Prädikatenlogiken Mathematische Logik Vorlesung 5 Alexander Bors 23. & 30. März 2017 1 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Überblick 1 Formale Prädikatenlogiken erster Stufe (Quelle: Ziegler, pp. 3–24) Strukturen Formeln 2 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Was ist eine Struktur? In der Mathematik werden häufig Mengen, versehen mit zusätzlicher Struktur, studiert. Beispiele: Gruppen: Mengen, zusammen mit einem ausgezeichneten Element (meist als 1 geschrieben) sowie einer unären (−1 ) und einer binären (·) Operation, die bestimmten Rechengesetzen genügen. (Gerichtete) Graphen: Mengen, deren Elemente Knoten heißen, und zwischen denen eine binäre Relation →, “durch eine (gerichtete) Kante miteinander verbunden sein”, besteht. Geordnete Körper: besitzen sowohl ausgezeichnete Elemente (0, 1) und Operationen (+, −, ·,−1 ) als auch eine (Ordnungs-)Relation (≤). Wir wollen eine formale Sprache, um die in den Definitionen der einzelnen Strukturen geforderten Gesetze sowie Folgerungen daraus formulieren und untersuchen zu können. 3 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Was ist eine Struktur? cont. Zuerst geben wir, von den Beispielen verallgemeinernd, die formale Definition von “Struktur”: Definition 2.1.1 Eine Struktur ist ein Paar M = (M, J), wobei M eine nichtleere Menge (genannt Trägermenge) und J = (xi )i∈I eine Familie ist, sodass für alle i ∈ I gilt: xi ist eines von folgenden: ein Element aus M (auch genannt Konstante), für ein geeignetes ni ∈ N+ eine ni -stellige Operation auf M, d.h., eine Funktion M ni → M, für ein geeignetes ni ∈ N+ eine ni -stellige Relation auf M, d.h., eine Teilmenge von M ni . 4 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Signaturen Wir wollen natürlich in unserer formalen Sprache Symbole für die Konstanten, Operationen und Relationen haben, um über diese sprechen zu können. Deshalb definieren wir: Definition 2.1.2 Eine Signatur σ (auch Lexikon oder, wie im Ziegler-Skript, Sprache genannt) ist ein Quadrupel (σconst , σop , σrel , ar), wobei σconst , σop und σrel paarweise disjunkte (möglicherweise auch leere) Mengen sind, und ar eine Funktion σop ∪ σrel → N+ . Die Elemente von σconst heißen die Konstantensymbole von σ, die von σop heißen Operationssymbole von σ und die von σrel heißen Relationssymbole von σ. ar heißt die Stelligkeitsfunktion von σ, und für s ∈ σop ∪ σrel heißt ar(s) die Stelligkeit von s unter σ. A(σ) := σconst ∪ σop ∪ σrel heißt der Zeichensatz von σ. 5 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Signaturen cont. Beispiel 2.1.3 Die Signatur der Gruppentheorie sieht wie folgt aus: σgroup = ({1}, {−1 , ·}, ∅, argroup ), wobei argroup (−1 ) = 1 (das Symbol −1 soll, semantisch interpretiert, für die unäre Operation “Inversion” stehen) und argroup (·) = 2 (· soll für die binäre Gruppen-Multiplikation stehen). Beispiel 2.1.4 Die Signatur der Theorie geordneter Körper sieht wie folgt aus: σofield = ({0, 1}, {+, −, ·,−1 }, {≤}, arofield ), wobei arofield (+) = arofield (·) = arofield (≤) = 2 und arofield (−) = arofield (−1 ) = 1. 6 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln σ-Strukturen Jede Signatur als syntaktische Entität besitzt eine Klasse von Strukturen als semantische Entitäten, die ihr entsprechen: Definition 2.1.5 Es sei σ = (σconst , σop , σrel , ar) eine Signatur. Eine σ-Struktur ist ein Paar M = (M, J), wobei M eine nichtleere Menge ist und J = (Z M )Z ∈A(σ) eine Familie, sodass für Z ∈ A(σ) gilt: Ist Z ∈ σconst , so ist Z M eine Konstante in M, ist Z ∈ σop , so ist Z M eine ar(Z )-stellige Operation auf M, ist Z ∈ σrel , so ist Z M eine ar(Z )-stellige Relation auf M. Man denke kurz über Folgendes nach: Eine σgroup -Struktur ist nicht notwendig eine Gruppe. Aber: Alle Gruppen können als σgroup -Strukturen gesehen werden. 7 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Isomorphie von σ-Strukturen Zum Abschluss dieses Abschnittes halten wir fest, dass man für jede Signatur σ einen natürlichen Isomorphiebegriff zwischen σ-Strukturen definieren kann (werden wir später noch brauchen): Definition 2.1.6 Es sei σ eine Signatur, M und N seien σ-Strukturen. Ein Isomorphismus zwischen M und N ist eine Bijektion F : M → N (zwischen den Trägermengen), sodass für Z ∈ A(σ) gilt: Ist Z ein Konstantensymbol, so ist F (Z M ) = Z N , ist Z ein n-stelliges Operationssymbol, so gilt für alle m1 , . . . , mn ∈ M: F (Z M (m1 , . . . , mn )) = Z N (F (m1 ), . . . , F (mn )), ist Z ein n-stelliges Relationssymbol, so gilt für alle m1 , . . . , mn ∈ M: (m1 , . . . , mn ) ∈ Z M ⇔ (F (m1 ), . . . , F (mn )) ∈ Z N . 8 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Isomorphie von σ-Strukturen cont. Definition 2.1.6 cont. Natürlich nennt man M und N isomorph (und schreibt M ∼ = N ), falls es einen Isomorphismus zwischen M und N gibt. Wie erwartet, gilt: Proposition 2.1.7 Umkehrfunktionen sowie Kompositionen von Isomorphismen zwischen σ-Strukturen sind ebenfalls Isomorphismen. Insbesondere verhält sich die Isomorphie von σ-Strukturen wie eine Äquivalenzrelation. Beweis Siehe die Übungen. 9 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Plan für diesen Abschnitt Wir möchten ein formales System für die Prädikatenlogik erster Stufe bezüglich einer beliebigen Signatur σ angeben. Zur Erinnerung: Ein formales System besteht aus einem Alphabet A, einer Menge von “zulässigen” Zeichenketten über A (das sind gerade jene, die man in sinnvoller Weise semantisch interpretieren kann), den Formeln, einer Menge von ausgezeichneten Formeln, den Axiomen sowie Schlussregeln, um, von den Axiomen ausgehend, weitere Formeln abzuleiten. Bisher war A stets endlich, allerdings haben wir bei der Definition von “Signatur” keine Einschränkung bezüglich der Zahl an Symbolen getroffen. Der Einfachheit halber lassen wir daher die Endlichkeitsbedingung an A fallen (wir könnten auch im Sinne des Finitismus mit ihr weiterarbeiten, ist aber komplizierter). A. Bors Logik 10 Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Plan für diesen Abschnitt cont. Zum Alphabet A: Wir nehmen o.B.d.A. an, dass A(σ) keines der Symbole =, ¬, ∧, ∃ sowie xn für n ∈ N enthält, und setzen A := A(σ) ∪ {=, ¬, ∧, ∃} ∪ {x0 , x1 , . . .}. Beachte: Wir hatten ursprünglich ein formales System für die Aussagenlogik angegeben, das nur die Junktoren ¬ und → verwendet. Dieses war aus Hoffmanns Buch entnommen und hatte den Vorteil, dass die aussagenlogischen Axiome eine besonders einfache Form annehmen. Allerdings kann man die Aussagenlogik auch rein auf den Junktoren ¬ und ∧ aufbauen (soll heißen, jede aussagenlogische Formel, die nur ¬ und → als Junktoren enthält, besitzt eine äquivalente Form, die nur ¬ und ∧ verwendet, und umgekehrt). Ziegler verwendet diese Form in seinem Skript, und wir tun das der Bequemlichkeit halber auch. A. Bors Logik 11 Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Plan für diesen Abschnitt cont. Im Rest dieses Abschnittes klären wir den Formel-Begriff für unser formales System. D.h., wir werden genau erklären, welche Zeichenketten über dem gerade definierten Alphabet A wir als “semantisch sinnvoll” erachten wollen. Wir lassen allerdings die Semantik selbst (und damit auch Begriffe wie Tautologie) noch außen vor; sie wird dann im nächsten Abschnitt erklärt. Zuerst müssen wir aber bei einer noch kleineren sprachlichen Einheit anfangen, den so genannten Termen (welche Teile von Formeln sind und für Elemente der Grundgesamtheit M stehen). 12 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Terme cont. Definition 2.2.1 Es sei σ eine Signatur. Wir definieren, für n ∈ N, den Begriff eines σ-Terms n-ter Stufe wie folgt rekursiv: 1 Die σ-Terme 0-ter Stufe sind gerade die Variablen und Konstantensymbole. 2 Ist der Begriff eines σ-Terms n-ter Stufe (und von noch kleinerer Stufe) bereits eindeutig definiert, so heißt eine Zeichenkette t über A ein σ-Term (n + 1)-ter Stufe, wenn t kein σ-Term höchstens n-ter Stufe ist, es aber ein k-stelliges Operationssymbol f sowie σ-Terme höchstens n-ter Stufe t1 , . . . , tk gibt, sodass t die Form ft1 · · · tk hat. Ein σ-Term ist eine Zeichenkette über A, die ein σ-Term n-ter Stufe für ein geeignetes n ∈ N ist. 13 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Terme cont. Beispiel 2.2.2 Folgende Zeichenkette ist ein Term dritter Stufe der Signatur der Gruppentheorie: ·−1 x5−1 · x2 x17 . Wir würden dafür eher x5−1 (x2 x17 )−1 schreiben. Wir werden häufig auch “inoffizielle”, besser lesbare Schreibweisen für Terme verwenden (wie die Infix-Notation bei binären Operationssymbolen). Als nächstes beweisen wir mit dem Lemma über die eindeutige Lesbarkeit von Termen ein wichtiges Hilfsresultat. Zuerst benötigen wir aber ein Lemma zu diesem Lemma. 14 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Termen Ist w = a1 · · · an eine Zeichenkette über A, so heißt eine Zeichenkette der Form a1 · · · ak mit k ∈ {0, . . . , n} ein Anfangsstück von w (und ein echtes Anfangsstück, falls k < n). Lemma 2.2.4 Es sei σ eine Signatur. Kein σ-Term ist ein echtes Anfangsstück eines anderen σ-Terms. Beweis Es seien s und t beides σ-Terme, und s sei ein Anfangsstück von t. Wir zeigen s ≡ t (Gleichheit von Zeichenketten) mit Induktion nach der Länge von t, notiert |t|. Aus Definition 2.2.1 folgt unmittelbar, dass σ-Terme nie leer sind. Damit ist der Induktionsanfang, |t| = 1, trivial. 15 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Termen cont. Beweis von Lemma 2.2.4 cont. Angenommen, die Aussage wurde bereits im Fall |t| ≤ n gezeigt (für n ≥ 1), und es ist |t| = n + 1 > 1. Dann kann t nicht von Stufe 0 sein, d.h., es muss nach Definition von der Form ft1 · · · tk für ein k-stelliges Operationssymbol f und σ-Terme t1 , . . . , tk sein. Insbesondere beginnt t mit dem Symbol f , und da s ein nichtleeres Anfangsstück von t ist, beginnt s ebenfalls mit dem Symbol f . Da f aber weder eine Variable noch ein Konstantensymbol ist, kann somit auch s nicht von Stufe 0 sein. D.h., s muss von der Form gu1 · · · ul sein für ein l-stelliges Operationssymbol g und σ-Terme u1 , . . . , ul . 16 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Termen cont. Beweis von Lemma 2.2.4 cont. Da aber das erste Symbol in s gerade f ist, folgt g ≡ f und somit auch l = k. s ist also von der Form fu1 · · · uk . Beachte: Da wir s ≡ t zeigen wollen, sind wir fertig, wenn ui ≡ ti für i = 1, . . . , k. Wir nehmen also indirekt an, es existiere ein i0 ∈ {1, . . . , k} mit ui0 6≡ ti0 , und o.B.d.A. sei i0 der kleinste solche Index. Das heißt also, s und t beginnen beide mit der Zeichenkette ft1 t2 · · · ti0 −1 , und t setzt danach mit ti0 fort, während s mit ui0 fortsetzt. Da s ein Anfangsstück von t ist, stimmen die Symbole in s aber stets mit den Symbolen an den entsprechenden Stellen in t überein. Schreiben wir daher ti0 ≡ x1 · · · xl und ui0 ≡ y1 · · · ym , so folgt xi ≡ yi für i = 1, . . . , min{l, m}. 17 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Termen cont. Beweis von Lemma 2.2.4 cont. Damit können wir aber in jedem von drei möglichen Fällen einen Widerspruch herleiten: Gilt |ui0 | = |ti0 |, so folgt nach der letzten Beobachtung auf der vorigen Folie, dass ui0 ≡ ti0 , im Widerspruch zu unserer indirekten Annahme. Gilt |ui0 | < |ti0 |, so folgt aus dem gleichen Grund, dass ui0 ein echtes Anfangsstück von ti0 ist, was wegen |ti0 | < |t| einen Widerspruch zur Induktionsvoraussetzung darstellt. Gilt |ui0 | > |ti0 |, so folgt analog, dass ti0 ein echtes Anfangsstück von ui0 ist, und das ist ebenfalls ein Widerspruch zur Induktionsvoraussetzung, da |ui0 | < |s| ≤ |t| (die letzte Ungleichung gilt, da s nach Annahme ein Anfangsstück von t ist). 18 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Termen Im Folgenden bezeichnen wir die Stufe eines σ-Terms t mit level(t). Lemma 2.2.5 Es sei σ eine Signatur, t ein σ-Term. Dann tritt genau einer der folgenden Fälle ein: t ist eine Variable, und level(t) = 0. t ist ein Konstantensymbol, und level(t) = 0. t ≡ ft1 · · · tk für ein eindeutiges Operationssymbol f , k-stellig, sowie eindeutige σ-Terme t1 , . . . , tk , und es gilt: level(t) = max{level(t1 ), . . . , level(tk )} + 1. 19 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Termen cont. Beweis von Lemma 2.2.5 cont. Es ist nach Definition 2.2.1 klar, dass einer der drei Fälle eintreten muss. Ebenso ist klar, dass nur höchstens einer der Fälle eintreten kann, da in verschiedenen Fällen die Anfangssymbole von t verschieden sind. Es bleiben somit zwei Dinge zu zeigen: die Eindeutigkeit von f und t1 , . . . , tk im dritten Fall, die Formel für level(t) im dritten Fall. f ist natürlich, als Anfangssymbol von t, eindeutig durch t bestimmt. Die Eindeutigkeit der ti ergibt sich zudem aus Lemma 2.2.4, mit einem Argument analog zu dem am Ende des Beweises von Lemma 2.2.4. 20 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Termen cont. Beweis von Lemma 2.2.5 cont. Zu level(t) = max{level(t1 ), . . . , level(tk )} + 1: Es ist nach Definition 2.2.1 klar, dass die Stufe eines Terms der Form gu1 · · · ul , g ein Operationssymbol, stets größer ist als die Stufe jedes einzelnen ui . Insbesondere gilt level(t) > level(ti ) für i = 1, . . . , k, und daher level(t) ≥ max{level(t1 ), . . . , level(tk )} + 1. Insbesondere ist t nicht höchstens von Stufe max{level(t1 ), . . . , level(tk )}. Andererseits lässt es sich aus Termen höchstens dieser Stufe, zusammen mit dem Operationssymbol f , zusammensetzen, und damit folgt level(t) = max{level(t1 ), . . . , level(tk )} + 1 direkt nach Definition 2.2.1. 21 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Formeln Nachdem wir den Termbegriff geklärt haben, wenden wir uns nun dem eigentlichen Formelbegriff zu. Wir definieren zuerst eine wichtige Teilklasse von Formeln: Definition 2.2.6 Es sei σ eine Signatur. Eine atomare σ-Formel ist eine Zeichenkette über A von einer der folgenden zwei Gestalten: 1 = t1 t2 , wobei t1 und t2 beides σ-Terme sind, 2 Rt1 · · · tk , wobei R ein k-stelliges Relationssymbol aus σ ist und t1 , . . . , tk alles σ-Terme sind. Die atomaren σ-Formeln nehmen innerhalb der Hierarchie der σ-Formeln den Platz ein, den bei den Termen die Variablen und Konstantensymbole innehaben: Sie sind von Stufe 0, d.h., unzerlegbar (sie lassen sich nicht in kleinere σ-Formeln zerlegen). 22 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Formeln cont. Definition 2.2.7 Es sei σ eine Signatur. Wir definieren, für n ∈ N, den Begriff einer σ-Formel n-ter Stufe wie folgt rekursiv: 1 2 Die σ-Formeln 0-ter Stufe sind gerade die atomaren σ-Formeln. Ist der Begriff einer σ-Formel n-ter Stufe (und von noch kleinerer Stufe) bereits eindeutig definiert, so heißt eine Zeichenkette ϕ über A eine σ-Formel (n + 1)-ter Stufe, wenn ϕ keine σ-Formel höchstens n-ter Stufe ist, aber einer der folgenden Fälle eintritt: ϕ ≡ ¬ψ für eine σ-Formel ψ höchstens n-ter Stufe, ϕ ≡ ∧ψ1 ψ2 für σ-Formeln ψ1 und ψ2 höchstens n-ter Stufe, ϕ ≡ ∃xψ für eine Variable x und eine σ-Formel ψ höchstens n-ter Stufe. 23 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Formeln cont. Definition 2.2.7 cont. Eine σ-Formel ist eine Zeichenkette über A, welche eine σ-Formel n-ter Stufe für ein geeignetes n ∈ N ist. Auch für σ-Formeln wollen wir eindeutige Lesbarkeit beweisen, und auch dazu überlegen wir uns zuerst: Lemma 2.2.8 Es sei σ eine Signatur. Keine σ-Formel ist ein echtes Anfangsstück einer anderen σ-Formel. 24 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Formeln Beweis von Lemma 2.2.8 Beachte zunächst, dass für jede σ-Formel χ genau einer der folgenden Fälle eintritt (Existenz nach Definition 2.2.7, Eindeutigkeit durch Betrachten des Anfangssymboles in den einzelnen Fällen): χ ≡= t1 t2 , für zwei σ-Terme t1 und t2 , χ ≡ Rt1 · · · tk , für ein k-stelliges σ-Relationssymbol R und σ-Terme t1 , . . . , tk , 3 χ ≡ ¬ψ für eine σ-Formel ψ, 4 χ ≡ ∧ψ1 ψ2 für zwei σ-Formeln ψ1 und ψ2 , 5 χ ≡ ∃xψ für eine Variable x und eine σ-Formel ψ. 1 2 Es seien nun ϕ und ϕ0 zwei σ-Formeln, und ϕ sei ein Anfangsstück von ϕ0 . Wir zeigen ϕ ≡ ϕ0 mit Induktion nach |ϕ0 |. 25 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.8 cont. Es ist wiederum nach Definition klar, dass σ-Formeln nie leer sind, sodass wir die Induktion bei |ϕ0 | = 1 beginnen können und dieser Induktionsanfang trivial ist. Für den Induktionsschritt beachte zunächst: Da ϕ und ϕ0 mit dem gleichen Symbol beginnen, muss für beide der gleiche der obigen fünf Fälle eintreten. Wir gehen diese durch. Fall 1: ϕ ≡= u1 u2 und ϕ0 ≡= t1 t2 für σ-Terme u1 , u2 , t1 , t2 . Die Gleichheit von ϕ und ϕ0 folgt dann nach Lemma 2.2.4, mit einem Argument wie am Ende des Beweises von Lemma 2.2.4. Fall 2: ϕ ≡ Ru1 · · · uk und ϕ0 ≡ Rt1 · · · tk für ein k-stelliges σ-Relationssymbol R und σ-Terme u1 , . . . , uk , t1 , . . . , tk . Auch hier folgt die Gleichheit nach Lemma 2.2.4 in der gleichen Manier. 26 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.8 cont. Fall 3: ϕ ≡ ¬ψ und ϕ0 ≡ ¬ψ 0 für σ-Formeln ψ und ψ 0 . Es folgt, dass ψ ein Anfangsstück von ψ 0 ist, und da |ψ 0 | = |ϕ0 | − 1 < |ϕ0 |, folgt daraus nach Induktionsvoraussetzung ψ ≡ ψ 0 , also auch ϕ ≡ ϕ0 . Fall 4: ϕ ≡ ∧ψ1 ψ2 und ϕ0 ≡ ∧ψ10 ψ20 . Hier sieht man (mit einem Argument wie am Ende des Beweises von Lemma 2.2.4): Wäre ϕ ein echtes Anfangsstück von ϕ0 , so würde einer der folgenden Fälle eintreten: ψ1 ist echtes Anfangsstück von ψ10 (wenn |ψ1 | < |ψ10 |), Widerspruch zur I.V., ψ10 ist echtes Anfangsstück von ψ1 (wenn |ψ10 | < |ψ1 |), Widerspruch zur I.V., Wenn |ψ1 | = |ψ10 | (und damit ψ1 ≡ ψ10 ): Es ist notwendig |ψ2 | < |ψ20 | (wegen |ϕ| < |ϕ0 |), und damit ist ψ2 ein echtes Anfangsstück von ψ20 , ebenfalls im Widerspruch zur I.V. A. Bors Logik 27 Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Anfangsstücke von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.8 cont. Fall 5: ϕ ≡ ∃xψ und ϕ0 ≡ ∃y ψ 0 für Variablen x und y sowie σ-Formeln ψ und ψ 0 . Offenbar ist dann |ϕ| ≥ 3, und somit müssen auch die zweiten Symbole in ϕ und ϕ0 übereinstimmen, also x ≡ y . Zudem ist ψ ein Anfangsstück von ψ 0 , und somit ψ ≡ ψ 0 nach Induktionsvoraussetzung. Damit ist ϕ ≡ ϕ0 auch in diesem letzten Fall gezeigt. Wir sind nun bereit, die eindeutige Lesbarkeit von Formeln zu beweisen. 28 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Formeln Lemma 2.2.9 Es sei σ eine Signatur. Für jede σ-Formel ϕ tritt genau einer der folgenden Fälle ein: 1 ϕ ≡= t1 t2 , für eindeutige σ-Terme t1 und t2 , und es gilt level(ϕ) = 0, 2 ϕ ≡ Rt1 · · · tk , für ein eindeutiges σ-Relationssymbol R, k-stellig, sowie eindeutige σ-Terme t1 , . . . , tk , und es gilt level(ϕ) = 0, 3 ϕ ≡ ¬ψ für eine eindeutige σ-Formel ψ, und es gilt level(ϕ) = level(ψ) + 1, 4 ϕ ≡ ∧ψ1 ψ2 für eindeutige σ-Formeln ψ1 und ψ2 , und es gilt level(ϕ) = max{level(ψ1 ), level(ψ2 )} + 1, 5 ϕ ≡ ∃xψ für eine eindeutige Variable x sowie eine eindeutige σ-Formel ψ, und es gilt level(ϕ) = level(ψ) + 1. 29 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.9 Wie schon im Beweis von Lemma 2.2.8 angemerkt, ist es einfach, zu sehen, dass genau einer der fünf Darstellungen von ϕ eintritt. Wir müssen noch die Eindeutigkeitsaussagen innerhalb der Fälle sowie die Formeln für level(ϕ) begründen. Das geht sehr ähnlich wie im Beweis von Lemma 2.2.5 (dem entsprechenden Resultat für Terme). Wir gehen sukzessive die fünf Fälle durch: Fall 1: ϕ ≡= t1 t2 . t1 und t2 sind eindeutig bestimmt, da man sonst einen Widerspruch zu Lemma 2.2.4 ableiten könnte. level(ϕ) = 0 folgt direkt nach Definition 2.2.7 30 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.9 cont. Fall 2: ϕ ≡ Rt1 · · · tk . R ist als erstes Symbol von ϕ eindeutig durch ϕ bestimmt, und wären die ti nicht eindeutig bestimmt, so könnte man, mit einem Argument wie am Ende des Beweises von Lemma 2.2.4, einen σ-Term finden, der echtes Anfangsstück eines anderen σ-Terms ist, im Widerspruch zu Lemma 2.2.4. level(ϕ) = 0 folgt direkt nach Definition 2.2.7. Fall 3: ϕ ≡ ¬ψ. ψ entsteht aus ϕ durch Abschneiden des ersten Symbols und ist somit eindeutig durch ϕ bestimmt. Nach Definition 2.2.7 ist klar, dass level(ϕ) > level(ψ) ist. D.h., ϕ ist nicht von Stufe höchstens level(ψ), zugleich lässt es sich als eine Negation einer Formel von Stufe höchstens level(ψ) schreiben. Damit gilt level(ϕ) = level(ψ) + 1 nach Definition 2.2.7. 31 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.9 cont. Fall 4: ϕ ≡ ∧ψ1 ψ2 . Wären ψ1 und ψ2 nicht eindeutig durch ϕ bestimmt, so könnte man einen Widerspruch zu Lemma 2.2.8 ableiten. Nach Definition 2.2.7 ist klar, dass level(ϕ) > max{level(ψ1 ), level(ψ2 )} gilt, sodass ϕ nicht von Stufe höchstens max{level(ψ1 ), level(ψ2 )} ist. Zugleich lässt sich ϕ als eine Konjunktion zweier σ-Formeln, beide von Stufe höchstens max{level(ψ1 ), level(ψ2 )} schreiben. Damit gilt level(ϕ) = max{level(ψ1 ), level(ψ2 )} + 1 nach Definition 2.2.7. 32 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Eindeutige Lesbarkeit von Formeln cont. Beweis von Lemma 2.2.9 cont. Fall 5: ϕ ≡ ∃xψ. x ist als zweites Symbol von ϕ eindeutig durch ϕ bestimmt, und ψ entsteht aus ϕ durch Abschneiden der beiden ersten Symbole, ist also auch eindeutig durch ϕ bestimmt. Es ist nach Definition 2.2.7 klar, dass level(ϕ) > level(ψ) ist. D.h., ϕ ist nicht von Stufe höchstens level(ψ), zugleich lässt es sich als Existenzformel über einer Formel von Stufe höchstens level(ψ) schreiben. Damit muss nach Definition 2.2.7 level(ϕ) = level(ψ) + 1 gelten. 33 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Warum Prädikatenlogik erster Stufe? Wir schließen diese Vorlesungseinheit mit einigen Bemerkungen zu der Art von formaler Prädikatenlogik, die wir in dieser Vorlesung besprechen wollen. Nach Definition 2.2.7 sind alle “quantoriellen” Formeln von der Gestalt ∃xψ, wobei x eine Variable ist. Als Terme stehen Variablen für Elemente der Trägermenge M. Das heißt, es ist uns in dieser formalen Sprache möglich, über Elemente der Grundgesamtheit zu quantifizieren. Worüber wir aber z.B. nicht quantifizieren können, sind Teilmengen der Grundgesamtheit. 34 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Warum Prädikatenlogik erster Stufe? cont. Das “Axiom der vollständigen Induktion in N” wird z.B. oft so formuliert: “Für alle Teilmengen X (der Grundgesamtheit N) gilt: Ist 0 ∈ X , und gilt für alle n ∈ N die Implikation n ∈ X → n + 1 ∈ X , so ist X = N.” Solche Aussagen können wir in “unserer” Sprache nicht direkt formulieren. Im Falle des Induktionsaxioms (und in anderen, ähnlichen Fällen) löst man dieses “Problem” zumindest teilweise, indem man die entsprechende All-Aussage ersetzt durch eine unendliche Kollektion von Axiomen, eine für jede Formel ϕ(x) in einer freien Variablen x, wobei jedes einzelne Axiom die entsprechende Eigenschaft für die durch ϕ(x) definierte Teilmenge behauptet. Im obigen Beispiel würde dies so aussehen: (ϕ(0) ∧ ∀n : (ϕ(n) → ϕ(n + 1))) → ∀n : ϕ(n). 35 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Warum Prädikatenlogik erster Stufe? cont. Natürlich ist das, wie schon erwähnt, dennoch nur eine teilweise Lösung, denn man behauptet damit ja den Inhalt des ursprünglichen Axioms nur noch für all jene Teilmengen der Grundgesamtheit, die sich durch eine Formel definieren lassen (und das sind z.B. im Falle von N und unter Verwendung der Peano-Sprache nur abzählbar viele, während es ja insgesamt nach Cantor überabzählbar viele Teilmengen gibt). Die Prädikatenlogiken, die wir in diesem Kapitel definieren und untersuchen werden, sind die so genannten Prädikatenlogiken erster Stufe. Das sind gerade jene Prädikatenlogiken (also Logiken mit Quantoren), welche nur eine Quantifizierung über Elemente der jeweiligen Grundgesamtheit erlauben. 36 A. Bors Logik Prädikatenlogiken Strukturen Formeln Zu Prädikatenlogiken höherer Stufe Es ist auch möglich, ausgefeiltere Prädikatenlogiken anzugeben, welche bei der Quantifizierung mehr sprachliche Möglichkeiten zulassen. Für mehr Details zu diesen Prädikatenlogiken höherer Stufe siehe z.B. Hoffmann, S. 117ff. Wie aber Hoffmann auf S. 121 seines Buches beschreibt, zahlt man auch einen Preis für die höhere Ausdruckskraft. So ist es z.B. bereits für die Prädikatenlogik zweiter Stufe nicht mehr möglich, ein korrektes formales System zu konstruieren, in dem alle entsprechenden Tautologien abgeleitet werden können. 37 A. Bors Logik