Mathematik I - TU Chemnitz

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Mathematik I
(für Informatiker, ET und IK)
Oliver Ernst
Professur Numerische Mathematik
Wintersemester 2013/14
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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Organisatorisches
Wir
Vorlesung
Prof. Oliver Ernst
Mo
Do
9:15
11:30
Fr
Mi
Mi
Mo(1)
Mo
Fr(2)
13:45
15:30
11:30
13:45
11:30
13:45
Übungen
Dipl.-Math. Ingolf Busch
Dipl.-Math. Hansjörg Schmidt
Dipl.-Math. Björn Sprungk
Dr. Roman Unger
: B_AI, B_In, M_IG
: B_In
: B_BT, B_ET, B_IK
: B_EM, B_ET, B_RE
Webseite
www.tu-chemnitz.de/mathematik/numa/lehre/mathematik-I-2013
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Organisatorisches
Sie
B_AI
B_AI
B_BT
B_EM
B_ET
B_IK
B_RE
M_IG
Studiengang
Informatik
Angewandte Informatik
Biomedizinische Technik
Elektromobilität
Elektrotechnik
Informations und Kommunikationstechnik
Regenerative Energietechnik
Informatik f. Geistes- u. Soz.-Wiss.)
SWS
4V+2Ü
4V+2Ü
4V+3Ü
4V+3Ü
4V+3Ü
4V+3Ü
4V+3Ü
4V+2Ü
Klausurzeit
120
120
180
120
120
120
120
120
LP
9
9
8
8
8
9
8
9
AS
270
270
240
240
240
240
240
270
Studenten
18
25
34
2
25
4
8
12
(laut Modulbeschreibungen Mathematik I bzw. Höhere Mathematik I)
AS = Gesamtarbeitsaufwand in Stunden
LP = Leistungspunkte
Neben der Präsenzzeit von 4,5 bzw. 5,25 h/Woche (= 67.5 bzw. 78,75 h gesamt) entfällt also ein
erheblicher Anteil auf Selbststudium:
Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen,
Literaturstudium,
Lösen von Übungsaufgaben,
Prüfungsvorbereitung.
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Organisatorisches
Prüfung
Klausurarbeit am Ende des Wintersemesters (Umfang laut Tabelle).
Termin wird bekanntgegeben sobald von zentraler Prüfunsplanung verkündet.
Zugelassene Hilfsmittel: Ausdruck dieser Folien, Randnotizen hierauf,
Formelsammlung. (kein Taschenrechner).
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Organisatorisches
Inhalt:
reelle und komplexe Zahlen
Folgen und Reihen
Differential- und Integralrechnung einer reellen Variablen
elementare lineare Algebra
Ziele: Die Studierenden sollen
das elementare technische Reservoir der Mathematik (Grundlagen lineare
Algebra und Infinitesimalrechnung einer Variablen) kennen und beherrschen,
Verständnis des „mathematischen Sprache“ entwickelt haben,
einfache mathematische Modelle aus den Naturwissenschaften analysieren
können.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
Nehmen Sie an den Übungen teil.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
Nehmen Sie an den Übungen teil.
Bilden Sie Arbeitsgruppen. Wer über Mathematik spricht, versteht diese
besser und kann Probleme besser identifizieren.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
Nehmen Sie an den Übungen teil.
Bilden Sie Arbeitsgruppen. Wer über Mathematik spricht, versteht diese
besser und kann Probleme besser identifizieren.
Lesen Sie dem Stand der Vorlesung entsprechende Kapitel in der Literatur,
um andere Aspekte kennenzulernen.
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Organisatorisches
Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
Nehmen Sie an den Übungen teil.
Bilden Sie Arbeitsgruppen. Wer über Mathematik spricht, versteht diese
besser und kann Probleme besser identifizieren.
Lesen Sie dem Stand der Vorlesung entsprechende Kapitel in der Literatur,
um andere Aspekte kennenzulernen.
Versuchen Sie Freude, Ausdauer und sportlichen Ehrgeiz beim Lösen der
Probleme zu entwickeln.
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Empfehlungen
Arbeiten Sie von Anfang an intensiv mit.
Arbeiten Sie die Vorlesungen nach. Stellen Sie Fragen, wenn sich
Unklarheiten ergeben. Werden Sie insbesondere sofort aktiv, wenn Sie den
„roten Faden“ verloren haben.
Bearbeiten Sie die Übungsaufgaben, Beispiele und Übungsklausuren
selbstständig.
Nehmen Sie an den Übungen teil.
Bilden Sie Arbeitsgruppen. Wer über Mathematik spricht, versteht diese
besser und kann Probleme besser identifizieren.
Lesen Sie dem Stand der Vorlesung entsprechende Kapitel in der Literatur,
um andere Aspekte kennenzulernen.
Versuchen Sie Freude, Ausdauer und sportlichen Ehrgeiz beim Lösen der
Probleme zu entwickeln.
Nehmen Sie sich von Anfang an genügend Zeit.
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Speziell zur Zeitplanung
Beispiel zur Zeitplanung
Laut Modulbeschreibung ist der Selbststudiumsanteil im Modul auf 160–200 h ausgelegt. Diese könnte man exemplarisch wie folgt aufteilen:
120 h während des Semesters, d. h. durchschnittlich 8 h pro Woche (ggf.
könnte man einen Teil dieser Zeit im Tutorium oder in einer Lerngruppe
verbringen),
40–80 h Prüfungsvorbereitung in der vorlesungsfreien Zeit.
Wie Sie die Zeit aufteilen, ist natürlich Ihre Sache. Wir empfehlen Ihnen jedoch,
von vornherein einen Zeitplan zu erstellen und auch konsequent einzuhalten.
Falls das noch nicht reicht. . . ...
hilft nur, sich mehr Zeit zu nehmen. Die Modulbeschreibung geht von durchschnittlichem Talent und Vorkenntnissen aus.
In den seltensten Fällen ist jemand generell unfähig den Stoff zu verstehen – in der
Regel braucht man einfach nur mehr Zeit.
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Warnungen
Was sicher schiefgeht
. . . ist das Umsetzen verbreiteter „pragmatischer“ Einstellungen wie
Ich kann in Vorlesung/Übung dem Dozenten recht gut folgen, also beherrsche
ich den Stoff – „Beschallenlassen“ reicht vollkommen.
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Organisatorisches
Warnungen
Was sicher schiefgeht
. . . ist das Umsetzen verbreiteter „pragmatischer“ Einstellungen wie
Ich kann in Vorlesung/Übung dem Dozenten recht gut folgen, also beherrsche
ich den Stoff – „Beschallenlassen“ reicht vollkommen.
Die Vorlesung zeigt mir die theoretische Seite des Stoffes – ich brauche aber
für die Klausur nur die Anwendung. Also reicht es, Übung bzw. Tutorium zu
besuchen.
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Organisatorisches
Warnungen
Was sicher schiefgeht
. . . ist das Umsetzen verbreiteter „pragmatischer“ Einstellungen wie
Ich kann in Vorlesung/Übung dem Dozenten recht gut folgen, also beherrsche
ich den Stoff – „Beschallenlassen“ reicht vollkommen.
Die Vorlesung zeigt mir die theoretische Seite des Stoffes – ich brauche aber
für die Klausur nur die Anwendung. Also reicht es, Übung bzw. Tutorium zu
besuchen.
Mathematische Techniken kann man wie Rezepte auswendiglernen; das reicht
für Anwendung und Klausur. Ein tieferes Verständnis von Inhalten und
Zusammenhängen benötigen nur Mathematiker.
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Organisatorisches
Warnungen
Was sicher schiefgeht
. . . ist das Umsetzen verbreiteter „pragmatischer“ Einstellungen wie
Ich kann in Vorlesung/Übung dem Dozenten recht gut folgen, also beherrsche
ich den Stoff – „Beschallenlassen“ reicht vollkommen.
Die Vorlesung zeigt mir die theoretische Seite des Stoffes – ich brauche aber
für die Klausur nur die Anwendung. Also reicht es, Übung bzw. Tutorium zu
besuchen.
Mathematische Techniken kann man wie Rezepte auswendiglernen; das reicht
für Anwendung und Klausur. Ein tieferes Verständnis von Inhalten und
Zusammenhängen benötigen nur Mathematiker.
Mein Stundenplan lässt mir nur wenig Zeit. Ich arbeite am Ende des
Semesters einfach alles „am Stück“ nach. Ein, zwei Wochen (oder gar Tage)
werden schon reichen.
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Organisatorisches
Warnungen
Was sicher schiefgeht
. . . ist das Umsetzen verbreiteter „pragmatischer“ Einstellungen wie
Ich kann in Vorlesung/Übung dem Dozenten recht gut folgen, also beherrsche
ich den Stoff – „Beschallenlassen“ reicht vollkommen.
Die Vorlesung zeigt mir die theoretische Seite des Stoffes – ich brauche aber
für die Klausur nur die Anwendung. Also reicht es, Übung bzw. Tutorium zu
besuchen.
Mathematische Techniken kann man wie Rezepte auswendiglernen; das reicht
für Anwendung und Klausur. Ein tieferes Verständnis von Inhalten und
Zusammenhängen benötigen nur Mathematiker.
Mein Stundenplan lässt mir nur wenig Zeit. Ich arbeite am Ende des
Semesters einfach alles „am Stück“ nach. Ein, zwei Wochen (oder gar Tage)
werden schon reichen.
Bei der Klausur sind so viele Hilfsmittel zugelassen, dass ich auf Lernen und
Üben verzichten kann.
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Literatur
Folien
Die in der Vorlesung gezeigten Folien werden auf der Vorlesungswebseite im
Voraus zum Herunterladen bereitgestellt.
Diese stellen kein Vorlesungsskript dar, sondern sollen lediglich den
Mitschreibaufwand minimieren. Eigene Ergänzungen bzw. Randnotizen sind
unerlässlich.
Der Download ersetzt natürlich nicht den Besuch von Vorlesung/Übung und
auch nicht die Lektüre von Fachliteratur.
Einige Lehrbücher
M. Schubert: Mathematik für Informatiker. Springer-Vieweg, 2012. E
L. Papula: Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler.
Vieweg+Teubner, Band 1–3, 2009. E
W. Preuß, G. Wenisch: Lehr- und Übungsbuch Mathematik für Informatiker:
Lineare Algebra und Anwendungen; Verlag: Fachbuchverlag Leipzig, 2002.
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Zu guter letzt
Danksagung: Diese Vorlesung entstand nach Vorlagen meiner ehemaligen Kollegen
Prof. Michael Eiermann und Dr. Mario Helm am Institut für Numerische Mathematik und Optimierung, TU Bergakademie Freiberg.
Doch nun . . .
lassen Sie uns endlich zur Mathematik kommen! Immerhin eine der ältesten wissenschaftlichen Beschäftigungen der Menschen überhaupt:
Papyrus Rhind
(ca. 1550 v. Chr.)
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Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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Wie sag’ ich’s?
Werfen Sie einen kurzen Blick auf folgende lyrische Einlassung:
f : R → R stetig in x0
:⇔ (∀ > 0 ∃δ > 0 : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < )
Möglicherweise bewegen Sie jetzt Fragen wie
Wie kann man jemals einen solchen Ausdruck durchblicken?
Wozu muss man sich überhaupt derart kompliziert ausdrücken?
Lassen Sie uns dazu ein kleines Experiment durchführen:
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Mathematik I
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Wie sag’ ich’s?
Werfen Sie einen kurzen Blick auf folgende lyrische Einlassung:
f : R → R stetig in x0
:⇔ (∀ > 0 ∃δ > 0 : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < )
Möglicherweise bewegen Sie jetzt Fragen wie
Wie kann man jemals einen solchen Ausdruck durchblicken?
Wozu muss man sich überhaupt derart kompliziert ausdrücken?
Lassen Sie uns dazu ein kleines Experiment durchführen:
Erklären Sie Ihrem Nachbarn in einer Minute, was eine reelle Zahl ist, und warum
für diese das Kommutativgesetz der Addition gilt.
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Wie sag’ ich’s?
Werfen Sie einen kurzen Blick auf folgende lyrische Einlassung:
f : R → R stetig in x0
:⇔ (∀ > 0 ∃δ > 0 : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < )
Möglicherweise bewegen Sie jetzt Fragen wie
Wie kann man jemals einen solchen Ausdruck durchblicken?
Wozu muss man sich überhaupt derart kompliziert ausdrücken?
Lassen Sie uns dazu ein kleines Experiment durchführen:
Erklären Sie Ihrem Nachbarn in einer Minute, was eine reelle Zahl ist, und warum
für diese das Kommutativgesetz der Addition gilt.
Wahrscheinlich ist Ihnen aufgefallen, dass die Umgangssprache für eine präzise Beschreibung nicht ausreicht. Wir brauchen eine Fachsprache zur mathematischen
Kommunikation. Diese muss erst erlernt werden.
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Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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Elemente der Aussagenlogik
Eine Aussage ist ein sprachliches oder formelmäßiges Gebilde, dem man entweder
den Wahrheitswert „wahr“ oder „falsch“ zuordnen kann.
Sprechweisen
„p ist eine wahre (richtige) Aussage.“, „p gilt.“
„p ist eine falsche Aussage.“, „p gilt nicht.“
Insbesondere kann keine Aussage gleichzeitig wahr oder falsch sein.
Sind folgende Konstrukte Aussagen? Was ist ggf. ihr Wahrheitswert?
„Wir sprechen gerade über Aussagenlogik.“;
„Wie soll ich bloß die Prüfung schaffen?“;
„62 =√36“;
„7
√= 48“;
„ 14“;
„Rettet den Euro!“;
„Wir befinden uns in Dresden oder Chemnitz.“
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Elemente der Aussagenlogik
Eine Aussagenverknüpfung liefert eine neue Aussage, deren Wahrheitwert sich aus
den Wahrheitswerten der verknüpften Aussagen ergibt.
Seien p und q Aussagen, dann heißt
p (auch ¬p) Negation von p (sprich: „nicht p“),
p ∨ q Disjunktion von p und q (sprich: „p oder q“),
p ∧ q Konjunktion von p und q (sprich: „p und q“).
Die Wahrheitswerte werden durch folgende Tabellen festgeschrieben:
p
w
f
p
f
w
p
w
w
f
f
q
w
f
w
f
p∨q
w
w
w
f
p∧q
w
f
f
f
Beachten Sie den rot markierten Wahrheitswert bei „oder“ – umgangssprachlich
meint man mitunter nicht dasselbe!
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Elemente der Aussagenlogik
Geben Sie den Wahrheitswert der Aussage
„Wir gehen heute abend ins Kino oder ins Theater“
in Abhängigkeit von der tatsächlich durchgeführten Aktivitäten an. Machen Sie
sich den Unterschied zur Umgangssprache klar.
Geben Sie die Wahrheitswerte und Negationen zu folgenden Aussagen an:
p: „Unsere Vorlesung findet heute am Nachmittag statt.“
q: „Unsere Vorlesung findet heute am Abend statt.“
Warum ist q nicht die Negation von p?
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Elemente der Aussagenlogik
Implikation und Äquivalenz
Ein zentrales Element beim Aufbau mathematischer Theorie ist das logische Schließen. Dafür benötigen wir zwei weitere Verknüfungen.
Seien p und q Aussagen; dann heißt
p ⇒ q Implikation („Aus p folgt q“; „Wenn p gilt, so gilt q.“),
p ⇔ q Äquivalenz („p gilt genau dann, wenn q gilt.“).
Eine Implikation ist genau dann falsch, wenn man aus wahren Aussagen die falschen
Schlüsse zieht (p wahr, q falsch).
Eine Äquivalenz bedeutet, dass p und q immer den gleichen Wahrheitswert besitzen.
Die zugehörige Wahrheitswerttabelle spielt für den Praktiker kaum eine Rolle – die
sprachliche Fassung der Begriffe ist handlicher:
p
w
w
f
f
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q
w
f
w
f
p⇒q
w
f
w
w
q⇒p
w
w
f
w
Mathematik I
p⇔q
w
f
f
w
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Elemente der Aussagenlogik
Wichtig sind aber folgende alternative Sprechweisen:
für p ⇒ q: „p ist hinreichend für q.“ oder “q ist notwendig für p.“
für p ⇔ q: „p ist hinreichend und notwendig für q.“
und folgender Satz:
Satz 2.1
Seien p und q Aussagen. Dann gilt:
(p ⇔ q)
(p ⇒ q)
⇔
⇔
(p ⇒ q) und (q ⇒ p)
(q ⇒ p)
Die zweite Aussage bildet die Grundlage für das indirekte Beweisen („Angenommen
q gilt nicht, dann kann auch p nicht gelten.“).
Interpretieren Sie die Aussage „Wenn n gerade ist, so ist auch n2 gerade.“ vor dem
Hintergrund der zweiten Beziehung in Satz 2.1.
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Elemente der Aussagenlogik
Satz 2.2
Es seien p, q und r beliebige Aussagen. Dann gelten immer:
p⇔p
(doppelte Verneinung),
p∨p
(Satz vom ausgeschlossenen Dritten),
(p ∨ q) ⇔ (p ∨ q)
(p ∧ q) ⇔ (q ∧ p)
[(p ∨ q) ∨ r] ⇔ [p ∨ (q ∨ r)],
[(p ∧ q) ∧ r] ⇔ [p ∧ (q ∧ r)]
(Kommutativgesetze),
(Assoziativgesetze),
[p ∧ (q ∨ r)] ⇔ [(p ∧ q) ∨ (p ∧ r)],
[p ∨ (q ∧ r)] ⇔ [(p ∨ q) ∧ (p ∨ r)]
p ∨ q ⇔ (p ∧ q),
p ∧ q ⇔ (p ∨ q)
(Distributivgesetze),
(De Morgansche Regeln).
Punkte 1-4 scheinen sofort klar. Im Zweifel erfolgt der Nachweis solcher Äquivalenzen durch Aufstellen von Wahrheitstabellen.
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Elemente der Aussagenlogik
Exkurs: Anwendung in der Digitaltechnik
In der Digitaltechnik gibt es genau zwei Zustände (hohe/niedrige(keine) Spannung;
1/0), die man als logisches „wahr“ bzw. „falsch“ interpretiert.
Schaltungen bestehen häufig aus „Logikgattern“ (engl. gates).
Diese besitzen z. B. 2 Eingänge (A,B) und einen Ausgang (Y) und reproduzieren
logische Verknüfungen.
Eine wichtige Anwendung von Satz 2.2 liegt in der Analyse und Vereinfachung
logischer Schaltnetzwerke.
Beispiel: Schaltsymbol und Wahrheitstabelle für ein UND-Gatter
A
A
1
1
0
0
&
Y
B
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B
1
0
1
0
Y
1
0
0
0
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Elemente der Aussagenlogik
Eine Aussageform ist ein Gebilde, welches eine oder mehrere Variablen enthält,
und das nach dem Ersetzen der Variablen durch konkrete Werte in eine Aussage
übergeht.
Schreibweise: p(x), falls x als Variable verwendet wird.
Mit p(x) sei die Aussageform x ≤ 1 bezeichnet, wobei x eine reelle Variable sei.
Wie lauten die Aussagen p(0) und p(4) und was ist ihr Wahrheitswert?
Eine weitere Möglichkeit, Aussageformen in Aussagen zu überführen, ist die Bindung
der Variablen an Quantoren. Die wichtigsten sind:
∀ – „für alle . . . gilt . . . “
∃ – „es existiert (mindestens) ein . . . , so dass . . . “
Beispiel: „Für alle reellen Zahlen x gilt x > 1.“ „Es gibt eine reelle Zahl x mit
x2 = −1.“ (Beide Aussagen sind natürlich falsch.)
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Elemente der Aussagenlogik
Definition 2.3
Sei p(x) eine Aussageform; dann meinen wir mit
der Negation von „Für alle x gilt p(x)“ die Aussage „Es existiert ein x, für das
p(x) nicht gilt“; symbolisch:
∀x : p(x) := (∃x : p(x))
der Negation von „Es existiert ein x, für das p(x) gilt“ die Aussage „Für alle x
gilt p(x) nicht“; symbolisch:
∃x : p(x) := (∀x : p(x))
Natürlich erfolgt diese Definition im Einklang mit unserer Intuition - die Intuition
wird lediglich sinnvoll formalisiert.
Formulieren Sie die Negationen von “Für alle reellen Zahlen x gilt x > 1.“, “Es gibt
eine reelle Zahl x mit x2 = −1.“, “Jeder Haushalt gibt ein Drittel seines
Einkommens für Wohnen aus.“ (SZ, 8.9.12) und “Alle Politiker lügen gelegentlich.“
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Elemente der Aussagenlogik
Axiome und Sätze
Gerüstet mit diesen Vorkenntnissen lassen sich die gebräuchlichen Sprachkonstrukte
der Mathematik grob typisieren.
Ein Axiom ist eine Aussage, die innerhalb einer Theorie nicht begründet oder hergeleitet wird. Axiome werden beweislos vorausgesetzt. WIchtige Eigenschaften von
Axiomensystemen sind Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit.1
Beispiel: Kommutativgesetz für reelle Zahlen, siehe später.
Ein Satz ist eine Aussage, die mittels eines Beweises als wahr erkannt wurde. Den
Beweis bildet dabei eine Kette von Schlussfolgerungen, die nur von Axiomen oder
bereits bewiesenen Sätzen ausgeht.
√
Beispiel: „ 2 ist keine rationale Zahl.“
Gebräuchliche Ausprägungen von Sätzen sind auch
Lemma (Hilfssatz) – ein Satz, der als Zwischenstufe in einem Beweis dient,
Korollar (Folgerung) – ein Satz, der ohne großen Beweisaufwand aus einem
anderen folgt.
Die Abgrenzung zum Satz ist jeweils fließend und subjektiv.
1 vgl.
D. Hofstadter: Gödel, Escher Bach. Basic Books, New York NY 1979
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Elemente der Aussagenlogik
Definitionen
Eine Definition dient zur Festlegung eines mathematischen Begriffs. Hier sind eher
Wertungen wie „sinnvoll/nicht sinnvoll“ statt „wahr/falsch“ angebracht. Sinnvolle
Definitionen erfüllen unter anderem folgende Anforderungen:
Widerspruchsfreiheit,
Zirkelfreiheit (das zu Definierende darf nicht selbst Bestandteil der Definition
sein),
Angemessenheit (nicht zu eng und nicht zu weit gefasst),
Redundanzfreiheit (keine Bestandteile enthalten, die aus anderen logisch
folgen).
Häufig schreibt man Definitionen in der Form von Gleichungen oder Äquivalenzen
und verwendet die Symbole := und :⇔. Der zu definierende Ausdruck steht immer
auf der Seite des Doppelpunkts.
Beispiel: a0 := 1 für a ∈ R.
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Elemente der Aussagenlogik
Zum mathematischen Wahrheitsbegriff
Da in der Mathematik alle Aussagen per logischem Schluss bewiesen werden, entsteht ein sehr scharfer Wahrheitsbegriff.
In den (experimentellen) Naturwissenschaften ist der Wahrheitsbegriff stärker an
Beobachtungen gekoppelt und daher weniger scharf.
Die Mathematik ist also im logischen Sinne präziser, dies erfordert aber eben auch
eine kompliziertere Fachsprache.
Für unsere Vorlesung: Ein strenger Aufbau der Theorie kostet Zeit und ist nicht
Aufgabe des Anwenders, daher folgender Kompromiss:
Reihenfolge von Axiomen, Sätzen und Definitionen entspricht weitgehend
dem strengen Aufbau der Theorie,
Beweise und Beweisideen werden dort skizziert, wo sie dem Verständnis des
Stoffes dienen,
„technische“ und aufwändige Beweise werden weggelassen – verwenden Sie
bei Interesse entsprechende Literatur.
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Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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Elemente der Mengenlehre
Definition 2.4 („naive“ Mengendefinition, Cantor∗ , 1895)
Eine Menge M ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohlunterschiedenen
Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen.
Die erwähnten Objekte heißen Elemente dieser Menge M .
Schreibweise: x ∈ M (bzw. x ∈
/ M ).
∗
Georg Cantor (1845-1918),
deutscher Mathematiker,
lieferte u. a. wichtige Beiträge zur Mengenlehre.
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28 / 367
Elemente der Mengenlehre
Darstellungsmöglichkeiten für Mengen
aufzählende Darstellung – Elemente werden explizit aufgelistet, z.B.:
A
B
= {Chemnitz; Dresden; Freiberg; Leipzig},
= {2; 3; 5; 7}.
beschreibende Darstellung – Elemente werden durch eine Eigenschaft
charakterisiert, z.B.:
A
B
= {x : x ist sächsische Universitätsstadt.},
= {p : p ist Primzahl und p < 10}.
Die Gesamtheit, die kein Element enthält heißt leere Menge.
Symbol: ∅ oder {}.
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29 / 367
Elemente der Mengenlehre
Mengenbeziehungen
Seien A und B Mengen.
A heißt Teilmenge von B, wenn jedes Element von A auch Element von B
ist. Schreibweise: A ⊆ B.
A und B heißen gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist
und umgekehrt (A ⊆ B und B ⊆ A).
Schreibweise: A = B.
A heißt echte Teilmenge von B, wenn jedes Element von A auch Element
von B ist, und ein Element von B existiert, das nicht zu A gehört. (A ⊆ B
und A 6= B). Schreibweise: A ⊂ B.
Die Teilmengen einer Menge M können wiederum zur sogenannten Potenzmenge
zusammengefasst werden:
P(M ) := {A : A ⊂ M }.
Man gebe die Potenzmenge von A = {1; 2; 4} an.
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Elemente der Mengenlehre
Mengenoperationen
Seien A und B Teilmengen einer Grundmenge X. Dann heißt
A ∪ B := {x : x ∈ A oder x ∈ B} die Vereinigung von A und B,
A ∩ B := {x : x ∈ A und x ∈ B} der Durchschnitt von A und B,
A \ B := {x : x ∈ A und x ∈
/ B} die (mengentheoretische) Differenz von A
und B (sprich „A ohne B“),
A := X \ A das Komplement von A in X.
Geben Sie zu A = {1; 2; 3; 4; 5; 6} und B = {0; 4; 5} die Mengen A ∪ B, A ∩ B,
A \ B und B \ A an.
Wie lauten Vereinigung und Durchschnitt der Mengen
C = {p : p ist Primzahl} und
D = {p : p ist Primzahl und p < 10}?
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Elemente der Mengenlehre
Visualisierung
Visualisierung von Mengenoperationen und -beziehungen erfolgt häufig im sogenannten Venn-Diagramm:
A
A
B
B
A∪B
A∩B
A
A
B
A
A\B
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X
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Elemente der Mengenlehre
Rechenregeln für Mengenoperationen
Vereinigung (∪), Schnitt (∩) bzw. Komplement wurden letztlich über die logischen
Junktoren „oder“(∨), „und“ (∧) bzw. Negation definiert. Daher gelten für Mengenoperationen analoge Regeln zu Satz 2.2:
Satz 2.5 (Regeln für das Operieren mit Mengen)
Es seien A, B, C Mengen. Dann gelten:
A ∩ B = B ∩ A, A ∪ B = B ∪ A,
A ∩ (B ∩ C) = (A ∩ B) ∩ C, A ∪ (B ∪ C) = (A ∪ B) ∪ C,
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C),
A ∩ A = A, A ∪ A = A,
A ∩ ∅ = ∅,
A ∪ ∅ = A,
A \ B = A ⇔ A ∩ B = ∅,
A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C),
A \ B = ∅ ⇔ A ⊆ B,
A \ (B ∩ C) = (A \ B) ∪ (A \ C),
A \ (B ∪ C) = (A \ B) ∩ (A \ C).
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Elemente der Mengenlehre
Kartesisches Produkt
Seien A und B Mengen. Dann heißt die Menge aller geordneten Paare (a, b) mit
a ∈ A und b ∈ B kartesisches Produkt von A und B, kurz
A × B := {(a, b) : a ∈ A und b ∈ B}
Analog definiert man für Mengen A1 , A2 , . . . , An
A1 × A2 × · · · × An := {(a1 , a2 , . . . , an ) : a1 ∈ A1 , a2 ∈ A2 , . . . , an ∈ An }
und schreibt im Falle der Gleichheit aller Ai kürzer
An := A × A × · · · × A (n Faktoren).
Als wichtigste Beispiele werden uns R2 und R3 begegnen – das sind die Entsprechungen von Anschauungsebene und -raum.
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Relationen
Äquivalenzrelationen
Mit Relationen werden Beziehungen zwischen Objekten ausgedrückt. Eine (binäre)
Relation R auf einer Grundmenge M ist eine Teilmenge des kartesischen Produkts
M × M , also
R ⊆ M × M.
Wichtige Eigenschaften von Relationen sind
(a) Reflexivität. ∀x ∈ M : (x, x) ∈ R.
(b) Symmetrie. ∀x, y ∈ M : (x, y) ∈ R ⇒ (y, x) ∈ R.
(c) Transitivität. ∀x, y, z ∈ M : (x, y) ∈ R ∧ (y, z) ∈ R ⇒ (x, z) ∈ R.
Eine Relation, die alle drei Eigenschaften erfüllt, heißt Äquivalenzrelation.
Eine Partition P einer Menge M bezeichnet eine Zerlegung in disjunkte Teilmengen, d.h.
[
M=
T und S ∩ T = ∅ für je zwei verschiedene S, T ∈ P.
T ∈P
Jede Partition einer Menge erzeugt eine Äquivalenzrelation auf ihr und umgekehrt.
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Relationen
Ordnungsrelationen
Weitere wichtige Eigenschaften von Relationen:
(d) Antisymmetrie. ∀x, y ∈ M : xRy ∧ yRx ⇒ x = y.
(e) Asymmetrie. ∀x, y ∈ M : xRy ⇒ ¬(yRx).
Eine Relation auf M heißt Ordnungsrelation, wenn sie reflexiv, antisymmetrisch und
transitiv ist.
Besipiel: ≤, ⊆.
Eine Ordnungsrelation auf M heißt vollständig oder linear, falls für alle x, y ∈ M
gilt: xRy ∨ yRx.
Eine Relation auf M heißt strenge Ordnungsrelation, wenn sie asymmetrisch und
transitiv ist.
Beispiel: <.
Eine strenge Ordnungsrelation heißt vollständig, wenn für alle x, y ∈ M mit x 6= y
gilt xRy ∨ yRx.
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36 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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37 / 367
Die reellen Zahlen
Erinnern Sie sich an unser Experiment in der allerersten Stunde?
Obwohl jeder von uns schon seit Jahren reelle Zahlen verwendet, fällt es uns extrem
schwer, das Wesen der Zahl in Worte zu fassen.
Es lohnt sich also eine nähere Betrachtung – gerade auch weil Messwerte für viele
physikalische Größen als reelle Zahlen aufgefasst werden können.
Einen (eher historisch interessanten) Anfangspunkt
liefert uns folgendes berühmte wie umstrittene Zitat:
“Die natürlichen Zahlen hat Gott gemacht, alles
andere ist Menschenwerk.“
(Leopold Kronecker, deutscher Mathematiker, 1823-1891)
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Die reellen Zahlen
Zahlbereichserweiterungen
Skizzieren wir zunächst das klassische Vorgehen über Zahlbereichserweiterungen.
Wir starten mit
N := {1, 2, 3, . . .} – natürliche Zahlen (“hat Gott gemacht“ oder werden über
Peano-Axiome beschrieben)
N0 := N ∪ {0} = {0, 1, 2, 3, . . .}
Nach Einführung der Addition stellt man fest, dass Gleichungen wie x + 9 = 1 in
N nicht lösbar sind, daher Erweiterung zu
Z := {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} – ganze Zahlen
Nimmt man die Multiplikation hinzu, sind wiederum Gleichungen wie (−2) · x = 1
in Z nicht lösbar, daher Erweiterung zu
n
o
Q := pq | p, q ∈ Z, q 6= 0 – rationale Zahlen (alle endlichen und
periodischen Dezimalbrüche)
Wählt man die Zahlengerade als Modell, so kann man mit den rationalen Zahlen
zumindest beliebig feine Einteilungen realisieren.
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Die reellen Zahlen
Lücken in Q
Aber: Bereits Euklid (ca. 360-280 v. Chr.) überlieferte uns den Beweis zu
Satz 2.6
√
2 6∈ Q, d.h.
√
2 ist keine rationale Zahl.
Die rationalen Zahlen erfassen also nicht die gesamte Zahlengerade.
Erst durch “Vervollständigen“ gelangt man zu den reellen Zahlen R.
-7/4
√
-1 -1/ 2
0
1/2
1
π/2
2
Jedem Punkt der Zahlengeraden entspricht genau eine reelle Zahl.
Die erste exakte Formulierung dieses Vervollständigungsprozesses
stammt übrigens nicht aus der Antike. Dies gelang erst Karl
Weierstraß (deutscher Mathematiker, 1815-1897).
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Die reellen Zahlen
Moderner axiomatischer Ansatz
Klassische Zahlbereichserweiterungen sind anschaulich, erweisen sich aber im Detail
als kompliziert, z. B. bei
Einführung von Addition und Multiplikation sowie der damit verbundenen
Rechengesetze,
Einführung einer Ordnungsrelation („größer/kleiner“),
Ausformulieren des Vervollständigungsschritts.
Moderne Ansätze definieren daher R direkt über Axiome, die unmittelbar die Rechengesetze liefern. Man benötigt:
Körperaxiome (liefern Rechengesetze),
Anordnungsgesetze (liefern Ordnungsrelation),
Vollständigkeitsaxiom.
N, Z und Q werden als entsprechende Teilmengen von R aufgefasst.
Wir verzichten auf eine formale Angabe der Axiome, geben aber die unmittelbar
resultierenden Gesetze an.
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Die reellen Zahlen
Die arithmetischen Gesetze in R
(1) (a+b)+c = a+(b+c) ∀a, b, c ∈ R
(Assoziativgesetz der Addition),
(2) a + 0 = a ∀a ∈ R
(neutrales Element der Addition),
(3) a + (−a) = 0 ∀a ∈ R
(4) a + b = b + a ∀a, b ∈ R
(5) (ab)c = a(bc) ∀ a, b, c ∈ R
(inverse Elemente der Addition),
(Kommutativgesetz der Adddition),
(Assoziativgesetz der Multiplikation),
(6) a · 1 = a ∀a ∈ R
(neutrales Element der Multiplikation),
(8) ab = ba ∀a, b ∈ R
(Kommutativgesetz der Multiplikation),
(7)
a a1
= 1 ∀a ∈ R, a 6= 0
(inverse Elemente der Multiplikation),
(9) a(b + c) = ab + ac ∀a, b, c ∈ R
(Distributivgesetz).
Diese Gesetze korrespondieren mit den Körperaxiomen.
Eine Menge die die Körperaxiome erfüllt, heißt (Zahl-)Körper.
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Die reellen Zahlen
Die arithmetischen Gesetze in R
Wir definieren für a ∈ R und n ∈ N:
an := a · a · . . . · a (n Faktoren), a0 := 1
und, falls a > 0:
1
a−n := n .
a
Dann folgen aus den arithmetischen Gesetzen weitere Rechenregeln:
Satz 2.7
Für alle a, b ∈ R gelten
a · 0 = 0,
ab = 0 ⇒ a = 0 oder b = 0,
a2 = b2 ⇔ a = b oder a = −b,
−(−a) = a, −(a + b) = −a − b,
(−a)b = a(−b) = −ab, (−a)(−b) = ab,
an am = an+m
an bn = (ab)n
∀m, n ∈ Z (falls a 6= 0),
∀n ∈ Z (falls a, b 6= 0).
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43 / 367
Die reellen Zahlen
Binomische Formeln
Weiterhin lassen sich mit den arithmetischen Gesetzen folgende wohlbekannte Aussagen beweisen:
Satz 2.8 (Binomische Formeln)
Für alle a, b ∈ R gilt
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2 ,
(a − b)2 = a2 − 2ab + b2 ,
(a + b)(a − b) = a2 − b2 .
Natürlich kann man auch Binome höheren Grades so auswerten. Z. B. gilt
(a ± b)3 = a3 ± 3a2 b + 3ab2 ± b3 .
Einen allgemeingültige Formel für (a + b)n , n ∈ N, finden Sie in der Literatur unter
dem Namen „Binomischer Lehrsatz“.
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44 / 367
Die reellen Zahlen
Die Ordnungsrelation in R
(10) Zwischen zwei reellen Zahlen a und b besteht immer genau eine der folgenden
drei Größenbeziehungen:
a < b (a kleiner b), a = b (a gleich b), a > b (a größer b).
(11) (a < b und b < c) ⇒ a < c
(12) a < b ⇔ a + c < b + c
∀a, b, c ∈ R
∀a, b, c ∈ R
(13) (a < b und 0 < c) ⇔ ac < bc
∀a, b, c ∈ R
(Transitivität),
(Monotonie der Addition),
(Monotonie der Multiplikation).
Definition:
a ≤ b (a kleiner oder gleich b) bedeutet a < b oder a = b.
a ≥ b (a größer oder gleich b) bedeutet a > b oder a = b.
Diese Gesetze korrespondieren mit den Anordnungsaxiomen.
Körper, die die Anordnungsaxiome erfüllen, heißen geordnete Körper. Beispiele sind
R, aber auch Q.
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Die reellen Zahlen
Die Ordnungsrelation in R
Aus den Anordnungsaxiomen folgen weiterhin die Regeln für den Umgang mit Ungleichungen:
Satz 2.9
Für a, b, c, d ∈ R gelten:
a ≤ b und c ≤ d
a ≤ b und c < 0
a≤b
⇒
a + c ≤ b + d,
⇒
−b ≤ −a,
0<a≤b
⇒
a<0<b
⇒
a≤b<0
⇒
⇒
0<
1
b
1
a
≤
1
b
1
a
ac ≥ bc und
≥ cb ,
≤ a1 ,
< 0,
< 0 < 1b .
Finden Sie die Lösungen der Ungleichung
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a
c
x−1
x+3
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<2
(x 6= −3).
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46 / 367
Die reellen Zahlen
Definition 2.10 (Obere und untere Schranken)
Sei M 6= ∅, eine Teilmenge der reellen Zahlen.
M heißt nach oben beschränkt , wenn es eine Zahl C ∈ R gibt mit
x ≤ C für alle x ∈ M.
Jede solche Zahl C heißt obere Schranke von M . Die kleinste obere Schranke
einer nach oben beschränkten Menge M heißt Supremum von M
(Schreibweise: sup M ).
M heißt nach unten beschränkt , wenn es eine Zahl C ∈ R gibt mit
x ≥ C für alle x ∈ M.
Jede solche Zahl C heißt untere Schranke von M . Die größte untere
Schranke einer nach unten beschränkten Menge M heißt Infimum von M
(Schreibweise: inf M ).
M heißt beschränkt, wenn M sowohl nach oben wie auch nach unten beschränkt
ist. Gilt sup M ∈ M [inf M ∈ M ], so heißt sup M [inf M ] auch Maximum
[Minimum] von M .
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47 / 367
Die reellen Zahlen
Beispiele:
Ist die Menge
M1 :=
1
:n∈N
n
⊂R
beschränkt? Geben Sie falls möglich obere und untere Schranken, Supremum und
Infimum sowie Maximum und Minimum an.
Betrachten wir weiterhin
M2 := {q ∈ Q : q 2 < 2} ⊂ Q.
Offenbar ist M2 nach oben beschränkt, denn 42 ist obere Schranke.
Ein Supremum
√
besitzt die Menge in den rationalen Zahlen jedoch nicht, da 2 ∈
/ Q.
In den reellen
Zahlen ist die Angabe des Supremums jedoch unproblematisch:
√
sup M2 = 2.
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48 / 367
Die reellen Zahlen
Vollständigkeit
Das letzte Beispiel liefert den Schlüssel für den noch fehlenden Vervollständigungsschritt bei der Konstruktion von R.
(14) Jede nach oben beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt ein Supremum in R.
Folgerungen:
Jede nach unten beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt ein Infimum in R.
Jede beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt ein Supremum und ein
Infimum in R.
Damit ist die axiomatische Konstruktion von R komplett. Kurz zusammenfassen
kann man (1)-(14) in folgendem Satz:
R ist ein ordnungsvollständiger geordneter Körper.
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49 / 367
Die reellen Zahlen
Intervalle
Intervalle sind „zusammenhängende“ Teilmengen von R. Es wird dabei nach Inklusion der Randpunkte unterschieden.
Für a, b ∈ R mit a ≤ b:
[a, b]
(a, b]
[a, b)
(a, b)
[a, ∞)
(a, ∞)
(−∞, b]
(−∞, b)
(−∞, ∞)
:=
:=
:=
:=
:=
:=
:=
:=
:=
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
{x ∈ R
R.
:
:
:
:
:
:
:
:
a ≤ x ≤ b} (abgeschlossenes Intervall),
a < x ≤ b}
(halboffenes Intervall),
a ≤ x < b}
(halboffenes Intervall),
a < x < b}
(offenes Intervall),
a ≤ x},
a < x},
x ≤ b},
x < b},
Auf dem Zahlenstrahl lassen sich Intervalle als zusammenhängende Bereiche darstellen.
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50 / 367
Die reellen Zahlen
Betrag
Der Betrag von a ∈ R ist durch
a,
|a| :=
−a,
für a ≥ 0,
für a < 0
definiert.
Satz 2.11 (Rechnen mit Beträgen)
Für a, b ∈ R, c ≥ 0 gelten
|a| ≥ 0, wobei |a| = 0 ⇔ a = 0,
|a| = c ⇒ a = c oder a = −c,
|a| = |− a| und |a − b| = |b − a|,
|ab| = |a||b|,
|a + b| ≤ |a| + |b|
(Dreiecksungleichung),
|a| ≤ c ⇔ −c ≤ a ≤ c.
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51 / 367
Die reellen Zahlen
Betrag und Abstand
Für den Betrag gibt es eine einfache, aber wichtige Interpretation am Zahlenstrahl.
Für a, b ∈ R
gibt |a| den Abstand von a zur Null an,
gibt |a − b| = |b − a| den Abstand zwischen a und b an.
|x|
x
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|b − a|
0
b
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a
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52 / 367
Die reellen Zahlen
π = 3.2 per Gesetz? The „Indiana Pi Bill“.
Zum Abschluss dieses Kapitels ein Kuriosum aus der mathematischer Unterhaltungsliteratur. Es geht um eine Gesetzesvorlage vom Ende des 19. Jahrhunderts.
ab 1892 veröffentlicht der Arzt Edward J. Goodwin mehrere Arbeiten zur
Quadratur des Kreises. Eine Behauptung: π = 3.2
1897 Gesetzesvorlage für Parlament von Indiana zur Festlegung
von π. Zweck: Vermeidung von Gebühren an Urheber
Entwurf passiert Repräsentantenhaus nach 3 Lesungen mit 67:0 Stimmen
Mathematiker Clarence A. Waldo interveniert im Senat, dieser verweist
Entwurf in Ausschuss, welcher diesen befürwortet
Senat vertagt Entscheidung auf unbestimmte Zeit (Wert der Vorlage nicht
einschätzbar, Sache aber nicht für Gegenstand der Gesetzgebung gehalten)
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53 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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54 / 367
Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
Ausgehend von den reellen Zahlen findet man leicht folgende Charakterisierung der
natürlichen Zahlen:
Die natürlichen Zahlen sind die kleinste Teilmenge von R, die sowohl die Zahl 1
und mit jeder Zahl n auch deren Nachfolger n + 1 enthält.
Visualisierung am Zahlenstrahl:
1
2
3
4
5
6
7
Daraus können wir nun ein wichtiges Beweisprinzip ableiten.
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55 / 367
Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
Satz 2.12 (Prinzip der vollständigen Induktion)
Eine Aussageform A(n) ist genau dann für alle n ∈ N wahr, wenn
A(1) wahr ist („Induktionsanfang“),
aus der Gültigkeit von A(n) für ein beliebiges n ∈ N stets die Gültigkeit von
A(n + 1) folgt („Induktionsschritt“).
Der Induktionsschritt sichert also folgende „Kette“ von Implikationen:
A(1) ⇒ A(2) ⇒ A(3) ⇒ . . . ⇒ A(n) ⇒ A(n + 1) ⇒ . . .
Man ist natürlich nicht zwingend auf den Startwert 1 festgelegt. Man kann im
Induktionsanfang auch bei einem beliebigen n0 ∈ Z starten, muss dann aber auch
den Induktionsschritt für n ≥ n0 beweisen.
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56 / 367
Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
Beispiel 2.13 (Bernoullische Ungleichung)
Man beweise folgende Ungleichung mittels vollständiger Induktion:
(1 + x)n ≥ 1 + nx
für alle x ∈ R, x ≥ −1, n ∈ N.
(2.1)
Wir führen eine vollständige Induktion über n aus.
Induktionsanfang:
Für n = 1 gilt
(1 + x)n = 1 + x = 1 + n · x,
d. h. die Aussage ist für alle x ≥ −1 wahr.
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57 / 367
Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
Induktionsschritt:
Angenommen, (2.1) ist für ein n ∈ N wahr, d. h.
(1 + x)n ≥ 1 + nx (x ≥ −1)
(Induktionsvoraussetzung, IV).
Dann gilt
(1 + x)n+1
=
(1 + x)n (1 + x)
≥ (1 + nx)(1 + x)
=
(nach IV)
1 + (n + 1)x + nx
≥ 1 + (n + 1)x
2
(da nx2 ≥ 0).
Aus der Gültigkeit von (2.1) für n folgt also die Gültigkeit für n + 1.
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Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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59 / 367
Abbildungen und Funktionen
Hier sollen nur die grundlegenden Begriffe bereitgestellt/wiederholt werden. Eine
intensive Beschäftigung mit der Materie erfolgt später.
Definition 2.14 (Funktion)
Seien A und B Mengen. Eine Abbildung oder Funktion f : A → B ist eine
Vorschrift, durch die jedem x ∈ A genau ein y = f (x) ∈ B zugeordnet wird.
A heißt Definitionsbereich von f und f (A) := {f (x) : x ∈ A} ⊆ B heißt
Wertebereich oder Bild von f .
Für x ∈ A heißt y = f (x) Bild von x unter f oder Funktionswert von f an der
Stelle x.
Zwei Funktionen f : Df → B, x 7→ f (x), und g : Dg → C, x 7→ g(x), heißen
gleich (f = g), wenn Df = Dg und f (x) = g(x) für alle x ∈ Df = Dg gelten.
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Abbildungen und Funktionen
Schreibweisen:
f :A→B
y = f (x)
oder
f :A→B
.
x 7→ f (x)
Beschreibung von Funktionen
Eine Funktion f : A → B kann man auf verschiedene Weisen beschreiben:
analytisch, d.h. durch Angabe der Zuordnungsvorschrift,
tabellarisch, d.h. durch eine Wertetabelle,
graphisch, d.h. durch Visualisierung der Menge
Graph(f ) := {(x, f (x)) : x ∈ A} ⊆ A × B,
des sogenannten Graphen von f .
(Für f : R → R ist der Graph von f eine „Kurve“ im R2 .)
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Abbildungen und Funktionen
Definition 2.15
Sei f : A → B eine Funktion. Zu einer Menge A0 ⊆ A heißt
f (A0 ) := {f (x) : x ∈ A0 } ⊆ B
das Bild von A0 unter f . Zu einer Menge B 0 ⊆ B heißt
f −1 (B 0 ) := {x ∈ A : f (x) ∈ B 0 }
das Urbild von B 0 unter f .
Man bestimme f ([1, 2]) und f −1 ([1, 4]) für f : R → R, f (x) = x2 .
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62 / 367
Abbildungen und Funktionen
Umkehrbarkeit von Abbildungen
Definition 2.16
Eine Funktion f : A → B heißt
injektiv (eineindeutig), wenn für alle x1 , x2 ∈ A mit x1 6= x2 stets
f (x1 ) 6= f (x2 ) gilt,
surjektiv, wenn es zu jedem y ∈ B ein x ∈ A gibt mit y = f (x),
bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist.
Ist f bijektiv, so existiert die Umkehrfunktion
f −1 : B → A,
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
f −1 (y) = x :⇔ y = f (x).
Mathematik I
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Abbildungen und Funktionen
Umkehrbarkeit von Abbildungen
A1
B1
A2
f1
surjektiv, nicht injektiv
B2
A3
f2
injektiv, nicht surjektiv
B3
f3
bijektiv
Ist die Funktion f1 : R → R, f1 (x) = x2 injektiv/surjektiv/bijektiv?
Wie verhält es sich mit
f2 : N → N, f2 (x) = x2 ,
f3 : [0, ∞) → R, f3 (x) = x2 ,
f4 : [0, ∞) → [0, ∞), f4 (x) = x2 ?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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Abbildungen und Funktionen
Umkehrbarkeit von Abbildungen
Beispiel 2.17 (n−te Wurzel)
Die Funktion f : [0, ∞) → [0, ∞), f (x) = xn ist für alle n ∈ N bijektiv. Die
Umkehrfunktion ist die n−te Wurzel:
√
f −1 : [0, ∞) → [0, ∞),
x 7→ n x.
Beachten Sie: die n−te
√ Wurzel ist für negative Zahlen nicht definiert. Statt
schreibt man kurz x.
√
2
x
4
f(x)=x2
3
2
g(x)=x1/2
1
0
0
1
2
3
4
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Situation für n = 2. Wie bei allen reellen Funktionen
entsteht der Graph von f −1 durch Spiegeln des Graphen
von f an der Geraden y = x.
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Inhalt
1
Vorbemerkungen
Grundlagen
1.1 Elemente der Aussagenlogik
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.3 Die reellen Zahlen
1.4 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip
1.5 Abbildungen und Funktionen
1.6 Komplexe Zahlen
1
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
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Komplexe Zahlen
Motivation
Erinnern Sie sich an die Zahlbereichserweiterungen? Unser Ziel war dabei, bestimmte
Gleichungstypen uneingeschränkt lösen zu können.
Z. B. hatte x + 5 = 2 in N keine Lösung. Erweitert man den Zahlbereich zu Z, so
lässt sich eine Lösung angeben (x = −3).
In den reellen Zahlen sind quadratische Gleichungen nicht immer lösbar: x2 = 1
hat in R zwei Lösungen (x1/2 = ±1), dagegen hat x2 = −1 in R keine Lösung.
Um diesen „Mangel“ zu beheben, kann man eine weitere Zahlbereichserweiterung
durchführen. Der initiale Schritt ist dabei das Hinzufügen einer neuen Zahl i, die
i2 = −1 erfüllt.
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Komplexe Zahlen
Definition
Definition 2.18 (Komplexe Zahl)
Eine komplexe Zahl z ist ein Ausdruck der Form
z = a + ib
mit a, b ∈ R,
Die Zahl i (mit der Eigenschaft i2 = −1) heißt imaginäre Einheit.
a =: Re z heißt Realteil von z,
b =: Im z heißt Imaginärteil von z.
Zwei komplexe Zahlen sind genau dann gleich, wenn sowohl die Realteile als auch
die Imaginärteile übereinstimmen.
Die Menge aller komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet.
Statt x+i0 schreibt man x, d.h. reelle Zahlen sind komplexe Zahlen mit Imaginärteil
0. In diesem Sinne gilt also R ⊆ C.
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Komplexe Zahlen
Gaußsche Zahlenebene
Definition 2.19
Sei z = a + ib (a, b ∈ R) eine komplexe Zahl. Dann heißt
z̄ := a − ib die zu z konjugiert komplexe Zahl.
√
|z| := a2 + b2 der Betrag von |z|.
Im z
b
0
−b
z = a + ib
a
Re z
z̄ = a − ib
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Eine komplexe Zahl z veranschaulicht man sich
als Punkt der Gaußschen Zahlenebene mit den
Koordinaten (Re z, Im z).
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Komplexe Zahlen
Rechenregeln
Rechenoperationen in C
Für z = a + ib, w = c + id ∈ C (a, b, c, d ∈ R) definiert man
z+w
z−w
zw
z
w
:= (a + c) + i(b + d),
:= (a − c) + i(b − d),
:= (ac − bd) + i(ad + bc),
bc−ad
:= ac+bd
(w 6= 0).
c2 +d2 + i c2 +d2
Diese Operationen sind so definiert, dass man die gewohnten Vorstellungen von den
reellen Zahlen unter Beachtung von i2 = −1 direkt übertragen kann.
Die Division lässt sich als „Erweitern“ mit dem Konjugiert-Komplexen des Nenners
auffassen:
z
(a + ib)(c − id)
(a + ib)(c − id)
z w̄
=
=
=
.
w
(c + id)(c − id)
c2 + d2
|w|2
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Komplexe Zahlen
Addition und Subtraktion in der Gaußschen Zahlenebene
Man gebe zu z1 = 1, z2 = −i, z3 = −3 + 2i, z4 = 1 + i Real- und Imaginärteil
an und zeichne die zugehörigen Punkte in die Gaußschen Zahlenebene. Man
berechne z3 + z4 , z3 − z4 , z3 · z4 sowie z3 /z4 .
Wie lautet die kartesische Form der Zahl 1i ?
Im z
Im z
z1 − z2
z1
0
z2
z1
−z2
z1 + z2
Re z
0
z2
Re z
Beachten Sie die Analogie zur Vektorrechnung!
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Mathematik I
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Komplexe Zahlen
Geometrische Interpretation des Betrags
In der Gaußschen Zahlenebene charakterisiert
|z| den Abstand einer Zahl z zum Koordinatenursprung
|z1 − z2 | = |z2 − z1 | den Abstand zwischen z1 und z2 in der Gaußschen
Zahlenebene.
die Menge M = {z ∈ C : |z − z0 | ≤ r} für r > 0 und z0 ∈ C eine
Kreisscheibe um z0 mit Radius r.
Im z
Im z
z1 − z2
−z2
0
|z2|
M
z1
|z1|
|z1 − z2|
z2
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
r
z0
Re z
Mathematik I
0
Re z
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Komplexe Zahlen
C als Zahlkörper
Mit der eingeführten Addition und Multiplikation bildet C einen Zahlkörper. Konsequenzen sind:
Die arithmetischen Gesetze der reellen Zahlen (vgl. S. 42) gelten auch für
komplexe Zahlen.
Satz 2.20
Die Rechenregeln für reelle Zahlen (Satz 2.7) sowie die binomischen Formeln und
deren Verallgemeinerungen (vgl. S. 44) gelten auch für komplexe Zahlen.
Wie gewohnt schreiben wir dabei für z ∈ C, n ∈ N
z n := z · z · . . . · z
(n Faktoren),
z 0 := 1,
z −n :=
1
(z 6= 0).
zn
Finden Sie die komplexen Lösungen der Gleichung z 2 (z + 1)(z − 4 + i) = 0.
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Mathematik I
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Komplexe Zahlen
Rechenregeln für z und z̄
Satz 2.21
Für z, w ∈ C gelten
z̄¯ = z,
z ± w = z̄ ± w̄, z · w = z̄ · w̄,
z z̄ = |z|2 , |z̄| = |z|,
Re z = 12 (z + z̄), Im z =
z = z̄
⇔
1
2i (z
z ∈ R.
z
w
=
z̄
w̄ ,
− z̄),
Beweisen Sie einige dieser Regeln.
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Komplexe Zahlen
Rechenregeln für Beträge
Satz 2.22
Für z, w ∈ C gelten
|z| ≥ 0, wobei |z| = 0 ⇔ z = 0,
|z| = |− z|,
|zw| = |z||w|,
|z + w| ≤ |z| + |w|
(Dreiecksungleichung).
Warum lassen sich die Regeln
|a| = c ⇒ a = c oder a = −c,
|a| ≤ c ⇔ −c ≤ a ≤ c.
für a ∈ R, c ≥ 0 nicht auf komplexe Zahlen anwenden?
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Mathematik I
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75 / 367
Komplexe Zahlen
Die Polarform einer komplexen Zahl
Eine komplexe Zahl z =
6 0 ist auch über ihre Polarkoordinaten in der Gaußschen
Zahlenebene eindeutig charakterisiert:
Im z
b
z
r
ϕ
0
a
Re z
Dabei ist
r = |z| der Abstand von z zu 0,
ϕ der „Drehwinkel“ des Ortsvektors zu z, gemessen von der reellen Achse im
Gegenuhrzeigersinn.
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Komplexe Zahlen
Die Polarform einer komplexen Zahl
Mir den klassischen Definitionen von Sinus und Kosinus am Einheitskreis gilt also
für z = a + ib:
z = r cos ϕ + i · r sin ϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ).
Definition 2.23 (Polarform)
Für z = a + ib (a, b ∈ R), z 6= 0, heißt ϕ = arg(z) Argument von z, falls
|z| cos ϕ = a
und
|z| sin ϕ = b.
(2.2)
Die Darstellung
z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ).
heißt Polarform von z.
Das Argument ist nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 2π festgelegt. Man wählt
häufig ϕ ∈ [0, 2π), um Eindeutigkeit zu erhalten, und spricht dann vom Hauptwert
des Arguments.
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Komplexe Zahlen
Umwandlungsarbeiten
Von der Polarform z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) zur kartesischen Form gelangt man
durch Ausmultiplizieren.
Von der
√ kartesischen Form z = a + ib zur Polarform gelangt man mit
|z| = a2 + b2 und (2.2).
Zur Bestimmung des Arguments kann man auch
b
(a 6= 0)
tan ϕ =
a
benutzen, muss dabei aber auf Quadrantenbeziehungen achten
(der Fall a = 0 ist trivial).
Wie lautet die Polarform von 2i, −1, −3 + 2i?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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78 / 367
Komplexe Zahlen
Die komplexe Exponentialfunktion
Die Zahl eiϕ (ϕ ∈ R) spielt im Zusammenhang mit der Polarform eine wichtige
Rolle. Da uns noch keine Potenzreihen zur Verfügung stehen, definieren wir sie
vorläufig mittels
Eulersche Formel
eiϕ := cos ϕ + i sin ϕ
(ϕ ∈ R)
Damit kann man jede komplexe Zahl z 6= 0 schreiben als
z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) = |z|eiϕ
(ϕ = arg(z)).
Diese Darstellung nennt man Eulersche, Exponential- oder einfach wieder Polardarstellung von z.
Im Einklang mit den Potenzgesetzen schreiben wir ferner ez = ea eib für eine beliebige komplexe Zahl z = a + ib (a, b ∈ R). Auch dies wollen wir vorläufig als
Definition verstehen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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79 / 367
Komplexe Zahlen
Die komplexe Exponentialfunktion
Es lässt sich zeigen, dass die komplexe Exponentialfunktion ähnlichen Gesetzen
genügt, wie die reelle:
Satz 2.24
Für z, w ∈ C, n ∈ N gelten:
ez+w = ez · ew ,
ez−w =
ez
,
ew
insbesondere also für ϕ, ψ ∈ R:
ei(ϕ+ψ) = eiϕ · eiψ ,
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
ei(ϕ−ψ) =
Mathematik I
eiϕ
,
eiψ
(ez )n = enz ,
(eiϕ )n = einϕ .
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80 / 367
Komplexe Zahlen
Die komplexe Exponentialfunktion
Die Eulersche Formel eiϕ = cos ϕ+i sin ϕ (ϕ ∈ R) liefert den Schlüssel für folgende
Beobachtung:
eiϕ ist die komplexe Zahl auf dem Einheitskreis, deren Argument ϕ ist.
Im z
1
eiϕ
ϕ
0
1 Re z
Bild rechts: Leonhard Euler (1707-1783), Schweizer Mathematiker.
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Mathematik I
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81 / 367
Komplexe Zahlen
Multiplikation und Division in der Polarform
Für zwei komplexe Zahlen z, w 6= 0 mit den Polardarstellungen
z
w
erhält man
= |z| eiϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ),
= |w| eiψ = |w|(cos ψ + i sin ψ)
z·w
=
=
=
(ϕ, ψ ∈ R)
|z||w| eiϕ eiψ
|zw| ei(ϕ+ψ)
|zw|(cos(ϕ + ψ) + i sin(ϕ + ψ)),
|z| eiϕ
|w| eiψ
z
i(ϕ−ψ)
= e
w
z
= (cos(ϕ − ψ) + i sin(ϕ − ψ)),
w
d.h. arg(zw) = arg(z) + arg(w) und arg( wz ) = arg(z) − arg(w)
z
w
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=
Mathematik I
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Komplexe Zahlen
Geometrische Darstellung von Multiplikation und Division
Im z
wz
Im z
w
w
z
|w|
z
|wz|
ϕ ψ
0
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
ϕ
|z|
|z|
|w|
ψ
ϕ
Re z
Mathematik I
0
z/w
|z/w|
ψ
Re z
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83 / 367
Komplexe Zahlen
Potenzen und Wurzeln
Für eine komplexe Zahl z 6= 0 mit Polardarstellung z = |z| eiϕ und n ∈ N gilt
weiterhin
z n = |z|n (eiϕ )n = |z|n einϕ = |z|n (cos(nϕ) + i sin(nϕ)).
Bei der Ermittlung der Lösungen von wn = z zu einer gegebenen komplexen
Zahl z = |z| eiϕ ist zu beachten, dass ϕ →
7 eiϕ im Gegensatz zum reellen Fall
2π−periodisch ist, d.h.
eiϕ = ei(ϕ+2kπ)
(k ∈ Z).
Somit liefert die (formale) Anwendung der Potenzgesetze
wn = |z| eiϕ
⇔
1
w = |z| n ei
ϕ+2kπ
n
=
p
n
ϕ
|z| ei( n +
2kπ
n )
.
Auch die Periode 2π wird also durch n geteilt, wodurch n verschiedene „n-te
Wurzeln“ von z entstehen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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84 / 367
Komplexe Zahlen
Potenzen und Wurzeln
Wir fassen unsere Vorüberlegung folgendermaßen zusammen:
Satz 2.25 (Potenzieren und Radizieren in C)
Sei n ∈ N, dann gilt:
Die n−te Potenz von z = |z|eiϕ = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) (ϕ ∈ R) ergibt sich zu
z n = |z|n einϕ = |z|n (cos(nϕ) + i sin(nϕ)).
Insbesondere gilt die de Moivresche Formel
(cos ϕ + i sin ϕ)n = cos(nϕ) + i sin(nϕ).
Für jede Zahl z = |z|eiϕ besitzt die Gleichung wn = z genau n verschiedene
Lösungen
p
p
ϕ
2kπ
ϕ 2kπ
ϕ 2kπ
wk = n |z| ei( n + n ) = n |z|(cos( +
) + i sin( +
))
n
n
n
n
mit k = 0, . . . , n − 1.
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Mathematik I
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85 / 367
Komplexe Zahlen
Geometrische Darstellung der n−ten Wurzeln
Die n−ten Wurzeln von |z|eiϕ liegen auf einem Kreis mit Radius
Nullpunkt und bilden ein regelmäßiges n−Eck.
p
n
|z| um den
Im z
2
π
π/8
0
2 Re z
Illustration am Beispiel der 8-ten Wurzeln von −256 = 256eiπ .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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86 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Mehrfachwinkelformeln und Additionstheoreme
Mit Hilfe der Eulerschen und der de Moivreschen Formel lassen sich Beziehungen
für trigonometrische Funktionen zeigen, z. B.
sin(x ± y) = sin x cos y ± cos x sin y,
cos(x ± y) = cos x cos y ∓ sin x sin y,
sin 2x = 2 sin x cos x,
cos 2x = cos2 x − sin2 x (sinn x := (sin x)n , analog für cos)
sin 3x = 3 sin x − 4 sin3 x,
cos 3x = 4 cos3 x − 3 cos x.
Beweisen Sie einige dieser Beziehungen.
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87 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Komplexe Polynome
Bei der Bestimmung n−ter Wurzeln wurden Gleichungen der Form z n − a = 0
gelöst. Wir wollen die Frage der Lösbarkeit algebraischer Gleichungen allgemeiner
untersuchen. Folgende Terminologie:
Eine Abbildung der Form
p : C → C,
p(z) = an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0
mit festen Zahlen („Koeffizienten“) a0 , a1 , . . . , an ∈ C heißt komplexes Polynom
vom Grad deg(p) = n.
Eine Zahl w ∈ C heißt Nullstelle von p, falls p(w) = 0.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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88 / 367
Komplexe Zahlen
Abspalten von Linearfaktoren, Existenz von Nullstellen
Besitzt ein Polynom p vom Grad n ≥ 1 eine Nullstelle w, so lässt sich p ohne Rest
durch (z − w) teilen, d.h. es gibt ein Polynom q von Grad n − 1 mit
p(z) = (z − w) q(z)
(z ∈ C).
Anders als in R gilt in den komplexen Zahlen folgende Aussage:
Satz 2.26 (Fundamentalsatz der Algebra)
Jedes Polynom vom Grad n ≥ 1 besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
89 / 367
Komplexe Zahlen
Zerlegung in Linearfaktoren
Von jedem Polynom p mit Grad n ≥ 1 kann man also einen Linearfaktor abspalten.
Ist der verbleibende Rest mindestens vom Grad 1, kann man dies natürlich erneut
tun usw. . . Wir halten fest:
Folgerung 2.27
Das Polynom p : C → C sei gegeben durch
p(z) = an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0 .
Dann existieren komplexe Zahlen w1 , . . . , wn mit
p(z) = an (z − w1 )(z − w2 ) . . . (z − wn ).
(2.3)
Jedes komplexe Polynom hat also sogar n Nullstellen (Vielfachheiten mitgezählt)
und zerfällt vollständig in Linearfaktoren.
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Mathematik I
Winterersemester 2013/14
90 / 367
Komplexe Zahlen
Quadratische Gleichungen
Die Berechnung der Nullstellen gemäß Satz 2.26 und Folgerung 2.27 ist i. Allg. nur
numerisch möglich. Ausnahmen bilden n-te Wurzeln oder quadratische Gleichungen
mit reellen Koeffizienten:
Satz 2.28
Die komplexen Lösungen der quadratischen Gleichung
z 2 + pz + q = 0,
sind gegeben durch
z1,2
q

p2
p

− 2 ±
4 − q,
=
q

2
 p
− 2 ± i q − p4 ,
p, q ∈ R,
falls
p2
4
− q ≥ 0,
falls
p2
4
− q < 0.
Verifizieren Sie den zweiten Fall durch Modifikation der bekannten Herleitung der
p–q–Formel. Geben Sie die komplexen Lösungen von z 2 − 4z + 5 = 0 an.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
91 / 367
Komplexe Zahlen
Nullstellen reeller Polynome
Das Auftreten konjugiert komplexer Zahlen in der p-q-Formel lässt sich verallgemeinern:
Satz 2.29
Sind die Koeffizienten des Polynoms
p : C → C,
p(z) = an z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0 .
allesamt reell, so sind die Nullstellen reell (λj ∈ R) oder treten in konjugiert
komplexen Paaren (αj ± iβj , αj , βj ∈ R) auf. Es existiert eine Zerlegung der Form
p(z) = an
k
Y
(z − λj )
j=1
m
Y
((z − αj )2 + βj2 ),
(2.4)
j=1
wobei k + 2m = n. Jedes reelle Polynom lässt sich also als Produkt von
Linearfaktoren und quadratischen Polynomen schreiben.
Geben Sie Zerlegungen von p(z) = z 3 + z gemäß (2.3) und (2.4) an.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
92 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Komplexe Wechselstromrechnung
In der Wechselstromtechnik treten häufig sinus-/cosinusförmige Spannungs- bzw.
Stromverläufe auf:
i(t)
= Im cos(ωt)
u(t)
= Um cos(ωt + ϕ)
(Im , Um Amplituden, t Zeit, ω = 2πf Kreisfrequenz, f Frequenz (Netz in D:
f = 50 Hz))
Der Winkel ϕ charakterisiert die i.A. auftretende Phasenverschiebung zwischen
Strom und Spannung.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
93 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Komplexe Wechselstromrechnung
Ursache für die Phasenverschiebung sind verschiedene „Arten“ von Widerständen
im Wechselstromkreis:
Ohmscher Widerstand R:
Um = R Im , keine Phasenverschiebung,
Induktivität L (Spule):
Um = ωLIm , Phasenverschiebung π2 ,
Hintergrund Selbstinduktion/Lenzsches Gesetz,
Kapazität C (Kondensator):
1
Um = ωC
Im , Phasenverschiebung - π2 ,
Hintergrund: fortwährende Ladungs-/Entladungsvorgänge.
Es müssen also nicht nur die reellen Proportionalitätsfaktoren, sondern auch die
Phasenverschiebungen beachtet werden.
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Mathematik I
Winterersemester 2013/14
94 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Komplexe Wechselstromrechnung
Trick: Verwende zur Berechnung komplexe Ströme und Spannungen und interpretiere dabei nur den Realteil:
i(t) = Im eiωt ,
u(t) = Um ei(ωt+ϕ) .
Mit folgenden komplexen Widerständen R̃ gilt dann das Ohmsche Gesetz u(t) =
R̃ i(t) auch hier:
Ohmscher Widerstand R ∈ R:
u(t) = Um eiωt = RIm eiωt = Ri(t),
Induktiver Widerstand RL = iωL:
π
u(t) = Um ei(ωt+ 2 ) = iωL Im eiωt = RL i(t)
1
Kapazitiver Widerstand RC = −i ωC
:
π
i
u(t) = Um ei(ωt− 2 ) = −
Im eiωt = RC i(t)
ωC
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Mathematik I
π
(beachte i = ei 2 )
π
(beachte − i = e−i 2 )
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95 / 367
Komplexe Zahlen
Exkurs: Komplexe Wechselstromrechnung
Für einen komplexen Widerstand R bezeichnet man Re R als Wirk- und Im R als
Blindwiderstand. Ohmsche Widerstände sind reine Wirkwiderstände, kapazitive
und induktive reine Blindwiderstände.
Vorteile der komplexen Wechselstromrechnung:
Das Ohmsche Gesetz gilt wie gewohnt (für die Realteile gilt es nicht!),
Phasenverschiebung arg R und Scheinwiderstand |R| = Um /Im werden
gleichzeitig erfasst,
Die Kirchhoffschen Gesetze und ihre Folgerungen gelten damit auch im
Wechselstromkreis, z. B.
R = R1 + R2
bzw.
1
1
1
=
+
R
R1
R2
für Reihen-/Parallelschaltung zweier Widerstände.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
96 / 367
Komplexe Zahlen
Weitere Anwendungen
Weitere Anwendungen der komplexen Zahlen finden sich an verschiedensten
Stellen. Einige werden Sie im Laufe ihres Studiums sicher kennenlernen, z.B.
Die mit bestimmten Differentialgleichungen verknüpften „Eigenwerte“ sind
komplexe Zahlen. Standardanwendungen sind Federschwinger oder
Fadenpendel.
In der Signal- oder Bildanalyse verwendet man oft die komplexwertige
Fouriertransformierte, um Frequenzanalysen oder -filterungen durchzuführen.
In der Quantenmechanik werden Teilchen durch ihre komplexwertige
Zustandsfunktion beschrieben. Interpretiert wird nur deren Quadrat
(„Ortsauffindungswahrscheinlichkeitsdichte“)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
97 / 367
Ziele erreicht?
Sie sollten nun (bzw. nach Abschluss der Übungen/Nacharbeiten des Stoffes):
sicher mit reellen Zahlen, Gleichungen und Ungleichungen umgehen können,
sicher mit komplexen Zahlen umgehen können (Arithmetik in kartesischer
und Polarform, Potenzen und Wurzeln, einfache Gleichungen,
Veranschaulichungen in der Gaußschen Zahlenebene),
einfache bis mäßig schwierige logische Zusammenhänge und Schlüsse erfassen
können,
Überblickswissen über den Aufbau mathematischer Theorie im allgemeinen
besitzen,
eine grobe Vorstellung vom axiomatischen Aufbau von Zahlenbereichen
haben,
erste Vorstellungen entwickelt haben, wozu man das bisher vermittelte
Wissen in der Informatik/Elektrotechnik braucht.
Sie sind sich nicht sicher oder meinen „nein“? Dann werden Sie aktiv!
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Mathematik I
Winterersemester 2013/14
98 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
99 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
Folgen und Reihen
3.1 Folgen
3.2 Grenzwerte und Konvergenz
3.3 Unendliche Reihen
3
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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100 / 367
Folgen
Betrachten Sie folgende Liste von Zahlen:
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, . . .
Erkennen Sie ein Gesetz, mit dem man die Liste sinnvoll fortsetzen kann?
Ist die Regel einmal erkannt, so können Sie mit diesem Gesetz zu jeder vorgegebenen
Position das zugehörige Element der Liste ausrechnen.
Jeder natürlichen Zahl („Position“) wird dabei eine reelle Zahl („Listenelement“)
zugeordnet – es entsteht eine Abbildung
a : N → R.
Solche Abbildungen heißen Zahlenfolgen. Sie spielen in vielen Anwendungen eine
große Rolle und liefern uns den Schlüssel zum Verständnis des Grenzwerts - des
wohl wichtigsten Begriffs der Analysis.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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101 / 367
Folgen
Definition 3.1 (Zahlenfolge)
Eine Abbildung a, die jeder natürlichen Zahl n eine reelle Zahl an zuordnet, heißt
(unendliche reelle) Zahlenfolge.
Statt a : N → R schreibt man (an )n∈N oder kurz (an ).
an = a(n) heißt n-tes Folgenglied dieser Zahlenfolge.
Anmerkung: Wie schon beim Induktionsprinzip kann man als Indexmenge auch
jede andere Menge der Form {n ∈ Z : n ≥ n0 } für festes n0 ∈ Z benutzen.
Insbesondere ist N0 zulässig.
Notation für diesen Fall: (an )n≥n0 .
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102 / 367
Folgen
Bildungsgesetze
Die Beschreibung von Folgen erfolgt in der Regel durch Angabe von Bildungsgesetzen.
Explizites Bildungsgesetz: Der Wert an wird mittels einer Gleichung in Abhängigkeit von n angeben (Funktionsvorschrift).
Beispiel: Die Bildungsvorschrift an = (−1)n n12 erzeugt die Folge
1 1 1
1 1
1 1
−1, , − , , − , , − , , . . .
4 9 16 25 36 49 64
Das 42-te Glied kann man direkt berechnen: a42 = (−1)42 4212 =
1
1764 .
√
Man gebe die ersten 7 Glieder der Folgen ( 21n ) und ( n n) (ggf. näherungsweise)
an. Wie lautet das 1000-te Folgenglied?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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103 / 367
Folgen
Bildungsgesetze
Rekursionsvorschrift: Der Wert an+1 wird in Abhängigkeit von an und n ausgedrückt. Zusätzlich wird a1 angegeben (vgl. Induktionsprinizip).
Beispiel: Die Rekursionsvorschrift an+1 = an + n erzeugt die Folge
1, 2, 4, 7, 11, 16, 22, 29, . . .
Das Glied a42 = 903 über diese Vorschrift zu berechnen ist mühsam. (Später werden
wir sehen, wie dies explizit besser geht).
Man gebe die ersten 7 Glieder der durch an+1 = a2n und a1 = 1 gegebenen Folge
an. Können Sie eine explizite Bildungsvorschrift finden?
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104 / 367
Folgen
Bildungsgesetze
Gelegentlich greift man in Rekursionsformeln auch auf mehrere vorhergehende Glieder zurück. Drückt man dabei an+m über an , . . . , an+m−1 aus, muss man m Startwerte angeben.
Beispiel: Die Rekursionsvorschrift für die Fibonacci-Zahlen
an+2 = an+1 + an ,
n ≥ 1,
a1 = 1, a2 = 1,
erzeugt die Folge
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, . . .
Diese Folge wurde von Leonardo da Pisa (Fibonacci), ca. 1180–1241, bei der mathematischen Modellierung einer Kaninchenpopulation entdeckt. Fibonacci gilt als
einer der bedeutendsten Mathematiker des Mittelalters.
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105 / 367
Folgen
Exkurs: Fibonacci-Zahlen in der Natur
Fibonacci-Zahlen finden sich häufig an Pflanzenteilen wieder. Grund ist die damit
erreichbare hohe Lichtausbeute:
Die Anzahl von Blütenblättern ist oft eine Fibonacci-Zahl (Ringelblume 13,
Aster 21, Sonnenblume, Gänseblümchen 21/34/55/89)
Die Anzahl gewisser Spiralen in Blütenkörbchen (Sonnenblumen- kerne) oder
bei Zapfen (Kiefer) ist häufig eine Fibonacci-Zahl
Bilder alle aus Wikimedia Commons, links: André Karwath aka Aka, Mitte: KENPEI,
rechts: Dr. Helmut Haß, Koblenz / Wolfgang Beyer
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106 / 367
Folgen
Bildungsgesetze
Anmerkung: Die Umwandlung von expliziter in rekursive Vorschrift und zurück
kann schwierig sein. Es gibt Folgen, bei denen nur eine Form oder sogar gar kein
Bildungsgesetz bekannt ist.
Beispiel: Folge der Primzahlen
2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, . . .
Die Bestimmung z. B. des 42-ten Folgenglieds (181) ist hier ohne eine betreffende
Liste sehr aufwändig.
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107 / 367
Folgen
Visualisierung von Folgen
Darstellung des Graphen in der Ebene:
1
0.8
Der Graph einer Zahlenfolge (an ) besteht
aus den diskret liegenden Punkten
(n, an ),
0.6
0.4
n ∈ N.
0.2
0
Mitunter ist es auch zweckmäßig, lediglich die Folgenglieder auf dem Zahlenstrahl darzustellen:
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
0
1
2
b2
−2
3
4
5
b4 b6 b5 b3
0
2
6
7
8
9
4
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10
b1
6
108 / 367
Folgen
Beschränktheit und Monotonie
Definition 3.2
Eine Folge (an ) heißt beschränkt, wenn es eine reelle Zahl C ≥ 0 gibt, so dass
|an | ≤ C
für alle n ∈ N.
Eine Folge (an ) heißt
(streng) monoton wachsend, wenn an ≤ an+1 (bzw. an < an+1 ) für alle
n ∈ N,
(streng) monoton fallend, wenn an ≥ an+1 (bzw. an > an+1 ) für alle n ∈ N,
(streng) monoton, falls sie (streng) monoton wachsend oder fallend ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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109 / 367
Folgen
Beschränktheit und Monotonie
Beispiele
( n1 ) ist streng monoton fallend und beschränkt (C = 1).
n
( (−1)
n ) ist nicht monoton, aber beschränkt (C = 1).
(− 45 +
1
10 n)
ist streng monoton wachsend und unbeschränkt.
Bilder zu den drei Folgen:
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110 / 367
Folgen
Hinweis zum Rechnen
Oft ist es sinnvoll, statt an ≤ an+1 für monotones Wachstum eine der äquivalenten
Ungleichungen
an+1
an+1 − an ≥ 0 oder
≥1
an
zu verwenden (letztere nur, wenn alle an positiv sind!). Für monoton fallende
Folgen analog mit umgekehrtem Relationszeichen.
2n
Untersuchen Sie die Folge 5n+2
auf Monotonie und Beschränktheit. Führen Sie
die Monotonieuntersuchung mit beiden o. a. Ungleichungen durch.
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111 / 367
Folgen
Spezielle Folgen
Definition 3.3 (Arithmetische Folge)
Eine Folge (an ) heißt arithmetische Folge, falls die Differenz zweier
aufeinanderfolgender Glieder immer den gleichen Wert ergibt, d.h.
für eine Konstante d ∈ R.
an+1 − an = d
Satz 3.4
Sei (an ) eine arithmetische Folge mit an+1 − an = d (n ∈ N). Dann lautet die
explizite Bildungsvorschrift:
an = a1 + (n − 1)d.
(3.1)
Eine arithmetische Folge ist also durch Angabe des ersten Folgenglieds a1 und der
Differenz d eindeutig bestimmt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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112 / 367
Folgen
Beispiel
Mit a1 = 3 und d = −2 erhält man die Folge
3, 1, −1, −3, −5, −7, −9, . . .
Die zugehörige Bildungsvorschrift lautet
an = 3 + (n − 1) · (−2) = 5 − 2n.
Geben Sie eine explizite Bildungsvorschrift zur arithmetischen Folge
2, 7, 12, 17, 22, 27, . . .
an. Berechnen Sie damit das 2013-te Folgenglied.
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113 / 367
Folgen
Spezielle Folgen
Graphische Darstellung: Nach Satz 3.4 kann man eine arithmetische Folge als
Einschränkung der affin linearen Funktion
f : R → R,
f (x) = a1 + d(x − 1) = a1 − d + dx
auf die natürlichen Zahlen auffassen. Die Punkte des Graphen liegen somit auf einer
Geraden mit Anstieg d:
7
a1 = − 10
, d=
1
10
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
a1 =
2
,
5
d=0
Mathematik I
a1 = 1, d = − 16
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114 / 367
Folgen
Spezielle Folgen
Definition 3.5 (Geometrische Folge)
Eine Folge (an ) heißt geometrische Folge, falls der Quotient zweier
aufeinanderfolgender Glieder immer den gleichen Wert ergibt, d.h.
an+1
=q
an
für eine Konstante q ∈ R, q 6= 0.
Satz 3.6
Sei (an ) eine geometrische Folge mit an+1 /an = q (n ∈ N). Dann lautet die
explizite Bildungsvorschrift:
an = a1 q n−1 .
(3.2)
Eine geometrische Folge ist also durch Angabe des ersten Folgenglieds a1 und des
Quotienten q eindeutig bestimmt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
115 / 367
Folgen
Beispiel
Mit a1 = 1 und q =
1
2
erhält man die Folge
1 1 1 1 1 1
1, , , , , , , . . .
2 4 8 16 32 64
Die zugehörige Bildungsvorschrift lautet
n−1
1
1
an = 1 ·
= n−1 .
2
2
Wie lautet die explizite Bildungsvorschrift zur geometrischen Folge
2 4 8 16 32 64
, , , , , , . . .?
3 3 3 3 3 3
Handelt es sich bei an =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
4·3n−4
7n+1
(n ∈ N) um eine geometrische Folge?
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
116 / 367
Folgen
Spezielle Folgen
Graphische Darstellung: Nach Satz 3.6 kann man für q > 0 eine geometrische
Folge als Einschränkung der Funktion
a1
f : R → R,
f (x) = a1 q x−1 = q x
q
auf die natürlichen Zahlen auffassen. Die Punkte des Graphen liegen für q > 0 somit
auf dem Graphen einer Exponentialfunktion mit Basis q.
a1 = 1, q = 12 (·)
a1 = −1, q = 43 (+)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
1
a1 = 10
, q = 1.25 (·)
1
a1 = − 10
, q = 1.2 (+)
Mathematik I
a1 = 1, q = − 23
Winterersemester 2013/14
117 / 367
Folgen
Folgen und Wachstumsprozesse
Arithmetische Folgen werden häufig verwendet, wenn es um einen konstanten Zuwachs (lineares Wachstum) geht.
Geometrische Folgen benutzt man, wenn das Wachstum proportional zur Grundmenge erfolgt (exponentielles Wachstum).
Ein typisches Beispiel ist die Zinseszinsformel Kn = K0 (1 + p)n
(K0 Anfangskapital, p Zinssatz, Kn Kapital nach n Jahren).
An einer für Mitteleuropa typischen Stelle beträgt die Temperatur in 25 m Tiefe
etwa 10◦ C. Schätzen Sie die Temperatur in 10 km Tiefe, indem Sie von einem
Zuwachs von 3 K pro 100 m ausgehen.
In einer Nährlösung befinden sich 1000 Einzeller, bei denen es durchschnittlich alle
20 min zur Teilung kommt. Schätzen Sie die Zahl der Einzeller nach 24 h bei
ungebremstem Wachstum ohne Tod.
Aufgaben auf diesem Frame frei nach Bigalke/Köhler: Mathematik, Band 1, Analysis.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
118 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
Folgen und Reihen
3.1 Folgen
3.2 Grenzwerte und Konvergenz
3.3 Unendliche Reihen
3
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
119 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
In einigen unserer Beispiele konnten wir feststellen, dass sich die Folgenglieder für
große n immer weiter an eine feste Zahl annähern. Mathematisch wird dies mit den
Begriffen „Konvergenz“ und „Grenzwert“ gefasst.
Konvergenz ist ein grundlegendes Prinzip der Analysis. Der Grenzwertbegriff in seiner modernen Form wurde erstmals durch A.-L. Cauchy formuliert.
Augustin-Louis Cauchy (1789-1857),
französischer Mathematiker,
entwickelte u. a. die durch Leibniz und Newton
aufgestellten Grundlagen der Analysis weiter.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
120 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Definition
Definition 3.7 (Grenzwert)
Eine Zahl a heißt Grenzwert der Folge (an ), wenn zu jedem > 0 ein Index
n0 ∈ N existiert, so dass
|an − a| < für alle n ≥ n0 .
Besitzt die Folge (an ) einen Grenzwert, so heißt sie konvergent, anderenfalls
divergent.
Schreibweisen:
a = limn→∞ an
an → a für n → ∞, oder kürzer: an → a.
Zum besseren Verständnis: Denken Sie vor allem an beliebig kleine > 0.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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121 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Graphische und sprachliche Illustration des Begriffs
a+ε
a
a−ε
n0 = n0 (ε)
Für hinreichend großes n liegen die Folgenglieder an beliebig nahe am Grenzwert a.
(Bild unten: Wikimedia Commons; Matthias Vogelgesang (Youthenergy))
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
122 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Beispiele, Eindeutigkeit
Beispiele:
an = c → c: Sei > 0 gegeben. Dann gilt |an − c| = 0 < für alle n.
1
n
→ 0: Sei > 0 gegeben. Wähle ein n0 ∈ N mit n0 > 1/, dann gilt:
1
1
|an − 0| = |an | = < 1 = für n ≥ n0 .
n
√
n2 +1
an = n2 → 1: Sei > 0 gegeben. Wähle ein n0 ∈ N mit n0 > 1/ , dann
gilt:
2
n + 1
1
1
|an − 1| = − 1 = 2 < 2 = für n ≥ n0 .
n2
n
1
√
an =
Satz 3.8
Der Grenzwert einer konvergenten Zahlenfolge ist eindeutig bestimmt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
123 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Nullfolgen
Definition 3.9 (Nullfolge)
Eine Folge (an ) heißt Nullfolge, wenn an → 0 für n → ∞.
Nullfolgen können für eine weitere Charakterisierung von Grenzwerten benutzt werden:
Satz 3.10
Eine Folge (an )n∈N ist genau dann konvergent, wenn (an − a)n∈N eine Nullfolge
ist.
Dabei vereinbaren wir, dass arithmetische Operationen auf Folgen immer gliedweise
zu verstehen sind.
Beispiel: an =
n+1
n
→ 1, denn an − 1 =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
n+1
n
Mathematik I
−1=
1
n
→ 0.
Winterersemester 2013/14
124 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Cauchy-Folgen
Eng im Zusammenhang mit konvergenten Folgen steht folgender Begriff:
Definition 3.11 (Cauchy-Folge)
Eine Folge (an ) heißt Cauchy-Folge, wenn zu jedem > 0 ein n0 ∈ N existiert, so
dass
|an − am | < für alle n, m ≥ n0 .
(3.3)
Bei einer Cauchy-Folge liegen also die Glieder für hinreichend große Indizes beliebig
eng beisammen.
Der Bezug zur Konvergenz von reellen Zahlenfolgen lautet:
Satz 3.12 (Cauchysches Konvergenzkriterium)
Eine reelle Zahlenfolge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
125 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Cauchy-Folgen
Die Konvergenz von Cauchy-Folgen in R resultiert aus der Vollständigkeit. Die
umgekehrte Aussage benötigt jedoch nur die Definition des Grenzwerts:
Zeigen Sie, dass jede konvergente Zahlenfolge (an ) die Cauchy-Eigenschaft (3.3)
besitzt.
Der Nutzen von Satz 3.12 liegt nicht in der konkreten Berechnung von Grenzwerten, sondern eher in theoretischen Betrachtungen und Entscheidungen über das
Konvergenzverhalten einer Folge an sich.
Begründen Sie mit Satz 3.12, dass eine arithmetische Folge mit d 6= 0 nicht
konvergent sein kann.
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Mathematik I
Winterersemester 2013/14
126 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Bezug zu Monotonie und Beschränktheit
Satz 3.13
Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Jede beschränkte monotone Folge ist konvergent.
Finden Sie eine Folge die konvergent, aber nicht monoton ist.
Beweisen Sie Satz 3.13. Sie benötigen nur die Grenzwertdefinition und die
Tatsache, dass jede beschränkte Menge in R ein Supremum besitzt.
Begründen Sie mit Satz 3.13, dass die Folge (q n )n∈N für q > 1 divergiert.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
127 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Rechnen mit konvergenten Folgen
Wir beginnen mit einigen Vergleichskriterien für Grenzwerte.
Satz 3.14
Gilt an → a, bn → b, und ist fast immer an ≤ bn (d. h. durchweg ab einem
bestimmten Index), so gilt auch a ≤ b.
Achtung: Aus an < bn folgt dagegen i. a. nicht die strenge Beziehung a < b.
Betrachte zum Beispiel die Folgen an = 1 − n1 und bn = 1 + n1 .
Folgerung 3.15 (Sandwichsatz)
Gilt an → a und bn → a, und gilt ferner fast immer an ≤ cn ≤ bn , so gilt auch
cn → a.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
128 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Rechnen mit konvergenten Folgen
Folgerung 3.16
Ist (bn ) Nullfolge und gilt fast immer |an | ≤ |bn |, so ist auch (an ) eine Nullfolge.
Visualisierungen zu Folgerung 3.15 und 3.16:
bn
cn
|bn|
an
|an|
Für Nullfolgen gilt noch ein weiteres Ergebnis:
Satz 3.17
Ist (an ) Nullfolge und (bn ) beschränkt, so ist (an bn ) wieder eine Nullfolge.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
129 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Rechnen mit konvergenten Folgen
Für die Berechnung von Grenzwerten hilft meist auch folgender Satz:
Satz 3.18 (Rechenregeln für Grenzwerte)
Seien (an ) und (bn ) Zahlenfolgen mit an → a und bn → b. Dann gilt
(1) an + bn → a + b,
(2) an − bn → a − b,
(3) an bn → ab,
(4) λan → λa für jede Konstante λ ∈ R.
Ist weiterhin b 6= 0, so gibt es ein n0 ∈ N, so dass bn 6= 0 (n ≥ n0 ). Die Folge
(bn )n≥n0 konvergiert mit
(5)
an
bn
→ ab .
Beispiel: Aus
1
n
→ 0 folgt z. B. 2 +
5
n
−
3
n3
→ 2 + 5 · 0 − 3 · 03 = 2.
Man beweise Aussage (1) mit Hilfe der Grenzwertdefinition.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
130 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Bestimmte Divergenz
Definition 3.19
Eine Folge (an ) heißt bestimmt divergent gegen +∞ (Schreibweise an → ∞ oder
limn→∞ an = +∞), wenn zu jeder Zahl C ∈ R ein n0 ∈ N existiert, so dass
an ≥ C
für n ≥ n0 .
an ≤ C
für n ≥ n0 .
Entsprechend heißt (an ) bestimmt divergent gegen −∞ (Schreibweise an → −∞
oder limn→∞ an = −∞), wenn zu jeder Zahl C ∈ R ein n0 ∈ N existiert, so dass
Beispiele: Es gilt n + 4 → +∞ und −n2 + 3n → −∞ für n → ∞.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
131 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Bestimmte Divergenz
Einige Rechenregeln aus Satz 3.18 lassen sich teilweise auf bestimmt divergente
Folgen übertragen. Dazu definiert man:
c + ∞ = ∞ + ∞ = ∞ für c ∈ R,
c − ∞ = −∞ − ∞ = −∞ für c ∈ R,
c · ∞ = ∞ · ∞ = (−∞) · (−∞) = ∞ für c > 0,
c · ∞ = (−∞) · ∞ = ∞ · (−∞) = −∞ für c < 0,
c · (−∞) = −∞ für c > 0,
c · (−∞) = ∞ für c < 0,
c
±∞
= 0 für c ∈ R.
Achtung: Ausdrücke wie ∞ − ∞, −∞ + ∞,
und können nicht sinnvoll definiert werden.
±∞
±∞ ,
0 · (±∞),
±∞
0
sind unbestimmt
Man finde Beispiele für Folgen vom Typ „0 · ∞“ mit Grenzwert 0, 1, −42,
bestimmter Divergenz in beide Richtungen sowie nicht bestimmter Divergenz.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
132 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Bestimmte Divergenz
Wichtige Beispiele
Für αk , βl 6= 0 gilt
k
P

0,


 αk
falls k < l;
k
,
falls k = l;
α
+
α
n
+
.
.
.
+
α
n
j=0
0
1
k
βl
=
→
l
l
∞,
falls
k > l,

P
β0 + β1 n + . . . + βl n


βj n j
−∞, falls k > l,
j=0
αj nj
αk
βl
αk
βl
> 0;
< 0.
Beweisen Sie die Aussage, indem Sie jeweils die höchste in Zähler und Nenner
vorkommende Potenz von n ausklammern und dann die Grenzwertsätze anwenden.
2
3
n+3
+3
4n +1
Wie lauten die Grenzwerte der Folgen ( n2 +4n−1
), ( 5n2n−4n+1
) und ( −8n+1
)?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
133 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Geometrische Folge
Geometrische Folge:

für |q| < 1;
 0,
1,
für q = 1;
qn →

+∞, für q > 1.
Für q ≤ −1 ist die Folge (q n ) divergent, aber nicht bestimmt divergent (alternierendes Vorzeichen).
Man führe den Beweis für 0 < q < 1 mit Hilfe der Bernoulli-Ungleichung (vgl.
S. 49) aus.
Für |q| < 1 gilt im übrigen sogar nk q n → 0 für alle k ∈ N. Das polynomielle
Wachstum von nk ist also schwächer als das exponentielle Abklingen von q n .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
134 / 367
Grenzwerte und Konvergenz
Geometrische Folge
Weitere Beispiele:
r
n →
√
n
√
n
+∞, falls r > 0;
0,
falls r < 0.
c → 1 für jede Zahl c > 0,
n → 1,
(1 + n1 )n → e = 2.71828 . . .
(1 + nx )n → ex .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
135 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
Folgen und Reihen
3.1 Folgen
3.2 Grenzwerte und Konvergenz
3.3 Unendliche Reihen
3
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
136 / 367
Unendliche Reihen
Addieren wir von einer gegebenen Zahlenfolge (ak ) die jeweils ersten Glieder, so
entstehen Partialsummen (oder Teilsummen):
s1
= a1 ,
s2
= a1 + a2 ,
s3
= a1 + a2 + a3 ,
..
.
sn
n
X
= a1 + a2 + . . . + an =
ak ,
k=1
..
.
Diese Partialsummen bilden eine neue Folge (sn ) und führen uns zum Begriff der
(unendlichen) Reihe.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
137 / 367
Unendliche Reihen
Definition
Definition 3.20 (Reihe)
Sei (ak )k∈N eine Zahlenfolge. Dann heißt sn :=
von (ak ).
Pn
k=1
ak die n-te Partialsumme
Die Folge (sn )n∈N
Reihe mit den Gliedern ak genannt. Man verwendet für sie
Pwird
∞
die Schreibweise k=1 ak .
P∞
Eine Reihe k=1 ak heißt konvergent, wenn die zugehörige Partialsummenfolge
konvergiert, andernfalls divergent.
Gilt sn → s für n → ∞, so schreibt man
∞
X
ak = s
k=1
und bezeichnet s auch als Wert oder Summe der Reihe
P∞
k=1
ak .
Anmerkung: Wie bei Folgen ist man bei den Indizes auch hier nicht auf den Startwert 1 festgelegt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
138 / 367
Unendliche Reihen
Beispiel: geometrische Reihe
P∞
Die Reihe k=1
deutlich macht:
1
2k
konvergiert gegen 1, wie folgende geometrische Betrachtung
1
32
1
8
1
16
1
2
1
4
Man schreibt also
P∞
1
k=1 2k
= 1.
Es handelt sich hierbei um einen Spezialfall der geometrischen Reihe, die uns später
noch beschäftigen wird.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
139 / 367
Unendliche Reihen
Beispiel
Die Partialsummen zur Folge (ak ) mit ak =
sn = a1 + a2 + . . . + an =
1
k(k+1)
sind gegeben durch
1
1
1
1
+
+ ... +
=1−
.
1·2 2·3
n(n + 1)
n+1
Damit gilt sn → 1 für n → ∞; wir schreiben also
∞
X
k=1
1
= 1.
k(k + 1)
Beweisen Sie die Formel für die Partialsummen mittels vollständiger Induktion
(Hausaufgabe).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
140 / 367
Unendliche Reihen
Beispiel
Die zur Reihe
∞
X
(−1)k = 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + . . .
(3.4)
k=0
gehörige Partialsummenfolge ist (1, 0, 1, 0, 1, 0, 1, . . .) und die Reihe damit divergent.
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass Reihen nicht einfach als „unendliche Summen“ aufgefasst werden können:
Paarweises Zusammenfassen benachbarter Glieder (1 − 1 = 0) in (3.4) könnte zum
Beispiel zu völlig falschen Schlüssen führen!
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
141 / 367
Unendliche Reihen
Beispiel Dezimaldarstellung als Reihe
Seit Ihrer frühen Schulzeit verwenden Sie für reelle Zahlen auch die Dezimaldarstellung. Betrachtet man zum Beispiel die Zahl π, so gilt:
π = 3, 141529265 . . . = 3 +
4
1
5
1
+
+ 3 + 4 + ...
10 102
10
10
Allgemein lässt sich die Zifferndarstellung einer Dezimalzahl mit einer Vorkommastelle und Ziffernfolge (zk ) (zk ∈ {0, 1, . . . , 9}) als folgende Reihe auffassen:
∞
z1 , z2 z3 z4 z5 . . . =
X zk
z1
z2
z3
z4
+ 1 + 2 + 3 + ... =
.
0
10
10
10
10
10k−1
k=1
Die Basis 10 ist übrigens willkürlich gewählt (Anzahl der Finger).
Computer verwenden intern zumeist die Basis 2 (Dualzahlen), in Babylon verwendete man 60; bei den Indianern Südamerikas waren
4, 8 und 16 als Basis gebräuchlich (Rechnen ohne Daumen).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
142 / 367
Unendliche Reihen
Partialsummen arithmetischer Folgen
Erinnerung: Eine arithmetische Folge ist gekennzeichnet durch immer gleiche Differenz ihrer Folgenglieder.
Satz 3.21
Sei (ak ) eine arithmetische Folge mit ak+1 − ak = d (also mit ak = a1 + (k − 1)d,
vgl. Satz 3.4). Dann gilt
sn =
n
X
k=1
n
1
ak = (a1 + an ) = n a1 + (n − 1)d .
2
2
(3.5)
Pn
Die zugehörige Reihe k=1 ak ist daher immer divergent – mit Ausnahme des Falles
ak = 0 (k ∈ N) (d.h. a1 = 0 und d = 0).
Bei arithmetischen Folgen sind also nur die Partialsummen, aber nicht deren Grenzwerte interessant.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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143 / 367
Unendliche Reihen
Exkurs: Gaußsche Summenformel
Einen Spezialfall von (3.5) bildet die Formel („Kleiner Gauß“):
n
X
1
k = n(n + 1).
2
k=1
Sie war bereits den Babyloniern bekannt und wurde vom 9-jährigen C.F. Gauß bei der Schulaufgabe,
die natürlichen Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, wiederentdeckt.
Schema:
1
100
101
2
99
101
3
98
101
4
97
101
...
...
...
99
2
101
100
1
101
⇒
100
X
i=1
i=
1
· 100 · 101 = 5050.
2
Carl Friedrich Gauß (deutscher Mathematiker, Astronom,
Geodät und Physiker, 1777-1855).
U. a. ermöglichte die von ihm entwickelte Ausgleichsrechnung
die Wiederentdeckung des Kleinplaneten Ceres (1801).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
144 / 367
Unendliche Reihen
Geometrische Reihe
Die Reihe zur geometrischen Folge ist eine der wichtigsten in der Mathematik überhaupt. Auch hier beginnen wir wieder mit einer Aussage über die Darstellung der
Partialsummen:
Satz 3.22
Sei (ak ) eine geometrische Folge mit ak+1 /ak = q (also mit ak = a1 q k−1 , vgl.
Satz 3.6). Dann gilt
sn =
n
X
k=1
ak =
n
−1
a1 qq−1
, falls q =
6 1;
na1 ,
falls q = 1.
(3.6)
Man beweise Satz 3.22 mittels vollständiger Induktion über n.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
145 / 367
Unendliche Reihen
Geometrische Reihe
Mittels Grenzübergang n → ∞ erhält man aus Formel (3.6):
Satz 3.23 (Geometrische Reihe)
P∞
Eine Reihe der Form k=1 a1 q k−1 heißt geometrische Reihe. Die geometrische Reihe
konvergiert für |q| < 1, in diesem Falle gilt
∞
X
a1 q k−1 = a1
k=1
1
.
1−q
(3.7)
Für |q| ≥ 1 ist die Reihe divergent.
Man berechne die Summen der Reihen
P∞
3
k=1 7k−1
und
P∞
1
k=1 2k .
Bemerkung: In Tafelwerken finden Sie auch häufig die Formeln
∞
∞
X
X
q
1
a1 q k = a1
und
a0 q l = a0
.
1
−
q
1−q
k=1
l=0
Diese erhält man aus (3.7) durch Multiplikation von a1 mit q bzw. durch
Indexverschiebung l = k − 1.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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146 / 367
Unendliche Reihen
Harmonische Reihe
P∞
Eine Reihe der Form k=1 k1α mit α > 0 wird harmonische Reihe genannt. Es
gilt:
P∞ 1
kα ist konvergent für alle α > 1.
Pk=1
∞
1
k=1 kα = +∞, d. h. die Reihe divergiert, für alle α ≤ 1.
P∞
P∞
P∞
Insbesondere sind also die Reihen k=1 k1 und k=1 √1k divergent, während k=1 k12
konvergiert.
P∞
Die Divergenz von k=1 k1 erfolgt dabei extrem langsam; hier einige Zahlenwerte
zur Illustration:
n
sn
1
1
2
1.5
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
5
2.2833
10
2.9290
100
5.1874
Mathematik I
104
9.7876
108
18.9979
Winterersemester 2013/14
147 / 367
Unendliche Reihen
Exkurs zur Divergenz der harmonischen Reihe
P∞
Die Divergenz von k=1 k1 zeigt man durch Abschätzung der
Partialsummen für n = 2m :
s2m
=
≥
1
1 1
1 1 1 1
1
1
1+ +
+
+
+ + +
+. . .+
+.
.
.+
2
3 4
5 6 7 8
2m−1 + 1
2m
1
1 1
1
1 1 1 1
1
1+ +
+
+ + +
+. . .+ m
+
+. . .+
2
4 4
8 8 8 8
2m
2
| {z } |
|
{z
}
{z
}
2 mal
=
1
1+ m →∞
2
4 mal
2m−1 mal
für m → ∞.
Die Partialsummenfolge enthält also eine divergente Teilfolge und ist damit selbst
divergent.
Dieser Beweisansatz findet sich übrigens bereits in mittelalterlicher Literatur (Nicole
Oresme, Frankreich, ≈ 1350).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
148 / 367
Unendliche Reihen
Rechnen mit konvergenten Reihen
Wendet man die Grenzwertsätze (Satz 3.18) auf Partialsummenfolgen an, erhält
man:
Satz 3.24
Sind
P∞
k=1
ak und
P∞
k=1 bk
∞
X
beide konvergent, so gilt:
(ak + bk )
k=1
∞
X
(ak − bk )
=
=
k=1
∞
X
(λak )
k=1
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
=
∞
X
k=1
∞
X
ak +
ak −
k=1
∞
X
λ
k=1
Mathematik I
ak
∞
X
k=1
∞
X
bk ,
bk ,
k=1
für λ ∈ R.
Winterersemester 2013/14
149 / 367
Unendliche Reihen
Absolute Konvergenz
Berechnen Sie den Grenzwert der Reihe
P∞
k=1
1
5k
+
4
3k
Machen P
Sie sich anhand der Partialsummen klar, dass Aussagen analog zu Satz
∞
3.24 für k=1 (ak · bk ) nicht gelten können.
Definition 3.25 (Absolute Konvergenz)
Eine Reihe
P∞
k=1
ak heißt absolut konvergent, wenn
P∞
k=1
|ak | konvergiert.
Absolut konvergente Reihen sind besonders komfortabel – zum Beispiel darf man
nur bei ihnen die Glieder beliebig umordnen, ohne den Grenzwert zu verändern.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
150 / 367
Unendliche Reihen
Absolute Konvergenz
Der folgende Satz liefert den Bezug zur „gewöhnlichen“ Konvergenz:
Satz 3.26
P∞
Eine absolut konvergente Reihe k=1 ak ist erst recht konvergent. Für sie gilt die
verallgemeinerte Dreiecksungleichung
∞
∞
X X
ak ≤
|ak |.
k=1
Beispiele:
P∞
k=1
(−1)k+1
k
ist konvergent (Nachweis später), aber nicht absolut
k+1
P∞
konvergent. Es gilt k=1 (−1)k
= ln 2.
P∞ (−1)k+1
ist absolut konvergent. Es gilt
2
k=1
P∞ k (−1)k+1
P∞
2
2
0 ≤ k=1 k2
= π12 ≤ π6 = k=1 k12 .
k=1
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
151 / 367
Unendliche Reihen
Konvergenzkriterien
Mitunter stellt man lediglich die Frage nach der Konvergenz einer Reihe, ohne deren
konkreten Grenzwert berechnen zu wollen. Hierbei sind eine Reihe von Konvergenzkriterien hilfreich.
Einen ersten Satz erhalten wir ausP
dem Cauchy-Kriterium für die Partialsummen∞
folge zu einer konvergenten Reihe k=1 ak . Es gilt
|an | = |sn − sn−1 | < für großes n
und daher
Satz 3.27 (Notwendiges Konvergenzkriterium)
Bei einer konvergenten Reihe
ak → 0 für k → ∞.
P∞
k=1
ak bilden die Glieder eine Nullfolge, d. h.
P∞
k
Kann die Reihe k=1 2k+1
konvergieren? Gilt die Umkehrung von Satz 3.27?
Wenn nicht, finden Sie Gegenbeispiele.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
152 / 367
Unendliche Reihen
Alternierende Reihen
Für alternierende Reihen (d. h. mit wechselndem Vorzeichen der Glieder) ist das
folgende Kriterium häufig hilfreich:
Satz 3.28 (Leibniz-Kriterium)
Eine alternierende Reihe
Nullfolge ist.
P∞
k=1 (−1)
k
ak konvergiert, wenn (ak ) eine monotone
k
P∞
P∞
√
Was lässt sich über die Konvergenz der Reihen k=1 (−1)
, k=1
k
P∞ (−1)k
k=1 2k3 sagen? Konvergieren diese Reihen auch absolut?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
(−1)k+1
k
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und
153 / 367
Unendliche Reihen
Majorantenkriterium
Nach Satz 3.13 ist eine Reihe mit nichtnegativen Gliedern genau dann konvergent,
wenn ihre Partialsummenfolge beschränkt ist. Daraus folgen:
Satz 3.29 (Majorantenkriterium)
P∞
Ist k=1 bk eine konvergente Reihe
P∞mit nichtnegativen Gliedern, und gilt fast
immer |ak | ≤ bk , so konvergiert k=1 ak , und zwar sogar absolut.
Die Reihe
Beispiel:
P∞
P∞
k=1 bk
1
k=1 k2 +k
wird dabei Majorante von
konvergiert, denn
konvergiert.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
1
k2 +k
≤
1
k2
Mathematik I
P∞
k=1
ak genannt.
für alle k ∈ N, und
P∞
1
k=1 k2
Winterersemester 2013/14
154 / 367
Unendliche Reihen
Minorantenkriterium
Satz 3.30 (Minorantenkriterium)
P∞
Ist k=1 bk eine divergente Reihe
P∞mit nichtnegativen Gliedern, und gilt fast
immer ak ≥ bk , dann ist auch k=1 ak divergent.
Die Reihe
P∞
k=1 bk
wird dabei Minorante von
Beispiel:
P∞
P∞
k=1
1√
1√
1
1
k=1 k+ k divergiert, denn k+ k ≥ k+k = 2k
P∞ 1
und k=1 2k divergiert (harmonische Reihe).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
ak genannt.
für alle k ∈ N,
Winterersemester 2013/14
155 / 367
Unendliche Reihen
Quotientenkriterium
Durch Verwendung von geometrischen Reihen als Majoranten bzw. Minoranten erhält man zwei Kriterien, die häufig bei Reihengliedern mit Quotienten-/Potenzstruktur
greifen:
Satz 3.31 (Quotientenkriterium)
Gilt mit einer festen positiven Zahl q < 1 fast immer
ak+1 ak ≤ q,
P∞
so konvergiert die Reihe k=1 ak , und zwar sogar absolut. Gilt jedoch fast immer
ak+1 ak ≥ 1,
P∞
so ist k=1 ak divergent.
Dabei ist natürlich vorauszusetzen, dass fast immer ak 6= 0 ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
156 / 367
Unendliche Reihen
Wurzelkriterium
Satz 3.32 (Wurzelkriterium)
Gilt mit einer festen positiven Zahl q < 1 fast immer
p
k
|ak | ≤ q,
P∞
so konvergiert die Reihe k=1 ak , und zwar sogar absolut. Gilt jedoch fast immer
p
k
|ak | ≥ 1,
P∞
so ist k=1 ak divergent.
Achtung: Es reicht nicht, lediglich
auf Konvergenz zu schließen!
Testen Sie dies am Beispiel
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
P∞
k=1
p
k
|ak | < 1 bzw. aak+1
< 1 nachzuweisen, um
k
k+1
k .
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
157 / 367
Unendliche Reihen
Quotienten- und Wurzelkriterium
Folgende Version von Quotienten- und Wurzelkriterium ist besonders handlich und
wird in der Praxis am häufigsten verwendet:
Folgerung 3.33 (Quotienten- und Wurzelkriterium)
p
Konvergiert die Quotientenfolge ( aak+1
) oder die Wurzelfolge ( k |ak |) gegen
k
P∞
einen Grenzwert α, so ist die Reihe k=1 ak
(absolut) konvergent, wenn α < 1,
divergent, wenn α > 1.
Bemerkung: Im Falle α = 1 liefern die Kriterien kein Ergebnis. Eine nähere Untersuchung wird notwendig.
Warum ist Folgerung 3.33 eine unmittelbare Konsequenz der Sätze 3.31 und 3.32?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
158 / 367
Unendliche Reihen
Beispiele zu Konvergenzkriterien
P∞
k2
k=1 2k
P∞
k
k=1 kk
P∞
1
k=0 k!
(k+1)2 2k
konvergiert, denn aak+1
= k2 2k+1 = 21 (1+ k1 )2 → 12 .
k
q √
√
k
konvergiert, denn k kkk = kk → 0 (da k k → 1).
1
k!
konvergiert, denn aak+1
= k+1
→ 0.
= (k+1)!
k
Dabei ist k! := 1 · 2 · . . . · k(k ∈ N), 0! := 1 (“k-Fakultät“).
P∞ xk
Es
konvergiert
k+1 sogar k=0 k! für beliebiges x ∈ R, denn
ak+1 x
|x|
k! ak = xk · (k+1)!
= k+1 → 0.
Wir werden diese Reihe später nutzen, um damit die Exponentialfunktion zu
P∞ k
definieren: ex := k=0 xk! .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
159 / 367
Unendliche Reihen
Ausblick: Anwendungen in den Naturwissenschaften
In den Naturwissenschaften tauchen Reihen häufig in der Gestalt von Potenz- und
Fourierreihen auf (mehr dazu später).
Desweiteren werden wir im Kapitel Differentialrechnung den Satz von Taylor kennenlernen, welcher mit solchen Reihenentwicklungen im Zusammenhang steht.
Diese Sätze begründen u. a. folgende häufig verwendeten Näherungen für betragsmäßig kleine x ∈ R:
sin x ≈ tan x ≈ x,
cos x ≈ 1 − 12 x2 ,
1
1−x
≈ 1 + x,
1
1+x
≈ 1 − x.
Zum Beispiel führt die erstgenannte Näherung auf die typischen Sinusschwingungen
beim Fadenpendel. Die Näherungen in der letzten Zeile beruhen auf geometrischen
Reihen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
160 / 367
Unendliche Reihen
Exkurs: Achilles und die Schildkröte
. . . ist ein bekannter Trugschluss (Paradoxon) des griechischen Philosophen Zenon
von Elea (ca. 490-430 v. Chr.).
Es wird behauptet, dass der Läufer Achilles niemals eine Schildkröte einholen kann,
wenn sie einmal einen gewissen Vorsprung hat.
Folgende Argumentation:
Wenn Achilles den Startpunkt der Schildkröte erreicht hat, hat diese einen
neuen (kleineren) Vorsprung gewonnen,
Wenn Achilles diesen neuen Vorsprung aufgeholt hat, ist die Schildkröte
wieder ein Stück weiter vorn usw.
Was Zenon damit zeigen wollte, ist auch aufgrund der Quellenlage unklar. Fakt ist,
dass die Vorstellungen von Grenzwert und Unendlichkeit in der Antike noch nicht
gut ausgeprägt waren.
Lösen Sie das Paradoxon mit Ihrem neu erworbenen Wissen über Reihen auf.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
161 / 367
Ziele erreicht?
Sie sollten nun (bzw. nach Abschluss der Übungen/Selbststudium):
wissen, was man unter Folgen und Reihen versteht,
die Grenzwertdefinition tiefgehend verstanden haben und beherrschen
(auswendig!),
Grenzwerte von Folgen mit Hilfe der Grenzwertsätze sicher berechnen können,
an einfachen Beispielen Vergleichskriterien anwenden können
(gilt für Folgen und Reihen),
über die Konvergenzeigenschaften von geometrischer und harmonischer Reihe
bescheidwissen,
anhand von Konvergenzkriterien das Konvergenzverhalten von Reihen
analysieren können (mit besonderem Schwerpunkt auf den Sätzen 3.27 und
3.28 sowie Folgerung 3.33).
Sie sind sich nicht sicher oder meinen „nein“? Werden Sie aktiv!
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
162 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
163 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
4.1 Grundlegende Eigenschaften
4.2 Grenzwerte reeller Funktionen
4.3 Stetigkeit
4.4 Elementare Funktionen
4
Polynome
Rationale Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Trigonometrische Funktionen und Arkusfunktionen
Hyperbel- und Areafunktionen
Ernst (Numerische Mathematik)
5Oliver
Differentialrechnung
in
Mathematik I
einer Variablen
Winterersemester 2013/14
164 / 367
Reelle Funktionen
In den nächsten Kapiteln werden wir uns mit Funktionen
f : D f → Wf
auseinandersetzen, bei denen sowohl der Definitions- als auch der Wertebereich
Teilmengen der reellen Zahlen sind (Df , Wf ⊂ R).
Diese Funktionen nennen wir kurz reelle Funktionen.
Bereits in Abschnitt 1.5 hatten wir uns mit dem Funktionsbegriff auseinandergesetzt. Alle dort bereits erarbeiteten Begriffe gelten natürlich auch für reelle Funktionen.
Allerdings ermöglichen die reellen Zahlen auch speziellere Strukturen. Erste Beiträge
liefert dieser Abschnitt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
165 / 367
Reelle Funktionen
Maximaler Definitionsbereich
Eine erste Konvention werden wir bezüglich der Notation treffen:
Ist zu einer reellen Funktion f lediglich die Bildungsvorschrift
x 7→ f (x)
angegeben, so wählen wir den Definitionsbereich Df ⊂ R so groß wie möglich.
Die so gewählte Menge Df heißt maximaler Definitionsbereich von f .
Man identifiziere die maximalen Definitionsbereiche für
√
f (x) = 4 x − 1,
g(x) = x7 ,
und
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
h(x) =
2x − 3 sin x
.
(x2 − 1)(x − 4)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
166 / 367
Reelle Funktionen
Monotonie
Da Funktionswerte reeller Funktionen vergleichbar sind, lässt sich auch für reelle
Funktionen Monotonie definieren:
Definition 4.1 (monotone Funktion)
Eine reelle Funktion f : Df → R heißt auf einem Intervall I ⊂ Df
(streng) monoton wachsend, wenn für alle x, y ∈ I mit x < y stets
f (x) ≤ f (y)
(bzw. f (x) < f (y))
gilt,
(streng) monoton fallend, wenn für alle x, y ∈ I mit x < y stets
f (x) ≥ f (y)
(bzw. f (x) > f (y))
gilt,
(streng) monoton, wenn sie (streng) monoton wachsend oder fallend ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
167 / 367
Reelle Funktionen
Graphische Darstellung
Die graphische Darstellung reeller Funktionen erfolgt in der x-y-Ebene (Graph(f )
ist eine Teilmenge von R2 ).
Beispiele:
g
f
I = Df
I = Dg
f ist auf Df streng monoton wachsend und g auf Dg monoton fallend (allerdings
nicht streng).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
168 / 367
Reelle Funktionen
Umkehrfunktion
Ist die reelle Funktion
f : D f → Wf
bijektiv, dann existiert die Umkehrfunktion (auch inverse Funktion genannt)
f −1 : Wf → Df ,
f −1 (y) = x :⇔ y = f (x).
Offenbar gilt
(x, y) ∈ Graph(f ) ⇔ (y, x) ∈ Graph(f −1 ),
weshalb der Graph von f −1 aus dem Graphen von f durch Spiegelung an der ersten
Winkelhalbierenden y = x hervorgeht.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
169 / 367
Reelle Funktionen
Umkehrfunktion
Beispiele:
Graphen von f : [0, ∞) → [0, ∞), f (x) = x2 und h : (0, ∞) → (0, ∞), h(x) =
sowie der entsprechenden Umkehrfunktionen:
4
1
x
2
f(x)=x2
3
1.5
h(x)=1/x
2
1
g(x)=x1/2
1
0
0
0.5
1
2
3
0
0
4
0.5
1
1.5
2
Warum ist im Bild rechts nur ein Graph zu sehen?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
170 / 367
Reelle Funktionen
Umkehrfunktion
Satz 4.2 (Monotonie und Umkehrfunktion)
Ist f : I → R streng monoton auf dem Intervall I, so ist f : I → f (I) bijektiv.
Die Umkehrfunktion f −1 ist streng monoton wachsend (fallend), wenn f streng
monoton wachsend (fallend) ist.
Nach Satz 4.2 besitzt f (x) = x3 auf ganz R eine Umkehrfunktion. Wie lautet
diese? Zeichnen Sie die Graphen beider Funktionen.
Anmerkung: Die Umkehrfunktion in der Situation von Satz 4.2 ist sogar stetig
(Stetigkeitsbegriff folgt noch).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
171 / 367
Reelle Funktionen
Operationen mit Funktionen
Da uns in R die gewohnten Rechenoperationen zur Verfügung stehen, sind folgende
„punktweisen“ Konstruktionen möglich:
Definition 4.3
Es seien f, g : D → R reelle Funktionen und α ∈ R.
Wir definieren neue Funktionen
αf
f ±g
fg
f /g
: D → R,
: D → R,
: D → R,
: D1 → R,
(αf )(x)
:= αf (x),
(f ± g)(x) := f (x) ± g(x),
(f g)(x)
:= f (x)g(x),
(f /g)(x)
:= f (x)/g(x)
mit D1 = {x ∈ D : g(x) 6= 0}.
Achtung: f −1 und
1
f
sind nicht dasselbe.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
172 / 367
Reelle Funktionen
Operationen mit Funktionen
Definition 4.4
Sind f : Df → R und g : Dg → R mit Wf ⊆ Dg , dann definieren wir die
Komposition oder Verkettung („g nach f “) von f mit g durch
g ◦ f : Df → R,
(g ◦ f )(x) := g(f (x)).
Symbolische Skizze:
Df
f
g
g(f (x))
f (x)
x
g(Wf )
Wf
Dg
Wg
g◦f
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
173 / 367
Reelle Funktionen
Operationen mit Funktionen
Achtung: Im allgemeinen ist g ◦ f 6= f ◦ g.
Beispiel: Für f (x) = x2 und g(x) = sin x ist
(f ◦ g)(x) = f (g(x)) = (sin x)2 =: sin2 x (Bild links),
(g ◦ f )(x) = g(f (x)) = sin(x2 ) (Bild rechts).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
174 / 367
Reelle Funktionen
Operationen mit Funktionen
Der Übergang von x 7→ f (x) nach x 7→ f (x)+c bewirkt eine vertikale Verschiebung
des Graphen von f um c. Der Übergang von x 7→ f (x) nach x 7→ f (x − c) bewirkt
eine horizontale Verschiebung des Graphen um c.
2
1
1.5
y=f(x)+c
0.5
1
0.5
0
0
−0.5
y=f(x)
−0.5
y=f(x−c)
y=f(x)
−1
−1
−0.5
0
0.5
1
−1
−1
−0.5
0
0.5
1
1.5
Formulieren Sie die beiden neu entstandenen Funktionen als Kompositionen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
175 / 367
Reelle Funktionen
Beschränkte Funktionen
Definition 4.5
Eine reelle Funktion f : Df → R heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn ihr
Wertebereich Wf ⊂ R nach oben (unten) beschränkt ist.
Eine Funktion heißt beschränkt, wenn sie sowohl nach oben als auch nach unten
beschränkt ist.
Für beschränkte Funktionen existiert also eine Konstante c > 0, so dass
|f (x)| ≤ c
Sind die Funktionen
für alle x ∈ Df .
f1 (x) = x2 ,
1
f3 (x) = ,
x
f2 (x) = (x − 2)3 ,
f4 (x) = sin(2x),
(nach oben/unten) beschränkt?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
176 / 367
Reelle Funktionen
Gerade und ungerade Funktionen
Definition 4.6
Eine reelle Funktion f : Df → R, für die mit jedem x ∈ Df auch −x ∈ Df gilt,
heißt
gerade, wenn
für alle x ∈ Df ,
f (x) = f (−x)
ungerade, wenn
f (x) = −f (−x)
für alle
x ∈ Df .
Graphisch äußern sich die Eigenschaften als
Spiegelsymmetrie bzgl. der y-Achse (gerade Funktionen),
Punktsymmetrie am Ursprung (ungerade Funktionen).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
177 / 367
Reelle Funktionen
Gerade und ungerade Funktionen
Beispiele:
f (x) = |x| ist gerade (Bild links),
g(x) = sin x ist ungerade (Bild rechts).
Sind die folgenden Funktionen gerade/ungerade?
f1 (x) = cos x, f2 (x) = x5 , f3 (x) = x3 + 1, f4 (x) = x2 − 1.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
178 / 367
Reelle Funktionen
Periodische Funktionen
Definition 4.7
Eine reelle Funktion f : Df → Wf heißt periodisch, wenn es eine Zahl a > 0 gibt
(„Periode“), so dass mit jedem x ∈ Df auch x + a ∈ Df gilt, und
f (x + a) = f (x) für x ∈ Df .
(4.1)
Aus (4.1) folgt sofort, dass auch
f (x + na) = f (x)
für alle x ∈ Df , n ∈ N,
gilt. Mit a ist also gleichzeitig auch na Periode.
Im Falle der Existenz gibt man daher häufig die kleinste Periode a > 0 an, um das
Verhalten der Funktion f möglichst gut zu beschreiben („primitive Periode“).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
179 / 367
Reelle Funktionen
Graphische Darstellung
Funktion mit primitiver Periode P
Bild: Oleg Alexandrov, Wikimedia Commons
Sind folgende Funktionen periodisch? Wenn ja, geben Sie eine Periode, wenn
möglich die primitive Periode an.
f1 (x) = cos(2x), f2 (x) = |x|, f3 (x) = sin x + cos x, f4 (x) = 42.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
180 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
4.1 Grundlegende Eigenschaften
4.2 Grenzwerte reeller Funktionen
4.3 Stetigkeit
4.4 Elementare Funktionen
4
Polynome
Rationale Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Trigonometrische Funktionen und Arkusfunktionen
Hyperbel- und Areafunktionen
Ernst (Numerische Mathematik)
5Oliver
Differentialrechnung
in
Mathematik I
einer Variablen
Winterersemester 2013/14
181 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Betrachten wir folgende drei Funktionen:
f1 (x) = x2 ,
f2 (x) = sin( x1 ) (x 6= 0),
f3 (x) =
1
x
(x 6= 0).
Offenbar zeigen die Funktionen bei Annäherung der x-Werte an den Nullpunkt völlig
verschiedenes Verhalten. Wir wollen ein mathematisches Instrument entwickeln, dies
näher zu beschreiben.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
182 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Häufungspunkte
Definition 4.8
Eine Zahl ξ ∈ R heißt Häufungspunkt der Menge M ⊂ R, wenn es eine Folge
(xn ) mit Gliedern aus M gibt mit
xn → ξ für n → ∞
und
xn 6= ξ für alle n ∈ N.
Einem Häufungspunkt kann man sich also innerhalb der Menge M beliebig weit
nähern, ohne ihn selbst zu erreichen.
Ein Häufungspunkt kann selbst zur Menge gehören, muss es aber nicht.
ξ2
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
M
Mathematik I
ξ1
Winterersemester 2013/14
183 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Häufungspunkte
Beispiele: Die für uns relevanten Beispiele für M sind vor allem Intervalle.
Die Menge der Häufungspunkte des offenen Intervalls (a, b) ist zum Beispiel das
abgeschlossene Intervall [a, b] (vgl. Skizze S. 183)
Man bestimme die Häufungspunkte der Mengen
M1 = (−∞, 42),
und
M2 = [a, b),
1
: n ∈ N ⊂ R.
M3 =
n
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
184 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Innere Punkte
Definition 4.9
Eine Zahl x ∈ M heißt innerer Punkt der Menge M ⊂ R, wenn es ein > 0 gibt,
so dass (x − , x + ) ⊂ M .
x−ε x x+ε
a
M = [a, b]
b
Von einem inneren Punkt aus kann man sich also ein kleines Stück „nach rechts
und nach links bewegen“, ohne die Menge M zu verlassen.
Man bestimme die inneren Punkte der Mengen
M1 = (a, b),
M2 = [a, b]
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
(mit a < b) und
Mathematik I
M3 =
1
: n∈N
n
Winterersemester 2013/14
⊂ R.
185 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Isolierte Punkte
Definition 4.10
Eine Zahl x ∈ M heißt isolierter Punkt der Menge M ⊂ R, wenn es ein > 0
gibt, so dass (x − , x + ) ∩ M = {x} gilt.
x1
M
x2
Isolierte Punkte gehören also selbst zur Menge, haben aber zum Rest derselben
einen positiven Abstand.
Man bestimme, falls vorhanden, die isolierten Punkte der Mengen
1
M1 = (a, b),
M2 =
: n ∈ N ⊂ R,
n
N ⊂ R,
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Q ⊂ R.
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
186 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Grenzwertbegriff
Nun können wir das Verhalten einer Funktion bei Annäherung an einen Häufungspunkt des Definitionsbereichs näher beschreiben.
Definition 4.11 (Grenzwert einer Funktion)
Sei f : Df → R eine reelle Funktion und ξ ∈ R Häufungspunkt des
Definitionsbereichs Df .
Die Zahl a heißt Grenzwert von f für x gegen ξ, wenn für alle Folgen (xn ) ⊂ Df
mit
xn → ξ für n → ∞ und xn 6= ξ für alle n ∈ N
(4.2)
gilt:
f (xn ) → a
Schreibweise:
lim f (x) = a
x→ξ
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
oder
für n → ∞.
f (x) → a für x → ξ.
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
187 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Skizze zur Definition
f (ξ)
a
f
(f (xn ))
a = lim f (x)
x→ξ
(xn )
ξ
Definition 4.11 lässt sich problemlos auf die Fälle x → ±∞ und a = ±∞ erweitern.
In letzterem Fall sprechen wir von bestimmter Divergenz.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
188 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Beispiele
lim x2 = 4, denn für jede Folge (xn ) mit xn → 2 [also auch für die mit
x→2
xn 6= 2 (n ∈ N)] gilt x2n → 4.
lim 12
x→0 x
gilt x2n
= +∞, denn für alle Folgen (xn ) mit xn → 0 und xn 6= 0 (n ∈ N)
> 0 und x2n → 0, d.h.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
1
x2n
→ ∞.
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
189 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Beispiele
lim sin( x1 ), existiert nicht. Beispielsweise gelten für xn =
x→0
Beziehungen xn → 0 und
sin( x1n )
= sin(n +
1
2 )π
1
(n+ 12 )π
n
die
= (−1) .
Achtung: Das heißt nicht, dass keine konvergenten Folgen von
Funktionswerten im Kontext von Definition 4.11 existieren. Für xn =
gelten z. B. xn → 0 und sin( x1n ) = sin nπ = 0 → 0.
1
nπ
Es reicht aber ein Gegenbeispiel, um die Konvergenz auszuschließen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
190 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Weitere Beispiele
Existieren folgende Grenzwerte? Wenn ja, bestimmen Sie sie.
lim (x3 + 2x2 + 1),
x→−1
lim 21 , lim 21 ,
x→2 x −4 x→0 x −4
lim 1 ,
x→0 x
2
lim x −1 .
x→−1 x+1
Man zeichne Skizzen der betreffenden Funktionsgraphen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
191 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Einseitige Grenzwerte
Lässt man in Definition 4.11 in (4.2) statt Folgen (xn ) mit xn 6= ξ nur Folgen mit
xn > ξ (bzw. xn < ξ) zu, so entsteht ein rechtsseitiger (linksseitiger) Grenzwert.
Schreibweise: Für den rechtsseitigen Grenzwert:
lim f (x) = a
x→ξ+
oder
f (x) → a für x → ξ + .
bzw. für den linksseitigen Grenzwert:
lim f (x) = a
x→ξ−
oder
f (x) → a für x → ξ − .
Dabei ist vorauszusetzen, dass man sich dem Punkt ξ von rechts (links) aus Df
heraus nähern kann, d. h. dass ξ Häufungspunkt von Df ∩ (ξ, ∞) (bzw. Df ∩
(−∞, ξ)) ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
192 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Einseitige Grenzwerte
Einseitige Grenzwerte sind somit einfach die Grenzwerte der auf Df ∩ (ξ, ∞) bzw.
Df ∩ (−∞, ξ) eingeschränkten Funktion f .
f
a
b
f
a = lim f (x)
b = lim f (x)
x→ξ+
x→ξ−
ξ
ξ
Bei der Untersuchung einseitiger Grenzwerte lässt man also jeweils den im grau
schraffierten Teil liegenden Teil der Funktion unbeachtet.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
193 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Einseitige Grenzwerte
Beispiele:
lim x1 = +∞, denn für jede Folge (xn ) mit xn → 0 mit xn > 0 (n ∈ N) gilt
x→0+
1
xn →
+∞,
1
= −∞, denn für jede
x→0− x
1
xn → −∞,
lim x2 = lim x2 = lim x2
x→2+
x→2−
x→2
lim
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Folge (xn ) mit xn → 0 mit xn < 0 (n ∈ N) gilt
= 4.
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
194 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Einseitige Grenzwerte
Weitere Beispiele:
Existieren die folgenden einseitigen Grenzwerte? Wenn ja, wie lauten sie?
lim
x→0+
√1 ,
x
lim |x|,
x→0+
lim |x|,
x→0−
lim sgn(x),
x→0+
lim sgn(x).
x→0−
Dabei bezeichnet sgn : R → R die sogenannte Signum- oder Vorzeichenfunktion:

 −1, für x < 0;
0,
für x = 0;
sgn(x) :=

1,
für x > 0.
Zeichnen Sie wieder Bilder der Funktionsgraphen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
195 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Einseitige Grenzwerte
Zwischen dem Grenzwert und den einseitigen Grenzwerten gibt es eine Beziehung,
die sofort einleuchtet:
Satz 4.12
Sei f : Df → R und ξ ein Häufungspunkt sowohl von Df ∩ (ξ, ∞) als auch von
Df ∩ (−∞, ξ). Dann gilt:
Der Grenzwert lim f (x) existiert genau dann, wenn die beiden Grenzwerte
x→ξ
lim f (x) und lim f (x) existieren und übereinstimmen.
x→ξ+
x→ξ−
Existiert lim |x|, und was ergibt sich ggf. für ein Wert? Argumentieren Sie mit
x→0
Satz 4.12 und den Erkenntnissen vom Beispiel auf Seite 195.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
196 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Rechnen mit Grenzwerten
Da Grenzwerte von Funktionen auf Grenzwerte von Folgen zurückführen, übertragen
sich die Grenzwertsätze aus Abschnitt 2.
Satz 4.13 (Grenzwertsätze für reelle Funktionen)
Unter Vorraussetzung der Existenz der betreffenden Grenzwerte gelten jeweils für
x → ξ die Regeln:
lim(cf )(x) = c lim f (x) für alle c ∈ R,
lim(f ± g)(x) = lim f (x) ± lim g(x),
lim(f · g)(x) = (lim f (x)) · (lim g(x))
lim( fg )(x) =
f ≤g
⇒
lim f (x)
lim g(x) ,
falls lim g(x) 6= 0,
lim f (x) ≤ lim g(x).
Hierbei ist auch ξ = ±∞ erlaubt. Für einseitige Grenzwerte gelten die Regeln in
analoger Weise.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
197 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Rechnen mit Grenzwerten
Mit den auf Seite 132 getroffenen Definitionen (∞ + ∞ = ∞, ∞ · ∞ = ∞ etc.)
gelten die Aussagen von Satz 4.13 auch für den Fall bestimmter Divergenz.
Wie schon bei den Folgen muss aber darauf geachtet werden, dass die entstehenden
Ausdrücke sinnvoll definiert sind.
Bestimmen Sie (falls existent) folgende Grenzwerte:
lim (x3 + x),
x→2
lim (2x + x1 ),
x→∞
lim (cos(πx) +
x→−1
x2 −1
x+1 ),
lim (x sin x1 ),
x→0
Argumentieren Sie beim Kosinus mit der graphischen Darstellung.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
198 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Sprungstellen
Definition 4.14
Existieren zu einer reellen Funktion die beiden Grenzwerte lim f (x) und
x→ξ+
lim f (x), und sind sie endlich aber verschieden, so nennt man ξ eine
x→ξ−
Sprungstelle von f .
f
ξ
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
199 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Sprungstellen
Ein bemerkenswertes Ergebnis gilt nun für monotone Funktionen:
Satz 4.15
Seien I = (a, b) ein Intervall, f : I → R monoton auf I und ξ ∈ I. Dann
existieren limx→ξ− f (x) und limx→ξ+ f (x) und es gelten
−∞ < lim f (x) ≤ f (ξ) ≤ lim f (x) < ∞,
x→ξ−
x→ξ+
wenn f monoton wachsend ist, und
∞ > lim f (x) ≥ f (ξ) ≥ lim f (x) > −∞,
x→ξ−
x→ξ+
wenn f monoton fallend ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
200 / 367
Grenzwerte reeller Funktionen
Unendlichkeitsstellen
Gilt für eine reelle Funktion f mindestens eine der Beziehungen lim f (x) = ±∞
x→ξ+
oder lim f (x) ± ∞, so nennt man ξ eine Unendlichkeitsstelle von f .
x→ξ−
Vor allem bei rationalen Funktionen f (x) =
spricht man auch von Polstellen.
p(x)
q(x) ,
wobei p und q Polynome sind,
f (x) =
g(x) =
1
(links)
x
1
(rechts)
x2
Achtung: Der Sprachgebrauch in der Literatur ist, was Unendlichkeits- und Polstellen betrifft, nicht einheitlich.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
201 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
4.1 Grundlegende Eigenschaften
4.2 Grenzwerte reeller Funktionen
4.3 Stetigkeit
4.4 Elementare Funktionen
4
Polynome
Rationale Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Trigonometrische Funktionen und Arkusfunktionen
Hyperbel- und Areafunktionen
Ernst (Numerische Mathematik)
5Oliver
Differentialrechnung
in
Mathematik I
einer Variablen
Winterersemester 2013/14
202 / 367
Stetigkeit
In vielen naturwissenschaftlichen Modellen führen kleine Änderungen an den Daten (z.B. durch Rundungs-/Messfehler) auch nur zu kleinen Änderungen in den
Ergebnissen nach Anwendung des Modells.
Mathematisch wird dieser Zusammenhang durch das Konzept der Stetigkeit erfasst.
Dieses geht auf Augustin-Louis Cauchy (1789-1857) und Bernard Bolzano (17811848) zurück und wurde später von Karl Weierstraß (1815-1897) präzisiert (v.l.n.r.).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
203 / 367
Stetigkeit
Definition
Definition 4.16 (Stetigkeit)
Eine reelle Funktion f : Df → R heißt stetig an der Stelle ξ ∈ Df , wenn für alle
Folgen (xn ) ⊂ Df mit xn → ξ die zugehörigen Funktionswerte konvergieren mit
f (xn ) → f (ξ).
f heißt stetig in M ⊆ Df , wenn f an jeder Stelle ξ ∈ M stetig ist.
Als Abgrenzung zum Grenzwertbegriff (Def. 4.11) beachte man, dass hier ξ ∈ Df
gelten muss, und auch Folgenglieder mit xn = ξ zugelassen sind.
Beispiel
Die Funktion f (x) = x2 ist stetig an der Stelle ξ = 2, denn für jede Folge
(xn ) mit xn → 2 gilt: f (xn ) = x2n → 4 = f (2).
Die Funktion f (x) = x2 ist sogar stetig auf ganz R, denn für beliebiges
(festes) ξ ∈ R und jede Folge (xn ) mit xn → ξ gilt:
f (xn ) = x2n → ξ 2 = f (ξ).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
204 / 367
Stetigkeit
Stetigkeit und Grenzwert
Ein sorgfältiger Vergleich der Definitionen 4.16 und 4.11 liefert folgenden Zusammenhang zwischen Stetigkeit und Grenzwert:
Satz 4.17
Sei f : Df → R eine reelle Funktion und ξ ∈ Df ein Häufungspunkt∗ von Df .
Dann gilt:
f ist stetig in ξ ⇔ lim f (x) = f (ξ).
(4.3)
x→ξ
Der Grenzwert von f für x → ξ muss also mit dem Funktionswert an der Stelle ξ
übereinstimmen.
∗)
Anmerkung:
In isolierten Punkten des Definitionsbereichs sind Funktionen dagegen immer stetig. Für die Praxis
ist dies jedoch belanglos.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
205 / 367
Stetigkeit
Stetigkeit und Grenzwert
In der Praxis verwendet man zum Testen auf Stetigkeit statt (4.3) auch häufig die
Beziehung
lim f (x) = f (ξ) = lim f (x)
x→ξ−
x→ξ+
die durch Kombination von (4.3) mit Satz 4.12 entsteht.
Man untersuche die Funktion f (x) = |x| auf Stetigkeit im Punkt ξ = 0. Was lässt
sich über die Stetigkeit von f auf R sagen?
Für welche Wahl des Parameters α ∈ R ist die folgende Funktion stetig?
1 + αx, für x < 0;
f (x) =
x2 + α2 , für x ≥ 0.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
206 / 367
Stetigkeit
-δ-Definition
Häufig wird die Stetigkeit auch über eine zu Definition 4.16 äquivalente Formulierung eingeführt:
Satz 4.18 (-δ-Version der Stetigkeit)
Eine reelle Funktion f : Df → R ist genau dann stetig in ξ ∈ Df , wenn zu jedem
> 0 ein δ > 0 existiert, so dass
x ∈ Df und |x − ξ| < δ
⇒
|f (x) − f (ξ)| < .
Für konkrete Rechnungen sind Definition 4.16 oder Satz 4.17 häufig bequemer
(überzeugen Sie sich am Beispiel von S. 204 selbst).
Allerdings vermittelt uns Satz 4.18 die bessere Vorstellung, was Stetigkeit praktisch
bedeutet.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
207 / 367
Stetigkeit
Graphische und sprachliche Interpretation
f
f (ξ) + ε
f (ξ)
f (ξ) − ε
ξ−δ ξ ξ+δ
(Hinreichend) kleine Änderungen an den Argumenten führen zu (beliebig)
kleinen Änderungen an den Funktionswerten.
Die Funktionswerte lassen sich durch hinreichend feines „Justieren“ der
Argumente beliebig fein „einstellen“.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
208 / 367
Stetigkeit
Eine weitere anschauliche Interpretation
Der Graph einer auf einem Intervall stetigen Funktion bildet eine zusammenhängende Kurve. (Achtung: Zusammenhang mathematisch zu definieren ist gar nicht
so einfach!)
Daher wird manchmal salopp geschrieben, dass man Funktionsgraphen stetiger
Funktionen zeichnen kann, „ohne den Stift abzusetzen“.
Dies ist unmathematisch, unsauber (es gibt zusammenhängende Kurven, die man
nicht zeichnen kann, vgl. Bild rechts), und erfasst auch nicht das gesamte Wesen
der Stetigkeit. Trotzdem liefert es uns eine gewisse Vorstellung.
f (x) = sin x.
(
1
x sin( x
),
g(x) =
0,
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
x=
6 0;
x = 0.
Winterersemester 2013/14
209 / 367
Stetigkeit
Eigenschaften stetiger Funktionen
Der folgende Satz ergibt sich durch Kombination der Grenzwertsätze für Funktionen
(Satz 4.13) mit Definition 4.16.
Satz 4.19
Sind f, g stetig in ξ, dann sind auch f + g, f − g, f g stetig in ξ. Gilt g(ξ) 6= 0,
dann ist auch f /g stetig in ξ.
Ist f stetig in ξ und ist g stetig in f (ξ), so ist g ◦ f stetig in ξ.
Beispiel: Die Funktionen f1 (x) = x2 , f2 (x) = |x| und f3 (x) = 42 sind auf ganz R
1
stetig. Daher sind beispielsweise auch g1 (x) = 42 · |x| · x2 und g2 (x) = 42
|x| + x2
6
und g3 (x) = x stetig auf R.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
210 / 367
Stetigkeit
Stetigkeit der Umkehrfunktionen, Zwischenwertsatz
Für Umkehrfunktionen gilt:
Satz 4.20
Sei I ⊆ R ein Intervall. Die Funktion f : I → R besitze eine Umkehrfunktion
f −1 : f (I) → I. Ist f stetig in I, so ist f (I) ein Intervall und f −1 stetig in f (I).
Da – wie eben bemerkt – das Bild eines Intervalls unter einer stetigen Funktion
wieder ein Intervall ist, ergibt sich sofort:
Satz 4.21 (Zwischenwertsatz)
Ist f : [a, b] → R stetig, dann gibt es zu jedem w, das zwischen f (a) und f (b)
liegt, ein z ∈ [a, b] mit f (z) = w.
Anders ausgedrückt: Eine stetige Funktion f nimmt jeden Wert zwischen f (a) und
f (b) an.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
211 / 367
Stetigkeit
Nullstellensatz
Ein Spezialfall von Satz 4.21 ist:
Folgerung 4.22 (Nullstellensatz)
Ist f : [a, b] → R stetig, und gilt f (a) > 0 und f (b) < 0 (bzw. f (a) < 0 und
f (b) > 0), so hat f mindestens eine Nullstelle in (a, b).
Visualisierungen
f (b)
f
f (b)
f
a
w
f (a)
f (a)
z
a
b
Zwischenwertsatz
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
b
Nullstellensatz
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
212 / 367
Stetigkeit
Exkurs: Intervallhalbierungsverfahren
Sei f : [a, b] → R stetig mit f (a)f (b) < 0 (verschiedenes Vorzeichen). Nach dem
Nullstellensatz gibt es in (a, b) eine Nullstelle z von f .
Algorithmus:
Setze a1 = a und b1 = b.
Für n = 1, 2, . . .
h = (an + bn )/2.
Ist f (h) = 0, so haben wir eine Nullstelle von f gefunden.
Ist f (h)f (an ) > 0, setze an+1 = h, bn+1 = bn .
Ist f (h)f (an ) < 0, setze an+1 = an , bn+1 = h.
Die entstehenden Folgen (an ) und (bn ) konvergieren gegen einen gemeinsamen
Grenzwert z, der eine Nullstelle von f ist.
Überlegen Sie sich, warum das so ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
213 / 367
Stetigkeit
Beispiel
Gesucht ist eine Lösung der Gleichung −x = ex , d. h. eine Nullstelle von
f (x) = x + ex . Eine Lösung durch Umstellen nach x ist hier unmöglich.
Wir verwenden das Intervallhalbierungsverfahren. Da f (0) = 1 und f (−1) =
−0.6321 . . ., können wir mit a = −1 und b = 0 starten. Natürlich wird man das
Verfahren auf einem Rechner implementieren.
Ergebnisse:
n
1
2
..
.
11
..
.
21
an
−1
−1
..
.
−0.56738281 . . .
..
.
−0.56714344 . . .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
bn
0
−0.5
..
.
−0.56640625
..
.
−0.56714248 . . .
Mathematik I
1
210
1
220
bn − an
1
1
= 0.5
2
..
.
−4
≈ 9.77 · 10
..
.
−7
≈ 9.54 · 10
Winterersemester 2013/14
214 / 367
Stetigkeit
Extremalwerte stetiger Funktionen
Satz 4.23
Ist f : [a, b] → R stetig, dann gibt es
ein xmax ∈ [a, b] mit f (xmax ) ≥ f (x) für alle x ∈ [a, b]
ein xmin ∈ [a, b] mit f (xmin ) ≤ f (x) für alle x ∈ [a, b].
Anders ausgedrückt: Jede auf [a, b] stetige Funktion nimmt auf [a, b] Maximum und
ihr Minimum an.
Vorsicht: Die Aussage wird falsch, wenn der Definitionsbereich von f nicht abgeschlossen oder unbeschränkt ist.
An welchen Stellen nimmt die Funktion f : [−2, 4] → R, f (x) = x2 Maximum
und Minimum an? Wie ändert sich die Situation, wenn man f stattdessen auf
(−2, 4), (−2, 4] oder [−2, 4) betrachtet?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
215 / 367
Stetigkeit
Unstetigkeitsstellen
Eine Stelle ξ ∈ Df , an der eine Funktion f : Df → R nicht stetig ist, heißt
Unstetigkeitsstelle von f .
Handelt es sich dagegen bei ξ um eine Definitionslücke, kann man lediglich über
stetige Fortsetzbarkeit von f entscheiden.
Beispiel:
f : R \ {0} → R, f (x) = x1 , ist auf dem ganzen Definitionsbereich stetig,
aber in 0 nicht stetig fortsetzbar.
1
(x 6= 0);
x,
ist dagegen unstetig in 0 und sonst
f : R → R, f (x) =
42, (x = 0).
stetig.
Achtung: In der Literatur werden die Begriffe „unstetig“ und „nicht stetig fortsetzbar“ mitunter unschön vermengt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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216 / 367
Stetigkeit
Typische Vertreter von Unstetigkeitsstellen
Sprungstellen: u. a. Vorkommen bei Ein- und Ausschaltvorgängen oder
Modellierung von Materialparametern an Materialgrenzen,
Unendlichkeitsstellen/Pole: u.a. Vorkommen bei der Beschreibung von
Kräften und deren Potentialen, bspw. bei Gravitations- und Coulomb-Kraft
(F (r) = c1 r−2 , V (r) = c2 r−1 ).
(Dies sind jedoch keineswegs die einzigen Arten von Unstetigkeiten.)
Regel: Tritt in einem mathematischen Modell eine Unstetigkeit (oder fehlende stetige Fortsetzbarkeit) auf, sollte sich auch der Praktiker immer Gedanken über evtl.
Auswirkungen machen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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217 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
4.1 Grundlegende Eigenschaften
4.2 Grenzwerte reeller Funktionen
4.3 Stetigkeit
4.4 Elementare Funktionen
4
Polynome
Rationale Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Trigonometrische Funktionen und Arkusfunktionen
Hyperbel- und Areafunktionen
Ernst (Numerische Mathematik)
5Oliver
Differentialrechnung
in
Mathematik I
einer Variablen
Winterersemester 2013/14
218 / 367
Elementare Funktionen
Polynome
Wir werden in diesem Abschnitt ein Standardrepertoire von Funktionen zur Verfügung stellen, die in Mathematik und Naturwissenschaften häufig benötigt werden.
Bei all diesen Beispielen handelt es sich um stetige Funktionen.
Polynome: Eine Funktion der Form
x 7→ f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an−1 xn−1 + an xn ,
a0 , a1 , . . . , an−1 , an ∈ R, an 6= 0, heißt ganzrational oder Polynom. Die Zahlen ai
heißen Koeffizienten von f , die Zahl n heißt Grad von f (Abkürzung: grad(f )).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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219 / 367
Elementare Funktionen
Lineare Funktionen
Polynome vom Grad 1,
f (x) = a0 + a1 x,
heißen (affin) lineare Funktionen. Der Graph von f ist eine Gerade durch (0, a0 )
mit Anstieg a1 .
In Vorbereitung auf die Differentialrechnung bemerken wir:
Zu gegebenem Punkt (x0 , f (x0 )) und Anstieg a1 erhält man die lineare
Funktion
f (x) = f (x0 ) + a1 (x − x0 ).
Durch zwei verschiedene gegebene Punkte (x0 , f (x0 )) und (x1 , f (x1 ))
„führt“ die lineare Funktion
f (x) = f (x0 ) +
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
f (x1 ) − f (x0 )
(x − x0 ).
x1 − x0
Mathematik I
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220 / 367
Elementare Funktionen
Quadratische Funktionen
Polynome vom Grad 2,
2 a2
a1
+ a0 − 1 ,
f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 = a2 x +
2a2
4a2
heißen quadratische Funktionen.
Sie besitzen als Graph eine Parabel mit Scheitel (x0 , y0 ),
x0 = −
a1
,
2a2
y0 = a0 −
a21
,
4a2
die für a2 > 0 nach oben und für a2 < 0 nach unten offen ist.
Lineare und quadratische Funktionen wurden intensiv in Vorkurs und Schule
behandelt. Schließen Sie evtl. Lücken selbständig.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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221 / 367
Elementare Funktionen
Nullstellen von Polynomen
Nach dem Fundamentalsatz der Algebra (Sätze 1.26/29) existiert zu einem Polynom
vom Grad n eine Faktorisierung
f (x) = an
k
Y
(x − λj )µj
j=1
m
Y
j=1
x2 + pj x + qj
νj
,
(4.4)
Pm
Pk
wobei j=1 µj + 2 j=1 νj = n. Die quadratischen Faktoren besitzen keine reellen
Nullstellen, und die Ausdrücke in den Klammern sind paarweise verschieden.
Die Zahlen λj sind gerade die Nullstellen von f . Die Zahl µj heißt Vielfachheit der
Nullstelle λj .
Jedes Polynom von ungeradem Grad besitzt somit mindestens eine Nullstelle. Ein
Polynom vom Grad n besitzt höchstens n Nullstellen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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222 / 367
Elementare Funktionen
Verhalten von Polynomen im Unendlichen
Wenn grad(f ) > 0, so gilt
lim f (x) =
x→∞
sowie
∞, falls an > 0,
−∞, falls an < 0

∞,



falls n gerade und an > 0
oder falls n ungerade und an < 0,
lim f (x) =
x→−∞

−∞, falls n ungerade und an > 0


oder falls n gerade und an < 0.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
223 / 367
Elementare Funktionen
Rationale Funktionen
Eine Funktion der Form
f (x) =
a0 + a1 x + · · · + am xm
pm (x)
=
b0 + b1 x + · · · + bn xn
qn (x)
(4.5)
(mit am 6= 0, bn 6= 0) heißt (gebrochen) rationale Funktion.
pm (x) = a0 + a1 x + · · · + am xm
qn (x) = b0 + b1 x + · · · + bn x
n
heißt Zählerpolynom von f ,
heißt Nennerpolynom von f .
Rationale Funktionen sind bis auf die Nullstellen des Nennerpolynoms qn (Pole,
Lücken) überall definiert.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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224 / 367
Elementare Funktionen
Null- und Polstellen rationaler Funktionen
Wir setzen im weiteren voraus, dass Zählerpolynom p und Nennerpolynom q keine
gemeinsamen Nullstellen haben∗ .
Die Nullstellen von f sind dann gerade die Nullstellen des Zählerpolynoms p.
Ist x0 ∈ Df eine Nullstelle (mit Vielfachheit k) des Nennerpolynoms q, so heißt
x0 Pol (k-ter Ordnung) von f . Es gilt
lim | f (x) | = ∞.
x→x0
Dabei hat f bei x0
einen Vorzeichenwechsel, wenn k ungerade ist,
keinen Vorzeichenwechsel, wenn k gerade ist.
∗)
Andernfalls kann man die betreffenden Linearfaktoren kürzen und „füllt“ ggf.
die Definitionslücke „auf“. Betrachte z. B. f (x) =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
x2 −1
x−1
Mathematik I
=
(x−1)(x+1)
.
x−1
Winterersemester 2013/14
225 / 367
Elementare Funktionen
Null- und Polstellen rationaler Funktionen
Interpretieren Sie das folgende Schaubild der Funktion
f (x) =
5(x − 2)(x − 27/5)
5x2 − 37x + 54
=
x3 − 6x2 + 9x
x(x − 3)2
im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse über Null- und Polstellen.
8
4
0
−4
−8
−8
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
−4
0
Mathematik I
4
8
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226 / 367
Elementare Funktionen
Verhalten rationaler Funktionen im Unendlichen
Seien m der Grad des Zählerpolynoms p und n der Grad des Nennerpolynoms q.
Dann gilt mit am , bn aus (4.5):
0,
falls m < n,
lim f (x) = lim f (x) =
am /bn , falls m = n.
x→−∞
x→∞
Falls m ≥ n, so gibt es Polynome s und t mit grad(s) = m − n und grad(t) < n,
so dass
t(x)
p(x)
= s(x) +
.
(4.6)
f (x) =
q(x)
q(x)
Insbesondere gilt für m > n, dass
lim |f (x) − s(x)| = lim |f (x) − s(x)| = 0.
x→−∞
x→∞
Man sagt, s ist Asymptote von f für |x| → ∞; die Graphen von f und s kommen
sich im Unendlichen beliebig nahe.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
227 / 367
Elementare Funktionen
Verhalten rationaler Funktionen im Unendlichen
Interpretieren Sie das folgende Schaubild
(blau) der Funktion
1
1
x3 − x2 + 5
= x2 +
5x − 5
5
x−1
im Hinblick auf die Asymptotik im
Unendlichen und an den Polen.
f (x) =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
228 / 367
Elementare Funktionen
Exkurs: Polynomdivision/Euklidscher Algorithmus
Die Polynome s und t in (4.6) können mit dem Euklidschen Algorithmus berechnet
werden. Diesen lernt man am besten am Beispiel:
(3x4 + 7x3 + x2 + 5x + 1)
+ 3x2
3x4
3
7x − 2x2 + 5x + 1
7x3
+ 7x
− 2x2 − 2x + 1
−2x2
−2
− 2x + 3
:
(x2 + 1)
=
3x2 + 7x − 2
Ergebnis:
−2x + 3
3x4 + 7x3 + x2 + 5x + 1
= (3x2 + 7x − 2) + 2
.
2
x +1
x +1
Allerdings sind in modernen Zeiten auch Computeralgebrasysteme (CAS) für solche
Zwecke zuverlässige und empfehlenswerte Helfer.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
229 / 367
Elementare Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen
Für alle n ∈ N ist die Potenzfunktion f (x) = xn eine bijektive Abbildung von
[0, ∞) auf [0, ∞). Ihre Umkehrfunktion
√
g : [0, ∞) → [0, ∞), x 7→ n x = x1/n ,
heißt n-te Wurzel von x.
Für n ∈ N definieren wir
x−n :=
1
xn
(x 6= 0).
Allgemeiner erhalten wir Potenzfunktionen mit rationalem Exponenten über
√
g : [0, ∞) → [0, ∞), x 7→ n xm =: xm/n (m ∈ Z, n ∈ N).
Wie man die Funktion x 7→ xr für beliebiges reelles r erklärt, werden wir im
nächsten Abschnitt erfahren.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
230 / 367
Elementare Funktionen
Wurzel- und Potenzfunktionen, Graphische Darstellung
4
3
x
3
x2.5
x2
2
x1/2
1
x
x
0
0
1
2
3
2/5
1/3
4
Dargestellt sind einige Potenzfunktionen mit den zugehörigen Umkehrungen (jeweils
gleiche Farbe).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
231 / 367
Elementare Funktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Die Exponentialfunktion ist durch
f : R → R,
x 7→
∞
X
xn
n!
n=0
definiert und wird mit f (x) = ex oder f (x) = exp(x) bezeichnet.
Wichtigste Eigenschaften:
ex+y = ex ey , (ex )y = exy für alle x, y ∈ R,
ex > 0 für alle x ∈ R,
f (x) = ex ist streng monoton wachsend auf R,
lim ex = ∞ und lim ex = 0.
x→∞
x→−∞
Die Exponentialfunktion spielt eine zentrale Rolle in Wachstums- modellen und bei
der Lösung linearer Differentialgleichungen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
232 / 367
Elementare Funktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen
Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion
ln : (0, ∞) → R,
x 7→ ln(x),
heißt natürlicher Logarithmus oder Logarithmus zur Basis e.
Wichtigste Eigenschaften:
ln(ex ) = x (für x ∈ R) und eln(x) = x (für x > 0),
ln(x) ≥ 0 für x ≥ 1 und ln(x) < 0 für 0 < x < 1,
ln(xy) = ln(x) + ln(y), ln(xy ) = y ln(x),
x 7→ ln(x) ist streng monoton wachsend auf R,
lim ln(x) = ∞,
x→∞
lim ln(x) = −∞.
x→0+
Logarithmen werden häufig benutzt, wenn Beobachtungsgrößen über viele Größenordnungen variieren. (Schalldruckpegel, pH-Wert, Richter-Skala, Leuchtstärke,
Sternhelligkeiten, . . . )
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
233 / 367
Elementare Funktionen
Beispiel: Hertzsprung-Russell-Diagramm
Dargestellt ist der Logarithmus
der Leuchtkraft über dem B-VFarbindex.
Unten: Farb- und Größenvergleich
für Hauptreihensterne.
Bilder: Richard Powell und Kieff,
Wikimedia Commons
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
234 / 367
Elementare Funktionen
Exponential- und Logarithmusfunktionen, graphische Darstellung
Exponentialfunktion (blau) und natürlicher Logarithmus (rot)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
235 / 367
Elementare Funktionen
Potenzen mit reellem Exponenten
Für a > 0 und b ∈ R definieren wir nun
ar := er ln(a) .
(4.7)
Damit können wir nun z. B. die Potenzfunktion
f : (0, ∞) → R,
x 7→ xr := er ln(x) ,
für beliebige reelle Exponenten r erklären. Desweiteren eröffnet sich die Möglichkeit,
Funktionen vom Typ
f (x) = ax (a > 0)
zu definieren.
Machen Sie sich klar, dass Definition (4.7) für rationale r mit der bereits
bekannten übereinstimmt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
236 / 367
Elementare Funktionen
(Allgemeine) Exponentialfunktion
Für a > 0, a 6= 1, ist
f : R → (0, ∞),
x 7→ ax := ex ln(a) ,
die allgemeine Exponentialfunktion oder Exponentialfunktion zu Basis a.
Aus den Eigenschaften der Exponentialfunktion ergeben sich:
ax+y = ax ay , (ax )y = axy , (ab)x = ax bx ,
ax > 0,
x 7→ ax ist auf R streng monoton wachsend, falls a > 1,
x 7→ ax ist auf R streng monoton fallend, falls 0 < a < 1,
lim ax = ∞,
x→∞
lim ax = 0,
x→∞
lim ax = 0 (wenn a > 1),
x→−∞
lim ax = ∞ (wenn 0 < a < 1).
x→−∞
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
237 / 367
Elementare Funktionen
Logarithmen
Die Umkehrfunktion von f (x) = ax heißt Logarithmus zur Basis a:
loga : (0, ∞) → R,
x 7→ loga (x),
Für a = 10 schreibt man oft lg(x), für a = e (siehe oben) ln(x) und für a = 2
auch ld(x).
Es gelten
loga (x) = ln(x)/ ln(a)
(x > 0),
loga (xy) = loga (x) + loga (y), loga (xy ) = y loga (x),
x 7→ loga (x) ist streng monoton wachsend für a > 1,
lim loga (x) = ∞ für a > 1,
x→∞
lim loga (x) = −∞ für a > 1.
x→0+
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
238 / 367
Elementare Funktionen
Logarithmen, graphische Darstellung
2
4x
ex
1 2x
0
log4(x)
ln(x)
log2(x)
−1
−2
−2
−1
0
1
2
Dargestellt sind Exponentialfunktionen zu verschiedenen Basen mit den zugehörigen
Umkehrungen (jeweils gleiche Farbe).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
239 / 367
Elementare Funktionen
Sinus und Kosinus
Bei der sauberen analytischen Definition der Sinus- und Kosinusfunktion geht der
Mathematiker wie folgt vor:
Erweitere den Definitionsbereich der Exponentialfunktion auf komplexe
Zahlen:
∞
X
zn
exp : C → C,
exp(z) =
n!
n=0
Definiere Sinus und Kosinus gemäß
sin : R → [0, 1],
cos : R → [0, 1],
sin(x) = Re(eix ),
cos(x) = Im(eix ).
(4.8)
Damit ergeben sich unmittelbar auch Reihendarstellungen zu Sinus und Kosinus,
doch dazu später.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
240 / 367
Elementare Funktionen
Sinus und Kosinus
Zeigt man nun noch, dass eiϕ für ϕ ∈ R in der auf S. 81 beschriebenen Weise auf
dem Einheitskreis liegt (kein leichtes Unterfangen!), so erhält man die gewohnte
Darstellung am Einheitskreis.
1
eiϕ
sin ϕ
ϕ
ϕ
0
cos ϕ
1
Für die meisten Zwecke ist diese Vorstellung ausreichend. Durch Skalieren erhält
man die klassischen Winkelbeziehungen im rechtwinkligen Dreieck.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
241 / 367
Elementare Funktionen
Eigenschaften von Sinus und Kosinus
sin(x + 2π) = sin(x), cos(x + 2π) = cos(x),
d. h. Sinus und Kosinus sind 2π-periodisch,
sin(−x) = − sin(x), cos(−x) = cos(x),
d. h. der Sinus ist ungerade, der Kosinus gerade,
sin(x) = cos(π/2 − x) und cos(x) = sin(π/2 − x),
d. h. die Graphen sind um π/2 gegeneinander verschoben,
sin2 (x) + cos2 (x) = 1 (Satz des Pythagoras),
sin(x) = 0 ⇔ x = kπ mit k ∈ Z und
cos(x) = 0 ⇔ x = (k + 0.5)π mit k ∈ Z,
sin(x) ist auf [−π/2, π/2] streng monoton wachsend und
cos(x) ist auf [0, π] streng monoton fallend.
Desweiteren gelten die in Abschnitt 1.6 (S. 87) kennengelernten Additionstheoreme
und Mehrfachwinkelformeln.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
242 / 367
Elementare Funktionen
Sinus und Kosinus, graphische Darstellung
Sinus
1
0
−1
−2π
−π
0
π
2π
Kosinus
1
0
−1
−2π
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
−π
0
Mathematik I
π
2π
Winterersemester 2013/14
243 / 367
Elementare Funktionen
Tangens und Kotangens
Der Tangens von x ist definiert durch
f : R \ k + 12 π : k ∈ Z → R,
x 7→ tan(x) :=
sin(x)
.
cos(x)
Der Kotangens von x ist definiert durch
f : R \ {kπ : k ∈ Z} → R,
x 7→ cot(x) :=
cos(x)
.
sin(x)
Im Gebrauch ist vor allem der Tangens.
Wichtige Eigenschaften:
tan und cot sind π-periodische Funktionen,
tan(−x) = − tan(x) und cot(−x) = − cot(x), d. h. beide Funktionen sind
ungerade,
tan ist auf (−π/2, π/2) streng monoton wachsend und
cot ist auf (0, π) streng monoton fallend.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
244 / 367
Elementare Funktionen
Tangens und Kotangens, graphische Darstellung
Tangens
Kotangens
4
cot(x)
1
2
x
tan(x)
0
sin(x)
0
−2
cos(x)
−4
−2π
−π
0
π
2π
−1
−1
0
1
Dargestellt sind die Graphen von Tangens und Kotangens sowie die graphische
Interpretation am Einheitskreis.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
245 / 367
Elementare Funktionen
Arkusfunktionen
Die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen nennt man Arkusfunktionen.
Da die trigonometrischen Funktionen auf R nicht bijektiv sind, muss man Einschränkungen auf bestimmte Intervalle betrachten.
Man
Kosinus und Kotangens auf [0, π] sowie Sinus und Tangens auf
π schränkt
− 2 , π2 ein, und erhält die Umkehrfunktionen
arcsin : [−1, 1] → − π2 , π2 , y = arcsin(x) :⇔ x = sin y, y ∈ [− π2 , π2 ],
arccos : [−1, 1] → [0, π] , y = arccos(x) :⇔ x = cos y, y ∈ [0, π],
arctan : R → − π2 , π2 , y = arctan(x) :⇔ x = tan y, y ∈ [− π2 , π2 ],
arccot : R → [0, π] ,
y = arccot(x) :⇔ x = cot y, y ∈ [0, π].
mit Namen Arkussinus, Arkuscosinus, Arkustangens und Arkuskotangens.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
246 / 367
Elementare Funktionen
Arkusfunktionen, graphische Darstellung
π
π
arccot
arccos
π/2
π/2
0
0
arcsin
−π/2
−1
0
arctan
1
−π/2
−4
−2
0
2
4
Graphen sämtlicher Arkusfunktionen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
247 / 367
Elementare Funktionen
Hyperbel- und Areafunktionen
Die Funktionen
1 x
e − e−x ,
2
1 x
f : R → R, x 7→ cosh(x) :=
e + e−x ,
2
f : R → R, x 7→ sinh(x) :=
f : R → R, x 7→ tanh(x) :=
sinh(x)
ex − e−x
=
x
−x
e +e
cosh(x)
heißen Sinus hyperbolicus, Kosinus hyperbolicus und Tangens hyperbolicus.
Ihre Umkehrfunktionen heißen Areasinus, Areakosinus und Areatangens. (cosh muss
dafür auf [0, ∞) eingeschränkt werden.)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
248 / 367
Elementare Funktionen
Hyperbel- und Areafunktionen, graphische Darstellung
Beachten Sie die sich aus den Definitionen ergebende Asymptotik.
Hyperbelfunktionen treten mitunter bei der Lösung von Differentialgleichungen auf.
Z.B. kann ein durchhängendes Seil über den Kosinus hyperbolicus beschrieben werden.
Bild: Wikimedia Commons, Geek3
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
249 / 367
Ziele erreicht?
Sie sollten nun (bzw. nach Abschluss der Übungen/Selbststudium):
Begriffe wie Monotonie, Periodizität, gerade und ungerade Funktion sicher
beherrschen und anwenden können,
den Grenzwertbegriff für Funktionen tiefgreifend verstanden haben und für
viele Funktionen bereits Grenzwerte berechnen können,
den Begriff der Stetigkeit (beide Versionen) und seine mathematischen
Konsequenzen tiefgreifend verstanden haben,
Funktionen anhand von Definition 4.16 auf Stetigkeit untersuchen können,
einen Überblick über elementare Funktionen gewonnen haben und mit den
wichtigsten sicher umgehen können (Schwerpunkte: Polynome, Potenz- und
Wurzelfunktionen, Exponentialfunktion und natürlicher Logarithmus,
trigonometrische Funktionen).
Sie sind sich nicht sicher oder meinen “nein“? Sie wissen schon. . .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
250 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
251 / 367
Differentialrechnung
Die „Infinitesimalrechnung“ ist ein weiteres großes analytisches Konzept, ohne das
moderne Naturwissenschaften undenkbar sind.
Die Entwicklung erfolgte unabhängig voneinander durch Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716, links) und Sir Isaac Newton (1643-1727, rechts).
Die unabhängige Leistung gilt heute als gesichert, damals allerdings kam es zum
bekanntesten Prioritätsstreit der Wissenschaftsgeschichte.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
252 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
253 / 367
Differenzierbarkeit
Grundidee
Diese ist sehr einfach: Ersetzt man eine Funktion f nahe einer Stelle x0 durch ihre
Tangente t(x), so macht man in der Nähe von x0 nur kleine Fehler.
t
f
x0
Die Tangente ist dabei als lineare Funktion viel leichter zu handhaben, als die Funktion f selbst.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
254 / 367
Differenzierbarkeit
Grundidee
Definition 5.1 (Ableitung)
Sei f : Df → R eine reelle Funktion und x0 ∈ Df ein innerer Punkt von Df .
Dann heißt f differenzierbar an der Stelle x0 , wenn der Grenzwert
f 0 (x0 ) := lim
x→x0
f (x0 + h) − f (x0 )
f (x) − f (x0 )
= lim
h→0
x − x0
h
existiert. f 0 (x0 ) heißt erste Ableitung von f an der Stelle x0 .
Ist f an jeder Stelle x0 ∈ M ⊆ Df differenzierbar, so heißt f in M differenzierbar.
Man nennt die Funktion
f 0 : M → R,
x 7→ f 0 (x),
dann die Ableitung von f .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
255 / 367
Differenzierbarkeit
Geometrische Interpretation
t(x)
s(x)
f (x)
f (x0 +h)
f (x0 )
(x0 )
s(x) = f (x0)+ f (x0+h)−f
(x−x0)
h
|
{z
h→0
}
t(x) = f (x0) + f 0(x0)(x−x0)
x0 x0 + h
Für h → 0 geht die Sekante s(x) durch (x0 , f (x0 )) und (x0 + h, f (x0 + h)) in eine
Tangente t(x) über.
Die Ableitung f 0 (x0 ) ist also der Anstieg der Tangente t an f im Punkt x0 .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
256 / 367
Differenzierbarkeit
Höhere Ableitungen
Ist zu einer Funktion f die Ableitung f 0 in x0 ebenfalls differenzierbar, so heißt
f 00 (x0 ) := (f 0 )0 (x0 )
die zweite Ableitung von f an der Stelle x0 .
Entsprechend wird (für n ∈ N) die n-te Ableitung
f (n) (x0 ) = (f (n−1) )0 (x0 )
von f an der Stelle x0 definiert. (Dabei ist f (0) (x0 ) := f (x0 ) zu setzen.)
Notation:
Für die ersten drei Ableitungen schreibt man f 0 , f 00 und f 000 .
Ab n = 4 schreibt man zumeist f (n) .
Zudem sind in der Physik auch f˙(t) und f¨(t) für die ersten zwei Ableitungen üblich,
wenn das Argument t eine Zeit darstellt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
257 / 367
Differenzierbarkeit
Leibniz-Notation
Auf Leibniz geht die folgende Schreibweise für Ableitungen zurück:
df
d
(x0 ) =
f (x0 ),
dx
dx
d2 f
d2
df 0
f 00 (x0 ) =
(x0 ),
(x0 ) =
f (x0 ) =
2
2
dx
dx
dx
..
.
f 0 (x0 ) =
f (n) (x0 ) =
dn
df (n−1)
dn f
(x0 ) =
f (x0 ) =
(x0 ).
n
n
dx
dx
dx
Diese Schreibweise ist noch heute weit verbreitet, da man damit manche Rechenregeln (z. B. Kettenregel) sehr eingängig fassen kann, und die Variable, nach der man
differenziert, eindeutig gekennzeichnet ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
258 / 367
Differenzierbarkeit
Leibniz-Notation
Leibniz hatte damals die vage Vorstellung, dass sich die erste Ableitung f 0 (x0 ) als
Quotient „infinitesimal kleiner Elemente“ dy und dx schreiben lässt.
Er betrachtete dazu den Differenzenquotienten
y − y0
f (x) − f (x0 )
∆y
=
=
∆x
x − x0
x − x0
und machte gedanklich die Größen ∆y und ∆x „unendlich klein“.
In Anlehnung an den Differenzenquotienten verwendete er für die erste Ableitung
dy
den Ausdruck dx
.
Die lediglich formale Quotientenform der Leibniz-Notation lässt sich mit dem Differentialbegriff (siehe später) mathematisch unterlegen. Manchmal nennt man die
Ableitung daher auch Differentialquotient.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
259 / 367
Differenzierbarkeit
Beispiele
Die konstante Funktion f1 (x) = c (c ∈ R) ist differenzierbar mit f10 (x) = 0,
denn
f1 (x + h) − f1 (x)
c−c
=
= 0 → 0 (h → 0).
h
h
Die Funktion f2 (x) = ax (a ∈ R) ist differenzierbar mit f20 (x) = a,
denn
f2 (x + h) − f2 (x)
a(x + h) − ax
ah
=
=
= a → a (h → 0).
h
h
h
Die Funktion f3 (x) = x2 ist differenzierbar mit f30 (x) = 2x, denn
f3 (x+h)−f3 (x)
(x + h)2 −x2
2hx+h2
=
=
= 2x + h → 2x (h → 0).
h
h
h
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
260 / 367
Differenzierbarkeit
Weitere Beispiele
Ohne Beweis geben wir hier noch einige weitere Funktionen mit ihren Ableitungen
an:
Für f1 (x) = xn (n ∈ N) gilt f10 (x) = nxn−1 .
Für f2 (x) = ex gilt f20 (x) = f2 (x) = ex .
Für f3 (x) = sin x gilt f30 (x) = cos x.
Für f4 (x) = cos x gilt f40 (x) = − sin x.
Mit Hilfe der Ableitungsdefinition bestimme man die erste Ableitung von
f (x) = x1 .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
261 / 367
Differenzierbarkeit
Beispiel für eine nicht differenzierbare Funktion
Die Funktion f (x) = |x| ist in x0 = 0 nicht differenzierbar, denn
h→0+
lim
f (0+h)−f (0)
h
= lim
h−0
h
lim
f (0+h)−f (0)
h
= lim
−h−0
h
h→0−
h→0+
h→0−
= 1, aber
= −1 6= 1.
Der Differenzenquotient besitzt also keinen Grenzwert für h → 0.
Der bei x0 = 0 auftretende „Knick“ ist typisch für Funktionen, die stetig, aber nicht
differenzierbar sind. Es ist offensichtlich, dass man in diesem Punkt keine eindeutig
bestimmte Tangente finden kann.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
262 / 367
Differenzierbarkeit
Bezug zur Stetigkeit
Satz 5.2
Ist f : Df → R in x0 ∈ Df differenzierbar, dann ist f in x0 auch stetig.
Beweisidee:
f (x) − f (x0 ) =
f (x) − f (x0 )
(x − x0 ) → 0
| {z }
x − x0
|
{z
} →0
(x → x0 ).
→f 0 (x0 )
Achtung: Wie das Beispiel f (x) = |x| zeigt, gibt es sehr wohl stetige Funktionen,
die nicht differenzierbar sind. Die Umkehrung von Satz 5.2 ist also falsch!
Differenzierbarkeit ist in diesem Sinne eine stärkere Eigenschaft als Stetigkeit.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
263 / 367
Differenzierbarkeit
Präzisierung des Linearisierungsgedankens
Wir wollen noch einmal den Bezug der Funktion f zu ihrer Tangente t nahe x0
aufgreifen. Dabei hilft folgende alternative Charakterisierung der Differenzierbarkeit:
Satz 5.3
Eine reelle Funktion f : Df → R ist genau dann in x0 ∈ Df differenzierbar, wenn
es eine Zahl a ∈ R und eine Funktion φ : Df → R gibt mit
f (x) = f (x0 ) + a(x − x0 ) + φ(x),
wobei
φ(x)
x−x0
(5.1)
→ 0 für x → x0 . In diesem Fall gilt a = f 0 (x0 ).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
264 / 367
Differenzierbarkeit
Präzisierung des Linearisierungsgedankens
Mit der Tangentenfunktion t(x) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) liest sich (5.1) für eine
differenzierbare Funktion f als
φ(x)
→ 0 für x → x0 .
x − x0
Grob gesprochen: „Funktion = Tangente + Restterm, wobei der Restterm für x →
x0 schneller als linear gegen Null geht“.
f (x) = t(x) + φ(x)
mit
Visualisierung:
t
|ϕ(x)|
f
φ(x)
Überzeugen Sie sich, dass mit x−x
→0
0
erst recht φ(x) → 0 für x → x0 gilt.
x0
x
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
265 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
266 / 367
Differentiationsregeln
Satz 5.4 (Regeln für die Ableitung)
Seien f, g : D → R differenzierbar in x0 ∈ D.
Dann sind auch cf (c ∈ R), f ± g, f g und f /g (falls g(x0 ) 6= 0) in x0
differenzierbar.
Dabei gelten folgende Regeln:
(cf )0 (x0 ) = cf 0 (x0 ),
c ∈ R,
(f ± g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) ± g 0 (x0 )
(Summenregel),
(f g)0 (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g 0 (x0 )
0
f 0 (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g 0 (x0 )
f
(x0 ) =
g
g(x0 )2
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
(Produktregel),
(Quotientenregel).
Winterersemester 2013/14
267 / 367
Differentiationsregeln
Beispiele
Finden Sie die Ableitungen von
f1 (x) = 7x2 + 4x − 8,
f2 (x) = (x + 1)ex ,
f3 (x) =
f4 (x) =
f5 (x) =
ex
x ,
1
x2 ,
1
xn für
n ∈ N, ausgehend von (xn )0 = nxn−1 .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
268 / 367
Differentiationsregeln
Kettenregel
Satz 5.5 (Kettenregel)
Ist f : Df → R in x0 ∈ Df differenzierbar und g : Dg → R in f (x0 ) ∈ Dg
differenzierbar, dann ist (g ◦ f ) ebenfalls in x0 differenzierbar mit
(g ◦ f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 )) · f 0 (x0 ).
(5.2)
Die Multiplikation mit f 0 (x0 ) in (5.2) nennt man auch „Nachdifferenzieren“.
Außerdem sind für g 0 und f 0 die Begriffe „äußere“ und „innere“ Ableitung gebräuchlich.
In Leibniz-Notation schreibt man für (5.2) mitunter kurz
Man bestimme die Ableitung von f (x) = e3x
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
2
Mathematik I
+1
dg
dx
=
dg
df
·
df
dx .
.
Winterersemester 2013/14
269 / 367
Differentiationsregeln
Ableitung der Umkehrfunktion
Satz 5.6
Die reelle Funktion f : Df → Wf sei in x0 ∈ Df differenzierbar und besitze die
Umkehrfunktion f −1 : Wf → Df . Ist f 0 (x0 ) 6= 0 und ist f −1 stetig in f (x0 ),
dann ist f −1 in f (x0 ) differenzierbar mit
(f −1 )0 (f (x0 )) =
1
1
bzw. (f −1 )0 (y0 ) = 0
für y0 = f (x0 ).
f 0 (x0 )
f (x0 )
Leibniz-Notation:
dx
1
= dy
dy
dx
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
für
y = f (x)
Mathematik I
bzw.
x = f −1 (y)
Winterersemester 2013/14
270 / 367
Differentiationsregeln
Ableitung der Umkehrfunktion, Beispiel
Für
y = f (x) = sin x,
π π
,
x∈ − ,
2 2
gilt f 0 (x) = cos x 6= 0. Desweiteren ist f −1 (y) = arcsin y stetig. Damit gilt nach
Satz 5.6:
arcsin0 (y) =
1
1
1
1
=p
=
=p
.
0
2
cos x
sin (x)
1 − y2
1 − sin x
Bestimmen Sie auf diese Weise die Ableitungen von f1 (x) = ln x und f2 (x) =
√
x.
Wie lässt sich die Ableitung einer beliebigen Potenzfunktion
f (x) = xr (x > 0, r ∈ R) bestimmen?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
271 / 367
Differentiationsregeln
Logarithmisches Differenzieren
Die Kettenregel liefert für positive differenzierbare Funktionen f die Gleichung
(ln(f (x)))0 =
f 0 (x)
f (x)
bzw.
f 0 (x) = (ln(f (x)))0 f (x).
Dieser „Trick“ erleichtert manchmal die Berechnung der Ableitung.
Beispiel: Für f (x) = xx (x > 0) gilt
(xx )0 = (ln(xx ))0 xx = (x ln x)0 xx = (1 + ln x)xx .
Man bestimme die Ableitung der Funktion f (x) =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
q
x−1
(x−2)(x−3) .
Winterersemester 2013/14
272 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
273 / 367
Ableitungen elementarer Funktionen
Mit Hilfe von Definition 5.1 und der Regeln aus Abschnitt 2 lassen sich zu vielen
gebräuchlichen Funktionen Ableitungen gewinnen.
Die folgenden Tabellen (betrifft vor allem diese Seite) sollten Sie am besten auswendig lernen.
Potenz- und Exponentialfunktionen, Logarithmen
f (x)
f 0 (x)
xr (r ∈ R)
rxr−1
ex
ex
ln x
1
x
ax (a > 0)
ax ln a
loga (x)
1
x ln a
Trigonometrische Funktionen
f (x)
f 0 (x)
sin x
cos x
cos x
− sin x
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
tan x
1
cos2 x
= 1 + tan2 x
Mathematik I
cot x
− sin12 x
Winterersemester 2013/14
274 / 367
Ableitungen elementarer Funktionen
Arkusfunktionen
f (x)
f 0 (x)
arcsin x
arccos x
1
− √1−x
2
√ 1
1−x2
arctan x
1
1+x2
arccot x
1
− 1+x
2
Hyperbelfunktionen
f (x)
f 0 (x)
sinh x
cosh x
cosh x
sinh x
tanh x
1
cosh2 x
coth x
− sinh12 x
Areafunktionen
f (x)
f 0 (x)
arsinh x
√ 1
x2 +1
arcosh x
√ 1
, x>1
x2 −1
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
artanh x
1
1−x2 , |x| < 1
Mathematik I
arcoth x
1
1−x2 , |x| > 1
Winterersemester 2013/14
275 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
276 / 367
Extrema
Definition
Mit der Differentialrechnung steht uns nun ein sehr mächtiges Instrument zur Untersuchung reeller Funktionen zur Verfügung. Wir beginnen mit etwas Begriffsbildung.
Definition 5.7 (Lokale Extrema)
Sei f : Df → R eine reelle Funktion. Ein Punkt x0 ∈ Df heißt lokales Maximum
[lokales Minimum] von f , wenn es ein > 0 gibt, so dass
f (x0 ) ≥ f (x) [f (x0 ) ≤ f (x)] für alle x ∈ Df ∩ (x0 − , x0 + ).
(5.3)
x0 heißt lokales Extremum von f , wenn x0 ein lokales Maximum oder ein lokales
Minimum von f ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
277 / 367
Extrema
Global vs. lokal
Bei einem lokalen Extremum x0 betrachtet man also nur das Verhalten der Funktion
f sehr nahe bei x0 .
Das Gegenstück sind globale Extrema, bei denen die Beziehung f (x0 ) ≥ f (x) bzw.
f (x0 ) ≤ f (x) aus (5.3) für alle x ∈ Df gelten muss.
Zeichnen Sie die Graphen der Funktionen
f : R → R, f (x) = 2 cos 2x,
g : [0, ∞) → R, g(x) =
1
1+x
cos x
(qualitativ reicht), und machen Sie sich den Unterschied zwischen „global“ und
„lokal“ auch graphisch klar.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
278 / 367
Extrema
Notwendige Bedingung
Bei differenzierbaren Funktionen ist die Suche nach lokalen Extrema eher einfach:
Satz 5.8 (Notwendige Bedingung für lokale Extrema)
Ist x0 ein lokales Extremum der differenzierbaren Funktion f : (a, b) → R, dann
gilt
f 0 (x0 ) = 0.
(5.4)
Mit Satz 5.8 kann man also die „Kandidaten“ finden, die für ein lokales Extremum
überhaupt in Frage kommen.
Nur für diese wird man dann einen konkreten Nachweis versuchen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
279 / 367
Extrema
Graphische Darstellung
t
f
x0
An einem Extremalstelle x0 besitzt die Funktion f aus Satz 5.8 eine horizontale
Tangente.
Finden Sie die Beweisidee von Satz 5.8. Betrachten Sie dafür das Vorzeichen des
Differenzenquotienten in x0 für h > 0 und h < 0.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
280 / 367
Extrema
Hinreichende Bedingung
Hat man mittels Satz 5.8 Kandidaten für lokale Extrema gefunden, prüft man häufig
folgende Bedingung:
Satz 5.9 (Hinreichende Bedingung für lokale Extrema)
Sei f : (a, b) → R zweimal differenzierbar mit f 0 (x0 ) = 0 für ein x0 ∈ (a, b). Dann
ist x0
Stelle eines lokalen Minimums, wenn f 00 (x0 ) > 0,
Stelle eines lokalen Maximums, wenn f 00 (x0 ) < 0.
Bestimmen Sie die lokalen und globalen Extrema von f (x) = x2 e−x .
Analysieren Sie das Verhalten von f (x) = xn (n = 2, 5, 6) im Hinblick auf die
Sätze 5.8 und 5.9 und das tatsächliche Auftreten von Extrema.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
281 / 367
Mittelwertsatz
Satz von Rolle
Wir fahren mit einem Ergebnis fort, das für den Anwender eher den Charakter eines
Lemmas hat, aber an vielen Stellen von zentraler Wichtigkeit ist.
Wir beginnen mit einem einfachen Spezialfall:
Satz 5.10 (von Rolle∗ )
Ist f : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar, und gilt f (a) = f (b), dann
gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit f 0 (ξ) = 0.
∗)
Michel Rolle, frz. Mathematiker, 1652-1719
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
282 / 367
Mittelwertsatz
Satz von Rolle, graphische Darstellung
f
a
ξ
b
Beweisidee:
f nimmt auf [a, b] Maximum und Minimum an. (Warum?)
Liegen Maximum und Minimum auf dem Intervallrand, so ist f (x) = 0 auf
[a, b], d,ḣ f 0 (x) = 0 für alle x ∈ (a, b)
Ansonsten gibt es ein lokales Extremum ξ ∈ (a, b). Für dieses gilt f 0 (ξ) = 0
nach Satz 5.8.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
283 / 367
Mittelwertsatz
Die Voraussetzung f (a) = f (b) = 0 kann durch folgende Modifikation entfernt
werden:
Satz 5.11 (Mittelwertsatz)
Ist f : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar, dann gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit
f 0 (ξ) =
f (b) − f (a)
.
b−a
(5.5)
Beweisidee: Anwendung des Satzes von Rolle auf
f (b) − f (a)
(x − a) .
F (x) := f (x) − f (a) +
b−a
|
{z
}
Sekante
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
284 / 367
Mittelwertsatz
Graphische Darstellung
f (b)
f
s
f (a)
a
ξ
ξ˜
b
Die Funktion nimmt an mindestens einer Zwischenstelle ξ den Anstieg der Sekante
s durch (a, f (a)) und (b, f (b)) an.
Hat ein Autofahrer, der eine Tempo-30-Zone mit durchschnittlich 38 km/h
durchfährt, eine Ordnungswidrigkeit begangen? Lässt sich ggf. der exakte Ort der
Tempoüberschreitung bestimmen?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
285 / 367
Mittelwertsatz
Monotonie
Mit dem Mittelwertsatz lässt sich sofort ein Ergebnis zur Bestimmung des Monotonieverhaltens einer differenzierbaren Funktion herleiten:
Folgerung 5.12
Sei f : [a, b] → R stetig und differenzierbar in (a,b).
Ist f 0 (x) = 0 für alle x ∈ (a, b), so ist f konstant.
Ist f 0 (x) ≥ 0 (bzw. f 0 (x) ≤ 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f monoton wachsend
(bzw. fallend).
Ist f 0 (x) > 0 (bzw. f 0 (x) < 0) für alle x ∈ (a, b), so ist f streng monoton
wachsend (bzw. fallend).
Führen Sie den Beweis für einen Punkt Ihrer Wahl aus.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
286 / 367
Mittelwertsatz
Ein altes Problem neu diskutiert
Die Funktion f (x) = x3 ist, wie in Kapitel 4 diskutiert, streng monoton
wachsend, da aus x < y immer x3 < y 3 folgt.
Versuchen Sie sich an einem Nachweis mittels Folgerung 5.12.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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287 / 367
Krümmungsverhalten
Konvex und konkav
Definition 5.13
Eine reelle Funktion f : Df → R heißt konvex [konkav] im Intervall I ⊂ Df , wenn
für alle x, y ∈ I und alle λ ∈ (0, 1)
f (λx + (1 − λ)y) ≤ λf (x) + (1 − λ)f (y)
[f (λx + (1 − λ)y) ≥ λf (x) + (1 − λ)f (y)]
(5.6)
gilt.
Veranschaulichung: Die Sekante durch (x, f (x)) und (y, f (y)) verläuft in [x, y]
oberhalb [unterhalb] des Graphen von f .
Machen Sie sich klar, warum diese Veranschaulichung korrekt ist.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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288 / 367
Krümmungsverhalten
Konvex und konkav, graphische Darstellung
Bild einer konvexen (links) und einer konkaven Funktion (rechts).
Die bei Bewegung “von links nach rechts“ auftretende Links- und Rechtskrümmung
ist typisch; insbesondere wenn in (5.6) die strengen Ungleichungsrelationen gelten.
Finden Sie ein Beispiel für eine auf R konvexe [konkave] Funktion.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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289 / 367
Krümmungsverhalten
Zusammenhang mit Ableitungen
Wie folgende Sätze zeigen, wird die Untersuchung der Krümmung leichter, wenn
man Ableitungen zur Verfügung hat.
Satz 5.14
Ist die Funktion f : (a, b) → R differenzierbar, so definieren wir für jedes z ∈ (a, b)
die „Tangentenfunktion“
tz : x 7→ f (z) + f 0 (z)(x − z).
f ist in (a, b) genau dann konvex [konkav], wenn
f (x) ≥ tz (x)
[f (x) ≤ tz (x)]
für alle z ∈ (a, b) und alle x ∈ (a, b) gilt.
Vereinfacht: Jede Tangente an f verläuft unterhalb [oberhalb] des Graphen von f .
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290 / 367
Krümmungsverhalten
Zusammenhang mit Ableitungen
Satz 5.15
Ist die Funktion f : (a, b) → R differenzierbar, dann ist f genau dann konvex
[konkav] in (a, b), wenn f 0 in (a, b) monoton wachsend [fallend] ist.
Ist f zweimal differenzierbar, dann ist f in (a, b) genau dann konvex [konkav],
wenn
f 00 (x) ≥ 0 [f 00 (x) ≤ 0]
für alle x ∈ (a, b) gilt.
Untersuchen Sie das Krümmungsverhalten der Funktionen f1 (x) = xn (n ∈ N),
f2 (x) = ex , f3 (x) = ln x und f4 (x) = sin x mit Hilfe von Satz 5.15.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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291 / 367
Krümmungsverhalten
Zusammenhang mit Ableitungen, graphische Darstellung
f
f
tz
z
Situation der Sätze 5.14 und 5.15 am Beispiel einer konvexen (links) und einer
konkaven Funktion (rechts).
Machen Sie sich die Aussagen von Satz 5.14 und 5.15 noch einmal anhand der
Bilder plausibel.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
292 / 367
Krümmungsverhalten
Wende- und Sattelpunkt
Definition 5.16 (Wende- und Sattelpunkt)
Ein Punkt (x0 , f (x0 )) des Graphen, an dem sich das Krümmungsverhalten einer
Funktion f ändert, heißt Wendepunkt von f . Die Stelle x0 heißt Wendestelle.
Die Tangente in einem Wendepunkt heißt Wendetangente. Einen Wendepunkt mit
horizontaler Tangente nennt man auch Sattelpunkt.
Ig(x) = x3 mit Sattelpunkt
Winterersemester(0,
2013/14
f (x) = sin x mit Wendepunkt (0,Mathematik
0)
0)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
293 / 367
Krümmungsverhalten
Wende- und Sattelpunkt
Ist Differenzierbarkeit gegeben, ist die Bestimmung von Wendepunkten wieder einfacher:
Satz 5.17
Ist f : (a, b) → R zweimal differenzierbar und (x0 , f (x0 )) ein Wendepunkt von f ,
dann ist f 00 (x0 ) = 0.
Ist f : (a, b) → R dreimal differenzierbar und gilt für ein x0 ∈ (a, b) sowohl
f 00 (x0 ) = 0 als auch f 000 (x0 ) 6= 0, dann ist (x0 , f (x0 )) ein Wendepunkt von f .
Man bestätige das Vorliegen eines Wende-/Sattelpunkts in den Beispielen von
Folie 293 mit Hilfe von Satz 5.17.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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294 / 367
Krümmungsverhalten
Wende- und Sattelpunkt, zusammenfassende graphische Darstellung
3
konvex
konkav
2
f’
1
f’’
0
f
−1
−2
−3
0
monoton
wachsend
1
monoton
wachsend
monoton
fallend
2
3
4
5
Dargestellt ist eine Funktion f , ihre Ableitungen f 0 und f 00 , sowie die resultierenden
Monotonie- und Krümmungsbereiche.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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295 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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296 / 367
Verschiedene Anwendungen
Kurvendiskussion
Eine Kurvendiskussion setzt sich aus den folgenden Teilaufgaben zusammen:
Definitionsbereich. Auf welcher (möglichst großen) Menge Df ist die
Funktion f definiert?
Wertebereich. Welche Werte kann f (x) (x ∈ Df ) annehmen?
Symmetrien. Ist f gerade oder ungerade?
Nullstellen. Löse f (x) = 0.
Extrema. Bestimme die Lösungen xE von f 0 (x) = 0. Ist
f 00 (xE ) > 0, dann ist (xE , f (xE )) ein lokales Minimum von f . Ist
f 00 (xE ) < 0, dann ist (xE , f (xE )) ein lokales Maximum von f .
Wendepunkte. Bestimme die Lösungen xW von f 00 (x) = 0. Ist
f 000 (xW ) 6= 0, dann ist (xW , f (xW )) ein Wendepunkt von f .
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297 / 367
Verschiedene Anwendungen
Kurvendiskussion
Verhalten an Polstellen. Ist f eine rationale Funktion, bestimme die Pole
xP von f (Nullstellen des Nennerpolynoms) und berechne lim f (x) sowie
x→xP −
lim f (x).
x→xP +
Verhalten im Unendlichen. Berechne lim f (x) sowie
x→∞
lim f (x).
x→−∞
Monotoniebereiche. Untersuche Vorzeichen von f 0 (x).
Krümmungsverhalten. Untersuche Vorzeichen von f 00 (x).
Graphische Darstellung.
2
Führen Sie eine Kurvendiskussion für f (x) = e−x durch. Erinnern Sie sich an
einen Geldschein, auf dem der Funktionsgraph zu finden war?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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298 / 367
Verschiedene Anwendungen
Newton-Verfahren
In Abschnitt 5.3 hatten wir das Intervallhalbierungsverfahren zur Lösung von Gleichungen der Form
f (x) = 0
(5.7)
kennengelernt.
Mit dem Newton-Verfahren behandeln wir nun ein Verfahren für differenzierbare
Funktionen f , welches im Allgemeinen wesentlich schneller ist.
Ziel ist die Bestimmung einer Lösung x∗ von (5.7) – ausgehend von einem Startwert
x0 , der möglichst in der Nähe von x∗ liegt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
299 / 367
Verschiedene Anwendungen
Newton-Verfahren: Idee
f
x0
x1
x2
x∗
Man berechnet im n-ten Schritt die Nullstelle xn der Tangente t an f in xn−1 .
Diese wird als neue Näherung für x∗ verwendet.
Natürlich wird man zu Beginn einen Startwert x0 wählen müssen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
300 / 367
Verschiedene Anwendungen
Newton-Verfahren: Herleitung der Verfahrensvorschrift
f
t
xn−1
xn
x∗
Wir stellen die Bedingung
!
t(xn ) = f (xn−1 ) + f 0 (xn−1 )(xn − xn−1 ) = 0.
Umstellen nach xn führt auf die Verfahrensvorschrift des Newton-Verfahrens:
xn = xn−1 −
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
f (xn−1 )
f 0 (xn−1 )
Mathematik I
(n = 1, 2, . . .).
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(5.8)
301 / 367
Verschiedene Anwendungen
Newton-Verfahren: Numerisches Experiment
Für das Beispiel f (x) = x + ex aus Abschnitt 5.3 liefert (5.8) die Vorschrift
xn = xn−1 −
xn−1 + exn−1
.
1 + exn−1
Ausgehend vom Startwert x0 = 0 liefert Matlab folgende Werte:
n
1
2
3
4
5
xn
−0.500000000000000
−0.566311003197218
−0.567143165034862
−0.567143290409781
−0.567143290409784
|f (xn )|
1.06 · 10−1
1.30 · 10−3
1.96 · 10−7
4.55 · 10−15
1.11 · 10−16
Für 14 Nachkommastellen benötigt man gerade 4 Schritte. Das Intervallhalbierungsverfahren hätte dagegen 48 Schritte gebraucht!
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
302 / 367
Verschiedene Anwendungen
Newton-Verfahren: Konvergenzeigenschaften
Wenn das Newton-Verfahren konvergiert, dann wesentlich schneller als das Intervallhalbierungsverfahren (Faustformel: in jedem Schritt Verdopplung der Anzahl
korrekter Dezimalstellen).
Voraussetzung für Konvergenz ist aber, dass der Startwert x0 „genügend nahe“ bei
x∗ liegt („lokal konvergentes Verfahren“).
Ist f : R → R dagegen zweimal stetig differenzierbar (d.h. f 00 ist stetig) sowie
konvex, und besitzt f eine reelle Nullstelle, so konvergiert die Newton–Folge für
jeden Startwert x0 mit f 0 (x0 ) 6= 0.
Man mache sich die letzten beiden Aussagen an den Beispielen f1 (x) = x2 − 1
und f2 (x) = x2 e−x graphisch klar.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
303 / 367
Verschiedene Anwendungen
Die Regeln von Bernoulli und de l’Hospital
f (x)
x→ξ g(x)
Bei der Berechnung von Grenzwerten der Form lim
unbestimmten Ausdrücken wie
„ 00 “
oder
„∞
∞“
waren wir bei
auf Probleme gestoßen.
Solche Probleme werden häufig leichter, wenn Differenzierbarkeit gegeben ist.
Das betreffende Ergebnis wurde von Johann Bernoulli (1667-1748, links) entwickelt, und vom Marquis de l’Hospital (1661-1704, rechts) im ersten Lehrbuch der
Differentialrechnung (1696) veröffentlicht.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
304 / 367
Verschiedene Anwendungen
Die Regeln von Bernoulli und de l’Hospital
Satz 5.18 (De l’Hospital-Regel)
Seien f, g : (a, b) → R differenzierbare Funktionen mit g 0 (x) 6= 0 für alle x ∈ (a, b)
und sei entweder
lim f (x) = lim g(x) = 0 oder
x→b−
x→b−
lim f (x) = lim g(x) = ±∞
x→b−
x→b−
Dann gilt
f (x)
f 0 (x)
= lim 0
,
x→b− g(x)
x→b− g (x)
lim
wenn der zweite Grenzwert existiert. Hierbei ist b = ∞ erlaubt.
Entsprechende Aussagen gelten für rechtsseitige und beidseitige Grenzwerte.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
305 / 367
Verschiedene Anwendungen
Plausibilitätsargument zu Satz 5.18
Nahe einer Stelle x0 mit f (x0 ) = g(x0 ) = 0 gilt f (x) ≈ f 0 (x0 )(x − x0 ) und
0
(x)
(x0 )
g(x) ≈ g 0 (x0 )(x − x0 ). Damit also fg(x)
≈ fg0 (x
.
0)
Beispiele
lim
x→0
sin x
x
= lim
x→0
x3
lim
x→−∞exp(−x)
cos x
1
= 1,
3x2
x→−∞− exp(−x)
= lim
6x
x→−∞exp(−x)
= lim
x−sin(x)
x→0 x sin(x)
Man berechne die Grenzwerte lim
6
x→−∞− exp(−x)
= lim
und lim
x→∞
eαx
x
für α > 0.
Wie kann man aus letzterem einem Aussage über limx→∞
gewinnen?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
= 0.
eαx
xβ
für α, β > 0
Winterersemester 2013/14
306 / 367
Verschiedene Anwendungen
Anmerkung zur l’Hospital-Regel
Die Bedeutung der l’Hospitalschen Regeln wird vom Anfänger oft überschätzt und
endet in nervenaufreibenden Rechnungen ohne Ergebnis.
Betrachten Sie dazu zum Beispiel
ex − e−x
lim x
x→∞ e + e−x
1 − e−2x
= lim
=1 .
x→∞ 1 + e−2x
Häufig ist es günstiger, bei der Grenzwertberechnung für unbestimmte Ausdrücke
∞
“ auf Potenzreihen zurückzugreifen.
wie „ 00 “ oder „ ∞
Doch diese Betrachtungen verschieben wir auf später.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
307 / 367
Verschiedene Anwendungen
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Wir kommen noch einmal auf die Leibniz-Schreibweise
y 0 (x0 ) =
dy
(x0 )
dx
zurück und wollen die Ausdrücke dx und dy näher fassen.
Definition 5.19 (Totales Differential)
Sei f : Df → R eine in x0 differenzierbare Funktion. Für eine beliebige Zahl
dx = x − x0 heißt
dy := f 0 (x0 ) dx = f 0 (x0 )(x − x0 )
totales Differential von f bei x0 .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
308 / 367
Verschiedene Anwendungen
Totales Differential: geometrische Deutung
f (x)
f (x0)
dx
x0
dy
∆y
f
x
dy ist die Änderung der Funktionswerte der Tangente bei Änderung des Arguments
um dx.
Idee für Fehlerfortpflanzung
Approximiert man f nahe x0 durch die Tangente, so gilt näherungsweise
f (x) − f (x0 ) =: ∆y ≈ dy = f 0 (x0 ) dx.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
309 / 367
Verschiedene Anwendungen
Totales Differential: Praktische Anwendung
In Experimenten ist häufig der Einfluss des Fehlers ∆x einer Messgröße x auf den
Fehler ∆y einer berechneten Zielgröße y = f (x) von Interesse.
Mit dem totalen Differential und der eben beschriebenen Idee ergibt sich die Näherungsformel
|∆y| ≈ |f 0 (x)| · |∆x|.
Durch Messung der Parallaxe p eines Fixsterns (in 00 ) lässt sich mittels
r(p) = 1/p
der Abstand des Sterns zu Erde errechnen (in Pc; 1 Pc ≈ 3.262 ly). Die erste
Parallaxe wurde 1838 am Stern 61 Cyg von F. W. Bessel mit
p = (0.3483 ± 0.0095)00 gemessen.
Welcher Abstand zur Erde ergibt sich? Wie genau ist das Ergebnis?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
310 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
Differentialrechnung in einer Variablen
5.1 Differenzierbarkeit
5.2 Differentiationsregeln
5.3 Ableitungen elementarer Funktionen
5.4 Extrema, Wachstum und Krümmung differenzierbarer Funktionen
5.5 Verschiedene Anwendungen
5
Kurvendiskussion
Newton-Verfahren
Die Regel von de l’Hospital
Totales Differential und Fehlerfortpflanzung
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
311 / 367
Verschiedene Anwendungen
Der Satz von Taylor
Mit der ersten Ableitung waren wir in der Lage, Funktionen nahe einer Stelle x0
linear zu approximieren.
Statt linearer Funktionen kann man auch Polynome höherer Ordnung verwenden
und damit ggf. noch bessere Ergebnisse erreichen.
Der betreffende Satz trägt den Namen des englischen Mathematikers Brook Taylor
(1685-1731).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
312 / 367
Verschiedene Anwendungen
Der Satz von Taylor: Illustration der Idee am Beispiel
Die Funktion f (x) = cos x (blau) lässt sich nahe x0 = 0 durch die Tangente
t(x) = 1 approximieren (grün).
Besser ist jedoch die Approximation durch T2 (x) = 1 − 12 x2 (rot).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
313 / 367
Verschiedene Anwendungen
Der Satz von Taylor
Satz 5.20 (Satz von Taylor)
Sei f : I → R eine auf dem offenen Intervall I (n + 1)-mal differenzierbare
Funktion; x0 , x ∈ I. Dann gibt es eine Zahl ξ zwischen x und x0 , so dass
f (x) = Tn (x) + Rn (x)
mit dem Taylor-Polynom n-ter Ordnung
Tn (x)
=
n
X
f (k) (x0 )
(x − x0 )k
k!
k=0
=
f (x0 )+f 0 (x0 )(x − x0 )+
f 00 (x0 )
f (n) (x0 )
(x − x0 )2 +. . .+
(x − x0 )n
2
n!
und dem Lagrangeschen Restglied
Rn (x) =
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
f (n+1) (ξ)
(x − x0 )n+1 .
(n + 1)!
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
314 / 367
Verschiedene Anwendungen
Der Satz von Taylor: Beispiel
Für f (x) = sin x und x0 = 0 gilt
f 0 (x) = cos x,
f 00 (x) = − sin x,
f 000 (x) = − cos x,
f (4) = f,
f (5) = f 0 , . . .
Somit ergibt sich
f (x0 ) = 0, f 0 (x0 ) = 1, f 00 (x0 ) = 0, f 000 (x0 ) = −1, f (4) (x0 ) = 0, . . .
Die ersten 6 Taylor-Polynome lauten also
T1 (x) = 0 + 1(x − 0) = x,
T2 (x) = 0 + 1(x − 0) + 20 (x − 0)2 = x,
T3 (x) = 0 + 1(x − 0) + 20 (x − 0)2 − 16 (x − 0)3 = x − 16 x3 ,
T4 (x) = x − 16 x3 ,
T5 (x) = T6 (x) = x − 16 x3 +
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
1
5
120 x .
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
315 / 367
Verschiedene Anwendungen
Der Satz von Taylor: Bild zum Beispiel
f (x) = sin x (blau) mit den Taylorpolynomen T1 (x) = T2 (x) (grün), T3 (x) = T4 (x)
(rot) und T5 (x) = T6 (x) (türkis) im Entwicklungspunkt x0 = 0.
der “Physiker-Näherung“ sin x ≈ x (|x|
Schätzen Sie den relativen Fehler sinsinx−x
x
klein) für |x| < 0.1 mit dem Lagrangeschen Restglied ab.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
316 / 367
Verschiedene Anwendungen
Taylor-Reihen
Verhält sich das Restglied „gutartig“, so approximieren die Taylorpolynome Tn die
Funktion f mit größer werdendem n nahe x0 immer besser.
Im günstigsten Fall lässt sich f in einer Umgebung von x0 durch eine Taylor-Reihe
darstellen:
f (x) =
∞
X
f (n) (x0 )
(x − x0 )n
n!
n=0
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
für alle x mit |x − x0 | < ε.
Winterersemester 2013/14
317 / 367
Verschiedene Anwendungen
Taylor-Reihen
Wichtige Taylor–Reihen:
(1 − x)−1
exp(x)
sin(x)
cos(x)
ln(1 + x)
∞
X
n=0
∞
X
n=0
∞
X
n=0
∞
X
n=0
∞
X
n=1
mit
a
0
:= 1 und
xn
|x| < 1
arctan(x)
xn
n!
x∈R
sinh(x)
(−1)n x2n+1
(2n + 1)!
x∈R
(−1)n x2n
(2n)!
x∈R
(−1)n+1 xn
n
x ∈ (−1, 1]
a
n
:=
a(a−1)···(a−n+1)
n!
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
cosh(x)
artanh(x)
(1 + x)a
∞
X
(−1)n x2n+1
2n + 1
n=0
∞
X
n=0
∞
X
n=0
∞
X
x2n+1
(2n + 1)!
x∈R
x2n
(2n)!
x∈R
x2n+1
2n + 1
|x| < 1
a n
x
n
|x| < 1
n=0
∞ X
n=0
|x| ≤ 1
für alle n ∈ N und alle a ∈ R.
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
318 / 367
Verschiedene Anwendungen
Taylor-Reihen
Warnung Es soll aber vor dem Trugschluss gewarnt werden, der Satz von Taylor
garantiere die Entwickelbarkeit jeder unendlich oft differenzierbaren Funktion in eine
Taylor-Reihe. Vielmehr gilt:
Es gibt Fälle, in denen die Taylor-Reihe für x 6= x0 überhaupt nicht
konvergiert.
Es gibt Fälle, in denen die Taylor-Reihe für x 6= x0 konvergiert, aber mit der
eigentlichen Funktion f nichts zu tun hat.
Zum Beispiel gilt für
f (x) =
1
e − x2 ,
0,
x 6= 0;
x=0
die Beziehung Tn (x) = 0 für alle n ∈ N.
Informationen über die Konvergenz erhält man mit Hilfe des Restglieds. Dies soll
hier aber nicht weiter diskutiert werden.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
319 / 367
Ziele erreicht?
Sie sollten nun (bzw. nach Abschluss der Übungen/Selbststudium):
den Ableitungsbegriff und die Idee der linearen Approximation tiefgreifend
verstanden haben,
Funktionen sicher auf Differenzierbarkeit untersuchen und deren Ableitung
mit Diffenzenquotient oder Ableitungsregeln sicher bestimmen können,
alle Punkte einer Kurvendiskussion sicher ausführen können,
Taylor-Polynome sicher berechnen können und wissen was man unter einer
Taylor-Reihe versteht,
über Newton-Verfahren und Fehlerfortpflanzung grob Bescheid wissen.
Sie sind sich nicht sicher oder meinen „nein“? Sie wissen schon. . .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
320 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
6
Integralrechnung in einer Variablen
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
321 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
Integralrechnung in einer Variablen
6.1 Der Riemannsche Integralbegriff
6.2 Integrationstechniken
6
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
322 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Die Integralrechnung bildet das Gegenstück zur Differentialrechnung.
Sie wurde parallel zu dieser von I. Newton und G. W. v. Leibniz entwickelt und später
von A. L. Cauchy präzise gefasst.
Der hier vorgestellte Integralbegriff geht (zumindest sinngemäß) auf den deutschen
Mathematiker Bernhard Riemann (1826-1866) zurück.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
323 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Motivierende Problemstellung
Gesucht ist der Flächeninhalt zwischen dem Graphen einer beschränkten Funktion
f : [a, b] → R und der x-Achse:
f
a
b
Im Allgemeinen ist die Fläche krummlinig begrenzt; Formeln für elementare geometrische Objekte scheiden also zur Lösung aus.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
324 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Lösungsstrategie
Das Problem ist einfach für stückweise konstante Funktionen, da sich dann der
Flächeninhalt aus Rechtecken zusammensetzt.
Daher schachtelt man die Fläche unter dem Graphen von f von oben und unten
mit Rechteckflächen ein und gewinnt so obere und untere Schranken.
Können sich die grauen und grünen Rechteckflächen von oben und unten beliebig
weit derselben Schranke nähern, so ist diese die gesuchte Fläche.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
325 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Integral für Treppenfunktionen
Wir beschreiben diesen Zugang nun mathematisch exakt.
Definition 6.1
Wir nennen t : [a, b] → R eine Treppenfunktion, wenn es eine Zerlegung
a = x0 < x1 < x2 < · · · < xn = b
des Intervalls [a, b] gibt, so dass t auf jedem der (offenen) Teilintervalle (xi , xi+1 )
konstant ist, d. h.
t(x) = ξi
für alle x mit
xi < x < xi+1 .
Für eine solche Treppenfunktion t setzt man
Z b
n−1
X
t(x) dx :=
ξi (xi+1 − xi ).
a
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
i=0
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
326 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Geometrische Interpretation
ξ2
ξ1
x0
x1
+
+
ξ3 ξ5
x4
+
x2 x3
−
ξ4
−
+
x5 x6
ξ0
Rb
t(x) dx entspricht dem gewichteten Flächeninhalt zwischen dem Graph von t
a
und der x-Achse. Dabei werden Flächen oberhalb der x–Achse positiv, Flächen
unterhalb der x-Achse negativ gezählt.
Berechnen Sie
R1
−2
sgn(x) dx (vgl. S. 195).
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
327 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Ober- und Unterintegral
Zu jeder beschränkten Funktion f : [a, b] → R können wir nun zwei Zahlen definieren, nämlich das Oberintegral
(Z
)
b
I¯f := inf
t(x) dx : t Treppenfunktion auf [a, b] mit t ≥ f
a
und das Unterintegral
(Z
I f := sup
a
b
t(x) dx : t Treppenfunktion auf [a, b] mit t ≤ f
)
.
Diese beiden Größen helfen uns, die „Einschachtelung“ der Fläche unter dem Graphen von f mit Rechteckflächen mathematisch zu erfassen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
328 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Definition
Definition 6.2 (Riemann-Integral)
Eine auf [a, b] beschränkte Funktion f heißt auf [a, b] Riemann-integrierbar, falls
das Ober- und das Unterintegral übereinstimmen, d. h. falls I¯f = I f =: I.
Der gemeinsame Wert wird bestimmtes Riemann-Integral von f über [a, b]
genannt und mit
Z b
f (x) dx
a
bezeichnet. a heißt untere und b obere Integrationsgrenze, und [a, b] wird
Integrationsintervall genannt. x heißt Integrationsvariable und f (x) Integrand.
Konventionen
Ra
a
f (x) dx := 0 und
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Ra
b
f (x) dx := −
Mathematik I
Rb
a
f (x) dx (falls a < b).
Winterersemester 2013/14
329 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Rechenregeln I
Definition 6.2 liefert zwar kaum Anhaltspunkte für die konkrete Berechnung von
Integralen, aber bereits einige Rechenregeln:
Satz 6.3 (Rechenregeln für die Integration I)
Sind f, g : [a, b] → R integrierbar, so auch max{f, g}, min{f, g}, |f |, f ± g und
f g.
Es gelten die folgenden Integrationsregeln:
Z b
Z b
Z
f (x) dx ±
(f ± g)(x) dx =
a
Z
b
(λf )(x) dx = λ
a
Z
a
b
b
g(x) dx,
a
f (x) dx
a
für alle λ ∈ R.
Machen Sie sich eine der Formeln zumindest für Treppen- funktionen klar. (Die
„Vererbung“ der Eigenschaften an integrierbare Funktionen soll hier nicht
diskutiert werden.)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
330 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Rechenregeln II
Satz 6.4 (Rechenregeln für die Integration II)
Seien f, g : [a, b] → R integrierbar. Dann gilt
Z b
Z c
Z
f (x) dx =
f (x) dx +
a
a
b
f (x) dx für alle c ∈ (a, b).
c
Falls f ≤ g auf (a, b) gilt, so folgt
Z
a
b
f (x) dx ≤
Z
b
g(x) dx.
a
Insbesondere folgt aus c ≤ f (x) bzw. f (x) ≤ C für alle x ∈ (a, b) :
Z b
Z b
f (x) dx bzw.
f (x) dx ≤ C(b − a).
c(b − a) ≤
a
Außerdem gilt
a
Z
Z
b
b
f (x) dx ≤
|f (x)| dx.
a
a
Interpretieren Sie einige dieser Aussagen geometrisch.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
331 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Klassen integrierbarer Funktionen
Satz 6.5
Ist f auf [a, b] stetig oder monoton, so ist f auch integrierbar auf [a, b].
Natürlich gehört aber bei weitem nicht jede auf [a, b] integrierbare Funktion in eine
dieser beiden Klassen.
Aus dem Zwischenwertsatz für stetige Funktionen folgt desweiteren:
Satz 6.6 (Mittelwertsatz der Integralrechnung)
Ist f : [a, b] → R stetig, dann gibt es ein ξ ∈ [a, b] mit
Z b
f (x) dx = f (ξ) (b − a).
a
Interpretieren Sie diese Aussage geometrisch.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
332 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Stammfunktionen und der HDI
Bislang haben sind wir noch gar nicht darauf eingegangen, wie man denn Integrale
konkret berechnet.
Dazu benötigen wir den Begriff der Stammfunktion sowie den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung.
Letzterer besagt, dass das Integrieren – unter gewissen Voraussetzungen und sehr
grob gesprochen – die „Umkehrung“des Differenzierens ist.
Das Ergebnis ist so berühmt und wichtig, dass es sogar eine Vertonung als Kantate
gibt.2
2 (F. Wille, 1935-1992). Eine schöne Aufführung von Würzburger Gymnasiasten inclusive
animierter Skizzen finden Sie unter http://www.youtube.com/watch?v=4n6aB4aasyg.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
333 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Stammfunktionen
Definition 6.7
Sei f : [a, b] → R eine reelle Funktion. Man nennt eine differenzierbare Funktion
F : [a, b] → R eine Stammfunktion von f , wenn
F 0 (x) = f (x)
für alle x ∈ [a, b].
Beispiel: F (x) = x2 ist Stammfunktion von f (x) = 2x, denn F 0 = f .
Können Sie Stammfunktionen zu f (x) = ex und g(x) = cos x finden? Vielleicht
sogar mehrere?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
334 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Integrationskonstanten und unbestimmtes Integral
Sind F1 und F2 Stammfunktionen von f , dann gibt es eine Konstante c ∈ R mit
F1 (x) = F2 (x) + c
für alle x ∈ [a, b].
(Warum?) Stammfunktionen sind also bis auf Konstanten eindeutig bestimmt.
Stammfunktionen werden auch unbestimmte Integrale genannt und häufig in der
Form
Z
F (x) = f (x) dx + c
geschrieben. Die Konstante c heißt Integrationskonstante.
Was
verstehen wir also unter den unbestimmten Integralen
R
cos x dx?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
R
ex dx und
Winterersemester 2013/14
335 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Hauptsatz I
Zu stetigen Funktionen erhält man eine Stammfunktion wie folgt:
Satz 6.8 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, Teil I)
Sei f : [a, b] → R stetig, dann ist die durch
F : [a, b] → R,
x 7→
Z
x
f (s) ds
a
definierte Funktion F in [a, b] differenzierbar, und es gilt
Z x
d
f (s) ds = f (x).
F 0 (x) =
dx
a
Sämtliche Stammfunktionen einer stetigen Funktionen sind konsequenterweise von
der Bauart
Z x
F (x) =
f (s) ds + c.
(6.1)
a
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
336 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Graphische Darstellung
f
f (x)
F (x)
a
x
b
Dargestellt ist eine stetige Funktion f und ihre Stammfunktion F als Maß der
schraffierten Fläche gemäß Satz 6.8.
Erarbeiten Sie sich die Beweisidee anhand der Skizze selbst. Nutzen Sie ggf. auch
die Literatur oder die Hauptsatzkantate.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
337 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Stammfunktionen spezieller Funktionen
Wegen der Beziehung F 0 = f liegt für die Bestimmung von Stammfunktionen
zunächst das „Rückwärtslesen“ der Tabellen für Ableitungen (S. 274 f.) nahe.
Lernen Sie am besten folgende Stammfunktionen elementarer Funktionen auswendig:
f
xn
1/x
eax
ln x
sin x
cos x
F
xn+1 /(n + 1)
ln |x|
eax /a
x ln x − x
− cos x
sin x
Bemerkungen
n 6= −1
x 6= 0
a 6= 0
x>0
Prüfen Sie die Beispiele auf ihre Richtigkeit.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
338 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Regeln für Stammfunktionen
Aus den Regeln für Ableitungen ergeben sich schließlich folgende Regeln für Stammfunktionen (bis auf Integrationskonstanten):
R
R
R
f (x) dx (λ ∈ R),
R
R
(f (x) + g(x)) dx = f (x) dx + g(x) dx.
λf (x) dx = λ
Es ist anzumerken, dass die Berechnung von Stammfunktionen im Allgemeinen
viel schwieriger ist als Differenzieren. Daher gibt es z. T. Hunderte Seiten dicke
Integraltafeln.
Deren Bedeutung hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten mit der Verfügbarkeit von PC und numerischen Verfahren deutlich relativiert.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
339 / 367
Der Riemannsche Integralbegriff
Hauptsatz II
Kommen wir nun zur konkreten Berechnung der Integrale über Stammfunktionen:
Satz 6.9 (HDI, Teil II)
Sei f : [a, b] → R stetig und F eine (beliebige) Stammfunktion von f , dann gilt:
Z
b
a
b
f (x) dx = F (x)a := F (b) − F (a).
Man mache sich klar, warum Satz 6.9 aus (6.1) und Satz 6.8 folgt.
Man berechne
Man berechne
R2
1
d
dx
dx
x
Rx
mit Hilfe von Satz 6.9.
−1
te2t dt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
340 / 367
Inhalt
1
Vorbemerkungen
1
Grundlagen
3
Folgen und Reihen
4
Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
5
Differentialrechnung in einer Variablen
Integralrechnung in einer Variablen
6.1 Der Riemannsche Integralbegriff
6.2 Integrationstechniken
6
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
341 / 367
Integrationstechniken
Partielle Integration
Wir nennen eine Funktion f : Df → R stetig differenzierbar, wenn sie auf Df
differenzierbar, und die Ableitung f 0 stetig ist.
Wir wollen hier wenigstens einige elementare Techniken zur Bestimmung von Integralen/Stammfunktionen behandeln. Der folgende Satz entsteht z. B. durch „Integrieren“ der Produktregel:
Satz 6.10 (Partielle Integration)
Seien f, g : [a, b] → R stetig differenzierbar. Dann gelten:
Z
Z
f 0 (x)g(x) dx = f (x)g(x) − f (x)g 0 (x) dx
und
Z
a
b
b Z
f (x)g(x) dx = f (x)g(x) −
0
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
a
Mathematik I
(6.2)
b
f (x)g 0 (x) dx.
(6.3)
a
Winterersemester 2013/14
342 / 367
Integrationstechniken
Beispiel:
Z
x
x
xe dx = xe −
Z
ex dx = (x − 1)ex + c.
Hierbei wurde in (6.2) f 0 (x) = ex und g(x) = x gewählt, d. h. f (x) = ex und
g 0 (x) = 1.
Das Beispiel ist typisch: Bei Produkten von Polynomen mit trigonometrischen Funktionen (sin, cos, exp) ist die partielle Integration Mittel der Wahl.
Man berechne folgende Integrale mittels partieller Integration:
Rπ
x sin x dx,
0
R
ln x dx,
R
cos2 x dx.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
343 / 367
Integrationstechniken
Durch „Integrieren“ der Kettenregel entsteht folgender Satz:
Satz 6.11 (Substitutionsregel)
Sei I ⊂ R ein Intervall, f : I → R stetig und ϕ : [a, b] → I stetig differenzierbar.
Dann gelten:
Z
Z
0
f (ϕ(t)) ϕ (t) dt = f (x) dx
(6.4)
und
Z
a
b
0
f (ϕ(t)) ϕ (t) dt =
Z
ϕ(b)
f (x) dx.
(6.5)
ϕ(a)
Die Formeln (6.4) und (6.5) merken sich besonders gut in Leibniz-Notation, wenn
man x = ϕ(t) und dx = ϕ0 (t) dt setzt.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
344 / 367
Integrationstechniken
Beispiele
Substituiert man in
Z
2
1
x = ϕ(t) = ln t, so gilt ϕ0 (t) =
Z
1
2
cos(ln t)
dx =
t
Z
0
1
t
ln 2
cos(ln(t))
dt
t
und daher mit (6.5):
ln 2
cos x dx = sin x = sin(ln 2) ≈ 0.639.
0
In Leibniz-Notation würde man x = ln t schreiben und
„umformen“. Einsetzen ins Integral liefert dann ebenso
Z
1
2
cos(ln t)
dt =
t
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Z
0
ln 2
dx
dt
=
1
t
in dt = t dx
cos x
tC dx = . . . = sin(ln 2).
tC
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
345 / 367
Integrationstechniken
Beispiele
Entscheidend ist das Erkennen der Struktur f (ϕ(t))ϕ0 (t). Haben Sie diese Struktur
einmal erfasst, führt die Substitution auch zum Ziel.
Zusätzliche Konstanten im Integranden sind wegen der Linearität des Integrals unproblematisch.
Besonders einfach sind Integranden der Form f (at + b). Kennt man eine Stammfunktion von f , führt die Substitution x = at + b zum Ziel.
Berechnen Sie
R
tet
2
+1
dt und
R1
0
√ 1
3t+1
dt.
Welche Substitutionen sind in folgenden Integralen zweckmäßig:
Z
sin(2t−5) dt,
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Z
t
cos(t2 +4) dt,
17
Mathematik I
Z
√
t
e1+
√
t
dt,
Z
t2
dt
?
+ 2t + 2
Winterersemester 2013/14
346 / 367
Integrationstechniken
Beispiele
Für eine invertierbare Funktion ϕ liefert (6.5) desweiteren
Z
b
f (x) dx =
Z
ϕ−1 (b)
f (ϕ(t)) ϕ0 (t) dt.
ϕ−1 (a)
a
Auch dies lässt sich geschickt nutzen. Mit x = ϕ(t) = sin t erhält man für −1 ≤
a < b ≤ 1 zum Beispiel
Z
a
b
p
1 − x2 dx =
arcsin
Z b
arcsin a
p
2
1 − sin t cos t dt =
arcsin
Z b
cos2 t dt.
arcsin a
Das letztere Integral hatten wir bereits auf S. 343 ausgewertet. Es ergibt sich
Z
a
b
p
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
1 − x2 dx =
arcsin b
1
(x + sin x cos x)
.
2
arcsin a
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
347 / 367
Integrationstechniken
Weitere nützliche Regeln
Seien f : [a, b] → R stetig differenzierbar, r ∈ R (r 6= −1) und
f r auf [a, b] definiert. Dann gilt
Z
1
(f (x))r+1 + c.
f 0 (x)(f (x))r dx =
r+1
Sei f : [a, b] → R stetig differenzierbar mit f (x) 6= 0 für alle x ∈ [a, b]. Dann
gilt
Z 0
f (x)
dx = ln(|f (x)|) + c.
f (x)
Machen Sie sich die beiden Aussagen mit Hilfe geeigneter Substitutionen klar.
Berechnen Sie
R
sin3 (x) cos(x) dx und
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
R3
dx
.
2 x ln(x)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
348 / 367
Integrationstechniken
Integration rationaler Funktionen
Erinnerung: Rationale Funktionen sind von der Form
f (x) =
p(x)
,
q(x)
wobei p und q Polynome sind. Falls grad(p) ≥ grad(q) erhält man mittels Polynomdivision eine Zerlegung
f (x) =
p(x)
t(x)
= s(x) +
,
q(x)
q(x)
mit Polynomen s und t, wobei grad(t) < grad(q).
Somit gilt
Z
f (x) dx =
Z
p(x)
dx =
q(x)
Z
s(x) dx +
Z
t(x)
dx.
q(x)
Die Integration von s ist einfach, daher konzentrieren wir uns auf den „echt“ gebrochen rationalen Anteil qt .
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
349 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Für die Integration des echt gebrochen rationalen Anteils benötigt man eine sogenannte Partialbruchzerlegung.
Dafür beschafft man sich zunächst die Faktorisierung des Nennerpolynoms
q(x)
=
=
a0 + a1 x + . . . + an xn
k
m
Y
Y
νj
x2 + p j x + q j
an
(x − λj )µj
,
j=1
(6.6)
j=1
Pk
Pm
(wobei n =grad(q) und
j=1 µj + 2
j=1 νj = n, λj und (pj , qj ) paarweise
verschieden, vgl. Satz 2.29 und S. 222).
Für die Integration noch günstiger schreibt man (6.6) mittels quadratischer Ergänzung als:
k
m
Y
Y
νj
q(x) = an
(x − λj )µj
(x − αj )2 + βj
j=1
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
j=1
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
350 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Der folgende Satz hilft uns nun, g(x) :=
Struktur zu bringen:
t(x)
q(x)
in eine für die Integration geeignete
Satz 6.12
Unter diesen Voraussetzungen und mit diesen Bezeichnungen gibt es eindeutig
bestimmte reelle Zahlen
ηj,t
(j = 1, 2, . . . , k, t = 1, 2, . . . , µj )
σj,s
(j = 1, 2, . . . , `, s = 1, 2, . . . , νj )
τj,s
(j = 1, 2, . . . , `, s = 1, 2, . . . , νj ),
so dass g die folgende Partialbruchzerlegung besitzt:
g(x) =
µj
k X
X
j=1 t=1
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
νj
X̀ X
σj,s + τj,s x
ηj,t
+
.
(x − λj )t j=1 s=1 ((x − αj )2 + βj2 )s
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
(6.7)
351 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Möglicherweise finden Sie folgende Darstellung von (6.7) übersichtlicher:
g(x)
=
η1,2
η1,µ1
η1,1
+
+ ... +
x − λ1
(x − λ1 )2
(x − λ1 )µ1
+...
ηk,µk
ηk,1
ηk,2
+
+
+ ... +
x − λk
(x − λk )2
(x − λk )µk
+
σ1,1 + τ1,1 x
σ1,2 + τ1,2 x
σ1,ν1 + τ1,ν1 x
+
+ ... +
(x − α1 )2 + β12
((x − α1 )2 + β12 )2
((x − α1 )2 + β12 )ν1
+...
+
σ`,ν` + τ`,ν` x
σ`,1 + τ`,1 x
σ`,2 + τ`,2 x
+
+ ... +
(x − α` )2 + β`2
((x − α` )2 + β`2 )2
((x − α` )2 + β`2 )ν`
Im konkreten Beispiel kann man auf die Doppelindizierung verzichten und für die
Unbekannten ηj,t , σj,s und τj,s eingängigere Bezeichnungen (z. B. A, B, C, . . .) wählen.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
352 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Bei der Konstruktion einer Partialbruchzerlegung wählt man also den passenden
Ansatz nach Satz 6.12 und muss dann die Koeffizienten
ηj,t , σj,s und τj,s bestimmen.
Dafür multipliziert man beide Seiten von (6.7) mit q(x) und gleicht dann die Koeffizienten der links und rechts stehenden Polynome ab.
Eine noch günstigere Variante ist häufig, nach Multiplikation mit q(x) genau n
verschiedene Werte für x einzusetzen und das entstehende lineare Gleichungssystem
zu lösen.
Eine besonders günstige Wahl für die einzusetzenden Werte sind dabei die Nullstellen
λj von q.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
353 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Am leichtesten erlernt man die Partialbruchzerlegung anhand von Beispielen:
Man bestimme eine Partialbruchzerlegung von
f (x) =
5x2 − 37x + 54
.
x3 − 6x2 + 9x
Welche Ansätze sind für die Partialbruchzerlegungen folgender Funktionen zu
wählen?
42
1
g(x) = 3
, h(x) =
.
x (x + 1)2
(x + 1)2 (x2 + 1)
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
354 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Die Funktionen aus (6.7) besitzen folgende Stammfunktionen:
R
f (x)
F (x) = f (x) dx
1
x−λ
1
(x−λ)k
1
(x−α)2 +β 2
x
(x−α)2 +β 2
ln(|x − λ|)
1
1
− k−1
(x−λ)k−1
1
β
arctan x−α
βα
1
2
2
+β
+ β arctan x−α
ln
(x−α)
2
β
λ∈R
k ∈ N, t > 1
α, β ∈ R, β 6= 0
Die verbleibenden Integrale müssen rekursiv berechnet werden:
Z
x dx
−1
dx
=
+
α
,
((x−α)2 +β 2 )k
((x − α)2 +β 2 )k
2(k−1) ((x − α)2 +β 2 )k−1
Z
Z
dx
x−α
2k − 3
dx
=
+
k−1
2
2 +β 2 )k−1
2
2
2
((x−α)2 +β 2 )k
2(k−1)β
((x−α)
2(k−1)β ((x−α) +β )
Z
für k ∈ N, k > 1.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
355 / 367
Integrationstechniken
Partialbruchzerlegung
Wir fassen die Schritte zur Integration einer rationalen Funktion f (x) =
einmal zusammen:
p(x)
q(x)
noch
Spalte mittels Polynomdivision den echt gebrochen rationalen Anteil ab:
f (x) = s(x) +
t(x)
q(x)
mit grad(t) < grad(q)
t(x)
Berechne für g(x) = q(x)
eine Partialbruchzerlegung und integriere die
entstehenden Summanden mit Hilfe der Formeln und Tabellen auf Seite 355.
Das verbleibende Integral über s(x) ist einfach.
Man bestimme auf diese Weise
Z b 4
2x − 12x3 + 23x2 − 37x + 54
dx.
x3 − 6x2 + 9x
a
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
Winterersemester 2013/14
356 / 367
Uneigentliche Integrale
Bisher können wir nur beschränkte Funktionen und beschränkte Intervalle behandeln. Wir erweitern den Integralbegriff daher ein wenig.
Definition 6.13 (Uneigentliches Integral)
Sei b ∈ R ∪ {∞} und f : [a, b) → R auf jedem Intervall [a, r] mit a < r < b,
Riemann-integrierbar. Falls
lim
r→b−
Z
r
f (x) dx =:
a
Z
b
f (x) dx
a
existiert, so heißt f auf [a, b) uneigentlich Riemann-integrierbar.
Rb
Man sagt auch, a f (x) dx ist konvergent.
Analog für f (a, b] → R oder f : (a, b) → R mit a ∈ R ∪ {−∞}.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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Uneigentliche Integrale
Von besonderem Interesse sind häufig folgende Fälle:
der Integrand ist bei Annäherung an eine der Integrationsgrenzen
unbeschränkt (links),
das Integrationsintervall ist unbeschränkt (rechts).
f
f
a r
Bestimmen Sie
a
b
R∞
1
dx
x2
sowie
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R42
0
r
dx
√
.
x
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Uneigentliche Integrale
Weitere Beispiele
Für r > 1 und a > 0 gilt
Z
∞
a
Dagegen existiert
R∞
a
dx
xr
dx
1
=
.
r
x
(r − 1) ar−1
für r ≤ 1 nicht.
In der Stochastik benötigt man häufig
Z ∞
√
exp(−x2 ) dx = π.
−∞
Zu welchem Ergebnis aus dem Kapitel Reihen erkennen Sie im ersten Beispiel
Parallelen?
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
Mathematik I
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Volumenberechnung bei Rotationskörpern
Für die Berechnung krummflächig berandeter Körper benötigt man eigentlich mehrdimensionale Integrale.
Bei Körpern, die durch Rotation eines Funktionsgraphen um die x-Achse entstehen,
reichen jedoch eindimensionale Integrale aus.
Man nennt solche Körper Rotationskörper.
f
x
a
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dx
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b
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Volumenberechnung bei Rotationskörpern
„Herleitung“ der Volumenformel in Leibniz-Notation
Die Größe dx wird als „infinitesimal“ kleine
R Zahl interpretiert; das Integral als Summe (beachte stilistische Ähnlichkeit von „ “ und „S“).
Für das Volumen der grau markierte Scheibe gilt für sehr kleine dx
VScheibe ≈ π[f (x)]2 dx.
Damit ergibt sich für das Volumen VK des Rotationskörpers
VK = π
Z
b
[f (x)]2 dx
a
(Natürlich steckt hinter dieser „Herleitung“ eigentlich wieder ein Grenzwertprozess.)
Welches Volumen hat der Körper, der durch Rotation des Graphen von
f : [1, r] → R, f (x) = x1 , um die x-Achse entsteht?
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Quadraturformeln – ein erster Einblick
Nur die wenigsten Integrale kann man geschlossen auswerten; in den allermeisten
Fällen ist man auf numerische Näherungsverfahren – sogenannte Quadraturverfahren – angewiesen.
Prominente Integrale, die sich nachweislich nicht durch elementare Stammfunktionen bestimmen lassen, sind zum Beispiel
Z x
2
2
e−s ds
(x ∈ R).
Φ(x) := √
π 0
Die entstehende Funktion x 7→ Φ(x) heißt Fehlerfunktion.
Oliver Ernst (Numerische Mathematik)
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Quadraturformeln – ein erster Einblick
Als Vorbetrachtung ersetzen wir eine stetige Funktion f : [a, b] → R näherungsweise
durch ihre Sekante s durch (a, f (a)) und (b, f (b)).
s
a
f
b
Damit erhalten wir die Näherungsformel
Z b
1
f (x) dx ≈ (b − a)(f (a) + f (b)).
2
a
(6.8)
Schon anschaulich wird klar, dass diese Formel im Allgemeinen nur sehr grobe
Näherungen liefern kann.
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363 / 367
Quadraturformeln – ein erster Einblick
Wesentlich bessere Ergebnisse erhält man aber, wenn man [a, b] in N gleichlange
Teilintervalle [xi , xi+1 ] unterteilt mit
xi = a + ih
(i = 0, 1, . . . , N ) mit h = (b − a)/N.
und die einfache Trapezregel (6.8) über jedem Teilintervall anwendet:
Z
a
≈
N
−1
X
=
h
b
f (x) dx
i=0
1
h (f (xi ) + f (xi+1 ))
2
(6.9)
1
1
f (x0 )+f (x1 )+f (x2 )+. . .+f (xN −1 )+ f (xN ) .
2
2
Wir bezeichnen den Ausdruck auf der rechten Seite als Trapezsumme Tf (h) und
die Formel (6.9) als zusammengesetzte Trapezregel.
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Quadraturformeln – ein erster Einblick
Alternativ kann man f lokal auch durch quadratische Polynome ersetzen, und dadurch eine noch bessere Approximation erreichen:
Dieser Ansatz führt letztlich auf die zusammengesetzte Simpsonregel:
Z
b
f (x) dx ≈
a
h
[f (x0 )+4f (x1 )+2f (x2 )+4f (x3 )+2f (x4 )+. . .+4f (xN −1 )+f (xN )] .
3
Dabei ist N gerade zu wählen. Den Term auf der rechten Seite bezeichnen wir mit
Sf (h).
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Natürlich will man wissen, wie groß der resultierende Fehler bei Verwendung einer
Quadraturformel ist. Dabei hilft uns:
Satz 6.14 (Quadraturfehler Trapez- und Simpsonregel)
Ist f auf [a, b] zweimal stetig differenzierbar, dann gilt
Z
b
b−a
h2 max |f 00 (x)|.
f (x) dx − Tf (h) ≤
a
a≤x≤b
12
Ist f auf [a, b] viermal stetig differenzierbar, dann gilt
Z
b
b−a
f (x) dx − Sf (h) ≤
h4 max |f (4) (x)|.
a
a≤x≤b
180
Welche der beiden Regeln ist für genügend kleine h genauer? Approximieren Sie
ein bekanntes Integral Ihrer Wahl mit beiden Quadraturformeln für mehrere
geeignete Werte von h.
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Ziele erreicht?
Sie sollten nun (bzw. nach Abschluss der Übungen/Selbststudium):
den Begriff des Riemann-Integrierbarkeit tiefgreifend verstanden haben,
den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung beherrschen und
Integrale mit Hilfe der Stammfunktion berechnen können,
die Stammfunktionen zu den gängigen elementaren Funktionen kennen (am
besten auswendig),
einige Integrationstechniken sicher anwenden können (part. Integration,
Substitution, einfache Fälle der Partialbruchzerlegung),
uneigentliche Integrale und das Volumen von Rotationskörpern sicher
berechnen können,
über Quadraturformeln grob bescheidwissen.
Sie sind sich nicht sicher oder meinen “nein“? Naja, . . .
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