Institut für Medizinische Genetik Universität Zürich Direktorin: Prof. Dr. med. Anita Rauch Wagistrasse 12 CH-8952 Schlieren Telefon +41 44 556 33 00 Telefax +41 44 556 33 01 www.medgen.uzh.ch Informationen zu vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen Das Wichtigste in Kürze • Eine „normale“ vorgeburtliche genetische Diagnostik ist in der Regel auf die Erkennung chromosomaler Trisomien gerichtet, die mit zunehmendem Alter der Schwangeren häufiger werden. Deshalb werden ab einem Alter von 35 Jahren sowie ab einem Risiko von 1:380 die Kosten für eine mikroskopische Chromosomenuntersuchung (Karyotypisierung) von ca. 750 CHF aus Fruchtwasser (~16. SSW) oder ca. 1‘100 CHF aus Chorionzotten (~11. SSW) von der Grundversicherung übernommen. • Während das erste Ergebnis bezüglich Trisomien oder Monosomien bei der Chorionzottenbiopsie bereits nach ca. 2 Tagen vorliegt, ist dies aus Fruchtwasser in der Regel erst nach 10-14 Tagen der Fall. Durch einen zusätzlichen sogenannten molekularen oder FISH-Schnelltest (250 CHF) können die häufigen Trisomien jedoch auch aus Fruchtwasser binnen 1-2 Tagen nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Die Kosten für den Schnelltest werden von der Grundversicherung jedoch nur bei besonderer Indikation übernommen. • Der Vorteil der Chorionzottenbiopsie liegt in der früheren Anwendbarkeit, jedoch treten in Chorionzotten häufiger Mosaik-Befunde auf, das heisst, ein Mischbild aus Zellen mit normalem Chromosomensatz und solchen mit pathologischem Chromosomensatz. Da solche Mosaike auf die Plazenta beschränkt sein können, spiegelt das Fruchtwasser bei Mosaiken die Situation im Kind besser wider. • Bei entsprechend auffälligem Ultraschallbefund und unauffälliger konventioneller Chromosomenanalyse ist eine molekulare Chromosomenanalyse zum Nachweis kleinerer Chromosomenveränderungen, die jedoch ebenfalls schwere Krankheitsbilder nach sich ziehen können, zu empfehlen. Die Kosten von ca. 2900 CHF werden bei entsprechender Indikation von der Grundversicherung übernommen. Bei entsprechendem Verdacht aufgrund der Ultraschalluntersuchung kann auch eine gezielte Genanalyse indiziert sein. • Ist in der Familie bereits eine genetisch bedingte Erkrankung oder Behinderung aufgetreten, so ist im Vorfeld einer vorgeburtlichen Diagnostik eine genetische Abklärung des Indexpatienten und eine genetische Beratung zur Planung der Teststrategie notwendig. • Bei Ashkenazy-jüdischer Abstammung empfiehlt sich ein Screening der Kindseltern auf die in dieser Population häufigen rezessiven Mutationen im Rahmen einer genetischen Beratung. • Eine Testung der Schwangeren auf Anlageträgerschaft für das Fragile X-Syndrom, der häufigsten monogenen Form der geistigen Behinderung, oder ein Screening bezüglich Mukoviszidose (Cystische Fibrose; CF) ist auf Wunsch möglich, wird bei unauffälliger Familienanamnese jedoch nicht von der Grundversicherung übernommen. Die Kosten belaufen sich auf ca. 700 CHF für die FraX-Testung und auf ca. 500 CHF für das fetale CFScreening. Für eine effektive Bewertung bzw. Anpassung des CF-Screenings ist die Mitteilung der ethnischen Herkunft der Eltern notwendig. Seite 1/9 Institut für Medizinische Genetik Was sind genetisch bedingte Erkrankungen? Heute sind mehrere tausend ganz oder teilweise genetisch bedingte Erkrankungen oder Behinderungen bekannt. Diese Erkrankungen können sehr vielfältiger Natur sein. Einerseits kennt man komplexe Erkrankungen, die schon im Kindesalter zu Tage treten und mitunter zu vielfältigen und schweren körperlichen und / oder intellektuellen Beeinträchtigungen führen. Andererseits gibt es Erkrankungen, die nur einzelne oder wenige Organe betreffen, und zum Beispiel mit einer Epilepsie, mit Diabetes, oder aber auch Taubheit oder Blindheit oder vielem anderen mehr einhergehen können. Genetisch bedingte Erkrankungen machen heutzutage ca. 20% der Kindersterblichkeit aus, und sind für ca. 10% der Spitalaufenthalte von Kindern verantwortlich. Bei ca. 2% der Kinder liegt eine geistige Behinderung vor, die ein späteres selbstständiges Leben in der Regel verunmöglicht. Neben den schon im Kindesalter bemerkbaren Erkrankungen gibt es auch zahlreiche genetische Krankheitsveranlagungen, die erst im Erwachsenenalter zu Tage treten, wie zum Beispiel eine ganze Reihe von genetischen Formen des Muskelschwundes, vererbliche Krebserkrankungen, aber auch Herz-Kreislauferkrankungen, Seh- und Hörstörungen und vieles andere mehr. Was ist die Ursache von genetisch bedingten Erkrankungen? Genetische Erkrankungen werden durch Veränderungen unserer Erbsubstanz verursacht. Diese besteht unter anderem aus sogenannten Genen (Erbanlagen), die in 24 verschiedenen Chromosomen gebündelt meist in doppelter Ausführung in fast jeder Körperzelle vorliegen. Insgesamt liegen pro Zelle 46 Chromosomen vor, und zwar die beiden Geschlechtschromosomen X und Y, sowie 22 Paare von nicht-Geschlechtschromosomen, die mit den Nummern 1-22 bezeichnet werden. Auf den Chromosomen befinden sich insgesamt ca. 21‘000-25‘000 Erbanlagen, von denen die genaue Rolle bei menschlichen Erkrankungen bisher aber nur bei ca. 3‘000 bekannt ist. Manche genetische Defekte stören nur die Funktion einer einzelnen Erbanlage, während andere eine ganze Gruppe von Erbanlagen betreffen können. Hierbei lässt sich von der Grösse des Defektes nicht automatisch auf die Auswirkung schliessen, weil auch „kleine“ Defekte eine schwere Krankheit mit sich bringen können und relativ grosse Defekte je nach Lokalisation auch relativ harmlos sein können. Genetisch bedingte Erkrankungen können nicht nur über selbst erkrankte, sondern auch über gesunde Eltern übertragen werden, entstehen häufig aber auch neu in der Ei- oder Samenzelle, aus der sich das Kind entwickelt, oder während der ersten Zellteilungen der befruchteten Eizelle durch Kopier- oder Aufteilungsfehler. Was sind die häufigsten genetisch bedingten Erkrankungen in Mitteleuropa? Die häufigste bekannte, genetisch bedingte Erkrankung in Mitteleuropa ist die Eisenspeicherkrankheit Hämochromatose, die bei einer von 400 Personen auftritt. Da diese Erkrankung jedoch in der Regel erst im späteren Erwachsenenalter zu Symptomen führt und dabei sehr gut behandelbar ist, wird sie in der Regel nicht vorgeburtlich untersucht. Die zweithäufigste bekannte genetisch bedingte Erkrankung ist das Down-Syndrom (früher auch als „Mongolismus“ bezeichnet), welches bei einem von 700-1000 Neugeborenen vorliegt. Obwohl in seltenen Fällen einer der Eltern eine Veranlagung für Kinder mit Down-Syndrom in sich tragen kann, entsteht das Down-Syndrom in den allermeisten Fällen zufällig durch einen Teilungsfehler der Seite 2/9 Institut für Medizinische Genetik Chromosomen bei der Eizellentwicklung. Die genaue Ursache ist ein zusätzliches Chromosom Nr. 21, was als „Trisomie 21“ bezeichnet wird. Eine Trisomie 21 kann bei Schwangeren jeden Alters vorliegen, jedoch steigt mit zunehmendem Alter der Schwangeren das Risiko für eine Trisomie 21, aber auch für die selteneren Trisomien 13 und 18 und für zahlenmässige Veränderungen der Geschlechtschromosomen. So liegt die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Kindes mit einer Trisomie 21, 13 oder 18 bei einer 35jährigen bei ca. 1:330 (0,3 %), bei einer 38jährigen bei ca. 1:150 (0,7 %) und bei einer 42jährigen bei ca. 1:50 (2 %). Während die Trisomien 13 und 18 in der Regel mit einer hohen Sterblichkeit bei schwerer körperlicher und geistiger Beeinträchtigung einhergehen, sind Anomalien der Anzahl der Geschlechtschromosomen häufig nur mit Wachstumsanomalien und Fruchtbarkeitsproblemen verbunden. Beim durch eine Trisomie 21 hervorgerufenen Down-Syndrom handelt es sich um eine schon nach der Befruchtung durch den Überschuss an Genmaterial des Chromosoms 21 einsetzende generelle Entwicklungsstörung, die einerseits zu körperlichen Problemen und andererseits zu einer Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit führt. Der Schweregrad der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung kann bei einzelnen Kindern unterschiedlich ausgeprägt sein. Eine Heilung ist aktuell und in absehbarer Zeit nicht möglich. Abb. 1: Trisomie 21 in der konventionellen Chromosomenanalyse (links) und im FISH-Schnelltest (rechts) Das Down-Syndrom findet sich bei ca. 10% der geistig behinderten Kinder, während andere mikroskopisch sichtbare Chromosomenanomalien bei ca. 5% nachweisbar sind. Mittels molekularer Chromosomenanalyse („Array-CGH“) nachweisbare Mikrodeletionen- oder Mikroduplikationen machen ca. 10-20% der Fälle angeborener geistiger Behinderung aus. Die häufigste auf einem Einzelgendefekt beruhende Form der geistigen Behinderung insbesondere bei Knaben und Männern stellt das Fragile X-Syndrom dar. Die typische für das Fragile X-Syndrom verantwortliche Mutation tritt nur auf, wenn die Mutter Überträgerin der Erkrankung ist. Je nach Bevölkerungsgruppe sind bis zu 1:113 Frauen gesunde Übertragerinnen. Seite 3/9 Institut für Medizinische Genetik Abb. 2: Nachweis einer Mikrodeletion in Chromosom 2 mittels Molekularer Chromosomenanalyse Die nächsthäufigste der im deutschen Sprachraum bekannten genetischen Erkrankungen ist die Mukoviszidose (auch Cystische Fibrose oder CF genannt). Hierbei handelt es sich um eine mehr oder weniger schwerwiegende Erkrankung, die vor allem die Lunge, die Bauchspeicheldrüse und die Samengänge betrifft. Bei klassischer Mukoviszidose stehen aufgrund des Bauchspeicheldrüsendefektes ein Mangel an Verdauungsenzymen mit resultierender Gedeihstörung und eine chronische Lungenentzündung mit zunehmender Verschlechterung der Atmungsfähigkeit und Erstickungstod im frühen Erwachsenenalter im Vordergrund. Die Vererbung ist autosomal rezessiv, was bedeutet, dass in der Regel beide Eltern gesunde Überträger der Erkrankung sind, welche bei den Kindern dann auftritt, wenn von beiden Eltern gleichzeitig der entsprechende Gendefekt vererbt wurde. In der Schweiz ist fast jeder zwanzigste Mensch Überträger der Mukoviszidose. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Paar, in dessen Familien bisher keine Mukoviszidose aufgetreten ist, ein Kind mit Mukoviszidose zur Welt bringt, beträgt daher bis zu 1:1‘600. Sind beide Eltern in der Tat gesunde Überträger der Mukoviszidose, so beträgt das Risiko für ein erkranktes Kind 25%. In Familien, in denen bereits eine CF aufgetreten ist, ist vor einer gezielten genetischen Analyse eine genetische Beratung zur Klärung der genauen Sachlage notwendig. Falls kein CF-Fall in der Familie vorliegt, ist ein vorgeburtliches Screening bezüglich der häufigsten Mutationen an Fruchtwasser, Chorionzotten oder Nabelschnurblut möglich. Alternativ kann auch ein Screening der Eltern aus einer Blutprobe erfolgen. Die Aussagekraft des Screenings hängt dabei von der Abstammung der Schwangeren und des Partners ab (siehe Abbildung 3). Auf Wunsch kann das Screening gegen einen Aufpreis an die jeweilige Herkunft angepasst werden. Bei auffälligem Screeningergebnis sind für die endgültige Befundbewertung weiterführende Analysen unter Einbeziehung der elterlichen Blutproben nötig. Seite 4/9 Institut für Medizinische Genetik 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 Jewish (Ashkenazi) Denmark Belgium Switzerland Czech Rep. Netherlands Germany United Kingdom Bulgaria Canada Latvia Ireland Sweden France Yugoslavia Slovakia Finland Belarus Ukraine Austria Greece Albania Poland Croatia Slovenia Spain Argentina Russia Estonia Lebanon Norway Brazil Macedonia Hungary Italy Mexico United States Algeria Portugal Romania Columbia Tunisia Turkey Lithuania Chile Venezuela United Kingdom (Pakistani) Abb. 3: Prozentsatz der mittels CF-Screening detektierten Mutationen nach ethnischer Herkunft Abb. 4: Ausschnitt aus den Ergebnissen eines CF-Screenings mit Nachweis der Mutationen Delta F508 und X542 (links) und Nachweis einer Genmutation auf Sequenzebene (rechts). Was erkennen vorgeburtliche Untersuchungen? Ist eine bestimmte genetische Erkrankung und die zugrundeliegende Gen- oder Chromosomenmutation in einer Familie bekannt, so kann diesbezüglich gezielt eine vorgeburtliche Analyse aus kindlichem Erbmaterial durchgeführt werden. In solchen Fällen muss in der genetischen Beratung zunächst abgeklärt werden, ob es möglich ist, in der Frühschwangerschaft Wiederholungsfälle zu erkennen, und welche Methoden dazu verwendet werden müssen Seite 5/9 Institut für Medizinische Genetik (Chromosomen-, Stoffwechseluntersuchungen, Ultraschall oder Genanalysen). Die Kosten für die vorgeburtliche genetische Diagnostik werden von der Schweizer Grundversicherung der Krankenkasse übernommen, wenn das Risiko für das Vorliegen der Erkrankung beim Kind mindestens 1:380 beträgt. Davon abgesehen wird auch ohne familiäre Belastung ab einem Alter der Schwangeren von 35 Jahren von der Grundversicherung eine vorgeburtliche Chromosomenanalyse zum Ausschluss einer Trisomie 21 oder anderer Trisomien übernommen. Das an sich mit einer Häufigkeit von weniger als 1:10‘000 seltene Prader-Willi-Syndrom (Leichte geistige Behinderung mit Fresssucht und Hormonstörungen) kommt bei älteren Schwangeren aufgrund einer „Selbstheilung“ einer ursprünglichen Trisomie 15 ebenfalls häufiger vor, jedoch wird ein diesbezüglicher Test von der Grundversicherung nicht bezahlt, weil die Häufigkeit des Vorkommens trotzdem relativ selten ist. Bei Kindern über 40jähriger Väter treten die verschiedensten genetischen Mutationen, nicht aber Trisomien, ebenfalls häufiger auf. Da dies aber verschiedenste Erkrankungen betreffen kann, steht diesbezüglich kein spezifischer Gentest zur Verfügung. Es kann allenfalls versucht werden, durch eine detaillierte Ultraschalluntersuchung körperliche Anomalien des Feten als möglichen Hinweis auf eine angeborene Erkrankung zu erkennen. Ein generelles Screening auf alle bekannten oder gar noch ungeklärten genetisch bedingten Erkrankungen ist heutzutage nicht möglich. Methoden der parallelen Analyse des Grossteils der bekannten Genabschnitte sind zwar derzeit in Studien im Einsatz, jedoch noch nicht für die diagnostische Anwendung etabliert. Der bisher einzige für die Diagnostik zur Verfügung stehende globale genetische Test ist die Chromosomenanalyse. Diese kann einerseits mit Hilfe eines Lichtmikroskops und der Beurteilung der Chromosomenstruktur durch das menschliche Auge erfolgen (konventionelle Chromosomenanalyse), oder andererseits durch das Abtasten der Chromosomen mit Hilfe von Tausenden bis Millionen von molekularen Markern und biostatistischer Auswertung von Leuchtintensitäten (molekulare Chromosomenanalyse) durchgeführt werden. Bezüglich der Anzahl der Chromosomen hat die konventionelle Chromosomenanalyse eine hervorragende Aussagekraft, so dass sie unter Berücksichtigung des Preis-Leistungsverhältnisses die Standardmethode zum Ausschluss eines Down-Syndroms und anderer Trisomien darstellt. Die Erkennbarkeit von kleineren, nur einzelne Chromosomenteile betreffenden Veränderungen im Mikroskop hängt neben der Grösse der Veränderung auch von dem Streckungsgrad und der jeweiligen Region der Chromosomen in der jeweiligen Untersuchung ab. Dieser Streckungsgrad, der das sogenannte Bandenniveau und damit die Auflösungskraft der Analyse bestimmt, ist bei vorgeburtlichen Chromosomenanalysen in der Regel niedriger als bei nachgeburtlichen Analysen aus Blut. Deshalb umfassen vorgeburtlich entdeckte Chromosomenveränderungen häufig mindestens 1020 Millionen DNA-Bausteine, während nachgeburtlich aufgrund des in der Regel besseren Bandenniveaus der Chromosomenpräparate aus Blut häufiger auch Veränderungen ab 5-10 Millionen Bausteinen lichtmikroskopisch sichtbar sein können. Da die Nachweismöglichkeit kleinerer Chromosomenveränderungen, die ebenfalls mit schwerer körperlicher und geistiger Beeinträchtigung des Kindes einhergehen können, mit einer konventionellen Chromosomenanalyse beschränkt ist, wäre eine molekulare Chromosomenanalyse hierfür das Mittel der Wahl. Da das Risiko für solch kleine Chromosomenveränderungen mit gravierenden Folgen aber bei ansonsten unauffälliger Vorgeschichte nur ca. 1:500 beträgt, wird eine molekulare Chromosomenanalyse von der Grundversicherung nur bei spezieller Indikation Seite 6/9 Institut für Medizinische Genetik übernommen (z. B. Anomalien des Feten in der Ultraschalluntersuchung). Bei der molekularen Chromosomenanalyse kann es vorkommen, dass rezessive oder spätmanifestierende Anlagen entdeckt werden, die erst im späteren Leben oder für die Nachkommen des Feten eine Rolle spielen können. Solche Befunde werden in der Regel nicht mitgeteilt. Die Kosten der molekularen Chromosomenanalyse betragen ca. 2900 CHF. Es gibt auch Chromosomenveränderungen in sogenannter Mosaik-Form, das heisst, dass die Anomalie nur in einem Teil der Zellen vorliegt, während andere Zellen einen normalen Chromosomensatz aufweisen. Solche Mosaike müssen in der vorgeburtlichen Analyse nicht sichtbar sein und können deshalb unerkannt bleiben. Umgekehrt kann es bei einem vorgeburtlichen Mosaikbefund insbesondere aus Chorionzotten sein, dass sich der pathologische Befund nur auf die untersuchte Plazenta beschränkt und nicht das Kind selbst betrifft. Von solchen Mosaik-Fällen abgesehen, sind die Ergebnisse genetischer vorgeburtlicher Analysen bezüglich der prädiktiven Aussagewertes in der Regel sehr sicher. Bei der konventionellen Chromosomenanalyse gelegentlich und bei der molekularen Chromosomenanalyse häufiger, können jedoch unklare Befunde vorkommen, deren mögliche Bedeutung für die Gesundheit des werdenden Kindes nicht geklärt werden kann. Kindliches Erbmaterial kann aus Fruchtwasserzellen oder den kindlichen Anteilen der frühen Plazenta (Chorionzotten) gewonnen werden, in Spezialfällen kann auch eine kindliche Blutprobe aus der Nabelschnur entnommen werden. Bei Fruchtwasseruntersuchungen wird zusätzlich das Alphafetoprotein (AFP) bestimmt, welches z. B. bei einem offenen Rücken (Spina bifida) erhöht ist. Der Nachweis eines Fragilen X-Syndroms an Fruchtwasser oder Chorionzotten ist technisch schwierig und bleibt Fällen mit nachgewiesener Anlageträgerschaft der Schwangeren vorbehalten. Ein Screening auf Anlageträgerschaft von Frauen ist möglich, wird jedoch nicht von der Krankenkasse übernommen (Kosten ab 700 CHF). Da es sich bei der klassischen CF (Cystischen Fibrose, Mukoviszidose) mit einer Inzidenz von ca. 1:2000 um die häufigste schwerwiegende genetische Erkrankung handelt, welche durch in der Bevölkerung häufige Mutationen verursacht wird, kann die Wahrscheinlichkeit für eine CF beim Kind durch ein Screening auf die häufigsten Mutationen gesenkt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Häufigkeitsverteilung der über tausend bekannten CF Mutationen von der ethnischen Abstammung abhängig ist. So detektiert das CF-Screening auf die 33 häufigsten Mutationen in der Schweizer Bevölkerung 89% der Mutationen, während dieses Screening nur 59% der in Italien häufigen Mutationen erfasst (siehe Abbildung 3). Wenn in der Familie bereits ein Fall von CF aufgetreten ist, ist ein CF-Screening zum Ausschluss einer CF nicht ausreichend. Die Situation und die sich daraus ergebende Testungsstrategie sollte im Rahmen einer genetischen Beratung geklärt werden. Amniocentese und Chorionzottenbiopsie Die Laboruntersuchungen werden in der Regel im Institut für Medizinische Genetik oder in auf bestimmte Erkrankungen spezialisierten genetischen Laboratorien durchgeführt. Das Untersuchungsmaterial wird hingegen von technisch versierten Frauenärzten in einer Klinik oder ihrer Praxis ambulant entnommen. Seite 7/9 Institut für Medizinische Genetik Die Amniocentese oder Fruchtwasserpunktion wird seit den frühen Siebzigerjahren weltweit durchgeführt. Mittels einer Nadel wird durch die Bauchdecke hindurch, unter Ultraschallkontrolle, etwas Fruchtwasser entnommen. Normalerweise führt man die Amniocentese in der 15.-16. Schwangerschaftswoche durch. Die im Fruchtwasser enthaltenen fetalen Zellen müssen im Labor zuerst noch in Gewebekultur gezüchtet werden, und die Resultate sind in der Regel erst 10-14 Tage später bekannt. Durch den so genannten Schnelltest, der die 3 wichtigsten autosomalen Trisomien (für die Chromosomen 21, 18 und 13) sowie zahlenmässige Veränderungen des X- und YChromosoms aufdeckt, lassen sich innerhalb von 24 Stunden ca. 90 % aller ab der 15. Schwangerschaftswoche auftretenden Chromosomenstörungen erfassen bzw. ausschliessen. Ohne ein spezielles Risiko ist dieser Test (Kosten ca. CHF 250) allerdings keine Kassenpflichtleistung. Der Schnelltest wird als Zusatzuntersuchung angeboten, es erfolgt in jedem Fall eine komplette Chromosomenanalyse. Die Amniocentese ist in all jenen Fällen, in denen die Wahrscheinlichkeit für eine kindliche Anomalie relativ klein ist, also z.B. bei den Frauen über 35, eine häufig angewandte Methode. Der Nachteil ist, dass Schwangerschaftsabbrüche bei ungünstigen Untersuchungsergebnissen erst spät durchgeführt werden können, und einen mehrtägigen Klinikaufenthalt erfordern. Überall dort, wo eine grosse Wahrscheinlichkeit für eine kindliche Anomalie besteht, kommt in der Regel die Chorionbiopsie zur Anwendung. Die Chorion- und Placentabiopsie wird seit 1985 eingesetzt. Normalerweise wird sie ab der 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Das Chorion ist ein Zottengewebe, das sich früh vom Embryo abspaltet und die Fruchtblase umhüllt; aus ihm entsteht später die Placenta. Bei der Biopsie wird eine geringe Menge Zotten entnommen, aus welchen die Chromosomen direkt untersucht werden. Ein erstes Resultat bezüglich der Anzahl der Chromosomen (Trisomien/Monosomien) ist deshalb innert weniger Tage bekannt. Eine genauere Analyse der Chromosomenstruktur setzt aber eine Langzeitkultur voraus, deren Ergebnis in der Regel nach 2-3 Wochen vorliegt. Unser Labor führt bei der Chorionuntersuchung standardmässig eine Kurzzeit- und eine Langzeitkultur durch. Falls das Resultat der Kurzzeitkultur fraglich auffällig ist (etwa ein so genanntes Mosaik, also ein abnormer Befund in nur einigen/wenigen der untersuchten Zellen), muss dieses Resultat durch die Langzeitkultur oder eine Fruchtwasserpunktion bestätigt werden, bevor daraus Konsequenzen gezogen werden können. Da das Auflösungsvermögen bei der Kurzzeitkultur deutlich geringer ist als bei der Langzeitkultur, können kleinere strukturelle Abweichungen der Chromosomen in der Regel erst in der Langzeitkultur nachgewiesen werden. Da Mosaike auf die Plazenta beschränkt sein können, gibt die Fruchtwasseranalyse diesbezüglich eine sicherere Auskunft als die Chorionzottenbiopsie. Allfällige Schwangerschaftsabbrüche bei ungünstigen Untersuchungsergebnissen aus Chorionuntersuchungen können meist bis zur 13. Woche mittels Saugcurettage erfolgen. Wenn mit dem Einsender nicht anders vereinbart, erhält die Schwangere bei unauffälligem Befund jeweils eine vereinfachte schriftliche Nachricht von uns. Bei pathologischen oder unklaren Befunden sowie bei Abweichungen im normalen Ablauf wird primär nur der Frauenarzt informiert, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Nach Rücksprache mit dem Frauenarzt ist dann eine ausführliche Befundbesprechung in unserer genetischen Sprechstunde möglich. Genanalysen und Stoffwechseluntersuchungen können 2 bis 3 Wochen Zeit in Anspruch nehmen; eine molekulare Chromosomenanalyse dauert bei ausreichendem Ausgangsmaterial 1-2 Wochen. Seite 8/9 Institut für Medizinische Genetik Risiken der Eingriffe Amniocentese und Chorionbiopsie haben - wie alle chirurgischen Eingriffe - ihr Risiko. Dessen Grösse hängt in erster Linie von der Ausbildung und Erfahrung des Punkteurs ab. Das Hauptrisiko sind Fehlgeburten, wenige Tage bis Wochen nach dem Eingriff. Verletzungen der Mutter oder des später geborenen Kindes sind extreme Seltenheiten. Das durchschnittliche Risiko, dass es nach einer Amniocentese zu einer Fehlgeburt kommt, liegt nach unserer Erfahrung bei ca. 0,5 Prozent. Bei der Chorionbiopsie ist das operative Risiko mit 0,5-1% etwas höher. Was Sie sonst noch wissen müssen 1. Nicht jede Untersuchung gelingt auf Anhieb. Eine Punktion kann insbesondere bei schwierigen anatomischen Verhältnissen misslingen, oder das gewonnene Untersuchungsmaterial kann mengenmässig nicht ausreichend sein, die Analyse kann jedoch auch im Labor fehlschlagen. Wiederholungen sind deshalb in seltenen Fällen notwendig. Bei bestimmten unklaren Befunden kann es notwendig sein, eine vergleichende Untersuchung von Blutproben der Eltern durchzuführen. 2. Sicherheit der Resultate: Fast immer kann man bei einem abnormen Resultat eindeutig aussagen, welche Krankheit vorliegt. In seltenen Fällen ist dies nicht möglich, und die weiteren Entscheide müssen dann aufgrund von Erfahrungswerten erfolgen, oder es sind weitergehende Untersuchungen nötig. Bei den häufigen Chromosomenanomalien oder Genanalysen ist die Sicherheit der Resultate sehr hoch, aber auch hier nicht absolut. Bei Screeninguntersuchungen, d. h. Untersuchungen, die sich nicht gezielt auf eine familiär bekannte Anomalie oder Mutation beziehen, bedeutet ein normales Ergebnis nicht, dass das werdende Kind gesund sein wird, da zahlreiche Erkrankungen nicht durch die zur Verfügung stehenden Screeninguntersuchungen erkannt werden können. Bei Bedarf können im Rahmen einer genetischen Beratung offene Fragen genau besprochen werden. 3. Unerwartete Ergebnisse: Diese kommen selten vor, z.B. dass bei älteren Schwangeren zwar keine Trisomie, aber ein Turner-Syndrom (Fehlen eines Geschlechtschromosoms) entdeckt wird. Die Ergebnisse erfordern eine sorgfältige Beratung des Ehepaars durch den Genetiker. 4. Schwangerschaftsabbrüche: Abnorme Resultate werden auf Wunsch so rasch als möglich mit dem betroffenen Paar in unserem Institut ausführlich besprochen. Wenn der Abbruch „nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann“, kann auf Wunsch ein Schwangerschaftsabbruch gemäss Art. 119 StGB auf unser Gutachten hin straflos erfolgen. Zürich, November 1995; revidiert Mai 2003, November 2006, Oktober 2011 Seite 9/9 Prof. Dr. A. Rauch