Burn out – stille Epidemie oder Modediagnose? Dr. Hans-Peter Unger Asklepios Klinik Hamburg-Harburg Euroforum, Düsseldorf 16. September 2008 Burn out Stille Epidemie oder Modediagnose? • Definition und Abgrenzung zur Depression und anderen Erkrankungen • Epidemiologie: Bedeutung für öffentliches Gesundheitswesen und Human Resource Initiatives • Burn out als Prozess – die verschiedenen Phasenmodelle • Welche Risikofaktoren sind bekannt? • Was schützt vor Burn out? • Wer ist besonders gefährdet? • Präventive und therapeutische Ansätze Definition Klassische Ausbrenner in den 70iger und 80iger Jahren scheiterten an ihren idealistischen und unrealistisch hohen Zielsetzungen in sozialen Berufen. Burn out heute entsteht mehr aus dem Druck, die Ansprüche anderer erfüllen zu können, Konkurrenzdruck, Leistungsdruck, fehlender Anerkennung und gesellschaftlicher Unsicherheit . Maslachs Burn out Inventary • Emotionale Erschöpfung • Depersonalisation • Leistungsunzufriedenheit Risikofaktoren WHO • Perspektivlosigkeit • Ungewissheit bezüglich „locus of control“ • Persönlichkeitsmerkmale • Veränderungen religiöser und kultureller Traditionen • Gratifikationskrise, Mangel an Zufriedenheit • Veränderungen der Mittelschicht • Arbeitsplatzunsicherheit Beispiel: Soziale Situation in Hamburg • Reiche und arme Stadtgebiete, Bedrohung oder Verlust der Mittelschicht • Burn Out bei „Vielarbeitern“ und Dienstleistern • Burn Out bei „Niedriglohnempfängern“ • Burn Out bei Arbeitslosen, „Chancenlosen“ Der Burn-Out Prozess • Arbeitswelt-bezogen • • • • • • keine eindeutige Definition schleichender Prozess verläuft in Phasen Risikofaktoren bekannt Wiederherstellung möglich oder Ausgang in klar definierten Krankheiten Der Burn out Prozeß 1 Warnsymptome der Anfangsphase: - überhöhter Energieeinsatz - Erschöpfung 2 Reduziertes Engagement - für Klienten, Familie, Freunde, Arbeit - erhöhte Ansprüche 3 Negative Emotionen - Depression und Schuldgefühle - Aggressivität und Schuldzuweisung Burn out Prozeß 1 Abbau - der kognitiven Leistungsfähigkeit - der Motivation - der Kreativität 2 Verflachung - der eigenen Emotionalität - des sozialen Lebens - des geistigen Lebens 3 Psychosomatische Reaktionen 4 Verzweiflung Burn-Out – keine klar definierte Krankheit! Neurasthenie Depression Burn out Persönlichkeitsstörungen Chronic Fatigue Syndrom Kontinuum Gesundheit-Krankheit • Was liegt zwischen den Polen der „idealen“ Gesundheit und der „medizinisch“ definierten Krankheit Depression? • „Befindlichkeitsstörungen“, unklare körperliche Symptome, „Stress related mental symptoms“, Burn Out, Erschöpfungsspirale, „Vital Exhaustion“, minor depression, subthreshold depression Kontinuum von „arbeitsfähig gesund“ bis „arbeitsfähig krank“ (nach Oppolzer, 2006) • Stufe A: zweifellos Gesunde • Stufe B: Befindensstörungen, die Leistungsfähigkeit und Gesundheit stören • Stufe C: Professionelle Hilfe wird aufgesucht, Leistungsfähigkeit herabgesetzt • Stufe D: manifeste Krankheit WHO Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung 1986 Gesundheit ist ein Stadium des Gleichgewichts zwischen gesundheitsbelastenden und gesundheitsfördernden Faktoren. Gesundheit und Krankheit sind Eckpunkte eines Kontinuums. Stress-Depressionen • Kein Unterschied in der Symptomatik von anderen Depressionen! • Aber: Schleichende Entwicklung oft über 12 bis 24/36 Monate • Chronischer Stress = schädliches Kortisol • Neuronen im Hippocampus verkümmern Haupt- und Nebenkriterien der Depression Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Verminderter Antrieb Schlafstörungen Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Depression ist keine kurzfristige „Fehlanpassung“! die Veränderungen sind nicht nur eine nachvollziehbare vorübergehende Reaktion auf eine äußere Belastung (z.B. Verlustsituation), sondern die Symptome von Copyright: Bündnis gegen Depression e.V. Niedergeschlagenheit, Antriebsverlust, Schuldgefühlen etc. zeigen eine überdauernde Stabilität über mehrere Wochen und Monate, ohne dass es zu einer Restabilisierung kommt. Epidemiologie in Deutschland ca. 5% • Bundesgesundheitssurvey 98/99: 4-Wochen Prävalenz: 6,3% • Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer • Erkrankung betrifft alle Altersgruppen Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe des Lebens an einer Depression. 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0 ep YLD: Schätzmaß unter Berücksichtigung re ss von Dauer und Beeinträchtigung io n, Al un ko ip ho ol ar lm is sb ra uc O h Dste em o enart z hr u.itis a. de g. Er BSch kr ip i . lazo r ap fhfere knt i ive e St Ze ör re un br g ov as O bs k. tr Er .P kr ul . m on .E Au rk r. to un f D ia älle be te s m el lit us D Copyright: Bündnis gegen Depression e.V. Belastung durch Krankheiten in den entwickelten Ländern (WHO-Studie von Murray & Lopez 1997) Genetische EntwicklungsDispostion störungen Stressoren Störbares ZNS Körperliche Psychosoziale Erkrankung Erhöhtes Stressniveau Adaption Normaler Stress Normales ZNS Ressourcen Bewältigungspotential (Person + Umfeld) Pathologische Reaktion Affektive Störung nach Callahan, Berrios 2005 Kostenexplosion durch Depression • 81,1 Milliarden Dollar Kosten in den USA, die durch Depressionen entstehen • Lost work time macht davon mit 33 Milliarden Dollar ein Drittel aus Langlieb, APA Atlanta, 2005 Cost of lost productive work time among US workers with depression Stewart WF et al, JAMA 2003,289:3135-3144 81 % der Kosten durch Verlust von produktiver Arbeitszeit sind auf eine verringerte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zurückzuführen (Präsentismus: Anwesenheit trotz Krankheit) Prevalence and Effects of Mood Disorders on Work Performance in a Nationally Representative Sample of U.S. Workers Kessler RC et al. Am J Psychiatry 2006; 163:1561-1568 NCS-R Studie 12 Monats ingesamt davon Prävalenz verlorene Fehltage, Arbeitstage Arbeitsunfähigkeit davon Tage mit geringerer Arbeitsfähigkeit “Presenteeism“ Bipolar 1,1% 65,5 Tage 27,2 Tage 35,3 Tage Unipolar 6,4% 27,2 Tage 8,7 Tage 18,2 Tage Hochgerechnet auf US-Bevölkerung Bipolar: 96,2 Mio. Arbeitstage verloren = 14,1 Mill. $ Produktivitätsverlust Unipolar: 225 Mio. Arbeitstage verloren = 36,6 Mill. $ Produktivitätsverlust Psyche statt Herz: Gründe für Erwerbsminderungen 1983/2006 1983 2006 90% 17,1% 21,2% 80% 8,6% 70% 7,5% 6,0% 100% 60% 32,5% Sonstige Psychische Erkrankungen 50% 40% 37,4% 14,5% Neubildungen 30% 4,3% 20% 10,8% Stoffwechsel / Verdauung Herz- / Kreislauferkrankungen 10% 0% 23,4% 1983 (alte Bundesländer) 16,7% Skelett / Muskeln / Bindegewebe „Psychische Belastungen spielen heute vor körperlichen und Umweltbelastungen mittlerweile die wichtigste Rolle unter den arbeitsbedingten gesundheitlichen Gefährdungen.“ Oppolzer, 2006 Arbeit heute Balanceakt zwischen Selbstverwirklichung und Erschöpfung Depression als Arbeitsunfall der Moderne Gute Arbeit wirkt antidepressiv! Viele Faktoren von Arbeit wirken antidepressiv und könnten genutzt werden: Struktur Identifikation, Selbstwert Selbstverwirklichung Erleben von Effizienz, Wirkung Wertschätzung, Anerkennung Austausch mit anderen Geld Kreativität Ablenkung Arbeit = Stress? Nein! Was macht Arbeit zu Stress? Stress „Stress ist das Ergebnis eines individuellen Bewertungsprozesses“ Lazarus + Folkman, 1998 „Stress ist keine objektive Belastung, die man mit einer geeigneten Apparatur messen kann“ Unger, Kleinschmidt, 2006 Stress am Arbeitsplatz „Die Situation ist bedrohlich, und ich kann sie wahrscheinlich nicht bewältigen“ STRESS entsteht aus: +Arbeitsanforderungen +Persönlichkeit +Bewältigungsmöglichkeiten Risikofaktoren am Arbeitsplatz • geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum • fehlende soziale Unterstützung („mobbing“) • geringe Wertschätzung, schlechte Entlohnung (effort-reward imbalance) • hohe persönliche Verausgabung (overcommitment) • schlechtes Teamklima • ungerechte Behandlung durch Vorgesetzte • Arbeitsverdichtung/hohe Arbeitsbelastung/Zeitdruck • Arbeitsplatzunsicherheit • schnelle betriebliche Umstrukturierungen • mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten • fehlende Fort- und Weiterbildung Siegrist, 1996; Karasek 1992;Stansfeld 1999, Westerlund, 2004; Ylipaavalniemi 2005 „Gute Arbeit“ Unterstützung durch Kollegen und Chefs • Transparenz und offene Kommunikation • Einfluss auf die Arbeit • Entwicklungsmöglichkeiten • Sicherheit des Arbeitsplatzes • Wertschätzung und Anerkennung • Angemessene Bezahlung • Ausgleich zwischen Über- und Unterforderung • Arbeitszeit kompatibel mit Familie und Freizeit • Gesunder Arbeitsplatz, „Have fun!“ Chronischer Stress am Arbeitsplatz negative Emotionen stressassoziierte Erkrankungen Stressreaktionen Dauer-Stress Cortisolerhöhung Sympathikusaktivierung Metabolisches Syndrom/ Diabetes Amenorrhö Impotenz Hypertonie KHK Kognitive Störungen (Gedächtnis/ Lernen) Immunsuppression Schlafstörungen Angst Depression Stress-Erkrankungen Physische und psychosoziale Arbeitsbelastungen tragen wesentlich zur Krankheitslast incl. Frühberentungsrisiko bei Rein rechnerisch entspricht dieser Anteil ~ 20% aller Herzinfarkte ~ 25% aller depressiven Störungen ~ 30% aller Muskelskelett-Erkrankungen Theoretisch könnte somit eine konsequente betriebliche Gesundheitsförderung die Erwerbsfähigkeit älterer Beschäftigter entscheidend verbessern J. Siegrist, Vortrag DSU, 2007 Wer ist gefährdet? Depressive Erfahrungen und klinische Depression (nach Blatt, 2005) Zwei zentrale Kerne der Depressionsentstehung: a) Beeinträchtigung eines stabilen und positiven Selbstgefühls mit Versagens- oder Schuldgefühlen (Persönlichkeitsdimension: Perfektionismus - Autonomie) „Selbstverbrenner“ (Burisch), „aktiver Typ“ (Freudenberger) b) Beeinträchtigung gratifizierender interpersonaler Beziehungen mit Verlassenheits- und Einsamkeitsgefühlen (Persönlichkeitsdimension: Abhängigkeit Soziotropie) „passiver Typ“(Freudenberger), passivabhängig ohne Ehrgeiz und klaren Zielen (Maslach) Prävention und Therapie • von Erschöpfung • von Burn Out • von Stress - Depressionen Schutzfaktoren (gegen negativen Stress, Depression, z.T. KHK) • Optimismus, Vitalität, positive Gefühle • optimistischer Erklärungsstil • emotionale Unterstützung (Partner) • soziale Beziehungen (Arbeitskollegen, Freunde) • Altruismus • Humor • Dankbarkeit, Vergebung Steptoe et al., 2005/2007; Grewen et al, 2005; Schwartz et al., 2003 Drei wichtige Fragen: 1 Achte ich gerade genug auf mich selbst, meine Rhythmen, Rituale, Bedürfnisse und Körpersignale? 2 Wie verantwortlich und wertschätzend bin ich im Moment mir selbst und mir wichtigen anderen Menschen gegenüber? 3 Entspricht meine Arbeit meinen persönlichen Wertvorstellungen und Lebenszielen? Körper, Biorhythmus Arbeit Partnerschaft, Freunde, Freizeit Work-LifeBalance Lebenssinn, Lebensziele, Spiritualität Der „magische“ Kreis Unger, 2007 Therapieziele • Reflexion • Emotionale Distanzierung • Selbststeuerung / Selbstmanagement • Neue Kraftquellen • Selbstachtsamkeit • Skills (Zeitmanagement u.ä.) Reflexion „Der erste und oft schwerste Schritt besteht darin, klar zu denken.“ Norbert Reich,2007 Emotionale Distanzierung JOGA / Selbstachtsamkeit ist ein Weg zu lernen, mit Belastungen so um zu gehen, dass wir weniger unter ihnen leiden Joga verändert unsere innere Haltung gegenüber unserem Denken und Fühlen hin zur Achtsamkeit Unsere Handlungen werden entschieden statt automatisch gewählt oder wie gewohnt Wir fahren mit Selbststeuerung statt mit Autopilot Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression Neue Wege der Rezidivprophylaxe JOGA basiertes Stress-Management in der Burn-Out-Behandlung Automatische Bewältigungsstrategien Die Bewertung einer Situation findet automatisch statt Sie wird automatisch mit einem Handlungsimpuls beantwortet der Blick auf Wahlmöglichkeiten ist verstellt Die Situation wird nicht mit einer gewählten, sondern mit einer gewohnten Strategie beantwortet Was können Unternehmen tun? Vor allem Maßnahmen… …eine Unternehmenskultur schaffen, in der offen über Erschöpfung, Burn Out, persönliches Engagement, Anforderungen und Grenzen gesprochen werden kann! Betriebliches Gesundheitsmanagement • zielt auf die Erhaltung, Wiederherstellung und Stärkung der Gesundheit aller Beschäftigten • hat Bedeutung für Motivation der Mitarbeiter und Betriebsklima sowie für Effektivität und Produktivität der Arbeit • setzt die Rahmenbedingungen für Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung Betriebliche Gesundheitsförderung • muß „top down“ verankert werden, • Führungskräfte sind Vorbilder, • Ziele müssen mittelfristig gesetzt werden, • BGF ist ein Kulturwandel, • BGF muß in den betrieblichen Alltag integriert werden. Drei Schnittstellen • Prävention – Gesundheitsförderung • Früherkennung und schnelle Behandlungseinleitung, ambulant vor stationär • Wiedereingliederung Müde, erschöpft, leer – krank? Was tun, wenn Mitarbeiter „ausbrennen“ oder depressiv werden? Copyright: Bündnis gegen Depression e.V. Konzept: D. Althaus1, N. Magdalinski2, H.-P. Unger3, G. Eder-Michaelis3, R. Schäfer1, U. Hegerl1 1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians Universität München Hamburger Fachdienst für berufsbegleitende, psychosoziale Betreuung Behinderter 2 3 AK Hamburg-Harburg, Harburger Bündnis gegen Depression Im Arbeitsleben bestehen – trotz Depression! www.buendnis-depression.de [email protected]