Epidemiologische Aspekte von psychosomatischen

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„Epidemiologische Aspekte von
psychosomatischen Beschwerdebildern
in der Allgemeinmedizin
sowie deren Versorgung aus der Sicht
des Hausarztes und des Patienten“
„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare“
(Christian Morgenstern)
„Psychosomatische Medizin heißt nicht etwa dem Körper weniger, sondern dem
Seelischen mehr Beachtung schenken!“
(Viktor v. Weizsäcker)
„Die Medizin der Zukunft wird eine psychosomatische sein, oder sie wird überhaupt
nicht sein.“
(Viktor v. Weizsäcker)
„Epidemiologische Aspekte von psychosomatischen Beschwerdebildern in der
Allgemeinmedizin sowie deren Versorgung aus der Sicht
des Hausarztes und des Patienten“
Abstract
Hintergrund: Allgemeinärzte werden in ihrem Praxisalltag häufig mit psychosomatischen
Beschwerdebildern konfrontiert, deren Behandlung oft schwierig und unbefriedigend ist. In dieser
Studie sollen - neben epidemiologischen Daten - der Umgang und die Selbstwahrnehmung von
Hausärzten und Patienten in diesem Kontext untersucht werden sowie die diagnostische und
therapeutische Versorgung der Patienten.
1
Methodik: Die Untersuchung wurde mittels Fragebögen an 22 Hausärzten und 330 Patienten aus
den Sanitätssprengeln Brixen und Klausen durchgeführt.
Ergebnisse: Von den angeschriebenen Hausärzten beteiligte sich die Hälfte an der Studie; die
Verteilung der Fragebögen an die Patienten durch die Hausärzte erwies sich als zu aufwendig, es
wurden nur 10,9% der Patientenfragebögen ausgegeben; die Patientenmitarbeit war mit 81,8%
wiederum sehr gut.
90,9% der Hausärzte führen bei Verdacht auf Somatisierung neben Anamnese und klinischer
Untersuchung lediglich ein einfaches Labor und ggf. eine einfache apparative Zusatzuntersuchung
durch, 72,2 % überweisen maximal 20-30% für komplexere Diagnostik oder Facharztvisiten.
Regelmäßige Arzt- Patienten- Gespräche und life-style- Maßnahmen sind die am häufigsten
angewandten (je 34,8%) und als am wirksamsten beurteilten therapeutischen Strategien.
Die Hausärzte finden zu 45,4% den Umgang mit psychosomatischen Patienten mühevoll, 36,4%
erleben ihn als positive Herausforderung. 90,9% der Ärzte fühlen sich durch die Ausbildung zum
Allgemeinmediziner nicht ausreichend vorbereitet auf die Betreuung psychosomatisch Erkrankter.
Die meisten untersuchten Patienten waren Frauen (77,8%), mittleren Lebensalters, Landbewohner,
pensioniert/Hausfrauen. Die häufigsten Beschwerden waren: Schmerz-Symptomatiken (42,2%),
Verdauungsstörungen (29,6%) sowie Müdigkeit (16,9%); 69,4% der Patienten nehmen als Ursache
für ihre Beschwerden eine psychosomatische Genese an. Die von den Patienten bevorzugten
Therapien sind schulmedizinische Medikamente (34,3%), Entspannungsübungen (14%),
Alternativmedizin (12,5%) und Hausmittel (9,4%), wobei die beiden letztgenannten die stärkste
Wirksamkeit aufwiesen; insgesamt besserten sich 80,9% der Beschwerden unter Therapie.
68,7% der Patienten fühlen sich durch die Symptomatik mäßig bis stark beeinträchtigt. Die
wichtigsten Bewältigungshilfen sind das ärztliche Gespräch (21,25%), schulmedizinische
Medikamente (20%), Glaube/Religion (16,25%) und zwischenmenschliche Beziehungen (10%).
Schlussfolgerungen: Die epidemiologischen Ergebnisse stimmen großteils mit der Literatur
überein. Die Arzt- Patienten- Beziehung wird von beiden Seiten mehrheitlich als positiv erlebt.
Bezüglich Diagnostik und Therapie orientieren sich die Hausärzte weitgehend an den
Leitlinienempfehlungen; die Patienten zeigen eine überraschend große Akzeptanz der
psychosomatischen Deutung, jedoch erheblich von den Hausärzten abweichende Therapiekonzepte,
was ein Hinweis auf einen Bedarf nach spezifischerer Aufklärung sein kann.
1. Einleitung
In der Gesamtbevölkerung Österreichs leiden rund 10% an psychosomatischen Beschwerden (44),
in der Allgemeinpraxis sind es wesentlich mehr: laut Literatur liegt bei 30-50% der Patienten, die
wegen körperlicher Symptome einen Hausarzt aufsuchen, eine Somatisierung zugrunde (1) (3) (5)
(12) (40) (44). Bei chronischen Bauchschmerzen werden sogar lediglich 10-20% als rein organisch
klassifiziert (41).
Dabei soll zunächst eine Begriffsklärung versucht werden, die durch einen kurzen Blick auf die
Geschichte des Psychosomatik- Konzepts erleichtert wird. Gegenwärtig steht eine hochentwickelte
biotechnische Medizin einer ebenfalls effizienten psycho-therapeutischen Medizin gegenüber.
Diese beiden „medizinischen Kulturen“ entwickelten sich zunächst völlig unabhängig voneinander
(11); in den letzten Jahrzehnten (6) - nicht zuletzt durch die Ergebnisse der neurobiologischen
Forschung, die die Psyche als „Neurobiologie in Aktion“ erkannt hat (36) (43) (44) - war man
2
zunehmend bestrebt, diese beiden Grundansätze in der biopsychosozialen Betrachtungsweise des
kranken Menschen und im Begriff „Psychosomatische Medizin“ zusammenzuführen (Thore von
Uexküll: „Gesundheit und Krankheit gehen aus der Interaktion des Individuums mit seiner
Umgebung hervor“) (40). Das Konzept der Somatisierung geht hauptsächlich auf Sigmund Freud
zurück, der die Konversion als einen (Haupt) - Abwehrmechanismus innerer Konflikte beschrieb
(4). Andere Autoren (4) (40) sprechen von Vegetativer Dystonie, Vegetativer Neurose,
Funktioneller Erkrankung, Funktionellen Störungen, Somatoformer Störung, somatoformen
Beschwerden, Psychosomatischer Erkrankung, Organneurosen, Psychogenen Syndromen etc.
Alle diese heterogenen Begriffe münden in dieselbe Grunddefinition von „Psychosomatik“ (11)
(36) (30): Das Erleben und Ausleben von somatischen Beschwerden und gleichzeitig fehlendem
oder unzureichendem organischen Befund, also eine Diskrepanz zwischen subjektivem Erleben und
Objektivierbarkeit, aufgrund von vorwiegend psychischen Faktoren („Beziehungsstörungen und
Beziehungskrankheiten“ hinsichtlich Beziehungen zu Mitmenschen, aber auch zur eigenen Person,
Biografie, zum eigenen Körper, Beruf und dem gesamten psychosozialen Umfeld) (43) (siehe Abb.
unten).
Die folgende Kategorisierung funktioneller Beschwerden fasst mehrere Klassifikationen zusammen
(5) (6) (18) (33) (41) (42) sowie ICD10; unterschieden werden:
Kurzzeitige und selbstlimitierende Funktionsstörungen mit oder ohne mögliche plausible
Erklärung (somatische oder psychosomatische)
Andauernde oder wiederholte Funktionsstörungen, teils mit „syndromalen“
Bezeichnungen (zB. Colon irritabile, non ulcer- Dyspepsie, chronic fatigue syndrome,
Roemheld- Komplex, Formen von Spannungskopfschmerz)
Somatoforme Störung (kodifiziert als F 45.0 nach ICD-10): multiple, wiederholte und
häufig wechselnde Symptome unterschiedlicher Organsysteme, chronisch- fluktuierender
Verlauf. Beschwerdefreiheit gibt es fast nie; trotz wiederholt negativer Befunde werden
immer wieder auch aufwendige und invasive medizinische Untersuchungen gefordert (27)
(die somatische Fixierung mit Verweigerung der Akzeptanz einer psychosomatischen
Diagnose kann bis zum Münchhausen- Syndrom gehen). Eine Sonderform ist die
hypochondrische Störung (F 45.2).
Somatische Beschwerden im Rahmen psychischer Erkrankungen, v.a. Angst und
Depression (14) (15) (16) (17) (18) (42).
zusätzlich: Somatopsychische Störungen, die dann vorliegen, wenn schwere somatische
Erkrankungen psychische Störungen auslösen („Psyche reagiert auf Körper“).
zusätzlich: Psychische Faktoren, die Entstehung und Verlauf von definierten somatischen
Erkrankungen beeinflussen („Körper reagiert auf Psyche“).
Somatisierungen kommen grundsätzlich in allen Kulturkreisen vor (35); treten häufiger auf bei
Frauen (35) (42), im Jugend- und jungen Erwachsenenalter (35) (42), in sozial niedrigeren
Schichten (11) (35) (42), bei Arbeitslosen oder Pensionierten (35) und vor allem bei Patienten mit
psychischen Grunderkrankungen wie Depression und Angststörung (1) (14) (16) (17). Bei letzteren
sind körperliche Symptome nicht selten der Haupt- oder sogar einzige Grund für eine
Arztkonsultation (14) (15).
Abb.: Pathogenese somatoformer Störungen (7) (10) (11) (41) (44): Zusammenspiel von Körper
und Psyche mit Resultat einer Erkrankung und eines Circulus vitiosus
Genet. Faktoren,
Persönlichkeit
KONFLIKT
3
Chron.
StressReaktion
Umgang m. Affekten,
Konfliktfähigkeit,
Wahrnehm. körperl. Sy.
Andauernder
Konflikt
Erlerntes/geprägtes
Verhalten, psychosoz.
Umfeld
Stressreaktion
SOMATISIERTES
SYMPTOM
FehlBewertung
ANGST
Fehlbewältigung
Das körperliche „Ausagieren“ eines Konfliktes kann anfangs eine Entlastungsfunktion haben
(primärer Krankheitsgewinn). Das Krankheitskonzept (Fehlbewertung) und das Krankheitsverhalten
(Fehlbewältigung) (6) (7) (43) sowie das psychosoziale Umfeld des Patienten können einen
sekundären Krankheitsgewinn und dadurch einen Circulus vitiosus determinieren, den der Arzt
durch z.B. eigene Unsicherheit, Überdiagnostik und – therapie noch weiter verstärken bzw. sogar in
Gang setzen kann (43).
Die Patienten selbst sehen ihre körperlichen Beschwerden oft als Ausdruck einer organischen
Erkrankung und suchen daher Hilfe bei primär somatisch ausgebildeten Ärzten- oft mit
überzogenen Hoffnungen und daraus folgenden großen Enttäuschungen und „Doktor- Hopping“ mit
der Forderung nach immer neuer Diagnostik (11) (43).
Die häufigsten von den Patienten dargebotenen Symptome sind Schmerzen unterschiedlichster
Lokalisation (11) (30), auch chronische Müdigkeit (13) (vgl. Tab. S. 10).
Für den Hausarzt ergeben sich Hinweise auf einen möglichen psychogenen Hintergrund beim
Vorliegen folgender Kriterien (11) (31):
- Art der Beschwerden: z.B. Schmerz, Erschöpfung, Funktionsstörung
- Zahl, Organverteilung und zeitlicher Verlauf der Beschwerden (zumeist vielfältige
Symptome mit Neigung zu Chronifizierung und/oder wechselnder Lokalisation)
- Persönlichkeit und Schilderung der Beschwerden von seiten des Patienten: depressivzwanghafte Züge, überzogene Selbstbeobachtung, dramatische oder minutiöse Schilderung
- Vorliegende „angespannte“ Lebenssituation
Im diagnostischen und therapeutischen Approach besteht eine zunehmende Annäherung der
beiden „Blöcke“ Biomedizin und Psychotherapie (vgl.o.) im Konzept der Psychosomatischen
Medizin bzw. der Psychosomatischen Grundversorgung, die in Deutschland bereits weithin etabliert
ist (45). Dabei wird empfohlen, bereits von Beginn an die aktuelle psychosoziale und berufliche
Situation des Patienten, seine Biographie mit ihren verschiedenen Aspekten (11) (29) (33) und sein
Krankheitskonzept zu berücksichtigen und nicht erst nach erfolgter somatischer Abklärung, um
einer Fixierung auf den somatischen Bereich möglichst entgegenzusteuern (41). Außerdem sollen ebenfalls zu Beginn - etwaiges Suchtverhalten, Angststörungen oder depressive Neigung mittels
einfacher orientierender Screeningfragen (11) (21) (22) (23) (28) eruiert werden, da hier ein
gezieltes therapeutisches Vorgehen erforderlich ist.
Der Hausarzt hat dabei den Vorteil, dass er aufgrund der erlebten Anamnese über Kenntnisse des
psychosozialen und familiären Umfeldes sowie der Persönlichkeit des Patienten verfügt (41), die
ihm einen leichteren Zugang zu seelischen Problemen ohne „psychische Stigmatisierung“
4
ermöglichen (45) (wie dies von den Patienten vielfach bei einer Überweisung zum Psychiater oder
Psychotherapeuten erlebt wird). Dies kann auch eine Hilfe zur Entwicklung eines gemeinsamen
Krankheitsverständnisses sein und den Umgang mit der typischen Abwehrhaltung gegenüber dem
psychischen Aspekt (11) (30) (44) erleichtern, die die Behandlung von Patienten mit somatoformen
Beschwerden oft schwierig und unbefriedigend gestaltet (11).
Darüber hinaus hat der Hausarzt den Vorteil einer kontinuierlichen und koordinierenden Stellung in
der Betreuung von Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen (2) (3).
Die Literatur zeigt, dass bereits das aufmerksame Zuhören und das mit Empathie geführte ArztPatienten- Gespräch der erste und zugleich ein relativ wirksamer Teil der Behandlung ist (11) (30)
(43) (44) (45). Als sinnvoll erwiesen haben sich neben dem ärztlichen Gespräch vor allem
Verhaltensweisen zur Reduktion von psychosozialen Belastungen wie Sport und
Entspannungstechniken (11) (30).
Bei manchen Patienten kann neben einer medikamentösen Therapie (symptomatische Therapie,
Antidepressiva) eine Überweisung zur psychotherapeutischen Behandlung erforderlich sein (8)
(9) (11), hierbei hat sich außer dem tiefenpsychologischen Ansatz v.a. die Verhaltenstherapie
bewährt (11) (13). Bezüglich des Vollbilds der somatoformen Störung (siehe Klassifikation) muss
festgehalten werden, dass eine vollständige Heilung sehr selten erreicht werden kann; das
langfristig realistische Therapieziel ist vielmehr eine Linderung der Beschwerden (41).
Bei Patienten mit psychosomatischen Beschwerden entstehen im Mittel 14-fach höhere
Krankheitskosten als die durchschnittlichen pro-Kopf- Ausgaben. Damit gehören sie zu den „high
utilizern“ des Gesundheitsversorgungssystems (35). Es wird davon ausgegangen, dass eine
Integration der Psychosomatischen Medizin in die einzelnen medizinischen Fachgebiete sowohl
Chronifizierung als auch Behandlungsdauer bei psychosomatischen Beschwerden erheblich senken
könnte und damit auch die Kosten minimiert werden könnten (44).
In dieser Studie werden zwei Bereiche des komplexen Phänomens der Somatisierung untersucht:
einerseits epidemiologische Aspekte (Häufigkeit in Bezug auf Alter, Geschlecht und Herkunft) und
zum anderen der Bereich der Versorgung der betreffenden Patienten - dies aus der Sicht der
Hausärzte einerseits und der Patienten andererseits.
Als zusätzlicher Aspekt soll auch untersucht werden, inwieweit Hausärzte und Patienten
grundsätzlich für die Mitarbeit an einer solchen Studie gewonnen werden können.
2. Methodik
Es handelt sich um eine Feldstudie an Hausärzten und Patienten, die Datengewinnung erfolgte
mittels nicht-standardisierter Fragebögen sowie aus den Praxisunterlagen der befragten Hausärzte.
Alle 22 Hausärzte der Sanitätssprengel Brixen und Klausen wurden im selben Zeitintervall (zum
Erreichen von Repräsentativität) kontaktiert und ihnen die folgenden Studienunterlagen persönlich
übergeben bzw. zugesandt:
- je 1 Fragebogen für Hausärzte (siehe Anlage) mit acht Fragen betreffend ihre Erfahrung mit
Diagnostik, Therapie und Arzt- Patienten- Beziehung bei psychosomatischen Patienten
- je 15 Briefkuverts und 15 nummerierte dreiseitige anonyme Patientenfragebögen mit zehn Fragen
(siehe Anlage) betreffend die Art und Behandlung der Beschwerden, den Behandlungserfolg, das
Krankheitskonzept, die Arzt- Patienten- Beziehung und coping- Strategien. Der Begriff
„psychosomatisch“ wurde im Patienten- FB konsequent vermieden mit Rücksicht auf die
erfahrungsgemäß geringe Akzeptanz des Begriffs „psychosomatisch“ (11) (30) (41). Die Patienten
5
sollten dementsprechend ihre sämtlichen Symptome angeben, die Unterscheidung und dadurch
ermöglichte Untersuchung lediglich der psychosomatischen Beschwerdebilder erfolgte
anschließend bei der Auswertung mittels der Diagnosenliste (s.u.). Insgesamt wurden 330
Patienten- Fragebögen versandt.
- je eine Patientenliste zum Eintragen der Namen der an der Studie beteiligten Patienten; diese
wurde für drei Monate bei den Hausärzten aufbewahrt, um eventuelle Rückfragen an die Patienten
über den Hausarzt unter Wahrung der Anonymität zu ermöglichen.
- je eine Diagnosenliste für die Angabe sämtlicher psychosomatischen wie auch nichtpsychosomatischen Diagnosen der Patienten; auf dieser Liste befand sich auch Raum für je zwei
Vermerke des Hausarztes: bezüglich der Akzeptanz der Beschwerden durch den Patienten sowie
bezüglich des Eindrucks des Hausarztes von der jeweiligen Arzt- Patienten- Beziehung.
Die Hausärzte wurden ersucht, ab Erhalt der Unterlagen für insgesamt sieben Wochen zwischen
24.3. und 13.5.2011 an die ersten 15 Patienten, die die Kriterien (s.u.) für psychosomatische
Beschwerden erfüllten (unabhängig vom jeweiligen aktuellen Behandlungsanlass), einen
Fragebogen auszuhändigen; diesen füllten die Patienten ohne Mitwirkung des Arztes aus und gaben
ihn im beigelegten verschlossenen Kuvert in der Praxis ab.
Nach Ablauf der Frist wurden die ausgefüllten Patienten - und Hausarztfragebögen samt
Diagnosenlisten bei je einer vorgegebenen Hausarztpraxis in Brixen und Klausen abgegeben und
dort eingesammelt. Um die Mitarbeit zu fördern, wurde die Studie erst nach Ende der
arbeitsintensiven Wintermonate durchgeführt und die Hausärzte telefonisch und mehrmals per
email persönlich kontaktiert.
Die Auswertung erfolgte computergestützt mittels Excel als deskriptive Statistik.
Als „psychosomatische Erkrankung“ wurde definiert: ein oder mehrere Symptome unterschiedlichster Natur und Organsysteme, die sich nicht hinreichend aus körperlichen Befunden erklären
lassen (14) und die seit mindestens 6 Wochen andauern („history of chronic somatisation“) (20).
Dazu zählten auch Patienten, die diese Kriterien erfüllen und zusätzlich an definierten somatischen
Krankheitsbildern litten. Die Patienten wurden informiert und in die Studie aufgenommen, sofern
sie ihr mündliches Einverständnis dazu gaben.
Ausschlusskriterien waren: Notfälle mit Gefahr im Verzug, Hausvisiten, telefonische
Konsultationen, mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache, unzureichende kognitive Kapazität um
den Fragebogen selbständig ausfüllen zu können;
Kankheitsbilder mit wahrscheinlich
psychosomatischer Komponente, aber bekanntem biophysiologischen Pathomechanismus und (nach
derzeitigem Wissensstand) nicht hauptsächlich psychosomatischer Genese (Bsp. atopische
Dermatitis, Asthma bronchiale, Zöliakie, Nahrungsmittelintoleranzen…).
3. Ergebnisse und Auswertung
Von 22 befragten Hausärzten (davon 14 im Sanitätssprengel Brixen und 8 im Sanitätssprengel
Klausen) beteiligten sich jeweils 50% an der Studie (7 Brixner und 4 Klausner Hausärzte), also
insgesamt 11 (= 50% der Gesamtzahl der Befragten).
Die Beteiligung von Seiten der Ärzte war somit in beiden Sprengeln exakt gleich hoch.
Von den insgesamt 330 verteilten Patienten- Fragebögen wurden 44 an Patienten ausgehändigt,
davon gelangten 36 (10,9%) zur Auswertung (die übrigen acht Fragebögen wurden nicht ausgefüllt
bzw. nicht abgegeben).
3.1 Befragung der Hausärzte
6
1)
a
b
c
d
e
f
Anamnese und körperliche Untersuchung: 2 von 11 Hausärzten (2/11) = 18,2%
Anamnese, körperliche Untersuchung und Labor (6/11) = 54,5%
Anamnese, körperliche Untersuchung und Labor SOWIE einfache apparative Diagnostik (zB. EKG,
US, einfaches RX) (2/11) = 18,2%
Anamnese, körperliche Untersuchung und Labor SOWIE komplexere apparative Diagnostik (zB.
Endoskopie, CT, Belastungs- EKG) (0/11)
Überweisung zum Facharzt (0/11)
Anderes (1/11) = 9,1%
Beinahe alle befragten Hausärzte (a+b+c= 90,9%) bevorzugten also eine begrenzte Diagnostik,
bestehend aus der Anamnese, dem klinischen Befund und (eventuell) einfachen
Zusatzuntersuchungen; ein HA gab „anderes“ an und ergänzte dazu, die Auswahl an Diagnostik sei
sehr unterschiedlich je nach Patient.
2) Anteil der Patienten, die für komplexe Diagnostik (z.B. Endoskopie, CT, Belastungs- EKG,
24h- EKG) bzw. zum Facharzt überwiesen werden:
Jeweils 8/11 Hausärzte (72,7%) überweisen maximal ein 20-30% der Patienten mit Verdacht auf
Somatisierung zu komplexer Diagnostik bzw. zum Facharzt.
Anm.: je 80% hat lediglich ein Arzt angegeben, der dazu anmerkte, dass die Patienten sich sehr oft
anderweitig die Abklärungen auf eigene Faust „organisieren“ (z.B. über die Erste Hilfe) und er sie
gar nicht selber überweist.
7
3)
3)
a
b
c
d
e
f
g
Ein- bis zu dreimaliges Arzt- Patientengespräch (3 von 23 Antworten)
Regelmäßige Arzt- Patientengespräche über längeren Zeitraum (8/23)
Symptomatische pharmakologische Therapie (zB. Analgetika, Spasmolytika, Antivertiginosa) (1/23)
Antidepressiva (2/23)
Benzodiazepine (0/23)
Überweisung zur Psychotherapie (1/23)
Verordnung von allgemeinen Maßnahmen (zB „life-style“, Bewegung, Stressreduktion) (8/23)
Regelmäßige Arzt- Patientengespräche und Empfehlung von Allgemeinmaßnahmen sind die am
häufigsten praktizierten Strategien; beide wurden zudem in 7 von 8 Fällen gemeinsam, d.h. als
kombinierte therapeutische Maßnahme angegeben.
4) Beurteilung der Wirksamkeit der genannten therapeutischen Strategien:
a Ein- bis zu dreimaliges ArztPatientengespräch
b Regelmäßige Arzt- Patientengespräche
über längeren Zeitraum
c Symptomat.pharmakolog. Therapie
d Antidepressiva
e Benzodiazepine
f Psychotherapie
g Allgemeine Maßnahmen
Unwirksam
Wenig
wirksam
Mittelmäßig
gut
9% (1/11)
36,4% (4/11)
27,3% (3/11)
27,3% (3/11)
0
0
0
27,2% (3/11)
0
0
0
54,5% (6/11)
36,4% (4/11)
36,4% (4/11)
27,3% (3/11)
27,3% (3/11)
36,4% (4/11)
45,5% (5/11)
45,4% (5/11)
36,4% (4/11)
45,4% (5/11)
36,4% (4/11)
63,6% (7/11)
0
18,2% (2/11)
0
27,3% (3/11)
36,3% (4/11)
Am besten schneiden ab: 1. Regelmäßige Arzt- Patienten- Gespräche über längeren Zeitraum (29
Punkte), 2. Allgemeine Maßnahmen (23 Punkte), 3. Psychotherapie (22 Punkte). An 4. Stelle liegen die
Antidepressiva (20 Punkte) (wobei nicht unterschieden wurde zwischen SSRI, trizyklischen AD und
neueren SSRI bzw. SNRI; laut Literatur werden zur Behandlung somatoformer Störungen v.a.
Antidepressiva mit sedierender Komponente angewandt (9); 5. Ein- bis dreimaliges Arzt- PatientenGespräch (19 Punkte). Am schlechtesten wurden Benzodiazepine (12 Punkte) und symptomatische
pharmakologische Therapie (16 Punkte) bewertet.
8
Legende (a-g) s. obige Tabelle
5) Den Umgang mit psychosomatischen Patienten empfinden 45,4% (5/11) der befragten Kollegen
als mühevoll (entspricht in etwa der Literatur) (11), 36,4% (4/11) als positive Herausforderung, je
9,1% (1/11) (= je ein Arzt) als „lohnend und bereichernd“ bzw. „gleichwertig“; keiner der befragten
Hausärzte gab „frustrierend“ an.
6) Von den befragten Hausärzten gab lediglich einer (9,1%) an, bereits durch die Ausbildung zum
Allgemeinarzt ausreichend vorbereitet gewesen zu sein auf die Betreuung psychosomatischer
Patienten; sieben von elf Kollegen (63,6%) haben sich die nötigen Kenntnisse selber erworben im
Rahmen von Fortbildungen bereits während ihrer Praxistätigkeit. Drei (27,3%) fühlen sich weder
durch die Ausbildung noch durch berufsbegleitende Fortbildungen ausreichend vorbereitet.
7) Arzt- Patienten- Beziehung- wie erleben sich die Hausärzte selber im Umgang mit
psychosomatischen Patienten?
8) (Insgesamt 26 freie Angaben der Hausärzte)
Die größten Probleme bei der Betreuung
von psychosomatischen Patienten
Zeitfaktor: psychosomatische Patienten brauchen viel Zeit und Energie
Vgl. Literatur (43) (44)
Somatische Fixierung, fehlende Krankheits- Einsicht
Compliance, Schwierigkeit life-style- Änderung
Verunsicherung der Patienten durch die Medien
Gratwanderung: keine übertriebene Diagnostik- keine red flags übersehen
Psychischer Druck, Erwartungshaltung der Patienten
Lange Arzt- Patienten- Beziehung erforderlich, selbst dann noch Schwierigkeit,
eine Vertrauensbasis zu erreichen
Pathologisierende Facharzt- Kollegen (vgl. Literatur) (43) (44)
Wunsch nach andauernder Diagnostik
Wunsch nach Alternativmedizin, wenig Vertrauen in die Schulmedizin
Wie oft
angegeben:
(6/26)
23,2%
(5/26)
(4/26)
(2/26)
(2/26)
(2/26)
(2/26)
19,2%
15,4%
7,7%
7,7%
7,7%
7,7%
(1/26)
(1/26)
(1/26)
3,8%
3,8%
3,8%
9
3.2 Befragung der Patienten
Von 330 ausgesandten Patienten - FB wurden 44 an Patienten ausgehändigt, davon gelangten 36
(=10,9% der Gesamtzahl an FB) zur Auswertung. Von diesen wiederum stammen 19 (52,8%)
Patienten aus dem Sprengel Klausen, 17 (47,2%) Patienten aus dem Sprengel Brixen.
Durchschnittlich haben die Hausärzte aus Klausen pro Kopf 4,75 Patienten befragt, die Brixner
Hausärzte 2,43 Patienten.
1) Geschlecht, Alter, Wohnort und Beruf: Von den 36 Patienten waren 8 männlich (22,2%) und
28 weiblich (77,8%); die Frauen überwiegen somit deutlich (beinahe 4/5).
Alle Altersgruppen waren vertreten, die meisten untersuchten Patienten befanden sich in der 6.
Dekade bzw. im höheren Lebensalter. In allen Altersgruppen überwog das weibliche Geschlecht (in
den mittleren Lebensdekaden waren 100% Frauen) mit Ausnahme der über 80jährigen: dort beträgt
das Verhältnis männlich:weiblich 1:1 (allerdings nur 6 Patienten).
22 Patienten (61,1%) haben ihren Wohnsitz auf dem Land, 14 von 36 Patienten (38,9%) wohnen in
der Stadt. Somit sind beinahe 2/3 der untersuchten Patienten Landbewohner.
19/36 Patienten (52,8%) sind Rentner oder Hausfrauen, 14 (38,9%) sind berufstätig, 3 (8,3%) sind
Schüler bzw. Studenten. Nicht untersucht wurde der Bildungsstand.
2) Häufigste angegebene Beschwerden:
Rang
1.
2.
3.
4.
4.
4.
4.
5.
6.
6.
7.
7.
8.
8.
9.
10.
10.
SYMPTOME nach (11) (41)
Flatulenz, Diarrhoe/ Obstipation
Schlafstörungen
Bauchschmerzen Oberbauch/ periumbilikal
Cephalea
Müdigkeit, Erschöpfung, Leistungsknick
Schwindel, Gleichgewichtsstörungen
Innere Unruhe, Konzentrationsstörungen
Schmerzen/ Missempfindungen Extremitäten
Rücken-/ Nackenschmerzen, Verspannungen
Palpitationen (Herzrasen/ -stolpern)
Bauchschmerzen Unterbauch
Thorakale Schmerzen, „Herzschmerzen“
Nausea, Vomitus, Inappetenz
Anderes (von den Patienten angegeben als: „Schmerzen überall“)
Enge-/ Globusgefühl im Hals, Luftnot
Dysurie/ häufiger Harndrang
Dyspareunie
GESAMT:
davon Schmerzymptomatiken insgesamt:
Patienten
19
13
12
11
11
11
11
10
8
8
6
6
5
5
4
1 (weiblich)
1 (weiblich)
142 Angaben
60
Anteil
13,4%
9,1%
8,5%
7,8%
7,8%
7,8%
7,8%
7,0%
5,6%
5,6%
4,2%
4,2%
3,5%
3,5%
2,8%
0,7%
0,7%
100%
= 42,2%
Nicht berücksichtigt wurde ein gleichzeitiges Vorliegen oder Fehlen von definierten psychiatrischen Diagnosen (Angststörung,
Depression, Psychosen).
10
Zusammengefasst überwiegen die Schmerzsymptomatiken mit 42,2% (entsprechend der Literatur)
(11)(30)(39)(42), v.a. Schmerzen des Bewegungsapparates, Bauch- und Kopfschmerzen. An 2.
Stelle stehen Verdauungsstörungen (insg. 29,6% inkl. Abdominal-schmerzen), 3. Schlafstörungen
und Müdigkeit (16,9%).
Abb: die häufigsten Beschwerden in Abhängigkeit vom Alter
Weiters leiden die Patienten in den meisten Fällen (75%) an multiplen Symptomen:
Gesamt
Multiple Symptome
=75%
27 von 36 Pt
Isoliertes Symptom
=25 %
9 von 36 Pt
Weiblich
männlich
21 von 27 Pt
6
77,8%
22,2%
7 von 9 Pt
2
77,8%
22,2%
<30 a - 39 a
40 - 49 a
50 - 59 a
60 - 69 a
70 - 79 a
>80 a
3 Pt
2
7
5
6
4
11,1%
7,5%
25,9%
18,5%
22,2%
14,8%
5
2
0
0
0
2
55,6%
22,2%
Stadt
Land
8 Pt
19
29,6%
70,4%
6 Pt
3
66,7%
33,3%
22,2%
Die Multiplizität der Symptome erscheint nicht geschlechtsabhängig (das Verhältnis männlich:
weiblich entspricht exakt dem Gesamtverhältnis), sehr wohl hingegen besteht ein Altersunterschied
(s. Abb. unten): PT im mittleren und höheren Lebensalter (außer die über 80jährigen) litten
tendenziell öfters an multiplen Beschwerden als junge PT.
11
Vergleich Stadt- Land: multiple Beschwerden wurden häufiger von Patienten aus dem Land
angegeben, während sich Einzelsymptome häufiger in der Stadtbevölkerung fanden.
3) Welche Ursache sehen die Patienten als am wahrscheinlichsten für ihre Beschwerden:
Körperliche Erkrankung, die möglicherweise noch unerkannt ist
Seelische Belastungen
Beides
unentschieden
7 von 36 Pt
9/36
16/36
4/36
19,5%
25%
44,4%
11,1%
Abb: Krankheitskonzept in Abhängigkeit vom Alter
Im jüngeren und mittleren Lebensalter scheint die Akzeptanz einer psychosomatischen Genese
höher zu sein als im höheren Lebensalter.
4)
Rang
1.
2.
3.
4.
4.
5.
5.
6.
7.
Wie behandeln die Patienten ihre Beschwerden:
Medikamentös (Schulmedizin)
Entspannungsübungen, Massagen
Alternativmed.Medikamente (Homöopathie, Bachblüten..)
Hausmittel
Anderes: Arztbesuch
Physiotherapie
Psychotherapie
Sport, Bewegung
Akupunktur
Angaben
22
9
8
6
6
4
4
3
1
Anteil in %
34,3%
14%
12,5%
9,4%
9,4%
6,25%
6,25%
4,7%
1,6%
12
7.
Gar nicht
1
1,6%
Im Unterschied zu den Angaben der Hausärzte (Bewegung und regelmäßige Arzt- PatientenGespräche als wirksamste und am häufigsten verordnete Maßnahmen sowie relativ geringe
Anwendung von Medikamenten s.o.) gaben nur 3 Patienten an, ihre Beschwerden mittels Sport und
Bewegung zu beeinflussen, hingegen steht die medikamentös - schulmedizinische Behandlung an
erster Stelle.
5) Behandlungserfolg (Mehrfachantworten waren möglich je nach Anzahl der angegebenen Symptome, insgesamt
68 Antworten):
- deutlich gebessert: 33/68 = 48,5%
- leicht gebessert: 22/68 = 32,4%
- nicht gebessert: 13/68 = 19,1%
Insgesamt zeigten also über 80% der Symptome eine Besserungstendenz aufgrund der Behandlung.
Zur Wirksamkeit der einzelnen Therapieformen siehe folgende Abb.
Prozentual angegeben zeigten durch Homöopathie und Hausmittel behandelte Beschwerden die
stärkste Besserungstendenz, ebenfalls gut wirksam scheinen Entspannungsübungen und Bewegung
zu sein (Einschränkung: bei letzterer nur 3 Patienten). Schulmedizinische Medikamente und v.a.
Psychotherapie schnitten verhältnismäßig schlechter ab: letztere erbrachte nur leichte Besserung
bzw. war erfolglos, bei der Schulmedizin ist der Anteil an deutlich, leicht und nicht gebesserten
Beschwerden jeweils ungefähr gleich hoch.
6) Beeinträchtigung durch die Beschwerden in Alltagsleben und psychosozialem Umfeld (wiederum
Mehrfachantworten, je nach Anzahl der angegebenen Beschwerden):
Nicht beeinträchtigt
Leicht beeinträchtigt
Mittelmäßig beeinträchtigt
Stark beeinträchtigt
Patientenangaben
1/54
16/54
26/54
11/54
Anteil in %
1,9%
29,6%
48,1%
20,6%
7) Krankenstände im Jahr 2010: von den 14 berufstätigen Patienten mussten 6 (42,9%) keinen
Krankenstand nehmen, 5 (35,8%) unter einer Woche; je 1 Patient (je 7,1%) gab 1-2 Wochen/ 2-4
13
Wochen/ über 4 Wochen an. Insgesamt sind über drei Viertel (78,7%) aller untersuchten Patienten
im Berufsleben gar nicht bis wenig ausgefallen.
8) Coping: Was hilft den Patienten am meisten im Umgang mit ihren Symptomen (wiederum
Mehrfachantworten, insg. 80 Angaben):
Rang
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Bewältigungsstrategie (COPING)
Das Gespräch mit dem Hausarzt
Pharm. Therapie (Schulmedizin)
Glaube, Religion
Gutes soz. Netz/ zwischenmenschl. Beziehungen
Familie, Partner
Homöopathie
Hausmittel
Entspannungstechniken/ Massagen
Psychotherapie
Bewegung, Sport
Patientenangaben
17/80
16/80
13/80
8/80
7/80
6/80
6/80
5/80
1/80
1/80
Anteil in %
21,25%
20%
16,25%
10%
8,75%
7,5%
7,5%
6,25%
1,25%
1,25%
9) Wie fühlen sich die Patienten vom Hausarzt verstanden (35 von 36 Pt haben die Frage beantwortet):
-
gar nicht: 0%
mäßig: 7/35 Pt (20%)
gut: 17/35 Pt (48,6%)
sehr gut: 11/35 Pt (31,4%)
Insgesamt fühlen sich 80 % der Pt gut oder sehr gut von ihrem HA verstanden, niemand gar nicht.
Eine Person gab „mäßiges“ Verständnis des Hausarztes an, aber und zugleich das Arzt- PatientenGespräch als wichtigste Bewältigungsstrategie.
10) Wie lange sind die Patienten bei ihrem Hausarzt eingeschrieben:
-
unter 5 Jahre: 8/34 Pt (23,5%)
6-10 Jahre: 4/34 Pt (11,8%)
11-20 Jahre: 2/34 Pt (5,9%)
Über 20 Jahre: 20/34 Pt (58,8%)
Somit werden mehr als die Hälfte der Patienten seit über 20 Jahren von ihrem HA betreut, ein
knappes Viertel ist seit 1-5 Jahren beim jeweiligen Hausarzt eingeschrieben.
Zusammenhang zwischen der Dauer und der vom Patient wahrgenommenen Qualität der ArztPatienten- Beziehung: 12 Patienten waren <10 a eingeschrieben; davon fühlen sich 10 (83,3%) gut
bzw. sehr gut vom HA verstanden, 2 (16,7%) gaben „mäßig“ an. 22 Patienten waren > 10 a
eingeschrieben, davon gaben 17 (77,3%) „gut“ oder „sehr gut“ und 5 (22,7%) „mäßig“ an. In
beiden Kategorien wird das Verständnis des HA großteils als gut oder sogar sehr gut empfunden;
bei den langjährigen Arzt- Patienten- Beziehungen scheint es eine geringfügige Verschiebung von
„(sehr) gut“ hin zu „mäßig“ zu geben.
Die Hausärzte wurden zusätzlich befragt nach ihrer Einschätzung zu jedem Patienten bezüglich
Akzeptanz der Beschwerden als psychosomatisch und ob sie den Eindruck haben, dass sich der
jeweilige Patient von ihnen verstanden fühlt oder nicht (bei dieser Frage haben 7 von den 11 Hausärzten
mitgearbeitet mit insgesamt 27 Patienten).
Übereinstimmung HA-PT: Akzeptanz
HA 1
HA 2
HA 3
HA 4
HA 5
HA 6
0%
100%
66,7%
66,7%
100%
60%
0/1 befragtem Patient
5/5 Pt
2/3 PT
4/6 Pt
5/5 Pt
3/5 Pt
Übereinstimmung HA-PT: verstandenfühlen
0%
0/1 befragtem Patient
100%
5 Pt
66,7%
2/3 Pt
66,7%
4/6 Pt
60%
3/5 Pt
80%
4/5 Pt
14
HA 7
-
-
0
0 Pt (keine Angaben)
100%
2/2 Pt
Übereinstimmung HA - PT bezüglich Akzeptanz „psychosomatisch“: 63% (17 Patienten)
Übereinstimmung HA - PT bezüglich Verstanden- Fühlen: 74% (20 Patienten)
Übereinstimmung HA - PT in beiden Aspekten: 51,8% der Fälle (14 Patienten)
Diskrepanz Einschätzung Akzeptanz der Beschwerden als „psychosomatisch“: 22,2% (6 PT) Diskrepanz (und
zwar in allen Fällen in dem Sinn, dass der HA den Eindruck hatte, der Patient akzeptiere die Erklärung
„psychosomatisch“ nicht, und der PT hingegen gab als Krankheitskonzept psychogene Ursachen der
Beschwerden an); 4 x keine Angabe (14,8%)
Diskrepanz Einschätzung Verstanden- Fühlen: 26% (7 Patienten) Diskrepanz (und zwar in allen Fällen in
dem Sinn, dass der Hausarzt annahm, der Patient fühle sich nicht verstanden, dieser hingegen angab, sich gut
verstanden zu fühlen).
Bei einem Hausarzt (HA 2) mit 5 Patienten fanden sich 100% Übereinstimmung zwischen seinen
Angaben und denen der Patienten (Anm.: es handelte sich dabei um denjenigen Hausarzt mit der
meisten Alternativmedizin- Anwendung); bei fast allen (6 von 7) befragten Hausärzten stimmten
über 60% der Angaben mit denen ihrer Patienten überein.
4. Diskussion
Die Studienpopulation musste aus technischen, organisatorischen und finanziellen Gründen auf die
Sprengel Brixen und Klausen beschränkt werden und ist damit relativ niedrig, trotzdem resultierte
eine gute Beteiligung der Hausärzte an der Studie mit 50 % - wohl auch aufgrund der wiederholten
Erinnerungs- emails und Kontakte mit den angeschriebenen Ärzten. Es wurden hingegen von den
Hausärzten nur 44 Patienten- FB ausgegeben; dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die
Kollegen im Praxisalltag zeitlich überfordert waren bzw. sich nicht daran erinnert haben. Von den
44 PT- FB wiederum wurden 36 ausgefüllt, was einer sehr guten Patientenbeteiligung mit 81,8%
entspricht. Trotzdem lässt die geringe Gesamtzahl an Patienten keine Aussagen zur Signifikanz zu.
Sowohl im Bereich der Diagnostik als auch bezüglich der Therapie von somatoformen
Beschwerden besteht eine weitgehende Übereinstimmung mit den aktuellen LeitlinienEmpfehlungen (11) (30) (41): Der Großteil der Hausärzte bevorzugt eine nicht-extensive
Diagnostik, bestehend aus der Anamnese, dem klinischen Befund und eventuell einfachen
Zusatzuntersuchungen und überweist maximal 20-30% der Patienten zu komplexer Diagnostik bzw.
zum Facharzt.
Regelmäßige Arzt- Patientengespräche und Empfehlung von Allgemeinmaßnahmen werden als
wirksamste Maßnahmen angesehen und sind die am weitaus häufigsten und zudem meist
kombiniert praktizierten Strategien. Dies entspricht den LL- Empfehlungen (11) (30) (41).
Antidepressiva werden zwar in der Wirksamkeit relativ gut bewertet, jedoch ebenso wie
symptomlindernde Medikamente seltener angewandt, Benzodiazepine gar nicht (auch letzteres in
Übereinstimmung mit der Literatur, die eine restriktive Handhabung der symptomatischen Therapie
empfiehlt sowie Tranquilizer als obsolet ansieht) (41). Auffallend ist eine Diskrepanz in der
Einschätzung und Handhabung von Psychotherapie: trotz der positiven Bewertung ihrer
Wirksamkeit bei psychosomatischen Beschwerden - wie in der Literatur hinsichtlich
Langzeitergebnisse bestätigt (26) (34) (38) - wird sie selten verordnet. Dafür bieten sich mehrere
mögliche Erklärungen an: Eine Psychotherapie- Ausbildungsmöglichkeit in Südtirol gibt es erst seit
einigen Jahren, viele Hausärzte bei uns haben keine Psychotherapieausbildung absolviert; die
Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Psychotherapeuten ist nicht allgemein etabliert;
außerdem gibt es kein flächendeckendes Psychotherapeuten- Netz; die Patienten wenden sich wenn - dann meist autonom an einen Therapeuten ohne Einbeziehung des Hausarztes.
Die Behandlung psychosomatischer Patienten wird zwischen mühevoll und positiv herausfordernd
erlebt; eine mögliche Begründung für die häufigen Schwierigkeiten (vor allem Zeitfaktor,
somatisches Krankheitskonzept und mangelnde Compliance) vgl. (43) (44) ist die großteils nicht
ausreichende Vorbereitung durch die Ausbildung, was von den meisten Ärzten durch entsprechende
15
Weiterbildung kompensiert wurde. Insgesamt zeigte sich, dass sich der Großteil der befragten
Hausärzte selbst als wichtiger Bezugspunkt für die Patienten erlebt.
In der Befragung nicht berücksichtigt wurden Supervision und Balint- Gruppenarbeit (24) (25) (32)
(37) (derzeit existiert in den untersuchten Gebieten keine Balint- Gruppe).
Die epidemiologische Aussagekraft der Studie ist aus den obengenannten Gründen begrenzt.
Trotzdem zeigen sich gewisse Tendenzen: ein deutliches Überwiegen des weiblichen Geschlechts
(wie auch in der Literatur angegeben) (11) (42) in allen Altersgruppen bis auf die über 80jährigen;
eine Prädilektion des mittleren Lebensalters, wobei es hinsichtlich des Alters widersprüchliche
Angaben in der Literatur gibt, großteils wird jüngeres Lebensalter (16 – 30 a) als Risikofaktor
angesehen (11) (35). In anderen Untersuchungen (42) - dort allerdings untersucht im
Zusammenhang mit Depression und Angststörung - zeigte sich eine höhere Prävalenz im mittleren
Lebensalter. Ebenso scheint ländliche Herkunft ein Risikofaktor für Somatisierung zu sein. Nicht
untersucht wurde der Bildungsstand der Patienten, die Mehrzahl aller befragten Patienten war
berentet; laut Literatur ist Pensionierung ebenso wie Arbeitslosigkeit, niedrige soziale Schicht und
niedriger Bildungsstatus ein Risikofaktor für somatoforme Störungen (11) (35), vgl. S. 4.
Die von den Patienten beschriebenen Symptome waren zumeist multipel (11) (41) (außer bei jungen
und über 80jährigen Patienten und tendenziell weniger auch in der Stadtbevölkerung); am
häufigsten handelte es sich um Schmerzsymptomatiken (welche auch in der Literatur an erster
Stelle stehen) (11) 30) (39) (42), gefolgt von Verdauungsbeschwerden sowie Schlafstörungen und
Erschöpfung.
Im jüngeren Alter überwiegen Symptome von seiten des Verdauungstraktes; Schwindel ist ein
typisches Problem des höheren Alters (dort wahrscheinlich nicht rein psychosomatisch bedingt),
während Schlafstörungen und Müdigkeit sowie thorakale Beschwerden und Schmerzen am
Bewegungsapparat vor allem im mittleren bis höheren Alter vorkommen; Kopfschmerzen scheinen
ein altersunabhängiges Symptom zu sein.
Im Unterschied zur beschriebenen klassischen Abwehr psychosomatischer Konzepte (11) (41)
sehen die meisten Patienten in dieser Studie- v.a. jene im jüngeren und mittleren Lebensalter- die
Ursache für ihre Beschwerden teilweise oder ganz im seelischen Bereich.
Interessant ist die Gegenüberstellung der Krankheitskonzepte der Patienten mit deren Einschätzung
durch den jeweiligen Hausarzt: mehrheitlich besteht Übereinstimmung, in einem Teil der Fälle
jedoch hatte der Hausarzt den Eindruck, der Patient sei mit der psychosomatischen Deutung nicht
einverstanden, die Patienten hingegen gaben psychogene Faktoren als mögliche Ursachen an; eine
umgekehrte Abweichung fand sich in keinem der verglichenen Fälle.
Beinahe alle Patienten behandeln ihre Beschwerden, zumeist medikamentös- schulmedizinisch,
sowie ebenfalls häufig mittels Entspannungstechniken, alternativmedizinischen Medikamenten und
Hausmitteln, wobei die beiden letztgenannten die stärksten Besserungstendenzen erbrachten und
gegenüber der Schulmedizin in der Wirksamkeit überlegen scheinen (allerdings ist auch hier die
Aussagekraft durch die geringe Patientenzahl begrenzt). Weiters ist der Arztbesuch ein beliebtes
„Therapeutikum“ für psychosomatische Patienten, allerdings nie als alleinige Maßnahme.
Im Unterschied zu den Angaben der Hausärzte werden also von den Patienten medikamentöse
Maßnahmen weitaus bevorzugt und offensichtlich häufiger angewandt als von den Ärzten
verordnet. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz ist eine Selbstmedikation der Patienten
mittels rezeptfreier OTC- Präparate.
Insgesamt zeigt sich, dass 4/5 aller Beschwerden durch die Therapie eine Besserungstendenz
aufweisen; bekanntlich zielt die Behandlung somatoformer Störungen nicht primär auf Heilung ab,
da diese fast nie erreicht werden kann (41), vgl. S. 5; eine Linderung hingegen scheint in den
allermeisten Fällen (gut) möglich zu sein.
Interessant sind die Erfahrungen der Patienten mit der Psychotherapie, die nur leichte bis gar keine
Besserung erbrachte. Hier ist jedoch wiederum die Anzahl der mittels Psychotherapie behandelten
Patienten zu gering, als dass sich eine gültige Aussage treffen ließe.
16
Als Coping- Strategien bei chronischen funktionellen Beschwerden sind für die meisten Patienten
neben der medikamentösen Unterstützung das Gespräch mit dem Hausarzt sowie Glaube und
Religion am wichtigsten; interessanterweise nehmen Familie und zwischenmenschliche
Beziehungen zwar ebenfalls einen relativ wichtigen Stellenwert ein, jedoch deutlich weniger als die
erstgenannten Aspekte. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass es sich bei der Mehrzahl um
Patienten im mittleren und höheren Lebensalter handelt, wo eine gewisse soziale Isolation nicht
selten ist (mehrere Patienten haben dies auf dem Fragebogen vermerkt, obwohl nicht ausdrücklich
darüber befragt).
Insgesamt gaben fast alle Patienten an, durch ihre Beschwerden im Alltagsleben und im
psychosozialen Umfeld (zumeist mittelgradig) beeinträchtigt zu sein; trotzdem ist auffallenderweise - der Großteil der Patienten im Berufsleben aufgrund der Beschwerden gar nicht
bis wenig ausgefallen.
Die meisten Patienten fühlen sich gut bis sehr gut von ihrem Hausarzt verstanden, in knapp ¾ der
Fälle empfinden dies die Hausärzte ebenso. Bei langjährigen Arzt- Patienten- Beziehungen (über 10
Jahre) scheint das Verständnis geringfügig verschoben zu sein von „gut“ hin zu „mäßig“.
5. Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die befragten Hausärzte sowohl in der Diagnostik
als auch in der Therapie von somatoformen Störungen im Wesentlichen an den LeitlinienEmpfehlungen orientieren, während bei den Patienten eine Vorliebe für pharmakologische
Interventionen besteht (mehrheitlich Schulmedizin, aber auch Alternativmedizin ist beliebt). Es
besteht also eine auffallende Divergenz zwischen Ärzten und Patienten, und zwar weniger im
Krankheits -, als vielmehr im Therapiekonzept. Im Alltag könnte dies bedeuten, dass eine explizite
Erfragung der Patientenerwartungen und eine daraus folgende Aufklärung des Patienten das
Erarbeiten eines gemeinsamen Therapiekonzeptes erleichtern und damit zielführender sein könnte.
Weiters zeigte sich eine weitgehend große Zufriedenheit mit der Arzt- Patienten- Beziehung seitens
der Patienten in Übereinstimmung mit der Selbsteinschätzung der Hausärzte. Tendenziell nimmt die
Patientenzufriedenheit mit längerer Dauer der Arzt- Patienten- Beziehung eher ab.
Die epidemiologischen Ergebnisse stimmen mehrheitlich mit der Literatur überein: Überwiegen der
Schmerzsyndrome, Prädilektion des weiblichen Geschlechts und Pensionierung als Risikofaktoren.
Nicht bestätigt wurde das jüngere Lebensalter als Risikofaktor, es zeigte sich ein höheres
Vorkommen von psychosomatischen Beschwerden in den mittleren Dekaden.
Insgesamt war die Beteiligung der Hausärzte an der Studie gut bei entsprechender Motivation; für
die Patientenbefragung wäre es günstiger, die Fragebögen nicht über die Hausärzte zu verteilen, da
dies häufig vergessen bzw. als zeitliche Überforderung empfunden wurde; es bleibt zu klären, wie
dies methodisch konkret gelöst werden könnte.
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