suizidalität • Manische Episoden • Schizophrene Erkrankungen • Schizoaffektive Störungen • Katatones Syndrom, Malignes neuroleptisches Syndrom Neurologische Indikationen • Häufige epileptische Anfälle und therapieresistenter Status epilepticus • Morbus Parkinson EKT – Kriterien für die Anwendung EKT- Kontraindikationen sind selten Absolute Kontraindikation: keine (APA 2001) Relative Kontraindikationen: • Diagnose? • Schwere und Dringlichkeit der Symptome? • Behandlungsvorgeschichte? • Dekompensierte Herzinsuffizienz • Abwägung zwischen Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung anderer Behandlungsoptionen • Schwere Herzklappenerkrankung • Bei gegebener Indikation: den Patientenwunsch berücksichtigen! • Aortenaneurysma • Häufigster Einsatz: bei pharmakologischer Therapieresistenz • Schwere pulmonale Erkrankungen • Aber CAVE: Chronifizierung vermeiden!! (EKT als optima ratio, nicht ultima ratio!) • Zerebraler Insult < 4 Wochen 27.01.16 • Myokardinfarkt < 3 Monate • Instabile Angina pectoris • Schwere Stoffwechselstörungen • Akuter Glaukomanfall • Erhöhter Hirndruck 27 7 27.01.16 Risiken und Nebenwirkungen der EKT Mnestische Störungen bei der EKT • Anterograde Amnesie nach 1-4 Woche reversibel: hippokampale Region involviert • In der heutigen Form relativ unspektakuläre medizinische Massnahme • Retrograde Amnesie nach 7 Monaten überwiegend reversibel: medial temporal (autobiographische Gedächtnisinhalte) und präfrontale Region (nicht persönlicher Gedächtnisinhalt) involviert • Mortalitätsrisiko: 1:30‘000 bis 1:100‘000 Einzelbehandlungen, Kurznarkoserisiko • Kardiovaskuläre Komplikationen, Prolongierte Anfälle, Aspirationspneumonie, Switch, Hypertensive Krise • Subjektive Störungen können bis zu 10 Jahren andauern • Kopfschmerzen (häufigste Nebenwirkung der EKT), Übelkeit, Erbrechen, Verletzungen im Mundbereich, symptomatische Behandlung Kayser et al., in: Grözinger, Conca, Nickl-Jockschat, di Pauli (Hrsg.), 2015 27.01.16 Massnahmen zur Reduzierung von Komplikationen 30 Wirkungsweise der EKT Hypothesen • Gründliche Vorabklärung • Hypothese I: • Lithium absetzen Die Wirkung resultiert aus dem Krampfanfall • Rechts unilaterale Stimulation (RUL) • Rechteck-Kurzpulsstimulation (0.5-1.0 ms) bzw. Ultrakurzpulsstimulation (0.25-0.5 ms) • Hypothese II: • Vormedizieren (z. B. Analgetika, Antiemetika) Die Wirkung resultiert aus der Applikation von elektrischem Strom • Bei (Vd. a.) prolongierte Anfälle: Valproatbolus 27.01.16 31 8 27.01.16 Wirkungsweise der EKT Hypothesen Wirkungsweise der EKT Inhibitionshypothese Tonic seizure • Hypothese I: Clonic seizure Postictal depression Neuronal activity Excitatory:Glumate Inhibitory:GABA Die Wirkung resultiert überwiegend aus dem Krampfanfall Induced seizure • Hypothese II: Repeated seizures Interruption of disordered brain activity → regained balance Die (mnestische Neben-) Wirkung resultiert whs. aus der Applikation von elektrischem Strom Disordered brain function -Restoringbalancedneuronalac8vity -Reorganizingpreexis8nghomeostasis -Regainingfunc8on Restored brain function ©ThomasNickl-Jockschat 27.01.16 Hinweise auf die Wirkungsweise der EKT 34 Ansprechraten der EKT Abhängig von der Indikation • Neurotransmitterfreisetzung kurzfristig: Dopamin↑, Serotonin↑, Noradrenalin↑ • Rezeptoren langfristig: 5HT2↑, 5HT1A↑, NMDA↑, Beta-Rzp. im Kortex↓ • HPA-Achse: Basiscortisolspiegel↓ (akut↑) • Neurotrophe Faktoren kurz- und langfristig: BDNF↑, NGF↑ • Neuroplastizität in Hippokampus und Amygdala kurz- und langfristig: Neuroneogenese, Moosfasersprossung • Einfluss auf die strukturelle und funktionelle Konnektivität • Wahnhafte Depression: um 90% • Depressionen ohne Therapieresistenz: 80-90% • Depressionen mit Therapieresistenz: 50-60% • Manie: 70-80% • Schizophrenie mit Therapieresistenz: 50-65% (in Kombination mit Neuroleptika) 9 27.01.16 Prädiktoren für/gegen die Wirksamkeit bei Depressionen Durchführung der EKT Setting, Dauer, Frequenz, Anzahl Setting: ambulant / stationär Dafür • Psychomotorische Hemmung • Schwere Depression (hoher HAMD-21-Score) • Klar abgrenzbare Episoden • Wahnhafte Depression • Höheres Lebensalter i. d. R. ambulant Dauer der Einzelbehandlung 30 Min./ 4 Min./ 7 Sek./ 30 Sek. Frequenz der Anwendung Mo / Mi / Fr Dagegen • Bereits ausgeprägte Chronifizierung • Komorbidität Persönlichkeitsstörung • Atypische Depression: Angstsymptomatik, Hypersomnie, vermehrter Appetit, erhöhte Kränkbarkeit Anzahl der Anwendungen 4 bis 24 Depressionsmonitoring durch ambulanten Zuweiser HAMD-21 und BDI-II 27.01.16 EEG-Ableitung am Stimulationsgerät 38 Qualitätskriterien eines therapeutischen Anfalls Krampfqualität = therapeutische Wirksamkeit 1. SSW-Synchronisation 2. EEG-Suppression 3. tonisch-klonischer Anfall 4. Tachykardie 5. Dauer >20 Sek. 6. Motorische Dauer > 20 sec Sartoriusetal.,in:Grözinger,Conca,Nickl-Jockschat,diPauli(Hrsg.),2015 27.01.16 39 27.01.16 40 10 27.01.16 EKT und danach wie weiter? • Nach akuter EKT wird zwar häufig eine Remission erreicht, aber ohne weitere Erhaltungstherapie liegt das Rückfallrisiko bei 70% in 6 Monaten. • Mit nachfolgender Antidepressiva-Therapie (Nortriptylin) können anhaltende Remissionsraten von 40% erreicht werden und bei Kombination mit Lithium bis 60%. • EKT-Erhaltungstherapie liefert anhaltende Remissonsraten bis 63% • Was ist mit Psychotherapie? (Sackheim et al. 2001, Kellner et al. 2006, Tew et al. 2007) 27.01.16 41 Persistierende depressive Störung nach DSM-V ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! Chronische MDD Dysthymie 27.01.16 42 Chronische Depression • Chronische Depressionen gelten als schwer behandelbar. Spontanremissionen sind eher selten (<10%) (Mc Collough 2003) • Besonders Dysthymien haben eine schlechte Prognose (Gureje 2011) Double Depression ! unvollständig remittierte MDE • Major Depression: Prognose ungünstig bei langer Phasendauer, früher Erstmanifestation und positiver Familienanamnese (Hölzel et al. 2011) • Chronisch depressive Patienten werden allerdings nicht selten unzureichend behandelt (Mc Mahon et al. 2012) 11 27.01.16 Chronische Depression • Unter stationären Pat. ist die Double Depression überproportional vertreten • 20-30% aller Depressionen werden durch eine Angststörung verkompliziert. • Früh beginnende und chronische Störung die mit beruflichen und zwischenmenschlichen Entwicklungsschritten interferiert und so umfängliche psychosoziale Folgeprobleme bedingt Chronische Depression • Chronisch depressive Störungen sind beeinträchtigender als akute Episoden und führen häufiger zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens • Chronisch depressive Pat begehen häufiger Suizide • Es ist nötig bei der Behandlung über die reine Symptomreduktion hinaus zu gehen. Der Umgang mit der Störung, die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität der Betroffenen muss in der Behandlung berücksichtigt werden (Kleinetal.1999,Arnow&Constan8no2003,Angstetal.2009,Berger2012,Keitner,Mansfield2012,Murphy&Byrne2012) Chronische Depression Zusammenhänge mit sexuellem Missbrauch (Kendler et al. 2000) • 60% der chronisch depressiven Patientinnen erlitten mindestens ein interpersonelles Trauma in der Kindheit (Heim, Nemeroff 2001) • Welche Traumata? Körperlicher oder sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung, Verlust eines Elternteils (Berger et al. 2012) • Besonderheiten der neuro-endokrinen Stressregulation, die als sehr bedeutend für das Auftreten von Depressionen angesehen werden, werden durch das Erleiden schwerer traumatischer Belastungen und chronischem Stress in der Kindheit nachhaltig ungünstig beeinflusst (Nemeroff, Binder, Heim 2008) 12 27.01.16 ACE-Study:PrevalenceofAdverse ChildhoodExperiences ACE-Study AdverseChildhoodExperiencesScore AdverseChildhoodExperience(ACE)andtheirRela8onshiptoAdultHealth,Well-being,andDisease: Turninggoldintolead(Feli0,Andaetal.Pulica6ons:1998-2012;Übersicht:www.cdc.gov/nccdphp/ace/) Numberofcategories(notevents)issummed… Prevalence (%) Abuse, by Category 1. Psychological (by parents) 2. Physical (by parents) 3. Sexual (anyone) ACEScore 0 1 2 3 4 5ormore 11% 28% 22% Neglect, by Category 4. Emotional 5. Physical 15% 10% Household Dysfunction, by Category 6. Alcoholism or drug use in home 7. Loss of biological parent < age 18 8. Depression or mental illness in home 9. Mother treated violently 10. Imprisoned household member 27% 23% 17% 13% 6% Prevalence 33% 25% 15% 10% 6% 11%* • TwooutofthreeexperiencedatleastonecategoryofACE. • IfanyoneACEispresent,thereisan87%chanceatleastoneother categoryofACEispresent. • *Womenare50%morelikelythanmentohaveaScore>5. 17’337VersicherteeinerkalifornischenKrankenversicherung,Studiendauer1998 bis2012 AdverseChildhoodExperience(ACE)andtheirRela8onshiptoAdultHealth,Well-being,andDisease: Turninggoldintolead(Feli0,Andaetal.Pulica6ons:1998-2012;Übersicht:www.cdc.gov/nccdphp/ace/) 49 ACE-Study:AdverseChildhoodExperiences UnderlieChronicDepression ACE-Score and Rate of Antidepressant Prescription (aprox. 50 years later) 100 90 4 Prescrip8onrate (per100person-years) 80 ≥5 70 60 2 50 3 1 40 30 20 0 10 0 1 2 3 ≥4 0 ACE-Score AdverseChildhoodExperience(ACE)andtheirRela8onshiptoAdultHealth,Well-being,andDisease:Turninggoldintolead (Feli0VJ,AndaRFetal.Pulica6ons:1998-2012;Übersicht:www.cdc.gov/nccdphp/ace/) AdverseChildhoodExperience(ACE)andtheirRela8onshiptoAdultHealth,Well-being,andDisease: Turninggoldintolead(Feli0,Andaetal.Pulica6ons:1998-2012;Übersicht:www.cdc.gov/nccdphp/ace/) 13 27.01.16 Influence of Child Abuse on Adult Depression: Moderation by the Corticotropin-Releasing Hormone Interaction of CRHR1 rs110402 genotype and subtype of childhood abuse exposure on current depressive Receptor Gene (Bradley, Binder, Heim, Nemeroff et al. Arch Gen. Psy. 2008) symptoms (N=1058) (Heim et al. 2009) different single nucleotide polymorphism haplotypes 54 Interaction of Childhood Maltreatment with the Corticotropin-Releasing Hormone Receptor Gene: Effects on Hypothalamic-Pituitary-Adrenal Axis Reactivity Vulnerabilitäts-Stress-Genese-Modell der Depression (Tyrka et al. Biol Psychiatry 2009;66):681–685) UnipolareDepressionenentstehen,wennbeieinem Individuumsitua8veAuslöseraufeineKonstella8on vonrealitätsfremden,verzerrten,nega8ven Kogni8onen,gepaartmitgenerellerHilflosigkeitund VerhaltensdefizitensowieeinemMangelanposi8v verstärkendenAk8vitätenstossen.(Brakemeier, Hautzinger 2008) Repeatedmeasuresgenerallinearmodelshowedasignificantwithin-subjectsinterac8oneffect[F(5,264)=3.18,p.01]between rs110402genotypeandmaltreatment.Influenceofgenotypeoncor8solresponsetothedexamethasone/cor8cotropin-releasing hormonetestisdisplayedforsubjectsrepor8ng(A)moderate/severemaltreatmentand(B)no/minimalmaltreatment.SNP, singlenucleo8depolymorphism 14 27.01.16 Cognitive Behavioral Analytic System of Psychotherapy – CBASP (J. McCullough) Cognitive Behavioral Analytic System of Psychotherapie - CBASP ➡ Störungsspezifische (ambulante/stationäre) Therapie • für chronisch depressive Patienten • mit Frühtraumatisierungen / belastenden Kindheitserfahrungen (ACE, Felitti et al.) StörungsspezifischeAdap8onvonMethodenundTechniken verschiedenerTherapieschulenundTheorien • Kognitiv-emotionale Entwicklungstheorie nach Piaget • Lerntheorie n. Pawlow und Skinner ➡ Neu: Schulenübergreifende Verbindung von • kognitiven (Seligman, Bandura, Piaget) • Erlernte Hilflosigkeit nach Seligmann • behavioralen (Skinner) • Soziale Lerntheorie nach Bandura • interpersonellen (Kiesler) und • Interpersonelle Theorie nach Kiesler • psychodynamischen Theorien und Techniken • Übertragung und persönliches Einbringen der Therapeutin in die Beziehung zum Patienten in Anlehnung an tiefenpsychologische Modelle ➡ Innovativ für Therapeuten: Persönliche Beziehungsgestaltung durch Aufhebung des Neutralitätsprinzips des Therapeuten 27.01.16 Cognitive Behavioral Analytic System of Psychotherapy – CBASP (Schramm 2016) 58 CBASP Therapieziele • Chronische Depression als Resultat erlernter Hilflosigkeit und eines distanzierten, inneffektiven interpersonellen Kommunikationsstils • Mangelnde soziale Problemlösekompetenz • Veränderung lang anhaltender negativer interpersoneller Muster einer durch Missbrauch geprägten Lebensgeschichte • In der Kindheit im Zusammenhang mit ACE/Traumata kommt es zum Stillstand von Reifungsprozessen • Einfluss dysfunktionaler Muster auf die Beziehung zum Therapeuten wird von ihm diszipliniert einlassend thematisiert • Erkennen von Konsequenzen des eigenen Verhaltens • Dies manifestiert sich in präoperatorischem / prälogischem prägenden Denkstil • Entwicklung von authentischer Empathie • Kognitiv rationalen oder logische argumentativem Vorgehen wenig zugänglich • Anwendung von sozialen Problemlöse-Fertigkeiten und Bewältigungsstrategien im Alltag • Empirische Daten zeigen, dass Veränderungen des interpersonellen Verhaltensstils zu eine Reduzierung depressiver Symptome führt. • Interpersonelle Heilungsprozesse bzgl. früher Traumata (Constantino et al. 2012) 27.01.16 59 15 27.01.16 CBASP – Vorgehen bei chronisch depressiven Patienten CBASP – Liste prägender Beziehungen Bezugsperson Prägung Muver IchdarfkeineGefühlezeigen,sonstwerdeichabgelehnt Vater BeziehungensindnichtvonBestand:Ichmussmichalleine durchsLebenschlagen Bruder Ichkannmichnichtwehrenundmussallesalleineaushalten Ehefrau EsgibtzwarNähefürmich.Aberletztlichfühleichmichalleine ©Eva-LovaBrakemeier 27.01.16 CBASP – Übertragungshypothesen 62 CBASP Kiesler-Kreis • Nähe/Vertrautheit: „Wenn ich meinem Therapeuten näher komme, dann....“ • Fehler/Versagen: „Wenn ich einen Fehler bei meinem Therapeuten mache, dann .....“ • Emotionale Bedürftigkeit: „Wenn ich etwas von meinem Therapeuten brauche, dann....“ • Negativer Affekt: „Wenn ich auf meinen Therapeuten ärgerlich bin, dann....“ 27.01.16 64 16 27.01.16 Differential responses to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of major depression and childhood trauma (Nemeroff, Heim, McCollough et al. 2002) Differential responses to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of major depression and childhood trauma (Nemeroff, Heim, McCollough et al. 2002) Differential responses to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of Differential responses to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of major depression and childhood trauma major depression and childhood trauma (Nemeroff, Heim, McCollough et al. 2002) (Nemeroff, Heim, McCollough et al. 2002) 17 27.01.16 Differential responses to psychotherapy versus Differential responses to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of pharmacotherapy in patients with chronic forms of major depression and childhood trauma major depression and childhood trauma (Nemeroff, Heim, McCollough et al. 2002) (Nemeroff, Heim, McCullough et al. 2002) VerbesserungderSymptoma8k Remissionsraten Cognitive-Behavioral Therapy as Continuation Treatment to Sustain Response After Electroconvulsive Therapy in Let me come straight to the point Depression: A Randomized Controlled Trial (Brakemeier et al. 2014; Biol. Psychiatry) • EKT ist die wirksamste Therapie für akute depressive Symptome (Abrahams et al. 2002, APA 1990, DGPPN 2015) • EKT hat jedoch hohe Rückfallraten, wenn keine Anschlussbehandlung erfolgt. • Anschlussbehandlungen können aus Pharmakotherapie bestehen, Erhaltungs-EKT + Pharmakotherapie sowie Pharmakotherapie + störungsspezifischer Psychotherapie 27.01.16 71 18 27.01.16 Studienaufbau Ergebnisse 27.01.16 Ergebnisse Ergebnisse 27.01.16 27.01.16 19 27.01.16 Ergebnisse Cognitive-Behavioral Therapy as Continuation Treatment to Sustain Response After Electroconvulsive Therapy in Depression: A Randomized Controlled Trial (Brakemeier et al. 2014; Biol. Psychiatry) Sustainedresponse,relapse,anddropoutratesaeer6and12months,respec8vely,intheinten8on-totreatsample(n=60).CBT-arm,con8nua8oncogni8ve-behavioralgrouptherapypluspharmacotherapy; ECT-arm,con8nua8onelectroconvulsivetherapypluspharmacotherapy;MED-arm,monocon8nua8on pharmacotherapy. 27.01.16 Schlussfolgerung • Chronische und schwere Depressionen sind häufige, komplexe und multimodal zu behandelnde psychische Störungen • Bei therapieresistenter Major Depression ist die Elektrokrampftherapie eine hoch wirksame Behandlungsoption • EKT muss mit einer Erhaltungstherapie (Medikamente, EKT, Psychotherapie) kombiniert werden, sonst ist das Rückfallrisiko sehr hoch. • Bei chronischen Depressionen, insbesondere mit einer Vorgeschichte belastender Kindheitserfahrungen ist eine störungsspezifische Psychotherapie eine wirksame Behandlungsoption 27.01.16 80 20