curriculum Therapie chronischer Schmerzen: Update Teil 3: Interventionelle Massnahmen Helmut Gerbera, Patrick Willimannb, Christoph Konrada a b Klinik für Anästhesie, chirurgische Intensivmedizin, Rettungsmedizin und Schmerztherapie, Luzerner Kantonsspital, Luzern SchmerzMedizin Aarau Injektionstechniken Quintessenz P Bei den Injektionstechniken werden Lokalanästhetika, Steroide, Clonidin und Opiate meistens unter Bildwandler- oder Ultraschall-Kontrolle injiziert. P Die Techniken der Neuromodulation bedienen sich eines perineural applizierten, elektrischen Stroms mit unterschiedlichen Stimulationsmustern. P Bei Patienten mit therapierefraktären Schmerzen können perkutane, subkutan getunnelte epidurale oder intrathekale Katheter zur Behandlung benutzt werden. Wenn die multimodale medikamentöse Schmerztherapie unzureichend ist oder die Nebenwirkungen zu gross sind, müssen interventionelle Schmerztherapien in Betracht gezogen werden [140]. Dabei werden Einzelinterventionen und temporär oder permanent implantierte kontinuierliche (Katheter-)Methoden unterschieden. Zwei Patientengruppen kommen dabei in Frage: Patienten mit Erkrankungen der Wirbelsäule, dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS), chronifizierten posttraumatischen resp. postoperativen Schmerzzuständen oder peripheren Neuropathien, Patienten mit tumorbedingten Schmerzen. Injektionstechniken vs. Neuromodulation Helmut Gerber Helmut Gerber ist Consultant für die Firma Medtronic. Bei den Injektionstechniken werden Lokalanästhetika, Steroide, Clonidin und Opiate meistens unter Bildwandler- oder Ultraschall-Kontrolle injiziert. Die Techniken der Neuromodulation bedienen sich eines perineural applizierten, elektrischen Stroms mit unterschiedlichen Stimulationsmustern. Dazu zählen die transkutane Nervenstimulation (TENS), der epidurale Hinterstrangstimulator («Spinal Cord Stimulator», SCS), die periphere und subkutane Stimulation («Field Stimulation») sowie die gepulste Radiofrequenzstimulation (PRF). Bei diesen Verfahren werden die Nervenfasern anatomisch und funktionell erhalten, dadurch unterscheiden sie sich von den heute nur noch selten benutzten destruktiven Methoden mit Alkohol oder Phenol, beispielsweise Alkohol-Block des Ganglium coeliacum beim Pancreaskarzinom [141]. Diagnostische Blockaden Zu den diagnostischen Blockaden gehören gezielte Blockaden einzelner Spinalnervenwurzeln zur Abklärung von lumbovertebralen Schmerzsyndromen, einzelner peripherer Nerven wie etwa N. obturatorius bei Hüftschmerzen, N. occipitalis bei Kopfschmerzen und N. ilioinguinalis bei Schmerzen nach Herniotomien. Sympathikusblockaden dienen zur Diagnose eines über sympathische Fasern geleiteten Schmerzsyndroms («Sympathecally Maintained Pain», SMP) [142]. Dabei werden folgende Blockaden gesetzt: Ganglion stellatum bei Schmerzen am Kopf und an den oberen Extremitäten, lumbaler paravertebraler Grenzstrang bei Schmerzen der unteren Extremitäten, Ganglion impar bei Schmerzen der Perinealgegend. Therapeutische Blockaden Steroidinjektion Eine der häufigsten Interventionen ist die epidurale, transforaminale und kaudale Steroidinjektion bei Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die untere Extremität. Die Indikation sind radikuläre Schmerzen. Steroide antagonisieren die durch den austretenden Nucleus pulposus ausgelöste Reizung der Nervenwurzel und reduzieren das durch die Kompression bedingte Ödem [143, 144]. Die Durchführung wird in den ersten sechs Wochen nach Beginn der radikulären Schmerzen empfohlen [145]. Co-Morbiditäten, Nikotinabusus und Arbeitslosigkeit reduzieren den Erfolg. Wichtig ist, dass die Interventionen im Rahmen einer umfassenden Betreuung dieser Patienten stattfinden [146]. Die Erfolgsrate wird durch die möglichst genaue Platzierung des Steroids unter Bildwandlerkontrolle am Ort der Kompression bestimmt [147]. Damit wird eine deutliche Reduktion der radikulären Schmerzen für drei bis sechs Monate erreicht. Da es häufig zu einer spontanen Resolution kommt, ist der Einzelfall schwierig zu beurteilen [148]. Vergleichende Untersuchungen zeigen, dass Patienten mit ausgeprägtem Lumbovertebralsyndrom nach einem Jahr sowohl mit Operation als auch mit konservativer Behandlung ein ähnliches Resultat aufweisen, wobei durch die Operation die Schmerzen früher reduziert wurden [149]. Hinsichtlich der Evidenz ist die Anwendung von Steroiden in der interventionellen Schmerztherapie nicht unumstritten. Sie birgt auch Gefahren, so dass bei jedem Fall das Nutzen-Risiko-Verhältnis mit dem Patienten besprochen werden muss [150]. Schweiz Med Forum 2013;13(10):198–200 198 curriculum Facettenbehandlung Die Facettenbehandlung durch Blockade des Ramus medialis des N. dorsalis, seltener durch die direkte Injektion in das Intervertebralgelenk, ist vor allem bei Rückenschmerzen ohne radikuläre Ausstrahlung indiziert. Eine oder zwei erfolgreiche Probeblockaden mit Lokalanästhetikum sollten vor der Neurolyse erfolgen (gepulste oder Hitze-Radiofrequenzbehandlung, Cryoanalgesie) [151]. M.-piriformis-Block Ein M.-piriformis-Block ist indiziert bei pseudoradikulären Schmerzen, die durch den Druck des Muskels auf den N. ischiadicus ausgelöst werden und von der Glutealgegend bis zum Knie, jedoch selten bis zum Fuss ausstrahlen. Sie können durch Dehnung des M. piriformis (Innenrotation des Beins) provoziert werden. Nach Lokalisierung des Muskels unter Ultraschall oder mit einem Nervenstimulator wird der Muskel mit einem Lokalanästhetikum und/oder BOTOX injiziert [152, 153]. Die genannten Interventionen sind für unspezifische Rückenschmerzen, die etwa 90% der Patienten betreffen, meist nicht geeignet und erfordern vom behandelnden Arzt ein konservatives Vorgehen, das in dieser Zeitschrift bereits ausführlich dargestellt wurde [154–156]. Kontinuierliche Katheter-Techniken Bei Patienten mit therapierefraktären Schmerzen können perkutane, subkutan getunnelte epidurale oder intrathekale Katheter zur Behandlung benutzt werden [157, 158]. Die Einlage erfolgt ambulant oder kurzstationär, die weitere Betreuung ist ambulant. Indikationen sind exazerbierende Schmerzen trotz hoher oraler oder transdermaler Opiatdosierungen und/oder starke Nebenwirkung der systemischen Analgesie. Ca. 7–10% der Tumorpatienten benötigen in den letzten Lebenswochen eine interventionelle Schmerztherapie [159]. Epidural wird eine Mischung aus Lokalanästhetikum, Morphin und Clonidin über eine regelbare Pumpe (z.B. Elastomerpumpe) infundiert. Um die unerwünschte motorische Schwäche durch das Lokalanästhetikum in den Beinen zu vermeiden, werden die Epiduralkatheter meist im thorakalen Bereich eingelegt. Wird die Analgesie hauptsächlich im Bereich des Beckens und der unteren Extremitäten benötigt, kommt ein intrathekaler Katheter mit Morphin und Clonidin zur Anwendung. Da kein oder nur eine sehr geringe Dosis eines Lokalanästhetikums benutzt wird, kommt es zu keiner Beeinträchtigung der motorischen Funktion. Perkutane epidurale oder auch intrathekale Katheter können bei guter Pflege mehrere Wochen bis Monate belassen werden. Bei einer Lebenserwartung von mehr als drei Monaten kann aus Gründen der besseren Mobilität und Lebensqualität die subkutane Implantation einer Pumpe zur intrathekalen Medikamentengabe in Erwägung gezogen werden. Dabei wird nach einer intrathekalen Testung von lumbal her ein intrathekaler Katheter bis zum thorakolumbalen Übergang vorgeschoben und an eine subkutane Medikamentenpumpe angeschlossen. Diese muss in mehrwöchigem Abstand perkutan aufgefüllt und periodisch zur Dosisanpassung reprogrammiert werden. Als Medikamente kommen Morphin, Clonidin, niedrig dosiertes Lokalanästhetikum oder auch das Conopeptid Zikonotid in Betracht. Clonidin verstärkt spinal die noradrenerge Inhibition und verlängert die Wirkung des intrathekalen Morphins und Lokalanästhetikums, so dass eine bessere Analgesie mit Reduktion der Medikamentendosis und deren Nebenwirkungen resultiert [160]. Zikonotid ist ein Peptid der Meeresschnecke, das nur intrathekal verabreicht werden kann. Es blockiert wie das Morphin reversibel die m-Rezeptor-G-Proteinkette der spannungsabhängigen Kalziumkanäle und zeigt einen additiven oder synergistischen Effekt mit Morphin [161]. Die Indikation ist die mangelnde Wirkung von intrathekalem Morphin bei therapierefraktären Schmerzen. Wegen der Nebenwirkungen ist eine vorsichtige Titration des Medikaments wichtig. Wird bei Tumorpatienten eine maximale systemische analgetische Therapie mit der intrathekalen Analgesie verglichen, zeigt sich, dass die Patienten mit intrathekalem Verfahren eine bessere Analgesie, weniger opiatbedingte Nebenwirkungen und wahrscheinlich ein längeres Überleben haben [162]. Neuromodulation Transkutane Nervenstimulation Der Wirkungsmechanismus der transkutanen Nervenstimulation (TENS) beruht auf der «Gate-Control-Theorie» von Melzack und Wall [163]. Sie besagt, dass die Schmerzleitung von der Peripherie über das Rückenmark zum Gehirn durch Interneurone und absteigende inhibitorische Impulse moduliert wird. Durch TENS werden diese inhibitorischen Mechanismen verstärkt. Die klinische Wirkung wird unterschiedlich beurteilt: Eine Metaanalyse (29 Publikationen mit 1227 Patienten) fand bei muskuloskelettalen Schmerzen mit TENS eine dreifach bessere Analgesie als mit Plazebo, einen deutlich verringerten Analgetikabedarf, eine bessere funktionelle Kapazität bei der Arbeit und zu Hause und eine hohe Zufriedenheit [164]. Andere Studien konnten diese Ergebnisse nicht bestätigen [165]. Die Wirkung setzt schnell ein, hält aber nach dem Abschalten nur kurze Zeit an. Neben den muskuloskelettalen Schmerzen ist TENS bei neuropathischen Schmerzen wie etwa der Zosterneuralgie effektiv [166]. Die Elektroden dürfen nicht über dem Carotissinus platziert werden. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Schrittmachern und Defibrillatoren. Ausser gelegentlichen Hautreizungen durch die Elektroden treten keine Nebenwirkungen auf. TENS ist eine einfache und preiswerte Methode, um Schmerzzustände zu überbrücken. Hinterstrangstimulation («Spinal Cord Stimulation», SCS) Bei therapieresistenten neuropatischen Schmerzen kann die epidurale Implantation eines Neurostimulators erwogen werden. Nozizeptive Schmerzen werden durch SCS kaum beeinflusst. Obwohl die SCS schon seit 40 Jahren benutzt wird, war die Wirkungsweise lange unklar. Untersuchungen der letzten 15 Jahre konnten zeigen, dass eine elektrische Stimulation am dorsalen Schweiz Med Forum 2013;13(10):198–200 199 curriculum Rückenmark die Schmerzimpulse im Tractus spinothalamicus unterdrückt und die Übererregbarkeit der WDR-Neurone normalisiert [167]. Auf der zellulären Ebene werden die inhibitorischen GABAergen und serotoninergen Interneurone aktiviert. Zusätzlich kommt es zu einer Hemmung der sympathischen Efferenzen [168]. Indikationen sind das CRPS der oberen und unteren Extremität, neuropathische Schmerzen nach Rücken-Operationen mit Ausstrahlungen in die Extremität («failed back surgery syndrome», FBSS [169]), refraktäre Angina pectoris, ischämische Schmerzen bei Indikationen für die Einlage peripherer arterieller Vereines intrathekalen Katheschlusskrankheit und visters sind exazerbierende zerale Schmerzen. Bei Schmerzen trotz hoher der Angina pectoris ist oraler oder transdermaler ein vorgängiger positiver Opiatdosierungen und/oder Versuch mit TENS ein starke Nebenwirkung der guter Erfolgsindikator, so systemischen Analgesie dass ohne weitere Testphase direkt implantiert werden kann. Ansonsten wird nach einer positiven epiduralen Teststimulation anschliessend ein definitiver Stimulator implantiert, der vom Patienten perkutan bedient werden kann. In den letzten Jahren werden vermehrt für refraktäre Kopf- und Rückenschmerzen subkutane Elektroden für die Feldstimulation eingelegt. Erste kontrollierte Untersuchungen sind vielversprechend [170]. Radiofrequenzbehandlung (thermisch oder gepulst) Bei der (Hitze)-Radiofrequenzbehandlung wird die Spitze der Nadel zur Koagulation von Nerven auf 80 Grad erhitzt. Indikationen sind beim Rüchkenschmerz die Koagulation des R. medialis, der die IntervertebralGelenke sensorisch versorgt [171], und die Koagulation des Ganglion Gasserie bei der Trigeminus-Neuralgie. Beim Vergleich von Hitze-Radiofrequenzbehandlung mit einer gepulsten Technik («pulsed radiofrequency», PRF), bei der die Wärme auf max. 40 Grad limitiert wurde, konnte bei zervikalen Wurzelblockaden eine langdauernde Analgesie mit der PRF erreicht werden. Daraus wurde gefolgert, dass die Energie auf den Nerven für die Analgesie wichtiger ist als die Hitze [172]. Der Wirkmechanismus der PRF ist nach fast 20 Jahren nicht völlig geklärt. Es wird angenommen, dass durch die Radiofrequenz-Energie strukturelle Veränderungen im Nerv und der dazugehörigen Zellen induziert werden, die zwar die normale sensible und motorische Funktion nicht beeinflussen, jedoch Schmerzimpulse zum Beispiel durch Expression von c-fos unterdrücken [173]. Trotz des ungeklärten Wirkmechanismus ist die PRF ist eine willkommene Alternative zu den neurodestruktiven Verfahren mit Alkohol und Phenol. Alternative Schmerztherapien Alternative und komplementäre Schmerztherapien umfassen ein grosses Spektrum. Eine der wichtigsten ist die kognitive Verhaltenstherapie, die vor allem bei schwierigen und von der Pathophysiologie her noch weitgehend ungeklärten Schmerzbildern wie zum Beispiel dem «chronic widespread pain» eine Rolle spielen [174]. Auch wenn häufig nicht oder noch nicht in ihrer analgetischen Wirkung evident, sind diese Verfahren häufig nebenwirkungsarm und stabilisieren den psychischen Gesamtzustand [175]. Dazu kommen Life-StyleFaktoren wie die Ernährung und die Nikotinabstinenz [176, 177]. Korrespondenz: Prof. Dr. med. Helmut Gerber Luzerner Kantonsspital Spitalstrasse CH-6000 Luzern 16 Helmut.Gerber[at]ksl.ch Literatur Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter www. medicalforum.ch. Die Teile 1 und 2 dieses Artikels sind in den letzten beiden Ausgaben erschienen. Schweiz Med Forum 2013;13(10):198–200 200