Höhere Analysis I Sommersemester 2012 Prof. Dr. D. Lenz Blatt 2 Lösungsvorschläge1 (1) Sei (X, T ) ein topologischer Raum und M ⊆ X. Zeigen Sie: M◦ = [ O O⊆M, O∈T M= \ F M ⊆F, X\F ∈T ∂M = {x ∈ X : für alle Umgebungen U von x gilt U ∩M 6= ∅ und U ∩(X \M ) 6= ∅}. Lösung: (Melchior Wirth) In der Vorlesung wurden M ◦ , M , ∂M wiefolgt definiert: M ◦ = {x ∈ X : M ist Umgebung von x}, M = {x ∈ X : für jede Umgebung U von x gilt U ∩ M 6= ∅}, ∂M = M \ M ◦ . Setze int M := [ O⊂M O∈T O, cl M := \ A A⊃M Ac ∈T fr M := {x ∈ X | für jede Umgebung U von x gilt: U ∩ M 6= ∅, U ∩ M c 6= ∅} ◦ Für offene Menge Ux mit x ∈ Ux ⊂ M , also ist M ◦ = S jedes x ∈ M gibt es eine ◦ x∈M ◦ Ux offen und somit M ⊂ int M . Andererseits gibt es für jedes x ∈ int M ein O ⊂ M offen mit x ∈ O, also ist M eine Umgebung für alle x ∈ int M und somit int M ⊂ M ◦ . Für x ∈ / M gibt es eine Umgebung U mit U ∩M = ∅, also y ∈ / M für alle y ∈ U . Somit c ist (M ) offen, also M ⊃ M abgeschlossen und daher M ⊂ cl M . Ist andererseits x ∈ M und U eine Umgebung von x, so gilt U ∩ M 6= ∅, denn anderenfalls wäre 1 Es handelt sich nicht um eine Musterlösung. Kommentare sind willkommen. M = cl M ∩ U c 6= cl M eine abgeschlossene Menge, die M enthält. Somit gilt auch cl M ⊂ M . Es ist x ∈ ∂M = M \ M ◦ genau dann, wenn für jede Umgebung U von x gilt: U ∩ M 6= ∅ und U ist keine Teilmenge von M , das heißt U ∩ M c 6= ∅. Also ist x ∈ ∂M genau dann, wenn x ∈ fr M ist. ˆ und (N̂ , ê). (2) Seien (M, d) und (N, e) metrische Räume mit Vervollständigungen (M̂ , d) Zeigen Sie: (a) Jede gleichmäßig stetige Funktion f : M → N lässt sich eindeutig zu einer gleichmäßig stetigen Funktion fˆ : M̂ → N̂ fortsetzen (wenn man M bzw. N als Unterräume von M̂ bzw. N̂ auffasst) (b) Für stetige Funktionen gilt (a) im allgemeinen nicht. Erinnerung: Sei (M, d) ein metrischer Raum. Ein vollständiger metrischer Raum ˆ heißt Vervollständigung von (M, d), falls es eine Isometrie ι : M → M̂ gibt, (M̂ , d) sodass ι(M ) dicht in M̂ liegt. Lösung: (Melchior Wirth) (a) Sei x ∈ M̂ . Dann gibt es eine Cauchy-Folge (xn ) in M mit xn → x und es gibt für jedes ε > 0 ein δ > 0 mit e(f (xn ), f (xm )) < ε für d(xn , xm ) < δ, da f gleichmäßig stetig ist. Daher ist f (xn ) eine Cauchy-Folge in N und hat daher einen Grenzwert y ∈ N̂ . Setze nun fˆ(x) = y. Diese Definition ist unabhängig von der Cauchy-Folge (xn ) : Gilt x̃n → x, so folgt mit Dreiecksungleichung d(xn , x̃n ) → 0 und daher e(f (xn ), f (x̃n )) → 0 und so e(y, ỹ) ≤ d(y, f (xn )) + d(ỹ, f (x̃n )) → 0, also ỹ = y. Die Funktion fˆ ist gleichmäßig stetig: Sei ε > 0 beliebig und sei δ > 0 mit e(f (ξ), f (η)) < ε für alle ξ, η ∈ M mit d(ξ, η) < δ. Für x, y ∈ M̂ mit d(x, y) < 2δ wähle Folgen (xn ), (yn ) in M mit xn → x, yn → y und daher d(xn , yn ) < δ für n ∈ N hinreichend groß. Dann gilt: (∗) e(f (x), f (y)) ≤ e(f (x), f (xn )) + e(f (xn ), f (yn )) +e (f (yn ), f (y)) | {z } | {z } | {z } →0, n→∞ <ε →0, n→∞ =⇒ e(f (x), f (y)) ≤ ε. Ist insbesondere f eine Kontraktion2 , so ist auch fˆ eine Kontraktion, denn: e(f (xn ), f (yn )) ≤ d(xn , yn ) ≤ d(xn , x) +d(x, y) + d(y, yn ) | {z } | {z } →0, n→∞ →0, n→∞ (∗) =⇒ e(f (x), f (y)) ≤ d(x, y) 2 Für alle ξ, η ∈ M gilt e(f (ξ), f (η)) ≤ d(ξ, η), das heißt, es wird keine strikte Kontraktivität gefordert. 2 Die Fortsetzung fˆ ist eindeutig bestimmt: Für jede Fortsetzung f˜ von f muss wegen der Stetigkeit gelten: xn → x =⇒ f˜(xn ) → f (x). Dadurch ist f˜(x) = limn→∞ f (xn ) = fˆ(x) für alle x ∈ M̂ und alle Folgen (xn ) in M mit xn → x. (b) Betrachte die Vervollständigung [0, 1] von (0, 1] bzgl. der Standardmetrik auf R. Es ist (0, 1] → [0, 1], x 7→ sin x1 stetig, aber es gibt keine stetige Fortsetzung auf [0, 1], denn limx→0 sin x1 existiert nicht. (3) Zeigen Sie, dass zwei Vervollständigungen eines metrischen Raumes isometrisch isomorph sind. Hinweis: Wenden Sie Aufgabe 2 in geeigneter Weise auf die durch die Vervollständigungen gegebenen Isometrien an. Lösung: Seien (M1 , d1 ) und (M2 , d2 ) zwei Vervollständigungen eines metrischen Raumes (M, d) mit zugehörigen Isometrien ϕ1 , ϕ2 . Wir betrachten die Abbildung ι : ϕ2 (M ) → ϕ1 (M ), x 7→ ϕ1 ◦ ϕ−1 2 (x). Da ϕ2 injektiv ist, ist diese sinnvoll definiert. ι ist eine Isometrie, also insbesondere gleichmäßig stetig. Nach Aufgabe 2 können wir sie daher eindeutig zu einer gleichmäßig stetigen Funktion ι̂ : M2 → M1 fortsetzen. Wir zeigen nun, dass ι̂ eine surjektive Isometrie ist. ι̂ ist Isometrie: Seien x, y ∈ M2 . Da ϕ2 (M ) dicht in M2 liegt, existieren Folgen (xn ), (yn ) ⊆ ϕ2 (M ) mit d2 (x, xn ) → 0, d2 (yn , y) → 0. Dann gilt: d2 (x, y) = lim d2 (xn , yn ) n→∞ (ι ist Isometrie) = lim d1 (ι(xn ), ι(yn )) n→∞ = lim d1 (ι̂(xn ), ι̂(yn )) n→∞ = d1 (ι̂(x), ι̂(y)) ι̂ ist surjektiv: Sei y ∈ M1 beliebig. Da ϕ1 (M ) dicht in M1 liegt gibt es eine Folge (xn ) ⊆ ϕ1 (M ) mit d1 (xn , y) → 0. Da ι eine Isometrie ist, ist (ι−1 (xn )) eine Cauchyfolge in M2 . M2 ist vollständig, also konvergiert ι−1 (xn ) gegen ein x ∈ M1 . Man rechnet nun leicht nach, dass ι̂(x) = y. (4) Sei (M, d) ein metrischer Raum und Cb (M, R) der Raum aller beschränkten stetigen (reellwertigen) Funktionen auf M . Für f, g ∈ Cb (M, R) sei d∞ (f, g) = sup{|f (x) − g(x)| : x ∈ M }. Zeigen Sie: (a) (Cb (M, R), d∞ ) ist ein vollständiger metrischer Raum. 3 (b) Es gibt eine Isometrie ι : M → Cb (M, R). Hinweis: Sei x0 ∈ M fest gewählt. Betrachten Sie die Funktionen ϕx : M → R, t 7→ d(x, t) − d(x0 , t). (c) (ι(M ), d∞ ) ist eine Vervollständigung von (M, d). Lösung: (Melchior Wirth) (a) Sei (fn ) eine Cauchy-Folge in Cb (M, R). Dann gilt für alle x ∈ M nach Definition |fn (x) − fm (x)| ≤ d∞ (fn , fm ). Also ist (fn (x)) eine Cauchy-Folge in R und hat somit einen Grenzwert y =: f (x). Für jedes ε > 0 gibt es dann ein Nε ∈ N, sodas für alle n, m ≥ Nε gilt: d∞ (fn , fm ) < m→∞ ε =⇒ |fn (x) − fm (x)| < ε für alle x ∈ M =⇒ |fn (x) − f (x)| < ε für alle x ∈ M und damit supx∈M |f (x) − fn (x)| < . Daraus folgt: supx∈M |f (x)| ≤ ε + supx∈M |fn (x)| < ∞, also ist f beschränkt. Außerdem konvergiert (fn ) gleichmäßig gegen f und f ist somit stetig. Also gilt d∞ (fn , f ) → 0. (b) Sei x0 ∈ M beliebig. Dann ist eine Isometrie gegeben durch i : M → Cb (M, R), x 7→ ix mit ix (ξ) = d(x, ξ) − d(x, x0 ): Die Funktion ix ist beschränkt, denn |ix (ξ)| = |d(x, ξ)−d(ξ, x0 )| ≤ d(x, x0 ), und stetig nach umgekehrter Dreiecksungleichung. Weiterhin gilt für x, y ∈ M : |ix (ξ) − iy (ξ)| = |d(x, ξ) − d(y, ξ)| ≤ d(x, y) und |ix (x) − iy (x)| = d(x, y), also d∞ (ix , iy ) = d(x, y). (c) Der Raum i(M ) ist als abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen metrischen Raums selbst vollständig und außerdem ist nach Definition i(M ) dicht. Die Isometrie der Einbettung wurde in (b) gezeigt. 4