Gewitter im Kopf Krämpfe, Zuckungen und Bewusstlosigkeit können mit einem epileptischen Anfall einhergehen. Die Krankheit ist jedoch gut behandelbar, viele Patienten bleiben dauerhaft anfallsfrei. Die Epilepsie ist eine Funktionsstörung des Gehirns. Auslöser sind abnorme, gleichzeitige elektrische Entladungen von Nervenzellen. Die Krankheit ist jedoch gut behandelbar, mehr als die Hälfte der Betroffenen bleibt langfristig anfallsfrei. Manche Mythen halten sich trotzdem hartnäckig. ist in keiner Weise beeinträchtigt und voll integrierbar. Epilepsie hatten unter anderem Julius Cäsar, Leonardo da Vinci oder Dostojewski.“ Epileptische Anfälle sind Störungen des Gehirns aufgrund von vermehrten kurzen Entladungen der Nervenzellen. Sind mehrere Nervenzellen in beiden Gehirnhälften davon betroffen, handelt es sich um einen Die Epilepsie ist auch im 21. Jahrhundert Fähigkeiten bei Epilepsie-Erkrankten verrin- generalisierten Anfall. Ist es nur ein Teil des mit Mythen und vielen Missverständnissen gert“, sagt Dr. Rudolf Schwarz, Facharzt Gehirns, ein „Herd“ betroffen, sprechen belastet. In Österreich glaubt jeder Zehnte, für Kinder- und Jugendheilkunde in der Mediziner vom fokalen Anfall. Deshalb dass diese neurologische Erkrankung eine Landes- Frauen- und Kinderklinik Linz. können die Anfälle unterschiedlich ausse- Geisteskrankheit ist. „Laien meinen oft, dass „Solche Ansichten nähren die Vorurteile, hen. Gehen sie mit Bewusstlosigkeit und bei jedem Anfall Millionen Hirnzellen abster- dass Betroffene kognitiv eingeschränkt Zuckungen der Arme und Beine einher, ben und sich somit sukzessive die kognitiven sind. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen heißen sie in der Fachsprache generalisierte 28 HUMAN Sommer 2012 Foto: gespag www.gesund-in-ooe.at Bei einem epileptischen Anfall entladen sich unzählige Nervenzellen im Gehirn gleichzeitig. tonisch-klonische Anfälle, früher auch als mit Epilepsie betreut, in Oberösterreich sind „Grand Mal“ bezeichnet. rund 1.800 davon betroffen, die Häufigkeit Dr. Gabriele Schwarz, Neurologin an der Landesnervenklinik Linz, beobachtet die Video-EEG-Überwachung, die Auskunft über die elektrischen Aktivitäten des Gehirns gibt. kindlicher Epilepsien kann man mit jener des Krampfanfälle bei Kindern kindlichen Diabetes vergleichen.“ Cerebrale Krampfanfälle bei Kindern kommen Auf einen Anfall folgt nicht zwangsläufig häufiger vor als man glaubt. „Etwa 3,5 bis 5 eine Epilepsie. Im Kindesalter sind die meis- Prozent aller Kinder erleiden irgendwann ei- ten Anfälle Fieberkrämpfe. Die Kinder sind nen Anfall“, so Dr. Schwarz. „Die Häufigkeit dabei in der Regel bewusstlos und zucken von Epilepsie, also chronischen Anfällen, ist rhythmisch am ganzen Köper. „Für Eltern ein viel geringer. Die Inzidenzrate, welche die Zahl schlimmer Anblick, denn sie haben Angst, der Neuerkrankungen in einer definierten Be- dass ihr Kinder stirbt“, erklärt Dr. Schwarz. völkerungsgruppe während eines bestimmten „Medizinisch gesehen sind die meisten Zeitraumes beschreibt, liegt für Null- bis Fieberkrämpfe harmlos. „Sie treten zumeist zehnjährige Kinder bei 70 von 100.000. im Rahmen banaler Infekte auf. Zwecks In der Frauen,- Landes- und Kinderklinik werden rund 1.000 Kinder und Jugendliche Lesen Sie weiter auf Seite 30 Hohes Fieber ist bei kleinen Kindern eine häufige Ursache für Krampfanfälle – was nicht bedeutet, dass das Kind Epilepsie hat. Loslassen ist nicht leicht Der 17-jährige Felix leidet an Epilep- hat. Zudem hat Felix aufgrund seiner Grund- S. ist innerlich immer wieder auf Sprung, sie und einem Hydrocephalus („Was- erkrankung eine halbseitige Lähmung der steht oft unter Zeitdruck, denn Felix muss serkopf“). Seine Mutter versucht, rechten Körperhälfte. Mittels eines Shunts* seine Tabletten pünktlich nehmen. Sie hat den Spagat zwischen Fürsorge und kann bei ihm der überschüssige Liquor (Ge- hilfsbereite Menschen kennen gelernt, Loslassen zu meistern. hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) in die Bauch- stößt aber immer wieder auf Vorurteile höhle abgeleitet werden. „Als mein Kind und Probleme. „So wollte eine Lehrerin Kinder sollten nicht überbehütet werden, dann noch an Epilepsie erkrankt ist, waren Felix nicht das Notfallmedikament geben, das mindert das Selbstwertgefühl. Bri- wir sehr verzagt“, sagt Brigitte S. Epilepsie ist obwohl er dies immer bei sich trägt und gitte S., Mutter eines 17-jähriges Sohnes, im Rahmen eines Hydrocephalus oft schwer ich ihr alles genau erklärt habe“, bedauert meistert dies mit viel Geduld und einem behandelbar; zirka 30 bis 40 Prozent sind Brigitte S. guten Schuss Humor. Kurz vor Felix´ Ge- therapieresistent. Auch Felix hat immer wie- burt erfuhr sie, dass er einen Hydrocepha- der Anfälle. Brigitte S. und ihr Mann haben lus (im Volksmund „Wasserkopf“ genannt) lernen müssen, damit umzugehen. Brigitte * Kurzschlussverbindung mit Flüssigkeitsübertritt zwischen normalerweise getrennten Gefäßen oder Hohlräumen Sommer 2012 HUMAN 29 Schluss mit der Stigmatisierung! Vorurteile gegenüber Menschen mit zusätzlich unter Depressionen oder Angststö- ihnen nicht leicht, sich zu outen. „Vielfach Epilepsie und Unkenntnis der Krankheit rungen“, weiß Dr. Gabriele Schwarz, Neurolo- wird geglaubt, dass Epilepsie eine unheil- sind nach wie vor weit verbreitet – für die gin in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg bare Krankheit ist“, so Dr. Schwarz. „Mit den Betroffenen ein zusätzlicher Stressfaktor. in Linz. „Epilepsie fordert von ihnen eine stän- modernen Medikamenten können heute 50 dige Anpassung des Lebensstils. Das betrifft bis 60 Prozent der Betroffenen langfristig „Rund 10.000 Menschen in Oberösterreich sowohl den Beruf als auch die Freizeit. Auch anfallsfrei werden. Bei manchen Betrof- haben Epilepsie. Viele Betroffene leiden leben viele ständig mit der Angst, einen Anfall fenen, die therapieresistent sind, hilft nach zu bekommen, was zu eingehender Abklärung unter bestimmten Selbstwertproblemen Voraussetzungen auch eine Operation.“ Be- und Unsicherheiten sonders viele Vorurteile haben Österreicher führt. Das alles sind laut einer Umfrage des Österreichischen Stressfaktoren, die Epilepsie Dachverbands: Nur 47,8 Prozent die seelische Balance der Befragten beantworten die Frage, ob stören und die An- sie etwas dagegen hätten, wenn ihr Kind fallshäufigkeit negativ jemanden heiraten würde, der epileptische beeinflussen können.“ Anfälle hat, mit einem eindeutigen Nein. Dr. Die Stigmatisierung Schwarz:„Darum ist Aufklärung über diese und die Vorurteile Krankheit auch noch heutzutage notwen- gegenüber Epilepsie- dig. Mit der Stigmatisierung muss endlich Patienten machen es Schluss sein!“ Ausgrenzung: Menschen mit Epilepsie wird es nicht leicht gemacht, zu ihrer Krankheit zu stehen. Abklärung sollte jedes Kind nach einem Beruflich (wieder) am Ball ersten Fieberkrampf von einem Arzt untersucht werden.“ Im Säuglingsalter kommen auch BNS (Blitz-Nick-Salaam)-Krämpfe Das BBRZ bietet neue Berufsperspektiven trotz gesundheitlicher Probleme, angepasst an die individuellen Fähigkeiten. Das BBRZ Linz betreut im Rahmen der vor. Die Bezeichnung rührt daher, dass es beruflichen Rehabilitation derzeit ca. bei dieser Epilepsie-Form zu plötzlich auf- 600 Menschen, 70 bis 80 Prozent ge- tretenden Krämpfen mit heftigen Muskel- lingt die Rückkehr in den ersten Arbeits- zuckungen, Nickbewegungen des Kopfes markt. Darunter sind auch Patienten, sowie Beugungen des Rumpfes und der die zum Beispiel durch einen Autounfall Extremitäten kommt. Oft dauert der Anfall Epilepsie bekamen. Betreut werden nur Bruchteile von Sekunden. sie dabei von einem interdisziplinären Die Rolando-Epilepsie ist eine bestimmte Team. Dr. Bettina Klar, Chefärztin des Epilepsie-Form im Kinderalter, die typischer- BBRZ Österreich: „Das Ende einer weise zwischen dem dritten und zwölften erfolgreichen Berufskarriere aufgrund Lebensjahr auftritt. Die Anfälle setzen über- eines Unfalls oder einer Erkrankung ist wiegend im Schlaf ein. „Erfreulich ist, dass ein traumatischer Einschnitt. Das BBRZ die Rolando-Epilepsie aus bisher noch un- ermöglicht Betroffenen eine individuelle bekannten Gründen in der Pubertät zu 100 Rehabilitationsplanung mit zielgenauen, Prozent verschwindet“, so der Kinderarzt. maßgeschneiderten Ausbildungen Bei einer bestimmten Art von epileptischen für neue berufliche Karrieren in allen Anfällen – den Absencen – sieht es so aus, Branchen der Wirtschaft. Das bedeutet als würde das Kind nur träumen, sozusagen für sie auch den Erhalt ihrer Selbstbe- ins Narrenkastel schauen. Bei Absencen stimmung und Selbstständigkeit, senkt ist das gesamte Gehirn betroffen. Die Ge- aber auch die Kosten für Staat und fahr dabei ist, dass die Bewusstseinslage Gesellschaft.“ der Kinder eingeschränkt ist, so dass sie plötzliche Reize von außen nicht verarbeiten 30 HUMAN Sommer 2012 Foto: gespag Foto: gespag www.gesund-in-ooe.at Zur Diagnose-Erstellung von Epilepsie werden auch die Hirnströme mittels EEG gemessen. können - im Straßenverkehr nicht ungefähr- z.B. Schlafmangel, frühere Erkrankungen und lich. Fieberkrämpfe oder eine Epilepsie bei Fami- Foto: gespag Dr. Rudolf Schwarz, Facharzt für Kinderund Jugendheilkunde in der LandesFrauen- und Kinderklinik Linz, wünscht sich eine Selbsthilfegruppe für Kinder mit Epilepsie. lienmitgliedern ermöglichen manchmal eine Viele Ursachen möglich erste Zuordnung zu einem Epilepsiesyndrom. Die möglichen Ursachen für Epilepsie – sofern Zu den wichtigsten Untersuchungen für die sie sich feststellen lassen – reichen von erbli- weitere Abklärung zählen die Messung der Hirn- cher Veranlagung bis zu Hirnschädigungen, ströme mittels Elektroenzephalographie (EEG), z.B. durch Entzündungen, Schlaganfall oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) und Drogenmissbrauch. Die Abklärung ist wich- ein Video-EEG-Monitoring. Wichtig ist es für Dr. tig für die Therapie und die Prognose. Zur Rudolf Schwarz, dass sich Eltern in ihren Sor- guten Diagnostik gehört immer eine genaue gen und Nöten um ihr Kind ernst genommen Anamnese. Für die Diagnose ist auch die fühlen: „Nur so kann man Vertrauen zu ihnen Beschreibung des Anfalls durch Beobachter und zu dem Kind aufbauen und ihnen bei einem und der vom Betroffenen wahrgenommenen positiven Umgang mit der Krankheit helfen.“ Symptome (z.B. Aura) bedeutend. Zusätzliche Informationen über Provokationsfaktoren Elisabeth Dietz-Buchner Positiv denken ist mein Lebensmotor Günter M., Leiter der oö. Epilepsie- Speditionskaufmann machen. „Der Chef Selbsthilfe-Gruppe (medizinische Leitung hatte für mich auch deshalb Verständnis, Dr. Martin Hamberger) musste sich mit weil seine Schwester das gleiche Pro- einem Rucksack voll von Problemen blem wie ich hatte“, sagt Herr M. Frauen durchs Leben kämpfen. Aufgrund einer scheuten sich zudem, eine Beziehung Gehirnhautentzündung erkrankte er an mit ihm einzugehen. Heute hat der Epilepsie, später dann noch an Multipler 70-Jährige sein privates Glück gefunden. Sklerose. Aus drei Lehrstellen flog er he- Günters Motto: „Positiv denken ist mein raus, weil die Ausbildner dahinter kamen, Lebensmotor.“ Von seiner Kraft und Er- dass er Epilepsie hat. Erst bei der vierten fahrung haben schon viele Mitglieder der Stelle konnte er eine Ausbildung zum Selbsthilfegruppe profitiert. MRT-Untersuchungen erfassen auch kleinere Missbildungen im Gehirn, die Epilepsie-Anfälle auslösen können. Sommer 2012 HUMAN 31