6 Mannigfaltigkeiten 1 Vorlesung 1 Einleitung In dieser Veranstaltung werden wir die Grundlagen der Theorie differenzierbarer Mannigfaltigkeiten behandeln. Mannigfaltigkeiten sind Mengen mit etwas Struktur, die dafür sorgt, das diese Mengen sich lokal wie ein n verhalten. Beispiele sind - natürlich - der n , aber auch die n-dimensionalen Sphären S n oder die projektiven Räume P n . Da sich Mannigfaltigkeiten lokal wie n verhalten und da Differenzierbarkeit eine lokale Eigenschaft ist, ist es leicht zu glauben, das man den Begriff der Differenzierbarkeit von Abbildungen auf Mannigfaltigkeiten übertragen kann. Auch die bekannten Matrixgruppen SO(n), SU (n), SP (n), . . . sind Mannigfaltigkeiten. (Hier kommt hinzu, das die Gruppenoperationen (Inversion und Multiplikation) differenzierbare Abbildungen sind. Gruppen, die auch Mannigfaltigkeiten sind und diese Glattheitsbedingung erfüllen heißen Liegruppen. Sie spielen in der Differentialgeometrie eine große Rolle und wir werden sie später noch behandeln.) Nachdem wir die grundlegenden Begriffe eingeführt haben werden wir das nötige Handwerkszeug zusammentragen um Krümmungtheorie von Mannigfaltigkeiten zu betreiben. R R 2 R R Grundlagen Bevor wir den Begriff der Mannigfaltigkeit definieren können benötigen wir einige wenige Begriffe aus der Topologie, die uns helfen das Verhalten des n , das wir ja “nachbauen” wollen zu charakterisieren. R 2.1 Etwas Topologie Wir beginnen mit einigen wenigen topologischen Grundlagen. Eine Topologie auf einer Menge M ist ein System von Teilmengen (also selbst eine Teilmenge der Potenzmenge P(M ) von M (der Menge aller Teilmengen von M )), die sich verhalten wie die offenen Mengen im n : R Definition 2.1 Sei M 6= ∅ eine Menge. T ⊂ P(M ) heißt eine Topologie auf M , falls gilt: • ∅, M ∈ T , S • Ai ∈ T, i ∈ I ⇒ i∈I Ai ∈ T (beliebige Vereinigungen von Elementen von T sind in T ), T • Ai ∈ T, i ∈ I, #I < ∞ ⇒ i∈I Ai ∈ T (endliche Schnitte von Elementen von T sind in T ). 6 Vorlesung 1 Mannigfaltigkeiten 7 Ist dann A ∈ T , so heißt A offene Teilmenge von M, ist M \ A ∈ T , so heißt abgeschlossene Teilmenge von M. Das Paar (M, T ) wird auch topologischer Raum genannt (oft schreibt man auch M sei topologischer Raum und meint man hat eine Topologie auf M gewählt). Ist (M, T ) ein topologischer Raum und ist U ⊂ M mit U 6= ∅, so wird U mit TU = {A ∩ U | A ∈ T } selbst zu einem topologischen Raum Tu heißt dann die von M induzierte Topologie auf U . Bemerkung. ∅ und M sind also immer offen und abgeschlossen in M . Beispiel 2.1 • T = P(M ): Jede Teilmenge ist offen (und abgeschlossen). • T = {∅, M }: nur ∅ und M sind offen und abgeschlossen. R • Sei M = n und T = {A ⊂ M | p ∈ A ⇒ ∃ > 0 : B (p) ⊂ A}, wo B (p) = {x ∈ M | kx − pk < } die offene Kugel um p vom Radius bezeichne. Hier sind die offenen Mengen genau die aus der Analysis bekannten. Im letzten Beispiel kann man also jede offene Menge als Vereinigung passender offener Bälle schreiben. Es reichen sogar Bälle mit rationalem Radius und Mittelpunkten mit rationalen Koordinaten. Definition 2.2 Man sagt das eine topologischer Raum (M, T ) eine abzählbare Basis S besitzt, falls es eine abzählbare Teilmenge B ⊂ T gibt mit A ∈ T ⇒ A = i∈I Bi und Bi ∈ B für alle i ∈ I. Jede offene Menge lässt sich also als (abzählbare) Vereinigung von Elementen der Basis schreiben. Offene Mengen spielen eine zentrale Rolle in der Beschreibung von Nachbarschaft und Separation von Punkten. Das zweite wird in der Topologie durch sog. Trennungsaxiome beschreiben. Für uns ist hier nur das Hausdorff’sche Trennungsaxiom von Bedeutung: Es beschreibt den aus dem n wohlbekannten Sachverhalt, das man um zwei verschiedene Punkte immer zwei disjunkte offene Umgebungen finden kann. R Definition 2.3 Ein topologischer Raum (M, T ) heißt Hausdorff’sch, falls für alle a, b ∈ M gilt a 6= b ⇒ ∃U, V ∈ T : a ∈ U ∧ b ∈ V ∧ U ∩ V = ∅. 7 8 Mannigfaltigkeiten Vorlesung 1 Für die Beschreibung von Nachbarschaft wiederum sind stetige Funktionen nützlich. Definition 2.4 Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heißt stetig, falls Urbilder offener Mengen offen sind. Bemerkung. Die bekannten Definitionen für Stetige Funktionen über “Folgenstetigkeit” oder das “δ--Kriterium” sind im n äquivalent1 zu dieser Definition von Stetigkeit, können aber in einem so allgemeinen Rahmen nicht funktionieren, da wir bisher keine Möglichkeit haben über Abstand oder Konvergenz in unseren topologischen Räumen zu reden. R R R Beispiel 2.2 Betrachtet man Abbildungen f : → und wählt auf dem Definitionsbereich T = {∅, } als Topologie, so sind nur die konstanten Abbildungen stetig. Wählt man andererseits T = P( ), so ist jedes solche f stetig. R R Definition 2.5 Ein Homöomorphismus ist eine stetige Abbildung mit stetiger Umkehrabbildung. Definition 2.6 Ein topologischer Raum (M, T ) heißt zusammenhängend, falls es keine A, B ∈ T \{∅} mit A∪B ⊃ M und A∩B = ∅ gibt. (M, T ) heißt wegzusammenhängend, falls es zu allen a, b ∈ M ein stetiges γ : [0, 1] → M mit γ(0) = a und γ(1) = b gibt Bemerkung. Wegzusammenhang ist die stärkere Bedingung: Sei M = {0} × S 1 }. (0, 1] ∪ (0, 1] × {0} ∪ n∈N (0, 1] × { n+1 1 Genauer geht das in Banachräumen: vollständigen normierten Räumen. 8 Vorlesung 1 Mannigfaltigkeiten 9 R Wählt man auf M die durch den normalen 2 induzierte Topologie, so ist M zusammenhängend. M ist aber nicht wegzusammenhängend, da es keinen stetigen Weg von (0, 1) zu (1, 0) gibt (man beachte das (0, 0) nicht in M enthalten ist). Andererseits gilt aber folgendes Lemma Lemma 2.7 Ist (M, T ) wegzusammenhängend, so auch zusammenhängend. Beweis. Sei (M, T ) wegzusammenhängend. Angenommen M ist nicht zusammenhängend. Dann existieren zwei nichtleere Teilmengen A, B ∈ T mit A ∪ B = M und A ∩ B = ∅. Sei jetzt a ∈ A und b ∈ B. Dann existiert ein stetiger Weg γ : [0, 1] → M mit γ(0) = a und γ(1) = b. Da γ stetig ist müssen à = γ −1 (A) und B̃ = γ −1 (B) offen in [0, 1] sein (und nichtleer) und da [0, 1] zusammenhängend ist, ist [0, 1] 6= à ∪ B̃. Andererseits ist aber à ∪ B̃ = γ −1 (A) ∪ γ −1 (B) = γ −1 (A ∪ B) = γ −1 (M ) = [0, 1]. Widerspruch. Die Annahme war also falsch und M muss zusammenhängend sein. Bemerkung. Achtung: zusammenhängend ist nicht dasselbe wie einfach zusammenhängend. Der zweite Begriff besagt anschaulich, dass die Menge kein “Loch” hat. 2 ist einfach zusammenhängend, 2 \ {0} ist es nicht.2 R 2.2 R Mannigfaltigkeiten Wir werden jetzt differenzierbare Mannigfaltigkeiten einführen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dafür – beispielsweise als bestimmte Teilmengen eines hinreichend hochdimensionalen n . In diesem Fall kann man die differenzierbare Struktur des umgebenden Raumes auf die Mannigfaltigkeiten “vererben”. Allerdings verschleiert diese Herangehensweise die Tatsache, dass der umgebende Raum in der eigentlichen Theorie überhaupt keine Rolle spielt. Wir werden Mannigfaltigkeiten abstrakt einführen. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeiten ist dann ein Hausdorff’scher topologischer Raum M zusammen mit einem maximalen Atlas von Karten auf M . Diese Begriffe werden wir jetzt der Reihe nach einführen. Soweit nicht anders gesagt wird für uns “glatt” oder “differenzierbar” C ∞ – also beliebig oft stetig differenzierbar – bedeuten. Einen Großteil der Theorie kann man auch mit niedrigerer Differenzierbarkeitsordnung formulieren, allerdings ist es bisweilen mühsam (und nicht besonders instruktiv) die für die diversen Aussagen minimal nötige Differenzierbarkeitsordnug abzuzählen. R 2 R R R Allerdings ist 3 \{0} jedoch wieder einfach zusammenhängend - 3 \{(x, 0, 0) | x ∈ } wiederum nicht. Etwas präziser ist ein topologischer Raum einfach zusammenhängend, falls sich jeder geschlossene stetige Weg stetig zu einem Punkt zusammenziehen lässt. Wir werden vermutlich später genauer darauf eingehen. 9 10 Mannigfaltigkeiten Vorlesung 1 Definition 2.8 Sei (M, T ) topologischer Raum und U ⊂ M offen. R • φ : U → n heißt Karte (oder Koordinatensystem), falls φ(U ) offen und φ Homöomorphismus ist. n heißt dann die Dimension der Karte. R • Man sagt zwei Karten (derselben Dimension) φ : U → n und η : V → n sind verträglich oder überlappen glatt, falls φ◦η −1 und η ◦φ−1 glatt sind (wo definiert). (Ist U ∩V = ∅ so möge das als trivial erfüllt gelten, andernfalls gibt es Ũ = φ(U ∩ V ) und Ṽ = η(U ∩ V ) und Abbildungen φ◦η −1 : Ṽ → Ũ bzw. η◦φ−1 : Ũ → Ṽ , von denen wir Differenzierbarkeit verlangen). R • Ein Atlas auf M ist eine Menge von verträglichen Karten derart, dass jeder Punkt p ∈ M in mindestens einem Definitionsbereich U einer Karte liegt (diese werden dann auch Koordinatenumgebung von p genannt). • Ein Atlas A heißt maximaler Atlas, falls jede mit jeder Karte aus A verträgliche Karte schon in A enthalten ist. Der Begriff des maximalen Atlas ist eher technischer Natur und es genügt für gewöhnlich, um seine Existenz zu wissen. Bevor wir Beispiele von Mannigfaltigkeiten betrachten, formulieren wir noch ein kleines Lemma, das uns die Existenz maximaler Atlanten garantiert: Lemma 2.9 Jeder Atlas ist in einem eindeutigen maximalen Atlas enthalten. Beweis. Sei der Atlas A gegeben. à bezeichne die Menge aller mit allen Karten aus A verträglichen Karten. Ist à Atlas, so ist à eindeutiger maximaler Atlas, der A enthält: Wäre  ein weiterer, so wäre jede Karte aus  mit jeder Karte aus A ⊂  verträglich, also in à enthalten. Genauso umgekehrt, d.h.  = Ã. Die Maximalität ist dann per Definition gegeben. Bleibt also 10 Vorlesung 1 Mannigfaltigkeiten 11 R R z. Z., das à Atlas ist, dass also je zwei Karten φ : U → n und η : V → n verträglich sind (dass jeder Punkt erreicht wird ist schon mit den Karten aus A sichergestellt): Ist U ∩ V = ∅, so ist nichts zu zeigen. Andernfalls gibt es für jedes p ∈ U ∩ V eine Karte ν : W → n in A mit p ∈ W . Nach Definition von à ist ν mit φ und η verträglich, also sind φ ◦ ν −1 und ν ◦ η −1 glatt. Damit ist aber φ ◦ η = φ ◦ ν −1 ◦ ν ◦ η −1 zumindest in η(p) differenzierbar und da wir p beliebig in U ∩ V wählen konnten, ist φ ◦ η −1 glatt, wo definiert. Das gleiche Argument funktioniert auch für η ◦ φ−1 . R 11