1. Topologische Räume und stetige Abbildungen

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GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016)
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1. T OPOLOGISCHE R ÄUME UND STETIGE A BBILDUNGEN
Die Begriffe Konvergenz und Stetigkeit von Abbildungen wurden in der Analysis I/II in
zunehmender Allgemeinheit erst für R, dann für Teilmengen von Rn und schließlich
metrische Räume definiert, werden aber später in fast allen Bereichen der Mathematik
in größerer Allgemeinheit benötigt. Den geeigneten Rahmen dafür bilden topologische
Räume.
Wiederholung zu metrischen Räumen. Zur Erinnerung:
Definition (Analysis 2).
• Ein metrischer Raum ist eine Menge X mit einer Metrik, also einer Abbildung d : X × X → [0, ∞) mit folgenden Eigenschaften:
(1) ∀x, y ∈ X : d(x, y) = 0 ⇔ x = y
(2) ∀x, y ∈ X : d(x, y) = d(y, x)
(3) ∀x, y, z : d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z)
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Beispiel.
(1) Rn mit der euklidischen Metrik d(x, y) = ∑i (xi − yi )2
(2) jeder normierte Raum mit der induzierten Metrik
( d(x, y) = kx − yk
0, x = y,
(3) jede Menge mit der diskreten Metrik d(x, y) =
1, x 6= y.
Konvergenz und Stetigkeit können dann mit Hilfe von Umgebungen definiert werden:
Definition (Analysis 2). Sei (X, dX ) ein metrischer Raum und x ∈ X.
• Eine Teilmenge U ⊆ X heißt Umgebung von x, falls x ∈ U und es ein ε > 0 gibt
mit {y ∈ X : dX (x, y) < ε} ⊆ U.
• Eine Folge in X konvergiert gegen ein x ∈ X, falls jede Umgebung von x alle bis
auf endliche viele Folgenglieder enthält.
• Sei (Y, dY ) ein metrischer Raum. Eine Abbildung f : X → Y ist stetig in x ∈ X,
falls für jede Umgebung V von f (x) eine Umgebung U von x mit f (U) ⊆ V
existiert.
Um “lokal” über Konvergenz und Stetigkeit zu sprechen, braucht man also nur zu wissen, was die Umgebungen eines Punktes sind. “Global” ist es einfacher, mit offenen
Mengen zu arbeiten:
Definition (Analysis 2). Eine Teilmenge eines metrischen Raumes heißt offen, falls sie
Umgebung von jedem ihrer Punkte ist.
Satz (Analysis 2). Eine Abbildung zwischen metrischen Räumen ist genau dann stetig,
wenn das Urbild jeder offenen Menge wieder offen ist.
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PD DR. THOMAS TIMMERMANN
Topologische Räume. Um über Konvergenz und Stetigkeit zu sprechen, reicht es, zu
wissen, welche Teilmengen eines Raumes offen sind.
Definition 1.1. Ein topologischer Raum ist eine Menge X mit einer Teilmenge τ ⊆ P (X)
mit folgenden Eigenschaften:
/ X ∈τ
(1) 0,
(2) U,V ∈ τ ⇒ U ∩V ∈ τ
S
(3) U ⊆ τ ⇒ ( U∈U U) ∈ τ.
Man nennt dann τ eine Topologie auf X, Elemente von τ offene Mengen, deren Komplemente abgeschlossene Mengen, und erwähnt τ nicht immer.
Der Begriff eines topologischen Raumes ist sehr allgemein — topologische Räume können sehr unterschiedliche und überraschende Eigenschaften besitzen. Ihr Studium bringt
eine Vielzahl von Begriffsbildungen mit sich, die einen anfangs überrollen können. Ein
Gespür für diese Begriffsbildungen erhält man erst durch das Arbeiten mit Beispielen
und Übungsaufgaben.
Beispiel 1.2.
(1) die von einer Metrik d auf X erzeugte Topologie
τd := {U ⊆ X : U ist bezüglich d offen};
(2) die diskrete Topologie
τdiskret := P (X);
(3) jede Teilmenge A eines topologischen Raumes (X, τ) trägt die Teilraum-/Spur/Relativtopologie
τA = {U ∩ A : U ∈ τ}
(4) (ÜA) auf N ∪ {∞} die Topologie
τ = {U ⊆ N ∪ {∞} : (∞ 6∈ U) oder (∃n mit {n, n + 1, n + 2, . . .} ⊆ U)};
(5) die grobe Topologie auf X ist
(6) die ko-endliche Topologie
/ X};
τgrob := {0,
/
τco f in = {F c : F ⊆ X endlich} ∪ {0}
(endlichen Vereinigungen und beliebigen Schnitte endlicher Mengen sind endlich);
(7) die ko-abzählbare Topologie
/
τcoenum = {Ac : A ⊆ X abzählbar} ∪ {0}.
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Definition 1.3. Sei X ein topologischer Raum. Eine Teilmenge V ⊆ X heißt Umgebung
von x ∈ X, falls es eine offene Menge U ⊆ X mit x ∈ U ⊆ V gibt.
Bemerkung 1.4. Insbesondere ist eine Menge genau dann offen, wenn sie Umgebung
jedes ihrer Punkte ist.
Stetige Abbildungen. Seien X und Y topologische Räume.
Definition 1.5. Eine Abbildung f : X → Y heißt
• stetig in x ∈ X, falls für jede Umgebung V von f (x) ∈ Y eine Umgebung U von
x mit f (U) ⊆ V existiert;
• stetig, wenn Urbilder offener Mengen offen sind.
Beispiel 1.6.
(1) Trägt X die diskrete Topologie, so ist f stets stetig.
(2) Trägt Y die grobe Topologie, so ist f stets stetig.
(3) Die Identität auf X ist stetig als Abbildung von (X, τ) nach (X, τ0 ) genau dann,
wenn τ0 ⊆ τ. In dem Fall nennt man τ feiner/stärker als τ0 und τ0 gröber/schwächer
als τ. Zum Beispiel ist τgrob ⊆ τco f in ⊆ τcoen ⊆ τdiskret .
Satz 1.7. Eine Abbildung zwischen topologischen Räumen ist stetig genau dann, wenn
sie in jedem Punkt stetig ist.
Beweis. “⇒”: Sei x ∈ X und W eine Umgebung von f (x). Wähle offenes V mit f (x) ∈
V ⊆ W . Dann ist U := f −1 (V ) eine offene Umgebung von x mit f (U) = V .
“⇐”: Sei V ⊆ Y offen, nicht leer und x ∈ f −1 (V ). Nach Annahme ex. U ⊆ X offen mit
f (U) ⊆ V , also x ∈ U ⊆ f −1 (V ). Nach Bemerkung 1.4 ist f −1 (V ) offen.
Lemma 1.8. Die Verknüpfung stetiger Abbildungen zwischen topologischen Räumen ist
wieder stetig.
Beweis. Sind f : X → Y und g : Y → Z stetig und W ⊆ Z offen, so ist g−1 (W ) ⊆ Y offen
und f −1 (g−1 (W )) = (g ◦ f )−1 (W ) offen.
Definition 1.9. Eine Abbildung f : X → Y heißt Homöomorphismus, falls f bijektiv
und f sowie f −1 stetig sind; in dem Fall nennt man X und Y homöomorph und schreibt
X∼
= Y.
Beispiel 1.10.
(1) R ∼
= (−1, 1) (einfach).
(2) (−1, 1) 6∼
(−1,
1)
\ {0} und (−1, 1) 6∼
=
= [−1, 1) 6∼
= [−1, 1] (Übung).
n
m
∼
(3) R = R ⇔ n = m (schwer).
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