Gewöhnliche Differentialgleichungen

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Gewöhnliche
Differentialgleichungen
Franz Hofbauer
Eine Vorlesung für das
Lehramtstudium
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1. Einleitung
1
Kapitel 2. Differentialgleichungen erster und zweiter Ordnung
1. Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung
2. Differentialgleichungen mit getrennten Variablen
3. Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
4. Inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
3
3
5
7
12
Kapitel 3. Systeme linearer Differentialgleichungen
1. Eigenwerte und Eigenvektoren für 2 × 2-Matrizen
2. Homogene Systeme linearer Differentialgleichungen
3. Inhomogene Systeme linearer Differentialgleichungen
4. Ein anderer Zugang zu homogenen Systemen
5. Systeme zweiter Ordnung
6. Lösungskurven
17
17
19
23
25
28
31
Kapitel 4. Nichtlineare Differentialgleichungssysteme
1. Partielle Ableitungen
2. Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen
3. Fixpunkte
4. Bewegungsinvariante
35
36
37
38
39
Kapitel 5. Anhang
1. Die Keplerschen Gesetze
2. Ljapunovfunktionen
3. Lineare Differentialgleichungssysteme
43
43
47
56
KAPITEL 1
Einleitung
Eine Differentialgleichung ist eine Gleichung, die eine Funktion und deren Ableitung(en)
enthält. Gesucht ist diese Funktion. Wir schreiben diese Funktion üblicherweise als x(t), da
die Variable t oft die Zeit bezeichnet und x(t) den Ort eines Körpers oder die Größe einer
Population zum Zeitpunkt t.
Beispiel. Ein Körper fällt aus der Höhe h. Sei x(t) die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t. Dann ist x′ (t) die Geschwindigkeit und x′′ (t) die Beschleunigung des Körpers zum
Zeitpunkt t. Die Beschleunigung ist zu jedem Zeitpunkt t gleich der Erdbeschleunigung −g
(das Minusvorzeichen besagt, dass der Körper nach unten fällt). Zum Zeitpunkt 0 hat der
Körper Höhe h und Geschwindigkeit 0. Das ergibt die Gleichungen
x′′ (t) = −g
für alle t ≥ 0 ,
x(0) = h und x′ (0) = 0
Die erste Gleichung ist eine (sehr einfache) Differentialgleichung, die anderen beiden Gleichungen sind sogenannte Anfangsbedingungen. Es ist leicht, x(t) zu finden. Durch Integration
der Gleichung x′′ (t) = −g erhalten wir x′ (t) = −gt + c für ein c ∈ R (Integrationskonstante).
Wegen x′ (0) = 0 folgt c = 0. Durch Integration der Gleichung x′ (t) = −gt erhalten wir
schließlich x(t) = − g2 t2 + d für ein d ∈ R. Wegen x(0) = h folgt d = h. Damit ergibt sich
x(t) = h − g2 t2 . Das ist die Lösung des gestellten Problems. Durch x(t) = h − g2 t2 wird die
Höhe des fallenden Körpers zum Zeitpunkt t angegeben.
Um zu berechnen, wann der Körper am
√ Boden auftrifft, lösen wir die Gleichung x(t) = 0
g 2
nach t auf. Es folgt 2 t = h und t = 2h/g. Die Geschwindigkeit beim Auftreffen des
√
√
√
Körpers am Boden ist x′ ( 2h/g) = −g 2h/g = − 2gh.
Wirft man den Körper senkrecht nach oben, dann gilt ebenfalls die Differentialgleichung
′′
x (t) = −g. Allerdings haben wir jetzt die Anfangsbedingungen x(0) = 0 und x′ (0) = v,
wobei v die Anfangsgeschwindigkeit ist, mit der der Körper geworfen wird.
Durch Integration der Gleichung x′′ (t) = −g erhalten wir x′ (t) = −gt + c für ein c ∈ R.
Wegen x′ (0) = v folgt c = v. Durch Integration der Gleichung x′ (t) = −gt + v erhalten
wir x(t) = − g2 t2 + vt + d für ein d ∈ R. Wegen x(0) = 0 folgt d = 0. Damit ergibt sich
x(t) = vt − g2 t2 . Dadurch wird die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t angegeben.
Um zu berechnen, wann der Körper am Boden auftrifft, lösen wir die Gleichung x(t) = 0
nach t auf. Wir erhalten t = 2v
. (Die Lösung t = 0 gibt den Abwurfzeitpunkt an.) Um den
g
höchsten Punkt zu berechnen, den der Körper erreicht (dort hat der Körper ja Geschwindigkeit 0), lösen wir x′ (t) = 0 nach t auf. Wir erhalten t = vg . Das ist der Zeitpunkt, zu dem
sich der Körper im höchsten Punkt befindet. Der höchste Punkt ist x( vg ) =
v2
.
2g
Beispiel. Wir beschreiben das Wachstum einer Population, wobei der Zuwachs in einem
Zeitintervall proportional zur Populationsgröße und zur Länge des Zeitintervalls sein soll. Sei
x(t) die Größe der Population zum Zeitpunkt t. Der Zuwachs im Zeitintervall [t, t + h] ist
1
2
1. EINLEITUNG
proportional zu x(t) und zu h. Somit gilt
x(t + h) − x(t) = rhx(t)
oder
x(t+h)−x(t)
h
= rx(t)
wobei r der Proportionalitätsfaktor ist. Diese Gleichung gilt allerdings nur für kleine h, da
sich die Populationsgröße x(t) im Zeitintervall [t, t + h] ändert. Jedenfalls sollten wir eine
brauchbare Gleichung erhalten, wenn wir h gegen 0 gehen lassen. Das ergibt die Differentialgleichung
x′ (t) = rx(t)
Um diese Differentialgleichung zu lösen, dividieren wir durch x(t) und erhalten
x′ (t)
x(t)
x′ (t)
x(t)
= r.
Eine Stammfunktion von
ist log x(t). Wir erhalten daher log x(t) = rt + c für ein c ∈ R
(Integrationskonstante). Wir setzen d = ec . Es folgt x(t) = dert . Das ist die Lösung der
Differentialgleichung.
Um die unbestimmte Konstante d zu bestimmen, gibt man die Größe x0 der Population
zum Zeitpunkt 0 vor. Wegen x(0) = de0 folgt d = x0 . Wir erhalten x(t) = x0 ert . Dadurch
wird die Populationsgröße zum Zeitpunkt t angegeben.
′ (t)
Der Quotient xx(t)
heißt Wachstumsrate. In diesem Beispiel wird angenommen, dass die
Wachstumsrate konstant ist.
Bezeichnungen: Die höchste in der Differentialgleichung vorkommende Ableitung nennt
man die Ordnung der Differentialgleichung. Eine Differentialgleichung heißt linear, wenn
sie von der Form an (t)x(n) (t) + an−1 (t)x(n−1) (t) + · · · + a1 (t)x′ (t) + a0 (t)x(t) = b(t) ist. Ist
b(t) = 0, dann nennt man die lineare Differentialgleichung homogen. Sind die Funktionen
an (t), an−1 (t), . . . , a1 (t), a0 (t) konstant, dann sagt man, die lineare Differentialgleichung hat
konstante Koeffizienten.
KAPITEL 2
Differentialgleichungen erster und zweiter Ordnung
1. Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung
Satz 1. Sei I ⊂ R ein offenes Intervall und p : I → R und q : I → R seien stetig. Sei P
eine Stammfunktion von p. Alle Lösungen der Differentialgleichung
x′ (t) = p(t)x(t) + q(t)
auf dem Intervall I sind dann gegeben durch
∫
x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c)
für ein
c∈R
Man nennt das die allgemeine Lösung der Differentialgleichung.
∫
Beweis. Sei x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c). Wir zeigen, dass diese Funktion für jedes
c ∈ R eine Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) ist. Differenzieren mit
Hilfe der der Produktregel ergibt
∫
x′ (t) = p(t)eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c) + eP (t) q(t)e−P (t)
Daraus erkennt man, dass x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) erfüllt ist.
Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t). Wir
setzen
∫
v(t) = x(t)e−P (t) − q(t)e−P (t) dt
Differenzieren mit Hilfe der der Produktregel ergibt
v ′ (t) = x′ (t)e−P (t) − x(t)p(t)e−P (t) − q(t)e−P (t) = (x′ (t) − x(t)p(t) − q(t))e−P (t)
Da x(t) die Differentialgleichung erfüllt, erhalten wir v ′ (t) = 0. Eine Funktion, deren Ableitung null ist, ist konstant. Es existiert ein c ∈ R mit v(t) =∫c für alle t ∈ R. Setzt man das
für v(t) ein und rechnet x(t) aus, so erhält man x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c). Das beweist,
dass jede Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) von dieser Form ist.
Anfangswertproblem: Um die in der Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) +
q(t) vorkommende unbestimmte Konstante c berechnen zu können, gibt man eine sogenannte
Anfangsbedingung x(t0 ) = x0 vor. Die Lösung x(t) ist an der Stelle t0 bekannt. Daraus
berechnet man c. Eine Differentialgleichung zusammen mit einer Anfangsbedingung nennt
man Anfangswertproblem.
Beispiel. Auf dem Intervall I = (0, ∞) lösen wir das Anfangswertproblem
x′ (t) = − 1t x(t) + 1t cos t mit x( π2 ) = 0
Wir verwenden die Formel aus Satz 1. Wir haben
p(t) = − 1t ∫ und q(t) = 1t cos∫t. Es folgt
∫
P (t) = − log t und eP (t) = 1t . Wir berechnen q(t)e−P (t) dt = ( 1t cos t) · t dt = cos t dt =
sin t. Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist somit
x(t) = 1t (sin t + c)
3
mit
c∈R
4
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Die Anfangsbedingung lautet x( π2 ) = 0. Das ergibt die Gleichung π2 (sin π2 + c) = 0. Es folgt
c = −1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher x(t) = 1t (sin t − 1).
Beispiel. Wir behandeln den radioaktiven Zerfall mit konstanter Zufuhr. Sei x(t) die
Menge des zum Zeitpunkt t vorhandenen radioaktiven Materials. Im Zeitintervall [t, t+h] der
Länge h zerfällt die Menge rhx(t) und die Menge ah wird zugeführt, wobei r die konstante
Zerfallsrate und a die Zufuhr pro Zeiteinheit ist. Wir erhalten die Gleichung
x(t + h) − x(t) = −rhx(t) + ah
x(t+h)−x(t)
h
oder
= −rx(t) + a
Diese Gleichung gilt allerdings nur für kleine h, da sich die Menge x(t) im Zeitintervall
[t, t + h] ändert. Lassen wir h gegen 0 gehen, erhalten wir die Differentialgleichung
x′ (t) = −rx(t) + a
Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist nach Satz 1
x(t) = e−rt ( ar ert + c) = ce−rt +
a
r
mit
c∈R
Ist zu Beginn die Menge x0 vorhanden, dann ist x(0) = x0 die Anfangsbedingung. Das ergibt
die Gleichung c + ar = x0 . Es folgt c = x0 − ar . Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher
x(t) = (x0 − ar )e−rt +
a
r
Es gilt limt→∞ x(t) = ar . Nach einiger Zeit stellt sich die konstante Menge ar an radioaktivem
Material ein.
Cäsium 137 zerfällt mit Zerfallsrate r = 0.023/Jahr. Wenn a kg Cäsium pro Jahr in die
a
Athmosphäre abgegeben werden, dann sammelt sich dort ar = 0.023
= 43.5a kg Cäsium 137,
also das 43.5-fache des Jahresausstoßes.
Beispiel. Wir behandeln einen Stromkreis, der einen Widerstand von R Ohm und eine
Spule mit Induktivität L enthält. Er ist an eine Spannungsquelle angeschlossen.
E
⃝
R
L
Sei I(t) der Strom (in Ampere), der zum Zeitpunkt t im Stromkreis fließt. Nach dem
Ohmschen Gesetz ist U1 (t) = RI(t) die vom Widerstand verursachte Spannung. Sie ist proportional zum fließenden Strom und diesem entgegengesetzt. Stromänderungen in der Spule
verursachen ein Magnetfeld, das eine Spannung U2 (t) induziert. Diese wirkt dem fließenden
Strom entgegen und ist proportional zur Stromänderung. Es gilt U2 (t) = LI ′ (t). Da es sich
um einen geschlossenen Stromkreis handelt, ist die angelegte Spannung E(t) gleich der Summe der von Widerstand und Spule verursachten Spannungen, also E(t) = U1 (t) + U2 (t). Es
folgt E(t) = RI(t) + LI ′ (t). Wir erhalten die Differentialgleichung
I ′ (t) = − R
I(t) + L1 E(t)
L
Legt man eine Gleichspannung an, dann ist E(t) konstant gleich E. Die allgemeine Lösung
der Differentialgleichung ist nach Satz 1
∫
R
R
R
für ein c ∈ R
I(t) = e− L t ( EL e L t dt + c) = ce− L t + E
R
Es gilt limn→∞ I(t) =
E
.
R
Nach einiger Zeit fließt ein konstanter Strom von
E
R
Ampere.
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT GETRENNTEN VARIABLEN
5
Legt man eine Wechselspannung an, dann gilt E(t) = E sin ωt mit ω ∈ R. Die allgemeine
Lösung der Differentialgleichung ist nach Satz 1
∫
R
R
R
cos ωt
I(t) = e− L t ( EL sin ωt e L t dt + c) = ce− L t + ER sinωωt−ωLE
für ein c ∈ R
2 L2 +R2
wobei man zur Berechnung des Integrals zweimalige partielle Integration verwendet. Es gilt
ωLE
I(t) ≈ ω2 LER
2 +R2 sin ωt − ω 2 L2 +R2 cos ωt für große t. Wählt man den Winkel γ so, dass sin γ =
√ ωL
und cos γ = √ω2 LR2 +R2 gilt und setzt man A = √ω2 LE2 +R2 , dann hat man für große t
ω 2 L2 +R2
I(t) ≈ A cos γ sin ωt − A sin γ cos ωt = A sin(ωt − γ)
Es stellt sich ein Wechselstrom mit verschobener Phase ein.
2. Differentialgleichungen mit getrennten Variablen
Satz 2. Seien I und J offene Intervalle, beschränkt oder unbeschränkt. Sei g : I → (0, ∞)
eine stetige Funktion. Ebenso sei h : J → (0, ∞) oder h : J → (−∞, 0) stetig. Ihre Stammg(t)
funktionen seien G und H. Die Lösungen der Differentialgleichung x′ (t) = h(x(t))
sind dann
x(t) = H −1 (G(t) + c)
definiert auf dem Intervall
G−1 (H(J) − c)
wobei c ∈ R beliebig ist aber so, dass G−1 (H(J) − c) nicht die leere Menge ist.
Beweis. Wegen h > 0 oder h < 0 ist H streng monoton, sodass H −1 : H(J) → J
existiert. Weiters ist H(J) ein offenes Intervall, sodass auch das um c verschobene Intervall
H(J) − c offen ist. Wegen g > 0 ist G streng monoton wachsend, sodass G−1 (H(J) − c)
dann ein offenes Teilintervall von I (oder leer) ist. Sei jetzt t 7→ x(t) eine differenzierbare
Abbildung, die auf einem offenen Teilintervall von I definiert ist und Werte in J hat (sonst
kann man x(t) nicht in die Differentialgleichung einsetzen). Dann gilt
x′ (t) =
g(t)
h(x(t))
⇐⇒ h(x(t))x′ (t) = g(t)
⇐⇒ H(x(t)) = G(t) + c für eine Konstante c ∈ R
⇐⇒ x(t) = H −1 (G(t) + c) für eine Konstante c ∈ R
wobei x(t) auf G−1 (H(J)−c) definiert ist. Es gilt ja t ∈ G−1 (H(J)−c) ⇔ G(t) ∈ H(J)−c ⇔
G(t) + c ∈ H(J) , sodass man dann H −1 (G(t) + c) bilden kann.
Beispiel. Auf dem Intervall I = (0, ∞) lösen wir das Anfangswertproblem
x′ (t) =
1
tex(t)
mit x(1) = 0
Wir verwenden die Formel aus Satz 2. Es gilt g(t) = 1t und h(x) = ex . Es folgt G(t) = log t
definiert auf I = (0, ∞) und H(x) = ex definiert auf J = R. Weiters gilt H(J) = (0, ∞) und
H −1 (y) = log y. Wegen G−1 (y) = ey erhalten wir G−1 (H(J) − c) = G−1 (−c, ∞) = (e−c , ∞).
Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist somit
x(t) = H −1 (G(t) + c) = log(log t + c) auf (e−c , ∞)
mit
c∈R
Die Anfangsbedingung lautet x(1) = 0. Das ergibt die Gleichung log(log 1 + c) = 0. Es folgt
c = 1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher x(t) = log(1 + log t) auf ( 1e , ∞).
Beispiel. Wir behandeln die Logistische Differentialgleichung, die das Wachstum einer
Population behandelt. Die Wachstumsrate wird als lineare Funktion der Populationsgröße
mit negativem Anstieg angenommen. Das ergibt
x′ (t)
x(t)
= a(1 −
x(t)
)
K
oder
x′ (t) = ax(t)(1 −
x(t)
)
K
6
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Ist x(t) > K, dann ist die Wachstumsrate negativ verursacht durch Überbevölkerung.
Es liegt eine Differentialgleichung mit getrennten Variablen vor. Wir verwenden die ForK
1
mel aus Satz 2. Es gilt g(t) = a und h(x) = x(K−x)
= x1 + K−x
. Wir können I = R wählen,
da g eine konstante Funktion ist. Das Intervall J ist so zu wählen, dass h auf J das Vorzeichen nicht ändert. Wir wählen daher J = (0, K) oder J = (K, ∞). Stammfunktionen sind
x
x
G(t) = at und H(x) = log |x|−log |K−x| = log | K−x
|. Im Fall J = (0, K) ist H(x) = log K−x
.
−x
Im Fall J = (K, ∞) ist H(x) = log K−x
.
Um H −1 zu berechnen, lösen wir die Gleichung H(x) = y nach x auf. Wir erhalten
±x
y = log K−x
⇔ ey =
Somit ist H −1 (y) =
Key
ey ±1
±x
K−x
⇔ Key = ey x ± x ⇔
Key
ey ±1
=x
die Umkehrfunktion. Aus Satz 2 folgt jetzt
x(t) = H −1 (G(t) + c) = H −1 (at + c) =
Keat+c
eat+c ±1
=
K
1±e−at−c
=
K
1±e−c e−at
Wir führen die neue Konstante d = ±e−c ein und erhalten die Lösung
x(t) =
K
1+de−at
mit
d∈R
Es ist noch der Definitionsbereich der Lösung x(t) zu bestimmen. Wir können die Formel
aus Satz 2 verwenden oder einfach das Intervall bestimmen auf dem x(t) definiert ist. Im
Fall J = (0, K) gilt d > 0 und der Definitionsbereich ist ganz R. Im Fall J = (K, ∞) gilt
d < 0 und der Definitionsbereich ist das Intervall (− a1 log(− d1 ), ∞).
Um die Konstante d zu bestimmen, gibt man die Populationsgröße x0 zum Zeitpunkt
K
0 vor. Wegen x(0) = 1+d
folgt d = xK0 − 1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist dann
Kx0
x(t) = x0 +(K−x
−at . Ist x0 größer als 0, dann gilt limt→∞ x(t) = K. Im Laufe der Zeit stellt
0 )e
sich eine Population der Größe K ein.
Beispiel. Wir untersuchen explosives Wachstum einer Population. Wir nehmen an, dass
die Wachstumsrate gleich αxβ mit α > 0 und β > 0 ist, das heißt sie ist bei größerer
Population nicht kleiner, sondern größer. Das ergibt die Differentialgleichung
x′ (t)
x(t)
= αx(t)β
oder x′ (t) = αx(t)β+1
Wir verwenden die Formel aus Satz 2 für Differentialgleichungen mit getrennten Variablen. Es
gilt g(t) = α und h(x) = x−β−1 . Die Stammfunktionen sind G(t) = αt definiert auf I = R und
1
−β
H(x) = x−β definiert auf J = (0, ∞). Weiters gilt H(J) = (−∞, 0) und H −1 (y) = (−βy)− β .
Wegen G−1 (y) = αy erhalten wir G−1 (H(J)−c) = G−1 (−∞, −c) = (−∞, − αc ). Die allgemeine
Lösung der Differentialgleichung ist somit
x(t) = H −1 (G(t) + c) = (−βαt − βc)− β =
1
1
(−βαt−βc)1/β
auf (−∞, − αc )
mit
c∈R
Ist x0 die Populationsgröße zu Beginn, dann ist x(0) = x0 die Anfangsbedingung. Das ergibt
1
1
die Gleichung (−βc)
. Die Lösung des Anfangswertproblems ist
1/β = x0 . Es folgt −βc =
xβ
0
x(t) =
x0
1/β
(1−βαxβ
0 t)
auf
Man sieht, dass die Populationsgröße x(t) für t →
1
(−∞, αβx
β)
0
1
αβxβ
0
gegen ∞ geht.
3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN
7
3. Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Wir behandeln zuerst die homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung. Das
ist die Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 mit a und b in R.
Satz 3. Seien x(t) und y(t) Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = 0,
die beide auf einem offenen Intervall I definiert sind, und seien c1 und c2 in R. Dann ist
z(t) = c1 x(t) + c2 y(t) ebenfalls eine Lösung dieser Differentialgleichung.
Beweis. Es gilt x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 und y ′′ (t) + ay ′ (t) + by(t) = 0, da x(t) und
y(t) Lösungen sind. Es folgt
z ′′ (t) + az ′ (t) + bz(t) = c1 x′′ (t) + c2 y ′′ (t) + a(c1 x′ (t) + c2 y ′ (t)) + b(c1 x(t) + c2 y(t))
(
)
(
)
= c1 x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) + c2 y ′′ (t) + ay ′ (t) + by(t) = 0
Das zeigt, dass auch z(t) eine Lösung der Differentialgleichung ist.
Definition. Zum Polynom P (λ) = λ2 +aλ+b definieren wir Basisfunktionen h1 : R → R
und h2 : R → R folgendermaßen:
Hat P (λ) zwei verschiedene relle Nullstellen λ1 und λ2 , dann sei h1 (t) = eλ1 t und h2 (t) = eλ2 t .
Hat P (λ) eine zweifache relle Nullstellen λ, dann sei h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt .
Hat P (λ) komplexe Nullstellen α ± iβ, dann sei h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt.
Satz 4. Seien a und b in R und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom
P (λ) = λ2 + aλ + b. Für beliebige c1 und c2 in R ist dann c1 h1 (t) + c2 h2 (t) eine Lösung der
Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0.
Beweis. Es genügt zu zeigen, dass h1 (t) und h2 (t) Lösungen sind. Wegen Satz 3 ist dann
auch c1 h1 (t) + c2 h2 (t) mit c1 und c2 in R eine Lösung. Wir gehen die drei Fälle, die in der
Definition der Basisfunktionen unterschieden werden, durch.
Seien λ1 und λ2 verschiedene reelle Nullstellen von P (λ). Es gilt h1 (t) = eλ1 t . Es folgt
h′′1 (t) + ah′1 (t) + bh1 (t) = λ21 eλ1 t + aλ1 eλ1 t + beλ1 t = (λ21 + aλ1 + b)eλ1 t = P (λ1 )eλ1 t = 0
Somit ist h1 (t) eine Lösung. Genauso zeigt man, dass auch h2 (t) = eλ2 t eine Lösung ist.
Sei λ eine zweifache reelle Nullstelle von P (λ). Es gilt h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt . Wie
oben zeigt man, dass h1 (t) eine Lösung ist. Für h2 (t) gilt
h′′2 (t) + ah′2 (t) + bh2 (t) = tλ2 eλt + 2λeλt + a(tλeλt + eλt ) + bteλt = (λ2 + aλ + b)teλt + (2λ + a)eλt
Da λ eine zweifache reelle Nullstelle von P (λ) ist, gilt nicht nur P (λ) = λ2 + aλ + b = 0,
sondern auch P ′ (λ) = 2λ + a = 0. Es folgt h′′2 (t) + ah′2 (t) + bh2 (t) = 0. Somit ist h2 (t)
ebenfalls eine Lösung der Differentialgleichung.
Schließlich seien α ± iβ konjugiert komplexe Nullstellen von P (λ). Insbesondere gilt
0 = (α + iβ)2 + a(α + iβ) + b = α2 − β 2 + aα + b + i(2αβ + aβ)
Es müssen daher Real- und Imaginärteil null sein, das heißt
α2 − β 2 + aα + b = 0
und
2αβ + aβ = 0
Es gilt h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt. Wegen h′1 (t) = αeαt cos βt − βeαt sin βt
und h′′1 (t) = α2 eαt cos βt − 2αβeαt sin βt − β 2 eαt cos βt erhalten wir
h′′1 (t) + ah′1 (t) + bh1 (t) = (α2 − β 2 + aα + b)eαt cos βt − (2αβ + aβ)eαt sin βt = 0
Somit ist h1 (t) eine Lösung. Genauso folgt, dass auch h2 (t) = eαt sin βt eine Lösung ist. 8
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Beispiel. Wir suchen Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + 6x′ (t) + 9x(t) = 0. Das
Polynom P (λ) = λ2 + 6λ + 9 hat die zweifache Nullstelle λ = −3. Die Basisfunktionen sind
h1 (t) = e−3t und h2 (t) = te−3t . Für beliebige c1 und c2 in R ist x(t) = c1 e−3t + c2 te−3t eine
Lösung.
Anfangswertproblem: Um die in der Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) +
bx(t) = 0 vorkommenden unbestimmten Konstanten c1 und c2 berechnen zu können, gibt
man Anfangsbedingungen x(t0 ) = x0 und x′ (t0 ) = v0 vor. Die Lösung x(t) und ihre Ableitung
sind an der Stelle t0 bekannt. Daraus berechnet man c1 und c2 .
Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′ (t) − 6x′ (t) + 25x(t) = 0 mit x(0) = 2
und x′ (0) = 2. Das Polynom P (λ) = λ2 − 6λ + 25 hat konjugiert komplexe Nullstellen
λ1,2 = 3 ± 4i. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = e3t cos 4t und h2 (t) = e3t sin 4t. Für beliebige
c1 und c2 in R ist x(t) = c1 e3t cos 4t + c2 e3t sin 4t eine Lösung.
Wegen x′ (t) = c1 (3e3t cos 4t − 4e3t sin 4t) + c2 (3e3t sin 4t + 4e3t cos 4t) gilt x(0) = c1 und
x′ (0) = 3c1 + 4c2 . Die Anfangsbedingungen liefern die Gleichungen c1 = 2 und 3c1 + 4c2 = 2.
Es folgt c2 = −1. Somit ist x(t) = 2e3t cos 4t−e3t sin 4t eine Lösung des Anfangswertproblems.
Wir zeigen, dass die in Satz 4 gefundenen Lösungen bereits alle Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 sind. Dazu sind einige Vorbereitungen notwendig.
Lemma 5. Sei I ein offenes Intervall, das auch unbeschränkt sein darf. Sei σ : I → [0, ∞)
differenzierbar und t0 ∈ I. Es existiere eine Konstante K mit |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) für alle t ∈ I.
Dann gilt σ(t) ≤ σ(t0 )eK|t−t0 | für alle t ∈ I. Ist σ(t0 ) = 0, dann gilt σ(t) = 0 für alle t ∈ I.
Beweis. Sei g : I → R definiert durch g(t) = σ(t)e−K|t−t0 | . Das ist eine stetige Funktion,
da σ stetig ist. Wir untersuchen das Monotonieverhalten dieser Funktion.
Für (t > t0 gilt g(t) )= σ(t)e−K(t−t0 ) und g ′ (t) = σ ′ (t)e−K(t−t0 ) − Kσ(t)e−K(t−t0 ) . Es folgt
′
g (t) ≤ |σ ′ (t)| − Kσ(t) e−K(t−t0 ) ≤ 0, da |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) vorausgesetzt wird. Das bedeutet,
dass g auf dem Intervall I ∩ [t0 , ∞) monoton fallend ist.
Für (t < t0 gilt g(t) )= σ(t)eK(t−t0 ) und g ′ (t) = σ ′ (t)eK(t−t0 ) + Kσ(t)eK(t−t0 ) . Es folgt
g ′ (t) ≥ −|σ ′ (t)| + Kσ(t) eK(t−t0 ) ≥ 0, da |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) vorausgesetzt wird. Das bedeutet,
dass g auf dem Intervall I ∩ (−∞, t0 ] monoton wachsend ist.
Somit nimmt g im Punkt t0 das Maximum an. Es gilt daher g(t) ≤ g(t0 ), das heißt
σ(t) ≤ σ(t0 )eK|t−t0 | für alle t ∈ I.
Ist σ(t0 ) = 0, dann folgt σ(t) ≤ 0 für alle t ∈ I. Da σ eine Funktion mit Werten in [0, ∞)
ist, ergibt sich σ(t) = 0 für alle t ∈ I.
Lemma 6. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Es gelte x(t0 ) = 0 und x′ (t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I.
Dann gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I.
Beweis. Wir verwenden Lemma 5. Wir setzen K = 2|a| + |b| + 1 und σ : I → [0, ∞)
sei definiert durch σ(t) = x(t)2 + x′ (t)2 . Wir berechnen σ ′ (t) = 2x(t)x′ (t) + 2x′ (t)x′′ (t).
Da x(t) eine Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 ist, erhalten wir
σ ′ (t) = 2x(t)x′ (t) − 2ax′ (t)2 − 2bx(t)x′ (t). Mit Hilfe der Dreiecksungleichung ergibt sich
|σ ′ (t)| ≤ 2(1 + |b|)|x(t)x′ (t)| + 2|a|x′ (t)2 . Und die Ungleichung 2|x(t)x′ (t)| ≤ x(t)2 + x′ (t)2
liefert |σ ′ (t)| ≤ (1 + |b|)x(t)2 + (1 + |b| + 2|a|)x′ (t)2 ≤ K(x(t)2 + x′ (t)2 ) = Kσ(t).
Weiters gilt σ(t0 ) = 0, da ja x(t0 ) = 0 und x′ (t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5
folgt jetzt, dass σ(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Somit muss auch x(t) = 0 für alle t ∈ I gelten. 3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN
9
Satz 7. Seien h1 (t) und h2 (t) auf ganz R definierte Lösungen der Differentialgleichung
x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Es gelte (diese Determinante heißt Wronskideterminante)
h1 (t) h2 (t)
′
h1 (t) h′2 (t) ̸= 0 für alle t ∈ R
Ist jetzt x(t) eine Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0, die auf einem
offenen Intervall I definiert ist, dann existieren c1 und c2 in R, sodass x(t) = c1 h1 (t)+c2 h2 (t)
für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R
definiert ist (sollte I ̸= R sein).
Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Dann existieren c1 und c2 in R mit
c1 h1 (t0 ) + c2 h2 (t0 ) = x(t0 )
c1 h′1 (t0 ) + c2 h′2 (t0 ) = x′ (t0 )
da die Determinante dieses linearen Gleichungssystems nach Voraussetzung ungleich null ist.
Sei y(t) = c1 h1 (t)+c2 h2 (t)−x(t) für t ∈ I. Da c1 h1 (t)+c2 h2 (t) nach Satz 4 und x(t) nach
Voraussetzung Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 sind, ist y(t)
wegen Satz 3 ebenfalls eine Lösung. Außerdem wurden c1 und c2 so gewählt, dass y(t0 ) = 0
und y ′ (t0 ) = 0 gelten. Aus Lemma 6 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist
auch x(t) = c1 h1 (t) + c2 h2 (t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine Lösung der
Differentialgleichung steht, die auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t) fortsetzen zu einer auf
ganz R definierten Lösung.
Satz 8. Seien a und b in R und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom
P (λ) = λ2 + aλ + b. Dann ist
{c1 h1 (t) + c2 h2 (t) : c1 , c2 ∈ R}
die Menge aller Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0.
Beweis. In Satz 4 wurde bereits gezeigt, dass c1 h1 (t)+c2 h2 (t) für alle c1 und c2 in R eine
Lösung
auch h1 (t) und h2 (t) selbst. Wegen Satz 7 genügt es jetzt zu zeigen,
ist, insbesondere
h1 (t) h2 (t) dass h′ (t) h′ (t) ̸= 0 für alle t ∈ R gilt. Wir untersuchen die drei Fälle für die Nullstellen des
1
2
Polynoms P (λ), die in der Definition der Basisfunktionen unterschieden werden.
Bei verschiedenen reellen Nullstellen λ1 und λ2 gilt h1 (t) = eλ1 t und h2 (t) = eλ2 t . Es folgt
λ2 t h1 (t) h2 (t) eλ1 t
e
λ1 t λ2 t
′
h1 (t) h′2 (t) = λ1 eλ1 t λ2 eλ2 t = (λ2 − λ1 )e e ̸= 0
Im Fall einer zweifachen reellen Nullstellen λ gilt h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt . Es folgt
λt
h1 (t) h2 (t) eλt
te
′
= λt λt
= e2λt ̸= 0
′
λt
h1 (t) h2 (t) λe
e + λte Im Fall komplexer Nullstellen α ± iβ gilt h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt. Es folgt
αt
αt
h1 (t) h2 (t) e
cos
βt
e
sin
βt
2αt
′
= αt
′
αt
αt
αt
h1 (t) h2 (t) αe cos βt − βe sin βt αe sin βt + βe cos βt = βe ̸= 0
wobei man berücksichtigen muss, dass β ̸= 0 gilt.
10
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Beispiel. Wir untersuchen einen schwingenden Körper. Ein Körper der Masse m bewegt
sich entlang der x-Achse. Er ist an einer Feder befestigt mit dem Nullpunkt als Ruhelage.
/\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\
− \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/−
⃝
Sei x(t) seine Auslenkung zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t ist
dann x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Auf den Körper wirken zwei Kräfte. Die Feder
zieht den Körper in die Ruhelage zurück. Diese Rückstellkraft ist proportional zur Auslenkung, also gleich −kx(t). Die Proportionalitätskonstante k heißt Federkonstante. Das Minuszeichen besagt, dass der Körper in die Ruhelage zurückgezogen wird. Bei positiver Auslenkung hat die Kraft negative Richtung und bei negativer Auslenkung positive Richtung. Die
zweite Kraft, die wirkt, ist die Reibungskraft. Sie ist proportional zur Geschwindigkeit und
wirkt dieser entgegen. Daher ist sie gleich −ϱx′ (t). Die Proportionalitätskonstante ϱ heißt
Reibungskoeffizient.
Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt. Das ergibt
Wir setzen r =
ϱ
2m
mx′′ (t) = −kx(t) − ϱx′ (t)
√
≥ 0 und w = k/m > 0 und erhalten
x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0
Der Körper wird in Position x0 gebracht und losgelassen. Das ergibt die Anfangsbedingungen
x(0) = x0
und
x′ (0) = 0
Je nach Größe des Reibungswiderstands unterscheiden wir verschiedene Fälle.
Fall 1: Keine Reibung. Es gilt ϱ = 0 und somit r = 0. Das ergibt das Anfangswertproblem
x′′ (t) + w2 x(t) = 0
mit
x(0) = x0
und
x′ (0) = 0
Das Polynom P (λ) = λ2 + w2 hat die konjugiert komplexen Nullstellen λ1,2 = ±iw. Die
allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist daher
x(t) = c1 cos wt + c2 sin wt
mit
c1 , c 2 ∈ R
Es gilt x(0) = c1 und x′ (0) = c2 w. Die Anfangsbedingungen ergeben daher die Gleichungen
c1 = x0 und c2 = 0. Die Lösung des Anfangswertproblems ist somit
√
x(t) = x0 cos wt mit w = k/m
Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers ohne Reibung beschrieben. Den
Zeitpunkt des ersten Durchgangs durch die Ruhelage erhält man als Lösunmg der Gleichung
π
x(t) = 0. Das ergibt cos wt = 0 und t = 2w
. Die Zeitpunkte der weiteren Durchgänge
√
π
π
′ π
sind t = 2w + k w für k ∈ N. Weiters ist x ( 2w ) = −x0 w sin π2 = −x0 w = −x0 k/m die
Geschwindigkeit beim Durchgang.
Fall 2: Große Reibung r > w. Wir haben das Anfangswertproblem
x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0
mit
x(0) = x0
und
x′ (0) = 0
3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 11
√
√
Die Nullstellen von P (λ) = λ2 + 2rλ + w2 sind λ1 = −r + r2 − w2 und λ2 = −r − r2 − w2 .
Es gilt λ2 < λ1 < 0. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist
x(t) = c1 eλ1 t + c2 eλ2 t
mit
c1 , c 2 ∈ R
Es gilt x(0) = c1 + c2 und x′ (0) = λ1 c1 + λ2 c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben daher die
λ2
λ1
Gleichungen c1 + c2 = x0 und λ1 c1 + λ2 c2 = 0. Es folgt c1 = − λx10−λ
und c2 = λx10−λ
. Die
2
2
Lösung des Anfangswertproblems ist somit
(
)
λ1 t
λ2 t
0
x(t) = λ1x−λ
−λ
e
+
λ
e
2
1
2
Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers mit großer Reibung beschrieben.
Wegen λ2 < λ1 < 0 geht x(t) monoton gegen 0 für t → ∞.
Im Grenzfall r = w hat P (λ) die zweifache Nullstelle λ1,2 = −r. Die allgemeine Lösung
der Differentialgleichung ist
x(t) = c1 e−rt + c2 te−rt
mit
c1 , c 2 ∈ R
′
Es gilt x(0) = c1 und x (0) = −rc1 + c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die Gleichungen
c1 = x0 und −rc1 + c2 = 0. Es folgt c2 = rx0 . Die Lösung des Anfangswertproblems ist
(
)
x(t) = x0 e−rt + rx0 te−rt = x0 e−rt 1 + rt
Für t → ∞ geht x(t) monoton gegen 0.
Fall 3: Kleine Reibung 0 < r < w. Wir haben wieder das Anfangswertproblem
x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0
x′ (0) = 0
√
Das Polynom P (λ) = λ2 + 2rλ√+ w2 hat die Nullstellen λ1,2 = −r ± i w2 − r2 mit Realteil
α = −r und Imaginärteil β = w2 − r2 . Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist
mit
x(0) = x0
x(t) = c1 e−rt cos βt + c2 e−rt sin βt
mit
und
c1 , c 2 ∈ R
Es gilt x(0) = c1 und x′ (0) = −rc1 + βc2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die Gleichungen
c1 = x0 und −rc1 + βc2 = 0. Es folgt c2 = rxβ0 . Die Lösung des Anfangswertproblems ist
(
)
x(t) = x0 e−rt cos βt + rxβ0 e−rt sin βt = xβ0 e−rt β cos βt + r sin βt
Wählt man den Winkel γ so, dass sin γ = √ β2 2 = wβ und cos γ = √ r2 2 =
β +r
β +r
√
setzt man d = xβ0 β 2 + r2 = x0βw , dann hat man
(
)
x(t) = de−rt sin γ cos βt + cos γ sin βt = de−rt sin(βt + γ)
r
w
gilt, und
Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers mit kleiner Reibung beschrieben.
Wir erhalten eine gedämpfte Schwingung.
Es soll noch kurz die homogene lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten besprochen werden. Diese ist
x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R
Dazu definieren wir wieder Basisfunktionen.
Definition. Zum Polynom P (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + · · · + an definieren wir
Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) folgendermaßen:
Für jede k-fache reelle Nullstelle λ des Polynoms P (λ) nehmen wir die Funktionen
eλt , teλt , t2 eλt , . . . , tk−1 eλt
12
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Für jedes k-fache konjugiert komplexe Nullstellenpaar α ± iβ des Polynoms P (λ) nehmen
wir die Funktionen
eαt cos βt , teαt cos βt , . . . , tk−1 eαt cos βt und eαt sin βt , teαt sin βt , . . . , tk−1 eαt sin βt
Insgesamt ergibt das n Funktionen. Diese sind die Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) zum
Polynom P (λ).
Es gilt dann
Satz 9. Seien a1 , a2 , . . . , an ∈ R und h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zum
Polynom P (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + · · · + an . Dann ist
{c1 h1 (t) + c2 h2 (t) + · · · + cn hn (t) : c1 , c2 , . . . , cn ∈ R}
die Menge aller Lösungen der Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an x(t) = 0.
Diesen Satz kann man genauso beweisen wie den für lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung, allerdings sind die Rechnungen wesentlich komplizierter.
Anfangswertproblem: Um die unbestimmten Konstanten c1 , c2 , . . . , cn , die in der Lösung
der Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 vorkommen, zu
(1)
(n−1)
berechnen, sind n Anfangsbedingungen x(t0 ) = x0 , x′ (t0 ) = x0 , . . . , x(n−1) (t0 ) = x0
notwendig.
Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′′ (t) + 4x′ (t) = 0 mit x(0) = 0, x′ (0) = 0
und x′′ (0) = 1. Das Polynom P (λ) = λ3 + 4λ hat die Nullstellen λ1 = 0 und λ2,3 = ±2i. Die
Basisfunktionen sind h1 (t) = 1, h2 (t) = cos 2t und h3 (t) = sin 2t. Die allgemeine Lösung der
Differentialgleichung ist somit
x(t) = c1 + c2 cos 2t + c3 sin 2t
mit
c1 , c 2 , c 3 ∈ R
Es gilt x(0) = c1 + c2 , x′ (0) = 2c3 und x′′ (0) = −4c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die
Gleichungen c1 + c2 = 0, 2c3 = 0 und −4c2 = 1 Es folgt c2 = − 41 , c3 = 0 und c1 = 41 . Die
Lösung des Anfangswertproblems ist x(t) = 14 − 14 cos 2t.
4. Inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Wir behandeln zuerst die inhomogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung. Das
ist die Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = f (t) mit a und b in R und mit f : R → R.
Satz 10. Sei x̃(t) eine (spezielle oder partikuläre) Lösung der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t). Sei L die Menge aller Lösungen der zugehörigen
homogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Dann ist {x̃(t) + z(t) : z(t) ∈ L}
die Menge aller Lösungen der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = f (t).
Beweis. Wir zeigen zuerst, dass x̃(t) + z(t) mit z(t) ∈ L eine Lösung der inhomogenen
Differentialgleichung ist. Es gilt (x̃(t) + z(t))′′ + a(x̃(t) + z(t))′ + b(x̃(t) + z(t)) = x̃′′ (t) +
ax̃′ (t) + bx̃(t) + z ′′ (t) + az ′ (t) + bz(t) = f (t) + 0, womit der Nachweis gelungen ist.
Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Wir setzen
z(t) = x(t)−x̃(t). Dann gilt z ′′ (t)+az ′ (t)+bz(t) = x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t)−x̃′′ (t)−ax̃′ (t)−bx̃(t) =
f (t) − f (t) = 0, das heißt z(t) ∈ L. Ausserdem gilt x(t) = x̃(t) + z(t). Jede Lösung x(t) der
inhomogenen Differentialgleichung lässt sich in der gewünschten Form schreiben.
4. INHOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 13
Wegen Satz 10 genügt es eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung
x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t) zu finden. Die Methode im folgenden Satz heißt Variation der
Konstanten, da die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung von der selben Form ist
wie die der homogenen, wobei jedoch die Konstanten c1 und c2 keine Konstanten mehr sind,
sondern Funktionen in t.
Satz 11. Seien h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ2 + aλ + b.
Seien c1 (t) und c2 (t) Funktionen, für die gilt
(1)
c′1 (t)h1 (t) + c′2 (t)h2 (t) = 0
(2)
c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) = f (t)
Dann ist x̃(t) = c1 (t)h1 (t) + c2 (t)h2 (t) eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung
x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t).
Beweis. Wir differenzieren mit der Produktregel. Es gilt x̃′ (t) = c′1 (t)h1 (t)+ c1 (t)h′1 (t)+
′
c2 (t)h2 (t) + c2 (t)h′2 (t). Wegen (1) erhalten wir x̃′ (t) = c1 (t)h′1 (t) + c2 (t)h′2 (t). Nun folgt
x̃′′ (t) = c′1 (t)h′1 (t) + c1 (t)h′′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) + c2 (t)h′′2 (t). Damit ergibt sich
x̃′′ (t) + ax̃′ (t) + bx̃(t) = c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t)
+ c1 (t)h′′1 (t) + c1 (t)ah′1 (t) + c1 (t)bh1 (t) + c2 (t)h′′2 (t) + c2 (t)ah′2 (t) + c2 (t)bh2 (t)
Da h1 (t) und h2 (t) Lösungen der homogenen Differentialgleichung sind, erhalten wir h′′1 (t) +
ah′1 (t)+bh1 (t) = 0 und h′′2 (t)+ah′2 (t)+bh2 (t) = 0. Wegen (2) gilt c′1 (t)h′1 (t)+c′2 (t)h′2 (t) = f (t).
Es folgt x̃′′ (t)+ax̃′ (t)+bx̃(t) = f (t). Damit ist gezeigt, dass x̃(t) eine Lösung der inhomogenen
Differentialgleichung ist.
Bemerkung: Das lineare Gleichungssystem in Satz 11 ist immer lösbar. Die Determinante
ist die Wronskideterminante. Im Beweis von Satz 8 wurde ja gezeigt, dass sie immer ̸= 0 ist.
Beispiel. Wir lösen die Differentialgleichung x′′ (t) − 2x′ (t) + x(t) = et . Das Polynom
P (λ) = λ2 − 2λ + λ hat 1 als zweifache Nullstelle. Die beiden Basisfunktionen sind daher
h1 (t) = et und h2 (t) = tet . Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist
dann c1 et + c2 tet mit c1 und c2 in R.
Wir verwenden Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden.
Zu lösen ist folgendes lineare Gleichungssystem
c′1 (t)et + c′2 (t)tet = 0
c′1 (t)et + c′2 (t)(et + tet ) = et
Subtrahiert man die erste von der zweiten Gleichung, so hat man c′2 (t)et = et , das heißt
2
c′2 (t) = 1. Aus der ersten Gleichung folgt c′1 (t) = −t. Stammfunktionen sind c1 (t) = − t2
2
2
und c2 (t) = t. Somit ist x̃(t) = − t2 et + t · tet = t2 et eine spezielle Lösung der inhomogenen
Differentialgleichung. Nach Satz 10 ist dann
x(t) = c1 et + c2 tet +
t2 t
e
2
mit
c1 , c 2 ∈ R
die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung.
Beispiel. Wir behandeln den freien Fall mit Reibung. Ein Körper der Masse m fällt
aus der Höhe h. Sei x(t) die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum
Zeitpunkt t ist dann x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Die Kräfte, die auf den Körper
einwirken, sind die Gravitationskraft −mg und der Reibungswiderstand −ϱx′ (t).
14
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt. Das ergibt
mx′′ (t) = −mg − ϱx′ (t)
Wir setzen r =
ϱ
m
≥ 0 und erhalten
x′′ (t) + rx′ (t) = −g
Der Körper fällt aus der Höhe h. Das ergibt die Anfangsbedingungen
x(0) = h
und
x′ (0) = 0
Das Polynom P (λ) = λ2 + rλ hat die Nullstellen λ1 = −r und λ2 = 0. Die allgemeine Lösung
der homogenen Differentialgleichung ist daher c1 e−rt + c2 mit c1 und c2 in R.
Wir verwenden Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden.
Zu lösen ist folgendes lineares Gleichungssystem
c′1 (t)e−rt + c′2 (t) = 0
−c′1 (t)re−rt
= −g
Die Lösungen sind c′1 (t) = gr ert und c′2 (t) = − gr . Stammfunktionen sind c1 (t) = rg2 ert und
c2 (t) = − gr t. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist dann
x̃(t) =
g rt −rt
e e
r2
− gr t =
g
r2
− gr t
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist schließlich
x(t) = c1 e−rt + c2 +
g
r2
− gr t
c1 , c 2 ∈ R
mit
Wegen x(0) = c1 + c2 + rg2 und x′ (0) = −rc1 − gr erhalten wir die Gleichungen c1 + c2 + rg2 = h
und −rc1 − gr = 0 aus den Anfangsbedingungen. Das ergibt c1 = − rg2 und c2 = h. Die Lösung
des Anfangswertproblems ist somit
x(t) = − rg2 e−rt + h +
g
r2
− gr t
Dadurch wird die Bewegung des fallenden Körpers mit Reibung beschrieben. Für r → 0
2
erhält man x(t) = − gt2 + h. Das ist der fallende Körper ohne Reibung.
Beispiel. Wir untersuchen eine erzwungene Schwingung ohne Reibung. Ein Körper der
Masse m bewegt sich entlang der x-Achse. Er ist an einer Feder befestigt.
/\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\
− \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/−
⃝
Es wirkt jedoch noch eine zusätzliche zeitabhängige Kraft f (t) auf den Körper. Sei x(t) die
Auslenkung des Körpers zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t ist dann
x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Auf den Körper wirken die Rückstellkraft −kx(t) der
Feder und die Kraft f (t). Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus
Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt
mx′′ (t) = −kx(t) + f (t)
Setzt man w =
√
k/m > 0 so ergibt sich
x′′ (t) + w2 x(t) =
1
f (t)
m
4. INHOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 15
Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist c1 cos wt + c2 sin wt mit c1
und c2 in R.
a
Ist f (t) konstant gleich a, dann ist x̃(t) = mw
2 eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung, wie man leicht nachprüft. Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentiala
gleichung ist c1 cos wt + c2 sin wt + mw
2 mit c1 und c2 in R.
Interessanter ist der Fall f (t) = a sin wt, bei dem Resonanz eintritt. Wir verwenden
Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden. Zu lösen ist das
lineare Gleichungssystem
c1′ (t) cos wt + c′2 (t) sin wt = 0
−wc′1 (t) sin wt + wc′2 (t) cos wt =
a
m
sin wt
Multipliziert man die erste Gleichung mit w sin wt, die zweite mit cos wt und addiert die
a
a
beiden, dann hat man wc′2 (t) = m
sin wt cos wt, woraus c′2 (t) = 2wm
sin 2wt folgt. Aus der
2
a
a
′
′
ersten Gleichung folgt dann wc1 (t) = − m sin wt und daraus c1 (t) = − 2wm
(1 − cos 2wt).
a
1
a
Stammfunktionen sind c1 (t) = − 2wm (t− 2w sin 2wt) und c2 (t) = − 4w2 m cos 2wt. Eine spezielle
Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist dann
a
a
t cos wt + 4wa2 m sin 2wt cos wt − 4wa2 m cos 2wt sin wt = − 2wm
t cos wt + 4wa2 m sin wt
x̃(t) = − 2wm
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist
x(t) = c1 cos wt + c2 sin wt −
a
t cos wt
2wm
mit
c1 , c 2 ∈ R
a
4w2 m
da man
sin wt mit c2 sin wt zusammenfassen kann. Wird der Körper in die Position x0
gebracht und losgelassen, dann hat man die Anfangsbedingungen
x(0) = x0
Daraus ergibt sich c1 = x0 und c2 =
a
.
2w2 m
x(t) = x0 cos wt +
Der Summand
a
t cos wt
2wm
und
x′ (0) = 0
Die Lösung des Anfangswertproblems ist
a
2w2 m
sin wt −
a
t cos wt
2wm
besagt, dass sich die Schwingung immer weiter aufschaukelt.
Ganz analog funktioniert die Variation der Konstanten auch für lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung, zum Beispiel dritter Ordnung:
x′′′ (t) + ax′′ (t) + bx′ (t) + cx(t) = f (t)
Seien h1 (t), h2 (t) und h3 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ3 + aλ2 + bλ + c. Zu
lösen ist folgendes lineare Gleichungssystem
c′1 (t)h1 (t) + c′2 (t)h2 (t) + c′3 (t)h3 (t) = 0
c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) + c′3 (t)h′3 (t) = 0
c′1 (t)h′′1 (t) + c′2 (t)h′′2 (t) + c′3 (t)h′′3 (t) = f (t)
Man bildet Stammfunktionen c1 (t), c2 (t) und c3 (t) der als Lösung gefundenen Funktionen
c′1 (t), c′2 (t) und c′3 (t). Dann ist x̃(t) = c1 (t)h1 (t) + c2 (t)h2 (t) + c3 (t)h3 (t) eine Lösung der
inhomogenen Differentialgleichung x′′′ (t) + ax′′ (t) + bx′ (t) + cx(t) = f (t).
Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′′ (t)−3x′ (t)−2x(t) = 9e−t mit x(0) = 0,
x (0) = 0 und x′′ (0) = 0.
Das Polynom P (λ) = λ3 − 3λ − 2 hat die Nullstellen λ1 = 2 und λ2,3 = −1. Die
Basisfunktionen sind h1 (t) = e2t , h2 (t) = e−t und h3 (t) = te−t . Die allgemeine Lösung der
homogenen Differentialgleichung ist c1 e2t + c2 e−t + c3 te−t mit c1 , c2 und c3 in R.
′
16
2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG
Um eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden, berechnen wir
noch h′3 (t) = e−t − te−t und h′′3 (t) = −2e−t + te−t . Zu lösen ist das lineare Gleichungssystem
c′1 (t)e2t + c′2 (t)e−t + c′3 (t)te−t = 0
2c′1 (t)e2t − c′2 (t)e−t + c′3 (t)(e−t − te−t ) = 0
4c′1 (t)e2t + c′2 (t)e−t + c′3 (t)(−2e−t + te−t ) = 9e−t
Die Summe der ersten beiden Gleichungen ist 3c′1 (t)e2t +c′3 (t)e−t = 0. Die Summe der letzten
beiden Gleichungen ist 6c′1 (t)e2t − c′3 (t)e−t = 9e−t . Summiert man diese beiden Gleichungen,
so hat man 9c′1 (t)e2t = 9e−t , woraus c′1 (t) = e−3t folgt. Setzt man oben ein, so erhält man
c′3 (t) = −3 und c′2 (t) = 3t − 1. Stammfunktionen sind c1 (t) = − 31 e−3t , c2 (t) = 32 t2 − t und
c3 (t) = −3t. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist daher
x̃(t) = − 31 e−3t e2t + ( 23 t2 − t)e−t − 3t · te−t = (− 23 t2 − t − 13 )e−t
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist
x(t) = c1 e2t + c2 e−t + c3 te−t − 32 t2 e−t
da
mit
c1 , c 2 , c 3 ∈ R
man −te−t mit c3 te−t und − 31 e−t mit c2 e−t zusammenziehen kann.
Es gilt x(0) = c1 + c2 , x′ (0) = 2c1 − c2 + c3 und x′′ (0) = 4c1 + c2 − 2c3 − 3.
Die Gleichungen
c1 +c2 = 0, 2c1 −c2 +c3 = 0 und 4c1 +c2 −2c3 = 3 erhalten wir aus den Anfangsbedingungen.
Das ist ein lineares Gleichungssystem in drei Variablen. Löst man es auf so erhält man c1 = 13 ,
c2 = − 13 und c3 = −1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist
x(t) = 13 e2t − ( 32 t2 + t + 31 )e−t
KAPITEL 3
Systeme linearer Differentialgleichungen
Bisher hatten die Lösungen x(t) der Differentialgleichungen Werte in R. Jetzt lassen wir
Werte im R2 oder allgemeiner im Rn zu. Die Lösungen sind jetzt Abbildungen t 7→ x(t)
von R oder einem Intervall nach R2 . Man kann diese Lösungen als Kurven im R2 auffassen.
Wir bezeichnen die Komponenten des Vektors x(t) mit x1 (t) und x2 (t). Die Ableitung x′ (t)
( x′ (t) )
definieren wir komponentenweise, das heißt x′ (t) = x1′ (t) .
2
Ein homogenes System linearer Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten ist
x′1 (t) = ax1 (t) + bx2 (t)
Führen wir die Matrix A =
(a b)
c d
x′2 (t) = cx1 (t) + dx2 (t)
ein, so können wir dieses System schreiben als
x′ (t) = Ax(t)
Um Lösungen für Systeme linearer Differentialgleichungen zu finden, verwenden wir Eigenwerte und Eigenvektoren. Wir stellen die benötigten Resultate zusammen.
1. Eigenwerte und Eigenvektoren für 2 × 2-Matrizen
Definition. Sei A eine Matrix. Ein Vektor v ̸= 0 heißt Eigenvektor der Matrix A, wenn
Av = λv für eine Zahl λ gilt. Die Zahl λ nennt man Eigenwert der Matrix A.
Wie finden wir Eigenwerte und Eigenvektoren? Wir können Ax = λx auch schreiben
als (A − λI2 )x = 0. Dieses lineare Gleichungssystem hat nur dann eine Lösung ̸= 0, wenn
det(A − λI2 ) = 0 gilt. Dann existiert ein Vektor v ̸= 0 mit (A − λI2 )v = 0, das heißt
Av = λv. Somit ist v ein Eigenvektor und λ ein Eigenwert. Mit v erfüllt auch rv für alle
Zahlen
( r )die Gleichung Ax = λx.
( Daher
)sind auch alle Vielfachen von v Eigenvektoren. Ist
b
A = ac db , dann gilt A − λI2 = a−λ
c d−λ und
det(A − λI2 ) = (a − λ)(d − λ) − bc = λ2 − (a + d)λ + ad − bc
(∗)
Das ist ein Polynom in der Variablen λ. Man nennt es das charakteristische Polynom der
Matrix A. Die Eigenwerte der Matrix A sind dann die Lösungen der quadratischen Gleichung
λ2 −(a+d)λ+ad−bc = 0. Es gibt drei Fälle, entweder zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1
und λ2 , oder einen zweifachen reellen Eigenwert λ, oder zwei zueinander konjugiert komplexe
Eigenwerte λ1,2 = α ± iβ.
Fall 1: Die Matrix A hat zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 . Es existieren
Eigenvektoren u ∈ R2 und v ∈ R2 zu diesen Eigenwerten. Sie sind ̸= 0 und es gilt Au = λ1 u
und Av = λ2 v.
Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = ru für ein r ∈ R \ {0}
gelten, dann hätten wir auch Au = λ2 u und somit (λ1 − λ2 )u = 0, einen Widerspruch wegen
λ1 ̸= λ2 und u ̸= 0.
17
18
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
( )
Beispiel. Sei A = 53 13( . Gesucht
) sind Eigenwerte und Eigenvektoren.
5−λ 1
Wir bilden A − λI2 = 3 3−λ und berechnen die Determinante (5 − λ)(3 − λ) − 3 =
λ2 − 8λ + 12. Das ist das charakteristische Polynom von A. Die Nullstellen sind λ1 = 6 und
λ2 = 2. Damit sind die Eigenwerte
) Matrix A gefunden.
( −1 1der
Wir berechnen A
−
λ
I
=
3 −3 . Einen Eigenvektor u zum Eigenwert λ1 = 6 erhalten
( −1 11 )2
wir
( −1 als
)Lösung von( 1 )3 −3 u = 0. Wir wählen u als Normalvektor der ersten Zeile
( −1der
)Matrix
1
1
3 −3 , also u =( 1) . Da das auch ein Normalvektor der zweiten Zeile ist, ist
3 −3 u = 0
1
erfüllt. Somit ist 1 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ1 = 6. Jedes Vielfache dieses Vektors,
außer dem Nullvektor, ist ebenfalls Eigenvektor.
( )
Ebenso berechnen wir A − λ2 I2 = 33 11 . Einen Eigenvektor
( 3 1 ) v zum Eigenwert
( −1 ) λ2 = 2
erhalten wir als Normalvektor der beiden Zeilen der Matrix 3 1 , also v = 3 .
Fall 2: Die Matrix A hat einen zweifachen reellen Eigenwert λ. Wir nehmen an, dass A nicht
gleich rI2 für ein r ∈ R ist, sonst zerfällt das Differentialgleichungssystem in zwei einzelne
Differentialgleichungen. Dann existiert ein Eigenvektor u ∈ R2 \ {0}, für den Au = λu gilt,
und ein Vektor v ∈ R2 \ {0}, für den Av = λv + u gilt.
Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = ru für ein r ∈ R \ {0}
gelten, dann hätten wir auch Au = (λ + 1r )u und somit 1r u = 0, ein Widerspruch.
( )
Wir zeigen, dass solche Vektoren u und v existieren. Dazu sei A = ac db . Da λ zweifacher
Eigenwert ist, erhalten wir λ = 12 (a+d) und q 2 = −bc, wobei q = 21 (a−d) ist. Das charakteri( b )
stische Polynom in (∗) hat ja eine zweifache Nullstelle. Es folgt A − λI2 = qc −q
. Ist c ̸= 0,
(q)
(1)
dann wählen wir u = c und v = 0 . Es gilt dann (A − λI2 )u = 0 und (A − λI2 )v = u,
das heißt Au( = )λu und Av( =) λv + u. Ist c = 0, dann gilt b ̸= 0, sonst wäre A = aI2 . Wir
b
wählen u = −q
und v = 01 . Es gilt wieder Au = λu und Av = λv + u.
( 5 4)
Beispiel. Sei A = −1
. Gesucht
sind Eigenwerte und Eigenvektoren.
(15−λ
)
4
Wir bilden A − λI2 = −1 1−λ und berechnen die Determinante (5 − λ)(1 − λ) + 4 =
2
λ − 6λ + 9. Das ist das charakteristische Polynom von A. Dieses Polynom hat λ = 3 als
zweifache Nullstelle. Somit ist 3( ein zweifacher
Eigenwert der Matrix A.
)
( 2 )
2 4
Wir
berechnen
A
−
λI
=
.
Nach
obiger
Rechnung
können
wir
u
=
und
2
−1 −2
−1
(1)
v = 0 wählen. Es gilt dann Au = λu und Av = λv + u.
Fall 3: Die Matrix A hat konjugiert komplexe Eigenwerte α ± iβ mit β ̸= 0 (sonst wären
die Eigenwerte nicht komplex). Zum Eigenwert α + iβ existiert ein Eigenvektor ∈ C2 , den
wir als u + iv schreiben können mit u und v in R2 . Es gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv).
Da Eigenvektoren ̸= 0 sind, können nicht beide u und v gleich 0 sein. Wir zeigen, dass
beide ungleich 0 sind. Wäre v = 0, dann hätten wir Au = αu + iβu und wegen β ̸= 0 würde
auch u = 0 folgen. Wäre u = 0, dann hätten wir iAv = iαv − βv und wegen β ̸= 0 würde
auch v = 0 folgen (eine imaginäre Zahl kann ja nicht gleich einer reellen Zahl sein).
Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = cu für ein c ∈ R \ {0}
gelten, dann hätten wir auch A(1 + ic)u = (α + iβ)(1 + ic)u und somit Au = αu + iβu, ein
Widerspruch wegen β ̸= 0 (eine reelle Zahl kann ja nicht gleich einer imaginären Zahl sein).
(
)
Beispiel. Sei A = 45 (−2
sind Eigenwerte und Eigenvektoren.
2 . Gesucht
)
4−λ −2
Wir bilden A − λI2 = 5 2−λ und berechnen die Determinante (4 − λ)(2 − λ) + 10 =
λ2 − 6λ + 18. Das ist das charakteristische Polynom von A. Die Nullstellen sind λ1 = 3 + 3i
und λ2 = 3 − 3i. Damit sind die Eigenwerte der Matrix A gefunden.
2. HOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
19
( 1−3i
)
−2
Wir berechnen A − λ1 I2 =( 5 −1−3i
) . Einen Eigenvektor z zum Eigenwert λ1 = 3 + 3i
1−3i −2
erhalten wir als Lösung
von) 5 −1−3i (z = )0. Wir wählen z als Normalvektor der ersten
( 1−3i −2
2
Zeile der Matrix
, also z = 1−3i
. Da
der zweiten
5 −1−3i
( 1−3i −2
)
( 2das
) auch
( 2 ) ein (Normalvektor
)
0
Zeile ist, ist
5 −1−3i z = 0 erfüllt. Somit ist 1−3i = 1 + i −3 ein Eigenvektor zum
Eigenwert λ1 = 3 + 3i.
( )
( 2 ) (2)
Ganz analog berechnet man, dass 1+3i
= 1 + i 03 ein Eigenvektor zum Eigenwert
λ2 = 3 − 3i ist. Man sieht, dass nicht nur die Eigenwerte, sondern auch die Eigenvektoren
zueinander konjugiert komplex sind.
2. Homogene Systeme linearer Differentialgleichungen
Ein homogenes System linearer Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten ist
x′ (t) = Ax(t)
Wir suchen Lösungen dieser Differentialgleichungssysteme.
Satz 12. Seien x(t) und y(t) Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t)
und c1 und c2 in R. Dann ist z(t) = c1 x(t) + c2 y(t) ebenfalls eine Lösung dieses Systems.
Beweis. Es gilt x′ (t) = Ax(t) und y′ (t) = Ay(t), da x(t) und y(t) Lösungen des Systems
sind. Es folgt z′ (t) = c1 x′ (t) + c2 y′ (t) = c1 Ax(t) + c2 Ay(t) = A(c1 x(t) + c2 y(t)) = Az(t).
Das zeigt, dass auch z(t) eine Lösung des Systems ist.
Satz 13. Sei A eine 2×2-Matrix. Wir definieren r(t) und s(t) mit t ∈ R folgendermaßen:
Hat A zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 mit Eigenvektoren u und v dann sei
r(t) = eλ1 t u
und
s(t) = eλ2 t v
Hat A einen zweifachen reellen Eigenwert λ mit Eigenvektor u und ist v ein Vektor, für den
Av = λv + u gilt, dann sei
r(t) = eλt u
und
s(t) = eλt v + teλt u
Hat A den komplexen Eigenwert α + iβ mit Eigenvektor u + iv dann sei
r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v
und
s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v
Für beliebige c1 und c2 in R ist dann c1 r(t) + c2 s(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Beweis. Es genügt zu zeigen, dass r(t) und s(t) Lösungen sind. Wegen Satz 12 ist dann
auch c1 r(t) + c2 s(t) eine Lösung. Wir gehen die drei Fälle durch.
Im ersten Fall gilt r′ (t) = λ1 eλ1 t u und Ar(t) = Aeλ1 t u = eλ1 t Au = eλ1 t λ1 u. Damit ist
r′ (t) = Ar(t) gezeigt. Genauso zeigt man, dass auch s′ (t) = As(t) gilt.
Im zweiten Fall zeigt man genauso wie oben, dass r(t) eine Lösung ist. Für s(t) gilt
s′ (t) = λeλt v + eλt u + λteλt u und As(t) = eλt Av + teλt Au = eλt (λv + u) + teλt λu. Damit ist
auch s′ (t) = As(t) gezeigt.
Im dritten Fall gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv) = αu + iβu + iαv − βv. Durch Vergleich
von Real- und Imaginärteil ergibt sich Au = αu − βv und Av = βu + αv. Dann gilt
r′ (t) = αeαt cos βt u − βeαt sin βt u − αeαt sin βt v − βeαt cos βt v und aus obigen Gleichungen
folgt Ar(t) = eαt cos βt Au − eαt sin βt Av = eαt cos βt (αu − βv) − eαt sin βt (βu + αv). Damit
ist r′ (t) = Ar(t) gezeigt. Genauso zeigt man, dass auch s′ (t) = As(t) gilt.
20
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Anfangswertproblem: Um die in der Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) =
Ax(t) vorkommenden unbestimmten Konstanten c1 und c2 berechnen zu können, gibt man
eine Anfangsbedingung x(t0 ) = x0 vor. Die Lösung x(t) ist an der Stelle t0 bekannt. Daraus
berechnet man c1 und c2 .
( 5 8 )
Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) mit A = −2
−3 . Das charakteristische Polynom
2
ist (5 − λ)(−3
Es gilt
( 4 −
)λ) + 16 = λ − 2λ (+ 41.)Somit ist λ = 1 ein zweifacher Eigenwert.
(1)
8
A − λI2 = −2 −4 . Wir wählen u = −2 (erste Spalte der Matrix) und v = 0 . Dann gilt
Au = λu und Av = λv + u. Nach Satz 13 sind
( 4 )
( )
( 4 )
x(t) = c1 et −2
+ c2 (et 10 + tet −2
)
mit
c1 , c 2 ∈ R
( −5 )
Lösungen des Differentialgleichungssystems. Wir wählen x(0) = 4 als Anfangsbedingung.
Daraus ergibt sich
4c1 + c2 = −5
und
− 2c1 = 4
Es folgt c1 = −2 und c2 = 3. Somit löst
( 4 )
( 4 )
( )
(
)
x(t) = −2et −2
+ 3(et 10 + tet −2
) = et −5+12t
4−6t
das Anfangswertproblem.
Wir zeigen, dass die in Satz 13 gefundenen Lösungen bereits alle Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) sind. Wir gehen genauso vor wie bei den linearen
Differentialgleichungen zweiter Ordnung.
Lemma 14. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte Lösung des Systems
x′ (t) = Ax(t) mit x(t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I. Dann gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I.
( )
Beweis. Sei A = ac db . Wir verwenden Lemma 5. Wir setzen K = 2|a| + |b| + |c| + 2|d|
und σ : I → [0, ∞) sei definiert durch σ(t) = ∥x(t)∥2 = x1 (t)2 + x2 (t)2 . Wir berechnen
σ ′ (t) = 2x1 (t)x′1 (t) + 2x2 (t)x′2 (t). Da x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems
x′ (t) = Ax(t) ist, erhalten wir σ ′ (t) = 2ax1 (t)2 + 2bx1 (t)x2 (t) + 2cx2 (t)x1 (t) + 2dx2 (t)2 . Mit
Hilfe der Dreiecksungleichung folgt |σ ′ (t)| ≤ 2|a|x1 (t)2 + 2(|b| + |c|)|x1 (t)x2 (t)| + 2|d|x2 (t)2 .
Und mit Hilfe der Ungleichung 2|x1 (t)x2 (t)| ≤ x1 (t)2 + x2 (t)2 erhalten wir schließlich
|σ ′ (t)| ≤ (2|a| + |b| + |c|)x1 (t)2 + (|b| + |c| + 2|d|)x2 (t)2 ≤ K(x1 (t)2 + x2 (t)2 ) = Kσ(t).
Weiters gilt σ(t0 ) = ∥x(t0 )∥2 = 0, da ja x(t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5
erhalten wir, dass σ(t) = ∥x(t)∥2 = 0 für alle t ∈ I gilt. Es folgt x(t) = 0 für alle t ∈ I. Satz 15. Seien r(t) und s(t) auf ganz R definierte Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Es gelte (diese Determinante heißt Wronskideterminante)
r1 (t) s1 (t)
̸= 0 für alle t ∈ R
det(r(t), s(t)) = r2 (t) s2 (t)
Ist jetzt x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t), die auf einem
offenen Intervall I definiert ist, dann existieren c1 und c2 in R, sodass x(t) = c1 r(t) + c2 s(t)
für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R
definiert ist (sollte I ̸= R sein).
Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Dann existieren c1 und c2 in R mit
c1 r1 (t0 ) + c2 s1 (t0 ) = x1 (t0 )
c1 r2 (t0 ) + c2 s2 (t0 ) = x2 (t0 )
das heißt
c1 r(t0 ) + c2 s(t0 ) = x(t0 )
da die Determinante dieses linearen Gleichungssystems nach Voraussetzung ungleich null ist.
2. HOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
21
Sei y(t) = c1 r(t) + c2 s(t) − x(t) für t ∈ I. Da c1 r(t) + c2 s(t) nach Satz 12 und x(t)
nach Voraussetzung Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) sind, ist y(t)
wegen Satz 12 ebenfalls eine Lösung. Außerdem wurden c1 und c2 so gewählt, dass y(t0 ) = 0
gilt. Aus Lemma 14 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist dann auch
x(t) = c1 r(t) + c2 s(t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine Lösung steht, die
auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t) fortsetzen zu einer auf ganz R definierten Lösung. Satz 16. Sei A eine 2 × 2-Matrix und r(t) und s(t) wie in Satz 13 definiert. Dann ist
{c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R}
die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Beweis. In Satz 13 wurde bereits gezeigt, dass r(t) und s(t) und damit auch c1 r(t) +
c2 s(t) für alle c1 , c2 ∈ R Lösungen des Differentialgleichungssystems sind. Wegen Satz 15
genügt es zu zeigen, dass det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gilt. Wir untersuchen die drei
Fälle, die in Satz 13 unterschieden werden.
Hat A zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 mit Eigenvektoren u und v dann gilt
r(t) = eλ1 t u und s(t) = eλ2 t v. Es folgt det(r(t), s(t)) = eλ1 t eλ2 t det(u, v). Da die Vektoren u
und v nicht parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Es folgt det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R.
Hat A einen zweifachen reellen Eigenwert λ mit Eigenvektor u und ist v ein Vektor, für
den Av = λv + u gilt, dann gilt r(t) = eλt u und s(t) = eλt v + teλt u. Wir erhalten dann
det(r(t), s(t)) = det(eλt u, eλt v) + det(eλt u, teλt u) = e2λt det(u, v). Da die Vektoren u und v
nicht parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Damit ist det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gezeigt.
Hat A schließlich den komplexen Eigenwert α + iβ mit Eigenvektor u + iv, dann gilt
r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v und s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v. Rechnen mit Determinanten ergibt det(r(t), s(t)) = det(eαt cos βt u, eαt cos βt v) − det(eαt sin βt v, eαt sin βt u) =
e2αt cos2 βt det(u, v) − e2αt sin2 βt det(v, u) = e2αt det(u, v). Da die Vektoren u und v nicht
parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Damit ist det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gezeigt.
(
)
3 2
Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) mit A = −1
1 . Das charakteristische Polynom ist
2
(3 − λ)(1 −(λ) + 2 =) λ − 4λ + 5. Somit ist
Eigenwert. Es gilt
( λ2 =) 2 +( i 2ein
) komplexer
(0)
2
.
Ein
Eigenvektor
ist
A − λI2 = 1−i
=
+
i
(ein
Normalvektor zur
−1
−1+i
1
−1 −1−i
ersten Zeile der Matrix). Nach Satz 16 ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller
Lösungen, wobei
( 2 )
( )
( 2 )
( )
r(t) = e2t cos t −1
− e2t sin t 01
und
s(t) = e2t sin t −1
+ e2t cos t 01
( )
Wir wählen x( π2 ) = 20 als Anfangsbedingung. Daraus ergeben sich die beiden Gleichungen
eπ · 2c2 = 2 und eπ (−c1 − c2 ) = 0. Es folgt c1 = −e−π und c2 = e−π .
Die in Satz 13 angegebenen Lösungen eines Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t)
mit einer 2 × 2-Matrix A enthalten die früher definierten Basisfunktionen h1 (t) und h2 (t)
des charakteristischen Polynoms P (λ) der Matrix A. Für die beiden Komponenten x1 (t) und
x2 (t) einer Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) existieren Konstanten a1 , a2 , b1 , b2 aus R, sodass x1 (t) = a1 h1 (t) + a2 h2 (t) und x2 (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) gilt.
Das trifft in allen drei in Satz 13 unterschiedenen Fällen zu.
Dieses Resultat gilt auch für ein Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) mit einer
n × n-Matrix A. Das charakteristische Polynom P (λ) der Matrix A hat Grad n. Somit hat
es auch n Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t). Man kann zeigen: Für die Komponenten
x1 (t), x2 (t), . . . , xn (t) einer Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) gilt
22
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
dann x1 (t) = a1 h1 (t) + a2 h2 (t) + · · · + an hn (t), x2 (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) + · · · + bn hn (t) und
so weiter, wobei die Koeffizienten a1 , a2 , . . . , an , b1 , b2 , . . . , bn aus R sind.
Einen Ausdruck der Form a1 h1 (t) + a2 h2 (t) + · · · + an hn (t) mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R nennt
man eine Linearkombination der Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t). Daher kann man dieses
Resultat folgendermaßen formulieren (den Beweis lassen wir weg, da er zu schwierig ist)
Satz 17. Sei A eine n × n-Matrix und P (λ) das charakteristische Polynom dieser Matrix. Seien h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zu P (λ). Jede Komponente xj (t) einer
Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) ist dann eine Linearkombination der Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t).
Das folgende Beispiel zeigt, wie man diesen Satz zum Lösen eines Differentialgleichungssystems verwenden kann.
( −1 1 −2 )
′
Beispiel. Wir lösen x (t) = Ax(t) mit A = 4 1 0 . Das charakteristische Polynom
2 1 −1
ist (−1 − λ)(1 − λ)(−1 − λ) − 8 − 4(−1 − λ) + 4(1 − λ) = −(λ − 1)(λ + 1)2 . Somit ist 1 ein
einfacher und −1 ein zweifacher Eigenwert. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = et , h2 (t) = e−t
und h1 (t) = te−t . Wir verwenden Satz 17. Jede Komponente einer Lösung des Differentialgleichungssystems ist eine Linearkombination der Basisfunktionen. Es gilt also
x1 (t) = a1 et + a2 e−t + a3 te−t
x2 (t) = b1 et + b2 e−t + b3 te−t
x3 (t) = c1 et + c2 e−t + c3 te−t
wobei a1 , a2 , a3 , b1 , b2 , b3 , c1 , c2 und c3 unbestimmte Konstanten aus R sind. Setzt man
x1 (t), x2 (t) und x3 (t) in das Differentialgleichungssystem ein, so hat man
a1 et − a2 e−t +a3 e−t − a3 te−t
= −a1 et − a2 e−t − a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t − 2c1 et − 2c2 e−t − 2c3 te−t
b1 et − b2 e−t +b3 e−t − b3 te−t
= 4a1 et + 4a2 e−t + 4a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t
c1 et − c2 e−t +c3 e−t − c3 te−t
= 2a1 et + 2a2 e−t + 2a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t − c1 et − c2 e−t − c3 te−t
Vergleicht man die Koeffizienten der Funktionen et , e−t und te−t in diesen drei Gleichungen,
so erhält man
a1 = −a1 + b1 − 2c1
b1 = 4a1 + b1
c1 = 2a1 + b1 − c1
−a2 + a3 = −a2 + b2 − 2c2
−b2 + b3 = 4a2 + b2
−c2 + c3 = 2a2 + b2 − c2
−a3 = −a3 + b3 − 2c3
−b3 = 4a3 + b3
−c3 = 2a3 + b3 − c3
Die drei links stehenden Gleichungen (die dritte Gleichung folgt aus den beiden ersten)
sind äquivalent zu a1 = 0 und b1 = 2c1 . Die drei rechts stehenden Gleichungen (die dritte
Gleichung folgt aus der zweiten) sind äquivalent zu b3 = 2c3 und 2a3 = −b3 . Aus den drei
in der Mitte stehenden Gleichungen folgt b2 = 2c2 + a3 , 4a2 + 2b2 = b3 und 2a2 + b2 = c3 .
Diese letzte Gleichung ist identisch mit der vorletzten und kann daher weggelassen werden,
da b3 = 2c3 gilt. Von den neun ursprünglichen Gleichungen bleiben somit sechs übrig. Diese
verwenden wir, um alle unbestimmten Koeffizienten durch c1 , c2 und c3 auszudrücken. wir
erhalten a1 = 0, b1 = 2c1 , b3 = 2c3 , a3 = − 21 b3 = −c3 , b2 = 2c2 − c3 und a2 = 14 b3 − 12 b2 =
3. INHOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
23
− c2 + 12 c3 = c3 − c2 . Setzt man das oben ein, so hat man die allgemeine Lösung des
Differentialgleichungssystems.
1
c
2 3
x1 (t) = (c3 − c2 )e−t − c3 te−t
x2 (t) = 2c1 et + (2c2 − c3 )e−t + 2c3 te−t
x1 (t) = c1 et + c2 e−t + c3 te−t
Man kann sie auch in Vektorschreibweise aufschreiben
( 1−t )
( −1 )
( )
0
x(t) = c1 et 2 + c2 e−t 2 + c3 e−t −1+2t
1
1
t
mit
c1 , c 2 , c 3 ∈ R
Damit haben wir die Lösung in der gewohnten Form geschrieben. Sie enthält drei unbestimmte Konstanten.
3. Inhomogene Systeme linearer Differentialgleichungen
Das inhomogene Differentialgleichungssystem ist
x′1 (t) = ax1 (t) + bx2 (t) + g1 (t)
x′2 (t) = cx1 (t) + dx2 (t) + g2 (t)
( )
(
)
Führen wir die Matrix A = ac db und den Vektor g(t) = gg12 (t)
(t) ein, so können wir dieses
System schreiben als
x′ (t) = Ax(t) + g(t)
Wir gehen genauso vor wie für lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung.
Satz 18. Sei x̃(t) eine (spezielle oder partikuläre) Lösung des inhomogenen Systems
x (t) = Ax(t) + g(t). Sei L die Menge aller Lösungen des zugehörigen homogenen Systems
x′ (t) = Ax(t). Dann ist {x̃(t) + z(t) : z(t) ∈ L} die Menge aller Lösungen des inhomogenen
Systems x′ (t) = Ax(t) + g(t).
′
Beweis. Wir zeigen zuerst, dass x̃(t) + z(t) mit z(t) ∈ L eine Lösung des inhomogenen
Systems ist. Es gilt (x̃(t)+z(t))′ = x̃′ (t)+z′ (t) = Ax̃(t)+g(t)+Az(t) = A(x̃(t)+z(t))+g(t),
womit der Nachweis gelungen ist.
Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung des inhomogenen Systems. Wir setzen z(t) = x(t) −
x̃(t). Dann gilt z′ (t) = x′ (t) − x̃′ (t) = Ax(t) + g(t) − (Ax̃(t) + g(t)) = Ax(t) − Ax̃(t) = Az(t).
Somit gilt z(t) ∈ L. Ausserdem gilt x(t) = x̃(t) + z(t). Jede Lösung x(t) des inhomogenen
Differentialgleichungssystems lässt sich in der gewünschten Form schreiben.
Wegen Satz 18 genügt es eine spezielle Lösung des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t) zu finden. Dafür verwenden wir die Variation der Konstanten.
Satz 19. Sei A eine 2 × 2-Matrix und r(t) und s(t) wie in Satz 13 definiert. Seien c1 (t)
und c2 (t) Funktionen, für die gilt
c′1 (t)r(t) + c′2 (t)s(t) = g(t)
das heißt
c′1 (t)r1 (t) + c′2 (t)s1 (t) = g1 (t)
c′1 (t)r2 (t) + c′2 (t)s2 (t) = g2 (t)
Dann ist x̃(t) = c1 (t)r(t) + c2 (t)s(t) eine Lösung des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t).
24
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Beweis. Es gilt x̃′ (t) = c′1 (t)r(t)+c1 (t)r′ (t)+c′2 (t)s(t)+c2 (t)s′ (t). Nun wurden c1 (t) und
c2 (t) so gewählt, dass c′1 (t)r(t) + c′2 (t)s(t) = g(t) gilt. Es folgt x̃′ (t) = c1 (t)r′ (t) + c2 (t)s′ (t) +
g(t). Da r(t) und s(t) Lösungen des homogenen Systems sind, erhalten wir r′ (t) = Ar(t) und
s′ (t) = As(t). Es folgt x̃′ (t) = c1 (t)Ar(t)+c2 (t)As(t)+g(t) = A(c1 (t)r(t)+c2 (t)s(t))+g(t) =
Ax̃(t) + g(t). Damit ist gezeigt, dass x̃(t) eine Lösung des inhomogenen Systems ist.
Bemerkung: Das lineare Gleichungssystem in Satz 19 ist immer lösbar. Die Determinante
ist die Wronskideterminante. Im Beweis von Satz 16 wurde gezeigt, dass sie ̸= 0 ist.
( 5)
( )
Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) + g(t) mit A = −2
und g(t) = et 91 . Das
−1 4
charakteristische Polynom der Matrix A ist (−2 − λ)(4(− λ))+ 5 = λ2 − 2λ − (3. Somit
) sind
−1 5
−5 5
λ1 = −1 und
λ
=
3
die
Eigenwerte.
Es
gilt
A
−
λ
I
=
und
A
−
λ
I
=
1 2
2 2
−1 5
−1 1 . Somit
(5) 2
(1)
sind u = 1 und v = 1 Eigenvektoren zu λ1 = −1 und λ2 = 3. Nach Satz 16 sind
( )
( )
x(t) = c1 e−t 51 + c2 e3t 11
mit
c1 , c 2 ∈ R
alle Lösungen des homogenen Differentialgleichungssystems.
Mit Hilfe von Satz 19 suchen wir eine Lösung des inhomegenen Differentialgleichungssystems. Dazu lösen wir
5c′1 (t)e−t + c′2 (t)e3t = 9et
c′1 (t)e−t + c′2 (t)e3t = et
Subtrahiert man die zweite von der ersten Gleichung, so erhält man 4c′1 (t)e−t = 8et und
daraus c′1 (t) = 2e2t . Subtrahiert man die erste vom Fünffachen der zweiten Gleichung, so
2t
erhält man 4c′2 (t)e3t = −4et und daraus c′2 (t) = (−e)−2t . Stammfunktionen
( )
( sind
) c1 (t) = e
1 −2t
1 −2t 3t 1
1 t 11
2t −t 5
und c2 (t) = 2 e . Nach Satz 19 ist x̃(t) = e e 1 + 2 e e 1 = 2 e 3 eine Lösung
des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t). Nach Satz 18 sind dann
( )
( )
( )
x(t) = c1 e−t 51 + c2 e3t 11 + 12 et 11
mit
c1 , c 2 ∈ R
3
alle Lösungen des inhomogenen Systems.
Die Sätze 18 und 19 lassen sich leicht in höhere Dimensionen übertragen. Wir rechnen
dazu ein Beispiel.
( −1 1 −2 )
( −t )
Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) + g(t) mit A = 4 1 0 und g(t) = 5−2t . In
2 1 −1
3−t
einem früheren Beispiel haben wir die Lösung des homogenen Differentialgleichungssystems
x′ (t) = Ax(t) berechnet
( )
( )
( 1−t )
−t
t 0
−t −1
−1+2t
2
mit c1 , c2 , c3 ∈ R
+ c3 e
x(t) = c1 e 2 + c2 e
1
1
t
′
Um das inhomogene Differentialgleichungssystem x (t) = Ax(t) + g(t) zu lösen, verwenden
wir die Sätze 18 und 19. Nach Satz 19 ist folgendes lineare Gleichungssystem zu lösen
− c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t (1 − t)
= −t
2c′1 (t)et + 2c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t (−1 + 2t) = 5 − 2t
c′1 (t)et + c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t t
=3−t
Subtrahiert man das zweifache der dritten Gleichung von der zweiten Gleichung, dann hat
man −c′3 (t)e−t = −1, also c′3 (t) = et . Die erste Gleichung ergibt −c′2 (t)e−t + 1 − t = −t
oder c′2 (t) = et . Aus der dritten Gleichung folgt schließlich c′1 (t)et + 1 + t = 3 − t oder
4. EIN ANDERER ZUGANG ZU HOMOGENEN SYSTEMEN
25
c′1 (t) = (2 − 2t)e−t . Die Stammfunktionen sind c1 (t) = 2te−t , c2 (t) = et und c3 (t) = et . Eine
spezielle Lösung des inhomogenen Systems x′ (t) = Ax(t) + g(t) ist daher
( −1 )
( 1−t )
( )
( ) ( −1 ) ( 1−t ) ( −t )
0
0
x̃(t) = 2te−t et 2 + et e−t 2 + et e−t −1+2t = 2t 2 + 2 + −1+2t = 1+6t
1
1
1
t
Nach Satz 18 sind dann
( −1 )
( 1−t ) ( −t )
( )
0
x(t) = c1 et 2 + c2 e−t 2 + c3 e−t −1+2t + 1+6t
1
1
t
1+3t
1
t
mit
1+3t
c1 , c 2 , c 3 ∈ R
alle Lösungen des inhomogenen Systems.
Beispiel. Wir behandeln ein Stromnetz aus zwei Schleifen, das zwei Widerstände von
R1 Ohm und R2 Ohm enthält und zwei Spulen mit Induktivität L1 und L2 . Es ist an eine
Spannungsquelle angeschlossen. Dieses Stromnetz sieht so aus
R1
E
⃝
R2
L1
L2
Sei I(t) der Strom, der zum Zeitpunkt t von der Spannunngsquelle durch den Widerstand
R1 fließt. Er spaltet sich in den Strom I1 (t), der durch die Spule L1 fließt, und den Strom
I2 (t), der durch den Widerstand R2 und die Spule L2 fließt. Es gilt I(t) = I1 (t) + I2 (t). Die
von den Widerständen verursachten Spannungen sind U1 (t) = R1 I(t) und U2 (t) = R2 I2 (t).
Die von den Spulen verursachten Spannungen sind U3 (t) = L1 I1′ (t) und U4 (t) = L2 I2′ (t).
Für die beiden Schleifen, aus denen das Stromnetz besteht, können wir Gleichungen für die
Spannungen aufstellen. In der linken Schleife ist die angelegte Spannung E(t) gleich den von
Widerstand und Spule verursachten Spannungen. Es gilt also E(t) = U1 (t) + U3 (t). In der
rechten Schleife müssen die Spannungen zwischen den Verzweigungspunkten entlang beider
Verbindungswege gleich groß sein. Es gilt also U3 (t) = U2 (t)+U4 (t). Es folgt E(t) = R1 I(t)+
L1 I1′ (t) und L1 I1′ (t) = R2 I2 (t) + L2 I2′ (t). Wir erhalten das Differentialgleichungssystem
1
I1′ (t) = − R
I (t) −
L1 1
1
I2′ (t) = − R
I (t) −
L2 1
R1
I (t) + L11 E(t)
L1 2
R1 +R2
I2 (t) + L12 E(t)
L2
(
)
−p
R1
R1
Die Matrix dieses Differentialgleichungssystems ist A = −p
−q −q−r mit p = L1 , q = L2 und
2
r=R
. Das charakteristische Polynom ist λ2 +(p+q+r)λ+pr. Man erhält negative reelle EiL2
genwerte wegen 0 < (p+q+r)2 −4pr < (p+q+r)2 . Es folgt, dass die Lösungen des homogenen
Systems für t → ∞ gegen Null gehen. Der Einfluss der Anfangsbedingungen verschwindet.
Es bleibt eine Lösung des inhomogenen Systems. Ist E(t) = E konstant (Gleichspannung),
dann stellen sich konstante Ströme I1 (t) = RE1 und I2 (t) = 0 ein. Ist E(t) = sin ωt mit ω ∈ R
(Wechselspannung), dann stellen sich Wechsleströme mit verschobener Phase ein.
4. Ein anderer Zugang zu homogenen Systemen
Sei A eine 2 × 2-Matrix. In Kapitel 1 wurden zur Matrix A in allen drei dort behandelten
Fällen Vektoren u und v im R2 gefunden, die ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind.
26
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Ist x im R2 beliebig, dann existieren d1 und d2 in R, sodass x = d1 u + d2 v gilt. Die Zahlen
d1 und d2 sind Lösungen des linearen Gleichungssystems
x1 = d1 u1 + d2 v1
x2 = d1 u2 + d2 v2
2 v1
2 x1
das sind d1 = ux11 vv22 −x
und d2 = uu11xv22 −u
. Der Nenner ist ungleich 0, da die Vektoren u
−u2 v1
−u2 v1
und v nicht parallel zueinander sind.
Wir wenden diese Darstellung auf eine Funktion t 7→ x(t) an. Man kann so eine Funktion
als Kurve im R2 auffassen. Zum Zeitpunkt t befindet man sich im Punkt x(t). Es gilt
x(t) = p(t)u + q(t)v
2 x1 (t)
2 −x2 (t)v1
mit p(t) = x1 (t)v
und q(t) = u1 xu21(t)−u
. Daraus erkennt man auch, dass p(t) und
u1 v2 −u2 v1
v2 −u2 v1
q(t) differenzierbare Funktionen sind, wenn x1 (t) und x2 (t) differenzierbar sind. Mit dieser Darstellung von x(t) gehen wir in das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t). Wir
behandeln die drei Fälle, die in Kapitel 1 unterschieden werden, in den drei folgenden Sätzen.
Satz 20. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen reellen Eigenwerten λ1 und λ2 .
Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Wir setzen
r(t) = eλ1 t u
und
s(t) = eλ2 t v
Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach
R . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t)
und q(t). Es gilt x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au + q(t)Av = p(t)λ1 u + q(t)λ2 v.
Das Differentialgleichungssystem
2
x′ (t) = Ax(t)
(1)
ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)λ1 )u = −(q ′ (t) − q(t)λ2 )v gilt. Da die Vektoren u
und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das wieder äquivalent zu
(2)
p′ (t) = λ1 p(t)
und
q ′ (t) = λ2 q(t)
Nach Satz 1 sind die beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn gilt
(3)
p(t) = c1 eλ1 t
und
q(t) = c2 eλ2 t
mit
c1 , c 2 ∈ R
Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3)
gilt. Damit ist der Satz bewiesen.
Satz 21. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit einem zweifachen reellen Eigenwert λ. Sei u ein
Eigenvektor zum Eigenwert λ und v ein Vektor, für den Av = λv + u gilt. Wir setzen
r(t) = eλt u
und
s(t) = eλt v + teλt u
Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach
R . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t)
2
4. EIN ANDERER ZUGANG ZU HOMOGENEN SYSTEMEN
27
und q(t). Es gilt x′ (t) = p′ (t)u+q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au+q(t)Av = p(t)λu+q(t)λv+q(t)u.
Das Differentialgleichungssystem
x′ (t) = Ax(t)
(1)
ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)λ − q(t))u = −(q ′ (t) − q(t)λ)v gilt. Da die Vektoren
u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das wieder äquivalent zu
(2)
p′ (t) = λp(t) + q(t)
q ′ (t) = λq(t)
und
Nach Satz 1 ist die zweite der beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn
q(t) = c2 eλt mit∫c2 ∈ R gilt. Nachdem q(t) bestimmt ist, ist die erste genau dann erfüllt,
wenn p(t) = eλt ( c2 eλt e−λt dt + c1 ) = eλt (c2 t + c1 ) mit c1 ∈ R gilt. Also ist (2) äquivalent zu
(3)
p(t) = c1 eλt + c2 teλt
und
q(t) = c2 eλt
mit
c1 , c 2 ∈ R
Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3)
gilt. Damit ist der Satz bewiesen.
Satz 22. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit komplexem Eigenwert α + iβ. Sei u + iv ein
zugehöriger Eigenvektor. Wir setzen
r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v
und
s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v
Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Beweis. Es gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv) = αu + iβu + iαv − βv. Durch Vergleich
von Real- und Imaginärteil ergibt sich Au = αu − βv und Av = βu + αv.
Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach R2 . Wir
schreiben sie als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t) und q(t). Es gilt
x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au + q(t)Av = p(t)αu − p(t)βv + q(t)βu + q(t)αv.
Das Differentialgleichungssystem
(1)
x′ (t) = Ax(t)
ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)α − q(t)β)u = −(q ′ (t) + p(t)β − q(t)α)v gilt. Da die
Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das äquivalent zu
(2)
p′ (t) = αp(t) + βq(t)
und
q ′ (t) = αq(t) − βp(t)
Wir müssen die Funktionen p(t) und q(t) finden, die die Differentialgleichungen in (2) lösen.
Wir differenzieren die erste Gleichung und erhalten p′′ (t) = αp′ (t) + βq ′ (t). Wir addieren
dazu das β-fache der zweiten Gleichung und subtrahieren das α-fache der ersten Gleichung.
Das ergibt p′′ (t)−2αp′ (t)+(α2 +β 2 )p(t) = 0. Das Polynom P (λ) = λ2 −2αλ+α2 +β 2 hat die
konjugiert komplexen Nullstellen α±iβ. Nach Satz 8 muss p(t) = c1 eαt cos βt+c2 eαt sin βt mit
c1 , c2 ∈ R gelten. Das
in (2) einsetzen. Nach Satz 1 muss
∫ können wir in die zweite Gleichung
αt
αt
dann q(t) = e (− βc1 cos βt + βc2 sin βt dt + d) = e (−c1 sin βt + c2 cos βt + d) mit d ∈ R
gelten. Nur diese Funktionen p(t) und q(t) kommen als Lösungen der Differentialgleichungen
in (2) in Frage. Wir setzen sie in (2) ein und sehen, dass d = 0 sein muss. Dann sind p(t)
und q(t) tatsächlich Lösungen. Also ist (2) äquivalent zu
(3) p(t) = c1 eαt cos βt + c2 eαt sin βt und q(t) = c2 eαt cos βt − c1 eαt sin βt mit c1 , c2 ∈ R
Somit erfüllt x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3)
gilt. Damit ist der Satz bewiesen.
28
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
5. Systeme zweiter Ordnung
Bei Bewegungsgleichungen in der Physik tritt die zweite Ableitung (Beschleunigung) auf.
Hat man mehrere aneinander gekoppelte schwingende Körper, dann führt das zu Systemen
zweiter Ordnung. Man kann sie durch Einführen der Geschwindigkeiten als neue Funktionen
auf Systeme erster Ordnung zurückführen, aber manche Systeme zweiter Ordnung lassen
sich einfacher direkt lösen.
Satz 23. Sei a ∈ R und B eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen reellen Eigenwerten φ1 und φ2 . Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Weiters seien g1 (t) und g2 (t) die
Basisfunktionen zum Polynom G(λ) = λ2 + aλ + φ1 und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen
zum Polynom H(λ) = λ2 + aλ + φ2 . Dann ist
{c1 g1 (t)u + c2 g2 (t)u + c3 h1 (t)v + c4 h2 (t)v : c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R}
die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′′ (t) + ax′ (t) + Bx(t) = 0.
Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall in
den R2 . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen
p(t) und q(t). Es gilt dann einerseits x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und x′′ (t) = p′′ (t)u + q ′′ (t)v und
andererseits Bx(t) = p(t)Bu+q(t)Bv = p(t)φ1 u+q(t)φ2 v. Das Differentialgleichungssystem
x′′ (t) + ax′ (t) + Bx(t) = 0
(1)
ist genau dann erfüllt, wenn (p′′ (t) + ap′ (t) + φ1 p(t))u = −(q ′′ (t) + aq ′ (t) + φ2 q(t))v gilt. Da
die Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das äquivalent zu
(2)
p′′ (t) + ap′ (t) + φ1 p(t) = 0
und
q ′′ (t) + aq ′ (t) + φ2 q(t) = 0
Nach Satz 8 sind die beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn gilt
(3)
p(t) = c1 g1 (t) + c2 g2 (t)
und
q(t) = c3 h1 (t) + c4 h2 (t)
mit
c1 , c 2 , c 3 , c 4 ∈ R
Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3)
gilt. Damit ist der Satz bewiesen.
Satz 24. Sei B eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen positiven Eigenwerten φ1 = ω12
und φ2 = ω22 . Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Dann ist
{c1 cos ω1 t u + c2 sin ω1 t u + c3 cos ω2 t v + c4 sin ω2 t v : c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R}
die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′′ (t) + Bx(t) = 0.
Beweis. Das ist ein Spezialfall von Satz 23. Die beiden Polynome sind G(λ) = λ2 + ω12
und H(λ) = λ2 + ω22 . Die Basisfunktionen zum Polynom G(λ) sind g1 (t) = cos ω1 t und
g2 (t) = sin ω1 t. Die Basisfunktionen zum Polynom H(λ) sind h1 (t) = cos ω2 t und h2 (t) =
sin ω2 t.
Man kann diese Resultate auch auf höhere Dimensionen ausdehnen, zum Beispiel für
x(t) ∈ R3 und eine 3 × 3-Matrix B mit drei verschiedenen positiven Eigenwerten φ1 = ω12 ,
φ2 = ω22 und φ3 = ω32 . Seien u, v und w zugehörige Eigenvektoren. Dann ist
c1 cos ω1 t u + c2 sin ω1 t u + c3 cos ω2 t v + c4 sin ω2 t v + c5 cos ω3 t w + c6 sin ω3 t w
mit c1 , c2 , c3 , c4 , c5 , c6 ∈ R die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems
x′′ (t) + Bx(t) = 0.
5. SYSTEME ZWEITER ORDNUNG
29
Beispiel. Wir untersuchen zwei schwingende Körper der Masse m, die sich entlang der
x-Achse bewegen.
/\ /\ /\ /\ /\ /\
−/\\//\\//\\//\\//\\//\\/−
− \/ \/ \/ \/ \/ \/−
⃝
⃝
Der erste Körper ist an einer fixierten Feder befestigt. Der zweite Körper ist durch eine Feder
mit dem ersten Körper verbunden. Beide Federn haben die gleiche Federkonstante k.
Seien x1 (t) und x2 (t) die Auslenkungen der beiden Körper aus der Ruhelage zum Zeitpunkt t. Die Kräfte, die auf den ersten Körper wirken, sind −kx1 (t) und −k(x1 (t) − x2 (t)).
Auf den zweiten Körper wirkt die Kraft −k(x2 (t) − x1 (t)). Die Reibung wird vernachlässigt.
Daraus ergeben sich die Bewegungsgleichungen
mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t))
mx′′2 (t) = −k(x2 (t) − x1 (t))
( 2 −1 )
k
Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B = m
−1 1 . Der
k
Einfachheit halber nehmen wir an, dass m = 1 gilt. Das charakteristische
Polynom der
√
√
5
3
2
2
Matrix B ist P (λ) = λ − 3λ + 1. Die Eigenwerte sind ω1 = 2 + 2 und ω22 √= 32 − 25 .
(
)
(
)
Zugehörige Eigenvektoren sind u = 1−2√5 und v = 1+2√5 . Es folgt ω1 = 25 + 12 und
√
ω2 = 25 − 12 . Die allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystem ist nach Satz 24
√
√
√
√
( 2 )
( 2 )
5+1
5−1
5−1
√
√
x(t) = (c1 cos 5+1
t
+
c
sin
t)
t
+
c
sin
t)
+
(c
cos
2
4
3
1−
5
1+ 5
2
2
2
2
mit c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R. Die Auslenkungen der beiden Körper zum Zeitpunkt 0 seien p und q.
Die Anfangsgeschwindigkeiten seien null. Das ergibt die Anfangsbedingungen
( )
und x′ (0) = 0
x(0) = pq
Aus der zweiten Gleichung folgt c2 = 0 und c4 √= 0. Aus der ersten√folgt 2c1 + 2c3 = p und
√
√
√
√
(1 − 5)c1 + (1 + 5)c3 = q. Das ergibt c1 = ( 5+1)p−2q
und c3 = ( 5−1)p+2q
. Somit ist
4 5
4 5
√
√
√
√
)
)
(
(
√
√
cos 5+1
cos 5−1
x(t) = ( 5+1)p−2q
t 1−2√5 + ( 5−1)p+2q
t 1+2√5
2
2
4 5
4 5
die Lösung des Anfangswertproblems.
Beispiel. Wir haben wieder zwei schwingende Körper der Masse m, die sich entlang der
x-Achse bewegen.
/\ /\ /\ /\ /\ /\
/\ /\ /\ /\ /\ /\ −
/\ /\ /\ /\ /\ /\ −
−
−
−
−
\/ \/ \/ \/ \/ \/
\/ \/ \/ \/ \/ \/
\/ \/ \/ \/ \/ \/ ⃝
⃝
Der erste Körper ist an einer fixierten Feder befestigt. Der zweite Körper ist durch eine Feder
mit dem ersten Körper verbunden. Der zweite Körper ist jetzt ebenfalls mit einer fixierten
Feder verbunden. Alle drei Federn haben die gleiche Federkonstante k.
Seien x1 (t) und x2 (t) die Auslenkungen der beiden Körper aus der Ruhelage zum Zeitpunkt t. Die Kräfte, die auf den ersten Körper wirken, sind −kx1 (t) und −k(x1 (t) − x2 (t)).
Auf den zweiten Körper wirken die Kräfte −k(x2 (t) − x1 (t)) und −kx2 (t). Die Reibung wird
vernachlässigt. Daraus ergeben sich die Bewegungsgleichungen
mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t))
mx′′2 (t) = −kx2 (t) − k(x2 (t) − x1 (t))
30
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
( 2 −1 )
k
Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B = m
−1 2 . Der
k
Einfachheit halber nehmen wir an, dass m = 1 gilt. Das charakteristische Polynom der
2
2
2
Matrix
( −1B) ist P (λ) =( 1λ) − 4λ + 3. Die Eigenwerte sind ω1 = 3 und ω2 = 1 mit Eigenvektoren
u = 1 und v = 1 . Die allgemeine Lösung des Systems ist nach Satz 24
√ ( )
√
(1)
+
(c
cos
t
+
c
sin
t)
x(t) = (c1 cos 3t + c2 sin 3t) −1
3
4
1
1
mit c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R. Die Auslenkungen der beiden Körper zum Zeitpunkt 0 seien p und q.
Die Anfangsgeschwindigkeiten seien null. Das ergibt die Anfangsbedingungen
( )
x(0) = pq
und x′ (0) = 0
Aus der zweiten Gleichung folgt c2 = 0 und c4 = 0. Aus der ersten folgt −c1 + c3 = p und
c1 + c3 = q. Das ergibt c1 = q−p
und c3 = q+p
. Somit ist
2
2
√
(
) q+p
(1)
−1
x(t) = q−p
3t
+
cos
cos
t
1
1
2
2
die Lösung des Anfangswertproblems.
Fügt man bei diesen Beispielen auch einen Reibungswiderstand hinzu, so erhält man
Beispiele zu Satz 23.
Beispiel. Man kann auch mehr als zwei schwingende Körper betrachten, die sich entlang
der x-Achse bewegen und durch Federn miteinander verbunden sind. Die Körper an den
Enden sind durch eine Feder mit einer Wand verbunden. Alle Körper haben Masse m und
alle Federn haben Federkonstante k.
/\ /\ /\ /\ /\
− \/ \/ \/ \/ \/−
⃝
⃝
−/\\//\\//\\//\\//\\/−
−/\\//\\//\\//\\//\\/−
⃝
−/\\//\\//\\//\\//\\/−
Hat man drei Körper und sind x1 (t), x2 (t) und x3 (t) ihre Auslenkungen aus der Ruhelage
zum Zeitpunkt t, dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen
mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t))
mx′′2 (t) = −k(x2 (t) − x1 (t)) − k(x2 (t) − x3 (t))
mx′′2 (t) = −kx3 (t) − k(x3 (t) − x2 (t))
Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B =
k
m
(
2 −1 0
−1 2 −1
0 −1 2
)
.
k
Wir nehmen wieder an, dass m
= 1 gilt. Das charakteristische Polynom der Matrix B ist
√
3
P (λ) = (2 − λ) − 2(2 − λ) = (2 − λ)(λ2 −(4λ +
2). Die
Eigenwerte
sind(ω12 )
= 2, ω22 = 2 + 2
)
(
)
√
1
1
√
√1
0
, v = − 2 und w =
und ω22 = 2 − 2 mit Eigenvektoren u = −1
2 . Die allgemeine
1
1
Lösung des Systems ist
)
√
√
√
√ )( 1 ) (
√
√ )( √
(
1
0
x(t) = c1 cos 2 t + c2 sin 2 t
2
+
2
t
+
c
sin
2
+
2
t
+
c
cos
2
−
4
3
−1
1
√
√
√
√ ) ( √1 )
(
+ c5 cos 2 − 2 t + c6 sin 2 − 2 t
2
1
mit c1 , c2 , c3 , c4 , c5 , c6 ∈ R. Nimmt man die Anfangsgeschwindigkeiten als null an, so folgt
c2 = 0, c4 = 0 und c6 = 0. Gibt man die Auslenkungen der drei Körper zum Zeitpunkt 0
vor, so kann man daraus c1 , c3 und c5 berechnen.
6. LÖSUNGSKURVEN
31
6. Lösungskurven
Die Lösungen x(t) eines linearen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) können
wir als Kurven in der Ebene auffassen. Wir können uns einen Körper vorstellen, der eine
Bewegung ausführt. Zum Zeitpunkt t befindet er sich im Punkt x(t).
Wir können jeden Punkt der Ebene als Anfangsbedingung wählen. Daher gibt es durch
jeden Punkt eine Lösungskurve. Lösungskurven können sich nicht überkreuzen oder verzweigen. Sonst könnte man den Kreuzungs- oder den Verzweigungspunkt als Anfangsbedingung
wählen und hätte für diese Anfangsbedingung mehr als eine Lösung. Anfangsbedingungen
bestimmen aber die Lösung eindeutig. Lösungskurven sind somit paarweise disjunkt und
füllen die gesamte Ebene aus.
Eine Lösungskurve ist die, die konstant = 0 ist, das heißt x(t) = 0 für alle t. Man prüft
leicht nach, dass sie das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) löst. Man nennt den
Nullpunkt 0 daher einen Fixpunkt.
Sei λ ̸= 0 ein reeller Eigenwert der Matrix A und u ein zugehöriger Eigenvektor. Sei
g die Gerade durch den Nullpunkt mit Richtungsvektor u. Dann sind x(t) = eλt u und
x(t) = −eλt u Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Die zugehörigen
Kurven sind die beiden Halbgeraden, in die die Gerade g zerfällt, wenn man den Nullpunkt
wegnimmt. Ist λ < 0, dann werden die beiden Halbgeraden wegen limt→∞ eλt = 0 nach innen
durchlaufen. Ist λ > 0, dann werden die beiden Halbgeraden wegen limt→∞ eλt = ∞ nach
außen durchlaufen.
Wir gehen die verschiedenen Fälle der Reihe nach durch, die für ein Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) auftreten können.
Zwei reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen: Sei λ1 der positive Eigenwert mit Eigenvektor u und λ2 der negative Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2
die Geraden durch den Nullpunkt mit Richtungsvektoren u und v. Wie wir bereits gesehen
haben, sind die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn man den Nullpunkt wegnimmt, Lösungskurven. Die Halbgeraden auf g1 werden nach außen, die auf g2 nach innen
durchlaufen. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen
limt→−∞ eλ1 t = 0 und limt→∞ eλ2 t = 0 liegen sie für t → −∞ asymptotisch zu g2 und für
t → ∞ asymptotisch zu g1 . In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Sattelpunkt.
Die( Zeichnung
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems
x′ (t) = Ax(t) mit
)
(
)
5
A = −2
sind λ1 = 3 mit Eigenvektor u = 11 und λ2 = −4 mit
2 1 . Die( Eigenwerte
)
5
Eigenvektor v = −2
.
Zwei negative reelle Eigenwerte: Sei λ1 der betragskleinere Eigenwert mit Eigenvektor
u und λ2 der betragsgrößere Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2 die Geraden
32
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
durch 0 mit Richtungsvektoren u und v. Die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn
man 0 wegnimmt, sind Lösungskurven. Sie werden nach innen durchlaufen. Alle Lösungen
erhält man als x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen λ1 < 0 und λ2 < 0 gehen alle
Lösungskurven gegen 0. In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Attraktor oder eine
Senke. Da eλ2 t schneller gegen 0 geht als eλ1 t , schmiegen sich die Lösungskurven an g1 an.
Die
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems
x′ (t) = Ax(t) mit
( −2Zeichnung
)
(
)
1
A = −1 −1
sind λ1 = −1 mit Eigenvektor u = −1
und λ2 = −3 mit
−2 . Die
( 1Eigenwerte
)
Eigenvektor v = 1 .
Zwei positive reelle Eigenwerte: Sei λ1 der kleinere Eigenwert mit Eigenvektor u und
λ2 der größere Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2 die Geraden durch 0 mit Richtungsvektoren u und v. Die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn man 0 wegnimmt,
sind Lösungskurven. Sie werden nach außen durchlaufen. Alle Lösungen erhält man als
x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen λ1 > 0 und λ2 > 0 gehen alle Lösungskurven
nach Unendlich. In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Repeller oder eine Quelle,
da die Lösungskurven von ihm weglaufen. Da eλ2 t für t → −∞ schneller gegen 0 geht als
eλ1 t , schmiegen sich die Lösungskurven an g1 an.
( )
Als Beispiel könnten wir die Matrix A = 21 12 nehmen. Das ist die aus dem letzten
Beispiel, aber mit entgegengesetzten Vorzeichen. Das ergibt dieselben Lösungskurven wie in
obiger Zeichnung, sie werden nur in die andere Richtung durchlaufen. Die Zeichnung
( 2 −1 )unten
′
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems
x (t) = Ax(t) mit A = 0 (1 ). Die
(1)
Eigenwerte sind λ1 = 1 mit Eigenvektor u = 1 und λ2 = 2 mit Eigenvektor v = 10 .
Ein zweifacher reeller Eigenwert: Sei λ der Eigenwert mit Eigenvektor u. Sei g die
Gerade durch 0 mit Richtungsvektor u. Die Halbgeraden, in die g zerfällt, wenn man 0
6. LÖSUNGSKURVEN
33
wegnimmt, sind Lösungskurven. Sie werden nach außen durchlaufen, wenn λ > 0 ist, und
nach innen, wenn λ < 0 ist. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλt u+c2 (eλt v+teλt u) mit
c1 , c2 ∈ R, wobei Av = λv+u gilt. Ist λ > 0, dann gehen alle nach Unendlich, der Nullpunkt
ist ein Repeller. Ist λ < 0, dann gehen alle zum Nullpunkt, der somit ein Attraktor ist.
Die
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems
x′ (t) = Ax(t) mit
( −3Zeichnung
)
(1)
1
A = −1 −1 . Der Eigenwert ist λ = −2( mit )Eigenvektor u = 1 . Das ist ein Beispiel mit
3 −1
negativem
( 1 ) Eigenwert. Die Matrix B = 1 1 = −A hat Eigenwert λ = 2 mit Eigenvektor
u = 1 . Sie hat dieselben Lösungskurven, aber mit umgedrehter Durchlaufrichtung.
Imaginäre Eigenwerte: Die Eigenwerte sind ±iβ mit Eigenvektoren u±iv. Alle Lösungen
erhält man als x(t) = c1 (cos βt u−sin βt v)+c2 (sin βt u+cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Man sieht,
dass x(t + 2π
) = x(t) für alle t gilt. Alle Lösungskurven sind daher geschlossene Kurven. Sie
β
werden mit Periode 2π
durchlaufen. Außerdem gilt x(t + βπ ) = −x(t), sodass der Nullpunkt
β
den Mittelpunkt der Lösungskurven darstellt.
Die
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit
( −1Zeichnung
)
A = 1 −5
1 . Die Eigenwerte sind λ = ±2i.
Konjugiert komplexe Eigenwerte mit positivem Realteil: Die Eigenwerte sind α±iβ
mit α > 0 (und zugehörigen Eigenvektoren u ± iv. Alle Lösungen
kann man schreiben als
)
αt
x(t) = e c1 (cos βt u − sin βt v) + c2 (sin βt u + cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Es sind also
dieselben Lösungen wie bei imaginären Eigenwerten, allerdings noch mit eαt multipliziert.
Wegen α > 0 geht eαt nach ∞, wenn t nach ∞ geht. Während die Lösungskurven um den
34
3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Nullpunkt herumlaufen, wird ihr Abstand vom Nullpunkt immer größer. Somit laufen die
Lösungskurven spiralenförmig nach außen bis ins Unendliche. Der Nullpunkt ist ein Repeller.
Die
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit
( 1 Zeichnung
)
−2
A = 2 1 . Die Eigenwerte sind λ = 1 ± 2i.
Konjugiert komplexe Eigenwerte mit negativem Realteil: Die Eigenwerte sind α±iβ
mit α < 0( und zugehörigen Eigenvektoren u ± iv. Alle
) Lösungen kann man schreiben als
x(t) = eαt c1 (cos βt u−sin βt v)+c2 (sin βt u+cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Wegen α < 0 geht eαt
nach 0, wenn t nach ∞ geht. Während die Lösungskurven um den Nullpunkt herumlaufen,
wird ihr Abstand vom Nullpunkt immer kleiner. Die Lösungskurven laufen spiralenförmig
nach innen und konvergieren gegen den Nullpunkt, der somit ein Attraktor ist.
Die
zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit
( −1Zeichnung
)
A = 1 −1
−1 . Die Eigenwerte sind λ = −1 ± i.
Bemerkung. Ist ein Eigenwert gleich 0 und u sein Eigenvektor, dann besteht die Gerade
durch 0 mit Richtungsvektor u aus lauter Fixpunkten.
KAPITEL 4
Nichtlineare Differentialgleichungssysteme
Sei A eine n × n-Matrix. Dann ist F (x) = Ax eine lineare Abbildung von Rn nach Rn .
Das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) lässt sich schreiben als x′ (t) = F (x(t)). Man
kann für F auch eine Abbildung von Rn nach Rn wählen, die nicht linear ist. Das ergibt
dann ebenfalls ein Differentialgleichungssystem, allerdings kein lineares.
Eine Abbildung F : Rn → Rn nennt man ein Vektorfeld. Jedem Punkt x ∈ Rn wird der
Vektor F (x) zugeordnet. Es folgen Beispiele für nichtlineare Differentialgleichungssysteme.
Pendel: Ein Körper der Masse m hängt an einer Stange der Länge 1. Sei x(t) seine Auslenkung (Winkel im Bogenmaß) zum Zeitpunkt t. Auf den Körper wirkt die Schwerkraft
mg, die den Körper senkrecht nach unten zieht. Wir zerlegen sie in die beiden Komponenten mg cos x(t), die die Richtung der Stange hat und daher nichts bewirkt, und mg sin x(t),
die senkrecht auf die Stange wirkt und den Körper in die Ruhelage zurücktreibt. Ohne
Berücksichtigung der Reibung erhalten wir die Bewegungsgleichung mx′′ (t) = −mg sin x(t).
Das Minuszeichen bedeutet, dass die Kraft den Körper zurücktreibt. Bei Auslenkung nach
rechts wirkt sie nach links und bei Auslenkung nach links wirkt sie nach rechts. Ist y(t) = x′ (t)
die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t, dann ergibt sich das Differentialgleichungssystem
x′ (t) = y(t)
y ′ (t) = −g sin x(t)
Wir können auch den Reibungswiderstand berücksichtigen. Er ist eine Funktion der Geschwindigkeit und wirkt dieser entgegen. Sei s : R → R stetig mit s(0) = 0, s(y) > 0 für
y > 0 und s(y) < 0 für y < 0. Eine sehr allgemeine Form der Reibung ist dann −s(x′ (t)).
Das ergibt die Bewegungsgleichung mx′′ (t) = −mg sin x(t) − s(x′ (t)). Ist y(t) = x′ (t) wieder
die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t und setzen wir r(y) = m1 s(y), dann ergibt sich das
Differentialgleichungssystem
x′ (t) = y(t)
y ′ (t) = −g sin x(t) − r(y(t))
Das Vektorfeld dieses Differentialgleichungssystems ist F (x, y) =
(
)
y
−g sin x−r(y) .
Zwei-Spezies-Systeme: Sei x(t) die Populationsgröße der ersten Spezies und y(t) die
der zweiten Spezies zum Zeitpunkt t. Die Wachstumsraten der beiden Populationen sind
′ (t)
′ (t)
dann xx(t)
und yy(t)
. Diese Wachstumsraten werden als lineare Funktionen in x(t) und y(t)
angenommen. Je nach Vorzeichen der Koeffizienten erhält man verschiedene Modelle.
Die Koeffizienten a, b, c, d, e, f seien in R+ . Das Differentialgleichungssystem
x′ (t)
x(t)
= a − bx(t) − cy(t)
y ′ (t)
= d − ex(t) − f y(t)
y(t)
35
36
4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME
ist ein sogenanntes Konkurrenzmodell. Größere Populationen bewirken
größere Konkurrenz
)
( x(a−bx−cy)
und dadurch kleinere Wachstumsraten. Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(d−ex−f
y) .
Die Koeffizienten a, b, c, d, e, f seien wieder in R+ . Das Differentialgleichungssystem
x′ (t)
x(t)
= a − bx(t) − cy(t)
y ′ (t)
= −d + ex(t) − f y(t)
y(t)
ist ein sogenanntes Räuber-Beute-Modell, wobei x(t) die Größe der Beute-Population und
( x(a−bx−cy) )
y(t) die Größe der Räuber-Population ist. Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f
y) .
Bei Abwesenheit der Räuber, das heißt bei y(t) = 0, entwickelt sich die Beute-Population
entsprechend der Logistischen Differentialgleichung. Die Anwesenheit der Räuber wirkt sich
zusätzlich negativ auf die Wachstumsrate der Beute-Population aus, daher −cy(t). Bei Abwesenheit der Beute, das heißt bei x(t) = 0, hat die Räuber-Population negative Wachstumsrate
und stirbt daher aus. Je größer die Beute-Population ist, umso größer ist die Wachstumsrate
der Räuber-Population, daher +ex(t).
Da Populationsgrößen nicht negativ sind, untersucht man diese Differentialgleichungssysteme üblicherweise nur auf B = R+ × R+ .
1. Partielle Ableitungen
Bevor wir uns weiter mit Differentialgleichungssystemen beschäftigen, führen wir partielle
Ableitungen ein und beweisen die zweidimensionale Kettenregel.
Wir definieren ε-Umgebungen im R2 . Sei p ∈ R2 . Die ε-Umgebung des Punktes p ist die
Menge aller Punkte, deren Abstand vom Punkt p kleiner als ε ist. Wir bezeichnen sie mit
Uε (p). Sie ist die Kreisscheibe mit Mittelpunkt p und Radius ε ohne Rand. Eine Teilmenge
B des R2 heißt offen, wenn es zu jedem Punkt p ∈ B ein ε > 0 gibt mit Uε (p) ⊂ B.
Beispiel. Die Menge [0, ∞) × [0, ∞) ist nicht offen. Für den Punkt (0, 0) gibt es keine
ε-Umgebung, die in dieser Menge enthalten ist.
Die Menge B = (0, ∞) × (0, ∞) ist jedoch offen. Ist (x, y) ∈ B, dann gilt x > 0 und
y > 0. Wir können ε = min{x, y} wählen. Dann gilt ε > 0 und Uε (x, y) ⊂ B.
Mit Hilfe dieser Definition einer Umgebung lassen sich Grenzwert und Stetigkeit für
Funktionen in zwei Variablen genauso definieren wie für Funktionen in einer Variablen. Es
gelten dann auch analoge Sätze.
Definition. Sei B ⊂ R2 offen und f : B → R eine Funktion. Weiters sei (x, y) ∈
B. Mit D1 f (x, y) bezeichnen wir die Ableitung der Funktion f nach der ersten Variable
(x,y)
(wenn sie existiert), das heißt D1 f (x, y) = limh→0 f (x+h,y)−f
. Mit D2 f (x, y) bezeichnen
h
wir die Ableitung der Funktion f nach der zweiten Variable (wenn sie existiert), das heißt
(x,y)
D2 f (x, y) = limh→0 f (x,y+h)−f
. Man nennt diese Ableitungen die partiellen Ableitungen
h (
D1 f (x,y) )
der Funktion f . Den Vektor D2 f (x,y) nennt man den Gradienten der Funktion f im Punkt
(x, y) und bezeichnet ihn mit grad f (x, y).
Beispiel. Sei f (x, y) (= 3x2 y +
y 4 . Dann ist D1 f (x, y) = 6xy und D2 f (x, y) = 3x2 + 4y 3 .
6xy )
Somit gilt grad f (x, y) = 3x2 +4y3 .
Wir beweisen eine zweidimensionale Version der Kettenregel. Sei (a, b) ein Intervall und
B ⊂ R2 . Seien g : (a, b) → B und f : B → R Funktionen, wobei g aus den Komponenten g1
2. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT VON LÖSUNGEN
37
und g2 besteht. Dann können wir die Funktion h = f ◦ g bilden, die das Intervall (a, b) nach
R abbildet. Es macht also Sinn nach der Ableitung h′ (t) für t ∈ (a, b) zu fragen.
Satz 25. Sei (a, b) ein Intervall und B eine offene Teilemenge von R2 . Sei g : (a, b) → B
eine Funktion mit stetiger Ableitung und f : B → R habe stetige partielle Ableitungen. Dann
ist die Funktion h = f ◦ g von (a, b) nach R differenzierbar und für t ∈ (a, b) gilt
h′ (t) = ⟨grad f (g(t)), g ′ (t)⟩ = D1 f (g(t)) g1′ (t) + D2 f (g(t)) g2′ (t)
Beweis. Seien t und s im Intervall (a, b) mit s ̸= t. Dann gilt
h(s)−h(t) = f (g(s))−f (g(t)) = f (g1 (s), g2 (s))−f (g1 (t), g2 (s))+f (g1 (t), g2 (s))−f (g1 (t), g2 (t))
Wir setzen φ(x) = f (g1 (x), g2 (s)) und ψ(x) = f (g1 (t), g2 (x)). Aus obiger Gleichung ergibt
sich h(s) − h(t) = φ(s) − φ(t) + ψ(s) − ψ(t). Aus der Kettenregel für Funktionen in einer
Variablen erhalten wir φ′ (x) = D1 f (g1 (x), g2 (s)) g1′ (x) und ψ ′ (x) = D2 f (g1 (t), g2 (x)) g2′ (x).
Aus dem Mittelwertsatz folgt jetzt
h(s)−h(t)
s−t
=
φ(s)−φ(t)
s−t
+
ψ(s)−ψ(t)
s−t
= φ′ (ξ) + ψ ′ (η)
wobei ξ und η zwischen s und t liegen. Wir setzen für φ′ und ψ ′ ein
h(s)−h(t)
s−t
= D1 f (g1 (ξ), g2 (s)) g1′ (ξ) + D2 f (g1 (t), g2 (η)) g2′ (η)
Wenn s gegen t geht, gehen auch ξ und η gegen t. Wegen der Stetigkeit der partiellen
Ableitungen D1 f und D2 f erhalten wir lims→t D1 f (g1 (ξ), g2 (s)) = D1 f (g1 (t), g2 (t)) und
lims→t D2 f (g1 (t), g2 (η)) = D2 f (g1 (t), g2 (t)). Wegen der Stetigkeit der Ableitungen g1′ und
g2′ erhalten wir lims→t g1′ (ξ) = g1′ (t) und lims→t g2′ (η) = g2′ (t). Damit ergibt sich
lims→t
h(s)−h(t)
s−t
= D1 f (g1 (t), g2 (t)) g1′ (t) + D2 f (g1 (t), g2 (t)) g2′ (t)
Somit existiert h′ (t) und ist gleich D1 f (g(t)) g1′ (t) + D2 f (g(t)) g2′ (t).
2. Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen
Den folgenden Existenz- und Eindeutigkeitssatz geben wir ohne Beweis an.
Satz 26. Sei B eine offene Teilmenge des Rn und F : B → Rn ein Vektorfeld mit
stetigen partiellen Ableitungen. Sei x0 ∈ B und t0 ∈ R. Dann hat das Anfangswertproblem
x′ (t) = F (x(t))
mit
x(t0 ) = x0
genau eine Lösung x(t), die auf einem offenen Intervall, das t0 enthält, definiert ist. Ist das
Intervall, auf dem die Lösung definiert ist, beschränkt und c ein Endpunkt, dann geht x(t)
für t → c gegen Unendlich oder gegen den Rand von B.
Die Lösung kann auf ganz R existieren, wie es zum Beispiel bei linearen Differentialgleichungssystemen der Fall ist, oder auch nur auf einem Intervall, das nicht ganz R ist, wie wir
zum Beispiel bei Differentialgleichungen mit getrennten Variablen gesehen haben.
Die Voraussetzung, dass das Vektorfeld stetige partielle Ableitungen besitzt, ist wesentlich. Im folgenden Beispiel hat man keine eindeutigen Lösungen.
Beispiel. Gesucht sind Lösungen der Differentialgleichung x′ (t) = 3x(t) 3 mit Anfangsbedingung x(0) = 0. Man prüft leicht nach, dass sowohl x(t) = 0 als auch x(t) = t3 Lösungen
dieses Anfangswertproblems sind. Die Lösung ist nicht eindeutig.
2
Das Vektorfeld F : R → R ist definiert durch F (x) = 3x 3 . Es ist eindimensional,
kann aber als Vektorfeld aufgefasst werden. (Die partielle Ableitung ist dann die normale
2
38
4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME
Ableitung.) Es gilt F ′ (x) = 2x− 3 . Die Ableitung existiert für x = 0 nicht. Die Voraussetzung
von Satz 26, dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz, ist nicht erfüllt. So erklärt sich die
Nichteindeutigkeit der Lösungen.
1
Hat das Vektorfeld F : B → Rn stetige partielle Ableitungen, dann können sich Lösungskurven des Differentialgleichungssystem x′ (t) = F (x(t)) nicht kreuzen oder verzweigen. Wäre
x0 ein Punkt, wo das passiert, dann hätte das Anfangswertproblem
x′ (t) = F (x(t))
mit
x(0) = x0
keine eindeutige Lösung auf dem Intervall (−ε, ε), wie klein ε auch ist. Das widerspricht dem
Existenz- und Eindeutigkeitssatz. Die Lösungen sind daher paarweise disjunkt und füllen
den Bereich B vollständig aus, da ja durch jeden Punkt x0 ∈ B auch eine Lösung existiert.
Die Vektorfelder der eingangs behandelten Beispiele sind auf ganz R2 definiert und haben
stetige partielle Ableitungen. Die Lösungskurven sind daher paarweise disjunkt und füllen
den R2 vollständig aus.
3. Fixpunkte
Sei B ⊂ R2 offen und F : B → R2 ein Vektorfeld. Ein Punkt p ∈ B heißt Fixpunkt,
wenn F (p) = 0 gilt. Setzt man x(t) = p für alle t, dann ist das eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)). Es gilt ja x′ (t) = 0 und F (x(t)) = F (p) = 0.
(
)
In einer Umgebung eines Fixpunktes p kann man das Vektorfeld F (x) = FF12 (x)
(x) lineari( 1 F1 (p) D2 F1 (p) )
sieren. Man bildet die Matrix M = D
D1 F2 (p) D2 F2 (p) der partiellen Ableitungen. Ist weder 0
noch eine imaginäre Zahl Eigenwert der Matrix M , dann kann man zeigen, dass die Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)) in einer Umgebung des Fixpunktes
p genauso aussehen wie die (isomorph sind zu den) Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = M x(t) in einer Umgebung des Fixpunktes 0. Insbesondere sind Sattelpunkte
für die Untersuchung von nichtlinearen Differentialgleichungssystemen wichtig. Hat die Matrix M zwei reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen, dann ist der Fixpunkt 0 ein
Sattelpunkt für das Differentialgleichungssystem x′ (t) = M x(t). Daher ist auch der Fixpunkt p ein Sattelpunkt für das Differentialgleichungssystem x′ (t) = F (x(t)). Es existieren
zwei Lösungskurven, die in den Sattelpunkt p einmünden und zwei Lösungskurven, die von
ihm ausgehen. Die anderen Lösungskurven in der Nähe von p schmiegen sich an diese vier
Lösungskurven an.
Wir bestimmen die Fixpunkte für obige Beispiele und untersuchen einige von ihnen.
(
)
y
Pendel: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x−r(y) , wobei r(0) = 0 gilt. Für einen Fixpunkt
muss y = 0 und g sin x + r(y) = 0 gelten. Es folgt sin x = 0 und daraus x = nπ mit n ∈ Z.
Die Fixpunkte sind daher Pn = (nπ, 0) für n ∈ Z. Da die Winkel nπ für gerades n alle gleich
dem Winkel 0 sind, entsprechen die Fixpunkte Pn für gerades n einem senkrecht nach unten
hängenden Pendel. Die Winkel nπ für ungerades n sind alle gleich dem Winkel π. Daher
entsprechen die Fixpunkte Pn für ungerades n einem senkrecht nach oben stehenden Pendel
(das Pendel ist ja an einer Stange befestigt).
Die Fixpunkte P2j+1 mit j ∈ Z sind Sattelpunkte. Wir setzen r′ (0) = 2a. Es gilt a ≥ 0,
da r(y)
( >00 für 1y >) 0 gilt und r(y) < 0 für y < 0. Die Matrix der partiellen Ableitungen ist
′
M = −g cos
. Setzt man P2j+1 ein, das heißt x = (2j + 1)π und y = 0, so erhält man
√
√
( 0 1 x) −r (y)
M = g −2a . Die Eigenwerte sind λ1 = −a + a2 + g > 0 und λ2 = −a − a2 + g < 0.
Das zeigt, dass der Fixpunkt ein Sattelpunkt ist.
4. BEWEGUNGSINVARIANTE
39
( x(a−bx−cy) )
Konkurrenzmodell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(d−ex−f
y) . Für einen Fixpunkt muss
x(a − bx − cy) = 0 und y(d − ex − f y) = 0 gelten. Wir erhalten vier Lösungen P1 = (0, 0),
−cd bd−ae
P2 = ( ab , 0), P3 = (0, fd ) und P4 = ( af
,
). Das sind die Fixpunkte dieses Vektorfelds.
bf −ce bf −ce
Die ersten drei liegen am Rand des Gebietes [0, ∞) × [0, ∞). Diese drei Fixpunkte sind
Lösungen. Wir bestimmen die anderen Lösungskurven, die auf dem Rand verlaufen. Für die
x-Achse gilt y(t) = 0. Das erfüllt auch die zweite Gleichung des Differentialgleichungssystems.
Für x(t) folgt dann x′ (t) = x(t)(a − bx(t)) = ax(t)(1 − ab x(t)) aus der ersten Gleichung des
Differentialgleichungssystems. Das ist die Logistische Differentialgleichung mit K = ab . Ihre
Lösungen konvergieren gegen K, das heißt limt→∞ x(t) = K, abgesehen von der Nulllösung.
Startet man auf der positiven x-Achse, dann läuft die Lösungskurve des Konkurrenzmodells
auf der x-Achse gegen den Fixpunkt P2 . Ganz analog erhält man, dass die Lösungskurven,
die auf der positiven y-Achse starten, auf dieser gegen den Fixpunkt P3 laufen.
( x(a−bx−cy) )
Räuber-Beute-Modell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f
y) . Für einen Fixpunkt
muss x(a−bx−cy) = 0 und y(−d+ex−f y) = 0 gelten. Wir erhalten die Lösungen P1 = (0, 0)
+cd ae−bd
und P4 = ( af
,
). Auf der x-Achse gibt es den Fixpunkt P2 = ( ab , 0), wenn b > 0 gilt.
bf +ce bf +ce
Auf der y-Achse gibt es keinen Fixpunkt. Wie für das Konkurrenzmodell zeigt man, dass alle
Lösungskurven des Räuber-Beute-Modells, die auf der positiven x-Achse starten, auf dieser
gegen den Fixpunkt P2 laufen. Ist b = 0 dann laufen sie nach unendlich. Für Lösungskurven
auf der positiven y-Achse gilt y ′ (t) = −y(t)(d + f y(t)). Das ist immer negativ. Daher laufen
die Lösungskurven auf der y-Achse gegen P1 .
Wir nehmen an, dass P4 im Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞) liegt, das heißt ae − bd > 0. Wir
zeigen, dass dann der Fixpunkt P2 = ( ab , 0) ein Sattelpunkt ist. Die Matrix der partiellen
(
)
−cx
Ableitungen des Vektorfelds ist M = a−2bx−cy
ey
−d+ex−2f y . Setzt man P2 ein, das heißt
( −a − ac )
x = ab und y = 0, so erhält man M = 0 −d+bae . Eigenwerte sind λ1 = −a < 0 und
λ2 = −d +
ae
b
=
ae−bd
b
b
> 0. Das zeigt, dass der Fixpunkt ein Sattelpunkt ist.
4. Bewegungsinvariante
Bewegungsinvariante und Ljapunovfunktionen (diese werden im Anhang behandelt) verwendet man, um Differentialgleichungssysteme zu untersuchen, die man nicht lösen kann.
Definition. Sei B eine offene Teilmenge des Rn und F : B → Rn ein Vektorfeld. Eine
differenzierbare Funktion V : B → R heißt Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F , wenn
⟨grad V (x), F (x)⟩ = 0 für alle x ∈ B gilt.
Satz 27. Sei B ⊂ Rn offen, F : B → Rn ein Vektorfeld und V : B → R eine Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)), die
auf einem Intervall I existiert. Dann gilt dtd V (x(t)) = 0 für alle t ∈ I. Das heißt, auf jeder
Lösungskurve ist die Funktion V konstant.
Beweis. Wegen Satz 25 und wegen x′ (t) = F (x(t)) erhalten wir
d
V
dt
(x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩
Aus der Definition der Bewegungsinvarianten folgt jetzt, dass dtd V (x(t)) = 0 für alle t ∈ I gilt.
Eine Funktion, die Ableitung 0 hat, ist konstant. Somit existiert ein k ∈ R mit V (x(t)) = k
für alle t ∈ I.
40
4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME
Ist V eine Bewegungsinvariante des Vektorfeldes F und x(t) eine Lösungskurve des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)), dann existiert ein k ∈ R, sodass V (x(t)) = k für
alle t gilt. Das heißt, die Lösungskurve liegt in der Menge {x : V (x) = k}. Diese Mengen
nennt man Höhenschichtlinien. Man bestimmt die Höhenschichtlinien der Bewegungsinvariante. Auf diesen verlaufen dann die Lösungskurven des Differentialgleichungssystems.
( y )
Pendel ohne Reibung: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x . Wir können eine Bewegungsinvariante mit Hilfe einer physikalischen Überlegung finden. Die potentielle Energie des
Pendels ist mg(1−cos x(t)), wobei 1−cos x(t) die Höhe des Pendels über der Ruhelage ist. Die
kinetische Energie des Pendels ist 12 my(t)2 . Die Gesamtenergie ist mg(1−cos x(t))+ 12 my(t)2 .
Sie sollte invariant sein, da keine Reibung wirkt. Wir können durch die Konstante m dividieren und die
Konstante
g subtrahieren. Es bleibt V (x, y) = −g cos x + 21 y 2 . Es gilt
( g sin
)
x
grad V (x, y) =
und ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = yg sin x − yg sin x = 0. Also ist V (x, y)
y
tatsächlich eine Bewegungsinvariante.
Wir bestimmen die Höhenschichtlinien dieser Bewegungsinvariante. Es gilt
√
V (x, y) = k
⇐⇒
y = ± 2(g cos x + k)
Ist k < −g, dann ist der Ausdruck unter der Wurzel immer negativ. Es existiert keine Höhenschichtlinie. Ist −g < k < g, dann schneidet der Graph der Funktion x 7→ 2(g cos x + k) die
x-Achse. Dort, wo diese Funktion negativ ist, lässt sich die Wurzel nicht ziehen. Dort, wo
sie positiv ist, erhalten wir eine Höhenschichtlinie, die symmetrisch zur x-Achse liegt. Die
Höhenschichtlinie besteht aus getrennt liegenden Kurven. (In den folgenden Zeichnungen ist
jeweils die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) gezeichnet und die Höhenschichtlinie, die die Wurzel
aus dieser Funktion ist.)
Grenzfälle sind k = −g und k = g. Im ersten Fall besteht die Höhenschichtlinie aus den
Punkten (2jπ, 0) mit j ∈ Z. Im zweiten Fall liegt die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) über
der x-Achse und berührt sie in den Punkten
√ (2j + 1)π mit j ∈ Z. Wir können immer die
Wurzel ziehen. Die Höhenschichtlinie y = ± 2(g cos x + k) besteht aus zwei einander überkreuzenden Linien. In den Punkten (2j + 1)π mit j ∈ Z hat die Funktion x 7→ 2(g cos x + k)
zweifache Nullstellen. Die Wurzel aus dieser Funktion ist die Höhenschichtlinie. Diese hat
einfache Nullstellen. Daher trifft sie in einem Winkel ̸= 00 auf die x-Achse.
Für√k > g liegt die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) über der x-Achse. Die Höhenschichtlinie
y = ± 2(g cos x + k) besteht aus zwei wellenförmigen Linien symmetrisch zur x-Achse.
Zeichnen wir die Höhenschichtlinien in ein Bild, so erhalten wir
4. BEWEGUNGSINVARIANTE
41
Die Lösungskurven laufen auf den Höhenschichtlinien. Die Punkte (2jπ, 0) mit j ∈ Z sind
Fixpunkte. Sie entsprechen einem in Ruhelage hängenden Pendel, da x(t) = 2jπ und y(t) = 0
für alle t gilt. Die diese Fixpunkte umkreisenden Höhenschichtlinien sind Lösungskurven. Sie
eintsprechen einem hin- und herschwingenden Pendel. Sie werden im Uhrzeigersinn durchlaufen, da die Geschwindigkeit y(t) größer als null ist, wenn sich das Pendel nach rechts
bewegt, und kleiner als null ist, wenn sich das Pendel nach links bewegt. Die oben und unten
liegenden wellenförmigen Höhenschichtlinien sind ebenfalls Lösungskurven. Die oben liegenden werden nach rechts, die unten liegenden nach links durchlaufen. Sie entsprechen einem
kreisenden Pendel.
Es bleibt die sich überkreuzende Höhenschichtlinie. Die Kreuzungspunkte ((2j + 1)π, 0)
mit j ∈ Z sind Fixpunkte. Sie entsprechen einem senkrecht nach oben stehenden Pendel, da
x(t) = (2j + 1)π und y(t) = 0 für alle t gilt. Die diese Fixpunkte verbindenden Kurvenstücke
sind Lösungskurven. Sie werden nach rechts durchlaufen, wenn sie oberhalb der x-Achse
liegen, und nach links, wenn sie unterhalb der x-Achse liegen. Sie entsprechen einem Pendel,
das aus der senkrecht stehenden Lage herausfällt und daher gerade so viel Schwung hat, um
wieder in diese zurückzukehren. Die Fixpunkte (2j + 1)π mit j ∈ Z sind Sattelpunkte.
Das Bild ist periodisch mit Periode 2π, da ja der Winkel x + 2π mit dem Winkel x
übereinstimmt.
Wie kann man Bewegungsinvariante für andere Vektorfelder finden? Der folgende Satz
behandelt Vektorfelder mit getrennten Variablen.
Satz 28. Sei B ⊂ R2 offen. Das Vektorfeld F : B → R2 habe getrennte Variable,
das heißt F1 (x, y) = g1 (x)h1 (y) und F2 (x, y) = g2 (x)h2 (y). Sei R(x) eine Stammfunktion
(x)
von gg12 (x)
und S(y) eine Stammfunktion von hh12 (y)
. Dann ist V (x, y) = R(x) − S(y) eine
(y)
Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F .
Beweis. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = D1 V (x, y)F1 (x, y) + D2 V (x, y)F2 (x, y). Wir
(x)
(y)
setzen D1 V (x, y) = R′ (x) = gg12 (x)
, D2 V (x, y) = −S ′ (y) = − hh21 (y)
und das Vektorfeld ein:
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = gg21 (x)
g (x)h1 (y) − hh12 (y)
g (x)h2 (y) = g2 (x)h1 (y) − h1 (y)g2 (x) = 0.
(x) 1
(y) 2
Somit ist V eine Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F .
Für das Pendel ohne Reibung gilt F1 (x, y) = y und F2 (x, y) = −g sin x. Wir können
g1 (x) = 1, h1 (y) = y und g2 (x) = g sin x, h2 (y) = −1 wählen. Eine Stammfunktion von
g2 (x)
= g sin x ist R(x) = −g cos x. Eine Stammfunktion von hh12 (y)
= −y ist S(y) = − 21 y 2 .
g1 (x)
(y)
Nach Satz 28 ist V (x, y) = R(x) − S(y) = −g cos x + 12 y 2 eine Bewegungsinvariante. Es ist
dieselbe, die wir früher gefunden haben.
Räuber-Beute-Modell: Wir untersuchen das Räuber-Beute-Modell
mit b =) 0 und f = 0
( x(a−cy)
(keine innerspezifische Konkurrenz). Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex) . Es hat getrennte Variable. Wir wählen g1 (x) = x, h1 (y) = a − cy und g2 (x) = −d + ex, h2 (y) = y.
(x)
Eine Stammfunktion von gg12 (x)
= e − xd ist R(x) = ex − d log x. Eine Stammfunktion von
42
4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME
= −c + ay ist S(y) = −cy + a log y. Nach Satz 28 ist V (x, y) = R(x) − S(y) eine
Bewegungsinvariante auf dem Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞).
Wir setzen u = de und v = ac . Dann ist (u, v) ein Fixpunkt. Die Bewegungsinvariante
ist V (x, y) = e(x − u log x) + c(y − v log y). Die Funktion x 7→ e(x − u log x) ist monoton
fallend auf dem Intervall (0, u), hat ein Minimum im Punkt u und ist monoton wachsend auf
dem Intervall (u, ∞). Die Funktion y 7→ c(y − v log y) ist monoton fallend auf dem Intervall
(0, v), hat ein Minimum im Punkt v und ist monoton wachsend auf dem Intervall (v, ∞).
Es folgt, dass V (x, y) ein Minimum im Punkt (u, v) hat, von dort in alle Richtungen wächst
und gegen ∞ geht, wenn man sich dem Rand des Bereichs B nähert. Die Höhenschichtlinien
sind daher geschlossene Kurven, die um den Punkt (u, v) herumlaufen. Das folgende Bild
zeigt Höhenschichtlinien der Funktion V (x, y) = 1.1x − 8.5 log x + 1.9y − 7.7 log y.
h1 (y)
h2 (y)
Die Lösungskurven laufen auf den Höhenschichtlinien. Wir wissen bereits, was am Rand
passiert. Der Nullpunkt ist ein Fixpunkt. Die positive x-Achse ist eine Lösungskurve, die
nach Unendlich läuft. Die positive y-Achse ist eine Lösungskurve, die nach Null läuft. Der
Punkt (u, v) ist ein Fixpunkt. Jede Höhenschichtlinie ist eine Lösungskurve, die im Gegenuhrzeigersinn durchlaufen wird.
KAPITEL 5
Anhang
1. Die Keplerschen Gesetze
Wir verwenden die Resultate über Bewegungsinvariante, um die Keplerschen Gesetze für
die Bahn eines Planeten herzuleiten.
Sei P : R3 \ {0} → R eine stetig differenzierbare Funktion. Im Punkt 0 befindet sich
ein Körper (Sonne). Ein zweiter Körper (Planet) bewegt sich im R3 \ {0}. Wir nehmen an,
dass seine Masse 1 ist. Befindet er sich im Punkt x ∈ R3 , dann gibt P (x) seine potentielle
Energie an. Die Kraft, die die Sonne auf den Planeten ausübt, ist − grad P (x). Seien x(t)
und v(t) die Position und die Geschwindigkeit des Planeten zum Zeitpunkt t. Dann gilt
(1)
x′ (t) = v(t)
und
v′ (t) = − grad P (x(t))
Sei E : R6 → R definiert durch E(x, v) = P (x) +
für alle
t∈R
1
∥v∥2 .
2
Satz 29. Seien x(t) und v(t) Lösungen der Gleichungen in (1). Für alle t ∈ R gilt dann
= 0 und somit E(x(t), v(t)) = h für eine Konstante h > 0.
d
E(x(t), v(t))
dt
Beweis. Sei Q(v) = 21 ∥v∥2 = 21 (v12 + v22 + v32 ). Dann gilt grad Q(v) = (v1 , v2 , v3 ) = v.
Nach der Kettenregel gilt ddt E(x(t), v(t)) = ⟨grad P (x(t)), x′ (t)⟩ + ⟨grad Q(v(t)), v′ (t)⟩. Aus
(1) folgt grad Q(v(t)) = v(t) = x′ (t) und grad P (x(t)) = −v′ (t). Setzt man das ein, so hat
man ddt E(x(t), v(t)) = 0. Und Funktionen mit Ableitung 0 sind konstant.
Dieser Satz gilt für jedes Potential P . Ab jetzt nehmen wir eine Zentralkraft an, das heißt
xj
P (x) = φ(∥x∥) für eine stetig differenzierbare Funktion φ : (0, ∞) → R. Wegen Dj ∥x∥ = ∥x∥
(
)
′ (∥x∥)
gilt grad P (x) = φ′ (∥x∥) D1 ∥x∥, D2 ∥x∥, D3 ∥x∥ = x φ ∥x∥
.
6
3
Sei W : R → R definiert durch W (x, v) = x × v.
Satz 30. Seien x(t) und v(t) Lösungen von (1). Für alle t ∈ R gilt ddt W (x(t), v(t)) = 0.
(
)′
Beweis. Produktregel: ddt W (x(t), v(t)) = x(t) × v(t) = x′ (t) × v(t) + x(t) × v′ (t) =
′ (∥x(t)∥)
v(t) × v(t) − x(t) × grad P (x(t)) = v(t) × v(t) − x(t) × x(t) φ ∥x(t)∥
= 0.
Wir wählen das Koordinatensystem so, dass die Position x(0) und die Geschwindigkeit v(0) des Planeten zum Zeitpunkt 0 in der x1 -x2 -Ebene liegen. Es gilt dann x3 (0) = 0
und v3 (0) = 0. Daraus folgt W (x(0), v(0)) = (0, 0, g) für ein g ∈ R. Nach Satz 30 gilt
W (x(t), v(t)) = (0, 0, g) für alle t ∈ R, da diese Funktion konstant in t ist. Somit steht
(0, 0, g) orthogonal sowohl auf x(t) als auch auf v(t), das heißt x3 (t) = 0 und v3 (t) = 0 für
alle t ∈ R. Die Bahn des Planeten liegt in der x1 -x2 -Ebene. Wir lassen die dritte Koordinate
weg, sodass x(t) ∈ R2 und v(t) ∈ R2 gilt. Weiters gilt g = det(x(t), v(t)) für alle t ∈ R.
(Ist g = 0, dann sind v(t) und x(t) immer parallel, das heißt der Planet stürzt in einer
geradlinigen Bewegung in die Sonne hinein.)
Für t ≥ 0 sei r(t) = ∥x(t)∥ und s(t) der Winkel, den der Vektor x(t) vom Zeitpunkt 0
bis zum Zeitpunkt t überstreicht.
43
44
5. ANHANG
Satz 31. Für t > 0 gilt s′ (t) =
g
.
r(t)2
(t)
Beweis. Für alle t > 0 gilt s(t) = arctan xx12 (t)
− s(0) + nπ, wobei n eine ganze Zahl ist.
Es folgt s′ (t) = arctan′
x2 (t)
x1 (t)
·
x′2 (t)x1 (t)−x′1 (t)x2 (t)
x1 (t)2
=
x1 (t)v2 (t)−x2 (t)v1 (t)
x1 (t)2 +x2 (t)2
=
det(x(t),v(t))
∥x(t)∥2
=
g
.
r(t)2
Satz 32. (Zweites Keplersches Gesetz) Sei a(t) die Fläche, die der Vektor x(t) vom
Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunkt t überstreicht. Dann gilt a(t) = 12 gt.
Beweis. Sei h ∈ R. Seien t1 und t2 im Intervall mit Endpunkten t und t + h so gewählt,
dass r(t1 ) minimal und r(t2 ) maximal ist. Dann liegt a(t+h)−a(t) zwischen den Flächen der
Kreissektoren mit Winkel s(t + h) − s(t) und Radien r(t1 ) beziehungsweise r(t2 ). Die Flächen
dieser Sektoren sind 21 (s(t+h)−s(t))r(t1 )2 und 12 (s(t+h)−s(t))r(t2 )2 . Bei negativem Winkel
ist die Fläche negativ. Somit liegt a(t+h)−a(t)
zwischen 12 s(t+h)−s(t)
r(t1 )2 und 21 s(t+h)−s(t)
r(t2 )2 .
h
h
h
Für h → 0 gehen t1 und t2 gegen t, sodass wir limh→0 a(t+h)−a(t)
= 12 s′ (t)r(t)2 erhalten. Wegen
h
Satz 31 folgt a′ (t) = 21 s′ (t)r(t)2 = 21 g. Wegen a(0) = 0 ergibt sich daraus a(t) = 21 gt.
c
Ab jetzt nehmen wir an, dass P (x) = − ∥x∥
gilt. Weiters sei u(t) =
Satz 33. Es gilt
( u′ (t) )2
s′ (t)
+ u(t)2 =
2
(h
g2
1
∥x(t)∥
=
1
.
r(t)
+ cu(t)) für alle t ∈ R.
2x (t)x′ (t)+2x (t)x′ (t)
1
2
1
2
Beweis. Es gilt u′ (t) = − 2(x
. Mit Hilfe von Satz 31 folgt
= − ⟨x(t),v(t)⟩
2
2 3/2
∥x(t)∥3
1 (t) +x2 (t) )
( u′ (t) )2
2
2
+g
+ u(t)2 = ⟨x(t),v(t)⟩
. Mit Hilfe der Formel det(a, b)2 = ∥a∥2 ∥b∥2 − ⟨a, b⟩2 erhalten
s′ (t)
g 2 ∥x(t)∥2
wir ⟨x(t), v(t)⟩2 + g 2 = ⟨x(t), v(t)⟩2 + det(x(t), v(t))2 = ∥x(t)∥2 ∥v(t)∥2 . Damit ergibt sich
( ′ (t) )2
2
c
dann us′ (t)
+ u(t)2 = ∥v(t)∥
. Wegen Satz 29 und P (x(t)) = − ∥x(t)∥
= −cu(t) gilt außerdem
2
g
(
)
′
(t) 2
∥v(t)∥2 = 2h − 2P (x(t)) = 2h + 2cu(t), womit us′ (t)
+ u(t)2 = g22 (h + cu(t)) folgt.
Wegen Satz 31 ist s streng monoton, sodass s−1 existiert. Wir führen den Winkel w = s(t)
als neue Variable ein. Sei ϱ(w) = r(s−1 (w)) und ψ(w) = u(s−1 (w)), das sind der Bahnradius
und sein Kehrwert als Funktion des Winkels geschrieben.
Satz 34. (Erstes Keplersches Gesetz) Für die Bahn des Planeten gilt ϱ(w) =
für ein geeignetes w0 ∈ R, wobei ε2 = 1 +
2hg 2
c2
ist (Gleichung eines Kegelschnitts).
Beweis. Da die Ableitung der Umkehrfunktion s−1 (w) gleich
ψ ′ (w) =
u′ (s−1 (w))
s′ (s−1 (w))
g 2 /c
1+ε cos(w−w0 )
1
s′ (s−1 (w))
ist, erhalten wir
. Setzt man t = s−1 (w) in Satz 33 ein, so ergibt sich
(2)
ψ ′ (w)2 + ψ(w)2 =
2
(h
g2
+ cψ(w))
Differenzieren ergibt 2ψ ′ (w)ψ ′′ (w) + 2ψ(w)ψ ′ (w) = g2c2 ψ ′ (w). Division durch 2ψ ′ (w) liefert
ψ ′′ (w) + ψ(w) = gc2 . Das ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren allgemeine
Lösung ψ(w) = d cos(w − w0 ) + gc2 mit d und w0 in R ist. Setzt man das in (2) ein, so ergibt
sich d2 sin2 (w − w0 ) + (d cos(w − w0 ) + gc2 )2 =
2
2h
g2
2
+ 2cd
cos(w − w0 ) + 2c
. Durch Ausquadrieren
g2
g4
2
+ gc4 = gc4 ε2 . Somit ist ψ(w) = gc2 ε cos(w − w0 ) + gc2
und Vereinfachen ergibt sich d2 = 2h
g2
1
ein und formt
mit beliebigem w0 ∈ R die allgemeine Lösung von (2). Setzt man ψ(w) = ϱ(w)
um, so hat man ϱ(w) =
g 2 /c
.
1+ε cos(w−w0 )
Diese Gleichung muss dann ebenfalls gelten.
1. DIE KEPLERSCHEN GESETZE
45
Satz 35. (Drittes Keplersches Gesetz) Sei ε2 < 1. Dann ist der Kegelschnitt in Satz 34
2 3
eine Ellipse. Für die Umlaufzeit T gilt T 2 = 4πc a , wobei a die große Halbachse der Ellipse ist.
Beweis. Die Ellipsenfläche ist abπ, wobei b die kleine Halbachse ist. Nach Satz 32 ist
die Ellipsenfläche ebenfalls gleich 12 gT , die in der Zeit T überstrichene Fläche. Es folgt
2 2 2
2
T 2 = 4π ga2 b . Der im Zähler der Ellipsengleichung auftretende Ausdruck ist ba . Somit gilt
b2
a
=
g2
.
c
Setzt man b2 =
g2
a
c
ein, so hat man T 2 =
4π 2 a3
.
c
c
Erstes Keplersches Gesetz – ein anderer Zugang: Sei P (x) = − ∥x∥
für x ∈ R3 \{0} das
Gravitationspotential der Sonne. Seien x(t) und v(t) die Position und die Geschwindigkeit
des Planeten zum Zeitpunkt t. Dann gilt
(1)
x′ (t) = v(t)
und
v′ (t) = − grad P (x(t))
für alle
t∈R
Wir wissen bereits, dass die Bahn des Planeten in der x1 -x2 -Ebene verläuft. Wir haben
Konstante h und g gefunden, sodass P (x(t)) + 21 ∥v(t)∥2 = h und det(x(t), v(t)) = g für alle
t ∈ R gelten. Weiters sei K : R4 → R2 durch K(x, v) = P (x)x + ⟨v, v⟩x − ⟨x, v⟩v definiert.
Satz 36. Für alle t ∈ R gilt ddt K(x(t), v(t)) = 0. Es existiert ein Vektor d ∈ R2 , sodass
K(x(t), v(t)) = d für alle t ∈ R gilt.
Beweis. Wir überlegen, wie man die in der Funktion K(x, v) auftretenden Summanden
differenziert.
R und x : )R → R(2 differenzierbare
dann gilt
(f (t)x1f(t)):′ R (→
(
)′ Sind
)
(x′ (t)) Funktionen,
′
f (t)x1 (t)+f (t)x′1 (t)
x1 (t)
′
′
1
f (t)x(t) = f (t)x2 (t) = f ′ (t)x2 (t)+f (t)x′ (t) = f (t) x2 (t) + f (t) x′ (t) = f (t)x(t) + f (t)x′ (t).
2
2
(
)
1 (t) ′
Sind x : R → R2 und v : R → R2 differenzierbar, dann gilt ⟨x(t), v(t)⟩′ = xx12 (t)v
=
(t)v2 (t)
(x′ (t)v1 (t)+x1 (t)v′ (t)) (x′ (t)v1 (t)) (x1 (t)v′ (t))
1
1
= x1′ (t)v2 (t) + x2 (t)v1′ (t) = ⟨x′ (t), v(t)⟩ + ⟨x(t), v′ (t)⟩. Aus der Kettenregel
x′2 (t)v2 (t)+x2 (t)v2′ (t)
2
2
(
)′
′
folgt P (x(t)) = ⟨grad P (x(t)), x (t)⟩. Mit Hilfe dieser Formeln erhält man
d
P (x(t))x(t) = ⟨grad P (x(t)), x′ (t)⟩x(t) + P (x(t))x′ (t)
dt
d
⟨v(t), v(t)⟩x(t) = ⟨v′ (t), v(t)⟩x(t) + ⟨v(t), v′ (t)⟩x(t) + ⟨v(t), v(t)⟩x′ (t)
dt
− ddt ⟨x(t), v(t)⟩v(t) = −⟨x′ (t), v(t)⟩v(t) − ⟨x(t), v′ (t)⟩v(t) − ⟨x(t), v(t)⟩v′ (t)
′
′
Mit Hilfe von (1) berechnet man dann ⟨grad P (x(t)), x (t)⟩x(t) + ⟨v (t), v(t)⟩x(t) = 0 und
⟨v(t), v(t)⟩x′ (t) − ⟨x′ (t), v(t)⟩v(t) = 0. Berücksichtigt man das bei der Addition obiger Gleichungen, so erhält man für die Ableitung von K(x(t), v(t))
d
K(x(t), v(t))
dt
= P (x(t))x′ (t) + ⟨v(t), v′ (t)⟩x(t) − ⟨x(t), v′ (t)⟩v(t) − ⟨x(t), v(t)⟩v′ (t)
c
c
Wegen P (x) = − ∥x∥
gilt Dj P (x) = ∥x∥j3 und somit v′ (t) = − grad P (x(t)) = − ∥x(t)∥
3 x(t).
⟨
⟩
⟨
⟩
c
c
′
′
Damit folgt P (x(t))x (t) − x(t), v (t) v(t) = − ∥x(t)∥ v(t) + x(t), ∥x(t)∥3 x(t) v(t) = 0 und
⟩
⟨
⟩ c
⟨
⟩
⟨
⟩
⟨
c
x(t), v(t) ∥x(t)∥
v(t), v′ (t) x(t) − x(t), v(t) v′ (t) = − v(t), ∥x(t)∥
3 x(t) x(t) +
3 x(t) = 0.
Damit ist ddt K(x(t), v(t)) = 0 gezeigt.
Beide Komponenten von K(x(t), v(t)) haben Ableitung null und sind daher konstant.
Somit existiert ein Vektor d ∈ R2 , sodass K(x(t), v(t)) = d für alle t ∈ R gilt.
cx
Mit Satz 36 beweisen wir das erste Keplersche Gesetz. Für t ≥ 0 sei r(t) = ∥x(t)∥ und
s(t) der Winkel, den der Vektor x(t) vom Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunkt t überstreicht.
Satz 37. (Erstes Keplersches Gesetz) Für die Bahn des Planeten gilt r(t) =
für ein geeignetes w0 ∈ R und ein ε > 0 (Gleichung eines Kegelschnitts).
g 2 /c
1+ε cos(s(t)−w0 )
46
5. ANHANG
2
Beweis. Nach Satz
⟨ 36 existiert ein⟩ Vektor d ∈ R , sodass K(x(t), v(t)) = d für alle
t ∈ R gilt. Es folgt
K(x(t), v(t)),⟩ x(t) = ⟨d, x(t)⟩. Mit Hilfe der Definition von K(x, v)
⟨
berechnet
man K(x(t),
v(t)), x(t) = P (x(t))∥x(t)∥2 +∥v(t)∥2 ∥x(t)∥2 −⟨x(t), v(t)⟩2 . Wegen
⟨
⟩
K(x(t), v(t)), x(t) = ⟨d, x(t)⟩ und der Formel ∥a∥2 ∥b∥2 − ⟨a, b⟩2 = det(a, b)2 erhält man
c
⟨d, x(t)⟩ = P (x(t))∥x(t)∥2 + det(x(t), v(t))2 . Weiters gilt P (x) = − ∥x∥
und eingangs wurde
erwähnt, dass det(x(t), v(t)) = g für alle t ∈ R gilt. Setzt man das ein, so ergibt sich
⟨d, x(t)⟩ = −c∥x(t)∥ + g 2 .
Sei w0 der Winkel zwischen den beiden Vektoren x(0) und d. Dann ist s(t) − w0 der
⟨d,x(t)⟩
Winkel zwischen den Vektoren d und x(t). Somit gilt cos(s(t) − w0 ) = ∥d∥·∥x(t)∥
. Wegen
⟨d, x(t)⟩ = −c∥x(t)∥ + g 2 erhalten wir ∥d∥ · ∥x(t)∥ cos(s(t) − w0 ) = −c∥x(t)∥ + g 2 , das heißt
g2
∥x(t)∥ = c+∥d∥ cos(s(t)−w
. Das ist die gesuchte Gleichung, die für alle t ∈ R gilt.
0)
Polarkoordinaten: Wir behandeln noch die Gleichung einer Ellipse, wie sie in Satz 37 auftritt. Die Halbachsen seien a und b. Der Abstand der Brennpunkte F1 und F2 sei 2e. Es gilt
a2 = b2 + e2 . Der Brennpunkt F2 liegt im Koordinatenursprung, der Brennpunkt F1 links
davon auf der x-Achse. Wir bestimmen die GleiA
chung der Ellipse in Polarkoordinaten. Sei A ein
beliebiger Punkt auf der Ellipse. Seine Polarkoorr
dinaten seien r und w. Es gilt |F1 A|+|F2 A| = 2a,
da A auf der Ellipse liegt. Wegen |F2 A| = r erw
gibt sich |F1 A| = 2a − r. Aus dem Cosinussatz
F1
F2
folgt |F1 A|2 = r2 + 4e2 − 4re cos(π − w), da ja
2e der Abstand der Brennpunkte ist. Setzt man
|F1 A| = 2a − r und cos(π − w) = − cos w ein,
quadriert aus und vereinfacht, dann erhält man
a2 −e2
4a2 − 4ar = 4e2 + 4re cos w. Löst man nach r auf, so ergibt sich r = a+e
. Wegen
cos w
b2
2
2
2
a = b + e folgt r = a+e cos w . Das ist die Gleichung einer Ellipse in Polarkoordinaten, wobei
der rechte Brennpunkt im Koordinatenursprung und der linke auf der x- Achse liegt. Oft
2
setzt man ε = ae < 1 und p = ba > 0. Dann wird die Gleichung zu r = 1+ε pcos w .
Ganz analog erhält man die Gleichung einer Hyperbel. Der Abstand der Brennpunkte F1 und F2 sei 2e. Der Abstand der beiden Scheitel sei 2a. Es gilt a < e. Der Brennpunkt F1 liegt im Koordinatenursprung, der Brennpunkt F2 rechts davon auf der x-Achse.
Sei A ein beliebiger Punkt auf dem linken Hyperbelast. Seine Polarkoordinaten bezeichnen wir
mit r und w. Es gilt |F2 A| − |F1 A| = 2a, da A
A
auf der Hyperbel liegt. Wegen |F1 A| = r ergibt
sich |F2 A| = 2a + r. Aus dem Cosinussatz folgt
r
|F2 A|2 = r2 + 4e2 − 4re cos w, da 2e der Abstand
der Brennpunkte ist. Setzt man |F2 A| = 2a + r
w
ein, quadriert aus und vereinfacht, dann erhält
F1
F2
man 4a2 + 4ar = 4e2 − 4re cos w. Löst man nach
2
2
e −a
r auf, so ergibt sich r = a+e
. Das ist die Gleicos w
chung des linken Hyperbelasts in Polarkoordinaten, wobei der linke Brennpunkt im Koordinatenursprung und der rechte auf der x- Achse
2
2
liegt. Setzt man ε = ae > 1 und p = e −a
> 0, dann wird die Gleichung zu r = 1+ε pcos w .
a
2. LJAPUNOVFUNKTIONEN
47
Wir erhalten die gemeinsame Gleichung r = 1+ε pcos w für Ellipse und Hyperbel wobei p
und ε positive Zahlen sind. Für 0 < ε < 1 stellt die Gleichung eine Ellipse dar, für ε > 1 eine
Hyperbel. Für ε = 1 stellt sie eine Parabel dar, deren Brennpunkt im Koordinatenursprung
liegt und deren Leitlinie Abstand p vom Brennpunkt hat.
g 2 /c
In Satz 37 hatten wir r(t) = 1+ε cos(s(t)−w
. Wählt man die x-Achse so, dass sie mit dem
0)
Vektor x(0) den Winkel w0 einschließt, dann ist s(t) − w0 der Winkel des Vektors x(t) im
Polarkoordinatensystem. Die Bahn des Planeten ist somit ein Kegelschnitt, und zwar eine
Ellipse, wenn ε < 1 ist, und eine Hyperbel, wenn ε > 1 ist.
2. Ljapunovfunktionen
Ljapunovfunktionen sind ganz analog wie Bewegungsinvariante definiert. Es wird nur das
Gleichheitszeichen durch ein Ungleichheitszeichen ersetzt.
Definition. Sei B eine offene Teilmenge des R2 und F : B → R2 ein Vektorfeld.
Eine Funktion V : B → R mit stetigen partiellen Ableitungen heißt Ljapunovfunktion zum
Vektorfeld F , wenn ⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ 0 für alle x ∈ B gilt.
Satz 38. Sei B ⊂ R2 offen, F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld und V : B → R
eine Ljapunovfunktion zum Vektorfeld F . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)),
die auf dem Intervall I existiert. Dann gilt dtd V (x(t)) ≤ 0 für alle t ∈ I. Die Funktion
t 7→ V (x(t)) ist monoton fallend.
Beweis. Wegen Satz 25 und wegen x′ (t) = F (x(t)) erhalten wir
d
V
dt
(x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩
Aus der Definition der Ljapunovfunktion folgt
≤ 0 ist, ist monoton fallend.
d
V
dt
(x(t)) ≤ 0. Eine Funktion, deren Ableitung
Grenzwerte und Stetigkeit in zwei Variablen funktionieren genauso wie für eine Variable.
Für ε > 0 haben wir die ε-Umgebung des Punktes p durch
Uε (p) = {x ∈ R2 : ∥x − p∥ < ε}
definiert. Eine Funktion V : B → R heißt stetig im Punkt p ∈ B, wenn für jedes ε > 0 ein
δ > 0 existiert, sodass |V (x) − V (p)| < ε für alle x ∈ Uδ (p) gilt. Eine Funktion V : B → R
heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt p ∈ B stetig ist. Ein Vektorfeld F : B → R2 heißt
stetig, wenn beide Komponenten F1 : B → R und F2 : B → R stetig sind.
Sei (pn )n≥1 eine Folge von Punkten im R2 . Wir nennen p ∈ R2 Grenzwert dieser Folge
und schreiben limn→∞ pn = p, wenn für jedes ε > 0 ein n0 existiert, sodass pn ∈ Uε (p) für
alle n ≥ n0 gilt.
Für Grenzwerte und stetige Funktionen im R2 gelten dieselben Sätze, die in R gelten.
Insbesondere gilt der Satz von Bolzano-Weierstraß: Eine beschränkte Folge im R2 hat eine
konvergente Teilfolge.
Definition. Sei x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)), die
für alle t ≥ 0 definiert ist. Wir nennen p einen Limespunkt dieser Lösungskurve, wenn eine
Folge (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ tn = ∞ existiert, sodass limn→∞ x(tn ) = p gilt.
Satz 39. Sei B offen und V : B → R eine Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld
F : B → R2 . Sei k in R und Nk = {x ∈ B : V (x) ≤ k}. Sei x(t) eine Lösung des Systems
x′ (t) = F (x(t)) und x(s0 ) ∈ Nk für ein s0 ∈ R. Dann gilt x(s) ∈ Nk für alle s ≥ s0 . Ist p
ein Limespunkt von x(t), der in B liegt, dann gilt auch p ∈ Nk .
48
5. ANHANG
Beweis. Wegen x(s0 ) ∈ Nk gilt V (x(s0 )) ≤ k. Da t 7→ V (x(t)) monoton fallend ist,
erhalten wir V (x(s)) ≤ k und somit auch x(s) ∈ Nk für alle s ≥ s0 .
Ist p ein Limespunkt von x(t), dann existiert eine Folge (tn )n≥1 mit limn→∞ tn = ∞,
sodass limn→∞ x(tn ) = p gilt. Da V (x(tn )) ≤ k für alle n mit tn ≥ s0 gilt, erhalten wir auch
V (p) = limn→∞ V (x(tn )) ≤ k, das heißt p ∈ Nk .
Der Rand der Menge Nk ist die Höhenschichtlinie Hk = {x ∈ B : V (x) = k}. Eine
Lösungskurve x(t) kann die Menge Nk nicht verlassen. Auf dem Rand Hk kann sie nur dann
laufen, wenn dort ⟨grad V (x), F (x)⟩ = 0 gilt (in diesem Fall ist t 7→ V (x(t)) ja konstant).
Satz 40. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld F : B → R2 . Sei δ > 0 und G eine Teilmenge von
B, sodass ⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ −δ für alle x ∈ G gilt. Sei x(t) eine Lösung des Systems
x′ (t) = F (x(t)). Zu jedem r > 0 mit x(r) ∈ G existiert dann ein s > r mit x(s) ∈
/ G.
Beweis. Angenommen es gelte x(t) ∈ G für alle t ≥ r. Sei f (t) = V (x(t)). Dann
gilt f ′ (t) = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ ≤ −δ für alle t ≥ r. Es folgt limt→∞ f (t) = −∞. Das
widerspricht der Beschränktheit der Ljapunovfunktion nach unten. Damit ist gezeigt, dass
x(t) ∈ G für alle t ≥ r nicht gelten kann.
Satz 41. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld F : B → R2 . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)).
Ist p ein Limespunkt dieser Lösungskurve, der in B liegt, dann gilt ⟨grad V (p), F (p)⟩ = 0.
Beweis. Angenommen es gelte ⟨grad V (p), F (p)⟩ ̸= 0. Da V eine Ljapunovfunktion ist,
gilt dann ⟨grad V (p), F (p)⟩ < 0. Da F und die partiellen Ableitungen von V stetig sind, ist
auch x 7→ ⟨grad V (x), F (x)⟩ stetig. Daher existieren ϱ > 0 und δ > 0, sodass
⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ −δ
(1)
für alle
x ∈ Uϱ (p)
gilt. Da das Vektorfeld F stetig ist, existiert eine Konstante M , sodass
|F1 (x)| ≤ M und |F2 (x)| ≤ M
(2)
gilt. Schließlich wählen wir ε <
V (p) −
(3)
ϱδ
8M
ϱ
2
für alle
x ∈ Uϱ (p)
so, dass
< V (x) < V (p) +
ϱδ
8M
für alle
x ∈ Uε (p)
gilt. Das ist möglich, da V stetig ist.
Da p ein Limespunkt der Lösungskurve x(t) ist, gibt es ein r > 0 mit x(r) ∈ Uε (p).
Wegen (1) und Satz 40 gibt es ein s > r mit x(s) ∈
/ Uϱ (p). Wir wählen s minimal. Es gilt
∥x(s) − p∥ = ϱ und x(t) ∈ Uϱ (p) für r < t < s
(4)
Wegen
(5)
d
V
dt
(x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ folgt aus (4) und (1)
V (x(s)) − V (x(r)) = (s − r)⟨grad V (x(ξ)), F (x(ξ))⟩ ≤ −(s − r)δ
wobei ξ zwischen r und s liegt. Für j = 1 und j = 2 erhalten wir wegen (4) und (2), dass
|xj (s) − xj (r)| = (s − r)|Fj (x(ξ))| ≤ (s − r)M mit ξ zwischen r und s gilt. Es folgt
√
(6)
∥x(s) − x(r)∥ = (x1 (s) − x1 (r))2 + (x2 (s) − x2 (r))2 ≤ 2(s − r)M
Wegen x(r) ∈ Uε (p) und ε < ϱ2 gilt ∥x(r) − p∥ < ϱ2 . Mit (4) folgt ∥x(s) − x(r)∥ > ϱ2 . Mit (6)
ϱ
ϱδ
. Aus (5) folgt dann V (x(s)) − V (x(r)) < − 4M
.
ist ϱ2 < 2(s − r)M gezeigt, also s − r > 4M
ϱδ
Aus (3) ergibt sich V (x(r)) < V (p) + 8M wegen x(r) ∈ Uε (p). Damit erhalten wir
V (x(s)) < V (p) +
ϱδ
8M
−
ϱδ
4M
= V (p) −
ϱδ
8M
2. LJAPUNOVFUNKTIONEN
49
Da V eine Ljapunovfunktion und daher t 7→ V (x(t)) monoton fallend ist, gilt auch
V (x(t)) < V (p) −
ϱδ
8M
für alle
t>s
Aus (3) folgt x(t) ∈
/ Uε (p) für alle t > s. Somit kann p kein Limespunkt der Lösungskurve
x(t) sein. Dieser Widerspruch zeigt, dass ⟨grad V (p), F (p)⟩ ̸= 0 nicht gelten kann.
Ist B eine Menge, dann bezeichnet B den Abschluss von B, das ist die Menge B zusammen
mit ihrem Rand. Ist zum Beispiel B = (0, ∞) × (0, ∞), dann gilt B = [0, ∞) × [0, ∞).
Satz 42. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R stetig und nach unten beschränkt. Auf der
Menge B sei V eine Ljapunovfunktion zum Vektorfeld F : B → R2 . Sei x(t) eine Lösung des
Systems x′ (t) = F (x(t)). Sind p und q Limespunkte von x(t) in B, dann gilt V (p) = V (q).
Beweis. Sei f (t) = V (x(t)). Da V eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion ist,
ist f monoton fallend und nach unten beschränkt. Der Grenzwert limt→∞ f (t) existiert. Wir
nennen ihn c.
Es existieren Folgen (sn )n≥1 und (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞ und limn→∞ tn = ∞,
sodass limn→∞ x(sn ) = p und limn→∞ x(tn ) = q gilt. Da V eine stetige Funktion ist, gilt dann
limn→∞ f (sn ) = limn→∞ V (x(sn )) = V (p) und limn→∞ f (tn ) = limn→∞ V (x(tn )) = V (q).
Daher muss V (p) = c und V (q) = c gelten. Das zeigt V (p) = V (q).
Satz 43. Sei F : R2 → R2 ein Vektorfeld mit stetigen partiellen Ableitungen. Sei x(t)
eine beschränkte Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)). Dann hat x(t) einen Limespunkt.
Beweis. Da die Lösung x(t) beschränkt ist, ist sie nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz für alle t ≥ 0 definiert. Wir wählen eine Folge (sn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞.
Da die Lösungskurve x(t) beschränkt ist, ist auch (x(sn ))n≥1 eine beschränkte Folge im R2 .
Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß hat sie eine Teilfolge, die gegen einen Punkt p konvergiert. Das heißt, es existiert eine Teilfolge (tn )n≥1 von (sn )n≥1 , für die limn→∞ x(tn ) = p
gilt. Da (tn )n≥1 eine Teilfolge von (sn )n≥1 ist, gilt auch limn→∞ tn = ∞. Somit ist p ein
Limespunkt der Lösungskurve x(t).
Satz 44. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Sei x(t) eine Lösung
des Systems x′ (t) = F (x(t)) und p ein Punkt in B, sodass limt→∞ x(t) = p gilt. Dann gilt
auch F (p) = 0.
Beweis. Angenommen es gelte F (p) ̸= 0. Es folgt, dass Fj (p) ̸= 0 für ein j gilt. Da F
stetig ist, existiert ein ε > 0 und ein δ > 0, sodass |Fj (x)| ≥ δ für alle x ∈ Uε (p) gilt. Wegen
limt→∞ x(t) = p existiert ein t0 > 0 mit x(t) ∈ Uε (p) für t ≥ t0 . Für alle t ≥ t0 folgt dann
|xj (t) − xj (t0 )| = (t − t0 )|x′j (ξ)| = (t − t0 )|Fj (x(ξ))| ≥ (t − t0 )δ
wobei ξ zwischen t und t0 liegt. Die Funktion t 7→ xj (t) ist somit unbeschränkt. Daher kann
limt→∞ x(t) = p nicht gelten. Dieser Widerspruch zeigt, dass F (p) ̸= 0 nicht möglich ist. Satz 45. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Sei x(t) eine
beschränkte Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)) und p der einzige Limespunkt dieser Lösungskurve. Dann gilt limt→∞ x(t) = p.
Beweis. Angenommen limt→∞ x(t) = p gilt nicht. Dann existiert ein ε > 0 und eine
Folge (sn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞, sodass x(sn ) ∈
/ Uε (p) für alle n ≥ 1 gilt. Da die
Lösungskurve x(t) beschränkt ist, ist auch die Folge (x(sn ))n≥1 beschränkt und hat daher
eine konvergente Teilfolge, deren Grenzwert ̸= p ist, da x(sn ) ∈
/ Uε (p) für alle n ≥ 1 gilt.
50
5. ANHANG
Somit hat die Lösungskurve x(t) einen weiteren Limespunkt. Dieser Widerspruch zeigt, dass
limt→∞ x(t) = p gelten muss.
Satz 46. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Seien p und q Punkte
auf verschiedenen Seiten einer Gerade g. Sind p und q Limespunkte einer beschränkten
Lösung x(t) des Systems x′ (t) = F (x(t)), dann hat x(t) auch einen Limespunkt auf g.
Beweis. Es existieren Folgen (sn )n≥1 und (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞ und
limn→∞ tn = ∞, sodass limn→∞ x(sn ) = p und limn→∞ x(tn ) = q gilt. Durch Auswahl
von Teilfolgen können wir annehmen, dass s1 < t1 < s2 < t2 < s3 < t3 < s4 < t4 < . . .
gilt, und dass x(sn ) und x(tn ) für n ≥ 1 auf verschiedenen Seiten von g liegen. Für alle
n ≥ 1 existiert dann ein rn mit sn < rn < tn , sodass x(rn ) auf g liegt. Da die Lösungskurve x(t) beschränkt ist, liegen die Punkte x(rn ) in einem Intervall auf g. Sie haben daher
eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert a auf g. Somit ist a ebenfalls ein Limespunkt der
Lösungskurve x(t).
Wir verwenden diese Sätze, um Differentialgleichungssysteme zu untersuchen. Wir beginnen mit dem Räuber-Beute-Modell, da es am einfachsten ist.
( x(a−bx−cy) )
Räuber-Beute-Modell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f
y) . Wir nehmen an, dass
die vier Koeffizienten b, c, e und f größer als null sind. Wir könnten auch zulassen, dass b
oder f gleich null ist. Dann ist die Untersuchung etwas komplizierter.
+cd
und v = ae−bd
. Dann ist P4 = (u, v) ein Fixpunkt. Wir nehmen an,
Wir setzen u = af
bf +ce
bf +ce
dass er im Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞) liegt. Es gilt also ae − bd > 0.
Wir versuchen es mit der Funktion V (x, y) = e(x − u log x) + c(y − v log y), die eine
Bewegungsinvariante in einem Spezialfall des Räuber-Beute-Modells ist. Es gilt
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = (e −
eu
)x(a
x
− bx − cy) + (c −
cv
)y(−d
y
+ ex − f y)
Wegen a − bu − cv = 0 und −d + eu − f v = 0 ergibt sich
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = e(x − u)(−b(x − u) − c(y − v)) + c(y − v)(e(x − u) − f (y − v))
Jetzt wird noch ausmultipliziert und gekürzt. Es bleibt
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = −be(x − u)2 − cf (y − v)2
Wir erhalten V (x, y) ≤ 0 für alle (x, y) ∈ B. Somit ist V (x, y) eine Ljapunovfunktion auf
dem Gebiet B. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 nur dann, wenn (x, y) = (u, v).
Die Ljapunovfunktion V nimmt ihr Minimum m = e(u−u log u)+c(v −v log v) im Punkt
(u, v) an. Die Höhenschichtlinien der Funktion V haben wir
∪ bereits bestimmt. Die Mengen
Nk mit k ≥ m schöpfen den Bereich B aus. Es gilt B = k≥m Nk . Sei x(t) eine Lösungskurve, die in B liegt. Es existiert ein k ≥ m mit x(0) ∈ Nk . Wegen Satz 39 gilt x(t) ∈ Nk für
alle t ≥ 0. Da Nk beschränkt ist, ist auch die Lösungskurve x(t) beschränkt. Wegen Satz 43
hat x(t) einen Limespunkt, der in Nk liegt, da Nk abgeschlossen ist. Wegen Satz 41 kommt
nur (u, v) als Limespunkt in Frage. Somit ist (u, v) der einzige Limespunkt der Lösungskurve x(t). Aus Satz 45 folgt dann, dass limt→∞ x(t) = (u, v) gilt. Alle Lösungskurven in B
konvergieren gegen P4 = (u, v).
Wegen b > 0 ist P2 = ( ab , 0) ein Fixpunkt. Es ist ein Sattelpunkt, wie wir bereits gesehen
haben. Die beiden auf der x-Achse liegenden Lösungskurven konvergieren gegen P2 . Es gibt
auch zwei Lösungskurven, die von P2 ausgehen. Die eine konvergiert gegen P4 , die andere
liegt außerhalb von B.
2. LJAPUNOVFUNKTIONEN
Untenstehendes Bild zeigt Lösungskurven für das Vektorfeld F (x, y) =
51
( x(10.8−0.4x−1.9y) )
y(−5.7+1.1x−0.7y) .
(
)
y
Pendel mit Reibung: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x−r(y) , wobei r : R → R stetig
ist mit r(0) = 0, r(y) > 0 für y > 0 und r(y) < 0 für y < 0. Wir versuchen es mit der Funktion V (x, y) = −g cos x + 12 y 2 , die wir beim
ohne Reibung als Bewegungsinvariante
( g sin xPendel
)
und
gefunden haben. Es gilt grad V (x, y) =
y
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = yg sin x − yg sin x − yr(y) = −yr(y)
Da −yr(y) ≤ 0 für alle y ∈ R gilt, ist V (x, y) tatsächlich eine Ljapunovfunktion. Weiters gilt
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 nur dann, wenn y = 0 ist, das heißt für Punkte auf der x-Achse.
Das Vektorfeld und die Ljapunovfunktion sind periodisch. Es gilt F (x + 2π, y) = F (x, y)
und V (x + 2π, y) = V (x, y). Die Höhenschichtlinien der Ljapunovfunktion V haben wir
bereits bestimmt. Sie sind ebenfalls periodisch. Wir können die Punkte (x + 2π, y) und (x, y)
identifizieren. Im untenstehenden Bild werden die beiden senkrechten Geraden identifiziert.
Erreicht eine Kurve die rechte Gerade, dann können wir zur linken springen und uns dort
die Kurve fortgesetzt denken. Das gilt für Höhenschichtlinien und Lösungskurven.
Es gibt eine Höhenschichtlinie, auf der V den Wert g annimmt. Sie hat Kreuzungspunkte
in den Fixpunkten ((2k + 1)π, 0) mit k ∈ Z. Diese Höhenschichtlinie nennt man Separatrix.
Für
die Menge Nk von zwei wellenförmigen Höhenschichtlinien begrenzt. Es gilt
∪ k > g wird
2
k>g Nk = R . Für jede Lösungskurve x(t) existiert ein k mit x(0) ∈ Nk . Wegen Satz 39 gilt
x(t) ∈ Nk für alle t ≥ 0. Wegen der oben eingeführten Periodizität ist Nk beschränkt. Somit
ist auch jede Lösungskurve beschränkt und hat wegen Satz 43 einen Limespunkt.
Wegen Satz 41 liegt jeder Limespunkt auf der x-Achse. Hätte eine Lösungskurve zwei
Limespunkte, dann müsste jeder Punkt auf der x-Achse, der dazwischen liegt, nach Satz 46
ebenfalls Limespunkt sein (auf der Senkrechten durch jeden Punkt q dazwischen muss ja
ein Limespunkt liegen, und da alle Limespunkte auf der x-Achse liegen, muss q selbst der
Limespunkt sein). Wegen Satz 42 ist das nicht möglich, da V auf einem Intervall, das auf
der x- Achse liegt, nicht konstant ist. Das beweist, dass jede Lösungskurve genau einen
52
5. ANHANG
Limespunkt hat. Wegen Satz 45 und Satz 44 konvergiert jede Lösungskurve gegen einen
Punkt p, für den F (p) = 0 gilt, also gegen einen Fixpunkt.
Wir wissen bereits, dass die Fixpunkte ((2k +1)π, 0) mit k ∈ Z Sattelpunkte sind. Es gibt
zwei Lösungskurven, die in jeden dieser Punkte einmünden, und zwei Lösungskurven die von
jedem dieser Punkte ausgehen. Diese müssen in die benachbarten Fixpunkte einmünden. Für
drei dieser Sattelpunkte sind diese vier Lösungskurven in folgender Zeichnung eingezeichnet
Unten sind diese Lösungskurven strichliert eingezeichnet. Sie teilen die Ebene in Gebiete,
in denen die anderen Lösungskurven verlaufen müssen. Diese konvergieren gegen Fixpunkte,
wie wir oben gesehen haben. Da ein Sattelpunkt nur zwei einmündende Lösungskurven hat,
gehen sie gegen die Fixpunkte (2kπ, 0) mit k ∈ Z.
Diese Lösungskurven zeigen, wie das Pendel immer langsamer und kürzer schwingt. Die
Konvergenz zu den Fixpunkten (2kπ, 0) bedeutet, dass das Pendel schließlich in Ruhelage
stehen bleibt.
Konkurrenzmodell: Schließlich behandeln wir noch das Konkurrenzmodell. Wir beginnen
mit einem Satz über die Eigenwerte einer 2 × 2-Matrix.
Satz 47. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit Determinante det A. Weiters sei sp A die Spur
der Matrix A, das ist die Summe ihrer Einträge in der Diagonale, und pr A das Produkt
ihrer Einträge, die nicht in der Diagonale stehen. Ist det A < 0, dann hat A zwei reelle
Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Ist det A > 0 und pr A ≥ 0, dann hat A zwei
reelle Eigenwerte mit gleichen Vorzeichen, das mit dem Vorzeichen von sp A übereinstimmt.
( )
Beweis. Sei A = ac db . Die Eigenwerte der Matrix A sind dann die Lösungen der
quadratischen Gleichung λ2 − (a + d)λ + ad − bc = 0, das heißt
√
√
1
1
1
2
λ1,2 = 2 (a + d) ± 4 (a + d) − ad + bc = 2 (a + d) ± 14 (a − d)2 + bc
√
√
= 21 sp A ± 14 (sp A)2 − det A = 21 sp A ± 14 (a − d)2 + pr A
2. LJAPUNOVFUNKTIONEN
53
Ist det A < 0, dann gilt 14 (sp A)2 − det A > 14 (sp A)2 . Daher sind λ1 und λ2 reell und haben
verschiedenes Vorzeichen.
Ist det A > 0 und pr A ≥ 0, dann gilt 0 ≤ 14 (a − d)2 + pr A = 41 (sp A)2 − det A < 14 (sp A)2 .
Daher sind λ1 und λ2 reell und haben gleiches Vorzeichen, wobei dieses Vorzeichen mit dem
von sp A übereinstimmt.
( x(a−bx−cy) )
Das Vektorfeld des Konkurrenzmodells ist F (x, y) = y(d−ex−f
y) . Wir nehmen c > 0 und
e > 0 an, sonst zerfällt das Differentialgleichungssystem. Wir untersuchen das Vektorfeld im
Bereich B = (0, ∞)×(0, ∞). Die Fixpunkte haben wir bereits berechnet. Es sind P1 = (0, 0),
−cd
P2 = ( ab , 0), P3 = (0, fd ) und P4 = (u, v), wobei wir u = af
und v = bd−ae
setzen. Es gilt
bf −ce
bf −ce
bu + cv = a und eu + f v = d.
Wir suchen eine Ljapunovfunktion. Wir versuchen es mit einem qudratischen Polynom
dessen Mittelpunkt der Fixpunkt P4 ist:
V (x, y) = be(x − u)2 + 2ce(x − u)(y − v) + cf (y − v)2
Unter Verwendung von bu + cv = a und eu + f v = d berechnen wir ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩
(2be(x − u) + 2ce(y − v))x(a − bx − cy) + (2ce(x − u) + 2cf (y − v))y(d − ex − f y)
= 2e(bx + cy − bu − cv)x(a − bx − cy) + 2c(ex + f y − eu − f v)y(d − ex − f y)
= 2e(bx + cy − a)x(a − bx − cy) + 2c(ex + f y − d)y(d − ex − f y)
Damit haben wir erhalten
⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = −2ex(a − bx − cy)2 − 2cy(d − ex − f y)2
Es gilt V (x, y) ≤ 0 für alle (x, y) ∈ B. Somit ist V (x, y) eine Ljapunovfunktion auf der Menge
B. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 genau dann, wenn (x, y) der Fixpunkt P4 = (u, v) ist.
Wir nehmen an, dass P4 in B liegt. Das ist der interessante Fall. Daraus ergibt sich
−cd
> 0 und v = bd−ae
> 0. Wir unterscheiden die beiden Fälle bf − ce > 0 und
u = af
bf −ce
bf −ce
bf − ce < 0. Den ersten Fall nennen wir elliptisch, den zweiten hyperbolisch.
Im elliptischen Fall gilt bf − ce > 0. Dann muss auch af − cd > 0 und bd − (ae > )0
be ce
t
gelten. Die Höhenschichtlinie
mit A = ce
cf ,
( u ) V (x, y) = k ist der Kegelschnitt x Ax =2 k
2
der noch um den Vektor v verschoben wird. Es gilt det A = becf − c e = ce(bf − ce) > 0
und pr A = c2 e2 ≥ 0. Die Matrix A hat wegen Satz 47 zwei reelle Eigenwerte, die größer als
null sind, da auch sp A = be + cf > 0 gilt. Somit sind die Höhenschichtlinien Ellipsen mit
Mittelpunkt P4 . Sie haben auch alle dieselben Hauptachsen.
54
5. ANHANG
Im hyperbolischen Fall gilt bf −ce < 0. Dann muss auch af −cd < 0 und bd−ae
( be ce )< 0 gelten.
t
Die Höhenschichtlinie
V
(x,
y)
=
k
ist
der
Kegelschnitt
x
Ax
=
k
mit
A
=
ce cf , der noch
(u)
2 2
um den Vektor v verschoben wird. Es gilt det A = becf − c e = ce(bf − ce) < 0. Wegen
Satz 47 hat die Matrix A zwei reelle Eigenwerte, die verschiedene Vorzeichen haben. Somit
sind die Höhenschichtlinien Hyperbeln mit Mittelpunkt P4 . Sie haben auch alle dieselben
Hauptachsen und dieselben Asymptoten.
( )
Die Asymptoten sind das Geradenpaar xt Ax = 0, das noch um den Vektor uv ver√
√
)(
)
(
schoben wird. Es gilt xt Ax = be1 bex + (ce + c2 e2 − bcef )y bex + (ce − c2 e2 − bcef )y ,
√
woraus sich die Gleichungen der Asymptoten ergeben. Wegen 0 < c2 e2 − bcef < ce hat
jede Asymptote negativen Anstieg. Jede Asymptote schneidet beide Koordinatenachsen. Da
die Höhenschichtlinien asymptotisch zu den Asymptoten liegen, ist Nk für jedes k beschränkt.
Da Ellipsen
∪ ohnehin beschränkt sind, gilt in beiden Fällen, dass Nk für jedes k beschränkt
ist. Es gilt k∈R Nk = B. Für jede Lösungskurve x(t) in B existiert ein k mit x(0) ∈ Nk .
Wegen Satz 39 gilt x(t) ∈ Nk für alle t ≥ 0.
Wegen Satz 43 hat jede Lösungskurve, die in B liegt, einen Limespunkt. Wegen Satz 41
kommen dafür nur der Fixpunkt P4 und Punkte am Rand von B in Frage. Hätte eine Lösungskurve zwei verschiedene Punkte als Limespunkte, dann müsste sie nach Satz 46 auch
auf jeder Gerade, die zwischen diesen Limespunkten hindurchgeht, einen Limespunkt haben.
Hätte die Lösungskurve zwei verschiedene Limespunkte, dann müsste es ein Intervall am
Rand geben, das aus Limespunkten besteht. Nach Satz 42 ist das nicht möglich, da sonst
die Funktion V auf diesem Intervall konstant sein müsste.
Somit kann jede Lösungskurve nur einen Limespunkt haben. Wegen Satz 45 und Satz 44
konvergiert jede Lösungskurve in B gegen einen der vier Fixpunkte. Man muss jetzt nur
mehr die Fixpunkte anschauen.
(
)
−cx
Die Matrix der partiellen Ableitungen des Vektorfelds ist M = a−2bx−cy
−ey
d−ex−2f y . Im
(a 0)
Fixpunkt P1 erhält man die Matrix M = 0 d . Die Eigenwerte sind λ1 = a > 0 und
λ2 = d > 0. Der Fixpunkt P1 ist immer ein Repeller.
) konvergiert nichts.
( Dorthin
1 −ab −ac
Im Fixpunkt P2 erhält man die Matrix M = b 0 bd−ae mit Eigenwerten λ1 = −a < 0
(
)
1 af −cd 0
und λ2 = bd−ae
.
Im
Fixpunkt
P
erhält
man
die
Matrix
M
=
mit Eigenwerten
3
−de −df
b
f
(
)
af −cd
−cu
λ1 = f und λ2 = −d < 0. Im Fixpunkt P4 erhält man die Matrix M = −bu
−ev −f v .
Im elliptischen Fall, das ist der mit bf − ce > 0, af − cd > 0 und bd − ae > 0, haben
die beiden Fixpunkte P2 und P3 Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Diese Fixpunkte
sind daher Sattelpunkte. Es gibt nur je zwei Lösungskurven, das sind die am Rand von B,
2. LJAPUNOVFUNKTIONEN
55
die gegen diese Fixpunkte konvergieren. Daher müssen alle Lösungskurven im Innern von
B gegen P4 konvergieren. Man kann auch noch die Matrix M im Fixpunkt P4 mit Hilfe
von Satz 47 untersuchen. Wegen det M = uv(bf − ce) > 0 und pr M = cuev ≥ 0 sind
beide Eigenwerte negativ, da ja auch sp M = −bu − f v negativ ist. Der Fixpunkt P4 ist ein
Attraktor. Das folgende Bild zeigt einige Lösungskurven
Im hyperbolischen Fall, das ist der mit bf − ce < 0, af − cd < 0 und bd − ae < 0, haben
die beiden Fixpunkte P2 und P3 Eigenwerte mit negativen Vorzeichen. Diese Fixpunkte sind
daher Attraktoren. Für P4 wenden wir Satz 47 an. Es gilt det M = uv(bf − ce) < 0. Somit
hat P4 reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Der Fixpunkt P4 ist ein Sattelpunkt.
Die beiden Lösungskurven, die in den Sattelpunkt P4 einmünden, teilen den Bereich B in
zwei Teile. Die Lösungskurven in dem einen Teil konvergieren gegen P2 , die Lösungskurven
im anderen Teil konvergieren gegen P3 . Das folgende Bild zeigt einige Lösungskurven
56
5. ANHANG
3. Lineare Differentialgleichungssysteme
Wir lösen das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) für eine n × n-Matrix A. Wir
verwenden dazu die Jordansche Normalform einer Matrix.
Außerdem lassen wir komplexwertige Lösungen zu. Eine Lösung x(t) ist jetzt eine Funktion von R oder einem Intervall nach Cn . Die Komponenten xj (t) sind komplexwertige Funktionen einer reellen Variablen. Wir stellen einige Überlegungen zur Ableitung an.
Sei f : I → C eine Funktion, wobei I ein Intervall oder ganz R ist. Wir schreiben f (t) =
g(t) + ih(t), wobei g und h reellwertig sind. Es gilt f ′ (t) = g ′ (t) + ih′ (t), wenn g und h differenzierbar sind. Die Produktregel für komplexwertige Funktionen ist leicht nachzurechnen.
′
Für die konjugiert komplexe Funktion gilt f (t) = (g(t) − ih(t))′ = g ′ (t) − ih′ (t) = f ′ (t).
Sei h(t) = eλt mit λ = α + iβ ∈ C. Wir zeigen, dass h′ (t) = λeλt gilt. Der Realteil
von h(t) ist eαt cos βt mit Ableitung αeαt cos βt − βeαt sin βt. Der Imaginärteil von h(t) ist
eαt sin βt mit Ableitung αeαt sin βt + βeαt cos βt. Es folgt h′ (t) = αeαt cos βt − βeαt sin βt +
i(αeαt sin βt + βeαt cos βt) = eαt (α + iβ)(cos βt + i sin βt) = λeλt .
Wir verwenden Lemma 5, um eine Verallgemeinerung von Lemma 14 zu beweisen.
Lemma 48. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte (komplexwertige)
Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit x(t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I. Dann
gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I.
∑
Beweis. Sei σ : I → [0, ∞) definiert durch σ(t) = ∥x(t)∥2 = nj=1 xj (t)xj (t). Es gilt
σ ′ (t) =
n
∑
j=1
x′j (t)xj (t) +
n
∑
j=1
xj (t)x′j (t) =
n ∑
n
∑
ajk xk (t)xj (t) +
j=1 k=1
n ∑
n
∑
xj (t)ajk xk (t)
j=1 k=1
∑ ∑
Es folgt |σ ′ (t)| ≤ nj=1 nk=1 |ajk + akj | · |xj (t)xk (t)|. Wegen |xj (t)xk (t)| ≤ |xj (t)|2 + |xk (t)|2
∑ ∑
∑ ∑
ergibt sich |σ ′ (t)| ≤ nj=1 nk=1 |ajk +akj |(|xj (t)|2 +|xk (t)|2 ) = nj=1 nk=1 2|ajk +akj |·|xj (t)|2 .
∑
∑
Wir setzen K = max1≤j≤n nk=1 2|ajk + akj | und erhalten |σ ′ (t)| ≤ K nj=1 |xj (t)|2 = Kσ(t).
Weiters gilt σ(t0 ) = ∥x(t0 )∥2 = 0, da ja x(t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5
erhalten wir, dass σ(t) = ∥x(t)∥2 = 0 für alle t ∈ I gilt. Es folgt x(t) = 0 für alle t ∈ I. Im folgenden Beweis verwenden wir Satz 12, der besagt, dass eine Linearkombination von
Lösungen eines linearen Differentialgleichungssystems wieder eine Lösung ist. Das gilt auch
für komplexwertige Lösungen, wobei die Koeffizienten in der Linearkombination komplex
sein dürfen. Der Beweis ist derselbe wie der von Satz 12.
Satz 49. Seien rj (t) für 1 ≤ j ≤ n Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) =
Ax(t), die auf ganz R definiert sind. Es gelte
det(r1 (t), r2 (t), . . . , rn (t)) ̸= 0
für alle
t∈R
Ist jetzt x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = Ax(t), die auf einem offenen Intervall I
definiert ist, dann existieren c1 , c2 , . . . , cn in C, sodass x(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t)
für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R
definiert ist (sollte I ̸= R sein).
Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Wegen det(r1 (t0 ), r2 (t0 ), . . . , rn (t0 )) ̸= 0 existieren
c1 , c2 , . . . , cn in C mit
c1 r1 (t0 ) + c2 r2 (t0 ) + · · · + cn rn (t0 ) = x(t0 )
3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME
57
Sei y(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t) − x(t) für t ∈ I. Als Linearkombination von
Lösungen ist y(t) eine Lösung. Außerdem wurden c1 , c2 , . . . , cn so gewählt, dass y(t0 ) = 0
gilt. Aus Lemma 48 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist dann auch
x(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine
Lösung des Differentialgleichungssystems steht, die auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t)
fortsetzen zu einer auf ganz R definierten Lösung.
Wir verwenden die Jordansche Normalform für die Matrix A. Zu jedem Eigenwert λ
existieren Vektoren u, v, w, . . . sodass gilt: Au = λu, Av = λv + u, Aw = λw + v, . . .
Wir können Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) angeben
r1 (t) = eλt u,
r2 (t) = eλt (v + tu),
r3 (t) = eλt (w + tv +
t2
u),
2!
...
Mit Hilfe der Produktregel ist leicht nachzurechnen, dass das Lösungen sind. Sie sind auf
ganz R definiert. Man kann zeigen, dass
det(r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . ) = det(eλt u, eλt (v + tu), eλt (w + tv +
t2
u), . . . )
2!
̸= 0
für alle t ∈ R gilt. Die Exponentialfunktionen kann man aus der Matrix herausziehen. Die
erste Spalte der Determinante ist dann u. Ein Vielfaches dieser Spalte kann man von den
anderen Spalten subtrahieren. So erhält man v in der zweiten Spalte. Ein Vielfaches dieser
Spalte kann man von den anderen Spalten subtrahieren. Und so weiter. Auf diese Weise
erhält man det(u, v, w, . . . ). Diese Determinante ist ̸= 0, da die Vektoren u, v, w, . . . ja eine
Basis des Cn bilden. Damit ist det(r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . ) ̸= 0 gezeigt. Nach Satz 49 sind die
Liearkombinationen der Lösungen r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . bereits alle Lösungen.
Damit haben wir die allgemeine Lösung für ein System von n linearen Differentialgleichungen gefunden. Das gibt auch einen Beweis für Satz 17. Ist λ ein k-facher Eigenwert,
dann sind die Komponenten der Lösungen r1 (t), r1 (t), . . . , rk (t) Linearkombinationen der
Funktionen eλt , teλt , . . . , tk−1 eλt . Ist λ reell, dann kommen diese Funktionen unter den Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) vor. Ist λ = α + iβ komplex, dann kommen die Real- und
Imaginärteile dieser Funktionen unter den Basisfunktionen vor, sodass die Komponenten der
Lösungen r1 (t), r1 (t), . . . , rk (t) in jedem Fall eine Linearkombination der Basisfunktionen
h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) sind.
Sei x(t) jetzt eine reellwertige Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t).
Nach obigem Resultat ist x(t) eine Linearkombination der Lösungen r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . ..
Daher ist jede Komponente xj (t) von x(t) Linearkombination der Basisfunktionen, das heißt
xj (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) + · · · + bn hn (t)
wobei die Koeffizienten b1 , b2 , . . . , bn in C liegen können. Da aber sowohl xj (t) als auch
h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) reell sind, bleibt die Gleichung bestehen, wenn man die Koeffizienten
durch ihre Realteile ersetzt. Man hat dann reelle Koeffizienten. Damit ist Satz 17 bewiesen.
Lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung: Diese Resultate kann man auch auf die
homogene lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten anwenden. Diese ist
x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R
Wir führen sie auf ein Differentialgleichungssystem zurück. Sei x(t) eine Lösung dieser Differentialgleichung. Wir setzen
y1 (t) = x(t), y2 (t) = x′ (t), y3 (t) = x′′ (t), . . . , yn (t) = x(n−1) (t)
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5. ANHANG
Es folgt yk′ (t) = yk+1 (t) für 1 ≤ k ≤ n − 1 und
yn′ (t) = −a1 yn (t) − · · · − an−1 y2 (t) − an y1 (t)
folgt aus der Differentialgleichung. In Vektorschreibweise ist das

0
1
0
0
 0
0
1
0

 0
0
0
1
 .
.
.
..
′

.
.
.
y (t) = Ay(t)
mit
A= .
.
.
.
 0
0
0
0

 0
0
0
0
−an −an−1 −an−2 −an−3
...
...
...
..
.
0
0
0
..
.
... 1
... 0
. . . −a2
0
0
0
..
.







0 

1 
−a1
Dieses Differentialgleichungssystem ist äquivalent zur obigen homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung.
Wir bezeichnen die n × n-Matrix A mit An . Für 1 ≤ k ≤ n − 1 ist die rechts unten
stehende k × k-Teilmatrix von A dann gleich Ak . Sei Pk (λ) = det(λI
k ) das charakteris k −A
−1 2
tische Polynom der Matrix Ak . Insbesondere gilt P2 (λ) = aλ2 λ+a
=
λ
+
a1 λ + a2 . Durch
1
Entwickeln nach der ersten Spalte ergibt sich die Rekursionsformel Pk (λ) = λPk−1 (λ) + ak .
Damit erhält man, dass Pn (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + . . . + an−1 λ + an gilt. Damit ist das
charakteristische Polynom der Matrix A berechnet.
Seien h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zu Pn (λ) = λn +a1 λn−1 +. . .+an−1 λ+an .
Aus dem oben bewiesen Satz 17 folgt, dass insbesondere y1 (t) eine Linearkombination der
Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) ist. Somit gilt das für jede Lösung x(t) der homogenen
linearen Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0. Andererseits
kann man nachprüfen, dass jede dieser Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) und damit
auch jede Linearkombination eine Lösung ist. Damit ist Satz 9 bewiesen.
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