FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Tuberöse-Sklerose-KomplexErkrankung Gerhard Kurlemann, Barbara Fiedler | Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Allgemeine Pädiatrie, Bereich Neuropädiatrie, Universitätsklinikum Münster Epidemiologie Die tuberöse Hirnsklerose (TS) ist ein autosomal dominantes Erbleiden mit vollständiger Penetranz, wechselnder klinischer Expressivität und großer intrafamiliärer Variabilität. Mit einer Prävalenz von 1:5.800 ist sie die zweithäufigste neurokutane Erkrankung. Nach der klassischen Beschreibung durch Bourneville (1880) und Pringle (1890) wird die tuberöse Sklerose, die ihren Namen durch den Nachweis knollenförmiger verhärteter Hirnareale bekam, auch Morbus Bourneville-Pringle genannt; die Bezeichnung Tuberöse Sclerose Complex [Touberous Sclerosis Complex (TSC)]im angloamerikanischen Schrifttum trägt der Multiorganbeteiligung Rechnung. Zwei mit TSC assoziierte Gene sind beschrieben: TSC1 auf Chromosom 9q34 mit dem Genprodukt Hamartin und TSC2 auf Chromosom 16p13 mit dem Genprodukt Tuberin. Hamartin und Tuberin bilden einen Komplex, der das GTPase-aktivierende Protein Rheb aktiviert; so wird der sogenannte mTOR-(mammalian Target of Rapamycin) Signalweg gehemmt. Dieser Zusammenhang erklärt identische klinische Symptome, verursacht durch Defekte in unterschiedlichen Genen. Die Spontanmutationsrate ist mit 60 % hoch. TSC 2 überwiegt bei den sporadischen Fällen mit 70 %. In 5 % der Fälle ist neben dem TSC2Gen zusätzlich das benachbarte PKD1Gen für die autosomal dominante polyzystische Nierendegeneration (ADPKD) betroffen, im Sinne eines Contiguous gene syndrome. 350 Hautbefunde bei tuberöser Sklerose Die Hautveränderungen bei der TSC sind wie bei allen neurokutanen Syndromen richtungsweisend für die Diagnose; sie bestehen aus hypomelanotischen Flecken (white spots), fazialen Angiofibromen, Shagreen-Flecken und fibrotischen Plaques. Daneben weisen viele Kinder mit TSC auch immer wieder einzelne Café-aulait-Flecken auf. Die zur Diagnose führenden Hautsymptome werden im Folgenden ausführlich dargestellt. „White spots“ Bei den hypomelanotischen Flecken (white spots) (siehe Bildtafel 1) handelt es sich um blattförmige oder längsovale Hautbezirke unterschiedlicher Zahl und Größe, ähnlich dem Eschenblatt (ash leaf spots). Sie sind angeboren und somit schon bei der Geburt nachweisbar und dann lebenslang vorhanden. Sie finden sich überwiegend am Stamm und den Extremitäten, selten auch im Gesicht. Handinnenfläche und Fußsohle sind wie bei NF1 immer frei. Eine Lokalisation im Bereich des behaarten Kopfes, der Augenbrauen und Wimpern führt zur Poliosis, selten finden sich depigmentierte Flecken in der Iris. Gelegentlich folgt die Verteilung auch Dermatomen. Elektronenoptisch weisen diese Areale eine normale Zahl an Melanozyten, aber eine reduzierte Anzahl und Größe der Melanosomen innerhalb der Melanozyten auf. Häufig werden sie aber erst bei entsprechenden Zusatzsymptomen als richtungsweisender Befund interpretiert. Dieses Hautmerkmal (> 90 % der Kinder) ist charakteristisch für die Diagnose der TSC: Jedes retardierte Kind mit unauffälligem Hautbefund im normalen Licht muss zusätzlich im Wood-Licht (360 nm Wellenlänge) im abgedunkelten Raum untersucht werden, um die white spots sichtbar zu machen. Gelegentlich präsentieren sich die weißen Flecken als Anhäufung vieler kleiner hypopigmentierter Makulae, Konfetti ähnelnd, häufiges Merkmal (30 %) des Erwachsenenalters. Einzelne weiße Flecken werden bei 0,5 % aller gesunden Neugeborenen beobachtet ohne Manifestation einer TSC. Die „ash leaf spots“ bei der TSC sind aufgrund des Musters klar von der Vitiligo zu unterscheiden! Angiofibrome Faziale Angiofibrome (siehe Bildtafel 1) sind rötliche, anfänglich hirsekorngroße Knötchen, die in der Kleinkindzeit beginnend auftreten. Im weiteren Verlauf nehmen sie an Größe und Ausdehnung zu. Mit Beginn der Pubertät sind sie schmetterlingsförmig im Wangenbereich, in der Nasolabialfalte und auf der Nase bei 90 % aller an TSC Erkrankten voll ausgeprägt, bei mechanischer Alteration leicht blutend. Histologisch handelt es sich nicht um Talgdrüsentumoren wie die frühere Bezeichnung Adenoma sebaceum fälschlicherweise suggeriert, sondern um Angiofibrome. Aufgrund des Verteilungsmusters werden Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ die Angiofibrome gerade in ihrem Initialstadium immer wieder mit einer Akne vulgaris verwechselt und führen zur Fehldiagnose, wenngleich Komedonen histologisch nicht vorhanden sind. Eine Sonderform des Angiofibroms ist eine symmetrische, flächige Rötung im Wangenbereich, die bei guter Beobachtung dem Vollbild der Angiofibrome gelegentlich vorausgehen kann; beim Schreien der Kinder ist dieser „Vorläufer“ der Angiofibrome deutlicher zu sehen. Bei richtiger Zuordnung haben Angiofibrome diagnostisch den gleichen hohen Stellenwert wie die weißen Flecken. Bei starker kosmetischer Beeinträchtigung kann eine mechanische Dermabrasio oder eine Entfernung mittels Laser versucht werden, bleibt sehr häufig jedoch ohne langfristigen Erfolg. Fibromatöse Plaques An der Stirn oder im behaarten Kopf finden sich auch angeboren häufig klein- oder großflächige fibromatöse Plaques (fore- Bildtafel 1: Unterschiedliche hypomelanotische Hautflecken bei TSC, mit und ohne Wood-Licht,Poliosis (weiße Haarsträhne), faziales Angiofibrom in unterschiedlichen Entwicklungsstadien bei TSC. Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de 353 FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Bildtafel 2: Fibromatöse Plaques (forehead fibrous plague), periunguale Fibrome (Koenen-Tumore) bei TSC. head fibrous plague), ebenfalls von roter Farbe, die selten einmal eine kosmetische Intervention erfordern (siehe Bildtafel 2). Pflastersteinnaevi (Shagreen patches) Bei ungefähr 50 % der Kinder mit TSC entwickeln sich etwa ab dem 6. Lebensjahr lumbosakral Pflastersteinnaevi (Shagreen patches); dabei handelt es sich um lederartige oder orangenhautähnliche Veränderungen von unterschiedlicher Größe mit histologisch nachweisbarer Bindegewebevermehrung (siehe Bildtafel 3). Pendelfibrome Pendelfibrome (Molluscum fibrosum pendulum) treten bei 30 % der Patienten, überwiegend im höheren Alter auf, typischerweise im Schulter- und Nackenbereich (siehe Bildtafel 3). Koenen-Tumore Koenen-Tumore sind sub-periunguale Fibrome (siehe Bildtafel 2), im Zehenbereich häufiger als im Fingerbereich. Sie entwickeln sich bevorzugt im höheren Alter. Histologisch entsprechen diese den Angiofibromen. Das weibliche Geschlecht ist bevorzugt betroffen; sie müssen gezielt gesucht werden. Jeder Patient mit Verdacht auf TSC – mit Verdacht einer neurokutanen Erkrankung – muss unbekleidet untersucht werden!! Fibromatöse Hyperplasien Das Zahnfleisch kann durch fibromatöse Hyperplasien betroffen sein; mit zunehmendem Alter weisen die Zähne kleine Zahnschmelzgrübchen (Pits) auf, die nach der Pubertät bei 100 % der Kinder vorhanden sind (siehe Bildtafel 2). Harmatome Zahlreiche ophthalmologische Veränderungen werden in der Literatur in Zusammenhang mit TSC beschrieben. Am häufigsten treten oft schon während der ersten Lebensjahre leicht erhabene maulbeerartige Harmatome überwiegend nahe der Papille auf mit der Neigung zur Verkalkung. Diese retinalen Veränderungen sind in der 354 Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Regel nicht progredient und führen nicht zur Visusminderung (siehe Bildtafel 4). Rhabdomyome Kardiale Rhabdomyome (siehe Bildtafel 5) sind die häufigsten intrakardialen Tumore im Kindesalter. Sie weisen eine große Assoziation zur TSC auf und finden sich bei 50 % der Kinder mit TSC. Sie lassen sich bereits pränatal durch Ultraschall beim Feten nachweisen und können solitär, multipel oder diffus infiltrierend auftreten. Nur selten führen sie zu Obstruktionen des Ausflusstraktes des Herzens, die ein kardiochirurgisches Eingreifen erforderlich machen. Einmal nachgewiesen, vergrößern sie sich nicht, sondern werden in der Regel im Verlauf der Kindheit kleiner und lassen sich im Erwachsenenalter oft nicht mehr nachweisen. Kardiale Rhabdomyome können Ursache von Herzrhythmusstörungen bevorzugt im Erwachsenenalter sein. Jedes intrauterin nachgewiesene Rhabdomyom ist zunächst immer Erstsymptom einer TSC, jetzt sollten bereits die Eltern auf TSC-Merkmale befragt oder untersucht werden (autosomal dominanter Erbgang!). Bildtafel 3: Plastersteinnaevi (Shagreen patches), Pendelfibrome (Molluscum fibrosum pendulum) bei TSC. 356 Angiomyolipome Etwa 80 % der betroffenen Kinder mit TSC haben eine Nierenbeteiligung in Form von Zysten oder Angiomyolipomen (siehe Bildtafel 6) mit Manifestation in unterschiedlichen Altersphasen. Während die Nierenzysten früh im Verlauf der Erkrankung auftreten, zeigen sich Angiomyolipome in der Regel erst nach dem 10. Lebensjahr. Allein der Nachweis von Nierenzysten – typischerweise multipel und bilateral – und Angiomyolipomen muss den Verdacht auf eine TSC lenken. Beide Veränderungen können durch Nierenvergrößerung und durch ihre Komplikationen klinisch symptomatisch werden, in der Regel sind sie im Kindesalter aber harmlos und klinisch inapparent. Das Angiomyolipom ist ein gutartiger Tumor der Niere, der bei Ruptur ins Nierenbeckenkelchsystem zur Hämaturie führt, bei Blutung unter die Nierenkapsel zu heftigen Flankenschmerzen bis hin zum akuten Abdomen. Eine ausgeprägte Bildtafel 4: Maulbeerartige Hamartome der Retina bei TSC; Beteiligung der Knochen bei TSC. Bildtafel 5: Kardiale Rhabdomyome bei TSC: Ultraschallbild des Herzens und Makropräparat mit zahlreichen Rhabdomyomen. Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ renale Zystenbildung kann einen renalen Hochdruck, selten auch mal ein Nierenversagen bedingen. Eine solitäre Nierenzyste oder ein solitäres Angiomyolipom ist nur selten Teil einer TSC. Beim Contiguous gene syndrome (TSC2 und PKD1) Tab. 1: Symptomhäufigkeit bei TSC Symptomhäufigkeit bei TSC Weiße Hautflecken („ash leaf spots“) > 90 % Retinale Hamartome 87 % Zerebrale Tuber – „transmatle sign“ 90 % Angiofibrom 80 % Angiomyolipom/Nierenzysten 75 % Kardiale Rhabdomyome 60 % Shagreen-Fleck 30 % Sub-periunguale Fibrome – Koenen-Tumore 20 % Riesenzellastrozytom 15 % Poliosis selten Leiomyomatose der Lunge – nur Frauen 60 % kann eine Nierenbeteiligung früher und in der klinischen Ausprägung stärker verlaufen. Eine Indikation zur Nephrektomie stellen die renalen Veränderungen bei TSC nicht mehr dar, da sie nur ganz selten zu einem Nierenkarzinom entarten. Die Sonographie ermöglicht eine regelmäßige nichtinvasive Verlaufskontrolle der Nieren, bei Größenveränderungen ist ein Durchbruch der Nierenkapsel als Hinweis auf eine Malignisierung zu werten. In Kenntnis der Diagnose TSC kann bei einer Nieren- beteiligung im Bedarfsfall (blutiger Urin und akutes Abdomen) eine selektive radiologische Intervention erfolgen. Im Erwachsenenalter besteht bei fast allen Patienten mit TSC eine Nierenbeteiligung. Sonographisch finden sich benigne zystische Veränderungen auch in anderen intraabdominellen Organen wie Pankreas, Milz und Leber, die wie die Nierenveränderungen regelmäßig sonographisch verlaufskontrolliert werden sollten. Leiomyomatose Lungenveränderungen in Form der Leiomyomatose (LAM) (siehe Bildtafel 7) im Rahmen einer TSC treten fast ausschließlich bei Frauen ab dem Alter von 30 – 35 Jahren auf. Dann spricht man von einer TSC-assoziierten LAM (TSC-associated LAM) mit einer somatischen Mutation im TSC2-Gen in den Zellen der glatten Muskulatur der Lunge. Das nahezu ausschließliche Auftreten beim weiblichen Geschlecht im gebärfähigen Alter lässt an eine kausale Bedeutung weiblicher Hormone für die Ausbildung dieser Organmanifestation denken. Methode der Wahl zur Diagnostik ist die Spiral-CT der Lunge. Knöcherne Veränderungen in Form von Knochenzysten der Phalangen, Metacarpalia und Metatarsalia sowie sklerosierende Veränderungen der langen Röhrenknochen sind seltene, eher unspezifische Tab. 2: Diagnostische Kriterien für TSC Sichere Symptome Unsichere Symptome 1 Kriterium für die Diagnose TS ausreichend Mindestens 2 Kriterien für die Diagnose TS erforderlich Angiofibrome, sub-/periunguale Fibrome (Koenen-Tumore), fibröse Plaques der Stirn Zerebrale Anfälle, bes. BNS-Epilepsie Kortikale Tuber „Ash leaf spots“, weiße Flecken Subependymale Verkalkungen Shagreen-Flecken Multiple retinale Hamartome Rhabdomyome des Herzens Multilokuläre bilaterale Zysten und Angiomyolipome der Nieren Bildtafel 6: Nierenbeteiligung bei TSC in Form von Nierenzysten und Angiomyolipomen – hier dargestellt mittels MRT. 358 Lymphangiomatose der Lunge Grübchenförmige Zahnschmelzdefekte Nachweis von Symptomen bei einem Familienmitglied Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Bildtafel 7: Leimyomatose der Lunge bei TSC im HR-CT der Lungen koronar. Veränderungen bei TSC (siehe Bildtafel 4). Zusammenfassung der Symptome siehe Tab. 1) Klinische Symptome Die wichtigsten klinischen Symptome der TSC sind die zentralnervösen Symptome, im Vordergrund stehen zerebrale Anfälle und eine psychomentale Retardierung unterschiedlichen Ausmaßes. Zerebrale Anfälle bzw. eine manifeste Epilepsie kann sich bereits intrauterin oder im frühen Säuglingsalter manifestieren, kann aber auch in jeder anderen Altersphase auftreten. Besonders häufig ist das altersgebundene West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Anfälle), in der Phase der Kortikalisation (5. – 7. Lebensmonat). Häufig ist die Epilepsie im Rahmen einer TSC therapieschwierig bis therapieresistent. Gerade beim West-Syndrom im Rahmen einer TSC ist das Antiepileptikum Vigabatrin – ein irreversibler Hemmer der GABA-Transferase – trotz der Gefahr einer Gesichtsfeldeinschränkung Mittel der 1. Wahl zur Therapie. Die Initialdosierung beträgt 100 mg/kg KG Vigabatrin, dessen Therapieeffekt in der Regel schon nach 1 Woche beurteilbar ist, zügig kann dann weiter auf 150 mg/kg KG aufdosiert werden. Die Prognose der Epilepsie bei TSC ist weniger günstig; gelegentlich ist ein epilepsiechirurgischer Eingriff erfolgreich. Für die Gesamtentwicklungsprognose der Kinder ist die Epilepsie von fundamentaler Bedeutung: Die mentale Prognose ist umso besser, je früher es gelingt, die Epilepsie erfolgreich zu behandeln, sei es medikamentös oder epilepsiechirurgisch, was nochmals unterstreicht, an eine mögliche epilepsiechirurgische Therapieoption früh im Therapieplan zu denken. Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern mit TSC sind nicht selten; 20 % der Kinder mit TSC sind autistisch bzw. zeigen autismusnahe Verhaltensbesonderheiten. Mitbedingt durch Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de 359 FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Bildtafel 8: Kortikale Tuber in T1- und T2-Wichtung mit klassischen transmatle signs und subependymalen Knötchen bei TSC. die oft therapieschwierige Epilepsie ist ein hoher Prozentsatz der Kinder mit TSC in ihrer psychomentalen Entwicklung beeinträchtigt und bedarf einer multiprofessionellen Betreuung, wozu sich die speziellen TSC-Zentren besonders eignen. Pathologisch-anatomisch lassen sich bei Kindern mit TSC charakteristische angeborene intrazerebrale Veränderungen nachweisen (Bildtafel 8): Bei den bildgebenden Verfahren dominiert die kraniale MRT, die cCT ist zum Nachweis intra- 360 kranieller Verkalkungen sinnvoll. Die Veränderungen variieren in ihrer Lokalisation und Größe; an der Hirnoberfläche bzw. in der grauen Substanz präsentieren sie sich als kortikale oberflächennahe Tubera mit schweifähnlicher Ausdünnung (transmantle sign) zum Ventrikel hin, die in der Erstbeschreibung durch Bourneville und Pringle der Krankheit den Namen „tuberöse Sklerose“ gaben, in der Tiefe des Hirnes periventrikulär als subependymale Knoten. Bei Neugeborenen zeigen sich die Veränderungen als Gyri, die im Vergleich zur angrenzenden (unmyelinisierten) weißen Substanz hyperintens auf T1-gewichteten und hypointens auf T2-gewichteten MRTAufnahmen sind. Mit zunehmender Hirnreifung ändert sich das Erscheinungsbild: Bei älteren Kindern ist das Zentrum der Tubera hypointens auf T1-gewichteten Aufnahmen und hyperintens auf T2-gewichteten cMRT-Aufnahmen im Vergleich zu weißer Substanz. Im reifen Hirn sind Tubera trotz möglicher Isointensität auf T1gewichteten Aufnahmen praktisch immer hyperintens auf T2-gewichteten Aufnahmen. Die Fluid Attenuation Inversion Recovery (FLAIR)-Technik kann hilfreich sein, wenn es darum geht, nicht nur zu klären, ob Tubera vorhanden sind, sondern um die Gesamtzahl aller vorhandenen Tubera zu bestimmen. Tubera können in etwa 5 % der Fälle Kontrastmittel aufnehmen. Eine neoplastische Degeneration ist extrem selten. Die kortikalen Tubera sind gewöhnlich größer als die subependymalen Knoten und grenzen sich durch ihre blassere Färbung gegen das umliegende Hirngewebe ab. Histologisch sind die Veränderungen gleich. Die Tubera können Riesenaxone enthalten und lassen als Ausdruck der kortikalen Aufbaustörung die typische Hirnrindenarchitektur vermissen. Die Gliose und gestörte Myelinisation innerhalb der Tubera können sich auf die tieferen Hirnregionen ausdehnen. Die subependymalen Knoten sind typischerweise um die Seitenventrikel lokalisiert, in der striothalamischen Falte zwischen dem Nucleus caudatus und dem Thalamus. Subependymale Knoten sind primär gutartige Hamartome aus mehrkernigen Riesenastrozyten und großen Spindelzellen, sie sind scharf begrenzt und können sich bei entsprechender Größe in das Ventrikellumen vorwölben. Sie verkalken in der Regel früh. Bei 5 – 15 % der TS-Patienten entwickeln sich subependymale Riesenzellastrozytome (SEGA) (siehe Bildtafel 9). Dabei handelt es sich um langsam wachsende Tumoren, die sich in der Regel aus subependymalen Knoten des Nucleus caudatus in der Nähe des Foramen Monroi entwi- Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ ckeln, durch ihre Wachstumstendenz können sie den Seitenventrikel komprimieren oder bei Obstruktion des Foramen Monroi zum Verschlusshydrozephalus mit der Notwendigkeit einer therapeutischen Intervention führen. In 10 % der Fälle lassen sich kortikale Tubera auch im Kleinhirn nachweisen. Nach heutigen Untersuchungen besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der Schwere einer Epilepsie, der mentalen Retardierung und dem Nachweis zerebraler Veränderungen bei Kindern mit TSC. So weisen 13 % der Patienten mit TSC keine intrazerebralen Veränderungen auf und haben dennoch eine Epilepsie oder ei- ne mentale Retardierung. Autismus und Grad der Behinderung korrelieren nicht mit der Anzahl der kortikalen Tubera. Weniger typische und seltene ZNSManifestationen sind supratentorielle Parenchymzysten und zerebrale Aneurysmen. Zum Zeitablauf der Symptomenmanifestation siehe Tab. 3. Diagnostik Die Diagnose der TSC erfolgt oft nicht aufgrund eines einzelnen Befundes, sondern setzt sich aus der Kombination der oben im Detail aufgeführten Symptome zusammen (Tab. 2). Aufgrund der erheb- Bildtafel 9: Unterschiedliche Befunde bei Riesenzellatrozytom (SEGA) bei TSC. Kinderärztliche Praxis 84, 350 – 364 (2013) Nr. 6 www.kipra-online.de Tab. 3: Altersabhängiges Auftreten der einzelnen Merkmale bei TSC Merkmal Alter bei Auftreten Weiße Hautflecken („ash leaf spots“) Geburt Kardiale Rabdomyome Geburt Rote Stirnplaques Geburt Kortikale Tuber Geburt Poliosis Geburt Shagreen-Fleck Vorschul- Schulalter Angiofibrom Vorschul- Schulalter Sub-/periunguale Fibrome (KoenenTumore) Adoleszenz – Erwachsenenalter Angiomyolipom der Nieren/Nierenzysten Schulalter – Adoleszenz Leiomyomatose der Lunge Erwachsenenalter/ Frauen lichen klinischen Variabilität kann die Diagnose erschwert sein. Vielfach führt gerade im Kindesalter der erste zerebrale Anfall zur Abklärung zum Kinderarzt, der dann aufgrund der typischen frühen kutanen Merkmale die diagnostischen Weichen stellen muss. Die Identifizierung eines der kutanen Merkmale bei TSC sollte stets zu einer gründlichen Befunderhebung führen, die fast immer weitere Symptome zutage fördert. Die Diagnose TSC hat nicht nur therapeutische Konsequenzen, sondern erfordert auch immer eine genetische Beratung der Familie, insbesondere bei oft schwer mehrfach behinderten Kindern. Dazu müssen beide Elternteile und bereits vorhandene Geschwister wegen der oft erheblichen intrafamiliären Variabilität äußerst sorgfältig untersucht werden. Diese Untersuchung sollte beinhalten: ◾ Hautinspektion im Wood-Licht, ◾ Untersuchung der Zähne, ◾ Augenhintergrundinspektion, ◾ gezielte Inspektion der Finger- und Zehennägel, ◾ Ultraschall des Herzens und des Abdomens und 363 FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ ◾ zerebrale Bildgebung (cMRT). Bei fehlendem innerfamiliärem Nachweis TSC-spezifischer Merkmale liegt das Wiederholungsrisiko bei 2 %, ansonsten bei autosomal dominantem Erbgang bei 50 %. Auf der Basis der molekulargenetischen Befunde eröffnet die Zulassung von Everolimus mit einer Beeinflussung des mTORPathways zur Behandlung des wachsenden Riesenzellastrozytoms neue zielorientierte Behandlungsmöglichkeiten: Nicht nur das Riesenzellastrozytom lässt sich im Wachstum aufhalten, sondern auch das Angiomyolipom und das Angiofibrom werden in ihrem Wachstum gehemmt. Erste Berichte lassen auch einen positiven Einfluss auf die oft therapieschwierige Epilepsie vermuten. Weiterführende Literatur 1. Asano E, Chugani DC, Muzik O, Behen M, Vanisse J et al. (2001) Autism in tuberous sclerosis complex is related to both cortical and subcortical dysfunction. Neurology 57: 1269 – 77 2. Castro M, Shepherd CW, Gomez MR, Lie JT, Ryu JH (1995). Pulmonary tuberous sclerosis. Chest 107: 189 – 95 3. Chan JA, Zhang H, Roberts PS, Jowzwiak S, Wieslawa G et al. 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