Gewöhnliche Differentialgleichungen Franz Hofbauer Eine Vorlesung für das Lehramtstudium Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. Einleitung 1 Kapitel 2. Differentialgleichungen erster und zweiter Ordnung 1. Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung 2. Differentialgleichungen mit getrennten Variablen 3. Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten 4. Inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten 3 3 5 7 12 Kapitel 3. Systeme linearer Differentialgleichungen 1. Eigenwerte und Eigenvektoren für 2 × 2-Matrizen 2. Homogene Systeme linearer Differentialgleichungen 3. Inhomogene Systeme linearer Differentialgleichungen 4. Ein anderer Zugang zu homogenen Systemen 5. Systeme zweiter Ordnung 6. Lösungskurven 17 17 19 23 25 28 31 Kapitel 4. Nichtlineare Differentialgleichungssysteme 1. Partielle Ableitungen 2. Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen 3. Fixpunkte 4. Bewegungsinvariante 35 36 37 38 39 Kapitel 5. Anhang 1. Die Keplerschen Gesetze 2. Ljapunovfunktionen 3. Lineare Differentialgleichungssysteme 43 43 47 56 KAPITEL 1 Einleitung Eine Differentialgleichung ist eine Gleichung, die eine Funktion und deren Ableitung(en) enthält. Gesucht ist diese Funktion. Wir schreiben diese Funktion üblicherweise als x(t), da die Variable t oft die Zeit bezeichnet und x(t) den Ort eines Körpers oder die Größe einer Population zum Zeitpunkt t. Beispiel. Ein Körper fällt aus der Höhe h. Sei x(t) die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t. Dann ist x′ (t) die Geschwindigkeit und x′′ (t) die Beschleunigung des Körpers zum Zeitpunkt t. Die Beschleunigung ist zu jedem Zeitpunkt t gleich der Erdbeschleunigung −g (das Minusvorzeichen besagt, dass der Körper nach unten fällt). Zum Zeitpunkt 0 hat der Körper Höhe h und Geschwindigkeit 0. Das ergibt die Gleichungen x′′ (t) = −g für alle t ≥ 0 , x(0) = h und x′ (0) = 0 Die erste Gleichung ist eine (sehr einfache) Differentialgleichung, die anderen beiden Gleichungen sind sogenannte Anfangsbedingungen. Es ist leicht, x(t) zu finden. Durch Integration der Gleichung x′′ (t) = −g erhalten wir x′ (t) = −gt + c für ein c ∈ R (Integrationskonstante). Wegen x′ (0) = 0 folgt c = 0. Durch Integration der Gleichung x′ (t) = −gt erhalten wir schließlich x(t) = − g2 t2 + d für ein d ∈ R. Wegen x(0) = h folgt d = h. Damit ergibt sich x(t) = h − g2 t2 . Das ist die Lösung des gestellten Problems. Durch x(t) = h − g2 t2 wird die Höhe des fallenden Körpers zum Zeitpunkt t angegeben. Um zu berechnen, wann der Körper am √ Boden auftrifft, lösen wir die Gleichung x(t) = 0 g 2 nach t auf. Es folgt 2 t = h und t = 2h/g. Die Geschwindigkeit beim Auftreffen des √ √ √ Körpers am Boden ist x′ ( 2h/g) = −g 2h/g = − 2gh. Wirft man den Körper senkrecht nach oben, dann gilt ebenfalls die Differentialgleichung ′′ x (t) = −g. Allerdings haben wir jetzt die Anfangsbedingungen x(0) = 0 und x′ (0) = v, wobei v die Anfangsgeschwindigkeit ist, mit der der Körper geworfen wird. Durch Integration der Gleichung x′′ (t) = −g erhalten wir x′ (t) = −gt + c für ein c ∈ R. Wegen x′ (0) = v folgt c = v. Durch Integration der Gleichung x′ (t) = −gt + v erhalten wir x(t) = − g2 t2 + vt + d für ein d ∈ R. Wegen x(0) = 0 folgt d = 0. Damit ergibt sich x(t) = vt − g2 t2 . Dadurch wird die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t angegeben. Um zu berechnen, wann der Körper am Boden auftrifft, lösen wir die Gleichung x(t) = 0 nach t auf. Wir erhalten t = 2v . (Die Lösung t = 0 gibt den Abwurfzeitpunkt an.) Um den g höchsten Punkt zu berechnen, den der Körper erreicht (dort hat der Körper ja Geschwindigkeit 0), lösen wir x′ (t) = 0 nach t auf. Wir erhalten t = vg . Das ist der Zeitpunkt, zu dem sich der Körper im höchsten Punkt befindet. Der höchste Punkt ist x( vg ) = v2 . 2g Beispiel. Wir beschreiben das Wachstum einer Population, wobei der Zuwachs in einem Zeitintervall proportional zur Populationsgröße und zur Länge des Zeitintervalls sein soll. Sei x(t) die Größe der Population zum Zeitpunkt t. Der Zuwachs im Zeitintervall [t, t + h] ist 1 2 1. EINLEITUNG proportional zu x(t) und zu h. Somit gilt x(t + h) − x(t) = rhx(t) oder x(t+h)−x(t) h = rx(t) wobei r der Proportionalitätsfaktor ist. Diese Gleichung gilt allerdings nur für kleine h, da sich die Populationsgröße x(t) im Zeitintervall [t, t + h] ändert. Jedenfalls sollten wir eine brauchbare Gleichung erhalten, wenn wir h gegen 0 gehen lassen. Das ergibt die Differentialgleichung x′ (t) = rx(t) Um diese Differentialgleichung zu lösen, dividieren wir durch x(t) und erhalten x′ (t) x(t) x′ (t) x(t) = r. Eine Stammfunktion von ist log x(t). Wir erhalten daher log x(t) = rt + c für ein c ∈ R (Integrationskonstante). Wir setzen d = ec . Es folgt x(t) = dert . Das ist die Lösung der Differentialgleichung. Um die unbestimmte Konstante d zu bestimmen, gibt man die Größe x0 der Population zum Zeitpunkt 0 vor. Wegen x(0) = de0 folgt d = x0 . Wir erhalten x(t) = x0 ert . Dadurch wird die Populationsgröße zum Zeitpunkt t angegeben. ′ (t) Der Quotient xx(t) heißt Wachstumsrate. In diesem Beispiel wird angenommen, dass die Wachstumsrate konstant ist. Bezeichnungen: Die höchste in der Differentialgleichung vorkommende Ableitung nennt man die Ordnung der Differentialgleichung. Eine Differentialgleichung heißt linear, wenn sie von der Form an (t)x(n) (t) + an−1 (t)x(n−1) (t) + · · · + a1 (t)x′ (t) + a0 (t)x(t) = b(t) ist. Ist b(t) = 0, dann nennt man die lineare Differentialgleichung homogen. Sind die Funktionen an (t), an−1 (t), . . . , a1 (t), a0 (t) konstant, dann sagt man, die lineare Differentialgleichung hat konstante Koeffizienten. KAPITEL 2 Differentialgleichungen erster und zweiter Ordnung 1. Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung Satz 1. Sei I ⊂ R ein offenes Intervall und p : I → R und q : I → R seien stetig. Sei P eine Stammfunktion von p. Alle Lösungen der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) auf dem Intervall I sind dann gegeben durch ∫ x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c) für ein c∈R Man nennt das die allgemeine Lösung der Differentialgleichung. ∫ Beweis. Sei x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c). Wir zeigen, dass diese Funktion für jedes c ∈ R eine Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) ist. Differenzieren mit Hilfe der der Produktregel ergibt ∫ x′ (t) = p(t)eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c) + eP (t) q(t)e−P (t) Daraus erkennt man, dass x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) erfüllt ist. Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t). Wir setzen ∫ v(t) = x(t)e−P (t) − q(t)e−P (t) dt Differenzieren mit Hilfe der der Produktregel ergibt v ′ (t) = x′ (t)e−P (t) − x(t)p(t)e−P (t) − q(t)e−P (t) = (x′ (t) − x(t)p(t) − q(t))e−P (t) Da x(t) die Differentialgleichung erfüllt, erhalten wir v ′ (t) = 0. Eine Funktion, deren Ableitung null ist, ist konstant. Es existiert ein c ∈ R mit v(t) =∫c für alle t ∈ R. Setzt man das für v(t) ein und rechnet x(t) aus, so erhält man x(t) = eP (t) ( q(t)e−P (t) dt + c). Das beweist, dass jede Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) von dieser Form ist. Anfangswertproblem: Um die in der Lösung der Differentialgleichung x′ (t) = p(t)x(t) + q(t) vorkommende unbestimmte Konstante c berechnen zu können, gibt man eine sogenannte Anfangsbedingung x(t0 ) = x0 vor. Die Lösung x(t) ist an der Stelle t0 bekannt. Daraus berechnet man c. Eine Differentialgleichung zusammen mit einer Anfangsbedingung nennt man Anfangswertproblem. Beispiel. Auf dem Intervall I = (0, ∞) lösen wir das Anfangswertproblem x′ (t) = − 1t x(t) + 1t cos t mit x( π2 ) = 0 Wir verwenden die Formel aus Satz 1. Wir haben p(t) = − 1t ∫ und q(t) = 1t cos∫t. Es folgt ∫ P (t) = − log t und eP (t) = 1t . Wir berechnen q(t)e−P (t) dt = ( 1t cos t) · t dt = cos t dt = sin t. Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist somit x(t) = 1t (sin t + c) 3 mit c∈R 4 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Die Anfangsbedingung lautet x( π2 ) = 0. Das ergibt die Gleichung π2 (sin π2 + c) = 0. Es folgt c = −1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher x(t) = 1t (sin t − 1). Beispiel. Wir behandeln den radioaktiven Zerfall mit konstanter Zufuhr. Sei x(t) die Menge des zum Zeitpunkt t vorhandenen radioaktiven Materials. Im Zeitintervall [t, t+h] der Länge h zerfällt die Menge rhx(t) und die Menge ah wird zugeführt, wobei r die konstante Zerfallsrate und a die Zufuhr pro Zeiteinheit ist. Wir erhalten die Gleichung x(t + h) − x(t) = −rhx(t) + ah x(t+h)−x(t) h oder = −rx(t) + a Diese Gleichung gilt allerdings nur für kleine h, da sich die Menge x(t) im Zeitintervall [t, t + h] ändert. Lassen wir h gegen 0 gehen, erhalten wir die Differentialgleichung x′ (t) = −rx(t) + a Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist nach Satz 1 x(t) = e−rt ( ar ert + c) = ce−rt + a r mit c∈R Ist zu Beginn die Menge x0 vorhanden, dann ist x(0) = x0 die Anfangsbedingung. Das ergibt die Gleichung c + ar = x0 . Es folgt c = x0 − ar . Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher x(t) = (x0 − ar )e−rt + a r Es gilt limt→∞ x(t) = ar . Nach einiger Zeit stellt sich die konstante Menge ar an radioaktivem Material ein. Cäsium 137 zerfällt mit Zerfallsrate r = 0.023/Jahr. Wenn a kg Cäsium pro Jahr in die a Athmosphäre abgegeben werden, dann sammelt sich dort ar = 0.023 = 43.5a kg Cäsium 137, also das 43.5-fache des Jahresausstoßes. Beispiel. Wir behandeln einen Stromkreis, der einen Widerstand von R Ohm und eine Spule mit Induktivität L enthält. Er ist an eine Spannungsquelle angeschlossen. E ⃝ R L Sei I(t) der Strom (in Ampere), der zum Zeitpunkt t im Stromkreis fließt. Nach dem Ohmschen Gesetz ist U1 (t) = RI(t) die vom Widerstand verursachte Spannung. Sie ist proportional zum fließenden Strom und diesem entgegengesetzt. Stromänderungen in der Spule verursachen ein Magnetfeld, das eine Spannung U2 (t) induziert. Diese wirkt dem fließenden Strom entgegen und ist proportional zur Stromänderung. Es gilt U2 (t) = LI ′ (t). Da es sich um einen geschlossenen Stromkreis handelt, ist die angelegte Spannung E(t) gleich der Summe der von Widerstand und Spule verursachten Spannungen, also E(t) = U1 (t) + U2 (t). Es folgt E(t) = RI(t) + LI ′ (t). Wir erhalten die Differentialgleichung I ′ (t) = − R I(t) + L1 E(t) L Legt man eine Gleichspannung an, dann ist E(t) konstant gleich E. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist nach Satz 1 ∫ R R R für ein c ∈ R I(t) = e− L t ( EL e L t dt + c) = ce− L t + E R Es gilt limn→∞ I(t) = E . R Nach einiger Zeit fließt ein konstanter Strom von E R Ampere. 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT GETRENNTEN VARIABLEN 5 Legt man eine Wechselspannung an, dann gilt E(t) = E sin ωt mit ω ∈ R. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist nach Satz 1 ∫ R R R cos ωt I(t) = e− L t ( EL sin ωt e L t dt + c) = ce− L t + ER sinωωt−ωLE für ein c ∈ R 2 L2 +R2 wobei man zur Berechnung des Integrals zweimalige partielle Integration verwendet. Es gilt ωLE I(t) ≈ ω2 LER 2 +R2 sin ωt − ω 2 L2 +R2 cos ωt für große t. Wählt man den Winkel γ so, dass sin γ = √ ωL und cos γ = √ω2 LR2 +R2 gilt und setzt man A = √ω2 LE2 +R2 , dann hat man für große t ω 2 L2 +R2 I(t) ≈ A cos γ sin ωt − A sin γ cos ωt = A sin(ωt − γ) Es stellt sich ein Wechselstrom mit verschobener Phase ein. 2. Differentialgleichungen mit getrennten Variablen Satz 2. Seien I und J offene Intervalle, beschränkt oder unbeschränkt. Sei g : I → (0, ∞) eine stetige Funktion. Ebenso sei h : J → (0, ∞) oder h : J → (−∞, 0) stetig. Ihre Stammg(t) funktionen seien G und H. Die Lösungen der Differentialgleichung x′ (t) = h(x(t)) sind dann x(t) = H −1 (G(t) + c) definiert auf dem Intervall G−1 (H(J) − c) wobei c ∈ R beliebig ist aber so, dass G−1 (H(J) − c) nicht die leere Menge ist. Beweis. Wegen h > 0 oder h < 0 ist H streng monoton, sodass H −1 : H(J) → J existiert. Weiters ist H(J) ein offenes Intervall, sodass auch das um c verschobene Intervall H(J) − c offen ist. Wegen g > 0 ist G streng monoton wachsend, sodass G−1 (H(J) − c) dann ein offenes Teilintervall von I (oder leer) ist. Sei jetzt t 7→ x(t) eine differenzierbare Abbildung, die auf einem offenen Teilintervall von I definiert ist und Werte in J hat (sonst kann man x(t) nicht in die Differentialgleichung einsetzen). Dann gilt x′ (t) = g(t) h(x(t)) ⇐⇒ h(x(t))x′ (t) = g(t) ⇐⇒ H(x(t)) = G(t) + c für eine Konstante c ∈ R ⇐⇒ x(t) = H −1 (G(t) + c) für eine Konstante c ∈ R wobei x(t) auf G−1 (H(J)−c) definiert ist. Es gilt ja t ∈ G−1 (H(J)−c) ⇔ G(t) ∈ H(J)−c ⇔ G(t) + c ∈ H(J) , sodass man dann H −1 (G(t) + c) bilden kann. Beispiel. Auf dem Intervall I = (0, ∞) lösen wir das Anfangswertproblem x′ (t) = 1 tex(t) mit x(1) = 0 Wir verwenden die Formel aus Satz 2. Es gilt g(t) = 1t und h(x) = ex . Es folgt G(t) = log t definiert auf I = (0, ∞) und H(x) = ex definiert auf J = R. Weiters gilt H(J) = (0, ∞) und H −1 (y) = log y. Wegen G−1 (y) = ey erhalten wir G−1 (H(J) − c) = G−1 (−c, ∞) = (e−c , ∞). Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist somit x(t) = H −1 (G(t) + c) = log(log t + c) auf (e−c , ∞) mit c∈R Die Anfangsbedingung lautet x(1) = 0. Das ergibt die Gleichung log(log 1 + c) = 0. Es folgt c = 1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist daher x(t) = log(1 + log t) auf ( 1e , ∞). Beispiel. Wir behandeln die Logistische Differentialgleichung, die das Wachstum einer Population behandelt. Die Wachstumsrate wird als lineare Funktion der Populationsgröße mit negativem Anstieg angenommen. Das ergibt x′ (t) x(t) = a(1 − x(t) ) K oder x′ (t) = ax(t)(1 − x(t) ) K 6 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Ist x(t) > K, dann ist die Wachstumsrate negativ verursacht durch Überbevölkerung. Es liegt eine Differentialgleichung mit getrennten Variablen vor. Wir verwenden die ForK 1 mel aus Satz 2. Es gilt g(t) = a und h(x) = x(K−x) = x1 + K−x . Wir können I = R wählen, da g eine konstante Funktion ist. Das Intervall J ist so zu wählen, dass h auf J das Vorzeichen nicht ändert. Wir wählen daher J = (0, K) oder J = (K, ∞). Stammfunktionen sind x x G(t) = at und H(x) = log |x|−log |K−x| = log | K−x |. Im Fall J = (0, K) ist H(x) = log K−x . −x Im Fall J = (K, ∞) ist H(x) = log K−x . Um H −1 zu berechnen, lösen wir die Gleichung H(x) = y nach x auf. Wir erhalten ±x y = log K−x ⇔ ey = Somit ist H −1 (y) = Key ey ±1 ±x K−x ⇔ Key = ey x ± x ⇔ Key ey ±1 =x die Umkehrfunktion. Aus Satz 2 folgt jetzt x(t) = H −1 (G(t) + c) = H −1 (at + c) = Keat+c eat+c ±1 = K 1±e−at−c = K 1±e−c e−at Wir führen die neue Konstante d = ±e−c ein und erhalten die Lösung x(t) = K 1+de−at mit d∈R Es ist noch der Definitionsbereich der Lösung x(t) zu bestimmen. Wir können die Formel aus Satz 2 verwenden oder einfach das Intervall bestimmen auf dem x(t) definiert ist. Im Fall J = (0, K) gilt d > 0 und der Definitionsbereich ist ganz R. Im Fall J = (K, ∞) gilt d < 0 und der Definitionsbereich ist das Intervall (− a1 log(− d1 ), ∞). Um die Konstante d zu bestimmen, gibt man die Populationsgröße x0 zum Zeitpunkt K 0 vor. Wegen x(0) = 1+d folgt d = xK0 − 1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist dann Kx0 x(t) = x0 +(K−x −at . Ist x0 größer als 0, dann gilt limt→∞ x(t) = K. Im Laufe der Zeit stellt 0 )e sich eine Population der Größe K ein. Beispiel. Wir untersuchen explosives Wachstum einer Population. Wir nehmen an, dass die Wachstumsrate gleich αxβ mit α > 0 und β > 0 ist, das heißt sie ist bei größerer Population nicht kleiner, sondern größer. Das ergibt die Differentialgleichung x′ (t) x(t) = αx(t)β oder x′ (t) = αx(t)β+1 Wir verwenden die Formel aus Satz 2 für Differentialgleichungen mit getrennten Variablen. Es gilt g(t) = α und h(x) = x−β−1 . Die Stammfunktionen sind G(t) = αt definiert auf I = R und 1 −β H(x) = x−β definiert auf J = (0, ∞). Weiters gilt H(J) = (−∞, 0) und H −1 (y) = (−βy)− β . Wegen G−1 (y) = αy erhalten wir G−1 (H(J)−c) = G−1 (−∞, −c) = (−∞, − αc ). Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist somit x(t) = H −1 (G(t) + c) = (−βαt − βc)− β = 1 1 (−βαt−βc)1/β auf (−∞, − αc ) mit c∈R Ist x0 die Populationsgröße zu Beginn, dann ist x(0) = x0 die Anfangsbedingung. Das ergibt 1 1 die Gleichung (−βc) . Die Lösung des Anfangswertproblems ist 1/β = x0 . Es folgt −βc = xβ 0 x(t) = x0 1/β (1−βαxβ 0 t) auf Man sieht, dass die Populationsgröße x(t) für t → 1 (−∞, αβx β) 0 1 αβxβ 0 gegen ∞ geht. 3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 7 3. Homogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Wir behandeln zuerst die homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung. Das ist die Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 mit a und b in R. Satz 3. Seien x(t) und y(t) Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = 0, die beide auf einem offenen Intervall I definiert sind, und seien c1 und c2 in R. Dann ist z(t) = c1 x(t) + c2 y(t) ebenfalls eine Lösung dieser Differentialgleichung. Beweis. Es gilt x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 und y ′′ (t) + ay ′ (t) + by(t) = 0, da x(t) und y(t) Lösungen sind. Es folgt z ′′ (t) + az ′ (t) + bz(t) = c1 x′′ (t) + c2 y ′′ (t) + a(c1 x′ (t) + c2 y ′ (t)) + b(c1 x(t) + c2 y(t)) ( ) ( ) = c1 x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) + c2 y ′′ (t) + ay ′ (t) + by(t) = 0 Das zeigt, dass auch z(t) eine Lösung der Differentialgleichung ist. Definition. Zum Polynom P (λ) = λ2 +aλ+b definieren wir Basisfunktionen h1 : R → R und h2 : R → R folgendermaßen: Hat P (λ) zwei verschiedene relle Nullstellen λ1 und λ2 , dann sei h1 (t) = eλ1 t und h2 (t) = eλ2 t . Hat P (λ) eine zweifache relle Nullstellen λ, dann sei h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt . Hat P (λ) komplexe Nullstellen α ± iβ, dann sei h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt. Satz 4. Seien a und b in R und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ2 + aλ + b. Für beliebige c1 und c2 in R ist dann c1 h1 (t) + c2 h2 (t) eine Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Beweis. Es genügt zu zeigen, dass h1 (t) und h2 (t) Lösungen sind. Wegen Satz 3 ist dann auch c1 h1 (t) + c2 h2 (t) mit c1 und c2 in R eine Lösung. Wir gehen die drei Fälle, die in der Definition der Basisfunktionen unterschieden werden, durch. Seien λ1 und λ2 verschiedene reelle Nullstellen von P (λ). Es gilt h1 (t) = eλ1 t . Es folgt h′′1 (t) + ah′1 (t) + bh1 (t) = λ21 eλ1 t + aλ1 eλ1 t + beλ1 t = (λ21 + aλ1 + b)eλ1 t = P (λ1 )eλ1 t = 0 Somit ist h1 (t) eine Lösung. Genauso zeigt man, dass auch h2 (t) = eλ2 t eine Lösung ist. Sei λ eine zweifache reelle Nullstelle von P (λ). Es gilt h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt . Wie oben zeigt man, dass h1 (t) eine Lösung ist. Für h2 (t) gilt h′′2 (t) + ah′2 (t) + bh2 (t) = tλ2 eλt + 2λeλt + a(tλeλt + eλt ) + bteλt = (λ2 + aλ + b)teλt + (2λ + a)eλt Da λ eine zweifache reelle Nullstelle von P (λ) ist, gilt nicht nur P (λ) = λ2 + aλ + b = 0, sondern auch P ′ (λ) = 2λ + a = 0. Es folgt h′′2 (t) + ah′2 (t) + bh2 (t) = 0. Somit ist h2 (t) ebenfalls eine Lösung der Differentialgleichung. Schließlich seien α ± iβ konjugiert komplexe Nullstellen von P (λ). Insbesondere gilt 0 = (α + iβ)2 + a(α + iβ) + b = α2 − β 2 + aα + b + i(2αβ + aβ) Es müssen daher Real- und Imaginärteil null sein, das heißt α2 − β 2 + aα + b = 0 und 2αβ + aβ = 0 Es gilt h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt. Wegen h′1 (t) = αeαt cos βt − βeαt sin βt und h′′1 (t) = α2 eαt cos βt − 2αβeαt sin βt − β 2 eαt cos βt erhalten wir h′′1 (t) + ah′1 (t) + bh1 (t) = (α2 − β 2 + aα + b)eαt cos βt − (2αβ + aβ)eαt sin βt = 0 Somit ist h1 (t) eine Lösung. Genauso folgt, dass auch h2 (t) = eαt sin βt eine Lösung ist. 8 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Beispiel. Wir suchen Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + 6x′ (t) + 9x(t) = 0. Das Polynom P (λ) = λ2 + 6λ + 9 hat die zweifache Nullstelle λ = −3. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = e−3t und h2 (t) = te−3t . Für beliebige c1 und c2 in R ist x(t) = c1 e−3t + c2 te−3t eine Lösung. Anfangswertproblem: Um die in der Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 vorkommenden unbestimmten Konstanten c1 und c2 berechnen zu können, gibt man Anfangsbedingungen x(t0 ) = x0 und x′ (t0 ) = v0 vor. Die Lösung x(t) und ihre Ableitung sind an der Stelle t0 bekannt. Daraus berechnet man c1 und c2 . Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′ (t) − 6x′ (t) + 25x(t) = 0 mit x(0) = 2 und x′ (0) = 2. Das Polynom P (λ) = λ2 − 6λ + 25 hat konjugiert komplexe Nullstellen λ1,2 = 3 ± 4i. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = e3t cos 4t und h2 (t) = e3t sin 4t. Für beliebige c1 und c2 in R ist x(t) = c1 e3t cos 4t + c2 e3t sin 4t eine Lösung. Wegen x′ (t) = c1 (3e3t cos 4t − 4e3t sin 4t) + c2 (3e3t sin 4t + 4e3t cos 4t) gilt x(0) = c1 und x′ (0) = 3c1 + 4c2 . Die Anfangsbedingungen liefern die Gleichungen c1 = 2 und 3c1 + 4c2 = 2. Es folgt c2 = −1. Somit ist x(t) = 2e3t cos 4t−e3t sin 4t eine Lösung des Anfangswertproblems. Wir zeigen, dass die in Satz 4 gefundenen Lösungen bereits alle Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 sind. Dazu sind einige Vorbereitungen notwendig. Lemma 5. Sei I ein offenes Intervall, das auch unbeschränkt sein darf. Sei σ : I → [0, ∞) differenzierbar und t0 ∈ I. Es existiere eine Konstante K mit |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) für alle t ∈ I. Dann gilt σ(t) ≤ σ(t0 )eK|t−t0 | für alle t ∈ I. Ist σ(t0 ) = 0, dann gilt σ(t) = 0 für alle t ∈ I. Beweis. Sei g : I → R definiert durch g(t) = σ(t)e−K|t−t0 | . Das ist eine stetige Funktion, da σ stetig ist. Wir untersuchen das Monotonieverhalten dieser Funktion. Für (t > t0 gilt g(t) )= σ(t)e−K(t−t0 ) und g ′ (t) = σ ′ (t)e−K(t−t0 ) − Kσ(t)e−K(t−t0 ) . Es folgt ′ g (t) ≤ |σ ′ (t)| − Kσ(t) e−K(t−t0 ) ≤ 0, da |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) vorausgesetzt wird. Das bedeutet, dass g auf dem Intervall I ∩ [t0 , ∞) monoton fallend ist. Für (t < t0 gilt g(t) )= σ(t)eK(t−t0 ) und g ′ (t) = σ ′ (t)eK(t−t0 ) + Kσ(t)eK(t−t0 ) . Es folgt g ′ (t) ≥ −|σ ′ (t)| + Kσ(t) eK(t−t0 ) ≥ 0, da |σ ′ (t)| ≤ Kσ(t) vorausgesetzt wird. Das bedeutet, dass g auf dem Intervall I ∩ (−∞, t0 ] monoton wachsend ist. Somit nimmt g im Punkt t0 das Maximum an. Es gilt daher g(t) ≤ g(t0 ), das heißt σ(t) ≤ σ(t0 )eK|t−t0 | für alle t ∈ I. Ist σ(t0 ) = 0, dann folgt σ(t) ≤ 0 für alle t ∈ I. Da σ eine Funktion mit Werten in [0, ∞) ist, ergibt sich σ(t) = 0 für alle t ∈ I. Lemma 6. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Es gelte x(t0 ) = 0 und x′ (t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I. Dann gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I. Beweis. Wir verwenden Lemma 5. Wir setzen K = 2|a| + |b| + 1 und σ : I → [0, ∞) sei definiert durch σ(t) = x(t)2 + x′ (t)2 . Wir berechnen σ ′ (t) = 2x(t)x′ (t) + 2x′ (t)x′′ (t). Da x(t) eine Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 ist, erhalten wir σ ′ (t) = 2x(t)x′ (t) − 2ax′ (t)2 − 2bx(t)x′ (t). Mit Hilfe der Dreiecksungleichung ergibt sich |σ ′ (t)| ≤ 2(1 + |b|)|x(t)x′ (t)| + 2|a|x′ (t)2 . Und die Ungleichung 2|x(t)x′ (t)| ≤ x(t)2 + x′ (t)2 liefert |σ ′ (t)| ≤ (1 + |b|)x(t)2 + (1 + |b| + 2|a|)x′ (t)2 ≤ K(x(t)2 + x′ (t)2 ) = Kσ(t). Weiters gilt σ(t0 ) = 0, da ja x(t0 ) = 0 und x′ (t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5 folgt jetzt, dass σ(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Somit muss auch x(t) = 0 für alle t ∈ I gelten. 3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 9 Satz 7. Seien h1 (t) und h2 (t) auf ganz R definierte Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Es gelte (diese Determinante heißt Wronskideterminante) h1 (t) h2 (t) ′ h1 (t) h′2 (t) ̸= 0 für alle t ∈ R Ist jetzt x(t) eine Lösung der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0, die auf einem offenen Intervall I definiert ist, dann existieren c1 und c2 in R, sodass x(t) = c1 h1 (t)+c2 h2 (t) für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R definiert ist (sollte I ̸= R sein). Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Dann existieren c1 und c2 in R mit c1 h1 (t0 ) + c2 h2 (t0 ) = x(t0 ) c1 h′1 (t0 ) + c2 h′2 (t0 ) = x′ (t0 ) da die Determinante dieses linearen Gleichungssystems nach Voraussetzung ungleich null ist. Sei y(t) = c1 h1 (t)+c2 h2 (t)−x(t) für t ∈ I. Da c1 h1 (t)+c2 h2 (t) nach Satz 4 und x(t) nach Voraussetzung Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0 sind, ist y(t) wegen Satz 3 ebenfalls eine Lösung. Außerdem wurden c1 und c2 so gewählt, dass y(t0 ) = 0 und y ′ (t0 ) = 0 gelten. Aus Lemma 6 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist auch x(t) = c1 h1 (t) + c2 h2 (t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine Lösung der Differentialgleichung steht, die auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t) fortsetzen zu einer auf ganz R definierten Lösung. Satz 8. Seien a und b in R und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ2 + aλ + b. Dann ist {c1 h1 (t) + c2 h2 (t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen der Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Beweis. In Satz 4 wurde bereits gezeigt, dass c1 h1 (t)+c2 h2 (t) für alle c1 und c2 in R eine Lösung auch h1 (t) und h2 (t) selbst. Wegen Satz 7 genügt es jetzt zu zeigen, ist, insbesondere h1 (t) h2 (t) dass h′ (t) h′ (t) ̸= 0 für alle t ∈ R gilt. Wir untersuchen die drei Fälle für die Nullstellen des 1 2 Polynoms P (λ), die in der Definition der Basisfunktionen unterschieden werden. Bei verschiedenen reellen Nullstellen λ1 und λ2 gilt h1 (t) = eλ1 t und h2 (t) = eλ2 t . Es folgt λ2 t h1 (t) h2 (t) eλ1 t e λ1 t λ2 t ′ h1 (t) h′2 (t) = λ1 eλ1 t λ2 eλ2 t = (λ2 − λ1 )e e ̸= 0 Im Fall einer zweifachen reellen Nullstellen λ gilt h1 (t) = eλt und h2 (t) = teλt . Es folgt λt h1 (t) h2 (t) eλt te ′ = λt λt = e2λt ̸= 0 ′ λt h1 (t) h2 (t) λe e + λte Im Fall komplexer Nullstellen α ± iβ gilt h1 (t) = eαt cos βt und h2 (t) = eαt sin βt. Es folgt αt αt h1 (t) h2 (t) e cos βt e sin βt 2αt ′ = αt ′ αt αt αt h1 (t) h2 (t) αe cos βt − βe sin βt αe sin βt + βe cos βt = βe ̸= 0 wobei man berücksichtigen muss, dass β ̸= 0 gilt. 10 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Beispiel. Wir untersuchen einen schwingenden Körper. Ein Körper der Masse m bewegt sich entlang der x-Achse. Er ist an einer Feder befestigt mit dem Nullpunkt als Ruhelage. /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ − \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/− ⃝ Sei x(t) seine Auslenkung zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t ist dann x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Auf den Körper wirken zwei Kräfte. Die Feder zieht den Körper in die Ruhelage zurück. Diese Rückstellkraft ist proportional zur Auslenkung, also gleich −kx(t). Die Proportionalitätskonstante k heißt Federkonstante. Das Minuszeichen besagt, dass der Körper in die Ruhelage zurückgezogen wird. Bei positiver Auslenkung hat die Kraft negative Richtung und bei negativer Auslenkung positive Richtung. Die zweite Kraft, die wirkt, ist die Reibungskraft. Sie ist proportional zur Geschwindigkeit und wirkt dieser entgegen. Daher ist sie gleich −ϱx′ (t). Die Proportionalitätskonstante ϱ heißt Reibungskoeffizient. Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt. Das ergibt Wir setzen r = ϱ 2m mx′′ (t) = −kx(t) − ϱx′ (t) √ ≥ 0 und w = k/m > 0 und erhalten x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0 Der Körper wird in Position x0 gebracht und losgelassen. Das ergibt die Anfangsbedingungen x(0) = x0 und x′ (0) = 0 Je nach Größe des Reibungswiderstands unterscheiden wir verschiedene Fälle. Fall 1: Keine Reibung. Es gilt ϱ = 0 und somit r = 0. Das ergibt das Anfangswertproblem x′′ (t) + w2 x(t) = 0 mit x(0) = x0 und x′ (0) = 0 Das Polynom P (λ) = λ2 + w2 hat die konjugiert komplexen Nullstellen λ1,2 = ±iw. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist daher x(t) = c1 cos wt + c2 sin wt mit c1 , c 2 ∈ R Es gilt x(0) = c1 und x′ (0) = c2 w. Die Anfangsbedingungen ergeben daher die Gleichungen c1 = x0 und c2 = 0. Die Lösung des Anfangswertproblems ist somit √ x(t) = x0 cos wt mit w = k/m Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers ohne Reibung beschrieben. Den Zeitpunkt des ersten Durchgangs durch die Ruhelage erhält man als Lösunmg der Gleichung π x(t) = 0. Das ergibt cos wt = 0 und t = 2w . Die Zeitpunkte der weiteren Durchgänge √ π π ′ π sind t = 2w + k w für k ∈ N. Weiters ist x ( 2w ) = −x0 w sin π2 = −x0 w = −x0 k/m die Geschwindigkeit beim Durchgang. Fall 2: Große Reibung r > w. Wir haben das Anfangswertproblem x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0 mit x(0) = x0 und x′ (0) = 0 3. HOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 11 √ √ Die Nullstellen von P (λ) = λ2 + 2rλ + w2 sind λ1 = −r + r2 − w2 und λ2 = −r − r2 − w2 . Es gilt λ2 < λ1 < 0. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist x(t) = c1 eλ1 t + c2 eλ2 t mit c1 , c 2 ∈ R Es gilt x(0) = c1 + c2 und x′ (0) = λ1 c1 + λ2 c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben daher die λ2 λ1 Gleichungen c1 + c2 = x0 und λ1 c1 + λ2 c2 = 0. Es folgt c1 = − λx10−λ und c2 = λx10−λ . Die 2 2 Lösung des Anfangswertproblems ist somit ( ) λ1 t λ2 t 0 x(t) = λ1x−λ −λ e + λ e 2 1 2 Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers mit großer Reibung beschrieben. Wegen λ2 < λ1 < 0 geht x(t) monoton gegen 0 für t → ∞. Im Grenzfall r = w hat P (λ) die zweifache Nullstelle λ1,2 = −r. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist x(t) = c1 e−rt + c2 te−rt mit c1 , c 2 ∈ R ′ Es gilt x(0) = c1 und x (0) = −rc1 + c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die Gleichungen c1 = x0 und −rc1 + c2 = 0. Es folgt c2 = rx0 . Die Lösung des Anfangswertproblems ist ( ) x(t) = x0 e−rt + rx0 te−rt = x0 e−rt 1 + rt Für t → ∞ geht x(t) monoton gegen 0. Fall 3: Kleine Reibung 0 < r < w. Wir haben wieder das Anfangswertproblem x′′ (t) + 2rx′ (t) + w2 x(t) = 0 x′ (0) = 0 √ Das Polynom P (λ) = λ2 + 2rλ√+ w2 hat die Nullstellen λ1,2 = −r ± i w2 − r2 mit Realteil α = −r und Imaginärteil β = w2 − r2 . Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist mit x(0) = x0 x(t) = c1 e−rt cos βt + c2 e−rt sin βt mit und c1 , c 2 ∈ R Es gilt x(0) = c1 und x′ (0) = −rc1 + βc2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die Gleichungen c1 = x0 und −rc1 + βc2 = 0. Es folgt c2 = rxβ0 . Die Lösung des Anfangswertproblems ist ( ) x(t) = x0 e−rt cos βt + rxβ0 e−rt sin βt = xβ0 e−rt β cos βt + r sin βt Wählt man den Winkel γ so, dass sin γ = √ β2 2 = wβ und cos γ = √ r2 2 = β +r β +r √ setzt man d = xβ0 β 2 + r2 = x0βw , dann hat man ( ) x(t) = de−rt sin γ cos βt + cos γ sin βt = de−rt sin(βt + γ) r w gilt, und Dadurch wird die Bewegung eines schwingenden Körpers mit kleiner Reibung beschrieben. Wir erhalten eine gedämpfte Schwingung. Es soll noch kurz die homogene lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten besprochen werden. Diese ist x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R Dazu definieren wir wieder Basisfunktionen. Definition. Zum Polynom P (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + · · · + an definieren wir Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) folgendermaßen: Für jede k-fache reelle Nullstelle λ des Polynoms P (λ) nehmen wir die Funktionen eλt , teλt , t2 eλt , . . . , tk−1 eλt 12 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Für jedes k-fache konjugiert komplexe Nullstellenpaar α ± iβ des Polynoms P (λ) nehmen wir die Funktionen eαt cos βt , teαt cos βt , . . . , tk−1 eαt cos βt und eαt sin βt , teαt sin βt , . . . , tk−1 eαt sin βt Insgesamt ergibt das n Funktionen. Diese sind die Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) zum Polynom P (λ). Es gilt dann Satz 9. Seien a1 , a2 , . . . , an ∈ R und h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + · · · + an . Dann ist {c1 h1 (t) + c2 h2 (t) + · · · + cn hn (t) : c1 , c2 , . . . , cn ∈ R} die Menge aller Lösungen der Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an x(t) = 0. Diesen Satz kann man genauso beweisen wie den für lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung, allerdings sind die Rechnungen wesentlich komplizierter. Anfangswertproblem: Um die unbestimmten Konstanten c1 , c2 , . . . , cn , die in der Lösung der Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 vorkommen, zu (1) (n−1) berechnen, sind n Anfangsbedingungen x(t0 ) = x0 , x′ (t0 ) = x0 , . . . , x(n−1) (t0 ) = x0 notwendig. Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′′ (t) + 4x′ (t) = 0 mit x(0) = 0, x′ (0) = 0 und x′′ (0) = 1. Das Polynom P (λ) = λ3 + 4λ hat die Nullstellen λ1 = 0 und λ2,3 = ±2i. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = 1, h2 (t) = cos 2t und h3 (t) = sin 2t. Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung ist somit x(t) = c1 + c2 cos 2t + c3 sin 2t mit c1 , c 2 , c 3 ∈ R Es gilt x(0) = c1 + c2 , x′ (0) = 2c3 und x′′ (0) = −4c2 . Die Anfangsbedingungen ergeben die Gleichungen c1 + c2 = 0, 2c3 = 0 und −4c2 = 1 Es folgt c2 = − 41 , c3 = 0 und c1 = 41 . Die Lösung des Anfangswertproblems ist x(t) = 14 − 14 cos 2t. 4. Inhomogene lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Wir behandeln zuerst die inhomogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung. Das ist die Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = f (t) mit a und b in R und mit f : R → R. Satz 10. Sei x̃(t) eine (spezielle oder partikuläre) Lösung der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t). Sei L die Menge aller Lösungen der zugehörigen homogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = 0. Dann ist {x̃(t) + z(t) : z(t) ∈ L} die Menge aller Lösungen der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t) = f (t). Beweis. Wir zeigen zuerst, dass x̃(t) + z(t) mit z(t) ∈ L eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist. Es gilt (x̃(t) + z(t))′′ + a(x̃(t) + z(t))′ + b(x̃(t) + z(t)) = x̃′′ (t) + ax̃′ (t) + bx̃(t) + z ′′ (t) + az ′ (t) + bz(t) = f (t) + 0, womit der Nachweis gelungen ist. Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Wir setzen z(t) = x(t)−x̃(t). Dann gilt z ′′ (t)+az ′ (t)+bz(t) = x′′ (t)+ax′ (t)+bx(t)−x̃′′ (t)−ax̃′ (t)−bx̃(t) = f (t) − f (t) = 0, das heißt z(t) ∈ L. Ausserdem gilt x(t) = x̃(t) + z(t). Jede Lösung x(t) der inhomogenen Differentialgleichung lässt sich in der gewünschten Form schreiben. 4. INHOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 13 Wegen Satz 10 genügt es eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t) zu finden. Die Methode im folgenden Satz heißt Variation der Konstanten, da die Lösung der inhomogenen Differentialgleichung von der selben Form ist wie die der homogenen, wobei jedoch die Konstanten c1 und c2 keine Konstanten mehr sind, sondern Funktionen in t. Satz 11. Seien h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ2 + aλ + b. Seien c1 (t) und c2 (t) Funktionen, für die gilt (1) c′1 (t)h1 (t) + c′2 (t)h2 (t) = 0 (2) c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) = f (t) Dann ist x̃(t) = c1 (t)h1 (t) + c2 (t)h2 (t) eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung x′′ (t) + ax′ (t) + bx(t) = f (t). Beweis. Wir differenzieren mit der Produktregel. Es gilt x̃′ (t) = c′1 (t)h1 (t)+ c1 (t)h′1 (t)+ ′ c2 (t)h2 (t) + c2 (t)h′2 (t). Wegen (1) erhalten wir x̃′ (t) = c1 (t)h′1 (t) + c2 (t)h′2 (t). Nun folgt x̃′′ (t) = c′1 (t)h′1 (t) + c1 (t)h′′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) + c2 (t)h′′2 (t). Damit ergibt sich x̃′′ (t) + ax̃′ (t) + bx̃(t) = c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) + c1 (t)h′′1 (t) + c1 (t)ah′1 (t) + c1 (t)bh1 (t) + c2 (t)h′′2 (t) + c2 (t)ah′2 (t) + c2 (t)bh2 (t) Da h1 (t) und h2 (t) Lösungen der homogenen Differentialgleichung sind, erhalten wir h′′1 (t) + ah′1 (t)+bh1 (t) = 0 und h′′2 (t)+ah′2 (t)+bh2 (t) = 0. Wegen (2) gilt c′1 (t)h′1 (t)+c′2 (t)h′2 (t) = f (t). Es folgt x̃′′ (t)+ax̃′ (t)+bx̃(t) = f (t). Damit ist gezeigt, dass x̃(t) eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist. Bemerkung: Das lineare Gleichungssystem in Satz 11 ist immer lösbar. Die Determinante ist die Wronskideterminante. Im Beweis von Satz 8 wurde ja gezeigt, dass sie immer ̸= 0 ist. Beispiel. Wir lösen die Differentialgleichung x′′ (t) − 2x′ (t) + x(t) = et . Das Polynom P (λ) = λ2 − 2λ + λ hat 1 als zweifache Nullstelle. Die beiden Basisfunktionen sind daher h1 (t) = et und h2 (t) = tet . Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist dann c1 et + c2 tet mit c1 und c2 in R. Wir verwenden Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden. Zu lösen ist folgendes lineare Gleichungssystem c′1 (t)et + c′2 (t)tet = 0 c′1 (t)et + c′2 (t)(et + tet ) = et Subtrahiert man die erste von der zweiten Gleichung, so hat man c′2 (t)et = et , das heißt 2 c′2 (t) = 1. Aus der ersten Gleichung folgt c′1 (t) = −t. Stammfunktionen sind c1 (t) = − t2 2 2 und c2 (t) = t. Somit ist x̃(t) = − t2 et + t · tet = t2 et eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Nach Satz 10 ist dann x(t) = c1 et + c2 tet + t2 t e 2 mit c1 , c 2 ∈ R die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung. Beispiel. Wir behandeln den freien Fall mit Reibung. Ein Körper der Masse m fällt aus der Höhe h. Sei x(t) die Höhe des Körpers zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t ist dann x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Die Kräfte, die auf den Körper einwirken, sind die Gravitationskraft −mg und der Reibungswiderstand −ϱx′ (t). 14 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt. Das ergibt mx′′ (t) = −mg − ϱx′ (t) Wir setzen r = ϱ m ≥ 0 und erhalten x′′ (t) + rx′ (t) = −g Der Körper fällt aus der Höhe h. Das ergibt die Anfangsbedingungen x(0) = h und x′ (0) = 0 Das Polynom P (λ) = λ2 + rλ hat die Nullstellen λ1 = −r und λ2 = 0. Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist daher c1 e−rt + c2 mit c1 und c2 in R. Wir verwenden Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden. Zu lösen ist folgendes lineares Gleichungssystem c′1 (t)e−rt + c′2 (t) = 0 −c′1 (t)re−rt = −g Die Lösungen sind c′1 (t) = gr ert und c′2 (t) = − gr . Stammfunktionen sind c1 (t) = rg2 ert und c2 (t) = − gr t. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist dann x̃(t) = g rt −rt e e r2 − gr t = g r2 − gr t Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist schließlich x(t) = c1 e−rt + c2 + g r2 − gr t c1 , c 2 ∈ R mit Wegen x(0) = c1 + c2 + rg2 und x′ (0) = −rc1 − gr erhalten wir die Gleichungen c1 + c2 + rg2 = h und −rc1 − gr = 0 aus den Anfangsbedingungen. Das ergibt c1 = − rg2 und c2 = h. Die Lösung des Anfangswertproblems ist somit x(t) = − rg2 e−rt + h + g r2 − gr t Dadurch wird die Bewegung des fallenden Körpers mit Reibung beschrieben. Für r → 0 2 erhält man x(t) = − gt2 + h. Das ist der fallende Körper ohne Reibung. Beispiel. Wir untersuchen eine erzwungene Schwingung ohne Reibung. Ein Körper der Masse m bewegt sich entlang der x-Achse. Er ist an einer Feder befestigt. /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ − \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/− ⃝ Es wirkt jedoch noch eine zusätzliche zeitabhängige Kraft f (t) auf den Körper. Sei x(t) die Auslenkung des Körpers zum Zeitpunkt t. Seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t ist dann x′ (t) und seine Beschleunigung x′′ (t). Auf den Körper wirken die Rückstellkraft −kx(t) der Feder und die Kraft f (t). Die Bewegungsgleichung erhält man, indem man das Produkt aus Masse und Beschleunigung gleich der wirkenden Kraft setzt mx′′ (t) = −kx(t) + f (t) Setzt man w = √ k/m > 0 so ergibt sich x′′ (t) + w2 x(t) = 1 f (t) m 4. INHOMOGENE LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT KONSTANTEN KOEFFIZIENTEN 15 Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist c1 cos wt + c2 sin wt mit c1 und c2 in R. a Ist f (t) konstant gleich a, dann ist x̃(t) = mw 2 eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung, wie man leicht nachprüft. Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentiala gleichung ist c1 cos wt + c2 sin wt + mw 2 mit c1 und c2 in R. Interessanter ist der Fall f (t) = a sin wt, bei dem Resonanz eintritt. Wir verwenden Satz 11, um eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden. Zu lösen ist das lineare Gleichungssystem c1′ (t) cos wt + c′2 (t) sin wt = 0 −wc′1 (t) sin wt + wc′2 (t) cos wt = a m sin wt Multipliziert man die erste Gleichung mit w sin wt, die zweite mit cos wt und addiert die a a beiden, dann hat man wc′2 (t) = m sin wt cos wt, woraus c′2 (t) = 2wm sin 2wt folgt. Aus der 2 a a ′ ′ ersten Gleichung folgt dann wc1 (t) = − m sin wt und daraus c1 (t) = − 2wm (1 − cos 2wt). a 1 a Stammfunktionen sind c1 (t) = − 2wm (t− 2w sin 2wt) und c2 (t) = − 4w2 m cos 2wt. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist dann a a t cos wt + 4wa2 m sin 2wt cos wt − 4wa2 m cos 2wt sin wt = − 2wm t cos wt + 4wa2 m sin wt x̃(t) = − 2wm Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist x(t) = c1 cos wt + c2 sin wt − a t cos wt 2wm mit c1 , c 2 ∈ R a 4w2 m da man sin wt mit c2 sin wt zusammenfassen kann. Wird der Körper in die Position x0 gebracht und losgelassen, dann hat man die Anfangsbedingungen x(0) = x0 Daraus ergibt sich c1 = x0 und c2 = a . 2w2 m x(t) = x0 cos wt + Der Summand a t cos wt 2wm und x′ (0) = 0 Die Lösung des Anfangswertproblems ist a 2w2 m sin wt − a t cos wt 2wm besagt, dass sich die Schwingung immer weiter aufschaukelt. Ganz analog funktioniert die Variation der Konstanten auch für lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung, zum Beispiel dritter Ordnung: x′′′ (t) + ax′′ (t) + bx′ (t) + cx(t) = f (t) Seien h1 (t), h2 (t) und h3 (t) die Basisfunktionen zum Polynom P (λ) = λ3 + aλ2 + bλ + c. Zu lösen ist folgendes lineare Gleichungssystem c′1 (t)h1 (t) + c′2 (t)h2 (t) + c′3 (t)h3 (t) = 0 c′1 (t)h′1 (t) + c′2 (t)h′2 (t) + c′3 (t)h′3 (t) = 0 c′1 (t)h′′1 (t) + c′2 (t)h′′2 (t) + c′3 (t)h′′3 (t) = f (t) Man bildet Stammfunktionen c1 (t), c2 (t) und c3 (t) der als Lösung gefundenen Funktionen c′1 (t), c′2 (t) und c′3 (t). Dann ist x̃(t) = c1 (t)h1 (t) + c2 (t)h2 (t) + c3 (t)h3 (t) eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung x′′′ (t) + ax′′ (t) + bx′ (t) + cx(t) = f (t). Beispiel. Wir lösen das Anfangswertproblem x′′′ (t)−3x′ (t)−2x(t) = 9e−t mit x(0) = 0, x (0) = 0 und x′′ (0) = 0. Das Polynom P (λ) = λ3 − 3λ − 2 hat die Nullstellen λ1 = 2 und λ2,3 = −1. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = e2t , h2 (t) = e−t und h3 (t) = te−t . Die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung ist c1 e2t + c2 e−t + c3 te−t mit c1 , c2 und c3 in R. ′ 16 2. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG Um eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung zu finden, berechnen wir noch h′3 (t) = e−t − te−t und h′′3 (t) = −2e−t + te−t . Zu lösen ist das lineare Gleichungssystem c′1 (t)e2t + c′2 (t)e−t + c′3 (t)te−t = 0 2c′1 (t)e2t − c′2 (t)e−t + c′3 (t)(e−t − te−t ) = 0 4c′1 (t)e2t + c′2 (t)e−t + c′3 (t)(−2e−t + te−t ) = 9e−t Die Summe der ersten beiden Gleichungen ist 3c′1 (t)e2t +c′3 (t)e−t = 0. Die Summe der letzten beiden Gleichungen ist 6c′1 (t)e2t − c′3 (t)e−t = 9e−t . Summiert man diese beiden Gleichungen, so hat man 9c′1 (t)e2t = 9e−t , woraus c′1 (t) = e−3t folgt. Setzt man oben ein, so erhält man c′3 (t) = −3 und c′2 (t) = 3t − 1. Stammfunktionen sind c1 (t) = − 31 e−3t , c2 (t) = 32 t2 − t und c3 (t) = −3t. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist daher x̃(t) = − 31 e−3t e2t + ( 23 t2 − t)e−t − 3t · te−t = (− 23 t2 − t − 13 )e−t Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist x(t) = c1 e2t + c2 e−t + c3 te−t − 32 t2 e−t da mit c1 , c 2 , c 3 ∈ R man −te−t mit c3 te−t und − 31 e−t mit c2 e−t zusammenziehen kann. Es gilt x(0) = c1 + c2 , x′ (0) = 2c1 − c2 + c3 und x′′ (0) = 4c1 + c2 − 2c3 − 3. Die Gleichungen c1 +c2 = 0, 2c1 −c2 +c3 = 0 und 4c1 +c2 −2c3 = 3 erhalten wir aus den Anfangsbedingungen. Das ist ein lineares Gleichungssystem in drei Variablen. Löst man es auf so erhält man c1 = 13 , c2 = − 13 und c3 = −1. Die Lösung des Anfangswertproblems ist x(t) = 13 e2t − ( 32 t2 + t + 31 )e−t KAPITEL 3 Systeme linearer Differentialgleichungen Bisher hatten die Lösungen x(t) der Differentialgleichungen Werte in R. Jetzt lassen wir Werte im R2 oder allgemeiner im Rn zu. Die Lösungen sind jetzt Abbildungen t 7→ x(t) von R oder einem Intervall nach R2 . Man kann diese Lösungen als Kurven im R2 auffassen. Wir bezeichnen die Komponenten des Vektors x(t) mit x1 (t) und x2 (t). Die Ableitung x′ (t) ( x′ (t) ) definieren wir komponentenweise, das heißt x′ (t) = x1′ (t) . 2 Ein homogenes System linearer Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten ist x′1 (t) = ax1 (t) + bx2 (t) Führen wir die Matrix A = (a b) c d x′2 (t) = cx1 (t) + dx2 (t) ein, so können wir dieses System schreiben als x′ (t) = Ax(t) Um Lösungen für Systeme linearer Differentialgleichungen zu finden, verwenden wir Eigenwerte und Eigenvektoren. Wir stellen die benötigten Resultate zusammen. 1. Eigenwerte und Eigenvektoren für 2 × 2-Matrizen Definition. Sei A eine Matrix. Ein Vektor v ̸= 0 heißt Eigenvektor der Matrix A, wenn Av = λv für eine Zahl λ gilt. Die Zahl λ nennt man Eigenwert der Matrix A. Wie finden wir Eigenwerte und Eigenvektoren? Wir können Ax = λx auch schreiben als (A − λI2 )x = 0. Dieses lineare Gleichungssystem hat nur dann eine Lösung ̸= 0, wenn det(A − λI2 ) = 0 gilt. Dann existiert ein Vektor v ̸= 0 mit (A − λI2 )v = 0, das heißt Av = λv. Somit ist v ein Eigenvektor und λ ein Eigenwert. Mit v erfüllt auch rv für alle Zahlen ( r )die Gleichung Ax = λx. ( Daher )sind auch alle Vielfachen von v Eigenvektoren. Ist b A = ac db , dann gilt A − λI2 = a−λ c d−λ und det(A − λI2 ) = (a − λ)(d − λ) − bc = λ2 − (a + d)λ + ad − bc (∗) Das ist ein Polynom in der Variablen λ. Man nennt es das charakteristische Polynom der Matrix A. Die Eigenwerte der Matrix A sind dann die Lösungen der quadratischen Gleichung λ2 −(a+d)λ+ad−bc = 0. Es gibt drei Fälle, entweder zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 , oder einen zweifachen reellen Eigenwert λ, oder zwei zueinander konjugiert komplexe Eigenwerte λ1,2 = α ± iβ. Fall 1: Die Matrix A hat zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 . Es existieren Eigenvektoren u ∈ R2 und v ∈ R2 zu diesen Eigenwerten. Sie sind ̸= 0 und es gilt Au = λ1 u und Av = λ2 v. Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = ru für ein r ∈ R \ {0} gelten, dann hätten wir auch Au = λ2 u und somit (λ1 − λ2 )u = 0, einen Widerspruch wegen λ1 ̸= λ2 und u ̸= 0. 17 18 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ( ) Beispiel. Sei A = 53 13( . Gesucht ) sind Eigenwerte und Eigenvektoren. 5−λ 1 Wir bilden A − λI2 = 3 3−λ und berechnen die Determinante (5 − λ)(3 − λ) − 3 = λ2 − 8λ + 12. Das ist das charakteristische Polynom von A. Die Nullstellen sind λ1 = 6 und λ2 = 2. Damit sind die Eigenwerte ) Matrix A gefunden. ( −1 1der Wir berechnen A − λ I = 3 −3 . Einen Eigenvektor u zum Eigenwert λ1 = 6 erhalten ( −1 11 )2 wir ( −1 als )Lösung von( 1 )3 −3 u = 0. Wir wählen u als Normalvektor der ersten Zeile ( −1der )Matrix 1 1 3 −3 , also u =( 1) . Da das auch ein Normalvektor der zweiten Zeile ist, ist 3 −3 u = 0 1 erfüllt. Somit ist 1 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ1 = 6. Jedes Vielfache dieses Vektors, außer dem Nullvektor, ist ebenfalls Eigenvektor. ( ) Ebenso berechnen wir A − λ2 I2 = 33 11 . Einen Eigenvektor ( 3 1 ) v zum Eigenwert ( −1 ) λ2 = 2 erhalten wir als Normalvektor der beiden Zeilen der Matrix 3 1 , also v = 3 . Fall 2: Die Matrix A hat einen zweifachen reellen Eigenwert λ. Wir nehmen an, dass A nicht gleich rI2 für ein r ∈ R ist, sonst zerfällt das Differentialgleichungssystem in zwei einzelne Differentialgleichungen. Dann existiert ein Eigenvektor u ∈ R2 \ {0}, für den Au = λu gilt, und ein Vektor v ∈ R2 \ {0}, für den Av = λv + u gilt. Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = ru für ein r ∈ R \ {0} gelten, dann hätten wir auch Au = (λ + 1r )u und somit 1r u = 0, ein Widerspruch. ( ) Wir zeigen, dass solche Vektoren u und v existieren. Dazu sei A = ac db . Da λ zweifacher Eigenwert ist, erhalten wir λ = 12 (a+d) und q 2 = −bc, wobei q = 21 (a−d) ist. Das charakteri( b ) stische Polynom in (∗) hat ja eine zweifache Nullstelle. Es folgt A − λI2 = qc −q . Ist c ̸= 0, (q) (1) dann wählen wir u = c und v = 0 . Es gilt dann (A − λI2 )u = 0 und (A − λI2 )v = u, das heißt Au( = )λu und Av( =) λv + u. Ist c = 0, dann gilt b ̸= 0, sonst wäre A = aI2 . Wir b wählen u = −q und v = 01 . Es gilt wieder Au = λu und Av = λv + u. ( 5 4) Beispiel. Sei A = −1 . Gesucht sind Eigenwerte und Eigenvektoren. (15−λ ) 4 Wir bilden A − λI2 = −1 1−λ und berechnen die Determinante (5 − λ)(1 − λ) + 4 = 2 λ − 6λ + 9. Das ist das charakteristische Polynom von A. Dieses Polynom hat λ = 3 als zweifache Nullstelle. Somit ist 3( ein zweifacher Eigenwert der Matrix A. ) ( 2 ) 2 4 Wir berechnen A − λI = . Nach obiger Rechnung können wir u = und 2 −1 −2 −1 (1) v = 0 wählen. Es gilt dann Au = λu und Av = λv + u. Fall 3: Die Matrix A hat konjugiert komplexe Eigenwerte α ± iβ mit β ̸= 0 (sonst wären die Eigenwerte nicht komplex). Zum Eigenwert α + iβ existiert ein Eigenvektor ∈ C2 , den wir als u + iv schreiben können mit u und v in R2 . Es gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv). Da Eigenvektoren ̸= 0 sind, können nicht beide u und v gleich 0 sein. Wir zeigen, dass beide ungleich 0 sind. Wäre v = 0, dann hätten wir Au = αu + iβu und wegen β ̸= 0 würde auch u = 0 folgen. Wäre u = 0, dann hätten wir iAv = iαv − βv und wegen β ̸= 0 würde auch v = 0 folgen (eine imaginäre Zahl kann ja nicht gleich einer reellen Zahl sein). Die beiden Vektoren u und v sind nicht parallel. Würde v = cu für ein c ∈ R \ {0} gelten, dann hätten wir auch A(1 + ic)u = (α + iβ)(1 + ic)u und somit Au = αu + iβu, ein Widerspruch wegen β ̸= 0 (eine reelle Zahl kann ja nicht gleich einer imaginären Zahl sein). ( ) Beispiel. Sei A = 45 (−2 sind Eigenwerte und Eigenvektoren. 2 . Gesucht ) 4−λ −2 Wir bilden A − λI2 = 5 2−λ und berechnen die Determinante (4 − λ)(2 − λ) + 10 = λ2 − 6λ + 18. Das ist das charakteristische Polynom von A. Die Nullstellen sind λ1 = 3 + 3i und λ2 = 3 − 3i. Damit sind die Eigenwerte der Matrix A gefunden. 2. HOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 19 ( 1−3i ) −2 Wir berechnen A − λ1 I2 =( 5 −1−3i ) . Einen Eigenvektor z zum Eigenwert λ1 = 3 + 3i 1−3i −2 erhalten wir als Lösung von) 5 −1−3i (z = )0. Wir wählen z als Normalvektor der ersten ( 1−3i −2 2 Zeile der Matrix , also z = 1−3i . Da der zweiten 5 −1−3i ( 1−3i −2 ) ( 2das ) auch ( 2 ) ein (Normalvektor ) 0 Zeile ist, ist 5 −1−3i z = 0 erfüllt. Somit ist 1−3i = 1 + i −3 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ1 = 3 + 3i. ( ) ( 2 ) (2) Ganz analog berechnet man, dass 1+3i = 1 + i 03 ein Eigenvektor zum Eigenwert λ2 = 3 − 3i ist. Man sieht, dass nicht nur die Eigenwerte, sondern auch die Eigenvektoren zueinander konjugiert komplex sind. 2. Homogene Systeme linearer Differentialgleichungen Ein homogenes System linearer Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten ist x′ (t) = Ax(t) Wir suchen Lösungen dieser Differentialgleichungssysteme. Satz 12. Seien x(t) und y(t) Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) und c1 und c2 in R. Dann ist z(t) = c1 x(t) + c2 y(t) ebenfalls eine Lösung dieses Systems. Beweis. Es gilt x′ (t) = Ax(t) und y′ (t) = Ay(t), da x(t) und y(t) Lösungen des Systems sind. Es folgt z′ (t) = c1 x′ (t) + c2 y′ (t) = c1 Ax(t) + c2 Ay(t) = A(c1 x(t) + c2 y(t)) = Az(t). Das zeigt, dass auch z(t) eine Lösung des Systems ist. Satz 13. Sei A eine 2×2-Matrix. Wir definieren r(t) und s(t) mit t ∈ R folgendermaßen: Hat A zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 mit Eigenvektoren u und v dann sei r(t) = eλ1 t u und s(t) = eλ2 t v Hat A einen zweifachen reellen Eigenwert λ mit Eigenvektor u und ist v ein Vektor, für den Av = λv + u gilt, dann sei r(t) = eλt u und s(t) = eλt v + teλt u Hat A den komplexen Eigenwert α + iβ mit Eigenvektor u + iv dann sei r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v und s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v Für beliebige c1 und c2 in R ist dann c1 r(t) + c2 s(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Beweis. Es genügt zu zeigen, dass r(t) und s(t) Lösungen sind. Wegen Satz 12 ist dann auch c1 r(t) + c2 s(t) eine Lösung. Wir gehen die drei Fälle durch. Im ersten Fall gilt r′ (t) = λ1 eλ1 t u und Ar(t) = Aeλ1 t u = eλ1 t Au = eλ1 t λ1 u. Damit ist r′ (t) = Ar(t) gezeigt. Genauso zeigt man, dass auch s′ (t) = As(t) gilt. Im zweiten Fall zeigt man genauso wie oben, dass r(t) eine Lösung ist. Für s(t) gilt s′ (t) = λeλt v + eλt u + λteλt u und As(t) = eλt Av + teλt Au = eλt (λv + u) + teλt λu. Damit ist auch s′ (t) = As(t) gezeigt. Im dritten Fall gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv) = αu + iβu + iαv − βv. Durch Vergleich von Real- und Imaginärteil ergibt sich Au = αu − βv und Av = βu + αv. Dann gilt r′ (t) = αeαt cos βt u − βeαt sin βt u − αeαt sin βt v − βeαt cos βt v und aus obigen Gleichungen folgt Ar(t) = eαt cos βt Au − eαt sin βt Av = eαt cos βt (αu − βv) − eαt sin βt (βu + αv). Damit ist r′ (t) = Ar(t) gezeigt. Genauso zeigt man, dass auch s′ (t) = As(t) gilt. 20 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN Anfangswertproblem: Um die in der Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) vorkommenden unbestimmten Konstanten c1 und c2 berechnen zu können, gibt man eine Anfangsbedingung x(t0 ) = x0 vor. Die Lösung x(t) ist an der Stelle t0 bekannt. Daraus berechnet man c1 und c2 . ( 5 8 ) Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) mit A = −2 −3 . Das charakteristische Polynom 2 ist (5 − λ)(−3 Es gilt ( 4 − )λ) + 16 = λ − 2λ (+ 41.)Somit ist λ = 1 ein zweifacher Eigenwert. (1) 8 A − λI2 = −2 −4 . Wir wählen u = −2 (erste Spalte der Matrix) und v = 0 . Dann gilt Au = λu und Av = λv + u. Nach Satz 13 sind ( 4 ) ( ) ( 4 ) x(t) = c1 et −2 + c2 (et 10 + tet −2 ) mit c1 , c 2 ∈ R ( −5 ) Lösungen des Differentialgleichungssystems. Wir wählen x(0) = 4 als Anfangsbedingung. Daraus ergibt sich 4c1 + c2 = −5 und − 2c1 = 4 Es folgt c1 = −2 und c2 = 3. Somit löst ( 4 ) ( 4 ) ( ) ( ) x(t) = −2et −2 + 3(et 10 + tet −2 ) = et −5+12t 4−6t das Anfangswertproblem. Wir zeigen, dass die in Satz 13 gefundenen Lösungen bereits alle Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) sind. Wir gehen genauso vor wie bei den linearen Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Lemma 14. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte Lösung des Systems x′ (t) = Ax(t) mit x(t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I. Dann gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I. ( ) Beweis. Sei A = ac db . Wir verwenden Lemma 5. Wir setzen K = 2|a| + |b| + |c| + 2|d| und σ : I → [0, ∞) sei definiert durch σ(t) = ∥x(t)∥2 = x1 (t)2 + x2 (t)2 . Wir berechnen σ ′ (t) = 2x1 (t)x′1 (t) + 2x2 (t)x′2 (t). Da x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) ist, erhalten wir σ ′ (t) = 2ax1 (t)2 + 2bx1 (t)x2 (t) + 2cx2 (t)x1 (t) + 2dx2 (t)2 . Mit Hilfe der Dreiecksungleichung folgt |σ ′ (t)| ≤ 2|a|x1 (t)2 + 2(|b| + |c|)|x1 (t)x2 (t)| + 2|d|x2 (t)2 . Und mit Hilfe der Ungleichung 2|x1 (t)x2 (t)| ≤ x1 (t)2 + x2 (t)2 erhalten wir schließlich |σ ′ (t)| ≤ (2|a| + |b| + |c|)x1 (t)2 + (|b| + |c| + 2|d|)x2 (t)2 ≤ K(x1 (t)2 + x2 (t)2 ) = Kσ(t). Weiters gilt σ(t0 ) = ∥x(t0 )∥2 = 0, da ja x(t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5 erhalten wir, dass σ(t) = ∥x(t)∥2 = 0 für alle t ∈ I gilt. Es folgt x(t) = 0 für alle t ∈ I. Satz 15. Seien r(t) und s(t) auf ganz R definierte Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Es gelte (diese Determinante heißt Wronskideterminante) r1 (t) s1 (t) ̸= 0 für alle t ∈ R det(r(t), s(t)) = r2 (t) s2 (t) Ist jetzt x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t), die auf einem offenen Intervall I definiert ist, dann existieren c1 und c2 in R, sodass x(t) = c1 r(t) + c2 s(t) für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R definiert ist (sollte I ̸= R sein). Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Dann existieren c1 und c2 in R mit c1 r1 (t0 ) + c2 s1 (t0 ) = x1 (t0 ) c1 r2 (t0 ) + c2 s2 (t0 ) = x2 (t0 ) das heißt c1 r(t0 ) + c2 s(t0 ) = x(t0 ) da die Determinante dieses linearen Gleichungssystems nach Voraussetzung ungleich null ist. 2. HOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 21 Sei y(t) = c1 r(t) + c2 s(t) − x(t) für t ∈ I. Da c1 r(t) + c2 s(t) nach Satz 12 und x(t) nach Voraussetzung Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) sind, ist y(t) wegen Satz 12 ebenfalls eine Lösung. Außerdem wurden c1 und c2 so gewählt, dass y(t0 ) = 0 gilt. Aus Lemma 14 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist dann auch x(t) = c1 r(t) + c2 s(t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine Lösung steht, die auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t) fortsetzen zu einer auf ganz R definierten Lösung. Satz 16. Sei A eine 2 × 2-Matrix und r(t) und s(t) wie in Satz 13 definiert. Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Beweis. In Satz 13 wurde bereits gezeigt, dass r(t) und s(t) und damit auch c1 r(t) + c2 s(t) für alle c1 , c2 ∈ R Lösungen des Differentialgleichungssystems sind. Wegen Satz 15 genügt es zu zeigen, dass det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gilt. Wir untersuchen die drei Fälle, die in Satz 13 unterschieden werden. Hat A zwei verschiedene reelle Eigenwerte λ1 und λ2 mit Eigenvektoren u und v dann gilt r(t) = eλ1 t u und s(t) = eλ2 t v. Es folgt det(r(t), s(t)) = eλ1 t eλ2 t det(u, v). Da die Vektoren u und v nicht parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Es folgt det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R. Hat A einen zweifachen reellen Eigenwert λ mit Eigenvektor u und ist v ein Vektor, für den Av = λv + u gilt, dann gilt r(t) = eλt u und s(t) = eλt v + teλt u. Wir erhalten dann det(r(t), s(t)) = det(eλt u, eλt v) + det(eλt u, teλt u) = e2λt det(u, v). Da die Vektoren u und v nicht parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Damit ist det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gezeigt. Hat A schließlich den komplexen Eigenwert α + iβ mit Eigenvektor u + iv, dann gilt r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v und s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v. Rechnen mit Determinanten ergibt det(r(t), s(t)) = det(eαt cos βt u, eαt cos βt v) − det(eαt sin βt v, eαt sin βt u) = e2αt cos2 βt det(u, v) − e2αt sin2 βt det(v, u) = e2αt det(u, v). Da die Vektoren u und v nicht parallel sind, gilt det(u, v) ̸= 0. Damit ist det(r(t), s(t)) ̸= 0 für alle t ∈ R gezeigt. ( ) 3 2 Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) mit A = −1 1 . Das charakteristische Polynom ist 2 (3 − λ)(1 −(λ) + 2 =) λ − 4λ + 5. Somit ist Eigenwert. Es gilt ( λ2 =) 2 +( i 2ein ) komplexer (0) 2 . Ein Eigenvektor ist A − λI2 = 1−i = + i (ein Normalvektor zur −1 −1+i 1 −1 −1−i ersten Zeile der Matrix). Nach Satz 16 ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen, wobei ( 2 ) ( ) ( 2 ) ( ) r(t) = e2t cos t −1 − e2t sin t 01 und s(t) = e2t sin t −1 + e2t cos t 01 ( ) Wir wählen x( π2 ) = 20 als Anfangsbedingung. Daraus ergeben sich die beiden Gleichungen eπ · 2c2 = 2 und eπ (−c1 − c2 ) = 0. Es folgt c1 = −e−π und c2 = e−π . Die in Satz 13 angegebenen Lösungen eines Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit einer 2 × 2-Matrix A enthalten die früher definierten Basisfunktionen h1 (t) und h2 (t) des charakteristischen Polynoms P (λ) der Matrix A. Für die beiden Komponenten x1 (t) und x2 (t) einer Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) existieren Konstanten a1 , a2 , b1 , b2 aus R, sodass x1 (t) = a1 h1 (t) + a2 h2 (t) und x2 (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) gilt. Das trifft in allen drei in Satz 13 unterschiedenen Fällen zu. Dieses Resultat gilt auch für ein Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) mit einer n × n-Matrix A. Das charakteristische Polynom P (λ) der Matrix A hat Grad n. Somit hat es auch n Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t). Man kann zeigen: Für die Komponenten x1 (t), x2 (t), . . . , xn (t) einer Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) gilt 22 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN dann x1 (t) = a1 h1 (t) + a2 h2 (t) + · · · + an hn (t), x2 (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) + · · · + bn hn (t) und so weiter, wobei die Koeffizienten a1 , a2 , . . . , an , b1 , b2 , . . . , bn aus R sind. Einen Ausdruck der Form a1 h1 (t) + a2 h2 (t) + · · · + an hn (t) mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R nennt man eine Linearkombination der Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t). Daher kann man dieses Resultat folgendermaßen formulieren (den Beweis lassen wir weg, da er zu schwierig ist) Satz 17. Sei A eine n × n-Matrix und P (λ) das charakteristische Polynom dieser Matrix. Seien h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zu P (λ). Jede Komponente xj (t) einer Lösung x(t) des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) ist dann eine Linearkombination der Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t). Das folgende Beispiel zeigt, wie man diesen Satz zum Lösen eines Differentialgleichungssystems verwenden kann. ( −1 1 −2 ) ′ Beispiel. Wir lösen x (t) = Ax(t) mit A = 4 1 0 . Das charakteristische Polynom 2 1 −1 ist (−1 − λ)(1 − λ)(−1 − λ) − 8 − 4(−1 − λ) + 4(1 − λ) = −(λ − 1)(λ + 1)2 . Somit ist 1 ein einfacher und −1 ein zweifacher Eigenwert. Die Basisfunktionen sind h1 (t) = et , h2 (t) = e−t und h1 (t) = te−t . Wir verwenden Satz 17. Jede Komponente einer Lösung des Differentialgleichungssystems ist eine Linearkombination der Basisfunktionen. Es gilt also x1 (t) = a1 et + a2 e−t + a3 te−t x2 (t) = b1 et + b2 e−t + b3 te−t x3 (t) = c1 et + c2 e−t + c3 te−t wobei a1 , a2 , a3 , b1 , b2 , b3 , c1 , c2 und c3 unbestimmte Konstanten aus R sind. Setzt man x1 (t), x2 (t) und x3 (t) in das Differentialgleichungssystem ein, so hat man a1 et − a2 e−t +a3 e−t − a3 te−t = −a1 et − a2 e−t − a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t − 2c1 et − 2c2 e−t − 2c3 te−t b1 et − b2 e−t +b3 e−t − b3 te−t = 4a1 et + 4a2 e−t + 4a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t c1 et − c2 e−t +c3 e−t − c3 te−t = 2a1 et + 2a2 e−t + 2a3 te−t + b1 et + b2 e−t + b3 te−t − c1 et − c2 e−t − c3 te−t Vergleicht man die Koeffizienten der Funktionen et , e−t und te−t in diesen drei Gleichungen, so erhält man a1 = −a1 + b1 − 2c1 b1 = 4a1 + b1 c1 = 2a1 + b1 − c1 −a2 + a3 = −a2 + b2 − 2c2 −b2 + b3 = 4a2 + b2 −c2 + c3 = 2a2 + b2 − c2 −a3 = −a3 + b3 − 2c3 −b3 = 4a3 + b3 −c3 = 2a3 + b3 − c3 Die drei links stehenden Gleichungen (die dritte Gleichung folgt aus den beiden ersten) sind äquivalent zu a1 = 0 und b1 = 2c1 . Die drei rechts stehenden Gleichungen (die dritte Gleichung folgt aus der zweiten) sind äquivalent zu b3 = 2c3 und 2a3 = −b3 . Aus den drei in der Mitte stehenden Gleichungen folgt b2 = 2c2 + a3 , 4a2 + 2b2 = b3 und 2a2 + b2 = c3 . Diese letzte Gleichung ist identisch mit der vorletzten und kann daher weggelassen werden, da b3 = 2c3 gilt. Von den neun ursprünglichen Gleichungen bleiben somit sechs übrig. Diese verwenden wir, um alle unbestimmten Koeffizienten durch c1 , c2 und c3 auszudrücken. wir erhalten a1 = 0, b1 = 2c1 , b3 = 2c3 , a3 = − 21 b3 = −c3 , b2 = 2c2 − c3 und a2 = 14 b3 − 12 b2 = 3. INHOMOGENE SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 23 − c2 + 12 c3 = c3 − c2 . Setzt man das oben ein, so hat man die allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystems. 1 c 2 3 x1 (t) = (c3 − c2 )e−t − c3 te−t x2 (t) = 2c1 et + (2c2 − c3 )e−t + 2c3 te−t x1 (t) = c1 et + c2 e−t + c3 te−t Man kann sie auch in Vektorschreibweise aufschreiben ( 1−t ) ( −1 ) ( ) 0 x(t) = c1 et 2 + c2 e−t 2 + c3 e−t −1+2t 1 1 t mit c1 , c 2 , c 3 ∈ R Damit haben wir die Lösung in der gewohnten Form geschrieben. Sie enthält drei unbestimmte Konstanten. 3. Inhomogene Systeme linearer Differentialgleichungen Das inhomogene Differentialgleichungssystem ist x′1 (t) = ax1 (t) + bx2 (t) + g1 (t) x′2 (t) = cx1 (t) + dx2 (t) + g2 (t) ( ) ( ) Führen wir die Matrix A = ac db und den Vektor g(t) = gg12 (t) (t) ein, so können wir dieses System schreiben als x′ (t) = Ax(t) + g(t) Wir gehen genauso vor wie für lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Satz 18. Sei x̃(t) eine (spezielle oder partikuläre) Lösung des inhomogenen Systems x (t) = Ax(t) + g(t). Sei L die Menge aller Lösungen des zugehörigen homogenen Systems x′ (t) = Ax(t). Dann ist {x̃(t) + z(t) : z(t) ∈ L} die Menge aller Lösungen des inhomogenen Systems x′ (t) = Ax(t) + g(t). ′ Beweis. Wir zeigen zuerst, dass x̃(t) + z(t) mit z(t) ∈ L eine Lösung des inhomogenen Systems ist. Es gilt (x̃(t)+z(t))′ = x̃′ (t)+z′ (t) = Ax̃(t)+g(t)+Az(t) = A(x̃(t)+z(t))+g(t), womit der Nachweis gelungen ist. Sei jetzt x(t) eine beliebige Lösung des inhomogenen Systems. Wir setzen z(t) = x(t) − x̃(t). Dann gilt z′ (t) = x′ (t) − x̃′ (t) = Ax(t) + g(t) − (Ax̃(t) + g(t)) = Ax(t) − Ax̃(t) = Az(t). Somit gilt z(t) ∈ L. Ausserdem gilt x(t) = x̃(t) + z(t). Jede Lösung x(t) des inhomogenen Differentialgleichungssystems lässt sich in der gewünschten Form schreiben. Wegen Satz 18 genügt es eine spezielle Lösung des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t) zu finden. Dafür verwenden wir die Variation der Konstanten. Satz 19. Sei A eine 2 × 2-Matrix und r(t) und s(t) wie in Satz 13 definiert. Seien c1 (t) und c2 (t) Funktionen, für die gilt c′1 (t)r(t) + c′2 (t)s(t) = g(t) das heißt c′1 (t)r1 (t) + c′2 (t)s1 (t) = g1 (t) c′1 (t)r2 (t) + c′2 (t)s2 (t) = g2 (t) Dann ist x̃(t) = c1 (t)r(t) + c2 (t)s(t) eine Lösung des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t). 24 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN Beweis. Es gilt x̃′ (t) = c′1 (t)r(t)+c1 (t)r′ (t)+c′2 (t)s(t)+c2 (t)s′ (t). Nun wurden c1 (t) und c2 (t) so gewählt, dass c′1 (t)r(t) + c′2 (t)s(t) = g(t) gilt. Es folgt x̃′ (t) = c1 (t)r′ (t) + c2 (t)s′ (t) + g(t). Da r(t) und s(t) Lösungen des homogenen Systems sind, erhalten wir r′ (t) = Ar(t) und s′ (t) = As(t). Es folgt x̃′ (t) = c1 (t)Ar(t)+c2 (t)As(t)+g(t) = A(c1 (t)r(t)+c2 (t)s(t))+g(t) = Ax̃(t) + g(t). Damit ist gezeigt, dass x̃(t) eine Lösung des inhomogenen Systems ist. Bemerkung: Das lineare Gleichungssystem in Satz 19 ist immer lösbar. Die Determinante ist die Wronskideterminante. Im Beweis von Satz 16 wurde gezeigt, dass sie ̸= 0 ist. ( 5) ( ) Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) + g(t) mit A = −2 und g(t) = et 91 . Das −1 4 charakteristische Polynom der Matrix A ist (−2 − λ)(4(− λ))+ 5 = λ2 − 2λ − (3. Somit ) sind −1 5 −5 5 λ1 = −1 und λ = 3 die Eigenwerte. Es gilt A − λ I = und A − λ I = 1 2 2 2 −1 5 −1 1 . Somit (5) 2 (1) sind u = 1 und v = 1 Eigenvektoren zu λ1 = −1 und λ2 = 3. Nach Satz 16 sind ( ) ( ) x(t) = c1 e−t 51 + c2 e3t 11 mit c1 , c 2 ∈ R alle Lösungen des homogenen Differentialgleichungssystems. Mit Hilfe von Satz 19 suchen wir eine Lösung des inhomegenen Differentialgleichungssystems. Dazu lösen wir 5c′1 (t)e−t + c′2 (t)e3t = 9et c′1 (t)e−t + c′2 (t)e3t = et Subtrahiert man die zweite von der ersten Gleichung, so erhält man 4c′1 (t)e−t = 8et und daraus c′1 (t) = 2e2t . Subtrahiert man die erste vom Fünffachen der zweiten Gleichung, so 2t erhält man 4c′2 (t)e3t = −4et und daraus c′2 (t) = (−e)−2t . Stammfunktionen ( ) ( sind ) c1 (t) = e 1 −2t 1 −2t 3t 1 1 t 11 2t −t 5 und c2 (t) = 2 e . Nach Satz 19 ist x̃(t) = e e 1 + 2 e e 1 = 2 e 3 eine Lösung des inhomogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) + g(t). Nach Satz 18 sind dann ( ) ( ) ( ) x(t) = c1 e−t 51 + c2 e3t 11 + 12 et 11 mit c1 , c 2 ∈ R 3 alle Lösungen des inhomogenen Systems. Die Sätze 18 und 19 lassen sich leicht in höhere Dimensionen übertragen. Wir rechnen dazu ein Beispiel. ( −1 1 −2 ) ( −t ) Beispiel. Wir lösen x′ (t) = Ax(t) + g(t) mit A = 4 1 0 und g(t) = 5−2t . In 2 1 −1 3−t einem früheren Beispiel haben wir die Lösung des homogenen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) berechnet ( ) ( ) ( 1−t ) −t t 0 −t −1 −1+2t 2 mit c1 , c2 , c3 ∈ R + c3 e x(t) = c1 e 2 + c2 e 1 1 t ′ Um das inhomogene Differentialgleichungssystem x (t) = Ax(t) + g(t) zu lösen, verwenden wir die Sätze 18 und 19. Nach Satz 19 ist folgendes lineare Gleichungssystem zu lösen − c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t (1 − t) = −t 2c′1 (t)et + 2c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t (−1 + 2t) = 5 − 2t c′1 (t)et + c′2 (t)e−t + c′3 (t)e−t t =3−t Subtrahiert man das zweifache der dritten Gleichung von der zweiten Gleichung, dann hat man −c′3 (t)e−t = −1, also c′3 (t) = et . Die erste Gleichung ergibt −c′2 (t)e−t + 1 − t = −t oder c′2 (t) = et . Aus der dritten Gleichung folgt schließlich c′1 (t)et + 1 + t = 3 − t oder 4. EIN ANDERER ZUGANG ZU HOMOGENEN SYSTEMEN 25 c′1 (t) = (2 − 2t)e−t . Die Stammfunktionen sind c1 (t) = 2te−t , c2 (t) = et und c3 (t) = et . Eine spezielle Lösung des inhomogenen Systems x′ (t) = Ax(t) + g(t) ist daher ( −1 ) ( 1−t ) ( ) ( ) ( −1 ) ( 1−t ) ( −t ) 0 0 x̃(t) = 2te−t et 2 + et e−t 2 + et e−t −1+2t = 2t 2 + 2 + −1+2t = 1+6t 1 1 1 t Nach Satz 18 sind dann ( −1 ) ( 1−t ) ( −t ) ( ) 0 x(t) = c1 et 2 + c2 e−t 2 + c3 e−t −1+2t + 1+6t 1 1 t 1+3t 1 t mit 1+3t c1 , c 2 , c 3 ∈ R alle Lösungen des inhomogenen Systems. Beispiel. Wir behandeln ein Stromnetz aus zwei Schleifen, das zwei Widerstände von R1 Ohm und R2 Ohm enthält und zwei Spulen mit Induktivität L1 und L2 . Es ist an eine Spannungsquelle angeschlossen. Dieses Stromnetz sieht so aus R1 E ⃝ R2 L1 L2 Sei I(t) der Strom, der zum Zeitpunkt t von der Spannunngsquelle durch den Widerstand R1 fließt. Er spaltet sich in den Strom I1 (t), der durch die Spule L1 fließt, und den Strom I2 (t), der durch den Widerstand R2 und die Spule L2 fließt. Es gilt I(t) = I1 (t) + I2 (t). Die von den Widerständen verursachten Spannungen sind U1 (t) = R1 I(t) und U2 (t) = R2 I2 (t). Die von den Spulen verursachten Spannungen sind U3 (t) = L1 I1′ (t) und U4 (t) = L2 I2′ (t). Für die beiden Schleifen, aus denen das Stromnetz besteht, können wir Gleichungen für die Spannungen aufstellen. In der linken Schleife ist die angelegte Spannung E(t) gleich den von Widerstand und Spule verursachten Spannungen. Es gilt also E(t) = U1 (t) + U3 (t). In der rechten Schleife müssen die Spannungen zwischen den Verzweigungspunkten entlang beider Verbindungswege gleich groß sein. Es gilt also U3 (t) = U2 (t)+U4 (t). Es folgt E(t) = R1 I(t)+ L1 I1′ (t) und L1 I1′ (t) = R2 I2 (t) + L2 I2′ (t). Wir erhalten das Differentialgleichungssystem 1 I1′ (t) = − R I (t) − L1 1 1 I2′ (t) = − R I (t) − L2 1 R1 I (t) + L11 E(t) L1 2 R1 +R2 I2 (t) + L12 E(t) L2 ( ) −p R1 R1 Die Matrix dieses Differentialgleichungssystems ist A = −p −q −q−r mit p = L1 , q = L2 und 2 r=R . Das charakteristische Polynom ist λ2 +(p+q+r)λ+pr. Man erhält negative reelle EiL2 genwerte wegen 0 < (p+q+r)2 −4pr < (p+q+r)2 . Es folgt, dass die Lösungen des homogenen Systems für t → ∞ gegen Null gehen. Der Einfluss der Anfangsbedingungen verschwindet. Es bleibt eine Lösung des inhomogenen Systems. Ist E(t) = E konstant (Gleichspannung), dann stellen sich konstante Ströme I1 (t) = RE1 und I2 (t) = 0 ein. Ist E(t) = sin ωt mit ω ∈ R (Wechselspannung), dann stellen sich Wechsleströme mit verschobener Phase ein. 4. Ein anderer Zugang zu homogenen Systemen Sei A eine 2 × 2-Matrix. In Kapitel 1 wurden zur Matrix A in allen drei dort behandelten Fällen Vektoren u und v im R2 gefunden, die ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind. 26 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN Ist x im R2 beliebig, dann existieren d1 und d2 in R, sodass x = d1 u + d2 v gilt. Die Zahlen d1 und d2 sind Lösungen des linearen Gleichungssystems x1 = d1 u1 + d2 v1 x2 = d1 u2 + d2 v2 2 v1 2 x1 das sind d1 = ux11 vv22 −x und d2 = uu11xv22 −u . Der Nenner ist ungleich 0, da die Vektoren u −u2 v1 −u2 v1 und v nicht parallel zueinander sind. Wir wenden diese Darstellung auf eine Funktion t 7→ x(t) an. Man kann so eine Funktion als Kurve im R2 auffassen. Zum Zeitpunkt t befindet man sich im Punkt x(t). Es gilt x(t) = p(t)u + q(t)v 2 x1 (t) 2 −x2 (t)v1 mit p(t) = x1 (t)v und q(t) = u1 xu21(t)−u . Daraus erkennt man auch, dass p(t) und u1 v2 −u2 v1 v2 −u2 v1 q(t) differenzierbare Funktionen sind, wenn x1 (t) und x2 (t) differenzierbar sind. Mit dieser Darstellung von x(t) gehen wir in das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t). Wir behandeln die drei Fälle, die in Kapitel 1 unterschieden werden, in den drei folgenden Sätzen. Satz 20. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen reellen Eigenwerten λ1 und λ2 . Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Wir setzen r(t) = eλ1 t u und s(t) = eλ2 t v Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach R . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t) und q(t). Es gilt x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au + q(t)Av = p(t)λ1 u + q(t)λ2 v. Das Differentialgleichungssystem 2 x′ (t) = Ax(t) (1) ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)λ1 )u = −(q ′ (t) − q(t)λ2 )v gilt. Da die Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das wieder äquivalent zu (2) p′ (t) = λ1 p(t) und q ′ (t) = λ2 q(t) Nach Satz 1 sind die beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn gilt (3) p(t) = c1 eλ1 t und q(t) = c2 eλ2 t mit c1 , c 2 ∈ R Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3) gilt. Damit ist der Satz bewiesen. Satz 21. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit einem zweifachen reellen Eigenwert λ. Sei u ein Eigenvektor zum Eigenwert λ und v ein Vektor, für den Av = λv + u gilt. Wir setzen r(t) = eλt u und s(t) = eλt v + teλt u Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach R . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t) 2 4. EIN ANDERER ZUGANG ZU HOMOGENEN SYSTEMEN 27 und q(t). Es gilt x′ (t) = p′ (t)u+q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au+q(t)Av = p(t)λu+q(t)λv+q(t)u. Das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) (1) ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)λ − q(t))u = −(q ′ (t) − q(t)λ)v gilt. Da die Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das wieder äquivalent zu (2) p′ (t) = λp(t) + q(t) q ′ (t) = λq(t) und Nach Satz 1 ist die zweite der beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn q(t) = c2 eλt mit∫c2 ∈ R gilt. Nachdem q(t) bestimmt ist, ist die erste genau dann erfüllt, wenn p(t) = eλt ( c2 eλt e−λt dt + c1 ) = eλt (c2 t + c1 ) mit c1 ∈ R gilt. Also ist (2) äquivalent zu (3) p(t) = c1 eλt + c2 teλt und q(t) = c2 eλt mit c1 , c 2 ∈ R Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3) gilt. Damit ist der Satz bewiesen. Satz 22. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit komplexem Eigenwert α + iβ. Sei u + iv ein zugehöriger Eigenvektor. Wir setzen r(t) = eαt cos βt u − eαt sin βt v und s(t) = eαt sin βt u + eαt cos βt v Dann ist {c1 r(t) + c2 s(t) : c1 , c2 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Beweis. Es gilt A(u + iv) = (α + iβ)(u + iv) = αu + iβu + iαv − βv. Durch Vergleich von Real- und Imaginärteil ergibt sich Au = αu − βv und Av = βu + αv. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall nach R2 . Wir schreiben sie als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t) und q(t). Es gilt x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und Ax(t) = p(t)Au + q(t)Av = p(t)αu − p(t)βv + q(t)βu + q(t)αv. Das Differentialgleichungssystem (1) x′ (t) = Ax(t) ist genau dann erfüllt, wenn (p′ (t) − p(t)α − q(t)β)u = −(q ′ (t) + p(t)β − q(t)α)v gilt. Da die Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das äquivalent zu (2) p′ (t) = αp(t) + βq(t) und q ′ (t) = αq(t) − βp(t) Wir müssen die Funktionen p(t) und q(t) finden, die die Differentialgleichungen in (2) lösen. Wir differenzieren die erste Gleichung und erhalten p′′ (t) = αp′ (t) + βq ′ (t). Wir addieren dazu das β-fache der zweiten Gleichung und subtrahieren das α-fache der ersten Gleichung. Das ergibt p′′ (t)−2αp′ (t)+(α2 +β 2 )p(t) = 0. Das Polynom P (λ) = λ2 −2αλ+α2 +β 2 hat die konjugiert komplexen Nullstellen α±iβ. Nach Satz 8 muss p(t) = c1 eαt cos βt+c2 eαt sin βt mit c1 , c2 ∈ R gelten. Das in (2) einsetzen. Nach Satz 1 muss ∫ können wir in die zweite Gleichung αt αt dann q(t) = e (− βc1 cos βt + βc2 sin βt dt + d) = e (−c1 sin βt + c2 cos βt + d) mit d ∈ R gelten. Nur diese Funktionen p(t) und q(t) kommen als Lösungen der Differentialgleichungen in (2) in Frage. Wir setzen sie in (2) ein und sehen, dass d = 0 sein muss. Dann sind p(t) und q(t) tatsächlich Lösungen. Also ist (2) äquivalent zu (3) p(t) = c1 eαt cos βt + c2 eαt sin βt und q(t) = c2 eαt cos βt − c1 eαt sin βt mit c1 , c2 ∈ R Somit erfüllt x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3) gilt. Damit ist der Satz bewiesen. 28 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 5. Systeme zweiter Ordnung Bei Bewegungsgleichungen in der Physik tritt die zweite Ableitung (Beschleunigung) auf. Hat man mehrere aneinander gekoppelte schwingende Körper, dann führt das zu Systemen zweiter Ordnung. Man kann sie durch Einführen der Geschwindigkeiten als neue Funktionen auf Systeme erster Ordnung zurückführen, aber manche Systeme zweiter Ordnung lassen sich einfacher direkt lösen. Satz 23. Sei a ∈ R und B eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen reellen Eigenwerten φ1 und φ2 . Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Weiters seien g1 (t) und g2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom G(λ) = λ2 + aλ + φ1 und h1 (t) und h2 (t) die Basisfunktionen zum Polynom H(λ) = λ2 + aλ + φ2 . Dann ist {c1 g1 (t)u + c2 g2 (t)u + c3 h1 (t)v + c4 h2 (t)v : c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′′ (t) + ax′ (t) + Bx(t) = 0. Beweis. Sei t 7→ x(t) eine beliebige differenzierbare Funktion von einem Intervall in den R2 . Wir können sie schreiben als x(t) = p(t)u + q(t)v mit differenzierbaren Funktionen p(t) und q(t). Es gilt dann einerseits x′ (t) = p′ (t)u + q ′ (t)v und x′′ (t) = p′′ (t)u + q ′′ (t)v und andererseits Bx(t) = p(t)Bu+q(t)Bv = p(t)φ1 u+q(t)φ2 v. Das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + ax′ (t) + Bx(t) = 0 (1) ist genau dann erfüllt, wenn (p′′ (t) + ap′ (t) + φ1 p(t))u = −(q ′′ (t) + aq ′ (t) + φ2 q(t))v gilt. Da die Vektoren u und v ungleich 0 und nicht parallel zueinander sind, ist das äquivalent zu (2) p′′ (t) + ap′ (t) + φ1 p(t) = 0 und q ′′ (t) + aq ′ (t) + φ2 q(t) = 0 Nach Satz 8 sind die beiden Differentialgleichungen in (2) genau dann erfüllt, wenn gilt (3) p(t) = c1 g1 (t) + c2 g2 (t) und q(t) = c3 h1 (t) + c4 h2 (t) mit c1 , c 2 , c 3 , c 4 ∈ R Somit löst x(t) = p(t)u + q(t)v das Differentialgleichungssystem (1) genau dann, wenn (3) gilt. Damit ist der Satz bewiesen. Satz 24. Sei B eine 2 × 2-Matrix mit zwei verschiedenen positiven Eigenwerten φ1 = ω12 und φ2 = ω22 . Seien u und v zugehörige Eigenvektoren. Dann ist {c1 cos ω1 t u + c2 sin ω1 t u + c3 cos ω2 t v + c4 sin ω2 t v : c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R} die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′′ (t) + Bx(t) = 0. Beweis. Das ist ein Spezialfall von Satz 23. Die beiden Polynome sind G(λ) = λ2 + ω12 und H(λ) = λ2 + ω22 . Die Basisfunktionen zum Polynom G(λ) sind g1 (t) = cos ω1 t und g2 (t) = sin ω1 t. Die Basisfunktionen zum Polynom H(λ) sind h1 (t) = cos ω2 t und h2 (t) = sin ω2 t. Man kann diese Resultate auch auf höhere Dimensionen ausdehnen, zum Beispiel für x(t) ∈ R3 und eine 3 × 3-Matrix B mit drei verschiedenen positiven Eigenwerten φ1 = ω12 , φ2 = ω22 und φ3 = ω32 . Seien u, v und w zugehörige Eigenvektoren. Dann ist c1 cos ω1 t u + c2 sin ω1 t u + c3 cos ω2 t v + c4 sin ω2 t v + c5 cos ω3 t w + c6 sin ω3 t w mit c1 , c2 , c3 , c4 , c5 , c6 ∈ R die Menge aller Lösungen des Differentialgleichungssystems x′′ (t) + Bx(t) = 0. 5. SYSTEME ZWEITER ORDNUNG 29 Beispiel. Wir untersuchen zwei schwingende Körper der Masse m, die sich entlang der x-Achse bewegen. /\ /\ /\ /\ /\ /\ −/\\//\\//\\//\\//\\//\\/− − \/ \/ \/ \/ \/ \/− ⃝ ⃝ Der erste Körper ist an einer fixierten Feder befestigt. Der zweite Körper ist durch eine Feder mit dem ersten Körper verbunden. Beide Federn haben die gleiche Federkonstante k. Seien x1 (t) und x2 (t) die Auslenkungen der beiden Körper aus der Ruhelage zum Zeitpunkt t. Die Kräfte, die auf den ersten Körper wirken, sind −kx1 (t) und −k(x1 (t) − x2 (t)). Auf den zweiten Körper wirkt die Kraft −k(x2 (t) − x1 (t)). Die Reibung wird vernachlässigt. Daraus ergeben sich die Bewegungsgleichungen mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t)) mx′′2 (t) = −k(x2 (t) − x1 (t)) ( 2 −1 ) k Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B = m −1 1 . Der k Einfachheit halber nehmen wir an, dass m = 1 gilt. Das charakteristische Polynom der √ √ 5 3 2 2 Matrix B ist P (λ) = λ − 3λ + 1. Die Eigenwerte sind ω1 = 2 + 2 und ω22 √= 32 − 25 . ( ) ( ) Zugehörige Eigenvektoren sind u = 1−2√5 und v = 1+2√5 . Es folgt ω1 = 25 + 12 und √ ω2 = 25 − 12 . Die allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystem ist nach Satz 24 √ √ √ √ ( 2 ) ( 2 ) 5+1 5−1 5−1 √ √ x(t) = (c1 cos 5+1 t + c sin t) t + c sin t) + (c cos 2 4 3 1− 5 1+ 5 2 2 2 2 mit c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R. Die Auslenkungen der beiden Körper zum Zeitpunkt 0 seien p und q. Die Anfangsgeschwindigkeiten seien null. Das ergibt die Anfangsbedingungen ( ) und x′ (0) = 0 x(0) = pq Aus der zweiten Gleichung folgt c2 = 0 und c4 √= 0. Aus der ersten√folgt 2c1 + 2c3 = p und √ √ √ √ (1 − 5)c1 + (1 + 5)c3 = q. Das ergibt c1 = ( 5+1)p−2q und c3 = ( 5−1)p+2q . Somit ist 4 5 4 5 √ √ √ √ ) ) ( ( √ √ cos 5+1 cos 5−1 x(t) = ( 5+1)p−2q t 1−2√5 + ( 5−1)p+2q t 1+2√5 2 2 4 5 4 5 die Lösung des Anfangswertproblems. Beispiel. Wir haben wieder zwei schwingende Körper der Masse m, die sich entlang der x-Achse bewegen. /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ /\ − /\ /\ /\ /\ /\ /\ − − − − − \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ \/ ⃝ ⃝ Der erste Körper ist an einer fixierten Feder befestigt. Der zweite Körper ist durch eine Feder mit dem ersten Körper verbunden. Der zweite Körper ist jetzt ebenfalls mit einer fixierten Feder verbunden. Alle drei Federn haben die gleiche Federkonstante k. Seien x1 (t) und x2 (t) die Auslenkungen der beiden Körper aus der Ruhelage zum Zeitpunkt t. Die Kräfte, die auf den ersten Körper wirken, sind −kx1 (t) und −k(x1 (t) − x2 (t)). Auf den zweiten Körper wirken die Kräfte −k(x2 (t) − x1 (t)) und −kx2 (t). Die Reibung wird vernachlässigt. Daraus ergeben sich die Bewegungsgleichungen mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t)) mx′′2 (t) = −kx2 (t) − k(x2 (t) − x1 (t)) 30 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN ( 2 −1 ) k Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B = m −1 2 . Der k Einfachheit halber nehmen wir an, dass m = 1 gilt. Das charakteristische Polynom der 2 2 2 Matrix ( −1B) ist P (λ) =( 1λ) − 4λ + 3. Die Eigenwerte sind ω1 = 3 und ω2 = 1 mit Eigenvektoren u = 1 und v = 1 . Die allgemeine Lösung des Systems ist nach Satz 24 √ ( ) √ (1) + (c cos t + c sin t) x(t) = (c1 cos 3t + c2 sin 3t) −1 3 4 1 1 mit c1 , c2 , c3 , c4 ∈ R. Die Auslenkungen der beiden Körper zum Zeitpunkt 0 seien p und q. Die Anfangsgeschwindigkeiten seien null. Das ergibt die Anfangsbedingungen ( ) x(0) = pq und x′ (0) = 0 Aus der zweiten Gleichung folgt c2 = 0 und c4 = 0. Aus der ersten folgt −c1 + c3 = p und c1 + c3 = q. Das ergibt c1 = q−p und c3 = q+p . Somit ist 2 2 √ ( ) q+p (1) −1 x(t) = q−p 3t + cos cos t 1 1 2 2 die Lösung des Anfangswertproblems. Fügt man bei diesen Beispielen auch einen Reibungswiderstand hinzu, so erhält man Beispiele zu Satz 23. Beispiel. Man kann auch mehr als zwei schwingende Körper betrachten, die sich entlang der x-Achse bewegen und durch Federn miteinander verbunden sind. Die Körper an den Enden sind durch eine Feder mit einer Wand verbunden. Alle Körper haben Masse m und alle Federn haben Federkonstante k. /\ /\ /\ /\ /\ − \/ \/ \/ \/ \/− ⃝ ⃝ −/\\//\\//\\//\\//\\/− −/\\//\\//\\//\\//\\/− ⃝ −/\\//\\//\\//\\//\\/− Hat man drei Körper und sind x1 (t), x2 (t) und x3 (t) ihre Auslenkungen aus der Ruhelage zum Zeitpunkt t, dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen mx′′1 (t) = −kx1 (t) − k(x1 (t) − x2 (t)) mx′′2 (t) = −k(x2 (t) − x1 (t)) − k(x2 (t) − x3 (t)) mx′′2 (t) = −kx3 (t) − k(x3 (t) − x2 (t)) Wir erhalten das Differentialgleichungssystem x′′ (t) + Bx(t) = 0 mit B = k m ( 2 −1 0 −1 2 −1 0 −1 2 ) . k Wir nehmen wieder an, dass m = 1 gilt. Das charakteristische Polynom der Matrix B ist √ 3 P (λ) = (2 − λ) − 2(2 − λ) = (2 − λ)(λ2 −(4λ + 2). Die Eigenwerte sind(ω12 ) = 2, ω22 = 2 + 2 ) ( ) √ 1 1 √ √1 0 , v = − 2 und w = und ω22 = 2 − 2 mit Eigenvektoren u = −1 2 . Die allgemeine 1 1 Lösung des Systems ist ) √ √ √ √ )( 1 ) ( √ √ )( √ ( 1 0 x(t) = c1 cos 2 t + c2 sin 2 t 2 + 2 t + c sin 2 + 2 t + c cos 2 − 4 3 −1 1 √ √ √ √ ) ( √1 ) ( + c5 cos 2 − 2 t + c6 sin 2 − 2 t 2 1 mit c1 , c2 , c3 , c4 , c5 , c6 ∈ R. Nimmt man die Anfangsgeschwindigkeiten als null an, so folgt c2 = 0, c4 = 0 und c6 = 0. Gibt man die Auslenkungen der drei Körper zum Zeitpunkt 0 vor, so kann man daraus c1 , c3 und c5 berechnen. 6. LÖSUNGSKURVEN 31 6. Lösungskurven Die Lösungen x(t) eines linearen Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) können wir als Kurven in der Ebene auffassen. Wir können uns einen Körper vorstellen, der eine Bewegung ausführt. Zum Zeitpunkt t befindet er sich im Punkt x(t). Wir können jeden Punkt der Ebene als Anfangsbedingung wählen. Daher gibt es durch jeden Punkt eine Lösungskurve. Lösungskurven können sich nicht überkreuzen oder verzweigen. Sonst könnte man den Kreuzungs- oder den Verzweigungspunkt als Anfangsbedingung wählen und hätte für diese Anfangsbedingung mehr als eine Lösung. Anfangsbedingungen bestimmen aber die Lösung eindeutig. Lösungskurven sind somit paarweise disjunkt und füllen die gesamte Ebene aus. Eine Lösungskurve ist die, die konstant = 0 ist, das heißt x(t) = 0 für alle t. Man prüft leicht nach, dass sie das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) löst. Man nennt den Nullpunkt 0 daher einen Fixpunkt. Sei λ ̸= 0 ein reeller Eigenwert der Matrix A und u ein zugehöriger Eigenvektor. Sei g die Gerade durch den Nullpunkt mit Richtungsvektor u. Dann sind x(t) = eλt u und x(t) = −eλt u Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Die zugehörigen Kurven sind die beiden Halbgeraden, in die die Gerade g zerfällt, wenn man den Nullpunkt wegnimmt. Ist λ < 0, dann werden die beiden Halbgeraden wegen limt→∞ eλt = 0 nach innen durchlaufen. Ist λ > 0, dann werden die beiden Halbgeraden wegen limt→∞ eλt = ∞ nach außen durchlaufen. Wir gehen die verschiedenen Fälle der Reihe nach durch, die für ein Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) auftreten können. Zwei reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen: Sei λ1 der positive Eigenwert mit Eigenvektor u und λ2 der negative Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2 die Geraden durch den Nullpunkt mit Richtungsvektoren u und v. Wie wir bereits gesehen haben, sind die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn man den Nullpunkt wegnimmt, Lösungskurven. Die Halbgeraden auf g1 werden nach außen, die auf g2 nach innen durchlaufen. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen limt→−∞ eλ1 t = 0 und limt→∞ eλ2 t = 0 liegen sie für t → −∞ asymptotisch zu g2 und für t → ∞ asymptotisch zu g1 . In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Sattelpunkt. Die( Zeichnung zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ) ( ) 5 A = −2 sind λ1 = 3 mit Eigenvektor u = 11 und λ2 = −4 mit 2 1 . Die( Eigenwerte ) 5 Eigenvektor v = −2 . Zwei negative reelle Eigenwerte: Sei λ1 der betragskleinere Eigenwert mit Eigenvektor u und λ2 der betragsgrößere Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2 die Geraden 32 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN durch 0 mit Richtungsvektoren u und v. Die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn man 0 wegnimmt, sind Lösungskurven. Sie werden nach innen durchlaufen. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen λ1 < 0 und λ2 < 0 gehen alle Lösungskurven gegen 0. In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Attraktor oder eine Senke. Da eλ2 t schneller gegen 0 geht als eλ1 t , schmiegen sich die Lösungskurven an g1 an. Die zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ( −2Zeichnung ) ( ) 1 A = −1 −1 sind λ1 = −1 mit Eigenvektor u = −1 und λ2 = −3 mit −2 . Die ( 1Eigenwerte ) Eigenvektor v = 1 . Zwei positive reelle Eigenwerte: Sei λ1 der kleinere Eigenwert mit Eigenvektor u und λ2 der größere Eigenwert mit Eigenvektor v. Seien g1 und g2 die Geraden durch 0 mit Richtungsvektoren u und v. Die Halbgeraden, in die g1 und g2 zerfallen, wenn man 0 wegnimmt, sind Lösungskurven. Sie werden nach außen durchlaufen. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλ1 t u + c2 eλ2 t v mit c1 , c2 ∈ R. Wegen λ1 > 0 und λ2 > 0 gehen alle Lösungskurven nach Unendlich. In diesem Fall nennt man den Nullpunkt einen Repeller oder eine Quelle, da die Lösungskurven von ihm weglaufen. Da eλ2 t für t → −∞ schneller gegen 0 geht als eλ1 t , schmiegen sich die Lösungskurven an g1 an. ( ) Als Beispiel könnten wir die Matrix A = 21 12 nehmen. Das ist die aus dem letzten Beispiel, aber mit entgegengesetzten Vorzeichen. Das ergibt dieselben Lösungskurven wie in obiger Zeichnung, sie werden nur in die andere Richtung durchlaufen. Die Zeichnung ( 2 −1 )unten ′ zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x (t) = Ax(t) mit A = 0 (1 ). Die (1) Eigenwerte sind λ1 = 1 mit Eigenvektor u = 1 und λ2 = 2 mit Eigenvektor v = 10 . Ein zweifacher reeller Eigenwert: Sei λ der Eigenwert mit Eigenvektor u. Sei g die Gerade durch 0 mit Richtungsvektor u. Die Halbgeraden, in die g zerfällt, wenn man 0 6. LÖSUNGSKURVEN 33 wegnimmt, sind Lösungskurven. Sie werden nach außen durchlaufen, wenn λ > 0 ist, und nach innen, wenn λ < 0 ist. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 eλt u+c2 (eλt v+teλt u) mit c1 , c2 ∈ R, wobei Av = λv+u gilt. Ist λ > 0, dann gehen alle nach Unendlich, der Nullpunkt ist ein Repeller. Ist λ < 0, dann gehen alle zum Nullpunkt, der somit ein Attraktor ist. Die zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ( −3Zeichnung ) (1) 1 A = −1 −1 . Der Eigenwert ist λ = −2( mit )Eigenvektor u = 1 . Das ist ein Beispiel mit 3 −1 negativem ( 1 ) Eigenwert. Die Matrix B = 1 1 = −A hat Eigenwert λ = 2 mit Eigenvektor u = 1 . Sie hat dieselben Lösungskurven, aber mit umgedrehter Durchlaufrichtung. Imaginäre Eigenwerte: Die Eigenwerte sind ±iβ mit Eigenvektoren u±iv. Alle Lösungen erhält man als x(t) = c1 (cos βt u−sin βt v)+c2 (sin βt u+cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Man sieht, dass x(t + 2π ) = x(t) für alle t gilt. Alle Lösungskurven sind daher geschlossene Kurven. Sie β werden mit Periode 2π durchlaufen. Außerdem gilt x(t + βπ ) = −x(t), sodass der Nullpunkt β den Mittelpunkt der Lösungskurven darstellt. Die zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ( −1Zeichnung ) A = 1 −5 1 . Die Eigenwerte sind λ = ±2i. Konjugiert komplexe Eigenwerte mit positivem Realteil: Die Eigenwerte sind α±iβ mit α > 0 (und zugehörigen Eigenvektoren u ± iv. Alle Lösungen kann man schreiben als ) αt x(t) = e c1 (cos βt u − sin βt v) + c2 (sin βt u + cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Es sind also dieselben Lösungen wie bei imaginären Eigenwerten, allerdings noch mit eαt multipliziert. Wegen α > 0 geht eαt nach ∞, wenn t nach ∞ geht. Während die Lösungskurven um den 34 3. SYSTEME LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN Nullpunkt herumlaufen, wird ihr Abstand vom Nullpunkt immer größer. Somit laufen die Lösungskurven spiralenförmig nach außen bis ins Unendliche. Der Nullpunkt ist ein Repeller. Die zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ( 1 Zeichnung ) −2 A = 2 1 . Die Eigenwerte sind λ = 1 ± 2i. Konjugiert komplexe Eigenwerte mit negativem Realteil: Die Eigenwerte sind α±iβ mit α < 0( und zugehörigen Eigenvektoren u ± iv. Alle ) Lösungen kann man schreiben als x(t) = eαt c1 (cos βt u−sin βt v)+c2 (sin βt u+cos βt v) mit c1 , c2 ∈ R. Wegen α < 0 geht eαt nach 0, wenn t nach ∞ geht. Während die Lösungskurven um den Nullpunkt herumlaufen, wird ihr Abstand vom Nullpunkt immer kleiner. Die Lösungskurven laufen spiralenförmig nach innen und konvergieren gegen den Nullpunkt, der somit ein Attraktor ist. Die zeigt Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit ( −1Zeichnung ) A = 1 −1 −1 . Die Eigenwerte sind λ = −1 ± i. Bemerkung. Ist ein Eigenwert gleich 0 und u sein Eigenvektor, dann besteht die Gerade durch 0 mit Richtungsvektor u aus lauter Fixpunkten. KAPITEL 4 Nichtlineare Differentialgleichungssysteme Sei A eine n × n-Matrix. Dann ist F (x) = Ax eine lineare Abbildung von Rn nach Rn . Das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) lässt sich schreiben als x′ (t) = F (x(t)). Man kann für F auch eine Abbildung von Rn nach Rn wählen, die nicht linear ist. Das ergibt dann ebenfalls ein Differentialgleichungssystem, allerdings kein lineares. Eine Abbildung F : Rn → Rn nennt man ein Vektorfeld. Jedem Punkt x ∈ Rn wird der Vektor F (x) zugeordnet. Es folgen Beispiele für nichtlineare Differentialgleichungssysteme. Pendel: Ein Körper der Masse m hängt an einer Stange der Länge 1. Sei x(t) seine Auslenkung (Winkel im Bogenmaß) zum Zeitpunkt t. Auf den Körper wirkt die Schwerkraft mg, die den Körper senkrecht nach unten zieht. Wir zerlegen sie in die beiden Komponenten mg cos x(t), die die Richtung der Stange hat und daher nichts bewirkt, und mg sin x(t), die senkrecht auf die Stange wirkt und den Körper in die Ruhelage zurücktreibt. Ohne Berücksichtigung der Reibung erhalten wir die Bewegungsgleichung mx′′ (t) = −mg sin x(t). Das Minuszeichen bedeutet, dass die Kraft den Körper zurücktreibt. Bei Auslenkung nach rechts wirkt sie nach links und bei Auslenkung nach links wirkt sie nach rechts. Ist y(t) = x′ (t) die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t, dann ergibt sich das Differentialgleichungssystem x′ (t) = y(t) y ′ (t) = −g sin x(t) Wir können auch den Reibungswiderstand berücksichtigen. Er ist eine Funktion der Geschwindigkeit und wirkt dieser entgegen. Sei s : R → R stetig mit s(0) = 0, s(y) > 0 für y > 0 und s(y) < 0 für y < 0. Eine sehr allgemeine Form der Reibung ist dann −s(x′ (t)). Das ergibt die Bewegungsgleichung mx′′ (t) = −mg sin x(t) − s(x′ (t)). Ist y(t) = x′ (t) wieder die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t und setzen wir r(y) = m1 s(y), dann ergibt sich das Differentialgleichungssystem x′ (t) = y(t) y ′ (t) = −g sin x(t) − r(y(t)) Das Vektorfeld dieses Differentialgleichungssystems ist F (x, y) = ( ) y −g sin x−r(y) . Zwei-Spezies-Systeme: Sei x(t) die Populationsgröße der ersten Spezies und y(t) die der zweiten Spezies zum Zeitpunkt t. Die Wachstumsraten der beiden Populationen sind ′ (t) ′ (t) dann xx(t) und yy(t) . Diese Wachstumsraten werden als lineare Funktionen in x(t) und y(t) angenommen. Je nach Vorzeichen der Koeffizienten erhält man verschiedene Modelle. Die Koeffizienten a, b, c, d, e, f seien in R+ . Das Differentialgleichungssystem x′ (t) x(t) = a − bx(t) − cy(t) y ′ (t) = d − ex(t) − f y(t) y(t) 35 36 4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME ist ein sogenanntes Konkurrenzmodell. Größere Populationen bewirken größere Konkurrenz ) ( x(a−bx−cy) und dadurch kleinere Wachstumsraten. Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(d−ex−f y) . Die Koeffizienten a, b, c, d, e, f seien wieder in R+ . Das Differentialgleichungssystem x′ (t) x(t) = a − bx(t) − cy(t) y ′ (t) = −d + ex(t) − f y(t) y(t) ist ein sogenanntes Räuber-Beute-Modell, wobei x(t) die Größe der Beute-Population und ( x(a−bx−cy) ) y(t) die Größe der Räuber-Population ist. Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f y) . Bei Abwesenheit der Räuber, das heißt bei y(t) = 0, entwickelt sich die Beute-Population entsprechend der Logistischen Differentialgleichung. Die Anwesenheit der Räuber wirkt sich zusätzlich negativ auf die Wachstumsrate der Beute-Population aus, daher −cy(t). Bei Abwesenheit der Beute, das heißt bei x(t) = 0, hat die Räuber-Population negative Wachstumsrate und stirbt daher aus. Je größer die Beute-Population ist, umso größer ist die Wachstumsrate der Räuber-Population, daher +ex(t). Da Populationsgrößen nicht negativ sind, untersucht man diese Differentialgleichungssysteme üblicherweise nur auf B = R+ × R+ . 1. Partielle Ableitungen Bevor wir uns weiter mit Differentialgleichungssystemen beschäftigen, führen wir partielle Ableitungen ein und beweisen die zweidimensionale Kettenregel. Wir definieren ε-Umgebungen im R2 . Sei p ∈ R2 . Die ε-Umgebung des Punktes p ist die Menge aller Punkte, deren Abstand vom Punkt p kleiner als ε ist. Wir bezeichnen sie mit Uε (p). Sie ist die Kreisscheibe mit Mittelpunkt p und Radius ε ohne Rand. Eine Teilmenge B des R2 heißt offen, wenn es zu jedem Punkt p ∈ B ein ε > 0 gibt mit Uε (p) ⊂ B. Beispiel. Die Menge [0, ∞) × [0, ∞) ist nicht offen. Für den Punkt (0, 0) gibt es keine ε-Umgebung, die in dieser Menge enthalten ist. Die Menge B = (0, ∞) × (0, ∞) ist jedoch offen. Ist (x, y) ∈ B, dann gilt x > 0 und y > 0. Wir können ε = min{x, y} wählen. Dann gilt ε > 0 und Uε (x, y) ⊂ B. Mit Hilfe dieser Definition einer Umgebung lassen sich Grenzwert und Stetigkeit für Funktionen in zwei Variablen genauso definieren wie für Funktionen in einer Variablen. Es gelten dann auch analoge Sätze. Definition. Sei B ⊂ R2 offen und f : B → R eine Funktion. Weiters sei (x, y) ∈ B. Mit D1 f (x, y) bezeichnen wir die Ableitung der Funktion f nach der ersten Variable (x,y) (wenn sie existiert), das heißt D1 f (x, y) = limh→0 f (x+h,y)−f . Mit D2 f (x, y) bezeichnen h wir die Ableitung der Funktion f nach der zweiten Variable (wenn sie existiert), das heißt (x,y) D2 f (x, y) = limh→0 f (x,y+h)−f . Man nennt diese Ableitungen die partiellen Ableitungen h ( D1 f (x,y) ) der Funktion f . Den Vektor D2 f (x,y) nennt man den Gradienten der Funktion f im Punkt (x, y) und bezeichnet ihn mit grad f (x, y). Beispiel. Sei f (x, y) (= 3x2 y + y 4 . Dann ist D1 f (x, y) = 6xy und D2 f (x, y) = 3x2 + 4y 3 . 6xy ) Somit gilt grad f (x, y) = 3x2 +4y3 . Wir beweisen eine zweidimensionale Version der Kettenregel. Sei (a, b) ein Intervall und B ⊂ R2 . Seien g : (a, b) → B und f : B → R Funktionen, wobei g aus den Komponenten g1 2. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT VON LÖSUNGEN 37 und g2 besteht. Dann können wir die Funktion h = f ◦ g bilden, die das Intervall (a, b) nach R abbildet. Es macht also Sinn nach der Ableitung h′ (t) für t ∈ (a, b) zu fragen. Satz 25. Sei (a, b) ein Intervall und B eine offene Teilemenge von R2 . Sei g : (a, b) → B eine Funktion mit stetiger Ableitung und f : B → R habe stetige partielle Ableitungen. Dann ist die Funktion h = f ◦ g von (a, b) nach R differenzierbar und für t ∈ (a, b) gilt h′ (t) = ⟨grad f (g(t)), g ′ (t)⟩ = D1 f (g(t)) g1′ (t) + D2 f (g(t)) g2′ (t) Beweis. Seien t und s im Intervall (a, b) mit s ̸= t. Dann gilt h(s)−h(t) = f (g(s))−f (g(t)) = f (g1 (s), g2 (s))−f (g1 (t), g2 (s))+f (g1 (t), g2 (s))−f (g1 (t), g2 (t)) Wir setzen φ(x) = f (g1 (x), g2 (s)) und ψ(x) = f (g1 (t), g2 (x)). Aus obiger Gleichung ergibt sich h(s) − h(t) = φ(s) − φ(t) + ψ(s) − ψ(t). Aus der Kettenregel für Funktionen in einer Variablen erhalten wir φ′ (x) = D1 f (g1 (x), g2 (s)) g1′ (x) und ψ ′ (x) = D2 f (g1 (t), g2 (x)) g2′ (x). Aus dem Mittelwertsatz folgt jetzt h(s)−h(t) s−t = φ(s)−φ(t) s−t + ψ(s)−ψ(t) s−t = φ′ (ξ) + ψ ′ (η) wobei ξ und η zwischen s und t liegen. Wir setzen für φ′ und ψ ′ ein h(s)−h(t) s−t = D1 f (g1 (ξ), g2 (s)) g1′ (ξ) + D2 f (g1 (t), g2 (η)) g2′ (η) Wenn s gegen t geht, gehen auch ξ und η gegen t. Wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen D1 f und D2 f erhalten wir lims→t D1 f (g1 (ξ), g2 (s)) = D1 f (g1 (t), g2 (t)) und lims→t D2 f (g1 (t), g2 (η)) = D2 f (g1 (t), g2 (t)). Wegen der Stetigkeit der Ableitungen g1′ und g2′ erhalten wir lims→t g1′ (ξ) = g1′ (t) und lims→t g2′ (η) = g2′ (t). Damit ergibt sich lims→t h(s)−h(t) s−t = D1 f (g1 (t), g2 (t)) g1′ (t) + D2 f (g1 (t), g2 (t)) g2′ (t) Somit existiert h′ (t) und ist gleich D1 f (g(t)) g1′ (t) + D2 f (g(t)) g2′ (t). 2. Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen Den folgenden Existenz- und Eindeutigkeitssatz geben wir ohne Beweis an. Satz 26. Sei B eine offene Teilmenge des Rn und F : B → Rn ein Vektorfeld mit stetigen partiellen Ableitungen. Sei x0 ∈ B und t0 ∈ R. Dann hat das Anfangswertproblem x′ (t) = F (x(t)) mit x(t0 ) = x0 genau eine Lösung x(t), die auf einem offenen Intervall, das t0 enthält, definiert ist. Ist das Intervall, auf dem die Lösung definiert ist, beschränkt und c ein Endpunkt, dann geht x(t) für t → c gegen Unendlich oder gegen den Rand von B. Die Lösung kann auf ganz R existieren, wie es zum Beispiel bei linearen Differentialgleichungssystemen der Fall ist, oder auch nur auf einem Intervall, das nicht ganz R ist, wie wir zum Beispiel bei Differentialgleichungen mit getrennten Variablen gesehen haben. Die Voraussetzung, dass das Vektorfeld stetige partielle Ableitungen besitzt, ist wesentlich. Im folgenden Beispiel hat man keine eindeutigen Lösungen. Beispiel. Gesucht sind Lösungen der Differentialgleichung x′ (t) = 3x(t) 3 mit Anfangsbedingung x(0) = 0. Man prüft leicht nach, dass sowohl x(t) = 0 als auch x(t) = t3 Lösungen dieses Anfangswertproblems sind. Die Lösung ist nicht eindeutig. 2 Das Vektorfeld F : R → R ist definiert durch F (x) = 3x 3 . Es ist eindimensional, kann aber als Vektorfeld aufgefasst werden. (Die partielle Ableitung ist dann die normale 2 38 4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME Ableitung.) Es gilt F ′ (x) = 2x− 3 . Die Ableitung existiert für x = 0 nicht. Die Voraussetzung von Satz 26, dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz, ist nicht erfüllt. So erklärt sich die Nichteindeutigkeit der Lösungen. 1 Hat das Vektorfeld F : B → Rn stetige partielle Ableitungen, dann können sich Lösungskurven des Differentialgleichungssystem x′ (t) = F (x(t)) nicht kreuzen oder verzweigen. Wäre x0 ein Punkt, wo das passiert, dann hätte das Anfangswertproblem x′ (t) = F (x(t)) mit x(0) = x0 keine eindeutige Lösung auf dem Intervall (−ε, ε), wie klein ε auch ist. Das widerspricht dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz. Die Lösungen sind daher paarweise disjunkt und füllen den Bereich B vollständig aus, da ja durch jeden Punkt x0 ∈ B auch eine Lösung existiert. Die Vektorfelder der eingangs behandelten Beispiele sind auf ganz R2 definiert und haben stetige partielle Ableitungen. Die Lösungskurven sind daher paarweise disjunkt und füllen den R2 vollständig aus. 3. Fixpunkte Sei B ⊂ R2 offen und F : B → R2 ein Vektorfeld. Ein Punkt p ∈ B heißt Fixpunkt, wenn F (p) = 0 gilt. Setzt man x(t) = p für alle t, dann ist das eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)). Es gilt ja x′ (t) = 0 und F (x(t)) = F (p) = 0. ( ) In einer Umgebung eines Fixpunktes p kann man das Vektorfeld F (x) = FF12 (x) (x) lineari( 1 F1 (p) D2 F1 (p) ) sieren. Man bildet die Matrix M = D D1 F2 (p) D2 F2 (p) der partiellen Ableitungen. Ist weder 0 noch eine imaginäre Zahl Eigenwert der Matrix M , dann kann man zeigen, dass die Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)) in einer Umgebung des Fixpunktes p genauso aussehen wie die (isomorph sind zu den) Lösungskurven des Differentialgleichungssystems x′ (t) = M x(t) in einer Umgebung des Fixpunktes 0. Insbesondere sind Sattelpunkte für die Untersuchung von nichtlinearen Differentialgleichungssystemen wichtig. Hat die Matrix M zwei reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen, dann ist der Fixpunkt 0 ein Sattelpunkt für das Differentialgleichungssystem x′ (t) = M x(t). Daher ist auch der Fixpunkt p ein Sattelpunkt für das Differentialgleichungssystem x′ (t) = F (x(t)). Es existieren zwei Lösungskurven, die in den Sattelpunkt p einmünden und zwei Lösungskurven, die von ihm ausgehen. Die anderen Lösungskurven in der Nähe von p schmiegen sich an diese vier Lösungskurven an. Wir bestimmen die Fixpunkte für obige Beispiele und untersuchen einige von ihnen. ( ) y Pendel: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x−r(y) , wobei r(0) = 0 gilt. Für einen Fixpunkt muss y = 0 und g sin x + r(y) = 0 gelten. Es folgt sin x = 0 und daraus x = nπ mit n ∈ Z. Die Fixpunkte sind daher Pn = (nπ, 0) für n ∈ Z. Da die Winkel nπ für gerades n alle gleich dem Winkel 0 sind, entsprechen die Fixpunkte Pn für gerades n einem senkrecht nach unten hängenden Pendel. Die Winkel nπ für ungerades n sind alle gleich dem Winkel π. Daher entsprechen die Fixpunkte Pn für ungerades n einem senkrecht nach oben stehenden Pendel (das Pendel ist ja an einer Stange befestigt). Die Fixpunkte P2j+1 mit j ∈ Z sind Sattelpunkte. Wir setzen r′ (0) = 2a. Es gilt a ≥ 0, da r(y) ( >00 für 1y >) 0 gilt und r(y) < 0 für y < 0. Die Matrix der partiellen Ableitungen ist ′ M = −g cos . Setzt man P2j+1 ein, das heißt x = (2j + 1)π und y = 0, so erhält man √ √ ( 0 1 x) −r (y) M = g −2a . Die Eigenwerte sind λ1 = −a + a2 + g > 0 und λ2 = −a − a2 + g < 0. Das zeigt, dass der Fixpunkt ein Sattelpunkt ist. 4. BEWEGUNGSINVARIANTE 39 ( x(a−bx−cy) ) Konkurrenzmodell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(d−ex−f y) . Für einen Fixpunkt muss x(a − bx − cy) = 0 und y(d − ex − f y) = 0 gelten. Wir erhalten vier Lösungen P1 = (0, 0), −cd bd−ae P2 = ( ab , 0), P3 = (0, fd ) und P4 = ( af , ). Das sind die Fixpunkte dieses Vektorfelds. bf −ce bf −ce Die ersten drei liegen am Rand des Gebietes [0, ∞) × [0, ∞). Diese drei Fixpunkte sind Lösungen. Wir bestimmen die anderen Lösungskurven, die auf dem Rand verlaufen. Für die x-Achse gilt y(t) = 0. Das erfüllt auch die zweite Gleichung des Differentialgleichungssystems. Für x(t) folgt dann x′ (t) = x(t)(a − bx(t)) = ax(t)(1 − ab x(t)) aus der ersten Gleichung des Differentialgleichungssystems. Das ist die Logistische Differentialgleichung mit K = ab . Ihre Lösungen konvergieren gegen K, das heißt limt→∞ x(t) = K, abgesehen von der Nulllösung. Startet man auf der positiven x-Achse, dann läuft die Lösungskurve des Konkurrenzmodells auf der x-Achse gegen den Fixpunkt P2 . Ganz analog erhält man, dass die Lösungskurven, die auf der positiven y-Achse starten, auf dieser gegen den Fixpunkt P3 laufen. ( x(a−bx−cy) ) Räuber-Beute-Modell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f y) . Für einen Fixpunkt muss x(a−bx−cy) = 0 und y(−d+ex−f y) = 0 gelten. Wir erhalten die Lösungen P1 = (0, 0) +cd ae−bd und P4 = ( af , ). Auf der x-Achse gibt es den Fixpunkt P2 = ( ab , 0), wenn b > 0 gilt. bf +ce bf +ce Auf der y-Achse gibt es keinen Fixpunkt. Wie für das Konkurrenzmodell zeigt man, dass alle Lösungskurven des Räuber-Beute-Modells, die auf der positiven x-Achse starten, auf dieser gegen den Fixpunkt P2 laufen. Ist b = 0 dann laufen sie nach unendlich. Für Lösungskurven auf der positiven y-Achse gilt y ′ (t) = −y(t)(d + f y(t)). Das ist immer negativ. Daher laufen die Lösungskurven auf der y-Achse gegen P1 . Wir nehmen an, dass P4 im Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞) liegt, das heißt ae − bd > 0. Wir zeigen, dass dann der Fixpunkt P2 = ( ab , 0) ein Sattelpunkt ist. Die Matrix der partiellen ( ) −cx Ableitungen des Vektorfelds ist M = a−2bx−cy ey −d+ex−2f y . Setzt man P2 ein, das heißt ( −a − ac ) x = ab und y = 0, so erhält man M = 0 −d+bae . Eigenwerte sind λ1 = −a < 0 und λ2 = −d + ae b = ae−bd b b > 0. Das zeigt, dass der Fixpunkt ein Sattelpunkt ist. 4. Bewegungsinvariante Bewegungsinvariante und Ljapunovfunktionen (diese werden im Anhang behandelt) verwendet man, um Differentialgleichungssysteme zu untersuchen, die man nicht lösen kann. Definition. Sei B eine offene Teilmenge des Rn und F : B → Rn ein Vektorfeld. Eine differenzierbare Funktion V : B → R heißt Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F , wenn ⟨grad V (x), F (x)⟩ = 0 für alle x ∈ B gilt. Satz 27. Sei B ⊂ Rn offen, F : B → Rn ein Vektorfeld und V : B → R eine Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)), die auf einem Intervall I existiert. Dann gilt dtd V (x(t)) = 0 für alle t ∈ I. Das heißt, auf jeder Lösungskurve ist die Funktion V konstant. Beweis. Wegen Satz 25 und wegen x′ (t) = F (x(t)) erhalten wir d V dt (x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ Aus der Definition der Bewegungsinvarianten folgt jetzt, dass dtd V (x(t)) = 0 für alle t ∈ I gilt. Eine Funktion, die Ableitung 0 hat, ist konstant. Somit existiert ein k ∈ R mit V (x(t)) = k für alle t ∈ I. 40 4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME Ist V eine Bewegungsinvariante des Vektorfeldes F und x(t) eine Lösungskurve des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)), dann existiert ein k ∈ R, sodass V (x(t)) = k für alle t gilt. Das heißt, die Lösungskurve liegt in der Menge {x : V (x) = k}. Diese Mengen nennt man Höhenschichtlinien. Man bestimmt die Höhenschichtlinien der Bewegungsinvariante. Auf diesen verlaufen dann die Lösungskurven des Differentialgleichungssystems. ( y ) Pendel ohne Reibung: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x . Wir können eine Bewegungsinvariante mit Hilfe einer physikalischen Überlegung finden. Die potentielle Energie des Pendels ist mg(1−cos x(t)), wobei 1−cos x(t) die Höhe des Pendels über der Ruhelage ist. Die kinetische Energie des Pendels ist 12 my(t)2 . Die Gesamtenergie ist mg(1−cos x(t))+ 12 my(t)2 . Sie sollte invariant sein, da keine Reibung wirkt. Wir können durch die Konstante m dividieren und die Konstante g subtrahieren. Es bleibt V (x, y) = −g cos x + 21 y 2 . Es gilt ( g sin ) x grad V (x, y) = und ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = yg sin x − yg sin x = 0. Also ist V (x, y) y tatsächlich eine Bewegungsinvariante. Wir bestimmen die Höhenschichtlinien dieser Bewegungsinvariante. Es gilt √ V (x, y) = k ⇐⇒ y = ± 2(g cos x + k) Ist k < −g, dann ist der Ausdruck unter der Wurzel immer negativ. Es existiert keine Höhenschichtlinie. Ist −g < k < g, dann schneidet der Graph der Funktion x 7→ 2(g cos x + k) die x-Achse. Dort, wo diese Funktion negativ ist, lässt sich die Wurzel nicht ziehen. Dort, wo sie positiv ist, erhalten wir eine Höhenschichtlinie, die symmetrisch zur x-Achse liegt. Die Höhenschichtlinie besteht aus getrennt liegenden Kurven. (In den folgenden Zeichnungen ist jeweils die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) gezeichnet und die Höhenschichtlinie, die die Wurzel aus dieser Funktion ist.) Grenzfälle sind k = −g und k = g. Im ersten Fall besteht die Höhenschichtlinie aus den Punkten (2jπ, 0) mit j ∈ Z. Im zweiten Fall liegt die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) über der x-Achse und berührt sie in den Punkten √ (2j + 1)π mit j ∈ Z. Wir können immer die Wurzel ziehen. Die Höhenschichtlinie y = ± 2(g cos x + k) besteht aus zwei einander überkreuzenden Linien. In den Punkten (2j + 1)π mit j ∈ Z hat die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) zweifache Nullstellen. Die Wurzel aus dieser Funktion ist die Höhenschichtlinie. Diese hat einfache Nullstellen. Daher trifft sie in einem Winkel ̸= 00 auf die x-Achse. Für√k > g liegt die Funktion x 7→ 2(g cos x + k) über der x-Achse. Die Höhenschichtlinie y = ± 2(g cos x + k) besteht aus zwei wellenförmigen Linien symmetrisch zur x-Achse. Zeichnen wir die Höhenschichtlinien in ein Bild, so erhalten wir 4. BEWEGUNGSINVARIANTE 41 Die Lösungskurven laufen auf den Höhenschichtlinien. Die Punkte (2jπ, 0) mit j ∈ Z sind Fixpunkte. Sie entsprechen einem in Ruhelage hängenden Pendel, da x(t) = 2jπ und y(t) = 0 für alle t gilt. Die diese Fixpunkte umkreisenden Höhenschichtlinien sind Lösungskurven. Sie eintsprechen einem hin- und herschwingenden Pendel. Sie werden im Uhrzeigersinn durchlaufen, da die Geschwindigkeit y(t) größer als null ist, wenn sich das Pendel nach rechts bewegt, und kleiner als null ist, wenn sich das Pendel nach links bewegt. Die oben und unten liegenden wellenförmigen Höhenschichtlinien sind ebenfalls Lösungskurven. Die oben liegenden werden nach rechts, die unten liegenden nach links durchlaufen. Sie entsprechen einem kreisenden Pendel. Es bleibt die sich überkreuzende Höhenschichtlinie. Die Kreuzungspunkte ((2j + 1)π, 0) mit j ∈ Z sind Fixpunkte. Sie entsprechen einem senkrecht nach oben stehenden Pendel, da x(t) = (2j + 1)π und y(t) = 0 für alle t gilt. Die diese Fixpunkte verbindenden Kurvenstücke sind Lösungskurven. Sie werden nach rechts durchlaufen, wenn sie oberhalb der x-Achse liegen, und nach links, wenn sie unterhalb der x-Achse liegen. Sie entsprechen einem Pendel, das aus der senkrecht stehenden Lage herausfällt und daher gerade so viel Schwung hat, um wieder in diese zurückzukehren. Die Fixpunkte (2j + 1)π mit j ∈ Z sind Sattelpunkte. Das Bild ist periodisch mit Periode 2π, da ja der Winkel x + 2π mit dem Winkel x übereinstimmt. Wie kann man Bewegungsinvariante für andere Vektorfelder finden? Der folgende Satz behandelt Vektorfelder mit getrennten Variablen. Satz 28. Sei B ⊂ R2 offen. Das Vektorfeld F : B → R2 habe getrennte Variable, das heißt F1 (x, y) = g1 (x)h1 (y) und F2 (x, y) = g2 (x)h2 (y). Sei R(x) eine Stammfunktion (x) von gg12 (x) und S(y) eine Stammfunktion von hh12 (y) . Dann ist V (x, y) = R(x) − S(y) eine (y) Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F . Beweis. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = D1 V (x, y)F1 (x, y) + D2 V (x, y)F2 (x, y). Wir (x) (y) setzen D1 V (x, y) = R′ (x) = gg12 (x) , D2 V (x, y) = −S ′ (y) = − hh21 (y) und das Vektorfeld ein: ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = gg21 (x) g (x)h1 (y) − hh12 (y) g (x)h2 (y) = g2 (x)h1 (y) − h1 (y)g2 (x) = 0. (x) 1 (y) 2 Somit ist V eine Bewegungsinvariante zum Vektorfeld F . Für das Pendel ohne Reibung gilt F1 (x, y) = y und F2 (x, y) = −g sin x. Wir können g1 (x) = 1, h1 (y) = y und g2 (x) = g sin x, h2 (y) = −1 wählen. Eine Stammfunktion von g2 (x) = g sin x ist R(x) = −g cos x. Eine Stammfunktion von hh12 (y) = −y ist S(y) = − 21 y 2 . g1 (x) (y) Nach Satz 28 ist V (x, y) = R(x) − S(y) = −g cos x + 12 y 2 eine Bewegungsinvariante. Es ist dieselbe, die wir früher gefunden haben. Räuber-Beute-Modell: Wir untersuchen das Räuber-Beute-Modell mit b =) 0 und f = 0 ( x(a−cy) (keine innerspezifische Konkurrenz). Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex) . Es hat getrennte Variable. Wir wählen g1 (x) = x, h1 (y) = a − cy und g2 (x) = −d + ex, h2 (y) = y. (x) Eine Stammfunktion von gg12 (x) = e − xd ist R(x) = ex − d log x. Eine Stammfunktion von 42 4. NICHTLINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME = −c + ay ist S(y) = −cy + a log y. Nach Satz 28 ist V (x, y) = R(x) − S(y) eine Bewegungsinvariante auf dem Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞). Wir setzen u = de und v = ac . Dann ist (u, v) ein Fixpunkt. Die Bewegungsinvariante ist V (x, y) = e(x − u log x) + c(y − v log y). Die Funktion x 7→ e(x − u log x) ist monoton fallend auf dem Intervall (0, u), hat ein Minimum im Punkt u und ist monoton wachsend auf dem Intervall (u, ∞). Die Funktion y 7→ c(y − v log y) ist monoton fallend auf dem Intervall (0, v), hat ein Minimum im Punkt v und ist monoton wachsend auf dem Intervall (v, ∞). Es folgt, dass V (x, y) ein Minimum im Punkt (u, v) hat, von dort in alle Richtungen wächst und gegen ∞ geht, wenn man sich dem Rand des Bereichs B nähert. Die Höhenschichtlinien sind daher geschlossene Kurven, die um den Punkt (u, v) herumlaufen. Das folgende Bild zeigt Höhenschichtlinien der Funktion V (x, y) = 1.1x − 8.5 log x + 1.9y − 7.7 log y. h1 (y) h2 (y) Die Lösungskurven laufen auf den Höhenschichtlinien. Wir wissen bereits, was am Rand passiert. Der Nullpunkt ist ein Fixpunkt. Die positive x-Achse ist eine Lösungskurve, die nach Unendlich läuft. Die positive y-Achse ist eine Lösungskurve, die nach Null läuft. Der Punkt (u, v) ist ein Fixpunkt. Jede Höhenschichtlinie ist eine Lösungskurve, die im Gegenuhrzeigersinn durchlaufen wird. KAPITEL 5 Anhang 1. Die Keplerschen Gesetze Wir verwenden die Resultate über Bewegungsinvariante, um die Keplerschen Gesetze für die Bahn eines Planeten herzuleiten. Sei P : R3 \ {0} → R eine stetig differenzierbare Funktion. Im Punkt 0 befindet sich ein Körper (Sonne). Ein zweiter Körper (Planet) bewegt sich im R3 \ {0}. Wir nehmen an, dass seine Masse 1 ist. Befindet er sich im Punkt x ∈ R3 , dann gibt P (x) seine potentielle Energie an. Die Kraft, die die Sonne auf den Planeten ausübt, ist − grad P (x). Seien x(t) und v(t) die Position und die Geschwindigkeit des Planeten zum Zeitpunkt t. Dann gilt (1) x′ (t) = v(t) und v′ (t) = − grad P (x(t)) Sei E : R6 → R definiert durch E(x, v) = P (x) + für alle t∈R 1 ∥v∥2 . 2 Satz 29. Seien x(t) und v(t) Lösungen der Gleichungen in (1). Für alle t ∈ R gilt dann = 0 und somit E(x(t), v(t)) = h für eine Konstante h > 0. d E(x(t), v(t)) dt Beweis. Sei Q(v) = 21 ∥v∥2 = 21 (v12 + v22 + v32 ). Dann gilt grad Q(v) = (v1 , v2 , v3 ) = v. Nach der Kettenregel gilt ddt E(x(t), v(t)) = ⟨grad P (x(t)), x′ (t)⟩ + ⟨grad Q(v(t)), v′ (t)⟩. Aus (1) folgt grad Q(v(t)) = v(t) = x′ (t) und grad P (x(t)) = −v′ (t). Setzt man das ein, so hat man ddt E(x(t), v(t)) = 0. Und Funktionen mit Ableitung 0 sind konstant. Dieser Satz gilt für jedes Potential P . Ab jetzt nehmen wir eine Zentralkraft an, das heißt xj P (x) = φ(∥x∥) für eine stetig differenzierbare Funktion φ : (0, ∞) → R. Wegen Dj ∥x∥ = ∥x∥ ( ) ′ (∥x∥) gilt grad P (x) = φ′ (∥x∥) D1 ∥x∥, D2 ∥x∥, D3 ∥x∥ = x φ ∥x∥ . 6 3 Sei W : R → R definiert durch W (x, v) = x × v. Satz 30. Seien x(t) und v(t) Lösungen von (1). Für alle t ∈ R gilt ddt W (x(t), v(t)) = 0. ( )′ Beweis. Produktregel: ddt W (x(t), v(t)) = x(t) × v(t) = x′ (t) × v(t) + x(t) × v′ (t) = ′ (∥x(t)∥) v(t) × v(t) − x(t) × grad P (x(t)) = v(t) × v(t) − x(t) × x(t) φ ∥x(t)∥ = 0. Wir wählen das Koordinatensystem so, dass die Position x(0) und die Geschwindigkeit v(0) des Planeten zum Zeitpunkt 0 in der x1 -x2 -Ebene liegen. Es gilt dann x3 (0) = 0 und v3 (0) = 0. Daraus folgt W (x(0), v(0)) = (0, 0, g) für ein g ∈ R. Nach Satz 30 gilt W (x(t), v(t)) = (0, 0, g) für alle t ∈ R, da diese Funktion konstant in t ist. Somit steht (0, 0, g) orthogonal sowohl auf x(t) als auch auf v(t), das heißt x3 (t) = 0 und v3 (t) = 0 für alle t ∈ R. Die Bahn des Planeten liegt in der x1 -x2 -Ebene. Wir lassen die dritte Koordinate weg, sodass x(t) ∈ R2 und v(t) ∈ R2 gilt. Weiters gilt g = det(x(t), v(t)) für alle t ∈ R. (Ist g = 0, dann sind v(t) und x(t) immer parallel, das heißt der Planet stürzt in einer geradlinigen Bewegung in die Sonne hinein.) Für t ≥ 0 sei r(t) = ∥x(t)∥ und s(t) der Winkel, den der Vektor x(t) vom Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunkt t überstreicht. 43 44 5. ANHANG Satz 31. Für t > 0 gilt s′ (t) = g . r(t)2 (t) Beweis. Für alle t > 0 gilt s(t) = arctan xx12 (t) − s(0) + nπ, wobei n eine ganze Zahl ist. Es folgt s′ (t) = arctan′ x2 (t) x1 (t) · x′2 (t)x1 (t)−x′1 (t)x2 (t) x1 (t)2 = x1 (t)v2 (t)−x2 (t)v1 (t) x1 (t)2 +x2 (t)2 = det(x(t),v(t)) ∥x(t)∥2 = g . r(t)2 Satz 32. (Zweites Keplersches Gesetz) Sei a(t) die Fläche, die der Vektor x(t) vom Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunkt t überstreicht. Dann gilt a(t) = 12 gt. Beweis. Sei h ∈ R. Seien t1 und t2 im Intervall mit Endpunkten t und t + h so gewählt, dass r(t1 ) minimal und r(t2 ) maximal ist. Dann liegt a(t+h)−a(t) zwischen den Flächen der Kreissektoren mit Winkel s(t + h) − s(t) und Radien r(t1 ) beziehungsweise r(t2 ). Die Flächen dieser Sektoren sind 21 (s(t+h)−s(t))r(t1 )2 und 12 (s(t+h)−s(t))r(t2 )2 . Bei negativem Winkel ist die Fläche negativ. Somit liegt a(t+h)−a(t) zwischen 12 s(t+h)−s(t) r(t1 )2 und 21 s(t+h)−s(t) r(t2 )2 . h h h Für h → 0 gehen t1 und t2 gegen t, sodass wir limh→0 a(t+h)−a(t) = 12 s′ (t)r(t)2 erhalten. Wegen h Satz 31 folgt a′ (t) = 21 s′ (t)r(t)2 = 21 g. Wegen a(0) = 0 ergibt sich daraus a(t) = 21 gt. c Ab jetzt nehmen wir an, dass P (x) = − ∥x∥ gilt. Weiters sei u(t) = Satz 33. Es gilt ( u′ (t) )2 s′ (t) + u(t)2 = 2 (h g2 1 ∥x(t)∥ = 1 . r(t) + cu(t)) für alle t ∈ R. 2x (t)x′ (t)+2x (t)x′ (t) 1 2 1 2 Beweis. Es gilt u′ (t) = − 2(x . Mit Hilfe von Satz 31 folgt = − ⟨x(t),v(t)⟩ 2 2 3/2 ∥x(t)∥3 1 (t) +x2 (t) ) ( u′ (t) )2 2 2 +g + u(t)2 = ⟨x(t),v(t)⟩ . Mit Hilfe der Formel det(a, b)2 = ∥a∥2 ∥b∥2 − ⟨a, b⟩2 erhalten s′ (t) g 2 ∥x(t)∥2 wir ⟨x(t), v(t)⟩2 + g 2 = ⟨x(t), v(t)⟩2 + det(x(t), v(t))2 = ∥x(t)∥2 ∥v(t)∥2 . Damit ergibt sich ( ′ (t) )2 2 c dann us′ (t) + u(t)2 = ∥v(t)∥ . Wegen Satz 29 und P (x(t)) = − ∥x(t)∥ = −cu(t) gilt außerdem 2 g ( ) ′ (t) 2 ∥v(t)∥2 = 2h − 2P (x(t)) = 2h + 2cu(t), womit us′ (t) + u(t)2 = g22 (h + cu(t)) folgt. Wegen Satz 31 ist s streng monoton, sodass s−1 existiert. Wir führen den Winkel w = s(t) als neue Variable ein. Sei ϱ(w) = r(s−1 (w)) und ψ(w) = u(s−1 (w)), das sind der Bahnradius und sein Kehrwert als Funktion des Winkels geschrieben. Satz 34. (Erstes Keplersches Gesetz) Für die Bahn des Planeten gilt ϱ(w) = für ein geeignetes w0 ∈ R, wobei ε2 = 1 + 2hg 2 c2 ist (Gleichung eines Kegelschnitts). Beweis. Da die Ableitung der Umkehrfunktion s−1 (w) gleich ψ ′ (w) = u′ (s−1 (w)) s′ (s−1 (w)) g 2 /c 1+ε cos(w−w0 ) 1 s′ (s−1 (w)) ist, erhalten wir . Setzt man t = s−1 (w) in Satz 33 ein, so ergibt sich (2) ψ ′ (w)2 + ψ(w)2 = 2 (h g2 + cψ(w)) Differenzieren ergibt 2ψ ′ (w)ψ ′′ (w) + 2ψ(w)ψ ′ (w) = g2c2 ψ ′ (w). Division durch 2ψ ′ (w) liefert ψ ′′ (w) + ψ(w) = gc2 . Das ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren allgemeine Lösung ψ(w) = d cos(w − w0 ) + gc2 mit d und w0 in R ist. Setzt man das in (2) ein, so ergibt sich d2 sin2 (w − w0 ) + (d cos(w − w0 ) + gc2 )2 = 2 2h g2 2 + 2cd cos(w − w0 ) + 2c . Durch Ausquadrieren g2 g4 2 + gc4 = gc4 ε2 . Somit ist ψ(w) = gc2 ε cos(w − w0 ) + gc2 und Vereinfachen ergibt sich d2 = 2h g2 1 ein und formt mit beliebigem w0 ∈ R die allgemeine Lösung von (2). Setzt man ψ(w) = ϱ(w) um, so hat man ϱ(w) = g 2 /c . 1+ε cos(w−w0 ) Diese Gleichung muss dann ebenfalls gelten. 1. DIE KEPLERSCHEN GESETZE 45 Satz 35. (Drittes Keplersches Gesetz) Sei ε2 < 1. Dann ist der Kegelschnitt in Satz 34 2 3 eine Ellipse. Für die Umlaufzeit T gilt T 2 = 4πc a , wobei a die große Halbachse der Ellipse ist. Beweis. Die Ellipsenfläche ist abπ, wobei b die kleine Halbachse ist. Nach Satz 32 ist die Ellipsenfläche ebenfalls gleich 12 gT , die in der Zeit T überstrichene Fläche. Es folgt 2 2 2 2 T 2 = 4π ga2 b . Der im Zähler der Ellipsengleichung auftretende Ausdruck ist ba . Somit gilt b2 a = g2 . c Setzt man b2 = g2 a c ein, so hat man T 2 = 4π 2 a3 . c c Erstes Keplersches Gesetz – ein anderer Zugang: Sei P (x) = − ∥x∥ für x ∈ R3 \{0} das Gravitationspotential der Sonne. Seien x(t) und v(t) die Position und die Geschwindigkeit des Planeten zum Zeitpunkt t. Dann gilt (1) x′ (t) = v(t) und v′ (t) = − grad P (x(t)) für alle t∈R Wir wissen bereits, dass die Bahn des Planeten in der x1 -x2 -Ebene verläuft. Wir haben Konstante h und g gefunden, sodass P (x(t)) + 21 ∥v(t)∥2 = h und det(x(t), v(t)) = g für alle t ∈ R gelten. Weiters sei K : R4 → R2 durch K(x, v) = P (x)x + ⟨v, v⟩x − ⟨x, v⟩v definiert. Satz 36. Für alle t ∈ R gilt ddt K(x(t), v(t)) = 0. Es existiert ein Vektor d ∈ R2 , sodass K(x(t), v(t)) = d für alle t ∈ R gilt. Beweis. Wir überlegen, wie man die in der Funktion K(x, v) auftretenden Summanden differenziert. R und x : )R → R(2 differenzierbare dann gilt (f (t)x1f(t)):′ R (→ ( )′ Sind ) (x′ (t)) Funktionen, ′ f (t)x1 (t)+f (t)x′1 (t) x1 (t) ′ ′ 1 f (t)x(t) = f (t)x2 (t) = f ′ (t)x2 (t)+f (t)x′ (t) = f (t) x2 (t) + f (t) x′ (t) = f (t)x(t) + f (t)x′ (t). 2 2 ( ) 1 (t) ′ Sind x : R → R2 und v : R → R2 differenzierbar, dann gilt ⟨x(t), v(t)⟩′ = xx12 (t)v = (t)v2 (t) (x′ (t)v1 (t)+x1 (t)v′ (t)) (x′ (t)v1 (t)) (x1 (t)v′ (t)) 1 1 = x1′ (t)v2 (t) + x2 (t)v1′ (t) = ⟨x′ (t), v(t)⟩ + ⟨x(t), v′ (t)⟩. Aus der Kettenregel x′2 (t)v2 (t)+x2 (t)v2′ (t) 2 2 ( )′ ′ folgt P (x(t)) = ⟨grad P (x(t)), x (t)⟩. Mit Hilfe dieser Formeln erhält man d P (x(t))x(t) = ⟨grad P (x(t)), x′ (t)⟩x(t) + P (x(t))x′ (t) dt d ⟨v(t), v(t)⟩x(t) = ⟨v′ (t), v(t)⟩x(t) + ⟨v(t), v′ (t)⟩x(t) + ⟨v(t), v(t)⟩x′ (t) dt − ddt ⟨x(t), v(t)⟩v(t) = −⟨x′ (t), v(t)⟩v(t) − ⟨x(t), v′ (t)⟩v(t) − ⟨x(t), v(t)⟩v′ (t) ′ ′ Mit Hilfe von (1) berechnet man dann ⟨grad P (x(t)), x (t)⟩x(t) + ⟨v (t), v(t)⟩x(t) = 0 und ⟨v(t), v(t)⟩x′ (t) − ⟨x′ (t), v(t)⟩v(t) = 0. Berücksichtigt man das bei der Addition obiger Gleichungen, so erhält man für die Ableitung von K(x(t), v(t)) d K(x(t), v(t)) dt = P (x(t))x′ (t) + ⟨v(t), v′ (t)⟩x(t) − ⟨x(t), v′ (t)⟩v(t) − ⟨x(t), v(t)⟩v′ (t) c c Wegen P (x) = − ∥x∥ gilt Dj P (x) = ∥x∥j3 und somit v′ (t) = − grad P (x(t)) = − ∥x(t)∥ 3 x(t). ⟨ ⟩ ⟨ ⟩ c c ′ ′ Damit folgt P (x(t))x (t) − x(t), v (t) v(t) = − ∥x(t)∥ v(t) + x(t), ∥x(t)∥3 x(t) v(t) = 0 und ⟩ ⟨ ⟩ c ⟨ ⟩ ⟨ ⟩ ⟨ c x(t), v(t) ∥x(t)∥ v(t), v′ (t) x(t) − x(t), v(t) v′ (t) = − v(t), ∥x(t)∥ 3 x(t) x(t) + 3 x(t) = 0. Damit ist ddt K(x(t), v(t)) = 0 gezeigt. Beide Komponenten von K(x(t), v(t)) haben Ableitung null und sind daher konstant. Somit existiert ein Vektor d ∈ R2 , sodass K(x(t), v(t)) = d für alle t ∈ R gilt. cx Mit Satz 36 beweisen wir das erste Keplersche Gesetz. Für t ≥ 0 sei r(t) = ∥x(t)∥ und s(t) der Winkel, den der Vektor x(t) vom Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunkt t überstreicht. Satz 37. (Erstes Keplersches Gesetz) Für die Bahn des Planeten gilt r(t) = für ein geeignetes w0 ∈ R und ein ε > 0 (Gleichung eines Kegelschnitts). g 2 /c 1+ε cos(s(t)−w0 ) 46 5. ANHANG 2 Beweis. Nach Satz ⟨ 36 existiert ein⟩ Vektor d ∈ R , sodass K(x(t), v(t)) = d für alle t ∈ R gilt. Es folgt K(x(t), v(t)),⟩ x(t) = ⟨d, x(t)⟩. Mit Hilfe der Definition von K(x, v) ⟨ berechnet man K(x(t), v(t)), x(t) = P (x(t))∥x(t)∥2 +∥v(t)∥2 ∥x(t)∥2 −⟨x(t), v(t)⟩2 . Wegen ⟨ ⟩ K(x(t), v(t)), x(t) = ⟨d, x(t)⟩ und der Formel ∥a∥2 ∥b∥2 − ⟨a, b⟩2 = det(a, b)2 erhält man c ⟨d, x(t)⟩ = P (x(t))∥x(t)∥2 + det(x(t), v(t))2 . Weiters gilt P (x) = − ∥x∥ und eingangs wurde erwähnt, dass det(x(t), v(t)) = g für alle t ∈ R gilt. Setzt man das ein, so ergibt sich ⟨d, x(t)⟩ = −c∥x(t)∥ + g 2 . Sei w0 der Winkel zwischen den beiden Vektoren x(0) und d. Dann ist s(t) − w0 der ⟨d,x(t)⟩ Winkel zwischen den Vektoren d und x(t). Somit gilt cos(s(t) − w0 ) = ∥d∥·∥x(t)∥ . Wegen ⟨d, x(t)⟩ = −c∥x(t)∥ + g 2 erhalten wir ∥d∥ · ∥x(t)∥ cos(s(t) − w0 ) = −c∥x(t)∥ + g 2 , das heißt g2 ∥x(t)∥ = c+∥d∥ cos(s(t)−w . Das ist die gesuchte Gleichung, die für alle t ∈ R gilt. 0) Polarkoordinaten: Wir behandeln noch die Gleichung einer Ellipse, wie sie in Satz 37 auftritt. Die Halbachsen seien a und b. Der Abstand der Brennpunkte F1 und F2 sei 2e. Es gilt a2 = b2 + e2 . Der Brennpunkt F2 liegt im Koordinatenursprung, der Brennpunkt F1 links davon auf der x-Achse. Wir bestimmen die GleiA chung der Ellipse in Polarkoordinaten. Sei A ein beliebiger Punkt auf der Ellipse. Seine Polarkoorr dinaten seien r und w. Es gilt |F1 A|+|F2 A| = 2a, da A auf der Ellipse liegt. Wegen |F2 A| = r erw gibt sich |F1 A| = 2a − r. Aus dem Cosinussatz F1 F2 folgt |F1 A|2 = r2 + 4e2 − 4re cos(π − w), da ja 2e der Abstand der Brennpunkte ist. Setzt man |F1 A| = 2a − r und cos(π − w) = − cos w ein, quadriert aus und vereinfacht, dann erhält man a2 −e2 4a2 − 4ar = 4e2 + 4re cos w. Löst man nach r auf, so ergibt sich r = a+e . Wegen cos w b2 2 2 2 a = b + e folgt r = a+e cos w . Das ist die Gleichung einer Ellipse in Polarkoordinaten, wobei der rechte Brennpunkt im Koordinatenursprung und der linke auf der x- Achse liegt. Oft 2 setzt man ε = ae < 1 und p = ba > 0. Dann wird die Gleichung zu r = 1+ε pcos w . Ganz analog erhält man die Gleichung einer Hyperbel. Der Abstand der Brennpunkte F1 und F2 sei 2e. Der Abstand der beiden Scheitel sei 2a. Es gilt a < e. Der Brennpunkt F1 liegt im Koordinatenursprung, der Brennpunkt F2 rechts davon auf der x-Achse. Sei A ein beliebiger Punkt auf dem linken Hyperbelast. Seine Polarkoordinaten bezeichnen wir mit r und w. Es gilt |F2 A| − |F1 A| = 2a, da A A auf der Hyperbel liegt. Wegen |F1 A| = r ergibt sich |F2 A| = 2a + r. Aus dem Cosinussatz folgt r |F2 A|2 = r2 + 4e2 − 4re cos w, da 2e der Abstand der Brennpunkte ist. Setzt man |F2 A| = 2a + r w ein, quadriert aus und vereinfacht, dann erhält F1 F2 man 4a2 + 4ar = 4e2 − 4re cos w. Löst man nach 2 2 e −a r auf, so ergibt sich r = a+e . Das ist die Gleicos w chung des linken Hyperbelasts in Polarkoordinaten, wobei der linke Brennpunkt im Koordinatenursprung und der rechte auf der x- Achse 2 2 liegt. Setzt man ε = ae > 1 und p = e −a > 0, dann wird die Gleichung zu r = 1+ε pcos w . a 2. LJAPUNOVFUNKTIONEN 47 Wir erhalten die gemeinsame Gleichung r = 1+ε pcos w für Ellipse und Hyperbel wobei p und ε positive Zahlen sind. Für 0 < ε < 1 stellt die Gleichung eine Ellipse dar, für ε > 1 eine Hyperbel. Für ε = 1 stellt sie eine Parabel dar, deren Brennpunkt im Koordinatenursprung liegt und deren Leitlinie Abstand p vom Brennpunkt hat. g 2 /c In Satz 37 hatten wir r(t) = 1+ε cos(s(t)−w . Wählt man die x-Achse so, dass sie mit dem 0) Vektor x(0) den Winkel w0 einschließt, dann ist s(t) − w0 der Winkel des Vektors x(t) im Polarkoordinatensystem. Die Bahn des Planeten ist somit ein Kegelschnitt, und zwar eine Ellipse, wenn ε < 1 ist, und eine Hyperbel, wenn ε > 1 ist. 2. Ljapunovfunktionen Ljapunovfunktionen sind ganz analog wie Bewegungsinvariante definiert. Es wird nur das Gleichheitszeichen durch ein Ungleichheitszeichen ersetzt. Definition. Sei B eine offene Teilmenge des R2 und F : B → R2 ein Vektorfeld. Eine Funktion V : B → R mit stetigen partiellen Ableitungen heißt Ljapunovfunktion zum Vektorfeld F , wenn ⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ 0 für alle x ∈ B gilt. Satz 38. Sei B ⊂ R2 offen, F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld und V : B → R eine Ljapunovfunktion zum Vektorfeld F . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)), die auf dem Intervall I existiert. Dann gilt dtd V (x(t)) ≤ 0 für alle t ∈ I. Die Funktion t 7→ V (x(t)) ist monoton fallend. Beweis. Wegen Satz 25 und wegen x′ (t) = F (x(t)) erhalten wir d V dt (x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ Aus der Definition der Ljapunovfunktion folgt ≤ 0 ist, ist monoton fallend. d V dt (x(t)) ≤ 0. Eine Funktion, deren Ableitung Grenzwerte und Stetigkeit in zwei Variablen funktionieren genauso wie für eine Variable. Für ε > 0 haben wir die ε-Umgebung des Punktes p durch Uε (p) = {x ∈ R2 : ∥x − p∥ < ε} definiert. Eine Funktion V : B → R heißt stetig im Punkt p ∈ B, wenn für jedes ε > 0 ein δ > 0 existiert, sodass |V (x) − V (p)| < ε für alle x ∈ Uδ (p) gilt. Eine Funktion V : B → R heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt p ∈ B stetig ist. Ein Vektorfeld F : B → R2 heißt stetig, wenn beide Komponenten F1 : B → R und F2 : B → R stetig sind. Sei (pn )n≥1 eine Folge von Punkten im R2 . Wir nennen p ∈ R2 Grenzwert dieser Folge und schreiben limn→∞ pn = p, wenn für jedes ε > 0 ein n0 existiert, sodass pn ∈ Uε (p) für alle n ≥ n0 gilt. Für Grenzwerte und stetige Funktionen im R2 gelten dieselben Sätze, die in R gelten. Insbesondere gilt der Satz von Bolzano-Weierstraß: Eine beschränkte Folge im R2 hat eine konvergente Teilfolge. Definition. Sei x(t) eine Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = F (x(t)), die für alle t ≥ 0 definiert ist. Wir nennen p einen Limespunkt dieser Lösungskurve, wenn eine Folge (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ tn = ∞ existiert, sodass limn→∞ x(tn ) = p gilt. Satz 39. Sei B offen und V : B → R eine Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld F : B → R2 . Sei k in R und Nk = {x ∈ B : V (x) ≤ k}. Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)) und x(s0 ) ∈ Nk für ein s0 ∈ R. Dann gilt x(s) ∈ Nk für alle s ≥ s0 . Ist p ein Limespunkt von x(t), der in B liegt, dann gilt auch p ∈ Nk . 48 5. ANHANG Beweis. Wegen x(s0 ) ∈ Nk gilt V (x(s0 )) ≤ k. Da t 7→ V (x(t)) monoton fallend ist, erhalten wir V (x(s)) ≤ k und somit auch x(s) ∈ Nk für alle s ≥ s0 . Ist p ein Limespunkt von x(t), dann existiert eine Folge (tn )n≥1 mit limn→∞ tn = ∞, sodass limn→∞ x(tn ) = p gilt. Da V (x(tn )) ≤ k für alle n mit tn ≥ s0 gilt, erhalten wir auch V (p) = limn→∞ V (x(tn )) ≤ k, das heißt p ∈ Nk . Der Rand der Menge Nk ist die Höhenschichtlinie Hk = {x ∈ B : V (x) = k}. Eine Lösungskurve x(t) kann die Menge Nk nicht verlassen. Auf dem Rand Hk kann sie nur dann laufen, wenn dort ⟨grad V (x), F (x)⟩ = 0 gilt (in diesem Fall ist t 7→ V (x(t)) ja konstant). Satz 40. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld F : B → R2 . Sei δ > 0 und G eine Teilmenge von B, sodass ⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ −δ für alle x ∈ G gilt. Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)). Zu jedem r > 0 mit x(r) ∈ G existiert dann ein s > r mit x(s) ∈ / G. Beweis. Angenommen es gelte x(t) ∈ G für alle t ≥ r. Sei f (t) = V (x(t)). Dann gilt f ′ (t) = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ ≤ −δ für alle t ≥ r. Es folgt limt→∞ f (t) = −∞. Das widerspricht der Beschränktheit der Ljapunovfunktion nach unten. Damit ist gezeigt, dass x(t) ∈ G für alle t ≥ r nicht gelten kann. Satz 41. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion zum stetigen Vektorfeld F : B → R2 . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)). Ist p ein Limespunkt dieser Lösungskurve, der in B liegt, dann gilt ⟨grad V (p), F (p)⟩ = 0. Beweis. Angenommen es gelte ⟨grad V (p), F (p)⟩ ̸= 0. Da V eine Ljapunovfunktion ist, gilt dann ⟨grad V (p), F (p)⟩ < 0. Da F und die partiellen Ableitungen von V stetig sind, ist auch x 7→ ⟨grad V (x), F (x)⟩ stetig. Daher existieren ϱ > 0 und δ > 0, sodass ⟨grad V (x), F (x)⟩ ≤ −δ (1) für alle x ∈ Uϱ (p) gilt. Da das Vektorfeld F stetig ist, existiert eine Konstante M , sodass |F1 (x)| ≤ M und |F2 (x)| ≤ M (2) gilt. Schließlich wählen wir ε < V (p) − (3) ϱδ 8M ϱ 2 für alle x ∈ Uϱ (p) so, dass < V (x) < V (p) + ϱδ 8M für alle x ∈ Uε (p) gilt. Das ist möglich, da V stetig ist. Da p ein Limespunkt der Lösungskurve x(t) ist, gibt es ein r > 0 mit x(r) ∈ Uε (p). Wegen (1) und Satz 40 gibt es ein s > r mit x(s) ∈ / Uϱ (p). Wir wählen s minimal. Es gilt ∥x(s) − p∥ = ϱ und x(t) ∈ Uϱ (p) für r < t < s (4) Wegen (5) d V dt (x(t)) = ⟨grad V (x(t)), x′ (t)⟩ = ⟨grad V (x(t)), F (x(t))⟩ folgt aus (4) und (1) V (x(s)) − V (x(r)) = (s − r)⟨grad V (x(ξ)), F (x(ξ))⟩ ≤ −(s − r)δ wobei ξ zwischen r und s liegt. Für j = 1 und j = 2 erhalten wir wegen (4) und (2), dass |xj (s) − xj (r)| = (s − r)|Fj (x(ξ))| ≤ (s − r)M mit ξ zwischen r und s gilt. Es folgt √ (6) ∥x(s) − x(r)∥ = (x1 (s) − x1 (r))2 + (x2 (s) − x2 (r))2 ≤ 2(s − r)M Wegen x(r) ∈ Uε (p) und ε < ϱ2 gilt ∥x(r) − p∥ < ϱ2 . Mit (4) folgt ∥x(s) − x(r)∥ > ϱ2 . Mit (6) ϱ ϱδ . Aus (5) folgt dann V (x(s)) − V (x(r)) < − 4M . ist ϱ2 < 2(s − r)M gezeigt, also s − r > 4M ϱδ Aus (3) ergibt sich V (x(r)) < V (p) + 8M wegen x(r) ∈ Uε (p). Damit erhalten wir V (x(s)) < V (p) + ϱδ 8M − ϱδ 4M = V (p) − ϱδ 8M 2. LJAPUNOVFUNKTIONEN 49 Da V eine Ljapunovfunktion und daher t 7→ V (x(t)) monoton fallend ist, gilt auch V (x(t)) < V (p) − ϱδ 8M für alle t>s Aus (3) folgt x(t) ∈ / Uε (p) für alle t > s. Somit kann p kein Limespunkt der Lösungskurve x(t) sein. Dieser Widerspruch zeigt, dass ⟨grad V (p), F (p)⟩ ̸= 0 nicht gelten kann. Ist B eine Menge, dann bezeichnet B den Abschluss von B, das ist die Menge B zusammen mit ihrem Rand. Ist zum Beispiel B = (0, ∞) × (0, ∞), dann gilt B = [0, ∞) × [0, ∞). Satz 42. Sei B ⊆ R2 offen und V : B → R stetig und nach unten beschränkt. Auf der Menge B sei V eine Ljapunovfunktion zum Vektorfeld F : B → R2 . Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)). Sind p und q Limespunkte von x(t) in B, dann gilt V (p) = V (q). Beweis. Sei f (t) = V (x(t)). Da V eine nach unten beschränkte Ljapunovfunktion ist, ist f monoton fallend und nach unten beschränkt. Der Grenzwert limt→∞ f (t) existiert. Wir nennen ihn c. Es existieren Folgen (sn )n≥1 und (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞ und limn→∞ tn = ∞, sodass limn→∞ x(sn ) = p und limn→∞ x(tn ) = q gilt. Da V eine stetige Funktion ist, gilt dann limn→∞ f (sn ) = limn→∞ V (x(sn )) = V (p) und limn→∞ f (tn ) = limn→∞ V (x(tn )) = V (q). Daher muss V (p) = c und V (q) = c gelten. Das zeigt V (p) = V (q). Satz 43. Sei F : R2 → R2 ein Vektorfeld mit stetigen partiellen Ableitungen. Sei x(t) eine beschränkte Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)). Dann hat x(t) einen Limespunkt. Beweis. Da die Lösung x(t) beschränkt ist, ist sie nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz für alle t ≥ 0 definiert. Wir wählen eine Folge (sn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞. Da die Lösungskurve x(t) beschränkt ist, ist auch (x(sn ))n≥1 eine beschränkte Folge im R2 . Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß hat sie eine Teilfolge, die gegen einen Punkt p konvergiert. Das heißt, es existiert eine Teilfolge (tn )n≥1 von (sn )n≥1 , für die limn→∞ x(tn ) = p gilt. Da (tn )n≥1 eine Teilfolge von (sn )n≥1 ist, gilt auch limn→∞ tn = ∞. Somit ist p ein Limespunkt der Lösungskurve x(t). Satz 44. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Sei x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)) und p ein Punkt in B, sodass limt→∞ x(t) = p gilt. Dann gilt auch F (p) = 0. Beweis. Angenommen es gelte F (p) ̸= 0. Es folgt, dass Fj (p) ̸= 0 für ein j gilt. Da F stetig ist, existiert ein ε > 0 und ein δ > 0, sodass |Fj (x)| ≥ δ für alle x ∈ Uε (p) gilt. Wegen limt→∞ x(t) = p existiert ein t0 > 0 mit x(t) ∈ Uε (p) für t ≥ t0 . Für alle t ≥ t0 folgt dann |xj (t) − xj (t0 )| = (t − t0 )|x′j (ξ)| = (t − t0 )|Fj (x(ξ))| ≥ (t − t0 )δ wobei ξ zwischen t und t0 liegt. Die Funktion t 7→ xj (t) ist somit unbeschränkt. Daher kann limt→∞ x(t) = p nicht gelten. Dieser Widerspruch zeigt, dass F (p) ̸= 0 nicht möglich ist. Satz 45. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Sei x(t) eine beschränkte Lösung des Systems x′ (t) = F (x(t)) und p der einzige Limespunkt dieser Lösungskurve. Dann gilt limt→∞ x(t) = p. Beweis. Angenommen limt→∞ x(t) = p gilt nicht. Dann existiert ein ε > 0 und eine Folge (sn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞, sodass x(sn ) ∈ / Uε (p) für alle n ≥ 1 gilt. Da die Lösungskurve x(t) beschränkt ist, ist auch die Folge (x(sn ))n≥1 beschränkt und hat daher eine konvergente Teilfolge, deren Grenzwert ̸= p ist, da x(sn ) ∈ / Uε (p) für alle n ≥ 1 gilt. 50 5. ANHANG Somit hat die Lösungskurve x(t) einen weiteren Limespunkt. Dieser Widerspruch zeigt, dass limt→∞ x(t) = p gelten muss. Satz 46. Sei B ⊆ R2 offen und F : B → R2 ein stetiges Vektorfeld. Seien p und q Punkte auf verschiedenen Seiten einer Gerade g. Sind p und q Limespunkte einer beschränkten Lösung x(t) des Systems x′ (t) = F (x(t)), dann hat x(t) auch einen Limespunkt auf g. Beweis. Es existieren Folgen (sn )n≥1 und (tn )n≥1 in R+ mit limn→∞ sn = ∞ und limn→∞ tn = ∞, sodass limn→∞ x(sn ) = p und limn→∞ x(tn ) = q gilt. Durch Auswahl von Teilfolgen können wir annehmen, dass s1 < t1 < s2 < t2 < s3 < t3 < s4 < t4 < . . . gilt, und dass x(sn ) und x(tn ) für n ≥ 1 auf verschiedenen Seiten von g liegen. Für alle n ≥ 1 existiert dann ein rn mit sn < rn < tn , sodass x(rn ) auf g liegt. Da die Lösungskurve x(t) beschränkt ist, liegen die Punkte x(rn ) in einem Intervall auf g. Sie haben daher eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert a auf g. Somit ist a ebenfalls ein Limespunkt der Lösungskurve x(t). Wir verwenden diese Sätze, um Differentialgleichungssysteme zu untersuchen. Wir beginnen mit dem Räuber-Beute-Modell, da es am einfachsten ist. ( x(a−bx−cy) ) Räuber-Beute-Modell: Das Vektorfeld ist F (x, y) = y(−d+ex−f y) . Wir nehmen an, dass die vier Koeffizienten b, c, e und f größer als null sind. Wir könnten auch zulassen, dass b oder f gleich null ist. Dann ist die Untersuchung etwas komplizierter. +cd und v = ae−bd . Dann ist P4 = (u, v) ein Fixpunkt. Wir nehmen an, Wir setzen u = af bf +ce bf +ce dass er im Bereich B = (0, ∞) × (0, ∞) liegt. Es gilt also ae − bd > 0. Wir versuchen es mit der Funktion V (x, y) = e(x − u log x) + c(y − v log y), die eine Bewegungsinvariante in einem Spezialfall des Räuber-Beute-Modells ist. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = (e − eu )x(a x − bx − cy) + (c − cv )y(−d y + ex − f y) Wegen a − bu − cv = 0 und −d + eu − f v = 0 ergibt sich ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = e(x − u)(−b(x − u) − c(y − v)) + c(y − v)(e(x − u) − f (y − v)) Jetzt wird noch ausmultipliziert und gekürzt. Es bleibt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = −be(x − u)2 − cf (y − v)2 Wir erhalten V (x, y) ≤ 0 für alle (x, y) ∈ B. Somit ist V (x, y) eine Ljapunovfunktion auf dem Gebiet B. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 nur dann, wenn (x, y) = (u, v). Die Ljapunovfunktion V nimmt ihr Minimum m = e(u−u log u)+c(v −v log v) im Punkt (u, v) an. Die Höhenschichtlinien der Funktion V haben wir ∪ bereits bestimmt. Die Mengen Nk mit k ≥ m schöpfen den Bereich B aus. Es gilt B = k≥m Nk . Sei x(t) eine Lösungskurve, die in B liegt. Es existiert ein k ≥ m mit x(0) ∈ Nk . Wegen Satz 39 gilt x(t) ∈ Nk für alle t ≥ 0. Da Nk beschränkt ist, ist auch die Lösungskurve x(t) beschränkt. Wegen Satz 43 hat x(t) einen Limespunkt, der in Nk liegt, da Nk abgeschlossen ist. Wegen Satz 41 kommt nur (u, v) als Limespunkt in Frage. Somit ist (u, v) der einzige Limespunkt der Lösungskurve x(t). Aus Satz 45 folgt dann, dass limt→∞ x(t) = (u, v) gilt. Alle Lösungskurven in B konvergieren gegen P4 = (u, v). Wegen b > 0 ist P2 = ( ab , 0) ein Fixpunkt. Es ist ein Sattelpunkt, wie wir bereits gesehen haben. Die beiden auf der x-Achse liegenden Lösungskurven konvergieren gegen P2 . Es gibt auch zwei Lösungskurven, die von P2 ausgehen. Die eine konvergiert gegen P4 , die andere liegt außerhalb von B. 2. LJAPUNOVFUNKTIONEN Untenstehendes Bild zeigt Lösungskurven für das Vektorfeld F (x, y) = 51 ( x(10.8−0.4x−1.9y) ) y(−5.7+1.1x−0.7y) . ( ) y Pendel mit Reibung: Das Vektorfeld ist F (x, y) = −g sin x−r(y) , wobei r : R → R stetig ist mit r(0) = 0, r(y) > 0 für y > 0 und r(y) < 0 für y < 0. Wir versuchen es mit der Funktion V (x, y) = −g cos x + 12 y 2 , die wir beim ohne Reibung als Bewegungsinvariante ( g sin xPendel ) und gefunden haben. Es gilt grad V (x, y) = y ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = yg sin x − yg sin x − yr(y) = −yr(y) Da −yr(y) ≤ 0 für alle y ∈ R gilt, ist V (x, y) tatsächlich eine Ljapunovfunktion. Weiters gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 nur dann, wenn y = 0 ist, das heißt für Punkte auf der x-Achse. Das Vektorfeld und die Ljapunovfunktion sind periodisch. Es gilt F (x + 2π, y) = F (x, y) und V (x + 2π, y) = V (x, y). Die Höhenschichtlinien der Ljapunovfunktion V haben wir bereits bestimmt. Sie sind ebenfalls periodisch. Wir können die Punkte (x + 2π, y) und (x, y) identifizieren. Im untenstehenden Bild werden die beiden senkrechten Geraden identifiziert. Erreicht eine Kurve die rechte Gerade, dann können wir zur linken springen und uns dort die Kurve fortgesetzt denken. Das gilt für Höhenschichtlinien und Lösungskurven. Es gibt eine Höhenschichtlinie, auf der V den Wert g annimmt. Sie hat Kreuzungspunkte in den Fixpunkten ((2k + 1)π, 0) mit k ∈ Z. Diese Höhenschichtlinie nennt man Separatrix. Für die Menge Nk von zwei wellenförmigen Höhenschichtlinien begrenzt. Es gilt ∪ k > g wird 2 k>g Nk = R . Für jede Lösungskurve x(t) existiert ein k mit x(0) ∈ Nk . Wegen Satz 39 gilt x(t) ∈ Nk für alle t ≥ 0. Wegen der oben eingeführten Periodizität ist Nk beschränkt. Somit ist auch jede Lösungskurve beschränkt und hat wegen Satz 43 einen Limespunkt. Wegen Satz 41 liegt jeder Limespunkt auf der x-Achse. Hätte eine Lösungskurve zwei Limespunkte, dann müsste jeder Punkt auf der x-Achse, der dazwischen liegt, nach Satz 46 ebenfalls Limespunkt sein (auf der Senkrechten durch jeden Punkt q dazwischen muss ja ein Limespunkt liegen, und da alle Limespunkte auf der x-Achse liegen, muss q selbst der Limespunkt sein). Wegen Satz 42 ist das nicht möglich, da V auf einem Intervall, das auf der x- Achse liegt, nicht konstant ist. Das beweist, dass jede Lösungskurve genau einen 52 5. ANHANG Limespunkt hat. Wegen Satz 45 und Satz 44 konvergiert jede Lösungskurve gegen einen Punkt p, für den F (p) = 0 gilt, also gegen einen Fixpunkt. Wir wissen bereits, dass die Fixpunkte ((2k +1)π, 0) mit k ∈ Z Sattelpunkte sind. Es gibt zwei Lösungskurven, die in jeden dieser Punkte einmünden, und zwei Lösungskurven die von jedem dieser Punkte ausgehen. Diese müssen in die benachbarten Fixpunkte einmünden. Für drei dieser Sattelpunkte sind diese vier Lösungskurven in folgender Zeichnung eingezeichnet Unten sind diese Lösungskurven strichliert eingezeichnet. Sie teilen die Ebene in Gebiete, in denen die anderen Lösungskurven verlaufen müssen. Diese konvergieren gegen Fixpunkte, wie wir oben gesehen haben. Da ein Sattelpunkt nur zwei einmündende Lösungskurven hat, gehen sie gegen die Fixpunkte (2kπ, 0) mit k ∈ Z. Diese Lösungskurven zeigen, wie das Pendel immer langsamer und kürzer schwingt. Die Konvergenz zu den Fixpunkten (2kπ, 0) bedeutet, dass das Pendel schließlich in Ruhelage stehen bleibt. Konkurrenzmodell: Schließlich behandeln wir noch das Konkurrenzmodell. Wir beginnen mit einem Satz über die Eigenwerte einer 2 × 2-Matrix. Satz 47. Sei A eine 2 × 2-Matrix mit Determinante det A. Weiters sei sp A die Spur der Matrix A, das ist die Summe ihrer Einträge in der Diagonale, und pr A das Produkt ihrer Einträge, die nicht in der Diagonale stehen. Ist det A < 0, dann hat A zwei reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Ist det A > 0 und pr A ≥ 0, dann hat A zwei reelle Eigenwerte mit gleichen Vorzeichen, das mit dem Vorzeichen von sp A übereinstimmt. ( ) Beweis. Sei A = ac db . Die Eigenwerte der Matrix A sind dann die Lösungen der quadratischen Gleichung λ2 − (a + d)λ + ad − bc = 0, das heißt √ √ 1 1 1 2 λ1,2 = 2 (a + d) ± 4 (a + d) − ad + bc = 2 (a + d) ± 14 (a − d)2 + bc √ √ = 21 sp A ± 14 (sp A)2 − det A = 21 sp A ± 14 (a − d)2 + pr A 2. LJAPUNOVFUNKTIONEN 53 Ist det A < 0, dann gilt 14 (sp A)2 − det A > 14 (sp A)2 . Daher sind λ1 und λ2 reell und haben verschiedenes Vorzeichen. Ist det A > 0 und pr A ≥ 0, dann gilt 0 ≤ 14 (a − d)2 + pr A = 41 (sp A)2 − det A < 14 (sp A)2 . Daher sind λ1 und λ2 reell und haben gleiches Vorzeichen, wobei dieses Vorzeichen mit dem von sp A übereinstimmt. ( x(a−bx−cy) ) Das Vektorfeld des Konkurrenzmodells ist F (x, y) = y(d−ex−f y) . Wir nehmen c > 0 und e > 0 an, sonst zerfällt das Differentialgleichungssystem. Wir untersuchen das Vektorfeld im Bereich B = (0, ∞)×(0, ∞). Die Fixpunkte haben wir bereits berechnet. Es sind P1 = (0, 0), −cd P2 = ( ab , 0), P3 = (0, fd ) und P4 = (u, v), wobei wir u = af und v = bd−ae setzen. Es gilt bf −ce bf −ce bu + cv = a und eu + f v = d. Wir suchen eine Ljapunovfunktion. Wir versuchen es mit einem qudratischen Polynom dessen Mittelpunkt der Fixpunkt P4 ist: V (x, y) = be(x − u)2 + 2ce(x − u)(y − v) + cf (y − v)2 Unter Verwendung von bu + cv = a und eu + f v = d berechnen wir ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ (2be(x − u) + 2ce(y − v))x(a − bx − cy) + (2ce(x − u) + 2cf (y − v))y(d − ex − f y) = 2e(bx + cy − bu − cv)x(a − bx − cy) + 2c(ex + f y − eu − f v)y(d − ex − f y) = 2e(bx + cy − a)x(a − bx − cy) + 2c(ex + f y − d)y(d − ex − f y) Damit haben wir erhalten ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = −2ex(a − bx − cy)2 − 2cy(d − ex − f y)2 Es gilt V (x, y) ≤ 0 für alle (x, y) ∈ B. Somit ist V (x, y) eine Ljapunovfunktion auf der Menge B. Es gilt ⟨grad V (x, y), F (x, y)⟩ = 0 genau dann, wenn (x, y) der Fixpunkt P4 = (u, v) ist. Wir nehmen an, dass P4 in B liegt. Das ist der interessante Fall. Daraus ergibt sich −cd > 0 und v = bd−ae > 0. Wir unterscheiden die beiden Fälle bf − ce > 0 und u = af bf −ce bf −ce bf − ce < 0. Den ersten Fall nennen wir elliptisch, den zweiten hyperbolisch. Im elliptischen Fall gilt bf − ce > 0. Dann muss auch af − cd > 0 und bd − (ae > )0 be ce t gelten. Die Höhenschichtlinie mit A = ce cf , ( u ) V (x, y) = k ist der Kegelschnitt x Ax =2 k 2 der noch um den Vektor v verschoben wird. Es gilt det A = becf − c e = ce(bf − ce) > 0 und pr A = c2 e2 ≥ 0. Die Matrix A hat wegen Satz 47 zwei reelle Eigenwerte, die größer als null sind, da auch sp A = be + cf > 0 gilt. Somit sind die Höhenschichtlinien Ellipsen mit Mittelpunkt P4 . Sie haben auch alle dieselben Hauptachsen. 54 5. ANHANG Im hyperbolischen Fall gilt bf −ce < 0. Dann muss auch af −cd < 0 und bd−ae ( be ce )< 0 gelten. t Die Höhenschichtlinie V (x, y) = k ist der Kegelschnitt x Ax = k mit A = ce cf , der noch (u) 2 2 um den Vektor v verschoben wird. Es gilt det A = becf − c e = ce(bf − ce) < 0. Wegen Satz 47 hat die Matrix A zwei reelle Eigenwerte, die verschiedene Vorzeichen haben. Somit sind die Höhenschichtlinien Hyperbeln mit Mittelpunkt P4 . Sie haben auch alle dieselben Hauptachsen und dieselben Asymptoten. ( ) Die Asymptoten sind das Geradenpaar xt Ax = 0, das noch um den Vektor uv ver√ √ )( ) ( schoben wird. Es gilt xt Ax = be1 bex + (ce + c2 e2 − bcef )y bex + (ce − c2 e2 − bcef )y , √ woraus sich die Gleichungen der Asymptoten ergeben. Wegen 0 < c2 e2 − bcef < ce hat jede Asymptote negativen Anstieg. Jede Asymptote schneidet beide Koordinatenachsen. Da die Höhenschichtlinien asymptotisch zu den Asymptoten liegen, ist Nk für jedes k beschränkt. Da Ellipsen ∪ ohnehin beschränkt sind, gilt in beiden Fällen, dass Nk für jedes k beschränkt ist. Es gilt k∈R Nk = B. Für jede Lösungskurve x(t) in B existiert ein k mit x(0) ∈ Nk . Wegen Satz 39 gilt x(t) ∈ Nk für alle t ≥ 0. Wegen Satz 43 hat jede Lösungskurve, die in B liegt, einen Limespunkt. Wegen Satz 41 kommen dafür nur der Fixpunkt P4 und Punkte am Rand von B in Frage. Hätte eine Lösungskurve zwei verschiedene Punkte als Limespunkte, dann müsste sie nach Satz 46 auch auf jeder Gerade, die zwischen diesen Limespunkten hindurchgeht, einen Limespunkt haben. Hätte die Lösungskurve zwei verschiedene Limespunkte, dann müsste es ein Intervall am Rand geben, das aus Limespunkten besteht. Nach Satz 42 ist das nicht möglich, da sonst die Funktion V auf diesem Intervall konstant sein müsste. Somit kann jede Lösungskurve nur einen Limespunkt haben. Wegen Satz 45 und Satz 44 konvergiert jede Lösungskurve in B gegen einen der vier Fixpunkte. Man muss jetzt nur mehr die Fixpunkte anschauen. ( ) −cx Die Matrix der partiellen Ableitungen des Vektorfelds ist M = a−2bx−cy −ey d−ex−2f y . Im (a 0) Fixpunkt P1 erhält man die Matrix M = 0 d . Die Eigenwerte sind λ1 = a > 0 und λ2 = d > 0. Der Fixpunkt P1 ist immer ein Repeller. ) konvergiert nichts. ( Dorthin 1 −ab −ac Im Fixpunkt P2 erhält man die Matrix M = b 0 bd−ae mit Eigenwerten λ1 = −a < 0 ( ) 1 af −cd 0 und λ2 = bd−ae . Im Fixpunkt P erhält man die Matrix M = mit Eigenwerten 3 −de −df b f ( ) af −cd −cu λ1 = f und λ2 = −d < 0. Im Fixpunkt P4 erhält man die Matrix M = −bu −ev −f v . Im elliptischen Fall, das ist der mit bf − ce > 0, af − cd > 0 und bd − ae > 0, haben die beiden Fixpunkte P2 und P3 Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Diese Fixpunkte sind daher Sattelpunkte. Es gibt nur je zwei Lösungskurven, das sind die am Rand von B, 2. LJAPUNOVFUNKTIONEN 55 die gegen diese Fixpunkte konvergieren. Daher müssen alle Lösungskurven im Innern von B gegen P4 konvergieren. Man kann auch noch die Matrix M im Fixpunkt P4 mit Hilfe von Satz 47 untersuchen. Wegen det M = uv(bf − ce) > 0 und pr M = cuev ≥ 0 sind beide Eigenwerte negativ, da ja auch sp M = −bu − f v negativ ist. Der Fixpunkt P4 ist ein Attraktor. Das folgende Bild zeigt einige Lösungskurven Im hyperbolischen Fall, das ist der mit bf − ce < 0, af − cd < 0 und bd − ae < 0, haben die beiden Fixpunkte P2 und P3 Eigenwerte mit negativen Vorzeichen. Diese Fixpunkte sind daher Attraktoren. Für P4 wenden wir Satz 47 an. Es gilt det M = uv(bf − ce) < 0. Somit hat P4 reelle Eigenwerte mit verschiedenen Vorzeichen. Der Fixpunkt P4 ist ein Sattelpunkt. Die beiden Lösungskurven, die in den Sattelpunkt P4 einmünden, teilen den Bereich B in zwei Teile. Die Lösungskurven in dem einen Teil konvergieren gegen P2 , die Lösungskurven im anderen Teil konvergieren gegen P3 . Das folgende Bild zeigt einige Lösungskurven 56 5. ANHANG 3. Lineare Differentialgleichungssysteme Wir lösen das Differentialgleichungssystem x′ (t) = Ax(t) für eine n × n-Matrix A. Wir verwenden dazu die Jordansche Normalform einer Matrix. Außerdem lassen wir komplexwertige Lösungen zu. Eine Lösung x(t) ist jetzt eine Funktion von R oder einem Intervall nach Cn . Die Komponenten xj (t) sind komplexwertige Funktionen einer reellen Variablen. Wir stellen einige Überlegungen zur Ableitung an. Sei f : I → C eine Funktion, wobei I ein Intervall oder ganz R ist. Wir schreiben f (t) = g(t) + ih(t), wobei g und h reellwertig sind. Es gilt f ′ (t) = g ′ (t) + ih′ (t), wenn g und h differenzierbar sind. Die Produktregel für komplexwertige Funktionen ist leicht nachzurechnen. ′ Für die konjugiert komplexe Funktion gilt f (t) = (g(t) − ih(t))′ = g ′ (t) − ih′ (t) = f ′ (t). Sei h(t) = eλt mit λ = α + iβ ∈ C. Wir zeigen, dass h′ (t) = λeλt gilt. Der Realteil von h(t) ist eαt cos βt mit Ableitung αeαt cos βt − βeαt sin βt. Der Imaginärteil von h(t) ist eαt sin βt mit Ableitung αeαt sin βt + βeαt cos βt. Es folgt h′ (t) = αeαt cos βt − βeαt sin βt + i(αeαt sin βt + βeαt cos βt) = eαt (α + iβ)(cos βt + i sin βt) = λeλt . Wir verwenden Lemma 5, um eine Verallgemeinerung von Lemma 14 zu beweisen. Lemma 48. Sei I ein offenes Intervall und x(t) eine auf I definierte (komplexwertige) Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) mit x(t0 ) = 0 für ein t0 ∈ I. Dann gilt x(t) = 0 für alle t ∈ I. ∑ Beweis. Sei σ : I → [0, ∞) definiert durch σ(t) = ∥x(t)∥2 = nj=1 xj (t)xj (t). Es gilt σ ′ (t) = n ∑ j=1 x′j (t)xj (t) + n ∑ j=1 xj (t)x′j (t) = n ∑ n ∑ ajk xk (t)xj (t) + j=1 k=1 n ∑ n ∑ xj (t)ajk xk (t) j=1 k=1 ∑ ∑ Es folgt |σ ′ (t)| ≤ nj=1 nk=1 |ajk + akj | · |xj (t)xk (t)|. Wegen |xj (t)xk (t)| ≤ |xj (t)|2 + |xk (t)|2 ∑ ∑ ∑ ∑ ergibt sich |σ ′ (t)| ≤ nj=1 nk=1 |ajk +akj |(|xj (t)|2 +|xk (t)|2 ) = nj=1 nk=1 2|ajk +akj |·|xj (t)|2 . ∑ ∑ Wir setzen K = max1≤j≤n nk=1 2|ajk + akj | und erhalten |σ ′ (t)| ≤ K nj=1 |xj (t)|2 = Kσ(t). Weiters gilt σ(t0 ) = ∥x(t0 )∥2 = 0, da ja x(t0 ) = 0 vorausgesetzt wird. Aus Lemma 5 erhalten wir, dass σ(t) = ∥x(t)∥2 = 0 für alle t ∈ I gilt. Es folgt x(t) = 0 für alle t ∈ I. Im folgenden Beweis verwenden wir Satz 12, der besagt, dass eine Linearkombination von Lösungen eines linearen Differentialgleichungssystems wieder eine Lösung ist. Das gilt auch für komplexwertige Lösungen, wobei die Koeffizienten in der Linearkombination komplex sein dürfen. Der Beweis ist derselbe wie der von Satz 12. Satz 49. Seien rj (t) für 1 ≤ j ≤ n Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t), die auf ganz R definiert sind. Es gelte det(r1 (t), r2 (t), . . . , rn (t)) ̸= 0 für alle t∈R Ist jetzt x(t) eine Lösung des Systems x′ (t) = Ax(t), die auf einem offenen Intervall I definiert ist, dann existieren c1 , c2 , . . . , cn in C, sodass x(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t) für alle t ∈ I gilt. Insbesondere lässt sich x(t) fortsetzen zu einer Lösung, die auf ganz R definiert ist (sollte I ̸= R sein). Beweis. Sei t0 ∈ I beliebig gewählt. Wegen det(r1 (t0 ), r2 (t0 ), . . . , rn (t0 )) ̸= 0 existieren c1 , c2 , . . . , cn in C mit c1 r1 (t0 ) + c2 r2 (t0 ) + · · · + cn rn (t0 ) = x(t0 ) 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 57 Sei y(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t) − x(t) für t ∈ I. Als Linearkombination von Lösungen ist y(t) eine Lösung. Außerdem wurden c1 , c2 , . . . , cn so gewählt, dass y(t0 ) = 0 gilt. Aus Lemma 48 folgt jetzt, dass y(t) = 0 für alle t ∈ I gilt. Damit ist dann auch x(t) = c1 r1 (t) + c2 r2 (t) + · · · + cn rn (t) für alle t ∈ I gezeigt. Da auf der rechten Seite eine Lösung des Differentialgleichungssystems steht, die auf ganz R definiert ist, lässt sich x(t) fortsetzen zu einer auf ganz R definierten Lösung. Wir verwenden die Jordansche Normalform für die Matrix A. Zu jedem Eigenwert λ existieren Vektoren u, v, w, . . . sodass gilt: Au = λu, Av = λv + u, Aw = λw + v, . . . Wir können Lösungen des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t) angeben r1 (t) = eλt u, r2 (t) = eλt (v + tu), r3 (t) = eλt (w + tv + t2 u), 2! ... Mit Hilfe der Produktregel ist leicht nachzurechnen, dass das Lösungen sind. Sie sind auf ganz R definiert. Man kann zeigen, dass det(r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . ) = det(eλt u, eλt (v + tu), eλt (w + tv + t2 u), . . . ) 2! ̸= 0 für alle t ∈ R gilt. Die Exponentialfunktionen kann man aus der Matrix herausziehen. Die erste Spalte der Determinante ist dann u. Ein Vielfaches dieser Spalte kann man von den anderen Spalten subtrahieren. So erhält man v in der zweiten Spalte. Ein Vielfaches dieser Spalte kann man von den anderen Spalten subtrahieren. Und so weiter. Auf diese Weise erhält man det(u, v, w, . . . ). Diese Determinante ist ̸= 0, da die Vektoren u, v, w, . . . ja eine Basis des Cn bilden. Damit ist det(r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . ) ̸= 0 gezeigt. Nach Satz 49 sind die Liearkombinationen der Lösungen r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . . bereits alle Lösungen. Damit haben wir die allgemeine Lösung für ein System von n linearen Differentialgleichungen gefunden. Das gibt auch einen Beweis für Satz 17. Ist λ ein k-facher Eigenwert, dann sind die Komponenten der Lösungen r1 (t), r1 (t), . . . , rk (t) Linearkombinationen der Funktionen eλt , teλt , . . . , tk−1 eλt . Ist λ reell, dann kommen diese Funktionen unter den Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) vor. Ist λ = α + iβ komplex, dann kommen die Real- und Imaginärteile dieser Funktionen unter den Basisfunktionen vor, sodass die Komponenten der Lösungen r1 (t), r1 (t), . . . , rk (t) in jedem Fall eine Linearkombination der Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) sind. Sei x(t) jetzt eine reellwertige Lösung des Differentialgleichungssystems x′ (t) = Ax(t). Nach obigem Resultat ist x(t) eine Linearkombination der Lösungen r1 (t), r2 (t), r3 (t), . . .. Daher ist jede Komponente xj (t) von x(t) Linearkombination der Basisfunktionen, das heißt xj (t) = b1 h1 (t) + b2 h2 (t) + · · · + bn hn (t) wobei die Koeffizienten b1 , b2 , . . . , bn in C liegen können. Da aber sowohl xj (t) als auch h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) reell sind, bleibt die Gleichung bestehen, wenn man die Koeffizienten durch ihre Realteile ersetzt. Man hat dann reelle Koeffizienten. Damit ist Satz 17 bewiesen. Lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung: Diese Resultate kann man auch auf die homogene lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten anwenden. Diese ist x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0 mit a1 , a2 , . . . , an ∈ R Wir führen sie auf ein Differentialgleichungssystem zurück. Sei x(t) eine Lösung dieser Differentialgleichung. Wir setzen y1 (t) = x(t), y2 (t) = x′ (t), y3 (t) = x′′ (t), . . . , yn (t) = x(n−1) (t) 58 5. ANHANG Es folgt yk′ (t) = yk+1 (t) für 1 ≤ k ≤ n − 1 und yn′ (t) = −a1 yn (t) − · · · − an−1 y2 (t) − an y1 (t) folgt aus der Differentialgleichung. In Vektorschreibweise ist das 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 . . . .. ′ . . . y (t) = Ay(t) mit A= . . . . 0 0 0 0 0 0 0 0 −an −an−1 −an−2 −an−3 ... ... ... .. . 0 0 0 .. . ... 1 ... 0 . . . −a2 0 0 0 .. . 0 1 −a1 Dieses Differentialgleichungssystem ist äquivalent zur obigen homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung. Wir bezeichnen die n × n-Matrix A mit An . Für 1 ≤ k ≤ n − 1 ist die rechts unten stehende k × k-Teilmatrix von A dann gleich Ak . Sei Pk (λ) = det(λI k ) das charakteris k −A −1 2 tische Polynom der Matrix Ak . Insbesondere gilt P2 (λ) = aλ2 λ+a = λ + a1 λ + a2 . Durch 1 Entwickeln nach der ersten Spalte ergibt sich die Rekursionsformel Pk (λ) = λPk−1 (λ) + ak . Damit erhält man, dass Pn (λ) = λn + a1 λn−1 + a2 λn−2 + . . . + an−1 λ + an gilt. Damit ist das charakteristische Polynom der Matrix A berechnet. Seien h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) die Basisfunktionen zu Pn (λ) = λn +a1 λn−1 +. . .+an−1 λ+an . Aus dem oben bewiesen Satz 17 folgt, dass insbesondere y1 (t) eine Linearkombination der Funktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) ist. Somit gilt das für jede Lösung x(t) der homogenen linearen Differentialgleichung x(n) (t) + a1 x(n−1) (t) + · · · + an−1 x′ (t) + an x(t) = 0. Andererseits kann man nachprüfen, dass jede dieser Basisfunktionen h1 (t), h2 (t), . . . , hn (t) und damit auch jede Linearkombination eine Lösung ist. Damit ist Satz 9 bewiesen.