Ein Schmerz und viele Ursachen

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Ein Schmerz und viele Ursachen
Rückenschmerzen: bei einigen durch Wärme oder Massage schnell wieder behoben,
bei anderen ein unerträgliches Leiden. Eine OP ist oft die letzte Hoffnung. Je nach
Indikation hat die Medizin allerhand Therapieverfahren im Repertoire: von klassischkonservativen Methoden über minimal-invasive Eingriffe bis hin zu offenen
Operationen. Welche Verfahren haben sich bereits bewährt, und mit welchen Methoden
steht die Medizin noch am Anfang?
Von Alexandra Schramm
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Die GesundheitsWirtschaft | 3. Jahrgang | 3/09
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S
elbst der alltägliche Griff zum
Telefon kann der Auslöser
sein und unbeschreiblicher
Schmerz die Folge. Eine falsche
Bewegung und schon schießt es
einem in den Rücken. Was nun?
Pille schlucken, beim nächsten
Orthopäden „einrenken“ lassen,
dazu eine Spritze und alles ist wieder gut? Ganz so einfach verläuft es
selten. Denn es gibt die verschiedensten Arten von Rückenleiden,
die unterschiedlich in Intensität
und Dauer auftreten können. Die
vielfältigen Funktionen der Wirbelsäule erschweren die genaue Ursachenbestimmung, die wiederum
Voraussetzung für die Wahl des
Therapieverfahrens ist.
Aufwendige
Ursachenforschung
Auf der einen Seite können Rückenschmerzen durch Fehlhaltung
entstehen, zum Beispiel bei sitzender Bürotätigkeit gepaart mit zu
wenig Bewegung, oder aber durch
Überbelastung. Hier kommt das
Zusammenspiel von Muskeln, Wirbeln, Bandscheiben und Bändern als
Ursache infrage. Verantwortlich
können auch Fehlstellungen von
Wirbeln sein sowie Unfälle oder
Stürze mit Wirbelverletzungen als
Folge. Selbst innere Organe lösen
Rückenschmerzen aus: Eine Lungenentzündung kann zu Schmerzen
im Brustwirbelsäulenbereich führen, Schmerzen im Kreuzbeinbereich auf eine Nierenbeckenentzündung hindeuten. Bei Frauen
kann die Ursache auch in gynäkologischen Erkrankungen liegen. Die
Psyche ist unter Umständen ebenfalls als Auslöser oder Verstärker
für Rückenprobleme verantwortlich.
Orthopäden unterscheiden zwischen akuten Rückenschmerzen,
die plötzlich auftreten und weniger
als zwölf Wochen andauern, oder
chronischen Schmerzen. Diese
können mal stärker, mal schwächer
zu spüren sein, halten aber länger
als drei Monate an. Handelt es sich
um neu aufgetretene Schmerzen,
muss schnell gehandelt werden,
um eine Chronifizierung zu vermeiden. Danach muss geklärt werden, ob es sich um spezifische oder
unspezifische Rückenschmerzen
handelt. Spezifische Schmerzen,
wie beispielsweise degenerative
Veränderungen der Bandscheiben
und Wirbelgelenke oder Fehlstellungen der Bewegungseinheiten
der Wirbelsäule, sind in der ärztlichen Untersuchung klar diagnostizierbar. „Jedoch sind 85 Prozent
aller Schmerzen unspezifisch, so
internationale Studien“, weiß
Oberarzt Dr. Jens Seifert, Leiter
Wirbelsäulenbereich des Universitätsklinikums Dresden. „Das bedeutet, dass keine Verursachung
durch eine Entzündung, Verschleiß,
Bruch oder gar einen Tumor vorliegt. Die Suche nach der Ursache
ist also schwieriger.“ Daher differenzieren Mediziner auch nach ausstrahlenden und nicht ausstrahlenden Schmerzen. Ausstrahlende
Schmerzen ziehen ins Gesäß, in die
Arme und Beine. Das ist ein
Symptom für einen eingeklemmten
oder einem Druck ausgesetzten
Ischiasnerv. Sie sind auch typisch
bei einem akuten Bandscheibenvorfall. Dann drückt das Bandscheibengewebe auf eine Nervenwurzel. „Um die Ursache zu klären, schicken wir unsere Patienten
nicht gleich zum Röntgen“, sagt
Seifert, „sondern behandeln nur
nach sorgfältiger Befragung und
Untersuchung. Erst nach dem
ersten Therapieversagen machen
wir Röntgenbilder oder nutzen die
Kernspintomografie, um eine dreidimensionale Schnittbilddarstellung
zu erhalten.“
Sanfte Therapiemöglichkeiten ausschöpfen
Je nach Rückenleiden gibt es die
unterschiedlichsten Therapieansätze, die der Arzt im Patientengespräch erläutert: von klassischkonservativen Methoden über
minimal-invasive Eingriffe bis hin
zu offenen Operationen. Bei akuten
und starken Schmerzen werden zur
Linderung Medikamente verabreicht, wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Bei Nervenblockaden können orthopädische
Injektionen gegeben werden. Der
Spezialist setzt die Injektionen zum
Teil unter Röntgen- oder CTKontrolle direkt an die Nervenwurzeln neben der Wirbelsäule
(periradikuläre Therapie – PRT).
Möglich ist auch die Injektion von
örtlichen Betäubungsmitteln oder
entzündungshemmenden Kortisonpräparaten in den Wirbelkanal
(peridurale Infiltration – PDI). Sehr
häufig werden Schmerzmittel an
die schmerzenden, kleinen Wirbelgelenke appliziert (Facetteninjektionen).
Oftmals empfehlen Mediziner eine
kombinierte Therapie. Bei Blockaden oder einem Hexenschuss
helfen Massagen oder physikalische Behandlungen wie Wärme in
Form von Fango, Rotlicht oder heißer Rolle, elektrische Ströme oder
Ultraschallwellen, die die Durchblutung fördern und Muskeln entspannen. Zur Auswahl stehen auch
komplementärmedizinische Therapien wie Akupunktur, manuelle
Therapie mit sanften Druck-, Griffund Dehntechniken (Osteopathie)
oder Kraniosakraltherapie (Nutzung der Einflüsse von Pulsation
von Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit sowie der Bewegung der Rückenmarkshäute). „Knochen und
Gelenke befinden sich im Gefängnis der verspannten Weichteile“,
sagt Heinz Kropmanns, Präsident
des Verbands Deutscher Heilpraktiker e. V. „Alle Heilberufler fokussieren zu sehr das Symptom. Dabei
geht es darum, die primäre Ursache
zu finden, Schmerzen bestmöglich
zu behandeln und mit entsprechenden Therapien Folgeschä-den entgegenzuwirken.“
Auch wenn es die Betroffenen auf
das Sofa zieht, rät der Arzt, in
Bewegung zu bleiben. Dazu gehört
die Krankengymnastik unter professioneller Anleitung von Physiotherapeuten sowie leichtes Gerätetraining und Schwimmen. Die
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„Besonders beim Erkennen psychosomatischer und psychosozialer Faktoren
mangelt es oft an Expertise. Daher
werden häufig Dinge operiert, die sich
gar nicht operieren lassen.“
Prof. Dr. Klaus-Peter Günther,
Präsident Deutsche Gesellschaft für
Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V.
Bewegung ist zugleich Vorbeugung.
„Systematische Übersichtsarbeiten
weisen bei Patienten mit Rückenschmerzen auf eine Verbesserung
von Schmerz und Funktion durch
eine kontrollierte Bewegungstherapie hin“, sagt Eckhardt Böhle,
Generalsekretär des Deutschen
Verbandes für Physiotherapie Zentralverband der Physiotherapeuten
(ZVK). Mit der Zeit wird der
Muskelapparat aufgebaut und die
Wirbelsäule stabilisiert. Verspannte
und verkürzte Muskeln werden
gedehnt und damit die Beweglichkeit verbessert. „Die Wirksamkeit
von physikalischen Maßnahmen
wie Laser, Kurzwelle, Interferenztherapie und Massage als alleinige
Maßnahmen konnte bisher nicht
nachgewiesen werden“, so Böhle.
Sie lindern kurzfristig die Schmerzen, wirken jedoch nicht langfristig.
Operation sollte
gut überlegt sein
Auch wenn ein Betroffener unter
hartnäckigen oder chronischen
Rückenschmerzen leidet, ist das
alleine noch kein Grund für eine
Operation. „In Deutschland wird
zu schnell und zu oft operiert“, sagt
der Wirbelsäulenspezialist Seifert.
„Die konservativen Verfahren haben einen hohen Wert und sollten
vor jeder OP ausgeschöpft sein. Erst
dann sollte die OP folgen, und zwar
vom Spezialisten im Zentrum und
nicht von einem beliebigen Facharzt.“ Eine Ausnahme, die eine so-
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fortige OP erzwingt, sind Fälle, in
denen Nervenschädigungen drohen,
wie bei einem Bandscheibenvorfall
mit Lähmungserscheinungen.
Nicht umsonst gibt es bereits aufgrund von fehlgeschlagenen Rückenoperationen einen Begriff für Beschwerden, die sich selbst nach
einer OP nicht verbessern: Failed
Back Surgery. 30 bis 40 Prozent der
Patienten bringt eine Operation
nicht die erhoffte Besserung, sondern sogar eine Verstärkung der Beschwerden. Das hat verschiedene
Ursachen: Die Entscheidung, die
zur Operation geführt hat, war
nicht richtig, es wurde nicht im
dafür verantwortlichen Wirbelsäulensegment operiert, die Wirbelsäulenteile ober- und unterhalb des
Operationsgebietes sind überlastet
oder es kommt zu Narbenbildung
im Operationsgebiet.
Wenn beispielsweise nach einem
schweren Bandscheibenvorfall doch
die Entscheidung für eine Operation fällt, stehen unterschiedliche
Methoden zur Verfügung: minimalinvasive Eingriffe (Schlüssellochchirurgie), entweder endoskopisch,
das heißt über kleine Schnitte wird
ein schmales Rohr mit Optik und
Lichtquelle eingeführt, oder mikrochirurgisch – über einen kleinen
Hautschnitt von etwa zwei Zentimetern wird eine Art Fensterung
über der gequetschten Nervenwurzel geschaffen und die vorgefallene
Bandscheibe unter mikroskopischer Sicht mit Mikroinstrumenten entfernt. Je nach Methode wird
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dann das vorgefallene Bandscheibengewebe, welches auf die Nerven
drückt, weggeschnitten, abgeschabt, verdampft, aufgelöst oder
abgesaugt. Die offene Methode ist
nur bei ausgedehnten und älteren
Bandscheibenvorfällen erforderlich.
Bandscheibenprothesen einzusetzen ist ein neues Operationsverfahren. Wie langlebig die Imitate
aus Metall oder Hartkunststoff
sind, ist jedoch noch nicht genügend erforscht.
„Das endoskopische Verfahren ist
sehr umworben“, weiß Prof. Dr.
Klaus-Peter Günther, Direktor des
Universitätsklinikums Dresden
und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und
Orthopädische Chirurgie e. V. „Jedoch gibt es keine nachgewiesenen
Vorteile in seriösen, vergleichenden
Studien gegenüber dem mikrochirurgischen OP-Verfahren, das wir
favorisieren.“
30 bis 40 Prozent der
Patienten sind unzufrieden
In höherem Lebensalter tritt häufig
die Spinalkanalstenose auf. Durch
verschleißbedingte Veränderungen
an den Wirbelgelenken, Bändern
und Bandscheiben ist der Wirbelkanal verengt. Nach erfolgloser konventioneller Behandlung kommt
die Entlastungsoperation zum Einsatz. Der Chirurg entfernt Teile des
Wirbelbogens, der Gelenkausziehungen und des verdickten Wirbelbands sowie knöcherne Ausziehungen. Da hierbei oft größere
Knochenmassen entnommen werden, ist mitunter eine Versteifungsoperation erforderlich, um die
Stabilität des operierten Wirbelsäulenbereichs zu erhalten. Bei
einem neuen Verfahren verwendet
der Chirurg Implantate, die zwischen die Dornfortsätze der betroffenen Wirbel gespannt werden.
Diese Spreizer drücken dann die
Wirbel auseinander und weiten
damit den verengten Kanal. Untersuchungen zur langfristigen Wirksamkeit stehen jedoch noch aus.
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Wie sind nun für Betroffene die
Aussichtschancen der Therapiemethoden? „Statistiken sagen, dass
die etablierten OP-Verfahren zu 60
bis 70 Prozent erfolgreich sind.
Dagegen stehen aber 30 bis 40
Prozent unzufriedene Patienten“,
sagt Klinikdirektor Günther. „Die
Wirbelsäulenchirurgie ist noch zu
wenig evidenzbasiert. Daher liegen
keine einheitlichen Richtlinien
vor.“ Die Ergebnisse von Wirbelsäulenoperationen hängen in entscheidendem Maß von der Erfahrung des Wirbelsäulenchirurgen ab.
Hierzu sei eine jahrelange Subspezialisierung und Lernkurve
unerlässlich. Derzeit werde in
Deutschland an solch einer Zusatzbezeichnung gearbeitet. Ausschlaggebend für das subjektiv empfundene Behandlungsergebnis seien zudem psychosomatische und psychosoziale Faktoren. „Insbesondere
beim Erkennen dieser Faktoren
mangelt es oft an der Expertise des
Behandlers, und damit werden häufig Dinge operiert, die sich gar nicht
operieren lassen“, sagt Günther.
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Alexandra Schramm ist Redaktionsleiterin im
Medienbüro Medizin (MbMed).
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