46 UPDATE: CMMRD CME Die rezessive Variante des Lynch-Syndroms – der Wolf im Schafspelz: Biallelische (Constitutionelle) Mismatch-Repair Mutationen (BMMRD – CMMRD) C. Schneider1, M. Stodolski2, M. Taghavi2, N. Rahner3, G. Möslein4 Abteilung für Chirurgie, Wertachklinik Schwabmünchen Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, HELIOS Klinikum Duisburg 3 Institut für Humangenetik Universität Düsseldorf 4 Zentrum für Hereditäre Tumorerkrankungen, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal 1 2 Das „Constitutional Mismatch Repair Deficiency Syndrome (CMMRD)“ ist ein biallelischer Defekt eines der Mismatch Repair Proteine (synonym auch BMMRD genannt) und somit eng verwandt mit dem Lynch-Syndrom (LS), bei dem allerdings nur ein monoallelischer Defekt vorliegt. Der Erbgang ist rezessiv, die Familienanamnese bei den Eltern oft negativ oder mit einzelnen Tumoren des LS vergesellschaftet mit betroffenen Geschwistern. Die Mutationen befinden sich in der Regel in den niedrigpenetranten MMR-Genen und der Verlauf ist meist im jungen Alter deletär. Es kommt bereits in der Kindheit oder jungem Erwachsenenalter zu onkologischen Erkrankungen wie Lymphomen, Leukämien, Hirntumoren, intestinalen Polypen sowie kolorektalen Karzinomen (KRK) und anderen mit dem Lynch-Syndrom assoziierten Malignomen. Der Haut-Phänotyp ist teilweise dem der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) sehr ähnlich. Die genetische Disposition wird oft nicht erkannt. Betroffene haben eine schlechte Prognose – könnten aber von einer intensivierten Vorsorge, sowie einer medikamentösen oder chirurgischen Prävention an Lebenszeit und -qualität gewinnen. Eine Standorterhebung. Das Lynch-Syndrom (LS) wird mit einer Prävalenz von 1:279 weiterhin unterdiagnostiziert und ist die häufigste heute bekannte monogenetische Erkrankung – verantwortlich für etwa 5 % der kolorektalen Karzinome (KRK). Ursache ist ein Defekt in einem der Mismatch-Reparatur-(MMR)-Gene, wobei abhängig von dem betroffenen Gen eine unterschiedlich hohe Penetranz (und damit variierendes Karzinomrisiko) des Patienten vorliegt. Defekte von MLH1 und MSH2 sind durch hohe Penetranz, MSH2 insbesondere auch in Bezug auf extraintestinale Tumore, gekennzeichnet, während Defekte bei den niedrig-penetranten MSH6 und PMS2 oft ein spätes Auftreten der Karzinome und eine meist negative Familienanamnese aufweisen. Mit dem Filter der klinischen Amsterdam- oder BethesdaKriterien, die in der aktuellen S3- ONKOLOGIE heute 6/2017 Leitlinie als Diagnostiktrigger weiterhin verankert sind, werden schätzungsweise 50 % der LS-assoziierten KRK-Patienten übersehen. Charakteristisch für eine verminderte Expression der MMR-Proteine im Tumor ist eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI), d. h. eine Längenvariabilität kurzer repetetiver DNA-Sequenzen, bzw. eine verminderte Proteinexpression eines der MMRProteine in der immunhistochemischen Färbung des Tumorgewebes. Das Screening nach dem Vorliegen eines LS (nach der S3-Leitlinie des kolorektalen Karzinoms [1] bei Vorliegen eines der revidierten Bethesda-Kriterien) umfasst die Analyse der MSI durch PCR oder die immunhistochemische Untersuchung auf MMR-Gene (IHC) im Präparat oder in einer Biopsie des KRK. Für andere extrakolonische Tumore – führend bei Hirntumoren – mangelt es oft an einem pathognomonischen klinischen oder molekularpathologischen Marker als Hinweis auf das Vorliegen der Disposition oft. Zunehmend wird der Ansatz eines Multipaneltests (NGS sequencing) routinemäßig und kosteneffizient eingesetzt, so dass eine MSI bzw. IHC basierte Diagnostik als Prescreening-Methode zunehmend in den Hintergrund treten wird. Mutationsnegative Patienten allerdings blieben unentdeckt, so dass der Algorithmus mit besserer Datenlage verfeinert werden muss. Unlängst konnten Yürgulun et al. feststellen [18], dass bei einem Multipanel Test von (nur) 25 Genen 10 % der unselektionierten KRK eine bekannte pathogene, krankheitsverursachende Mutation aufwiesen. Hierbei waren erwartungsgemäß 3 % auf das Vorliegen eines LS zurückzuführen und nur diese weisen UPDATE: CMMRD 47 CME eine MSI auf. 7 % gingen auf Mutationen zurück, die keine Instabilität im Tumor verursachen. Während beim LS nur ein Gen betroffen ist und es damit eines somatischen „second hit“ zur Entstehung eines Karzinoms bedarf, findet sich beim CMMRD (oder auch oft BMMRD = Biallelic Mismatch Repair Deficiency bzw. CCS = Childhood Cancer Syndrome abgekürzt) ein biallelischer Gendefekt. Dadurch tritt bei den Betroffenen ein Spektrum an Malignomen auf, welches an die extraintestinalen Manifestationen des LS erinnert, aber in deutlich früherem Lebensalter und mit teilweise LS-untypischen klinischen Manifestationen. Die ersten Veröffentlichungen des CMMRD datieren aus dem Jahr 1999 [3, 4], beide bei konsangiunen Familien aus der Türkei bzw. Nordafrika mit MLH1-Mutationen, wobei die bei ca. 60 % aller CMMRD-Betroffenen gehörenden Café-au-lait-Flecken noch als de novo Manifestation einer NF1 betrachtet wurden. In der Online Mendelian Inheritance in Man [OMIM] wird CMMRD unter der Nummer 276300 geführt. Genetik Das LS ist aufgrund des monoallelischen Geschehens gekennzeichnet durch einen autosomal-dominanten Erbgang mit inkompletter Penetranz, so dass die Wiederholungswahrscheinlichkeit direkter Nachkommen 50 % beträgt. CMMRD dagegen zeigt (EAbb. 1) einen autosomal-rezessiven Erbgang, d.h. beide Eltern sind LS-Mutationsträger. Die Nachkommen eines CMMRDPatienten sind, sofern der Partner keinen MMR-Defekt besitzt, zu 100 % an einem LS erkrankt, weil sie auf jeden Fall ein krankheitsverursachendes Allel erben werden. Sollte der Partner zufällig ebenfalls ei- Abb. 1: Supraanaler adenomatöser Polyp bei einem Patienten mit MSH3 CMMRD Histologie: polypöses tubuläres Adenom mit niedriggradiger intraepithelialer Neoplasie ne klinisch bislang nicht manifeste Mutation in demselben MMR-Gen tragen, erhöht sich die Risikokonstellation derart, dass weiterhin alle Nachkommen ein LS haben werden, 50 % jedoch ein CMMRD. Klinik Generell ist CMMRD charakterisiert durch das Auftreten von Hirntumoren, hämatologischen Krebserkrankungen und LS-assoziierten Tumoren, die oft bereits im Kindesalter auftreten. Die Schwere der Ausprägung hängt nicht nur von dem betroffenen Gen, sondern ebenfalls von der Art der Mutation ab (z.B. trunkierend oder nicht). Schwerwiegender sind generell die Ausprägungen bei MSH2 bzw. MLH1 vs. MSH6 und PMS2. Bei 2 Geschwistern mit MLH1-CMMRD wurden im 10-Jahres-Vorsorgeprogramm 15 asymptomatische maligne Tumoren bzw. deren Vorstufen entdeckt [5]. In der Kohorte des CMMRD-Konsortiums, bestehend aus 23 Kindern [6] entwickelten diese insgesamt 40 verschiedene Tumoren. Neunzehn hiervon (48 %) waren Hirntumore, 13 (32 %) gastrointestinale Tumore, 6 (15 %) hämatologische und Weitere (ein Nierenzellkarzinom und ein plexiformes Neurofibrom). Bei 31 französischen Patienten [11] wurden 67 Tumore beobachtet, 25 (37 %) LS-assoziierte Malignome, 22 (33 %) Hirntumore, 17 (25 %) hämatologische Malignome und 3 (5 %) Sarkome. Das mediane Manifestationsalter des ersten Malignoms war 6,9 Jahre (1,2–33,5). 145/146 der Patienten des EUConsortium Care for CMMRD (C4CMMRD) [12] entwickelten Neoplasien des Magen-Darm-Taktes mit einem medianen Erkrankungsalter von 16 Jahren, dies konnte auch bei einer größeren Anzahl Patienten bestätigt werden [15]. Polypen traten im Alter von 5–10 Jahren auf, was differentialdiagnostisch an eine familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) denken lässt. Insgesamt fanden sich 48 hämatologische Neoplasien mit einem media- 6/2017 ONKOLOGIE heute 48 UPDATE: CMMRD CME nen Erkrankungsalter von 5 Jahren, davon 31 Non-Hodgkin-Lymphome, vorwiegend von T-Zellen stammend. Von den insgesamt 81 Tumoren des ZNS dominierten 58 hochmaligne Gliome, mit einem medianen Erkrankungsalter von 7–9 Jahren. 88 zeigten LS-assoziiierte Tumore, dabei führend das KRK mit 59 Fällen, zum Teil synchron auftretend. Trotz einer großen Variabilität hinsichtlich der Altersverteilung in diesen drei Hauptgruppen, scheinen sich die hämatologischen Manifestationen generell früher als die ZNSTumore zu entwickeln. Die LS-assoziierten Karzinome manifestierten sich eher erst danach, in einem etwas höheren Alter. Hirntumore sind bei der zugrunde liegenden PMS2Mutation häufiger als bei einem MLH1- oder MSH2-Defekt – diese Defekte scheinen eher für die hämatologischen Manifestationen zu prädisponieren. Auch scheint das Erkrankungsalter bei den sonst penetranteren Genen MLH1/MSH2 niedriger zu liegen. Bezüglich neoplastischer Vorstufen des CRC zeigten sich bei 36 % der Patienten des C4CMMRD [12] Polypen des Gastrointestinaltraktes, die aufgrund ihrer Anzahl (einige bis fast 100) klinisch an eine attenuierte FAP erinnern. In sämtlichen Veröffentlichungen fanden sich Café-au-lait-Flecken bei Kriterium; bei mehr als einem Merkmal werden die Punkte addiert Karzinom aus dem LS-Spektrum im Alter von <25 Jahren Multiple Adenome im Darm im Alter von <25 Jahren bei Fehlen von APC/ MUTYH Mutation(en) oder ein einzelnes Adenom mit High-grade Dysplasie im Alter von <25 Jahren Gliom WHO Grad III oder IV im Alter von <25 Jahren T-Zell-NHL oder sPNETim Alter <18 Jahre Jedes Malignom im Alter <18 Jahre Zusätzliche optionale Merkmale; bei mehr als einer Eigenschaft werden die Punkte addiert. Kinische Zeichen von NF1 und/oder ≥2 hyperpigmentierte und/oder hypopigmentierte Hautalterationen Ø>1 cm bei dem Patienten Diagnose eines LS bei erst- oder zweitgradigen Verwandten Karzinom aus dem LS-Spektrum* vor dem 61. Lebensjahr bei einem erst-, zweit- oder drittgradigem Verwandten Geschwister mit Karzinom aus dem LS-Spektrum*, high-grade glioma, sPNET or NHL Ein Geschwisterkind mit einem Malignom, welches typischerweise in der Kindheit auftritt Multiple Pilomatricome bei dem Patienten Ein Pilomatricom bei dem Patienten Agenesie des Corpus callosum ein Kavernom bei dem Pateinten, welches nicht durch Therapie verursacht wurde Konsanguinität der Eltern Defizienz/reduzierte Spiegel von IgG2/4 und/oder IgA Indikation zur Testung auf CMMRD bei Karzinompatienten Geschwister mit Karzinom aus dem LS-Spektrum*, high-grade Gliom, sPNET oder NHL Geschwister mit irgendeinem Malignom Multiple Pilomatricome beim Patienten Ein Pilomatricom beim Patienten Agenesie des Corpus callosum oder nicht therapieinduziertes Kavernom beim Patienten Konsanguinität der Eltern Defizienz/reduzierte Spiegel von IgG2/4 und/oder IgA Tab. 1: Kriterien zur Testung auf CMMRD des C4MMR-D ONKOLOGIE heute 6/2017 Punktzahl 3 3 2 2 1 2 2 1 über 60 % der Betroffenen, 27 der 146 Patienten zeigten Café-au-laitFlecken gemeinsam mit anderen Zeichen von NF1 [12]. Diagnostik Die Diagnosefindung beim CMMRD ist oft schwierig – am entscheidendsten wäre es, dass man an diese diagnostische Möglichkeit beim Ersttumor denkt. Zum einen wird in allen Veröffentlichungen übereinstimmend berichtet, dass eine KeimbahnMMR-Mutation in der immunhistochemischen Analyse durchaus einen Normalbefund ergeben kann – was bei dem LS sehr selten ist und beim CMMRD schnell zu einer Fehldiagnose führt. Hier konnte durch Ingham et al. [9] zumindest für PMS2 und MSH2 eine neue Nachweismethode entwickelt werden. MLH1 wurde allerdings nicht getestet und MSH6 konnte hierdurch ebenfalls nicht nachgewiesen werden. Bakry [6] 2014 berichtet allerdings, dass in der Zusammenschau die IHC-Analyse letztendlich 100 % sensitiv und spezifisch zur Detektion von CMMRD eingesetzt wurde. „Dagegen waren insgesamt 20/28 Läsionen MSI-stabil“, was allerdings vorwiegend Hirntumore und niedriggradig maligne Kolonpolypen betraf. 2 1 2 1 1 1 1 2 1 2 1 1 1 1 Das Problem, dass häufig Varianten mit unbekannter funktioneller Signifikanz bei einem CMMRD beteiligt sind (in etwa 30 % der Fälle), d. h. mit Mutationen, die nicht sicher als pathogen zu betrachten sind, konnte durch Kombination von MSI-PCR mit Toleranz gegenüber methylierenden Agenzien ausgeräumt werden [16]. Für den Pathologen diagnostisch verunsichernd im Rahmen der IHCFärbung kann die Beobachtung sein, dass bei CMMRD nicht nur der Tumor, sondern sämtliche Zellen (auch nicht-neoplastische) einen MMR-Verlust aufweisen. UPDATE: CMMRD 49 CME Zum Zweiten fällt auf, dass bei vielen berichteten Familien [5, 6, 11] der Familienstammbaum erstaunlich wenig LS-assoziiierte Karzinome aufweist, bei [5] sogar trotz der normalerweise hoch penetranten MLH1-Mutation. Anscheinend finden sich in den häufig konsanguinen Familien dennoch die typischen CMMRD-assoziierten Neoplasien, d. h. auffallend viele Hirntumore. Und zum Dritten birgt das Vorliegen von Café-au-lait-Flecken bei 60–100 % der Betroffenen ein großes Verwechslungsrisiko mit der bedeutend bekannteren NF1. Desweiteren ist oft die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen wie Li-Fraumeni-Syndrom, Turcot-Syndrom Fanconi Anämie, Nijmegen breakage syndrome, Bloom syndrome, Noonan syndrome schwierig. Auf der anderen Seite ist die Sicherung der Diagnose von eminenter Wichtigkeit für die Betroffenen, da das Risiko an einer oft gänzlich anderen aggressiven Sekundärblastomatose zu erkranken erheblich erhöht ist. Weiterhin sind die typischerweise MMR-defizienten Tumoren gegenüber bestimmten Medikamenten resistent bzw. deren Toxizität ist erhöht. Die Geschwister der Betroffenen weisen ein 25 %iges Risiko, ebenfalls ein CMMRD-Träger zu sein und ein 50%iges Risiko für ein LS. Beide Eltern sind LS-Träger – und nur 25 % deren Nachkommen haben nach der Vererbungslehre ein intaktes MMR-System. 2014 wurden vom 2013 gegründeten EU-Consortium Care for CMMRD (C4CMMRD) [12] anhand von 146 Patienten klinische Kriterien entwickelt, als Basis und Algorithmus für eine Empfehlung zur Testung auf ein CMMRD (E Tab. 1). Bei Patienten mit NF1-typischen Malignomen sollte allerdings zunächst eine NF1 ausgeschlossen Kind oder junger Erwachsener mit LS-assoziiertem Tumor Kind oder junger Erwachsener mit adenomatösen Kolonpolypen, die nicht durch ein Polyposis-Syndrom erklärt werden können (familiäre adenomatöse Polyposis, MUTYH-assoziiierte Polyposis) Jedes Kind oder junger Erwachsener mit Malignom in Kombination mit elterlicher Konsanguinität, Café-au-lait-Flecken oder anderen Zeichen einer NF, die nicht durch andere Erbkrankheiten (z.B. NF) erklärt werden können Jedes Malignom mit pathologischer IHC bezüglich der DANN-MMR-Proteine in normalem und Tumorgewebe Hirntumore, Lymphome oder Leukämie in der Anamnese ohne vorausgegangene Bestrahlung Jedes Kind oder Erwachsener mit hypermutiertem Tumor Tab. 2: Kriterien zur Testung auf CMMRD der American Gastroenterological Association Malignomtyp Gehirn Gastrointestinaltrakt Dünndarm Screeningbeginn Untersuchung, Intervall 2 Jahre MRT, 1x/6 – 12 Monate Kolorektum Hämatologisch (Non-Hodgkin) Lymphome Leukämie LS-assoziiert [2] 8 Jahre Generell 10 Jahre Videokapselendoskopie, Ösophagogastroduodenoskopie jährlich Ileokoloskopie jährlich 1 Jahr klinische Untersuchung, evtl. Sonographie halbjährlich 1 Jahr Blutbild halbjährlich 20 Jahre Gynäkologische Untersuchung, transvaginale Sonographie, Pipelle-Saugbiopsie jährlich; Urinzytologie, Urinstix jährlich Eltern und Patienten sollte angeraten werden, Ihren Arzt bei ungewöhnlichen Anzeichen oder Symptomen zu kontaktieren. Ihnen sollte ein Merkblatt ausgehändigt werden über mögliche Anzeichen und Symptome. Tab. 3: Vorsorgeempfehlungen der C4CMMR-D [13] werden, ebenso verdient eine gewisse Überlappung des klinischen Phänotyps mit dem Li-FraumeniSyndrom Beachtung. Die jüngst erschienenen Leitlinien der AGA beruhen auf Erfahrungen mit etwa 200 CMMRD-Patienten [10] (E Tab. 2). Verdächtig sind immer: LS-assoziierte Tumore, eine adenomatöse Polyposis ohne Nachweis einer Mutation in dem APC- oder MUTYH-Gen, ein hypermutierter Tumor, Expressionsverlust eines der MMR-Gene in der immunhistochemischen Färbung des Tumors oder Biopsie und im Normalgewebe, pädiatrische Karzinome in dem Kontext der Konsanguinität sowie bei Café-au-laitFlecken ohne Nachweis einer NF1- Diagnose. Sie empfehlen darüberhinaus eine Abklärung bei Betroffenen mit einem Hirntumor, Lymphom oder Leukämie ohne Vorgeschichte einer Bestrahlung [10]. Die Abklärung umfasst die Untersuchung von Tumoren oder deren Vorstufen durch IHC auf das Vorliegen der MMR-Proteine, wobei missense-Mutationen der MMR-Proteine in der IHC einen fälschlich MMRkompetenten Tumor vortäuschen können. Da die PCR auf MSI die oben erwähnten Fallstricke zeigt, sollten primär beide Untersuchungen angewendet werden. Die endgültige Diagnose erfolgt dann nach einer genetischen Beratung durch molekulargenetische Untersuchung auf das Vorliegen einer Mutation. 6/2017 ONKOLOGIE heute 50 UPDATE: CMMRD CME Vorsorgeempfehlungen Die E Tabellen 3 und 4 zeigen die verschiedenen Vorsorgeprogramme. Anmerkungen zum Vorsorgeprogramm: Generell empfiehlt sich bei der Koloskopie (da oft flache Läsionen vorliegen), die Durchführung einer Chromoendoskopie, bei Kindern in Vollnarkose. Bei Vorliegen von multiplen Adenomen muss das Vorsorgeintervall evtl. auf 6 Monate verkürzt werden [13], ebenso empfiehlt sich ein Team aus einem pädiatrischen Gastroenterologen und einem Gastroenterologen mit Erfahrung in der Mukosaresektion. Bei den Patienten im entsprechend engmaschigen Vorsorgeprogramm konnten Todesfälle durch gastrointestinale Tumore vermieden werden [15]. Zur Erkennung der zu erwartenden Dünndarmkarzinome empfiehlt Durno die halbjährliche Kontrolle des Hämoglobinwertes. Insgesamt müssen sich die Wertigkeiten und Risiken der unterschiedlichen Vorsorgeprogramme angesichts fehlender Erfahrung in der Praxis beweisen. Anmerkungen zur Therapie: Nach [14] hat sich gezeigt, dass MMR-defiziente Tumoren quasi resistent gegen 5-FU basierte Chemotherapieschemata zu sein scheinen, Intervention ÖGD und Videokapsel-Endoskopie Koloskopie MRT Gehirn Differentialblutbild Untersuchung des Beckens mit Endometriumsbiopsie Urinuntersuchung Ganzkörper-MRT so dass die Indikationsstellung zur Therapie kritisch gestellt werden muss. Ebenso wird eine Resistenz gegen O6-methylierende Agenzien diskutiert, was angesichts der Verwendung von Temozolomid beim Glioblastom von klinischer Relevanz ist [13, 12]. Nachdem ein MMR-Defekt zu somatischen POLE/POLD1-Mutationen (und in der Konsequenz zu massiv hypermutiertenTumoren) führt, war es zu erwarten, dass anti-PD1Inhibitoren wirksam werden, was sich beim KRK mit Pembrolizumab und beim Glioblastom mit Nivolumab bestätigte [10]. Die Erfolgsaussichten in der täglichen Praxis – vor allem, aber nicht nur – für CMMRDPatienten bleiben abzuwarten, lassen aber hoffen! Fazit Zusammengefasst kann für das CMMRD festgestellt werden, dass an diese Erkrankung gedacht werden sollte, bei: – Lymphomen, Hirntumoren und gstrointestinalen Tumoren (Polyposis), Junges Erkrankungsalter – Café au lait Flecken – NF-ähnlichem Phänotyp ohne Mutationsnachweis – Konsanguinität – Auch bei leerer Familienanamnese oder ebenso bei einem bekannten LS in der Familie Empfehlung Jährlich, Beginn mit 8 Jahren Jährlich, Beginn mit 6 Jahren Halbjährlich, Beginn mit 2 Jahren Halbjährlich, Beginn mit 1 Jahr Jährlich, Beginn mit 20 Jahren Jährlich, Beginn mit 10 Jahren Ungewiss Alternative – nach Bakry [6]: – Bei diesen Patienten sollte eine intensivierte (frühe) Vorsorge empfohlen werden – Die Chemotherapie muss angepasst werden – Checkpoint-Inhibitoren könnten sehr gute Erfolge aufweisen – Eine ASS-Einnahme ist (angelehnt an die Ergebnisse der CAPP2-Studie beim LS) zu diskutieren. Literatur: medizin.mgo-fachverlage.de Korrespondenzadresse: Prof. Gabriela Möslein Direktorin Zentrum für Hereditäre Tumorerkrankungen am Chirurgischen Zentrum HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal Universität Witten/Herdecke Heusnerstr. 40 42283 Wuppertal Tel.: +49 202 896-2703 Fax.:+49 202 896-2704 www.helios-kliniken.de/wuppertal – Transfontanelläre Schädelsonographie, beginnend mit 6 Monaten bis zum Fontanellenschluss – – MRT Tab. 4: Vorsorgeempfehlungen der American Gastroenterological Society [15] ONKOLOGIE heute 6/2017 Im Text verwendete Abkürzungen: CMMRD: Constitutional Mismatch Repair Deficiency IHC: Immunhistochemie KRK:Kolorektales Karzinom LS: Lynch Syndrom MMR: Mismatch Repair (System) MSI:Mikrosatelliteninstabilität NF1:Neurofibromatose Typ 1 PCR:Polymerase chain reaction Prof. Gabriela Möslein