Titel Ein Schmerz und viele Ursachen Rückenschmerzen: bei einigen durch Wärme oder Massage schnell wieder behoben, bei anderen ein unerträgliches Leiden. Eine OP ist oft die letzte Hoffnung. Je nach Indikation hat die Medizin allerhand Therapieverfahren im Repertoire: von klassischkonservativen Methoden über minimal-invasive Eingriffe bis hin zu offenen Operationen. Welche Verfahren haben sich bereits bewährt, und mit welchen Methoden steht die Medizin noch am Anfang? Von Alexandra Schramm 16 Die GesundheitsWirtschaft | 3. Jahrgang | 3/09 Titel S elbst der alltägliche Griff zum Telefon kann der Auslöser sein und unbeschreiblicher Schmerz die Folge. Eine falsche Bewegung und schon schießt es einem in den Rücken. Was nun? Pille schlucken, beim nächsten Orthopäden „einrenken“ lassen, dazu eine Spritze und alles ist wieder gut? Ganz so einfach verläuft es selten. Denn es gibt die verschiedensten Arten von Rückenleiden, die unterschiedlich in Intensität und Dauer auftreten können. Die vielfältigen Funktionen der Wirbelsäule erschweren die genaue Ursachenbestimmung, die wiederum Voraussetzung für die Wahl des Therapieverfahrens ist. Aufwendige Ursachenforschung Auf der einen Seite können Rückenschmerzen durch Fehlhaltung entstehen, zum Beispiel bei sitzender Bürotätigkeit gepaart mit zu wenig Bewegung, oder aber durch Überbelastung. Hier kommt das Zusammenspiel von Muskeln, Wirbeln, Bandscheiben und Bändern als Ursache infrage. Verantwortlich können auch Fehlstellungen von Wirbeln sein sowie Unfälle oder Stürze mit Wirbelverletzungen als Folge. Selbst innere Organe lösen Rückenschmerzen aus: Eine Lungenentzündung kann zu Schmerzen im Brustwirbelsäulenbereich führen, Schmerzen im Kreuzbeinbereich auf eine Nierenbeckenentzündung hindeuten. Bei Frauen kann die Ursache auch in gynäkologischen Erkrankungen liegen. Die Psyche ist unter Umständen ebenfalls als Auslöser oder Verstärker für Rückenprobleme verantwortlich. Orthopäden unterscheiden zwischen akuten Rückenschmerzen, die plötzlich auftreten und weniger als zwölf Wochen andauern, oder chronischen Schmerzen. Diese können mal stärker, mal schwächer zu spüren sein, halten aber länger als drei Monate an. Handelt es sich um neu aufgetretene Schmerzen, muss schnell gehandelt werden, um eine Chronifizierung zu vermeiden. Danach muss geklärt werden, ob es sich um spezifische oder unspezifische Rückenschmerzen handelt. Spezifische Schmerzen, wie beispielsweise degenerative Veränderungen der Bandscheiben und Wirbelgelenke oder Fehlstellungen der Bewegungseinheiten der Wirbelsäule, sind in der ärztlichen Untersuchung klar diagnostizierbar. „Jedoch sind 85 Prozent aller Schmerzen unspezifisch, so internationale Studien“, weiß Oberarzt Dr. Jens Seifert, Leiter Wirbelsäulenbereich des Universitätsklinikums Dresden. „Das bedeutet, dass keine Verursachung durch eine Entzündung, Verschleiß, Bruch oder gar einen Tumor vorliegt. Die Suche nach der Ursache ist also schwieriger.“ Daher differenzieren Mediziner auch nach ausstrahlenden und nicht ausstrahlenden Schmerzen. Ausstrahlende Schmerzen ziehen ins Gesäß, in die Arme und Beine. Das ist ein Symptom für einen eingeklemmten oder einem Druck ausgesetzten Ischiasnerv. Sie sind auch typisch bei einem akuten Bandscheibenvorfall. Dann drückt das Bandscheibengewebe auf eine Nervenwurzel. „Um die Ursache zu klären, schicken wir unsere Patienten nicht gleich zum Röntgen“, sagt Seifert, „sondern behandeln nur nach sorgfältiger Befragung und Untersuchung. Erst nach dem ersten Therapieversagen machen wir Röntgenbilder oder nutzen die Kernspintomografie, um eine dreidimensionale Schnittbilddarstellung zu erhalten.“ Sanfte Therapiemöglichkeiten ausschöpfen Je nach Rückenleiden gibt es die unterschiedlichsten Therapieansätze, die der Arzt im Patientengespräch erläutert: von klassischkonservativen Methoden über minimal-invasive Eingriffe bis hin zu offenen Operationen. Bei akuten und starken Schmerzen werden zur Linderung Medikamente verabreicht, wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Bei Nervenblockaden können orthopädische Injektionen gegeben werden. Der Spezialist setzt die Injektionen zum Teil unter Röntgen- oder CTKontrolle direkt an die Nervenwurzeln neben der Wirbelsäule (periradikuläre Therapie – PRT). Möglich ist auch die Injektion von örtlichen Betäubungsmitteln oder entzündungshemmenden Kortisonpräparaten in den Wirbelkanal (peridurale Infiltration – PDI). Sehr häufig werden Schmerzmittel an die schmerzenden, kleinen Wirbelgelenke appliziert (Facetteninjektionen). Oftmals empfehlen Mediziner eine kombinierte Therapie. Bei Blockaden oder einem Hexenschuss helfen Massagen oder physikalische Behandlungen wie Wärme in Form von Fango, Rotlicht oder heißer Rolle, elektrische Ströme oder Ultraschallwellen, die die Durchblutung fördern und Muskeln entspannen. Zur Auswahl stehen auch komplementärmedizinische Therapien wie Akupunktur, manuelle Therapie mit sanften Druck-, Griffund Dehntechniken (Osteopathie) oder Kraniosakraltherapie (Nutzung der Einflüsse von Pulsation von Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit sowie der Bewegung der Rückenmarkshäute). „Knochen und Gelenke befinden sich im Gefängnis der verspannten Weichteile“, sagt Heinz Kropmanns, Präsident des Verbands Deutscher Heilpraktiker e. V. „Alle Heilberufler fokussieren zu sehr das Symptom. Dabei geht es darum, die primäre Ursache zu finden, Schmerzen bestmöglich zu behandeln und mit entsprechenden Therapien Folgeschä-den entgegenzuwirken.“ Auch wenn es die Betroffenen auf das Sofa zieht, rät der Arzt, in Bewegung zu bleiben. Dazu gehört die Krankengymnastik unter professioneller Anleitung von Physiotherapeuten sowie leichtes Gerätetraining und Schwimmen. Die Die GesundheitsWirtschaft | 3. Jahrgang | 3/09 17 Titel „Besonders beim Erkennen psychosomatischer und psychosozialer Faktoren mangelt es oft an Expertise. Daher werden häufig Dinge operiert, die sich gar nicht operieren lassen.“ Prof. Dr. Klaus-Peter Günther, Präsident Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. Bewegung ist zugleich Vorbeugung. „Systematische Übersichtsarbeiten weisen bei Patienten mit Rückenschmerzen auf eine Verbesserung von Schmerz und Funktion durch eine kontrollierte Bewegungstherapie hin“, sagt Eckhardt Böhle, Generalsekretär des Deutschen Verbandes für Physiotherapie Zentralverband der Physiotherapeuten (ZVK). Mit der Zeit wird der Muskelapparat aufgebaut und die Wirbelsäule stabilisiert. Verspannte und verkürzte Muskeln werden gedehnt und damit die Beweglichkeit verbessert. „Die Wirksamkeit von physikalischen Maßnahmen wie Laser, Kurzwelle, Interferenztherapie und Massage als alleinige Maßnahmen konnte bisher nicht nachgewiesen werden“, so Böhle. Sie lindern kurzfristig die Schmerzen, wirken jedoch nicht langfristig. Operation sollte gut überlegt sein Auch wenn ein Betroffener unter hartnäckigen oder chronischen Rückenschmerzen leidet, ist das alleine noch kein Grund für eine Operation. „In Deutschland wird zu schnell und zu oft operiert“, sagt der Wirbelsäulenspezialist Seifert. „Die konservativen Verfahren haben einen hohen Wert und sollten vor jeder OP ausgeschöpft sein. Erst dann sollte die OP folgen, und zwar vom Spezialisten im Zentrum und nicht von einem beliebigen Facharzt.“ Eine Ausnahme, die eine so- 18 fortige OP erzwingt, sind Fälle, in denen Nervenschädigungen drohen, wie bei einem Bandscheibenvorfall mit Lähmungserscheinungen. Nicht umsonst gibt es bereits aufgrund von fehlgeschlagenen Rückenoperationen einen Begriff für Beschwerden, die sich selbst nach einer OP nicht verbessern: Failed Back Surgery. 30 bis 40 Prozent der Patienten bringt eine Operation nicht die erhoffte Besserung, sondern sogar eine Verstärkung der Beschwerden. Das hat verschiedene Ursachen: Die Entscheidung, die zur Operation geführt hat, war nicht richtig, es wurde nicht im dafür verantwortlichen Wirbelsäulensegment operiert, die Wirbelsäulenteile ober- und unterhalb des Operationsgebietes sind überlastet oder es kommt zu Narbenbildung im Operationsgebiet. Wenn beispielsweise nach einem schweren Bandscheibenvorfall doch die Entscheidung für eine Operation fällt, stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung: minimalinvasive Eingriffe (Schlüssellochchirurgie), entweder endoskopisch, das heißt über kleine Schnitte wird ein schmales Rohr mit Optik und Lichtquelle eingeführt, oder mikrochirurgisch – über einen kleinen Hautschnitt von etwa zwei Zentimetern wird eine Art Fensterung über der gequetschten Nervenwurzel geschaffen und die vorgefallene Bandscheibe unter mikroskopischer Sicht mit Mikroinstrumenten entfernt. Je nach Methode wird Die GesundheitsWirtschaft | 3. Jahrgang | 3/09 dann das vorgefallene Bandscheibengewebe, welches auf die Nerven drückt, weggeschnitten, abgeschabt, verdampft, aufgelöst oder abgesaugt. Die offene Methode ist nur bei ausgedehnten und älteren Bandscheibenvorfällen erforderlich. Bandscheibenprothesen einzusetzen ist ein neues Operationsverfahren. Wie langlebig die Imitate aus Metall oder Hartkunststoff sind, ist jedoch noch nicht genügend erforscht. „Das endoskopische Verfahren ist sehr umworben“, weiß Prof. Dr. Klaus-Peter Günther, Direktor des Universitätsklinikums Dresden und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. „Jedoch gibt es keine nachgewiesenen Vorteile in seriösen, vergleichenden Studien gegenüber dem mikrochirurgischen OP-Verfahren, das wir favorisieren.“ 30 bis 40 Prozent der Patienten sind unzufrieden In höherem Lebensalter tritt häufig die Spinalkanalstenose auf. Durch verschleißbedingte Veränderungen an den Wirbelgelenken, Bändern und Bandscheiben ist der Wirbelkanal verengt. Nach erfolgloser konventioneller Behandlung kommt die Entlastungsoperation zum Einsatz. Der Chirurg entfernt Teile des Wirbelbogens, der Gelenkausziehungen und des verdickten Wirbelbands sowie knöcherne Ausziehungen. Da hierbei oft größere Knochenmassen entnommen werden, ist mitunter eine Versteifungsoperation erforderlich, um die Stabilität des operierten Wirbelsäulenbereichs zu erhalten. Bei einem neuen Verfahren verwendet der Chirurg Implantate, die zwischen die Dornfortsätze der betroffenen Wirbel gespannt werden. Diese Spreizer drücken dann die Wirbel auseinander und weiten damit den verengten Kanal. Untersuchungen zur langfristigen Wirksamkeit stehen jedoch noch aus. Titel Wie sind nun für Betroffene die Aussichtschancen der Therapiemethoden? „Statistiken sagen, dass die etablierten OP-Verfahren zu 60 bis 70 Prozent erfolgreich sind. Dagegen stehen aber 30 bis 40 Prozent unzufriedene Patienten“, sagt Klinikdirektor Günther. „Die Wirbelsäulenchirurgie ist noch zu wenig evidenzbasiert. Daher liegen keine einheitlichen Richtlinien vor.“ Die Ergebnisse von Wirbelsäulenoperationen hängen in entscheidendem Maß von der Erfahrung des Wirbelsäulenchirurgen ab. Hierzu sei eine jahrelange Subspezialisierung und Lernkurve unerlässlich. Derzeit werde in Deutschland an solch einer Zusatzbezeichnung gearbeitet. Ausschlaggebend für das subjektiv empfundene Behandlungsergebnis seien zudem psychosomatische und psychosoziale Faktoren. „Insbesondere beim Erkennen dieser Faktoren mangelt es oft an der Expertise des Behandlers, und damit werden häufig Dinge operiert, die sich gar nicht operieren lassen“, sagt Günther. Als Abonnent von f&w, Die Schwester Der Pfleger oder Die GesundheitsWirtschaft haben Sie’s gut: Ihr kostenloser Zugang zum online-Portal bibliomed.de sichert Ihnen den Zugriff auf die Inhalte aller drei Fachmagazine – auch, wenn Sie nur eines abonniert haben. Dazu gibt’s dort den gesamten Stellenmarkt und viele nützliche Extras für Ihr erfolgreiches Berufsleben am Puls der Gesundheitswirtschaft. Klicken Sie mal rein! Besser vorbeugen als reparieren Was dem Rücken nicht gut tut, ist sicher: falsche Körperhaltung, zu langes Sitzen im Büro, im Auto und auf der Couch, Bewegungsmangel, Stress und Übergewicht. Jeder kann selbst etwas gegen dieses Volksleiden tun: auf das Fahrrad schwingen statt ins Auto zu steigen, Treppen laufen statt bequem den Fahrstuhl zu benutzen, einen ergonomischen Arbeitsplatz einrichten, vorbeugende und muskelstärkende sportliche Aktivitäten wie Schwimmen, sich gesund ernähren und auf Warnsignale des Körpers achten. Und für das eigene Wohlbefinden und zur Entspannung sollte sich der potenzielle Rückenpatient eine Massage gönnen, auch wenn es die Krankenkasse nicht trägt. Auch online: Seit 30 Jahren ein führender Fachverlag für die Beschäftigten der Gesundheitswirtschaft. Alexandra Schramm ist Redaktionsleiterin im Medienbüro Medizin (MbMed). Die GesundheitsWirtschaft | 3. Jahrgang | 3/09 19