Zahnmedizin 40 Seltene Infektionserkrankungen der Kopf-Hals-Region Lymphknoten-Tuberkulose In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen Ihren differentialdiagnostischen Blick schulen. Martin Kunkel, Torsten E. Reichert Fotos: Kunkel Abbildung 1: Äußerer Aspekt der derben Schwellung kraniozervikal rechts. Dieser Befund war über mehrere Monate langsam progredient. zeigte korrespondierend säurefeste Stäbchen. In der nachfolgenden kulturellen Anzüchtung ergab sich schließlich der Nachweis von Mykobakterium tuberculosis. Der Patient erhielt daraufhin umgehend eine antibiotische Dreifachkombination zur systemischen Therapie der Tuberkulose. Diskussion Kasuistik Bei einem 30-jährigen pakistanischen Patienten bestand eine über Monate langsam progrediente Schwellung der rechten Halsseite. Subjektiv hatte der Patient zwar eine knotige Verdickung bemerkt, Schmerzen seien aber nicht aufgetreten. Erst zuletzt habe ein gewisses Spannungsgefühl bestanden. Klinisch lag eine deutliche, die seitliche Halskontur vorwölbende Raumforderung der rechten Regio colli lateralis vor (Abb. 1). Die Haut war nicht gerötet, die Konsistenz der gegenüber der Halsmuskulatur kaum verschiebbaren Läsion war sehr derb. An potentiellen dentogenen Infektionsursachen lagen ein kariös zerstörter Molar und ein nach palatinal gekippter, parodontal stark geschädigter Prämolar im Oberkiefer vor. Sonographisch zeigte sich ein ausgedehntes kraniozervikales Lymphknotenkonglomerat (Abb. 2) mit inhomogener Binnenstruktur und zusätzlich zahlreiche weitere vergrößerte Lymphknoten der ipsilateralen Halsseite. Trotz fehlender klinischer und laborchemischer Entzündungszeichen war eine zentrale Einschmelzungszone zu vermuten. Es erfolgte eine chirurgische Revision, um Material zur histologischen und mikrobiologischen Diagnostik zu gewinnen. Intraoperativ lag eine deutliche Umgebungsinfiltrazm 94, Nr. 1, 1. 1. 2004, (40) tion vor, das Lymphknotenkonglomerat war sowohl zur Muskulatur als auch zur Subcutis flächig adhärent. Unter Schonung des N. accessorius wurde eine Lymphknotenbiopsie gewonnen und weiteres Material zur mikrobiologischen Untersuchung gegeben. Der zentrale Anteil wurde drainiert. In der histopathologischen Aufarbeitung zeigten sich ausgedehnte Granulome mit zentralen käsigen Nekrosen, umgeben von einem Lymphozytenwall mit Epitheloidzellen und histiozytären Riesenzellen vom Langhans-Typ (Abb. 3). Der morphologische Befund sprach damit in erster Linie für eine Tuberkulose. Die Direktmikroskopie Die Tuberkulose ist weltweit nach wie vor eine der führenden Infektionserkrankungen. In den westlichen Industrieländern hat die Tuberkulose – mit der wachsenden Anzahl immunkompromittierter Patienten (zum Beispiel durch HIV-Erkrankungen) und auch durch die vermehrte Migration – seit rund 20 Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Bei einer jährlichen Inzidenz von zirka 14/100 000 in Deutschland treten etwa 85 Prozent der Tuberkuloseinfektionen in der Lunge auf [Geldmacher et al. 2002]. Die übrigen Manifestationen betreffen etwa zur Hälfte Lymphknoten und hier zu einem erheblichen Anteil die Kopf-HalsRegion [Awad und Al-Serhani 2001]. Morphologisch und hinsichtlich des Färbeverhaltens in der Ziehl-Neelsen Färbung unter- Abbildung 2: Sonographische Darstellung des Lymphknotenkonglomerats. Die Binnenstruktur ist inhomogen, ein zentraler LK-Bezirk erscheint eingeschmolzen (★) 41 scheiden sich die klassischen Tuberkuloseerreger nicht wesentlich von atypischen Mykobakterien. Für den definitiven Nachweis ist der kulturelle Befund daher bisher der anerkannte Goldstandard, es ist aber zu erwarten, dass moderne molekularbiologische Methoden des Direktnachweises mittels PCR in Zukunft an Bedeutung gewinnen [Jäckel und Sattler 2001]. Die zervikale Lymphknoten-Tuberkulose stellt nur selten die Erstinfektion dar, sondern entsteht zu über 90 Prozent als so genannte „postprimäre Erkrankung”. Das heißt, es handelt sich um die Reaktivierung einer zurückliegenden, zumeist pulmonalen Infektion und damit um eine systemische Erkrankung. Die Therapie hat demzufolge primär als systemische Therapie zu erfolgen. Fazit für die Praxis ■ Die Tuberkulose ist weiterhin ein klinisch relevantes Krankheitsbild mit derzeit wieder zunehmender Bedeutung. ■ Bereits die Erkrankung ist meldepflichtig. Bei einer offenen Tuberkulose kann eine Umgebungsuntersuchung (Praxispersonal!) notwendig werden. ■ Chronische Lymphknotenschwellungen, insbesondere ohne adäquate Ursache, sollten an spezifische oder neoplastische Ursachen denken lassen. und Gewebeentnahme primär zum Ausschluss einer malignen Erkrankung. Auf zahnheilkundlichem Fachgebiet werden diese Patienten zumeist zum Ausschluss entzündlicher Ursachen einer bestehenden Halsschwellung vorgestellt. Fehlen adäquate Ursachen einer unspezifischen Lymphadenitis, ist eine zügige histologische/mikrobiologische Diagnosesicherung anzustreben. Der aktuelle Fall zeigt allerdings, dass auch ganz Abbildung 3: Die histologische Abbildung zeigt einen unabhängig von vorhandenen Ausschnitt aus dem Randwall eines Granuloms. Die Nekropotentiellen Ursachen, wie sezone ist umgeben von einem Lymphozytenwall mit Epitheunspezifischen Entzündungen loidzellen und mehrkernigen histiozytären Riesenzellen vom Langhans-Typ ( ➞ ). (hier kariös zerstörte beziehungsweise parodontal geAuch unter Einsatz moderner bildgebender schädigte Zähne), systemische ErkrankunVerfahren bleibt die diagnostische Abgrengen zusätzlich vorliegen können. zung gegenüber unspezifischen LymphPD Dr. Dr. Martin Kunkel adenitiden und vor allem gegenüber Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie malignen Lymphomen oder Metastasen Johannes-Gutenberg-Universität schwierig. Der langwierige Verlauf ohne Augustusplatz 2 richtungsweisende lokale Symptomatik 55131 Mainz und auch die möglichen Allgemeinsymptome wie subfebrile Temperaturen oder Leser Nachtschweiß erlauben keine diagnostiservice sche Abgrenzung von den wichtigsten Die Literaturliste können Sie in der Redaktion Differentialdiagnosen. Im vorliegenden Fall anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes. erfolgte daher die chirurgische Exploration zm 94, Nr. 1, 1. 1. 2004, (41)