Depression und somatische Syndrome: Ein Überblick aus dem

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Depression und somatische Syndrome: Ein
Überblick aus dem Bundesgesundheitssurvey
Frank Jacobi
Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie
der Technischen Universität Dresden, AG Epidemiologie
und Gesundheitsberichterstattung
Das Forschungsvorhaben wurde als
Teilprojekt des
Bundesgesundheitssurveys ´98 des
Robert Koch Instituts durchgeführt
Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF)
Förderkennzeichen: BMBF 01 EB 9405/6
und 01 EB 9901/6
mens sana
× Ø?
in corpore sano
Hintergrund: Patientenpopulationen vs.
Bevölkerungsstichproben
¾ Inanspruchnahmepopulationen: möglicher help seeking bias
¾ Diagnosen psychischer Störungen oft nur begrenzt zuverlässig (z.B. bei
Routinediagnostik im Krankenhaus, Überweisungen und anderen
administrativen Daten) oder unvollständig (meist Fokussierung lediglich auf
ein enges Spektrum an Diagnosen)
¾ Datenbasis für Diagnosen körperlicher Erkrankungen besteht in den meisten
epidemiologischen Studien zum Zusammenhang körperlicher und
psychischer Störungen aus reinen Fragebogenangaben
¾ Überblick aus zum Bundesgesundheitssurvey, mit welchen körperlichen
Erkrankungen Depressionen in der Allgemeinbevölkerung assoziiert sind
Überblick
¾ Der Bundesgesundheitssurvey 1998/99
¾ Kommen körperliche Erkrankungen (in der Allgemeinbevölkerung)
bei Depressiven häufiger vor als bei Nicht-Depressiven?
Kommen depressive Störungen (in der Allgemeinbevölkerung) bei
körperlich Erkrankten häufiger vor als bei Nicht-Erkrankten?
¾ Ausblick: Modellierung der Komorbiditätsmuster unter
Einbezug von Drittvariablen (insbes. Alter und Erkrankungsbeginn)
¾ Der Zusammenhang zwischen Komorbidität und
Funktionsstatus
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
Die psychische Gesundheit der Deutschen
¾ Bis 2000 lagen zwar administrative Statistiken
(Krankenhäuser, Berentungen) aber keine bevölkerungsbezogenen Untersuchungen zu psychischen Störungen vor
¾ Das „wahre“ Ausmaß des Problems und seine Konsequenzen
und Implikationen sind erst in der letzten Dekade deutlich
geworden:
• Häufigkeit (Prävalenz) in der Allgemeinbevölkerung
• Komorbidität
• Assoziierte Einschränkungen und Behinderungen
• Versorgungssituation
Bundesgesundheitssurvey 1998/99:
Überblick über die
Verteilung der 120 sample
points
Zentrale Publikationen
BGS:
Jacobi, Wittchen et al.,
2002, 2004a,b
Folsäureversorgung
Ziel: Folsäurestatus, Ermittlung von Risikogruppen
mit Folsäuredefiziten, Einflußfaktoren
Instrumente: Diet History, Fragebögen, Folsäure in
den Erythrozyten, Vitamin B12 und Zink im
Serum
Umwelt-Survey
Ziel: Einfluß von Umweltfaktoren auf die Gesundheit
Instrumente: Fragebogen, umweltmedizinische
Diagnostik (Blut, Urin, Staub im Haushalt,
Trinkwasser)
Kern - Gesundheitssurvey
Arzneimittelsurvey
Ziele:
Arzneimittelkonsum,
unerwünschte
Wirkungen,
Risiken
Ernährungssurvey
Ziele: Prävalenz von Risikofaktoren, Krankheiten,
Inanspruchnahme medizinischer Leistungen,
gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen und
Lebensbedingungen
Instrumente: Fragebogen, medizin.-physikalische
Untersuchung, ärztliche Befragung zur Morbidität und zur
Gesundheitsvorsorge, Labordiagnostik
Ziel:
Ernährungssituation,
Nährstoffaufnahme
In der Bevölkerung
Instrumente:
Fragebogen,
Interview, Serum
Instrumente:
Diet History,
Fragebogen
Psychische Störungen (MPI-P)
Ziel:
Psychische Morbidität, Komorbidität, Einschränkungen/Behinderungen,
Behandlungen
Instrumente: Laptop-gestütztes psychiatrisches Interview (CIDI); Fragebögen
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS):
Erfasste Störungsgruppen (ICD-10, DSM-IV)
•
Substanzstörungen (z.B. Alkohol-,
Opiat-, Stimulantienabhängigkeit)
•
Somatoforme: (z.B. Hypochondrie,
Schmerzstörung, Dissoziative)
•
Schlafstörungen (z.B. Insomnien, Dys. oder Hypersomnien)
Zwangsstörungen (Zwangsgedanken,
-handlungen)
•
Mögliche Psychotische Störungen (z.B.
Schizophrenie, Wahnstörung)
•
Essstörungen (z.B. Bulimie, Anorexia
nervosa)
•
Affektive (z.B. Major Depression,
Dysthymie, Bipolare)
•
•
Angststörungen (z.B. Panik, GAS,
Agora-, Spezifische-, Soziale Phobie)
Nicht erfasst:
• Stress-/Anpassung (z.B. PTSD)
• Persönlichkeitsstörungen
• Demenzen
• Psychosomatische Störungen
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS):
Diagnostik körperlicher Erkrankungen
¾ Studienärzte befragten die Teilnehmer mit einem strukturierten
computergestützten persönlichen Interview (CAPI) nach dem Vorliegen von ca.
40 Diagnosen
¾ weitere differenzierende Unterfragen zum Schweregrad der Symptomatik und
zum Behandlungsstatus für einige Diagnosen (u.a. Angina Pectoris, Herzinfarkt,
Herzinsuffizienz und Asthma Bronchiale)
¾ bei manchen Diagnosen Laborwerte (z.B. bei Diabetes)
¾ Die Studienärzte konnten auf Fragebogenangaben der Teilnehmer
zurückgreifen und diese auf Grundlage des Interviews bestätigen oder
verwerfen („ärztliche Begutachtung“ der selbstberichteten Patientenangaben kann als
Vorteil gegenüber der reinen Verwendung von Self-Report-Daten)
Übereinstimmung der (lifetime-) Diagnosen im ärztlichen Interview
(CAPI) mit den Fragebogenangaben (Jacobi, in press)
ausgewählte
chronische
körperliche
Erkrankungen
CAPIDiagnose
„falsche Negative“
„falsche Positive“
kappa
N
N
%
N
%
koronare
Erkrankung
183
26
14.2
104
39.9
0.69
Krebs
125
16
12.8
11
9.2
0.89
muskuloskeletale
Erkrankungen
1259
221
17.6
192
15.6
0.76
COPD
440
56
12.7
125
24.6
0.79
Diabetes
143
13
9.1
19
12.8
0.89
irgendeine der
genannten
1706
225
13.2
238
13.8
0.77
Vorbemerkung vor Auswertung des gemeinsamen
Auftretens körperlicher Erkrankungen und
psychischer Störungen:
z.T. sehr ungleiche Populationen
Geschlechtsverteilung bei körperlichen und
psychischen Diagnosen
100
90
80
70
60
Männer
Frauen
%
50
40
30
20
10
gn
ia
b
os
e
n
et
es
O
P
Di
a
D
C
ku
kr
an
sc
yc
irg
en
de
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ne
de
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en
an
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ro
n
ar
ta
l
e
e
he
n
Er
Er
kr
an
Kr
eb
ku
ng
s
ng
0
Altersverteilung bei körperlichen und psychischen
Diagnosen
100%
90%
80%
70%
60%
50-65
50%
35-49
18-34
40%
30%
20%
10%
he
n
Di
a
D
gn
ia
b
os
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et
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P
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C
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ro
n
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l
ar
e
e
Er
kr
an
Kr
eb
ku
ng
s
ng
0%
Schichtverteilung bei körperlichen und psychischen
Diagnosen
100%
90%
80%
70%
60%
hoch
50%
mittel
40%
niedrig
30%
20%
10%
D
ia
gn
os
en
irg
en
de
in
e
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rg
en
an
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en
ps
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ko
ro
na
re
E
rk
ra
nk
un
g
0%
Kommen körperliche Erkrankungen
(in der Allgemeinbevölkerung) bei Depressiven häufiger vor
als bei Nicht-Depressiven?
Kommen depressive Störungen
(in der Allgemeinbevölkerung) bei körperlich Erkrankten
häufiger vor als bei Nicht-Erkrankten?
12-Monats-Prävalenz körperlicher Erkrankungen
ohne/mit depressiver Störung
Krebs
¾ häufiger bei Vorliegen MDD:
koronare Erkrankung
• irgendeine
Diabetes
• muskuloskelettale
% (12-Monate)
50.0
*
40.0
*
30.0
20.0
COPD
10.0
MUSKUL
0.0
ohne MDD
mit MDD
*
50.0
% (12-Monate)
irgendeine der
genannten
*
40.0
Krebs
koronare Erkrankung
Diabetes
30.0
*
(*) *
20.0
10.0
0.0
ohne DYST
mit DYST
COPD
MUSKUL
irgendeine der
genannten
¾ zusätzlich häufiger bei Vorliegen DYST:
• COPD
• Diabetes
• koronare (Trend)
12-Monats-Prävalenz depressiver Störung ohne/mit
körperlicher Erkrankungen
% MDD (12-Monate)
16.0
14.0
12.0
¾ insgesamt stärkere Zusammenhänge
bei DYST
*
10.0
8.0
6.0
4.0
2.0
0.0
koronare
Krebs
MUSKUL
% Dysthymie (12-Monate)
12.0
10.0
COPD
*
(*)
Diabet
*
¾ nicht-Signifikanzen u.a. aufgrund
unterschiedlicher Alters- und
Geschlechtsverteilung und niedriger
Zellenbesetzung
¾ Zusammenhänge stärker bei Frauen
*
8.0
6.0
¾ außerdem möglicherweise
moderierende Variable: SES
4.0
2.0
0.0
koronare
Krebs
MUSKUL
COPD
Diabet
Beispiel Diabetes
Korrelate für Komorbidität mit Depression: Geschlecht
OR
Depression
Frauen vs.
Männer ohne
Diabetes:
% Depression (12 Monate)
25.0
20.0
15.0
kein DIABET
2.0 (1.6-2.7)
DIABET
10.0
5.0
0.0
Frauen
Männer
OR
Depression
Frauen vs.
Männer mit
Diabetes:
4.8 (1.4-16.0)
Warum sind bei Diabetikern vermehrt Frauen depressiv (25% vs. 14%),
Männer aber nicht (8% vs. 7%)?
Beispiel Diabetes
Korrelate für Komorbidität mit Depression: Alter
Keine
Zusammenhänge
hinsichtlich
Altersgruppe:
14.0
12.0
10.0
8.0
MDD/DYST
6.0
DIABET
4.0
2.0
Anteil der
Depressiven
bleibt gleich,
Anteil der
Diabetiker nimmt
mit Alter zu
0.0
18-35
35-49
50-65
Wenn es einen spezifischen Zusammenhang zwischen Diabetes und
Depression gibt, warum steigen dann Depressionen im Alter 50-65 nicht an?
Beispiel Diabetes
Korrelate für Komorbidität mit Depression:
soziale Schicht
16.0
14.0
Unterschicht
assoziiert mit...
12.0
10.0
MDD/DYST
8.0
DIABET
6.0
4.0
2.0
0.0
niedrig
mittel
hoch
Erklärung für diesen durchgehenden Schichtgradienten?
• mehr Diabetes
• mehr Depression
• mehr Komorbidität
Erklärungsmöglichkeiten für Komorbidität?
Ausblick 1: Erklärungsmöglichkeiten für Komorbidität
¾ zufällige Komorbidität: ausgeschlossen
¾ beide Diagnosen sind Manifestationen derselben Störung: ausgeschlossen
• nicht-hierarchische Diagnosen
• identifizierte Komorbiditätsmuster werden hier nicht als Fehlerhaftigkeit der
diagnostischen Kategorien interpretiert (Symptomüberlappung, Vernachlässigung
einer gemeinsamen „Grunderkrankung“)
Ausblick 1: Erklärungsmöglichkeiten für Komorbidität
Das Vorliegen der einen Störung A erhöht ursächlich die Wahrscheinlichkeit für
das Auftreten der anderen Störung B (oder umgekehrt, oder beide beeinflussen
sich gegenseitig)
¾ zeitliche Reihenfolge und Dauer der komorbiden
Störungen/Erkrankungen einbeziehen
Beide Störungen werden gemeinsam durch Drittvariablen beeinflusst
(biologische, psychologische oder soziale), d.h. beide Störungen haben
gemeinsame Risikofaktoren.
¾ Einbezug weiterer Diagnosen, SES
¾ spezifische Hypothesen (z.B. viscerales Fett)
-> Modellierung durch latent class analysis und growth curves
(Jacobi, Rehm et al., in prep.)
Der Zusammenhang zwischen
Komorbidität und Funktionsstatus:
Ausfalltage im letzten Jahr,
gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF-36 Gesamtscores)
Ausfalltage im letzten Jahr
Ausfalltage
40.0
*#
35.0
30.0
25.0
*
*
20.0
15.0
10.0
5.0
0.0
keine
MDD/DYST/KÖ
KÖ ohne
MDD/DYST
MDD/DYST
ohne KÖ
MDD/DYST +
KÖ
*: erhöht gegenüber „keine Diagnose“, p<0.05
*#: erhöht gegenüber allen anderen Bedingungen, p<0.05
Gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF-36)
60.0
50.0
*#
* * *
* *
*
40.0
30.0
*
keine MDD/DYST/KÖ
KÖ ohne MDD/DYST
MDD/DYST ohne KÖ
20.0
MDD/DYST + KÖ
10.0
0.0
SF-36 (physical)
SF-36 (mental)
*: reduziert gegenüber „keine Diagnose“, p<0.05
Zusammenfassung
¾ Komorbidität depressive Störungen (insbes. Dysthymie) und körperliche
Erkrankungen auch auf Allgemeinbevölkerungs-Basis
¾ Diffentielle Effekte (soziodem. Variablen, Diagnosen)
¾ Komorbidität ist stark mit Beeinträchtigung/Funktionsniveau und
Lebensqualität assoziiert
¾ Auch wenn Wirkmechanismen und –Richtungen noch unklar,
Implikationen der Komorbidität für Versorgung:
• Behandlung psychischer komorbider Störungen, um Outcome körperlicher
Erkrankungen zu verbessern?
• Komorbide körperliche Erkrankungen stärker bei Versorgung psychischer Störungen
berücksichtigen?
Mechanismen der Entstehung psychischer Störungen auf der Grundlage
körperlicher Erkrankungen (nach Cohen & Rodriguez, 1995)
Körperliche Erkrankung
Schweregrad
Dauer
Biologische
Mechanismen
Direkte Effekte
hormonelle
neurochemische
metabolische
Indirekte Effekte
Schmerzen
Beeinträchtigung
Pathophysiologie
Entstellung
Verhaltensmechanismen
Kognitive
Mechanismen
Soziale
Mechanismen
Unterbrechung der Routine
Kognitive Verzerrung
Krankheitsverhalten
Wahrgenommener
Stress und
Kontrollverlust
Interferenz in der
sozialen Rollenfunktion
Maladaptive
Copingstrategien
Bedrohung des
Selbstwertgefühls und
der Selbstwirksamkeit
Nebenwirkungen
Schlafstörungen
Psychische Störungen
negative Affekte
Affektive- und Angststörungen
Vermeidung durch
Mitglieder des sozialen
Netzwerkes
Zerfall sozialer
Netzwerke
Mechanismen der Entstehung von körperlichen Erkrankungen auf der Grundlage von
psychischen Störungen (nach Cohen & Rodriguez, 1995)
Psychische Störungen
Negativer state & trait Affekt
Affektive- und Angststörungen
Biologische
Mechanismen
Affektspezifische
Reaktion (SAM & HPA)
Affektunspezifische
Reaktion
Verhaltensmechanismen
Ungünstiges Gesundheitsverhalten
Kognitive
Mechanismen
Problematisches
Inanspruchnahmeverhalten
Verzerrte Interpretation
physischer Stimuli
Schlechte Mitarbeit
Fehlerhafte
Gesundheitsentscheidungen
Soziale
Mechanismen
Interferenz mit der
sozialen Rolle
Vermeidung durch
Mitglieder des sozialen
Netzwerkes
Zerfall sozialer
Netzwerke
Körperliche Erkrankungen
Ausbruch
Krankheitsstadium
Entwicklung
Episoden
Schweregrad
Krisen
Gesundheitsverhalten
Symptombericht
Hilfesuchverhalten
Schmerzen & Beeinträchtigungen
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