Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Dynamics, Dust, and Young Stars – Computer Simulations of Merging Galaxies Somerville, Rachel Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Wenn Galaxien nahe aneinander vorbeifliegen oder zusammenstoßen, treten gew altige Gezeitenkräfte auf, die Staub und Gas in den Galaxien verw irbeln und komprimieren. Dies führt zu einem starken Anstieg der Sternentstehung. Mit Computersimulationen w urde gezeigt w ie sich die Sternentstehungsrate w ährend eines Verschmelzungsvorgangs verhält. und eine analytische Formel abgeleitet, mit der sich die Staubabsorption vorhersagen lässt. Summary During close encounters or collisions of galaxies huge tidal forces occur that w hirl up and compress the dust and gas in the galaxies. This induces a steep increase of star formation. W ith the help of computer simulations, it w as show n how the star formation rate, dust absorption, and observed appearance of the galaxy change during a merger and an analytical formula w as derived w hich can be used to predict the dust absorption. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb.1: Die Ante nne n-Ga la x ie , link s in e ine r Übe rbe rsichtsa ufna hm e , re chts in e ine r De ta ila ufna hm e de s W e ltra um te le sk ops Hubble . © NASA/ESA, B. W hitm ore W ährend Sterne in der Milchstraße praktisch nie miteinander zusammenstoßen, ereignen sich Galaxienkollisionen im Vergleich dazu recht häufig. In der Tat sind sie ein zentraler Mechanismus der Galaxienentw icklung. Das bekannteste Beispiel für zw ei verschmelzende Galaxien sind die 63 Millionen Lichtjahre entfernten NGC 4038 und NGC 4039, die zusammen als Antennen-Galaxie bezeichnet w erden (Abb. 1). In der Kollisionszone w irbeln riesige Staubw olken durcheinander. An vielen Stellen hat der Zusammenstoß dazu geführt, dass sich die Wolken verdichten und in ihnen neue Sterne entstehen. In w echselw irkenden Galaxien dieser Art steigt die Sternentstehungsrate im Mittel auf 30 bis 50 Sonnenmassen pro Jahr, kurzzeitig kann die Rate sogar noch höher liegen. In diesen „Starburst-Galaxien“ dominieren die massereichsten und leuchtkräftigsten Sterne die Strahlung im Ultraviolett Bereich (UV) und im Blauen, doch gleichzeitig absorbieren Staubw olken einen Großteil des Lichtes. Die Regionen intensivster Sternentstehung sind deshalb gar nicht zu sehen. Sie erw ärmen aber den Staub, der im Infraroten leuchtet. Diese Galaxien erscheinen dann als ultraleuchtkräfige Infrarotgalaxien (ULIRG) mit Gesamtleuchtkräften von mehr als 10 12 Sonnenleuchtkräften. Bei sehr w eit entfernten Galaxien ist das Emissionsmaximum so w eit zu größeren Wellenlängen hin verschoben, dass sie im Submillimeter- und Millimeterbereich sehr hell erscheinen. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb. 2: Entwick lung de r Ste rne ntste hungsra te be i de r W e chse lwirk ung von zwe i de m Milchstra ße nsyste m ä hnliche n (soge na nnte n Sbc)-Ga la x ie n. Die k le ine n Bilde r ve rde utliche n die Ve rte ilung de s Ga se s in unte rschie dliche n Sta die n de r W e chse lwirk ung be i Aufsicht a uf die Ba hne be ne . © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Hohe Sternentstehungsraten sind demnach immer mit dem Vorhandensein dichter Staubw olken verbunden. In zahlreichen Modellsimulationen haben Theoretiker versucht, diesen Effekt zu berücksichtigen, um die Beobachtungen interpretieren zu können oder Computersimulationen zur Galaxienentw icklung zu unterstützen. Doch alle bisherigen Versuche gaben die Verhältnisse (Verteilung der Wolken, Hydrodynamik u.a.) nur unzureichend w ieder und w aren nicht sehr praktikabel. Die jetzt entstandene Arbeit behandelt das Verschmelzen unterschiedlicher Galaxientypen. Sie berücksichtigt erstmals die Hydrodynamik und erfasst den Strahlungstransport vollständig. Bei der Kollision setzt Sternentstehung in Gebieten ein, in denen die Gasdichte einen bestimmten Wert überschritten hat. Ein w esentlicher Unterschied zu bisherigen Arbeiten besteht zudem darin, dass hier der Feedback-Mechanismus von Supernovae mit aufgenommen w urde. Darüber hinaus w urde berücksichtig, dass Supernovae die Häufigkeit chemischer Elemente (die „Metallizität“) verändern. Ziel w ar es, Zusammenhänge herzustellen zw ischen dem Anteil der Energie, den der Staub absorbiert, und physikalischen Größen w ie Leuchtkraft, Metallizität und Masse der simulierten Galaxien. Die Simulationen umfassten sieben unterschiedliche Galaxienmodelle: drei Scheibengalaxien mit unterschiedlicher Masse und Metallizität, sow ie vier Galaxien, deren Eigenschaften typischen Galaxien entsprechen, w ie sie im Sloan Digital Sky Survey Verfahren (SDSS) gefunden w urden. Letztere verteilen sich auf einen größeren Massenbereich als die Spiralgalaxien und enthalten w eniger Gas als diese. Insgesamt überdeckten die Galaxienmodelle zw ei Größenordnungen in der baryonischen Masse (Sterne plus Gas und Staub), drei im Gasgehalt und vier in der Metallizität. Für die einzelnen Computerläufe w urden identische Paare der sieben Galaxientypen auf eine parabolische Umlaufbahn umeinander gesetzt, w obei eine der beiden Scheibenebenen in der Umlaufebene lag und die andere um 30 Grad dagegen geneigt w ar. Acht w eitere Simulationen mit Sbc-Galaxien dienten dazu, Variationen in der Galaxienorientierung und der Bahn zu testen. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb. 3: Ze itliche Entwick lung de r bolom e trische n Le uchtk ra ft und ihre s von Sta ub a bge schwä chte n Ante ils (obe re Kurve n). UV- und Bla ua nte il va riie re n für je de n de r e lf Blick wink e l nicht so sta rk (unte re Kurve n). © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg W ährend des Wechselw irkungsvorgangs w urde bei 50 Zeitschritten die Verteilung von Sternen, Gas und Staub ermittelt und als Input für eine detaillierte Berechnung des Strahlungstransports eingegeben. Das Ergebnis w aren Bilder der Galaxien bei 22 Wellenlängen im Bereich zw ischen 21 nm und 5 µm und bei elf unterschiedlichen Blickw inkeln. Berücksichtigt w urde hierbei die Absorption von Sternlicht durch Staubw olken und seine W iederausstrahlung im Infraroten. Als entscheidende Größe für das Erscheinungsbild der Galaxie erw ies sich indes nicht die Absorption des Staubes, sondern die gesamte Lichtabschw ächung. Sie ist definiert als der Anteil, um den der Staub die Gesamtleuchtkraft der Sterne verringert. Neben der Absorption ist dabei auch die Streuung an Staub entscheidend. Abbildung 2 zeigt exemplarisch die Entw icklung der Sternentstehungsrate bei der Wechselw irkung von zw ei Sbc-Galaxien in Aufsicht auf die Bahnebene. Die kleinen Bilder verdeutlichen die Verteilung des Gases in unterschiedlichen Stadien. Gezeitenkräfte w irbeln das Gas auf und führen beim ersten nahen Vorbeiflug zu einer hohen Sternentstehungsrate. W ährend sich die beiden Galaxien voneinander entfernen, strömt Gas in die beiden Zentralgebiete, w odurch dort die Sternentstehung w eiter angefacht w ird. Diese bleibt auch hoch, w ährend die beiden Galaxien umkehren und in einem Bogen erneut aufeinander zufliegen. Beim letztendlichen Verschmelzen der beiden Galaxienkerne treten einige starke Starbursts auf. Nachdem die beiden Galaxien vereint sind, ebbt die Sternentstehungsrate im Verlaufe von etw a einer Milliarde Jahren ab. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb. 4: Sim ulie rte Bilde r von zwe i ve rschm e lze nde n Sbc (sche ibe nförm ige n)-Ga la x ie n be i de n Ze itschritte n a ) 0.6, b) 1.6, c) 1.7 und d) 2 Millia rde n Ja hre . © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Die gesamte Phase erhöhter Sternentstehung zieht sich demnach über zw ei Milliarden Jahre hin. In dieser Zeit erhöht sich die bolometrische Leuchtkraft um fast eine Größenordnung. Allerdings bleibt die von den jungen Sternen erzeugte UV- und Blau-Helligkeit bei gegebenem Blickw inkel nahezu unverändert, w eil der Staubanteil w ächst und somit das Sternenlicht zunehmend abschw ächt (Abb. 3) . Diese Strahlung entw eicht bevorzugt senkrecht zur Scheibenebene, sodass die Galaxie in Aufsicht bis doppelt so hell erscheint als in Schrägsicht. Das Resultat der Vereinigung zw eier Scheibengalaxien ist eine sphäroidale oder elliptische Galaxie, bei der die Helligkeit im UV und im Blauen nicht mehr so stark vom Blickw inkel abhängt. W ie eingangs erw ähnt, w urde die Helligkeit für 22 Wellenlängen berechnet. Insgesamt ergaben sich deshalb für 25 Simulationsläufe mit den unterschiedlichen Galaxientypen und 50 Zeitschritten mehr als 100 000 Bilder und 10 000 Spektren. Abbildung 4 und 5 zeigen dies erneut an dem Beispiel zw eier verschmelzender SbcGalaxien. Abbildung 5 verdeutlicht die abschw ächende W irkung des Staubes. Grundsätzlich ist ersichtlich, dass diese mit ansteigender Sternentstehungsrate und Gesamtleuchtkraft zunimmt. Dies hatten auch bereits Beobachtungen nahegelegt. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb. 5: Spe k tra le Ene rgie ve rte ilung wä hre nd de r P ha se de s zwe ite n Bilde s in Abbildung 4. Die be ide n Linie n ve rde utliche n die W irk ung de r Abschwä chung durch Sta ub. © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg In einem zw eiten Schritt entw ickelte das Theoretikerteam eine einfache analytische Formel, mit der sich die Abschw ächung der Sternstrahlung durch Staub berechnen lässt, w enn Leuchtkraft, Masse und Metallizität der Galaxie bekannt sind. Abbildung 6 zeigt die Werte der analytischen Lösung im Vergleich zu denen der Simulationsläufe. Die geringe Streuung ist ersichtlich und lässt die Gleichung als verhältnismäßig gute Beschreibung erscheinen. Die Vorhersagegenauigkeit hängt jedoch vom Blickw inkel ab. Gemittelt über alle Richtungen beträgt die mittlere Ungenauigkeit 4 %, entlang einer speziellen Sichtlinie schw ankt sie, abhängig von der Wellenlänge, zw ischen 6 und 12 %. Die gefundene Relation scheint nicht nur für w echselw irkende, sondern auch für einzelne Galaxien zu gelten. Die geringe Streuung der Daten im Vergleich zur analytischen Lösung zeigt, dass diese in kosmologischen Modellen der Entstehung und Entw icklung von Galaxien verw endet w erden kann. Anders als bisherige Modelle, w elche die W irkung von Staub berücksichtigen, liefert diese Lösung in selbstkonsistenter Weise Informationen über den Grad der Staubabschw ächung und seine Abhängigkeit von astrophysikalischen Größen einer Galaxie. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/7 Jahrbuch 2006/2007 | Somerville, Rachel | Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien Abb. 6: Die nä he rungswe ise a na lytisch be re chne te Abschwä chung im Ve rgle ich zu de n a us de r Sim ula tion e rha lte ne n W e rte n. Die ge ringe Stre uung de r Da te n im Ve rgle ich zur a na lytische n Lösung ze igt, da ss die se in k osm ologische n Mode lle n de r Entste hung und Entwick lung von Ga la x ie n ve rwe nde t we rde n k a nn. Ande rs a ls bishe rige Mode lle , we lche die W irk ung von Sta ub be rück sichtige n, lie fe rt die se Lösung in se lbstk onsiste nte r W e ise Inform a tione n übe r de n Gra d de r Sta uba bschwä chung und se ine Abhä ngigk e it von a strophysik a lische n Größe n e ine r Ga la x ie . © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Diese Ergebnisse geben Hoffnung, einem realistischen Modell w echselw irkender Galaxien einen bedeutenden Schritt näher gekommen zu sein. Insbesondere sind solche Rechnungen die Grundlage für die Bestimmung der tatsächlichen Verschmelzungsrate von Galaxien. Um diese Rate auf der Basis fluss- und helligkeitsbegrenzter Stichproben zu messen, muss man w issen, um w elchen Faktor Galaxien w ährend dieser Phase heller oder schw ächer w erden. Die Simulationen können auch zur Kalibration statistischer Untersuchungen zur Identifikation w echselw irkender Galaxien in echten Beobachtungen verw endet w erden. Es mussten jedoch einige Effekte unberücksichtigt bleiben, die in naher Zukunft mit einbezogen w erden sollen. So erfassen die Modelle zw ar aufgrund der Hydrodynamik die großräumige Staubstruktur in der Galaxie, aber Strukturen auf der Größenskala einzelner Sternentstehungsgebiete liegen noch jenseits des rechnerischen Auflösungsvermögens. Darüber hinaus sollen künftig Gasausflüsse aus der Galaxie, w elche beispielsw eise die Anreicherung mit schw eren Elementen verringern, mit einbezogen w erden. Und schließlich muss auch die W irkung eines aktiven galaktischen Kerns, der ein supermassereiches Schw arzes Loch enthält, berücksichtigt w erden. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/7