Fortbildungsartikel verfügbar

Werbung
Teil 1
Morbus Parkinson – Erkennen und richtig behandeln
Krankheitsbild und therapeutische Möglichkeiten
Teil 2
Optimieren Sie die Lebensqualität
von Parkinsonpatienten
Aktivierende Verfahren in der Reha
© Alexander Raths/Fotolia
Zertifizierte Fortbildung in Zusammenarbeit mit
2013; 65 (10)
G
ILDU
Teil 3
Parkinson: Stürze vermeiden
Gleichgewichtstraining und Sturzprophylaxe
Heilberufe / Das Pflegemagazin
N
TB
E
3
RT
ZE
IFIZIE
Punkte
R
Morbus Parkinson
FO
PflegeKolleg
RT
31
PflegeKolleg
Morbus Parkinson
Krankheitsbild und therapeutische Möglichkeiten
Morbus Parkinson
– Erkennen und richtig behandeln
Schätzungen zufolge leben in Deutschland circa 300.000 Parkinson-Patienten. Hinzu kommen rund 100.000
Menschen, bei denen die Krankheit nicht erkannt ist – eine hohe Dunkelziffer für eine noch nicht heilbare
Krankheit. Doch je früher die Diagnose gestellt wird, umso eher kann eine adäquate Behandlung eingeleitet werden, die die Lebensqualität der Betroffenen deutlich erhöht.
M
Diagnose
Die Diagnose Morbus Parkinson wird meist mittels
neurologischer Untersuchungen nach Auftreten mo­
torischer Symptome und deren Verbesserung nach
Gabe von Dopamin ersetzenden Medikamenten ge­
stellt. Die motorischen Eigenschaften der Erkrankung
sind
▶ Akinese (Verlangsamung der Bewegungsabläufe)
▶ Rigor (zunehmende Muskelsteifigkeit)
▶ Tremor (Zittern)
Sie manifestieren sich allein oder in Kombination,
einseitig oder beidseitig. Gelegentlich treten diese zu
Beginn sogar schon in Begleitung mit einer Beein­
trächtigung des Gleichgewichts auf. Dies wird auch
als Störung der posturalen Reflexe umschrieben.
Überwiegend beobachtet man dies aber erst im wei­
teren Verlauf, oft einhergehend mit Stürzen.
Dopamin ersetzende Medikamente haben hier nur
eine sehr begrenzte Wirkung. Die nicht motorischen
Eigenschaften sind die Folge einer Verminderung
Heilberufe / Das Pflegemagazin
2013; 65 (10)
© BVMed-Bilderpoolt
DOI: 10.1007/s00058-013-1080-6
orbus Parkinson ist eine neuropsychiatri­
sche, neurodegenerative Erkrankung mit
einer Vielfalt von individuell unterschied­
lich ausgeprägten Eigenschaften. Die idiopathische
Form des Parkinson Syndroms ist durch ein lang­
sames, gelegentlich auch als schubartig erlebtes
Fortschreiten von überwiegend motorischen, aber
auch vegetativen, psychopathologischen Symptomen
sowie Empfindungsstörungen gekennzeichnet. Der
allmähliche Verlust von Dopamin herstellenden
Nervenzellen in den Basalganglien führt bei einer
verringerten Dopaminkonzentration von ungefähr
70­80% in den für die Steuerung von Bewegungs­
abläufen verantwortlichen Kerngebieten oft erst zur
klinischen Diagnose. Diese kann dann mittels
bildgebend funktioneller Verfahren, wie dem
DATscan®­SPECT oder dem Fluorodopa­PET, dar­
gestellt und erhärtet werden.
anderer Botenstoffe, wie Serotonin oder Noradrena­
lin.
Therapeutische Ansätze zur Besserung der nicht
motorischen Defizite werden immer wichtiger, da
diese vor allem die Lebensqualität der Patienten und
ihrer Angehörigen erheblich verbessern können [1].
Der Verlauf der Erkrankung, Auftreten und Ausprä­
gung von motorischen und nicht motorischen Symp­
tomen, die Verträglichkeit und Wirkung der einge­
setzten Therapien ist bei jedem Parkinson­Patienten
unterschiedlich. Daher ist eine wiederholte Kontrol­
le und Anpassung der Medikation durch den behan­
delnden Arzt in enger Zusammenarbeit mit dem
Patienten selbst und seinem betreuenden Umfeld
notwendig.
Medikamentöse Behandlung der Motorik
Levodopa ist der natürliche Vorläufer des Neuro­
transmitters Dopamin. Nur Levodopa, aber nicht
Dopamin, kann die Blut­Hirn­Schranke überwinden.
Levodopa ist das verträglichste und wirksamste Me­
dikament zur Behandlung von motorischen Symp­
tomen bei Parkinson­Patienten. Sein Nachteil liegt
in einer kurzen Halbwertszeit im Blut. Durch Kom­
bination mit einem Dopadecarboxylasehemmer,
Benserazid oder Carbidopa, wird diese verlängert. So
wird der Abbau von Levodopa in der Körperperiphe­
rie vermindert, mehr Levodopa erreicht das Gehirn.
Durch Hemmer des Enzyms Catechol­O­me­
thyltransferase (COMT) kann die Wirkung von Le­
vodopa weiter verstärkt werden. Dadurch wird eine
stabilere Konzentrationen von Levodopa im Blut
erreicht sowie eine kontinuierlichere Bereitstellung
von Levodopa im Gehirn, wo Levodopa in Dopamin
umgewandelt wird.
Dopamin sollte den Rezeptoren in den Kerngebie­
ten (Basalganglien), die für die Steuerung von Bewe­
gungsabläufen verantwortlich sind, möglichst gleich­
mäßig zur Verfügung gestellt werden. Je gleichmä­
ßiger dies erfolgt, desto länger und besser lässt sich
das Auftreten von „motorischen Komplikationen“
hinauszögern. Diese Schwankungen der Beweglich­
keit sind durch so genannte „Off “­Phasen mit
schlechter Motorik und damit einhergehend be­
stimmten nicht motorischen Symptomen (z.B. Reiz­
barkeit, Apathie) gekennzeichnet. Aber auch Zeiten
mit überschießenden, unwillkürlichen Bewegungen
(Dyskinesien) treten dann oft auf. Während Dyski­
nesien meist von Angehörigen des Patienten als stö­
rend empfunden werden, erleben die Patienten selbst
die Off­Zeiten als sehr belastend.
Meist sind sie zunächst vorhersehbar. Im Verlauf
werden sie unvorhersehbarer und stehen nicht mehr
im zeitlichen Zusammenhang mit einer vorigen Ein­
nahme eines Dopamin ersetzenden Medikamentes.
Dopaminagonisten stimulieren direkt die Bindungs­
stellen für Dopamin. Sie werden mit Ausnahme von
Heilberufe / Das Pflegemagazin
2013; 65 (10)
Apomorphin langsamer als Levodopa im Körper
abgebaut und wirken daher gleichmäßiger und auch
länger. Oft werden sie zu Beginn der medikamentösen
Therapie eingesetzt, weil dadurch das Auftreten mo­
torischer Komplikationen hinaus gezögert wird.
Ein Dopaminagonist kann auch als Pflaster über
die Haut gegeben werden. Da lokale, allergische Haut­
reaktionen sofort oder mit mehrmonatiger Latenz
auftreten können, ist es sehr wichtig, diese Pflaster
möglichst nur alle 14 Tage auf die gleiche Hautstelle
zu kleben. Alle Dopaminagonisten zeigen nur eine
begrenzte Verträglichkeit. Schwindel, Übelkeit und
andere durch Dopamin ausgelöste Nebenwirkungen
treten im Vergleich zu Levodopa deutlich vermehrt
auf – insbesondere zu Beginn der Therapie. Daher
wird die Einstellung auf einen Dopaminagonisten
langsam und vorsichtig durchgeführt. Zusätzliche,
oft nur vorüber gehende Einnahme von Domperidon
(Motilium®) hilft gegen die Übelkeit. Midodrin (Gu­
tron®) hilft gegen niedrigen Blutdruck. Appetitverlust,
Müdigkeit, Ödeme sind ebenfalls häufig. All diese
Nebenwirkungen beeinträchtigen die Verlässlichkeit
der Einnahme. Man kann zwischen den einzelnen
Dopaminagonisten wechseln, diese auch kombinie­
ren. Letzteres ist aber umstritten. Wichtig ist, die
individuell optimale Verträglichkeit und Effizienz im
Krankheitsverlauf immer wieder auszutesten.
KEYWORDS
Morbus Parkinson
Dopamin
Tiefe
Hirnstimulation
On- und
Off-Phasen
Während Angehörige
meist Dyskinesien als
störend empfinden,
erleben die Patienten
selbst die Off-Zeiten als
sehr belastend.
Infusionstechniken Die optimierte Umsetzung des
Prinzips der „kontinuierlichen dopaminergen Stimu­
lation“ ist die Infusion von Levodopa in den Zwölf­
fingerdarm. Diese Methode ist effizient, aber teuer
und nur bedingt technisch ausgereift und somit an­
fällig und kompliziert. Doch die sehr fein und genau
zu regulierende Gabe von Levodopa kann die moto­
rischen Komplikationen bei Parkinson­Patienten
deutlich verbessern. Auch die anderen verfügbaren
Infusionsysteme für den Dopaminagonisten Apo­
morphin verbessern motorische Komplikationen –
dann meist in Kombination mit Levodopa. Bei der
subkutanen Apomorphingabe können lokale Entzün­
dungen an der Einstichstelle auftreten. Beide Pum­
D E FI N ITI O N
Benannt nach dem englischen Arzt Dr. James Parkinson ist die Parkinson
Erkrankung eine langsam fortschreitende neurologische Erkrankung. Sie
betrifft bestimmte Gebiete des Gehirns (die Basalganglien), die an der
Kontrolle der willkürlichen und unwillkürlichen Bewegung beteiligt sind.
Die langsame Degeneration von Zellen der Substantia nigra verursacht
einen Mangel des Botenstoffes Dopamin im Gehirn. Dieser Mangel führt
zu den klassischen Symptomen der Krankheit. Als typische Symptome
kennzeichnen Bewegungsarmut (Akinese), Zittern in Ruhe (Tremor),
Muskelsteifheit (Rigor), Gang- oder Gleichgewichtsstörungen den Morbus Parkinson.
33
Morbus Parkinson
pensysteme verlangen zudem eine engmaschige Be­
treuung und Mitarbeit auch durch pflegende Ange­
hörige.
Monoaminooxidase-B Hemmer bewirken stabilere
Dopaminspiegel in den Basalganglien. Das wird durch
eine Hemmung des Dopaminabbaus über die Mono­
aminooxidase B erreicht. Man nimmt an, dass sie
zusätzlich zu ihrer symptomatischen Wirkung auf die
Motorik auch die Progression der Erkrankung ver­
langsamen.
NMDA-Antagonisten, wie Amantadin oder auch das
zusätzlich auch anticholinerg und noradrenerg wirk­
same Budipin, verbessern die motorischen Symptome
durch einen vermutlich indirekten Dopamin substi­
tuierenden Effekt. Die postulierte Wirkung auf die
Häufigkeit und die Verringerung der Intensität mo­
torischer Komplikationen wird kontrovers diskutiert
und zeigt sich in der täglichen klinischen Praxis nur
bedingt.
Anticholinergika werden heutzutage nur noch selten
eingesetzt. Sie haben oft erhebliche Nebenwirkungen,
wie Mundtrockenheit, Verstopfung, Miktionsstö­
rungen, Herzrhythmusstörungen, Delir – insbeson­
dere nach schnellem Absetzen – sowie Demenz.
Die Verlangsamung
des Krankheitsprozesses ist eines der
wesentlichen Ziele in
der Parkinsontherapie.
Neurochirurgische Therapie der
tiefen Hirnstimulation
Bei der tiefen Hirnstimulation werden über kleine
Eröffnungen des Schädels dünne Stimulationselek­
troden in die Zielgebiete des Gehirns, meist in die
Basalganglienkerne Nucleus subthalamicus oder Glo­
bus pallidus, gesetzt. Nach Anschluss an einen „Hirn­
schrittmacher“ wird die krankhafte Aktivität der
Nervenzellen normalisiert, wobei der genaue Wirk­
mechanismus bis heute nicht vollständig geklärt ist.
Durch die tiefe Hirnstimulation kann es zu einer
deutlichen Linderung der wesentlichen, motorischen
Symptome kommen. Auch motorische Komplikati­
onen verbessern sich, gleichzeitig kann die Dosis von
Parkinson Medikamenten verringert werden.
Die Indikation zur tiefen Hirnstimulation besteht,
wenn es trotz Optimierung der medikamentösen
Therapie zu ausgeprägten Schwankungen der Beweg­
lichkeit oder schwerem Tremor kommt. Sprache,
Gangprobleme wie das Freezing Phänomen oder
Störungen des Gleichgewichts verbessern sich, wenn
überhaupt, nur geringfügig. Durch den oft erheb­
lichen, positiven Effekt auf die Motorik kann es nach
der Operation auch zu sozialen Problemen aufgrund
einer unrealistischen Fehleinschätzung der eigenen
Leistungsfähigkeit oder Akzeptanz der Verbesserung
durch die nahe Umgebung kommen. Langfristig häu­
fen sich Beobachtungen, die Depressionen, Angstat­
tacken und kognitive Störungen beschreiben. Dies
wird aber kontrovers diskutiert. Eine sorgfältige Aus­
wahl von Parkinson Patienten möglichst ohne psy­
chiatrische und kognitive Auffälligkeiten ist daher
notwendig.
Verlangsamung des Krankheitsprozesses
oder Heilung?
Die Verlangsamung des Krankheitsprozesses ist ne­
ben der Heilung eines der wesentlichen Ziele in der
Parkinsontherapie. Doch Transplantation, die Gabe
oder Stimulation von Wachstumsfaktoren waren in
Studien nicht überzeugend erfolgreich. Der Einsatz
von Stammzellen wird immer diskutiert, wurde al­
lerdings noch nie adäquat klinisch geprüft. Das ent­
scheidende Problem all dieser Heilungsansätze ist
deren Fokussierung auf das Dopamin. Nicht berück­
sichtigt wird, dass außer Dopamin auch andere Bo­
tenstoffsysteme betroffen sind und dass die normale
oder physiologische Regulierung der Dopaminfrei­
setzung im nigrostriatalen System bisher nicht imi­
tiert werden kann.
Therapie jenseits der Motorik
Nicht motorische Symptome können die Lebensqua­
lität vor allem in fortgeschrittenen Stadien der Er­
krankung erheblich vermindern. Symptomatische
Therapieansätze existieren für autonome Störungen,
wie Seborrhoe, Schwitzen, Orthostase, vermehrtes
Speichelaufkommen, Blasenstörungen, gastrointesti­
nale Störungen. Dumpfe, ziehende Schmerzen treten
oft auf, wenn die Motorik schlecht eingestellt ist.
Dann wird auch über Muskelkrämpfe, Steifheit, Ge­
lenkschmerzen oder Bandscheibenbeschwerden ge­
klagt.
Empfindungsstörungen können als Taubheit, Bren­
nen oder Kribbeln in jedem Stadium der Erkrankung
auftreten. Auch Deformitäten der Füße und Hände
bei Parkinsonpatienten sind häufig. Mit dem Rigor
34
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
© Ralf Dolberg
PflegeKolleg
FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E
▶▶Die Therapie des Morbus Parkinson ist komplex
und muss individuell auf den Patienten und seine
ihn betreuenden Angehörigen ausgerichtet sein.
▶▶Im Vordergrund steht die Behandlung von moto-
rischen Symptomen und nicht motorischen spezifischen Veränderungen (z.B. Verlangsamung des
Denkens, Demenz, Depression, Apathie, autonome Störungen).
▶▶Die Gabe von Levodopa und Dopaminagonisten
verbessert die motorischen Symptome, kann aber
therapeutisch nur zum Teil die nicht motorischen
Eigenschaften der Erkrankung beeinflussen. Auch
Dopamin ersetzende Medikamente selbst können
zum Auftreten nicht motorischer Symptome beitragen und sie auch verstärken.
▶▶Aktivierende Therapien, wie Logopädie, Physiotherapie oder Ergotherapie, haben neben passiven erholenden Ansätzen (z.B. Fangopackungen, Entspannungstechniken) einen großen Stellenwert.
einhergehend treten Krümmungen an der Wirbel­
säule auf, wodurch der Gleichgewichtssinn weiter
beeinträchtigt wird. Dies kann zu vermehrten Stürzen
führen.
Bis zu 75% der Parkinsonpatienten beklagen Schlaf­
losigkeit. Die verminderte Beweglichkeit führt zu
einem verminderten nächtlichen Drehverhalten im
Bett. Auch das Auftreten von Krämpfen und meist
dumpfen, ziehenden Schmerzen als Folge der ver­
mehrten Steifigkeit stören den Nachtschlaf. Weil
Schlafstörungen oft auch Folge einer Depression sind,
helfen hier Antidepressiva. Psychoseneigung und
Psychosen bessern sich durch Gabe von atypischen
Neuroleptika. Plötzliche, so genannte „Schlafattacken“
und Tageschläfrigkeit können eine Folge aller direkten
und indirekt Dopamin substituierenden Medika­
mente sein. Modafinil oder auch Amantadin mit
seiner Vigilanz hebenden Wirkung können hier eine
Erleichterung bewirken.
Anfangssymptome: Depression und Angst
Apathie oder Depression sind häufige Anfangsymp­
tome, bevor motorische Symptome auftreten. Im
Verlauf der Erkrankung sind sie immer wieder zu
beobachten, wobei eine schlechte Einstellung der
Motorik auch als Reaktion darauf mit verursachend
sein kann. So können motorische Komplikationen
auch Angst beziehungsweise Panikattacken und an­
dere psychopathologische Phänomene auslösen. Des­
halb sind begleitende, stützende, erklärende und
psychotherapeutische Gespräche neben einer adä­
quaten Psychopharmakotherapie oft hilfreich.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
Psychosen
Lebhafte Träume, Furcht, Angst, überwiegend op­
tische Verkennungen und Halluzinationen einherge­
hend mit Schlafstörungen sind oft beginnende Zei­
chen einer Psychose. Jedes Parkinsonmedikament
kann eine Psychose vor allem in Kombination mit
einer zu geringen Flüssigkeitsaufnahme auslösen. Die
Verringerung der Dopamin ersetzenden Medika­
mente mit vermehrter Flüssigkeitszufuhr kann daher
das Auftreten einer Psychose verhindern. Das aty­
pische Neuroleptikum Clozapin besitzt neben der
zusätzlichen sedierenden, beruhigenden Wirkungs­
komponente auch eine Tremor verbessernde Wir­
kung. Eine Alternative stellt Quetiapine dar, das aber
nicht den Tremor verbessert. Andere Atypika (z.B.
Risperidon, Olanzapin) sowie typische Neuroleptika
sollten nur in Notfällen eingesetzt werden, da sie die
Motorik erheblich verschlechtern können.
Klinische Zeichen von Störungen des Denkens sind
Verlangsamung, exekutive Dysfunktion oder der
Verlust der Impulskontrolle. Wortfindungsstörungen,
Halluzinationen und Verwirrtheitszustände können
auch erste Anzeichen einer Demenz sein. Kognitive
Störungen können aber auch aus einer Langzeitthe­
rapie mit Anticholinergika herrühren, die aber meh­
rere Monate nach Absetzen reversibel sein können.
Ausblick
Lange Zeit lag das Interesse in der Therapie des Mor­
bus Parkinson überwiegend bei der Besserung mo­
torischer Symptome. Die Bedeutung einer möglichst
frühen Diagnose und dann sofortige Einleitung einer
den Krankheitsverlauf gutartig modifizierenden The­
rapie nimmt aber zu. Psychopathologische Auffällig­
keiten verlangen oft nach dem zusätzlichen Einsatz
von Psychopharmaka. Eine ergänzende Therapie
muss sorgfältig überlegt werden und individuell ab­
gestimmt sein. Der Beginn sollte langsam einschlei­
chend und vorsichtig erfolgen, denn auch Parkinson­
medikamente können zum Auftreten von nicht mo­
torischen Symptomen beitragen. Dies erschwert die
Differenzierung vom Krankheitsprozess und kann
die therapeutischen Möglichkeiten beeinflussen.
Manchmal ist eine Verringerung von Dosis und Me­
dikamentenvielfalt, einher gehend mit suffizienter
Flüssigkeitszufuhr, besser als die zusätzliche Gabe
weiterer Substanzen.
Jedes Parkinsonmedikament kann eine
Psychose vor allem in
Kombination mit einer
zu geringen
Flüssigkeitsaufnahme
auslösen.
Infos im Netz:
www.kompetenznetzparkinson.de
www.parkinsonvereinigung.de
Prof. Dr. med. Thomas Müller
St. Joseph Krankenhaus Berlin-Weißensee
Klinik für Neurologie
Gartenstr. 1, 13088 Berlin
[email protected]
35
PflegeKolleg
Morbus Parkinson
Aktivierende Verfahren in der Reha
Optimieren Sie die Lebensqualität
von Parkinsonpatienten
Die Behandlung von Patienten mit Parkinsonsyndromen stellt Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten in der
Rehabilitationsklinik vor völlig andere Probleme als etwa die Rehabilitation von Schlaganfall- oder
Traumapatienten. Eine wesentliche Rolle spielt die zur Verfügung stehende Zeit bei Patienten, deren
Hauptsymptom die Verlangsamung ist.
Morbus Parkinson
Rehabilitation
Physio-, Logound Ergotherapie
Patienteneduaktion
Kommunikationsschwierigkeiten, die
aus den kognitiven
Störungen der
Parkinsonpatienten
resultieren, verlangen
speziell ausgebildete
Pflegefachkräfte
36
N
litation bietet deshalb gegenüber akutstationärer Behandlung unter den heutigen DRG-Bedingungen
möglicherweise noch die besseren Rahmenbedingungen.
Ambulant oder stationär?
Ob ein ambulantes oder stationäres Therapiesetting
für die Parkinsonrehabilitation gewählt wird, hängt
auch häufig vom Umfeld der Rehabilitationseinrichtung (Ballungsgebiet, ländliches Umfeld) und von
Vertragsmodalitäten mit Krankenkassen ab. Aus medizinischer Sicht muss allerdings eine stationäre Behandlung erfolgen, wenn eine engmaschige Überwachung notwendig ist, weil zum Beispiel ausgeprägte
Typische Ziele der Parkinsonrehabilitation
▶▶Besserung einer Gangstörung
(Geschwindigkeit, Sicherheit)
▶▶Glättung von motorischen und
nicht-motorischen Fluktuationen
▶▶Reduktion des Sturz- und damit
Verletzungsrisikos
▶▶Reduktion von Sprech- und Schluckstörungen
▶▶Besserung der Feinmotorik und damit
assoziierter Aktivitäten des täglichen Lebens
▶▶Besserung depressiver Störungen und
Schlafstörungen
▶▶Schmerzreduktion
▶▶Verbesserung autonomer Störungen
(z.B. Blasenfunktion, orthostatische Hypotonie)
▶▶Reduktion von Medikamentennebenwirkungen (z.B. Halluzinose)
▶▶Optimierung der häuslichen Situation und
Management bei kognitiven Störungen
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
© Matthias Oechsner, Zihlschlacht
DOI: 10.1007/s00058-013-1081-5
KEYWORDS
icht nur der Begriff „Rehabilitation“ ist im
Zusammenhang mit einer progredienten
neurodegenerativen Erkrankung wie Morbus
Parkinson natürlich anders zu definieren als bei
Erkrankungen, deren Spontanverlauf manchmal
bereits ohne spezielle therapeutische Maßnahmen
günstig ist. Der Neurologe sieht sich darüber hinaus
bei der Parkinsonrehabilitation mit einer Vielzahl
motorischer und nicht-motorischer Symptome
konfrontiert und muss sich fundiert mit einer im
Regelfall komplexen medikamentösen Kombinationstherapie beschäftigen, deren Einsatz durch oft
geringe therapeutische Breite und ein hohes Nebenwirkungsrisiko limitiert ist. Weiter muss er die
Charakteristika invasiver Therapieverfahren wie
Medikamentenpumpen und die Einstellung von
Neurostimulatoren zur tiefen Hirnstimulation
kennen. Spezielle Behandlungsformen wie das Lee
Silverman Voice Treatment (LSVT®) oder in der
Physiotherapie das LSVT-BIG® setzen speziell ausgebildete Therapeuten zwingend voraus und sind
mit einem hohen Personalaufwand verbunden.
Pflegerische Probleme und Kommunikationsschwierigkeiten, die oft aus den häufigen kognitiven
Störungen der Parkinsonpatienten resultieren, verlangen speziell mit der Erkrankung vertraute und im
besten Fall speziell ausgebildete Pflegefachkräfte
(Parkinson Nurse). Ein funktionierendes Team im
Parkinsonzentrum wird sich deshalb normalerweise
aus Mitarbeitern mit mehrjähriger Erfahrung in der
Behandlung von Parkinsonsyndromen zusammensetzen. Eine wesentliche Rolle spielt der Faktor der
zur Verfügung stehenden Zeit, nicht nur da Patienten
behandelt werden, deren Hauptsymptom die Verlangsamung ist. Umstellungen der Medikation können
häufig schon alleine aus pharmakologischen Gründen
nicht innerhalb weniger Tage durchgeführt werden.
Nicht-medikamentöse, übende Therapieverfahren
werden nicht bereits nach wenigen Anwendungen zu
positiven Ergebnissen führen. Die stationäre Rehabi-
Blutdruckschwankungen und Nebenwirkungen wie
Halluzinationen aufgetreten sind oder eine ausgeprägte Sturzgefahr besteht. Bei Patienten mit kognitiven Störungen oder multimorbiden, älteren Patienten ist ein hohes Risiko von Halluzinosen unter
Parkinsonmedikamenten oder Delirien zu berücksichtigen, so dass hier ebenfalls eine ambulante Umstellung der Medikation riskant ist.
Was ist das Rehabilitationsziel und wie wird
es definiert?
Als allgemeines Rehabilitationsziel kann gelten, die
Lebensqualität des Patienten und seiner betreuenden
Angehörigen zu verbessern. Seltener stehen bei jüngeren, noch berufstätigen Patienten Ziele beruflicher
Reintegration im Vordergrund. Zur Definition eines
realistischen speziellen Rehabilitationsziels wie etwa
Reduktion des Sturz- oder Aspirationsrisikos muss
zunächst häufig eine Überprüfung der Diagnose stattfinden, da etwa atypische Parkinsonsyndrome (z.B.
Multisystematrophie, progressive supranukleäre
Blicklähmung) einer anderen medikamentösen Behandlung bedürfen. Auch setzen die Aufklärung über
den zu erwartenden, leider meist ungünstigeren
Krankheitsverlauf und notwendige Vorsichtsmaßnahmen eine möglichst exakte Diagnose voraus, die
allerdings trotz Verbesserung klinischer Kriterien
und Entwicklung neuer Zusatzdiagnostik immer
noch mit einer relevanten Unsicherheit behaftet ist
[1].
Assessments und notwendige Diagnostik
Für pharmakologische Studien etablierte Skalen wie
die „Unified Parkinson’s Disease Rating Scale“ (UPDRS) eignen sich nur bedingt für den Einsatz in der
Rehabilitation, da sie einerseits sehr aufwändig in der
Durchführung sind und nur unzureichend Veränderungen nichtmotorischer Symptome widerspiegeln,
die aber in der Rehabilitation häufig im Vordergrund
stehen. Bereits vor Beginn der Rehabilitation kann
ein Fragebogen die Hauptsymptomatik beim Patienten oder bei Angehörigen erheben und validierte
Lebensqualitätsskalen wie der PDQ-39 durchgeführt
werden, so dass Therapien und pflegerische Maßnahmen bereits im Vorfeld geplant werden können.
Bei fluktuierenden Patienten ist ein motorisches Monitoring mit Beweglichkeitsprofilen (Beweglichkeit,
Tremor, Dyskinesien) im Zeitverlauf unter Anpassung
der Medikation unbedingt erforderlich. Dieses wird
sinnvollerweise vom Pflegeteam nach entsprechendem Training durchgeführt, da hier der engste
Kontakt zum Patienten besteht. An weiteren diagnostischen Maßnahmen sollten übliche Blut- und Urinuntersuchungen, EKG, sonografische Restharnkontrollen und Schellong-Test täglich verfügbar sein.
Schluckstörungen sollten sowohl klinisch logopädisch
als auch videoendoskopisch untersuchbar sein.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
Amplituden-orientiertes Training großräumiger Bewegungen.
Nicht-motorische Störungen
Neuro-psychiatrische Symptome
▶▶Schlafstörungen
▶▶Kognitive Störungen und Demenz
▶▶Depression
▶▶Angst
▶▶Halluzinose und Delir
Als allgemeines
Rehabilitationsziel
kann gelten, die
Lebensqualität des
Patienten und seiner
betreuenden
Angehörigen zu
verbessern.
▶▶Impulskontrollstörungen
Autonome Symptome
▶▶Blasenfunktionsstörung
▶▶Sexuelle Funktionsstörungen
▶▶Gastrointestinale Motilitätsstörung
▶▶Sialorrhö
▶▶Schweißsekretionsstörung
▶▶Blutdruckregulationsstörung
Inhalte und Maßnahmen der Rehabilitation
Optimierte medikamentöse Therapie und tiefe
Hirnstimulation
Die Optimierung der medikamentösen Therapie ist
integraler Bestandteil der Rehabilitation beim Parkinsonsyndrom, wird jedoch leider häufig vernachlässigt. Der adäquate Einsatz sich stetig erweiternder
medikamentöser Möglichkeiten setzt eine spezielle
Erfahrung mit der Definition sinnvoller Zielsymptome für bestimmte Substanzen und das Wissen um
adäquate Dosierungen sowie die Nebenwirkungen
der verwendeten Medikamente voraus.
Ein häufiger Zuweisungsgrund sind motorische
Fluktuationen und Dyskinesien beim L-Dopa-Langzeitsyndrom. Zu den konservativen Behandlungs-
37
PflegeKolleg
Komplikationen wie
sturzbedingte
Verletzungen und
Aspiration gehören zu
den häufigsten
Todesursachen bei der
Parkinsonerkrankung.
Morbus Parkinson
möglichkeiten zählen zunächst die stärkere Fraktionierung von L-Dopa über den Tagesverlauf, der
Einsatz von COMT- und MAO-B-Hemmern sowie
länger wirksamen Dopaminagonisten und Amantadin. Besonders ist an dieser Stelle die Berücksichtigung von Medikamenteninteraktionen und die internistische sowie psychiatrische Komorbidität der meist
älteren Patienten hervorzuheben, die oft stark limitierend wirkt.
Zur Parkinsonrehabilitation gehört heute auch der
Einsatz von Medikamentenpumpen (Apomorphin
subkutan oder Levodopa/Carbidopa-Gel intrajejunal
über PEJ) zur Behandlung von ansonsten therapieresistenten Fluktuationen und Dyskinesien sowie die
Programmierung von Neurostimulatoren zur tiefen
Hirnstimulation (THS). Während der Rehabilitation
kann die Indikation für eine der invasiven Therapien
gestellt werden, wenn Fluktuationen und Dyskinesien
oder stark ausgeprägter Tremor nicht ausreichend
mit oral oder transdermal bioverfügbaren Substanzen
behandelbar sind. Prinzipiell ist die THS eher für
jüngere, kognitiv nicht beeinträchtigte Patienten oder
Patienten mit ausgeprägtem Tremor geeignet, die
Pumpentherapien für Patienten mit therapieresistenten motorischen und nicht-motorischen Fluktuationen, für die keine Indikation für eine THS gestellt werden kann oder die diese ablehnen [3, 4].
Eine kontinuierliche Pumpentherapie kann während der Rehabilitation begonnen werden, im Falle
einer geplanten THS-Operation werden Patienten
jedoch zunächst an ein spezialisiertes Zentrum zur
Implantation weiter verwiesen. Die postoperative oft
sehr komplexe Anpassung von Neurostimulation und
Medikation ist heute ebenfalls Bestandteil der spezialisierten Parkinsonrehabilitation. Eine umfangreiche
FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E
▶▶Zur Rehabilitation von Patienten mit Parkinsonsyndromen gehört neben
speziellen übenden Therapien die Optimierung der häufig komplexen medikamentösen Kombinationstherapie. Hierzu ist eine fundierte Kenntnis
der Zielsymptome, pharmakologischen Zusammenhänge, Interaktionen
und Nebenwirkungen erforderlich.
▶▶Invasive Therapien wie die Einstellung von Neurostimulatoren zur THS sind
heute ebenso Inhalt der Parkinsonrehabilitation wie die Behandlung mit
Medikamentenpumpen (Apomorphin, Levodopa/Carbidopa-Gel).
▶▶Nicht-motorische, besonders neuropsychiatrische und autonome Sym-
ptome und deren Fluktuationen bestimmen oft die Lebensqualität des Patienten stärker als die motorische Symptomatik und sind zwingend in die
Rehabilitation einzubeziehen.
▶▶Die Beratung der Angehörigen hat einen hohen Stellenwert, besonders bei
Patienten in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien.
▶▶Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie haben in den letzten Jahren
durch die Entwicklung parkinsonspezifischer und evidenzbasierter Therapietechniken einen neuen Stellenwert bekommen.
38
Erfahrung mit Wirkungen und unerwünschten Effekten der THS und enge Zusammenarbeit mit den
implantierenden Zentren ist hier zwingend erforderlich.
Nicht-motorische Symptome
In seiner Originalpublikation [5] beschreibt James
Parkinson 1817 neben typischen motorischen Zeichen zwar bereits autonome Störungen („... mysterious sympathetic influence.“). Neuropsychiatrische
Symptome jedoch wurden von ihm noch nicht beob­
achtet („... the senses and intellect being uninjured.“).
Heute wissen wir, dass nicht-motorische Störungen
wie vegetative und psychiatrische Symptome, aber
auch chronische Schmerzen zum Parkinsonsyndrom
gehören wie Bradykinese, Rigor und Tremor und dass
sie die Lebensqualität des Patienten oft sogar stärker
als die motorischen Symptome beeinträchtigen [6].
Auch werden sie sehr viel seltener vom Patienten
spontan beklagt [7], so muss aktiv danach gefragt
werden. Hierfür wurden in den vergangenen Jahren
Skalen und Fragebögen entwickelt, die inzwischen
auch als deutschsprachige Versionen zur Verfügung
stehen [8] und sich sehr gut zur Definition von Rehabilitationszielen in diesem Bereich eignen.
Ähnlich wie die motorische Symptomatik zeitlichen
Schwankungen unterliegt, treten bei Patienten in
fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung nichtmotorische Fluktuationen auf. Häufig berichten die
Patienten zunächst, entsprechend der nachlassenden
Levodopa-Wirkung, in der zweiten Nachthälfte über
diffuse Unruhezustände mit Schlafstörungen,
Schmerzen und Muskelkrämpfen. Später treten vielleicht Angst- und oft typische Panikattacken oder
autonome Störungen wie Schweißausbrüche oder
Blutdruckspitzen in den Off-Phasen auf. Der wesentliche Schritt zur adäquaten Behandlung dieser nichtmotorischen Fluktuationen liegt häufig in der Erkenntnis, dass es sich hier nicht um Symptome einer
begleitenden Depression oder unabhängigen Störung
des vegetativen Nervensystems handelt, sondern dass
die Symptomatik zeitlich an die fluktuierende LDopawirkung gekoppelt ist und sich entsprechend
bessert, wenn etablierte Behandlungsschritte zur
Glättung von Fluktuationen eingesetzt werden. Nichtmotorische Störungen bieten ein weites Betätigungsfeld in der Parkinsonrehabilitation für alle beteiligten
Berufsgruppen. Qualitätsverbessernde Maßnahmen
in diesem Bereich führen oft direkt zu merkbaren
Verbesserungen von Lebensqualität und Patientenzufriedenheit.
Nicht-medikamentöse übende und aktivierende
Therapien
Leider treten mit fortschreitender Erkrankung zunehmend Symptome auf, die sich nicht durch eine
Dosiserhöhung der Medikation bessern. Zu den
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
nichtdoparesponsiven Symptomen zählen posturale
Instabilität, Haltungsstörungen, Dysarthrie und Dysphagie. Die resultierenden Komplikationen wie sturzbedingte Verletzungen und Aspiration gehören zu
den häufigsten Todesursachen bei der Parkinsonerkrankung.
Während zur Testung der Gang- und Standsicherheit die klinische Untersuchung ausreichend ist, sollte
für eine suffiziente Abklärung von Dysphagien bei
Parkinsonpatienten neben der genauen Untersuchung
durch die Logopädie eine videoendoskopische Untersuchung auch in der Rehabilitationsklinik zur
Verfügung stehen. Dies ist wichtig, da Aspirationen
häufig zunächst asymptomatisch verlaufen und bei
vielen Patienten eine Änderung der Kostform oder
sogar eine PEG-Ernährung erforderlich werden.
In der Logopädie und der Physiotherapie sind im
letzten Jahrzehnt nicht zuletzt durch die Entwicklung
von LSVT® und LSVT-BIG® (gezieltes Üben großräumiger Bewegungen) bedeutende Fortschritte zumindest im Hinblick auf die Evidenzbasis und Nachhaltigkeit der verwendeten Therapieverfahren erzielt
worden [9–14]. Diese Verfahren setzen eine spezifische Ausbildung des Therapeuten und eine hohe
Therapiefrequenz voraus.
Schulung von Patienten und Angehörigen
Gut informierte Patienten berichten ebenso wie ihre
Angehörigen über eine bessere Lebensqualität [16].
Regelmäßige Schulungen für Patienten und Angehörige zur Information über die Krankheitssymptome,
medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapien, pflegerische Maßnahmen, Hilfsmittel und sozialmedizinische Maßnahmen sind deshalb wesentlicher Bestandteil der Rehabilitation. Entgegen früherer Auffassung stellt die Medikamenten-Compliance, insbesondere die zeitgenaue Einnahme der
Medikation bei Parkinsonpatienten, eins der häufigeren Therapieprobleme dar, das auch zur Entstehung von Wirkfluktuationen beiträgt [17]. Beginnende kognitive Störungen sind häufig eine Ursache.
Inhalt der Patienten- und Angehörigenschulung ist
deshalb auch die allgemeinverständliche Darlegung
basaler pharmakologischer Zusammenhänge, wie
zum Beispiel der fluktuierenden Wirkung von LDopa und Motivation der Angehörigen zu mehr
Unterstützung bereits im früheren Krankheitsverlauf.
Inhalte aktivierender Therapien in der Parkinsonrehabilitation
Physiotherapie und physikalische Therapie
▶▶Gangtraining/Gehtraining mit Einsatz von Cueing-Techniken
(„anti-freezing-Training“)
▶▶Sturzanalyse und Sturzprophylaxe, Balancetraining, Üben von
Ausfallschritten
▶▶LSVT-BIG® (großräumige Bewegungen, Ziel: Reduktion der Bradykinese)
▶▶Apparative Therapie (Ergometrie/Laufband/robotassistierte Therapie)
▶▶Kraft- und Ausdauertraining (MTT, Nordic Walking, Ergometrie)
▶▶Stretching/Weichteilmobilisation/manuelle Therapie
▶▶Transfertraining
▶▶Wassertherapie
▶▶Analgesie: Massage, Wärmebehandlung, Akupunktur
Logopädie
▶▶Am besten belegt: LSVT® (Lee Silverman Voice Treatment)
▶▶Analyse von Schluckstörungen (auch videoendoskopische
Untersuchung)
▶▶Kau-/Schlucktraining
▶▶Reduktion des Aspirationsrisikos durch Anpassung der Kostform
Ergotherapie
▶▶Feinmotoriktraining, Schreibtherapie
▶▶Training von Alltagsaktivitäten wie Körperlagewechsel, Kochen,
Einkaufen, Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln,
Waschen, Anziehen
▶▶ Hilfsmittelberatung und -versorgung
▶▶Haus-/ Wohnungsabklärung
▶▶Kreativtherapie
Neuropsychologie
▶▶Diagnostik bei kognitiven Störungen, Depression, Angst
▶▶Kognitives Training entsprechend dem spezifischen
neuropsychologischen Profil
▶▶Gesprächstherapie zur Krankheitsverarbeitung
▶▶Angehörigenberatung
Komplementäre Therapien
▶▶Entspannungstechniken
▶▶Akupunktur
▶▶Qigong und andere
Dr. med. Matthias Oechsner
Facharzt für Neurologie, Leiter Parkinsonzentrum
Rehaklinik Zihlschlacht AG
Hauptstrasse 4, CH-8588 Zihlschlacht
[email protected]
Literatur beim Autor
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
39
PflegeKolleg
Morbus Parkinson
Café hilft bei Parkinson
Professionelle Patientenberatung kombiniert mit einem gemütlichen Beisammensein – das bietet das Parkinson Café in Hannover. Die Initiatoren
verstehen sich als Teil des Netzwerkes, das rund um den Menschen mit
Parkinson agiert und in enger Zusammenarbeit mit den Neurologen steht
und nicht als Selbsthilfegruppe. Mit Silke Feldmann sprachen wir über das
Café und die Aufgaben einer Parkinson Nurse.
HEILBERUFE: Frau Feldmann, wie kam
es, dass Sie sich entschlossen haben,
Parkinson Nurse zu werden?
Feldmann: 1999 habe ich die Stationsleitung
einer neurologischen Station in einer Universitätsklinik übernommen und festgestellt,
dass die pflegerischen Versorgung von Parkinson-Patienten auf Grund fehlenden Wissens um die Erkrankung sehr schwierig war.
Die Betroffenen hatten darum mit jeder
Menge Vorurteilen zu kämpfen. Engagierte
Ärzte aus der Parkinsonambulanz halfen mir,
diese Defizite abzubauen. Ich wurde von ihnen gefordert aber auch gefördert, denn
ohne ihre Fürsprache wäre der Wunsch nach
meiner Weiterbildung zur Parkinson Nurse
von der Pflegedienstleitung abgelehnt worden. So konnte ich 2008 am zweiten Kurs der
vom Kompetenznetz Parkinson organisierten Ausbildung teilnehmen.
Wie arbeiten Sie heute?
Feldmann: Ich bin selbstständig als Parkinson
Nurse mit zwei Firmen in der Schweiz und in
Deutschland aktiv. In der Schweiz betreue ich
als externe Dienstleisterin eines Pharmaunternehmens Patienten mit M. Parkinson, die
eine Medikamentenpumpe über ein Sondensystem tragen. Hinzu kommt die Unterstützung bei der Neueinstellung im Spital, ein
umfassendes Nachsorgeprogramm und eine
24h-Hotline für die Patienten. In Deutschland
Parkinson Café „mobil“
Aufgrund der guten Erfahrungen wird
das Parkinson Café auch „mobil“ angeboten, bundesweit gemeinsam mit Kliniken
und Selbsthilfegruppen. Die Beratung ist
neutral und unabhängig von kommerziellen Anbietern. Der Besuch ist kostenlos
und wird über Spenden finanziert. Nächste Termine: 17.10. Vincentius Krankenhaus, Landau; 30.10. Soldatenheim, Koblenz-Horchheim.
www.parkinsoncafe.de
40
gebe ich Parkisnon-Fortbildungen für Pflegepersonal aus ambulanten Einrichtungen
und ich bin in beiden Ländern aktiv in die
Weiterbildung der zukünftigen Parkinson
Nurses eingebunden.
Worin sehen Sie die pflegerischen
Herausforderungen bei Parkinson?
Feldmann: Von Parkinson sind alle Aktivitäten des täglichen Lebens beeinträchtigt.
Angefangen bei der Kognition über psychische Auffälligkeiten als Medikamentennebenwirkung, Schlafstörungen, Harninkontinenz, Ernährungsprobleme wie Mangelernährung, Eiweißkonkurrenz aus der Nahrung
zu L-Dopa, Schluckstörungen, Haltungsinstabilitäten, ein erhöhtes Sturzrisiko bis hin zu
den mannigfaltigen Bewegungsstörungen.
Und für die Beurteilung der Bewegung steht
als einziges Instrument die Wahrnehmung
zur Verfügung, die im ON/OFF-Protokoll dokumentiert wird. Für diese Patientengruppe
ist allein schon durch diese Vielfalt an Einschränkungen ein hohes Maß an Beratungsund Sozialkompetenz – die Kernkompetenzen
der Pflege – gefordert.
Zudem übernimmt die Parkinson Disease
Nurse (PDNS) in vielen Kliniken auch ärztliche
Tätigkeiten wie das Ermitteln der UPDRS
(Unified Parkinson‘s Disease Rating Scale),
den L-Dopa- oder Apomorphin-Test, die
Schulungen auf Pens und Medikamentenpumpen sowie die Unterstützung bei der
medikamentösen Einstellung.
Mit dem demographischen Wandel
steigt die Zahl betroffener Patienten.
Brauchen wir mehr spezialisiertes Pflegepersonal, mehr Parkinson Nurses?
Feldmann: Der Bedarf an speziellem Pflegepersonal ist jetzt schon sehr groß. Für neurologische Arztpraxen gibt es gesondert
weitergebildete Parkinsonassistenten. Doch
der große Bereich der ambulanten Pflegedienste und Altenpflegeeinrichtungen hat
bislang keine Möglichkeit, eine spezialisierte
Silke Feldmann
Parkinson Nurse und 1. Vorsitzende
des Vereins der Parkinson Nurses
und -Assistenten, Hannover
Weiterbildung zur Versorgung von Parkinson-Patienten zu absolvieren. Zusammen
mit engagierten Berufskollegen haben wir
im Sommer den Verein der Parkinson Nurses
und -Assistenten gegründet. Unser Ziel ist es,
nach dem Vorbild von Großbritannien,
Schweden und den Niederlanden Fortbildungen, die auf das jeweilige Einsatzgebiet
zugeschnitten sind, zu organisieren.
2011 wurde in Hannover das Parkinson
Café gegründet – wie kam es dazu und
was bieten Sie den Patienten an?
Feldmann: Durch die Beratungstätigkeit an
einer Hotline für Parkinsonerkrankte stellten
wir fest, dass es immer noch große Informationsdefizite gibt. Seit gut zwei Jahren steht
nun das Parkinson Café jeden zweiten Mittwoch im Monat von 14–18 Uhr allen Betroffenen, Angehörigen und Interessierten offen.
Es wird mit einem Vortrag eröffnet und geht
dann in eine offene Gesprächsrunde mit
Kaffee und Keksen über. Präsentiert und
moderiert wird der Nachmittag von einer
ausgebildeten Parkinson Nurse, die fachliche
Informationen gibt. Nicht selten ergibt sich
daraus ein separater Beratungstermin mit
einzelnen Gästen, weil die Probleme zu
komplex oder zu intim sind, um in der Gruppe besprochen zu werden.
Wir haben viele Stammgäste, doch jedes Mal
kommen auch neue hinzu. Da sich keiner bei
uns an- oder abmelden muss, fällt es vielen
Betroffenen leichter, durch dieses Brückenangebot aus seiner sozialen Isolation heraus
zu kommen und vielleicht auf diese Weise
den Weg in eine Selbsthilfegruppe zu finden.
Das Interview führte Katja Kupfer-Geißler
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
PflegeKolleg
Morbus Parkinson
Gleichgewichtstraining und Sturzprophylaxe
Parkinson: Stürze vermeiden
Gang- und Gleichgewichtsstörungen gehören zu den wichtigsten Behinderungen durch die ParkinsonErkrankung. Während sich das Gangbild zu Beginn der Erkrankung meist unter Antiparkinson-Medikamenten bessert, kommt es mit zunehmender Krankheitsdauer häufig zu unzureichend medikamentös beherrschbaren Gangblockaden (Startverzögerung, Freezing) und Gleichgewichtstörungen. Wegen des unzureichenden Ansprechens auf Medikamente oder auf die Tiefe Hirnstimulation haben aktivierende Therapien dann eine besonders große Bedeutung. Pflegekräfte können die Sicherheit und Mobilität der Betroffenen durch Sturzprävention und eine Verhaltensschulung maßgeblich unterstützen.
S
törungen des Gleichgewichts äußern sich beim
Morbus Parkinson vor allem in einer verminderten Amplitude und verlängerten Latenz des
protektiven Ausfallschritts bei Verlagerung des
Körperschwerpunkts. Klinisch kann man diese
Störung beim so genannten Zug-Test objektivieren.
Dabei wird der Patient durch den Untersucher an
den Schultern nach hinten gezogen. Bei gestörten
Stellreflexen benötigt der Patient mehrere Ausfallschritte oder muss durch den Untersucher aufgefangen werden. Diese Störung der posturalen Reflexe
markiert den Übergang vom Krankheitsstadium 2
(nach Hoehn und Yahr) zum Stadium 3. Vom Betroffenen selbst wird sie allerdings häufig nicht bemerkt, da protektive Ausfallschritte nicht zur all-
Buchtipp
Alesch, F., Kaiser, I.
Tiefe Hirnstimulation:
Ein Ratgeber für Betroffene
bei Morbus Parkinson
DOI: 10.1007/s00058-013-1082-4
Springer Verlag Wien 2010
ISBN 978-3-7091-0254-1
14,99 €
Das Buch befasst sich mit sämtlichen Aspekten der tiefen
Hirnstimulation. Medizinisches, psychologisches und technisches Hintergrundwissen wird verständlich vermittelt. Es
geht aber auch auf alltägliche Probleme und so genannte
Banalitäten ein, weil gerade diese oft zu kurz kommen und
auf den ersten Blick zu simpel erscheinen um hinterfragt zu
werden. Das Buch richtet sich in erster Linie an Patienten
und deren Angehörige, aber auch Neurologen, Psychiater,
Psychologen und Vertreter anderer Gesundheitsberufe
sind eingeladen, sich über die vielen Aspekte und Anwendungsgebiete der tiefen Hirnstimulation in einfacher und
kompakter Weise zu informieren.
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
täglichen Bewegungsroutine gehören, sondern erst
in Ausnahmesituationen wie Ausrutschen, Rempeln
etc. benötigt werden.
Treten Stürze und schwere Gleichgewichtsstörungen bereits in den ersten Jahren der Erkrankung
auf, dann sollte dies den Verdacht auf eine atypische
Parkinson-Erkrankung, vor allem auf eine Progressive
Supranukleare Blickparese (PSP) oder eine Multisystematrophie [1], lenken. Unbestimmter Schwindel,
breitbasiges Gehen und vermehrtes spontanes
Schwanken im ruhigen Stand können in frühen und
mittleren Krankheitsstadien auf eine Begleitpathologie (z.B. zerebrale Mikroangiopathie oder Polyneuropathie) hinweisen [2].
Die meisten Stürze bei Parkinson werden durch
die zugrunde liegende Gleichgewichtsstörung und
nicht durch äußere Umstände verursacht [3]. Das
destabilisierende Moment ergibt sich meist aus krankheitsassoziierten Phänomenen wie Hyperkinesen
(Unruhebewegungen), Festination (Trippelgang),
Rumpffehlhaltungen oder motorischen Blockaden
mit Freezing, Wendehemmung oder Startverzögerung
[4, 5].
Patienten mit Morbus Parkinson stürzen meist
nach vorne oder vorne-seitlich. Vorwiegend nach
hinten gerichtete Stürze sind dagegen typisch für die
PSP [1, 6]. Die meisten Sturze ereignen sich in häuslicher Umgebung, insbesondere im Schlafzimmer [7].
Stürze in der Vorgeschichte sind der wichtigste
Risikofaktor für künftige Stürze [8]. Dagegen sind
klinische Scores weniger zuverlässig mit dem Sturzrisiko assoziiert. Grundsätzlich nimmt die Sturzgefahr
mit der Schwere der Krankheit zu, wobei es aufgrund
der Immobilität in den fortgeschrittenen Stadien eher
wieder zu einer Abnahme der Sturzhäufigkeit kommt
[7, 8]. Parkinsonpatienten, die stürzen, haben ein
2,2-fach erhöhtes Risiko, Knochenbrüche zu erleiden.
Dabei treten besonders häufig proximale Femurfrakturen auf [9]. Verglichen mit der Normalbevölkerung
KEYWORDS
Sturzprophylaxe
Gang- und
Gleichgewichtsstörungen
Schubs-Training
Aktivierende
Therapie
Stürze in der
Vorgeschichte sind der
wichtigste Risikofaktor
für künftige Stürze.
41
Morbus Parkinson
ist das Risiko, innerhalb eines sechsmonatigen Zeitraums einen Sturz zu erleiden, für Parkinsonpatienten
um das Neunfache erhöht [7]. In einer kürzlich publizierten Langzeitstudie litten 87 % der Parkinsonpatienten nach 20-jähriger Krankheitsdauer unter
Stürzen, 35 % hatten sich Frakturen zugezogen [10].
Sind Stürze unvermeidbar oder das Sturzrisiko
sehr hoch, sollte ein gezieltes Sturztraining
durchgeführt werden.
Behandlung: Medikamente und
Tiefe Hirnstimulation
Gelegentlich lassen sich Gleichgewichtsstörungen
durch eine Dopaminersatz-Medikation lindern. Dies
gilt besonders für unbehandelte oder unterdosierte
Patienten sowie in Fällen, in denen die Gleichgewichtsstörung vorwiegend im Zustand fehlender
Medikamentenwirkung (Off-Phasen) auftritt. Gleichgewichtsstörungen, die unter optimaler Einstellung
der Medikation oder der Tiefen Hirnstimulation
auftreten, sind eine Domäne der aktivierenden Therapie.
Aktivierende Therapie
Diese Therapieverfahren basieren auf folgenden Maßnahmen:
▶▶Training des Gehens und Gleichgewichts
▶▶Schulung risikogerechten Verhaltens
▶▶Vorbeugung gegen Stürze und Verletzungen
Training des Gleichgewichts: Das Symptom Haltungsinstabilität kann durch Gleichgewichtstraining mit
verschiedenen Übungsansätzen behandelt werden.
Besonders einfach und wirkungsvoll ist das „SchubsTraining“, das auch in der häuslichen Umgebung
durchgeführt werden kann: In einer hierzu von Joeb­
ges et al. vorgestellten Studie [11] wurde die Ausfüh-
Schubs-Training: Grundstellung
42
Retropulsion
rung von Ausfallschritten bei Patienten, die an Parkinson erkrankt waren, gezielt geübt. Dabei wurden
die Probanden vom Therapeuten repetitiv mit plötzlichem, nach hinten gerichtetem, manuellem Zug an
der Schulter ausgelenkt. Es konnte gezeigt werden,
dass sich nach einem 14-tägigen Therapiezyklus mit
täglich zwei 20-minütigen Trainingseinheiten sowohl
die Latenz als auch die Länge der Ausfallschritte verbessert hatten. Außerdem trat eine Zunahme der
Gehgeschwindigkeit auf. Ohne weiteres Training
blieben diese Therapieeffekte über zwei Monate weitgehend erhalten (Abb. Schubs-Training).
Eine weitere Trainingsmöglichkeit zur Verbesserung des Gleichgewichts bieten Plattformen mit walzenförmiger oder runder Auflage. Die Anforderungen
an die Balance kann man durch den Einsatz weicher
Bodenauflagen oder durch Rumpfverlagerungen,
Einbeinstand oder Tandemstellung der Füße erhöhen.
Simultanes Durchführen mentaler oder anderer Aufgaben während der Gleichgewichtsübungen ist ein
geeigneter Ansatz, um geteilte Aufmerksamkeit und
„Dual-tasking“ zu trainieren.
In einer vergleichenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die durch konventionelles Gleichgewichtstraining erzielten Verbesserungen der Balance ausgeprägter waren, wenn diese Übungen durch
isometrisches Training der Beinmuskulatur ergänzt
wurden [12]. Zusätzlich zur Verbesserung der Balance führt ein Aufbau von Muskelmasse durch Kraft­
übungen auch zu einem geringeren Frakturrisiko bei
Stürzen. Ergänzend zur professionellen Physiotherapie kann der Muskelaufbau der Beinmuskeln durch
einfache Hausübungen (z.B. repetitives Aufstehen aus
dem Sitzen, Treppensteigen) unterstützt werden.
Ausfallschritt
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
© Georg Ebersbach, Beelitz
PflegeKolleg
Sind Stürze unvermeidbar oder ist das Sturzrisiko
sehr hoch, sollte ein gezieltes Sturztraining durch
geschulte Physiotherapeuten durchgeführt werden.
Dabei werden Abroll- und Schutztechniken eingeübt.
In einer kürzlich publizierten Studie wurde die Reduktion von Stürzen durch ein häusliches Übungsprogramm mithilfe eines randomisierten kontrollierten Designs untersucht. Eingeschlossen waren 142
Patienten mit IPS und positiver Sturzanamnese [13].
Nach sechs Wochen führte eine Kombination von
wöchentlich einem Hausbesuch durch einen Physio­
therapeuten und täglichem Eigenübungsprogramm
im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe zu
einer alltagsrelevanten Besserung des Gleichgewichts.
Vorwiegend über eine Verbesserung der Körperwahrnehmung wirkt das aus Fernost stammende Tai
Chi, dessen Wirksamkeit auf die Sturzneigung bei
Parkinson in einer Studie eindrucksvoll belegt werden
konnte [14].
Schulung risikogerechten Verhaltens: Am Anfang
dieser Maßnahmen steht die Frage nach den individuellen Gleichgewichtsproblemen. Bei Stürzen sollte
man deren Umstände genau analysieren, um auslösende Faktoren vermeiden zu können. Mit Sturzgefahr typischerweise assoziiert sind folgende Situationen: Ausrutschen auf glatten Bodenflächen oder
aufgrund falschen Schuhwerks, Gleichgewichtsverlust
beim Anziehen (Schuhe binden, Hose anziehen),
Rückwarts gehen (z.B. beim Türöffnen oder Hinsetzen), Arbeiten über Kopf, Treppen hinuntergehen.
Da bei Parkinson vermehrte Aufmerksamkeit benötigt wird, um das Gleichgewicht zu kontrollieren,
sollten Ablenkungen, z.B. durch intensive Gespräche
beim Gehen vermieden werden. Patienten mit „Freezing“ sollten zur Vermeidung von Stürzen instruiert
werden, die Gangblockaden nicht durch forcierte
Vorverlagerung des Körperschwerpunktes zu durchbrechen. Stattdessen sollte in der Therapie geübt
werden, erst nach einer kurzen Entspannungspause
eine bewusste Schrittinitiierung einzuleiten.
Nach Möglichkeit sollte jedem Sturz eine Evaluation der Sturzumstände folgen. Besonders relevant
sind dabei die Fragen, ob der jeweilige Sturz hätte
vermieden werden können und welche Konsequenzen
sich aus dieser Erfahrung für ein adäquates Verhalten
in der Zukunft ableiten lassen.
Eine Sondersituation besteht bei vielen Patienten
mit Progressiver Supranuklearer Parese und bei einigen Patienten mit Parkinson-Demenz. Bei ihnen
kann es zu einer Störung des Risikoverhaltens kommen, deren Folge zahlreiche, oft schwere Stürze sind.
Trotz ständig wiederholter Instruktionen und häufiger Verletzungen bringen sich diese Patienten immer
wieder in sturzträchtige Situationen. Für Partner und
Pflegepersonal ist die Belastung bei diesen so genannten „Reckless falls“ extrem hoch. Oft können die
Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)
FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E
▶▶Patienten mit Morbus Parkinson haben verkürzte und verzögerte
Schutzschritte und sind bei plötzlicher Verlagerung des
Körperschwerpunkts sturzgefährdet.
▶▶Gleichgewichtstraining kann die Gangsicherheit verbessern und das Sturzrisiko senken. Besonders wirkungsvoll ist das „Schubs-Training“. Es kann
auch in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden.
▶▶Aufbau von Muskelmasse durch Kraftübungen verbessert nicht nur die
Balance. Es verringert auch das Frakturrisiko bei Stürzen.
▶▶Da die Gleichgewichtskontrolle von Patienten mit Parkinson vermehrte
Aufmerksamkeit erfordert, sollten Ablenkungen wie beispielsweise
intensive Gespräche beim Gehen vermieden werden.
▶▶Sturzprävention durch Aufklärung und Verhaltensschulung ist eine
wichtige pflegerische Aufgabe. Klare Absprachen zur Mobilität (Gehen
auch ohne Begleitung oder nur mit Hilfsmitteln) mit sturzgefährdeten
Patienten sind wichtig und sollten auch schriftlich dokumentiert werden.
▶▶Nach Stürzen sollte ein sorgfältiges pflegerisches Assessment
(Sturzprotokoll) erfolgen. Aus jedem Sturz sollten Lehren gezogen
werden, wie künftigen Stürzen vorgebeugt werden kann.
Sturzfrequenz und mögliche Verletzungen nur durch
engmaschige Beobachtung und das Tragen von Protektoren begrenzt werden.
Vorbeugung gegen Stürze und Verletzungen: Bei
sturzgefährdeten Patienten sollte man darauf achten,
die Verletzungsmöglichkeiten in der häuslichen Umgebung so gering wie möglich zu halten (Kanten
polstern, Engpässe vermeiden, Türschwellen beseitigen, Haltegriffe anbringen). Ausreichende Beleuchtung (auch Nachts) und offene Türen können das
Sturzrisiko senken. Gemeinsam mit einem Physiotherapeuten sollte bei starker Sturzgefahr eine Hilfsmittelversorgung, zum Beispiel mit einem Rollator,
erwogen werden. Sind Stürze trotzdem nicht zu vermeiden, ist meist ein Verletzungsschutz an besonders
gefährdeten Körperstellen (zum Beispiel Hüft- oder
Knieprotektoren) erforderlich.
PD Dr. med. Georg Ebersbach
Neurologisches Fachkrankenhaus für
Bewegungsstörungen/Parkinson
Paracelsusring 6a
14547 Beelitz-Heilstätten
Literatur unter: www.heilberufe.de
43
TB
Fernfortbildung
zum Mitmachen
Mit dem HEILBERUFE
PflegeKolleg können sich
alle Pflegekräfte unkompliziert fortbilden. Wenn
Sie 9 der 10 Fragen richtig
beantworten, erhalten Sie
ein anerkanntes Zertifikat,
das Ihnen 3 Punkte im
Rahmen der Registrierung beruflich Pflegender
(RbP – www.regbp.de)
beim Deutschen Pflegerat
(DPR) sichert.
So nehmen Sie teil
Am einfachsten füllen Sie
den Fragebogen unter
www.heilberufe.de
online aus. Unmittelbar
nach der Teilnahme erfahren Sie, ob Sie bestanden
haben und können sich
Ihr Zertifikat gleich ausdrucken.
Per Post senden Sie den
Fragebogen an:
Springer Medizin
Redaktion HEILBERUFE
Heidelberger Platz 3
14197 Berlin
(Fax: 030 82787 5505)
Die Online-Teilnahme ist
für Abonnenten der Zeitschrift HEILBERUFE
kostenlos; von NichtAbonnenten sowie bei
postalischer Einsendung
wird eine Bearbeitungsgebühr erhoben.
Teilnahmeschluss
ist der 31.01.2014
Sind die Eigenschaften des Morbus Parkinson
nur motorisch,
nur nicht motorisch oder
individuell unterschiedlich ausgeprägt?
2. Welche typischen Symptome kennzeichnen den
Morbus Parkinson?
A Akinese, Tremor, Rigor, Gang- oder Gleichgewichtsstörungen.
B Ein stark veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus.
C Eine ausgeprägte Vergesslichkeit.
3. Nicht motorische Symptome bei ParkinsonPatienten sind
A selten.
B durch Levodopa gut zu behandeln.
C auch eine Folge der nicht dopaminergen Neurodegeneration.
4. Levodopa, der natürliche Vorläufer des
Neurotransmitters Dopamin, ist
A das best verträglichste und wirksamste Medikament zur Behandlung von motorischen
Symptomen bei Parkinson-Patienten.
B Fibrose auslösend.
C nicht Blut-Hirn-Schranken gängig.
5. Worauf sollen Pflegekräfte bei der Gabe von
Parkinsonmedikamenten besonders achten?
A Auf eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme.
B Die Einnahme sollte nur abends erfolgen.
C Parkinsonmedikamente werden immer nur vor dem
Aufstehen genommen, daher sollten sie griffbereit
neben dem Bett liegen.
6. Was ist kein typisches Ziel im Rahmen einer
Parkinson-Rehabilitation?
A Die Besserung einer Gangstörung (Geschwindigkeit, Sicherheit).
B Die Schmerzsituation zu verschlechtern.
C Die Besserung depressiver Störungen und Schlafstörungen.
Name, Vorname
Straße
G
Punkte
ZE
R
1.
A
B
C
3
E
FO
(Es ist jeweils nur eine Antwort richtig.)
IFIZIE
RT
Morbus Parkinson
RT
N
PflegeKolleg Fragebogen
ILDU
7. Wann muss aus medizinischer Sicht eine stationäre Behandlung des Parkinsonkranken zur
engmaschigen Überwachung erfolgen?
A Wenn ausgeprägte Blutdruckschwankungen oder
Halluzinationen unter Parkinsonmedikamenten
auftreten.
B Nie, denn die Parkinsonmedikamente sind
nebenwirkungsfrei.
C Sobald kein pflegender Angehöriger zur Verfügung
steht, der die Tabletteneinnahme überwachen
kann.
8. Für welche Parkinson-Patienten ist die Tiefe
Hirnstimulation (THS) als Therapie eher nicht
geeignet?
A Für jüngere, kognitiv nicht beeinträchtigte
Patienten.
B Für Patienten mit ausgeprägtem Tremor.
C Für ältere kognitiv beeinträchtigte Patienten.
9. Worum handelt es sich bei LSVT-BIG® in der
Parkinson-Therapie?
A Es handelt sich um ein spezielles Trainingsprogramm für übergewichtige Parkinson-Patienten.
B Um eine Studie, mit der nicht erkannte ParkinsonPatienten in der breiten Bevölkerung identifiziert
werden sollen.
C Es ist ein gezieltes Üben großräumiger Bewegungen, um ungenutzte Möglichkeiten des Patienten zu aktivieren.
10. Welche Aussage trifft auf das Sturzrisiko zu?
A Klinische Scores sind zuverlässig mit dem Sturzrisiko assoziiert.
B Stürze in der Vorgeschichte sind der wichtigste
Risikofaktor für künftige Stürze.
C Gerade bei Parkinson werden die meisten Stürze
durch äußere Umstände verursacht.
� Ich bin Abonnent/in von HEILBERUFE und möchte gegen
Gebühr (5 €/pro Zertifikat) postalisch teilnehmen.
� Ich habe kein HEILBERUFE Abo und möchte gegen Gebühr
(7,50 €/ pro Zertifikat) postalisch teilnehmen.
PLZ/Ort
E-Mail
44
Datum/Unterschrift
Heilberufe / Das Pflegemagazin
2013; 65 (10)
Herunterladen