§2 Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

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Differenzierbare Mannigfaltigkeiten, SS 2014
Donnerstag 8.5
$Id: diff.tex,v 1.4 2014/05/09 22:33:35 hk Exp hk $
§2
Differenzierbare Mannigfaltigkeiten
2.1
Topologische Räume
Am Ende der letzten Sitzungen hatten wir stetige Abbildungen zwischen allgemeinen
topologischen Räumen definiert und wollen nun die grundlegende Äquivalenz der verschiedenen Stetigkeitsbedingungen festhalten.
Satz 2.6 (Charakterisierung stetiger Funktionen)
Seien X, Y zwei topologische Räume und sei f : X → Y eine Abbildung. Dann sind
die folgenden Aussagen äquivalent:
(a) Die Abbildung f ist stetig.
(b) Für jede abgeschlossene Menge A ⊆ Y ist auch f −1 (A) ⊆ X abgeschlossen.
(c) Die Abbildung f ist in jedem Punkt von X stetig.
(d) Für jede Teilmenge A ⊆ X gilt f (A) ⊆ f (A).
Beweis: (a)=⇒(c). Sei x in X. Zu zeigen ist die Stetigkeit von f in x. Sei also U eine
Umgebung von f (x) in Y . Dann existiert eine offene Menge V ⊆ Y mit f (x) ∈ V ⊆ U .
Also ist die Menge f −1 (V ) ⊆ X offen mit x ∈ f −1 (V ), d.h. f −1 (V ) ist eine Umgebung
von x in X mit f (f −1 (V )) ⊆ V ⊆ U .
(c)=⇒(d). Sei A ⊆ X. Zu zeigen ist f (A) ⊆ f (A), sei also x ∈ A. Sei U eine Umgebung
von f (x) in Y . Dann existiert eine Umgebung V von x in X mit f (V ) ⊆ U . Nach Satz
1.(a) ist V ∩ A 6= ∅, und somit ist auch U ∩ f (A) ⊇ f (V ) ∩ f (A) ⊇ f (V ∩ A) 6= ∅.
Wieder mit Satz 1.(a) folgt f (x) ∈ f (A), und wir haben f (A) ⊆ f (A) eingesehen.
(d)=⇒(b). Sei A ⊆ Y abgeschlossen. Dann folgt
f
f −1 (A)
⊆ f (f −1 (A)) ⊆ A = A,
d.h. f −1 (A) ⊆ f −1 (A) ⊆ f −1 (A), und somit ist f −1 (A) = f −1 (A) abgeschlossen in X.
(b)=⇒(a). Klar.
Im folgenden Lemma stellen wir einige der nahezu selbstverständlichen Grundeigenschaften stetiger Funktionen zusammen. Im wesentlichen sind dies all die Eigenschaften
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die sie von stetigen Abbildungen zwischen metrischen Räumen kennen, nur die Aussagen über Folgen fehlen. Zwischen allgemeinen topologischen Räumen gibt es tatsächlich
folgenstetige Abbildungen die nicht stetig sind.
Lemma 2.7 (Grundeigenschaften stetiger Funktionen)
Seien X, Y, Z, X 0 , Y 0 topologische Räume. Dann gelten:
(a) Ist B eine Basis von Y so ist eine Abbildung f : X → Y genau dann stetig wenn
f −1 (U ) für jedes U ∈ B offen in X ist.
(b) Jede konstante Funktion f : X → Y ist stetig.
(c) Sind f : X → Y und g : Y → Z stetig, so ist auch g ◦ f : X → Z stetig.
(d) Die identische Abbildung idX : X → X ist stetig.
(e) Sind f : X → Y eine stetige Abbildung und A ⊆ X ein Teilraum, so ist auch die
Einschränkung f |A : A → Y stetig.
(f ) Sind f : X → Y eine Abbildung und B ⊆ Y ein Teilraum mit f (X) ⊆ B, so ist
f : X → Y genau dann stetig, wenn f : X → B stetig ist.
(g) Sind f : X → Y eine Abbildung und A, B ⊆ X beide offen oder beide abgeschlossen
in X, so ist f genau dann stetig wenn die beiden Einschränkungen f |A, f |B stetig
sind.
(h) Die Projektionen pr1 : X × Y → X, pr2 : X × Y → Y sind stetig.
(i) Eine Abbildung f = (g, h) : X → Y × Z ist genau dann stetig, wenn f und g stetig
sind.
(j) Sind f : X → X 0 und g : Y → Y 0 stetig, so ist auch f × g : X × Y → X 0 × Y 0
stetig.
Beweis: (a) ”=⇒” Klar.
S
”⇐=” Sei U ⊆ Y offen. Dann existiert eine Teilmenge A ⊆ B mir U = A und somit
ist auch
[ [
f −1 (V )
f −1 (U ) = f −1
A =
V ∈A
als Vereinigung offener Mengen offen in X. Damit ist f : X → Y stetig.
(b) Für jede offene Menge U ⊆ Y ist f −1 (U ) ∈ {∅, X} offen in X.
(c) Ist U eine offene Teilmenge von Z so ist zunächst g −1 (U ) eine offene Teilmenge
von Y und damit (g ◦ f )−1 (U ) = f −1 (g −1 (U )) eine offene Teilmenge von X. Somit ist
g ◦ f : X → Z stetig.
(d) Für jede in X offene Menge U ⊆ X ist id−1
X (U ) = U offen in X.
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(e) Ist U ⊆ Y offen in Y , so ist f −1 (U ) offen in X, also (f |A)−1 (U ) = f −1 (U ) ∩ A
offen in A. Damit ist f |A : A → Y stetig.
(f ) Für jede Teilmenge U ⊆ Y ist f −1 (U ) = f −1 (U ∩ B).
(g) ”=⇒” Klar nach (e).
”⇐=” Sei U ⊆ Y eine offene (abgeschlossene) Teilmenge von Y . Dann ist (f |A)−1 (U )
offen (abgeschlossen) in A und nach Lemma 5.(d) auch offen (abgeschlossen) in X.
Analog ist auch (f |B)−1 (U ) offen (abgeschlossen) in X. Damit ist schließlich
f −1 (U ) = (f |A)−1 (U ) ∪ (f |B)−1 (U )
offen (abgeschlossen) in X. Nach Definition stetiger Abbildungen (Satz 6) ist f : X →
Y eine stetige Abbildung.
(h) Für jede in X offene Teilmenge U ⊆ X ist pr−1
1 (U ) = U × Y offen in X × Y , d.h.
pr1 : X × Y → X ist stetig. Analog ist auch pr2 : X × Y → Y stetig.
(i) ”=⇒” Nach (h) und (c) sind g = pr1 ◦f und h = pr2 ◦f beide stetig.
”⇐=” Seien U ⊆ Y eine offene Teilmenge von Y und V ⊆ Z eine offene Teilmenge von
Z. Dann sind g −1 (U ) und h−1 (V ) beide offen in X, also ist auch
f −1 (U × V ) = g −1 (U ) ∩ h−1 (V )
offen in X. Nach (a) ist f : X → Y × Z stetig.
(j) Nach (c,h) sind pr1 ◦(f × g) = f ◦ pr1 und pr2 ◦(f × g) = g ◦ pr2 beide stetig, also
ist f × g nach (i) stetig.
Damit sind wir in der Lage einen weiteren der zur Definition differenzierbarer Mannigfaltigkeiten benötigten Grundbegriffe einzuführen. Wir hatten angekündigt das eine
differenzierbare Mannigfaltigkeit ein Raum“ M versehen mit einem System von Kar”
ten sein wird, wobei diese Karten Homöomorphismen von offenen Teilmengen von M
auf offene Teilmengen des Rn sein sollen. Als Raum werden wir einen topologischen
Raum M verwenden, und dann ist festgelegt was offene Mengen in M sein sollen.
Was die Homöomorphismen sind wird durch die folgende Definition geklärt. Bei dieser
Gelegenheit führen wir auch gleich einige verwandte Begriffe ein.
Definition 2.7 (Homöomorphismen und Einbettungen)
Seien X, Y zwei topologische Räume.
(a) Eine Abbildung f : X → Y heißt offen (abgeschlossen), wenn für jede offene
(abgeschlossene) Teilmenge U ⊆ X von X auch das Bild f (U ) ⊆ Y offen (abgeschlossen) in Y ist.
(b) Ein Homöomorphismus von X nach Y ist eine bijektive Abbildung f : X → Y
für die f und f −1 beide stetig sind. Gibt es einen solchen Homöomorphismus, so
heissen X und Y homöomorph, geschrieben als X ' Y .
(c) Eine Abbildung f : X → Y heißt eine Einbettung, wenn sie ein Homöomorphismus
auf ihr Bild ist.
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Auch für diese Abbildungstypen gibt es wieder eine ganze Liste einfacher Grundtatsachen die wir im folgenden Lemma durchgehen wollen.
Lemma 2.8 (Grundeigenschaften von Homöomorphismen)
Seien X, Y, Z, X 0 , Y 0 topologische Räume. Dann gelten:
(a) Für eine bijektive, stetige Abbildung f : X → Y sind äquivalent:
1. Die Abbildung f ist ein Homöomorphismus.
2. Die Abbildung f ist offen.
3. Die Abbildung f ist abgeschlossen.
(b) Sind f : X → Y und g : Y → Z Homöomorphismen, so ist auch g ◦ f : X → Z
ein Homöomorphismus.
(c) Ist f : X → Y ein Homöomorphismus, so ist auch f −1 : Y → X ein Homöomorphismus.
(d) Die Menge aller Homöomorphismen von X auf X ist eine Untergruppe der symmetrischen Gruppe von X, die sogenannte Homöomorphismengruppe von X.
(e) Sind f : X → Y ein Homöomorphismus und A ⊆ X ein Teilraum so ist f |A :
A → Y eine Einbettung.
(f ) Sind f : X → X 0 und g : Y → Y 0 Homöomorphismen, so ist auch f ×g : X ×X 0 →
Y × Y 0 ein Homöomorphismus.
Beweis: (a) Zunächst ist f genau dann ein Homöomorphismus wenn f −1 : Y → X
stetig ist, wenn also für jede in X offene Menge U ⊆ X auch (f −1 )−1 (U ) = f (U ) offen
in Y ist, und dies bedeutet gerade das f eine offene Abbildung ist. Damit sind (1) und
(2) äquivalent und analog ergibt sich mit Satz 6 auch die Gleichwertigkeit von (1) und
(3).
(b) Nach Lemma 7.(c) sind g ◦ f : X → Z und (g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 : Z → X beide
stetig, d.h. g ◦ f : X → Z ist ein Homöomorphismus.
(c) Dies ist wegen (f −1 )−1 = f klar.
(d) Nach Lemma 7.(d) ist idX : X → X ein Homöomorphismus und mit (b,c) folgt die
Behauptung.
(e) Setze B := f (A) ⊆ Y . Zunächst ist f |A : A → B nach Lemma 7.(e,f) stetig, und
ebenso ist (f |A)−1 = f −1 |B : B → A stetig. Damit ist f |A : A → B ein Homöomorphismus und somit ist f |A : A → Y eine Einbettung.
(f ) Nach Lemma 7.(j) sind f × g und (f × g)−1 = f −1 × g −1 beide stetig, d.h. f × g :
X × Y → X 0 × Y 0 ist ein Homöomorphismus.
Bevor wir die noch ausstehenden topologischen Grundbegriffe einführen wollen wir
jetzt eine wichtige Konstruktion topologischer Räume durchführen. Diese wird es uns
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erlauben sowohl die Graßman-Mannigfaltigkeiten Gk (E) als auch die Bahnenräume
M/G als topologische Räume einzuführen.
Definition 2.8 (Die von einer Abbildung induzierte Topologie)
Seien X ein topologischer Raum, Y eine Menge und f : X → Y eine Abbildung. Dann
heißt
τ := {U ⊆ Y |f −1 (U ) ⊆ X ist offen in X}
die von f auf Y induzierte Topologie.
Wir müssen zunächst einmal einsehen das es sich hier wirklich um eine Topologie auf
Y handelt, tatsächlich ist τ die bezüglich Inklusion größte Topologie auf Y bezüglich
derer die Abbildung f stetig ist. Weiter werden wir die auf (Y, τ ) definierten stetigen
Abbildungen bestimmen.
Satz 2.9 (Grundeigenschaften der induzierten Topologie)
Seien X ein topologischer Raum, Y eine Menge, f : X → Y eine Abbildung und
bezeichne τ die von f auf Y induzierte Topologie. Dann gelten:
(a) Die Menge τ ist eine Topologie auf Y .
(b) Die Abbildung f : X → (Y, τ ) ist stetig.
(c) Die Topologie τ ist die größte Topologie auf Y bezüglich derer f stetig ist, d.h. ist
η eine weitere Topologie auf Y so, dass f : X → (Y, η) stetig ist, so ist η ⊆ τ .
(d) Sind Z ein weiterer topologischer Raum und g : Y → Z eine Abbildung, so ist
g : (Y, τ ) → Z genau dann stetig wenn g ◦ f : X → Z stetig ist.
Beweis: (a) Wir gehen die drei definierenden Eigenschaften einer Topologie durch.
Zunächst sind f −1 (∅) = ∅ und f −1 (Y ) = X offen in X, d.h. wir haben ∅ ∈ τ und
Y ∈ τ . Nun sei τ 0 ⊆ τ gegeben. Für jedes U ∈ τ 0 ⊆ τ ist dann f −1 (U ) ⊆ X offen in X,
also ist
[ [
f −1
τ0 =
f −1 (U )
U ∈τ 0
wieder offen in X, und dies bedeutet τ 0 ∈ τ . Sind schließlich U, V ∈ τ gegeben, so
sind f −1 (U ), f −1 (V ) ⊆ X offen in X und damit ist auch
S
f −1 (U ∩ V ) = f −1 (U ) ∩ f −1 (V )
offen in X, d.h. U ∩ V ∈ τ . Damit ist τ eine Topologie auf Y .
(b,c) Sei η eine Topologie auf Y . Dann ist f : X → (Y, η) genau dann stetig wenn für
jedes U ∈ η die Menge f −1 (U ) ⊆ X in X offen ist, wenn also U ∈ τ gilt. Damit ist
f : X → (Y, η) genau dann stetig wenn η ⊆ τ gilt und hieraus folgen (b) und (c).
(d) ”=⇒” Klar nach (b) und Lemma 7.(c).
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”⇐=” Sei U ⊆ Z in Z offen. Da g ◦ f : X → Z stetig ist, ist die Menge f −1 (g −1 (U )) =
(g ◦ f )−1 (U ) ⊆ X offen in X, d.h. es ist g −1 (U ) ∈ τ offen in Y . Damit ist auch
g : (Y, τ ) → Z stetig.
Schauen wir uns ein paar Beispiele zur induzierten Topologie an. Seien X ein topologischer Raum und % eine Äquivalenzrelation auf X. Dann haben wir die Quotientenmenge
X/% aller Äquivalenzklassen von %, d.h. die zu % gehörende Partition, und betrachten
die Quotientenabbildung p : X → X/%; x 7→ [x]% die jedes x ∈ X auf seine Äquivalenzklasse abbildet. Versehen wir X/% mit der von p induzierten Topologie, so entsteht der
Quotientenraum X/%. Nach Satz 9.(b) ist die Projektion p : X → X/% stetig. Wann ist
p jetzt eine offene Abbildung? Dies ist genau dann der Fall wenn für jede in X offene
Menge U ⊆ X auch p(U ) in X% offen ist und dies bedeutet wiederum das die unter %
saturierte Menge
p−1 (p(U )) = {y ∈ X|p(y) ∈ p(U )} = {y ∈ X|∃(x ∈ U ) : p(y) = p(x)}
= {y ∈ X|∃(x ∈ U ) : x%y}
in X offen ist. Weiter folgt in diesem Fall das X/% das zweite Abzählbarkeitsaxiom
erfüllt wenn X dies tut, genauer haben wir:
Lemma 2.10 (Gewicht von Quotientenräumen)
Seien X, Y zwei topologische Räume und f : X → Y eine stetige, surjektive und offene
Abbildung. Ist dann B eine Basis von X, so ist
f (B) := {f (U )|U ∈ B}
eine Basis von Y . Insbesondere ist wt(Y ) ≤ wt(X) und erfüllt X das zweite Abzählbarkeitsaxiom so auch Y .
Beweis: Es reicht die erste Aussage zu beweisen, die anderen beiden sind dann direkte
Folgerungen. Da f eine offene Abbildung ist besteht f (B) zunächst überhaupt aus
offenen Teilmengen von Y . Nun sei eine in Y offene Menge U ⊆ Y gegeben. Da f stetig
S
ist, ist f −1 (U ) offen in X und somit existiert eine Teilmenge A ⊆ B mit f −1 (U ) = A.
Da f surjektiv ist, folgt schließlich
[
U = f (f −1 (U )) =
f (V ),
V ∈A
d.h. U ist eine Vereinigung von Elementen aus f (B).
Schauen wir uns zwei konkrete Beispiele an. Wir betrachten das Quadrat X := [0, 1]2
mit der vom R2 induzierten Topologie. Auf X haben wir die Äquivalenzrelation % die
gegenüberliegende Punkte auf den beiden vertikalen Randkante miteinander identifiziert, also formal
% = idX ∪ {((a, t), (b, t))|a, b ∈ {0, 1}, t ∈ [0, 1]}.
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Anschaulich entsteht der Quotient X/% indem die beiden vertikalen Randstücke von X
miteinander verklebt werden, er sollte also homöomorph zu einem Zylinder S 1 × [0, 1]
sein. Den vollständigen Beweis dieser Beweis dieser Behauptung wollen wir erst etwas
später angeben, aber wir können bereits jetzt einen Homöomorphismus hinschreiben.
Wir haben die stetige Abbildung
cos(2πs)
1
f : X → S × [0, 1]; (s, t) 7→
,t
sin(2πs)
und für (s, t), (s0 , t0 ) ∈ X mit (s, t) 6= (s0 , t0 ) ist genau dann f (s, t) = f (s0 , t0 ) wenn t = t0
und {s, s0 } = {0, 1} ist, d.h. f induziert eine bijektive Abbildung g : X/% → S 1 × [0, 1].
Ist p : X → X/% die Projektion, so ist g ◦ p = f stetig, also ist nach Satz 9.(d) auch
g : X/% → S 1 × [0, 1] stetig. Dass g sogar ein Homöomorphismus ist, werden wir wie
schon erwähnt erst etwas später zeigen.
Wir wollen dieses Beispiel noch etwas fortsetzen. Betrachte nun die Äquivalenzrelation %e ⊇ % die zusätzlich auch noch gegenüberliegende Punkte auf den beiden waagerechten Kanten miteinander identifiziert. Der Quotient X/e
% entsteht dann indem
im Zylinder X/% die beiden berandenden Kreislinien miteinander verklebt werden, der
Quotientenraum X %e sollte also homöomorph zum Torus T aus Aufgabe (4) sein. Analog
zur obigen Überlegung ist


(R + r cos(2πt)) cos(2πs)
ge : X/e
% → T ; [s, t]%e 7→  (R + r cos(2πt)) sin(2πs) 
r cos(2πt)
in den Bezeichnungen der Aufgabe (4) eine bijektive stetige Abbildung, und wir werden
bald einsehen können das es sich sogar um einen Homöomorphismus handelt.
Jetzt sind wir auch in der Lage die Topologie eines Bahnenraums einzuführen.
Gegeben seien ein topologischer Raum M und eine Gruppe G mit einer Wirkung ω :
M × G → M . Für jedes Gruppenelement g ∈ G sei die Abbildung
ωg : M → M ; x 7→ xg
stetig. Da für jedes g ∈ G dann auch ωg−1 = ωg−1 stetig ist, ist ωg dann sogar ein
Homöomorphismus von M auf sich. Wir wissen schon das die Bahnen von G auf M eine
Partition von M bilden, und damit können wir den Bahnenraum M/G = M/%G als den
Quotientenraum der zu dieser Partition gehörenden Äquivalenzrelation %G definieren.
Ist also p : M → M/G; x 7→ xG die Projektion, so ist eine Menge U ⊆ M/G genau dann
offen in M/G wenn p−1 (U ) in M offen ist. Ist X ein weiterer topologischer Raum, so ist
eine Abbildung f : M/G → X nach Satz 9.(d) genau dann stetig wenn f ◦ p : M → X
stetig ist, d.h. die stetigen Abbildungen M/G → X entsprechen bijektiv den stetigen
unter G invarianten Funktionen M → X wobei eine Funktion f : M → X unter G
invariant heißt wenn f (xg ) = f (x) für alle x ∈ M , g ∈ G ist.
Weiter behaupten wir das die Projektion p : M → M/G eine offene Abbildung ist.
Wir wissen bereits das dies bedeutet, dass für jede in M offene Menge U ⊆ M auch
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die unter G saturierte Menge U G := {y ∈ M |∃(x ∈ U ) : xG = y G } in M offen ist. Diese
Bedingung ist erfüllt das wir ja auch
[
UG =
Ug
g∈G
schreiben können. Nach Lemma 10 ist wt(M/G) ≤ wt(M ), erfüllt also M das zweite
Abzählbarkeitsaxiom so auch der Quotient M/G.
Kommen wir jetzt zu den Graßman-Mannigfaltigkeiten. Gegeben seien also K ∈
{R, C}, ein endlichdimensionaler Vektorraum E über K mit dim E > 1 und eine
natürliche Zahl 1 ≤ k < n := dim E. Der Vektorraum trägt die übliche Topologie
die man sich etwa durch eine Norm auf E gegeben denken kann. Als Menge ist die
Graßman-Mannigfaltigkeit Gk (E) die Menge aller k-dimensionalen Untervektorräume
von E. Auf dem cartesischen Produkt E n = E ×· · ·×E haben wir die Produkttopologie
und bilden die Menge
Uk (E) := {(u1 , . . . , uk ) ∈ E k : u1 , . . . , uk sind linear unabhängig} ⊆ E k
aller Tupel aus k linear unabhängigen Vektoren in E. Dann ist Uk (E) ⊆ E k offen, da
in Koordinaten bezüglich irgendeiner Basis die lineare Unabhängigkeit von u1 , . . . , uk
gleichwertig dazu ist, dass eine k × k-Unterdeterminante von Null verschieden ist. Wir
betrachten die surjektive Abbildung
pk : Uk (E) → Gk (E); (u1 , . . . , uk ) 7→ hu1 , . . . , uk i,
und versehen Gk (E) mit der von pk induzierten Topologie. Damit ist Gk (E) ein topologischer Raum geworden, und wir wollen jetzt einige seiner Eigenschaften untersuchen.
Der entscheidende Schlüssel hierzu liegt in der folgenden Konstruktion. Für einen Teilraum C ≤ Gk (E) der komplementären Dimension dim C = n − k schreiben wir
Gk (E; C) := {F ∈ Gk (E) : E = F ⊕ C},
d.h. Gk (E; C) ist die Menge der Komplemente von C. Gleichwertig zu E = F ⊕ C
können wir auch F ∩ C = 0 oder E = F + C sagen. Sei nun weiter U ∈ Gk (E; C)
eines dieser Komplemente. Dann schreiben wir die anderen Komplemente von C als
Graphen linearer Abbildungen U → C, d.h. wir betrachten die folgende Abbildung
ΦCU : L(U, C) → Gk (E; C); α 7→ Uα := {u + α(u) : u ∈ U }.
Da für α ∈ L(U, C) offenbar dim Uα = dim U = k und Uα ∩ C = 0 gelten, ist dies
eine sinnvoll definierte Abbildung. Tatsächlich ist ΦCU sogar bijektiv. Sei nämlich F ∈
Gk (E; C). Dann haben wir die Projektionen π1F : E → F und π2F : E → C, und wir
betrachten die Abbildung
Ψ : Gk (E; C) → L(U, C); F 7→ −π2F |U.
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Wir behaupten, dass Ψ die Umkehrabbildung von ΦCU ist. Sei nämlich α ∈ L(U, C).
Für jedes u ∈ U ist dann u = (u + α(u)) − α(u) mit u + α(u) ∈ Uα , α(u) ∈ C, d.h.
π2Uα u = −α(u) und somit Ψ(ΦCU α) = α. Sei umgekehrt F ∈ Gk (E; C). Für jedes
u ∈ U gilt dann u + Ψ(F )(u) = u − π2F (u) = π1F (u) ∈ F , d.h. UΨ(F ) ≤ F , also auch
ΦCU (Ψ(F )) = UΨ(F ) = F da beide Räume Dimension k haben. Diese Abbildungen
stellen sich für unser Verständnis von Gk (E) als entscheidend heraus, wir behaupten:
Lemma 2.11 (Topologie der Graßman-Mannigfaltigkeiten)
Seien K ∈ {R, C}, E ein endlichdimensionaler Vektorraum über K mit n := dim E > 1
und 1 ≤ k ≤ n. Übernehmen wir dann die obigen Bezeichnungen, so gelten:
(a) Die Abbildung pk : Uk (E) → Gk (E) ist offen.
(b) Der topologische Raum Gk (E) erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom.
(c) Ist C ≤ E mit dim C = n − k, so ist Gk (E; C) offen in Gk (E).
(d) Sind C ≤ E mit dim C = n − k, und U ∈ Gk (E; C), so ist ΦCU : L(U, C) →
Gk (E; C) ein Homöomorphismus.
(e) Sind C, C 0 ≤ E mit dim C = dim C 0 = n − k und U ∈ Gk (E; C), U 0 ∈ Gk (E; C 0 ),
∞
so ist Φ−1
C 0 U 0 ◦ΦU C ein C -Diffeomorphismus einer offenen Teilmenge von L(U, C)
auf eine offene Teilmenge von L(U 0 , C 0 ).
(f ) Sind F1 , F2 ∈ Gk (E), so existiert ein C ≤ E mit dim C = n − k und F1 , F2 ∈
Gk (E; C).
Beweis: Dies ist Aufgabe (15).
Wir kommen jetzt zum nächsten der topologischen Grundbegriffe, den kompakten
Räumen. Hier tritt eine kleine Komplikation auf die im metrischen Fall nicht vorkommt, verwendet man die Überdeckungsdefinition“ kompakter Teilmengen eines to”
pologischen Raumes, so kann es nicht abgeschlossene aber kompakte Teilmengen geben.
Um dies zu vermeiden sollte der betrachtete topologische Raum eines der sogenannten
Trennungsaxiome erfüllen, das in metrischen Räumen tatsächlich immer wahr ist.
Definition 2.9 (Hausdorffsche, überdeckungskompakte und kompakte Räume)
Sei X ein topologischer Raum. Dann nennen wir den Raum X
(a) hausdorffsch oder einen Hausdorffraum, wenn es für je zwei verschiedene Punkte
x, y ∈ X stets offene Mengen U, V ⊆ X mit x ∈ U , y ∈ V und U ∩ V = ∅ gibt.
Diese Bedingung bezeichnet man auch als das Trennungsaxiom T2 .
(b) überdeckungskompakt oder quasikompakt wenn es für S
jede offene Überdeckung U
von X stets eine endliche Teilmenge E ⊆ U mit X = E gibt.
(c) kompakt wenn X überdeckungskompakt und hausdorffsch ist.
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Die Bezeichnung Hausdorffsch“ für die genannte Eigenschaft wird verwendet da Haus”
dorff diese in einem der ersten Bücher zur mengentheoretischen Topologie als eines
seiner Axiome verwendet. Beachte das jeder Teilraum A eines hausdorffschen Raums
X wieder hausdorffsch ist, denn sind x, y ∈ A mit x 6= y so gibt es in X offene Mengen
U, V ⊆ X mit x ∈ U , y ∈ V und U ∩ V = ∅ und damit sind U ∩ A und V ∩ A
in A offen und disjunkt mit x ∈ U ∩ A und y ∈ V ∩ A. Ob kompakte Räume stets
hausdorffsch sein müssen wird nicht einheitlich gehandhabt, gelegentlich wird schon die
Überdeckungskompaktheit als Kompaktheit bezeichnet. Viele der aus der metrischen
Situation bekannten Eigenschaften kompakter Räume übertragen sich auf allgemeine
topologische Räume. Was sich nicht überträgt sind die mit Folgen zusammenhängenden Eigemschaften, nennt man einen Hausdorffraum folgenkompakt wenn jede Folge
in ihm eine konvergente Teilfolge besitzt, so gibt es sowohl folgenkompakte aber nicht
kompakte Räume als auch kompakte aber nicht folgenkompakte Räume.
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