Ina Kersten Dieser Universitätsdruck ist die Fortsetzung des 2005 erschienenen Titels „Analytische Geometrie und Lineare Algebra 1“. Er wendet sich an Studierende des zweiten Semesters, die einen Studienabschluss in Mathematik, Physik oder in einem Zwei-Fächer-Bachelorstudiengang mit Mathematik als einem der beiden Fächer anstreben. Es werden einige Grundbegriffe der Algebra bereitgestellt, und es wird in die affine und projektive Geometrie eingeführt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 Ina Kersten Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 LATEX-Bearbeitung von Stefan Wiedmann ISBN 3-938616-44-X Universitätsdrucke Göttingen Universitätsdrucke Göttingen Ina Kersten Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 This work is licensed under the Creative Commons License 3.0 “by-nd”, allowing you to download, distribute and print the document in a few copies for private or educational use, given that the document stays unchanged and the creator is mentioned. You are not allowed to sell copies of the free version. erschienen in der Reihe der Universitätsdrucke Göttingen 2006 Ina Kersten Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 LATEX-Bearbeitung von Stefan Wiedmann Universitätsverlag Göttingen 2006 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Anschrift der Autorin Prof. Dr. Ina Kersten Bunsenstraße 3–5 37073 Göttingen http://www.uni-math.gwdg.de/kersten/ [email protected] Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den OPAC der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (http://www.sub.uni-goettingen.de) erreichbar und darf gelesen, heruntergeladen sowie als Privatkopie ausgedruckt werden. Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Es ist nicht gestattet, Kopien oder gedruckte Fassungen der freien Onlineversion zu veräußern. This work is protected by German Intellectual Property Right Law. It is also available as an Open Access version through the publisher’s homepage and the Online Catalogue of the State and University Library of Goettingen (http://www.sub.uni-goettingen.de). Users of the free online version are invited to read, download and distribute it. Users may also print a small number for educational or private use. However they may not sell print versions of the online book. Satz und Layout: Stefan Wiedmann Graphiken: Ben Müller Titelabbildung: Modellsammlung Mathematisches Institut, Universität Göttingen Fotos: Jan-Philipp Hoffmann Bildbearbeitung: Claudia Gabler und Christian Herrmann Umschlaggestaltung. Margo Bargheer, Maren Büttner © Universitätsverlag Göttingen 2006 ISBN 10: 3-938616-45-8 ISBN 13: 978-3-938616-44-4 5 Vorwort Dieser Universitätsdruck enthält den Teil 2 der Vorlesung Analytische Geometrie und Lineare Algebra (AGLA). Teil 1 ist zum Wintersemester 2005/06 als Göttinger Universitätsdruck erschienen und umfasst 10 Kapitel sowie 68 Übungsaufgaben. Folgerichtig starten wir hier mit Kapitel 11 und der Aufgabe 69. Auf Sätze und Aufgaben aus früheren Kapiteln kann einfach verwiesen werden, ohne dass die Bandnummer extra erwähnt werden muss. Im Sommersemester 2006 wird das AGLA-Reformprojekt 05/06 mit der Vorlesung AGLA II fortgesetzt. Der Schwerpunkt in der Lehre wird weiterhin in dem Lernerfolg bei den Studierenden gesehen. Es gibt auch im Sommersemester 2006 in den Vorlesungsstunden eine von Ben Müller vorbereitete elektronische Präsentation des Lernstoffs, und dieser Universitätsdruck dient als Begleittext zum Vor- und Nacharbeiten. Auch der ELAN Pool mit den Übungsgaben und der Möglichkeit, nach und nach Lösungshinweise bis hin zu und Lösungen abzurufen, wird wieder von Ben Müller erarbeitet. Danken möchte ich an die Stelle allen Personen, den ich im Teil 1 schon gedankt habe, sowie den studentischen Hilfskräften und dem Assistenten Paul Mitchener, die im WS 2005/06 das AGLA-Reformprojekt mit großem Einsatz begleitet haben. April 2006 Ina Kersten Ein Beispiel Abbildung 1: Endliche affine Ebene Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 6 Schreibweisen und Bezeichnungen Abkürzende Schreibweisen A := B ∃ ∀ =⇒ ⇐⇒ \ |M | m∈M M ⊂N a6b a<b A ist definitionsgemäß gleich B es gibt für alle folgt genau dann, wenn ohne Ende des Beweises Anzahl der Elemente einer Menge M m ist Element der Menge M M ist Teilmenge von N (d.h. m ∈ M =⇒ m ∈ N ) a ist kleiner oder gleich b a ist kleiner als b Standardbezeichnungen N := {1, 2, 3, . . . } Menge der natürlichen Zahlen Z := {0, ±1, ±2, ±, . . . } Ring der ganzen Zahlen Q Körper der rationalen Zahlen R Körper der reellen Zahlen C Körper der komplexen Zahlen ∅ Leere Menge (besitzt kein Element) K bezeichne einen beliebigen Körper (sofern nichts anderes gesagt wird) Das griechische Alphabet A α Alpha, B β Beta, Γ γ Gamma, ∆ δ Delta, E ε Epsilon, Z ζ Zeta, H η Eta, Θ θ Theta, I ι Jota, K κ Kappa, Λ λ Lambda, M µ My, N ν Ny, Ξ ξ Xi, O o Omikron, Π π Pi, P % Rho, Σ σ ς Sigma, T τ Tau, Υ υ Ypsilon, Φ ϕ Phi, X χ Chi, Ψ ψ Psi, Ω ω Omega Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 Inhaltsverzeichnis 7 Inhaltsverzeichnis 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 11.1 Äquivalenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Quotientenvektorräume . . . . . . . . . . . . 11.3 Die kanonische Abbildung von V auf V/U . . 11.4 Beispiele für Gruppen . . . . . . . . . . . . . 11.5 Untergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Homomorphismus von Gruppen . . . . . . . . 11.7 Nebenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8 Abzählformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9 Die Ordnung von Gruppenelementen . . . . . 11.10 Die von einem Element erzeugte Untergruppe 11.11 Satz von Lagrange . . . . . . . . . . . . . . . 11.12 Erzeugung von Gruppen . . . . . . . . . . . . 11.13 Klassifikation der zyklischen Gruppen . . . . 11.14 Normalteiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.15 Faktorgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.16 Homomorphiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . 11.17 Der Begriff des Ringes . . . . . . . . . . . . . 11.18 Der Begriff einer K -Algebra . . . . . . . . . . 11.19 Operationen von Gruppen auf Mengen . . . . 11.20 Affiner Raum (additives Beispiel) . . . . . . . 11.21 Bahn und Stabilisator . . . . . . . . . . . . . 11.22 Bahnformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.23 Übungsaufgaben 69 – 75 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 10 11 12 12 15 17 19 20 20 21 21 22 23 23 24 25 26 26 27 27 28 29 30 12 Euklidische Räume und Bewegungen 12.1 Euklidische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Bewegungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Kegelschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Quadriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Orientierung und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Die Bewegungsgruppe von R2 . . . . . . . . . . . . . 12.7 Geometrische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . 12.8 Symmetriegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.9 Endliche Untergruppen von O ' O2 (R) . . . . . . . . 12.10 Endliche Untergruppen der Bewegungsgruppe von R2 12.11 Endliche Untergruppen der Drehgruppe von R3 . . . 12.12 Übungsaufgaben 76 – 83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 32 33 34 36 36 37 38 40 40 41 42 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 8 Inhaltsverzeichnis 13 Bilinearformen 13.1 Symmetrische Bilinearformen . . . . . . . 13.2 Schiefsymmetrische Bilinearformen . . . . 13.3 Orthogonale Summen . . . . . . . . . . . 13.4 Das Radikal . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Bestimmung des Ranges von MB (s) . . . . 13.6 Dualitätssatz . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7 Ein Gegenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . 13.8 Hyperbolische Ebenen . . . . . . . . . . . 13.9 Symplektische Räume . . . . . . . . . . . 13.10 Normalform schiefsymmetrischer Matrizen 13.11 Orthogonalbasen . . . . . . . . . . . . . . 13.12 Folgerung für symmetrische Matrizen . . . 13.13 Trägheitssatz von Sylvester . . . . . . . . 13.14 Übungsaufgaben 84 – 88 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 48 49 50 51 52 54 56 57 58 60 60 63 63 66 14 Normalformen von Matrizen 14.1 Satz über die Jordansche Normalform . . . . . . . . . . 14.2 Teilbarkeitseigenschaft des charakteristischen Polynoms 14.3 Satz von Cayley-Hamilton . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Verallgemeinerte Eigenräume . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Normalform nilpotenter Endomorphismen . . . . . . . . 14.6 Anwendungen der Jordanschen Normalform . . . . . . . 14.7 Übungsaufgaben 89 – 91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 69 70 70 71 73 75 77 15 Affine Unterräume und Abbildungen 15.1 Affine Unterräume . . . . . . . . . . . 15.2 Beispiele für affine Unterräume . . . . 15.3 Affine Abbildungen . . . . . . . . . . . 15.4 Beispiele für affine Abbildungen . . . . 15.5 Parallelprojektion . . . . . . . . . . . . 15.6 Der Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . 15.7 Affine Unterräume und Schwerpunkte 15.8 Zum Hauptsatz der affinen Geometrie 15.9 Übungsaufgaben 92 – 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 78 78 79 80 81 81 82 83 83 16 Projektive Räume und Projektivitäten 16.1 Der projektive Raum . . . . . . . . . . 16.2 Homogene Koordinaten . . . . . . . . 16.3 Beispiele zur Homogenisierung . . . . . 16.4 Projektive Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 84 85 85 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis 16.5 16.6 16.7 16.8 16.9 16.10 16.11 16.12 16.13 16.14 16.15 16.16 16.17 16.18 16.19 16.20 16.21 Projektive Unterräume . . . . . . . . . . . . Dimensionssatz . . . . . . . . . . . . . . . . Schnittpunktsatz . . . . . . . . . . . . . . . Projektiver Abschluss . . . . . . . . . . . . Projektivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . Kollineationen . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Beispiele zur Homogenisierung . . . Übergang vom Projektiven ins Affine . . . . Explizite Beschreibung von Projektivitäten Projektive Basen . . . . . . . . . . . . . . . Das Doppelverhältnis . . . . . . . . . . . . . Zentralprojektion . . . . . . . . . . . . . . . Zum Hauptsatz der projektiven Geometrie . Sätze von Desargues und Pappos . . . . . . Synthetischer Aufbau . . . . . . . . . . . . . Dualitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben 96 – 100 . . . . . . . . . . 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Multilineare Algebra 17.1 Das Vektorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Geometrische Eigenschaften des Vektorprodukts . . . . . 17.3 Äußere Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Die äußere Algebra eines K -Vektorraums . . . . . . . . . 17.5 Zwei Regeln für die äußere Multiplikation von Vektoren 17.6 Ein neues Kriterium für lineare Abhängigkeit . . . . . . 17.7 Ein Kriterium für Untervektorräume . . . . . . . . . . . 17.8 Die äußere Potenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.9 Fortsetzungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.10 Die Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 . 87 . 88 . 88 . 89 . 89 . 90 . 91 . 92 . 92 . 93 . 95 . 96 . 97 . 97 . 100 . 102 . . . . . . . . . . 104 104 105 106 108 108 109 109 110 111 112 Abbildungsverzeichnis 113 Literatur 114 Index 116 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 10 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Wir führen zunächst den Begriff Faktorraum (auch “Quotientenvektorraum” genannt) ein und widmen uns dann ausführlicher einigen Grundlagen der Gruppentheorie. Wie wir in 5.14 gesehen haben, ist nicht jede n × n-Matrix, die ungleich der Nullmatrix ist, invertierbar. Die Menge aller n × n-Matrizen Mn×n (K) bildet also keinen Körper (bezüglich Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation), aber sie bildet einen “Ring” und eine “K-Algebra”. Auf diese Begriffe werden wir gegen Ende dieses Kapitels noch kurz eingehen. Lernziel. Fertigkeiten: Rechnen mit Äquivalenzklassen, Bildung von Faktorräumen, Rechnen mit Restklassen, Rechnen mit Permutationen Kenntnisse: Begriff der Äquivalenzrelation, Beispiele für Gruppen, Gruppen kleiner Ordnung, Erzeugung von Untergruppen, Ring, KAlgebra, Abzählformel, Bahnformel 11.1 Äquivalenzrelationen Für je zwei Elemente a, b in einer Menge M stehe fest, ob eine Beziehung a ∼ b“ gilt oder nicht (z.B. 5 6 7, aber 3 1 in R). Wir sprechen von ” einer Äquivalenzrelation auf M , wenn 1. a ∼ a 2. a ∼ b =⇒ b ∼ a 3. a ∼ b und b ∼ c =⇒ a ∼ c Beispiel. =“ ist eine Äquivalenzrelation. ” Ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf M , so können wir zu jedem a ∈ M die Klasse ka := {c ∈ M | c ∼ a} betrachten. Lemma. Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einer Menge M . Dann gelten i) a ∼ b ⇐⇒ ka = kb ii) b ∈ / ka ⇐⇒ ka ∩ kb = ∅ S iii) M = a∈M ka Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.2 Quotientenvektorräume 11 Beweis. i) =⇒ Sei a0 ∈ ka , also a0 ∼ a. Da a ∼ b =⇒ a0 ∼ b nach 3. =⇒ a0 ∈ kb =⇒ ka ⊆ kb . Nach 2. ist b ∼ a, daher folgt kb ⊆ ka analog. ⇐= ist trivial. ii) =⇒ b ∈ / ka =⇒ b a. Angenommen es gibt c ∈ ka ∩ kb =⇒ a ∼ c und c ∼ b =⇒ a ∼ b im Widerspruch zur Voraussetzung. 3. ⇐= klar, denn b ∈ ka würde b ∈ ka ∩ kb implizieren. iii) gilt, da c ∈ kc für alle c ∈ M . Beispiel. Sei M = Z, und sei a ∼ b :⇐⇒ a − b ist durch 2 teilbar Dies ist eine Äquivalenzrelation (vgl. Aufgabe 69), und es ist Z = k0 ∪ k1 , wobei k0 die Klasse der geraden und k1 die Klasse der ungeraden Zahlen ist (k0 = 2Z, k1 = 1 + 2Z). 11.2 Quotientenvektorräume Seien K ein Körper, V ein K-Vektorraum und U ein Untervektorraum von V (gemäß 2.3). Dann ist auf V durch v ∼ v 0 :⇐⇒ v − v 0 ∈ U eine Äquivalenzrelation erklärt, und es gilt kv = {v 0 ∈ V | v 0 ∼ v} = v + U := {v + u | u ∈ U } Sei V /U := {kv | v ∈ V } die Menge aller solcher Klassen. Man sagt V ” modulo U“. Wir definieren eine Addition und eine Skalarmultiplikation durch kv + kw := kv+w und λkv := kλv ∀v, w ∈ V und λ ∈ K Dies ist wohldefiniert, denn ist v ∼ v 0 und w ∼ w0 =⇒ v − v 0 ∈ U und w − w0 ∈ U =⇒ (v − v 0 ) + (w − w0 ) = (v + w) − (v 0 + w0 ) ∈ U =⇒ v + w ∼ v 0 + w0 =⇒ kv+w = kv0 +w0 nach Lemma 1.1 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Ist v ∼ v 0 und λ ∈ K =⇒ λ (v − v 0 ) = λv − λv 0 ∈ U | {z } ∈U =⇒ λv ∼ λv 0 =⇒ kλv = kλv0 Damit wird V /U zu einem K-Vektorraum, genannt Quotientenvektorraum oder auch Faktorraum. Es ist k~0 = U der Nullvektor in V /U . Beispiele. 1. U = V =⇒ V /U = {~0} (Nullvektorraum) 2. U = {~0} =⇒ V /U = V 11.3 Die kanonische Abbildung von V auf V/U 1. Die Abbildung π : V −→ V /U , v 7−→ v + U ist K-linear und surjektiv mit kern π = U . 2. Ist dimK V < ∞, so ist dimK V /U = dimK V − dimK U . Dies folgt aus 1. und der Formel dimK V = dimK kern π +dimK bild π (vgl. 4.7). 3. Universelle Eigenschaft des Faktorraums. Ist f : V −→ W eine K-lineare Abbildung in einen K-Vektorraum W , und ist U ⊂ kern f , dann gibt es genau eine K-lineare Abbildung f¯ : V /U −→ W so, dass f = f¯ ◦ π gilt, und also das folgende Diagramm kommutiert. /W V C CC z= z CC zz C zz π CC zz f¯ ! V /U f 11.4 Beispiele für Gruppen Nach 1.5 ist eine Gruppe eine Menge G mit einer Verknüpfung G×G −→ G, (a, b) 7−→ a ◦ b so, dass gelten G1 (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c) G2 Es gibt ein neutrales Element e ∈ G so, dass e ◦ a = a ∀a ∈ G G3 Zu jedem a ∈ G gibt es ein inverses Element a−1 ∈ G so, dass a−1 ◦ a = e gilt Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.4 Beispiele für Gruppen 13 Gilt in einer Gruppe G zusätzlich noch a ◦ b = b ◦ a für alle a, b ∈ G, so heißt G abelsch oder kommutativ. 1. Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} ist bezüglich + eine Gruppe. Neutrales Element ist 0, inverses Element zu a ∈ Z ist −a . 2. Die symmetrische Gruppe (Permutationsgruppe) Sn := {σ : {1, . . . , n} −→ {1, . . . , n} | σ bijektiv} hat als Verknüpfung die Hintereinanderausführung von Abbildungen, sie hat n! = n(n − 1) · · · 2 · 1 Elemente. Schreibweise für σ ∈ Sn : 1 2 ··· n σ(1) σ(2) · · · σ(n) Zum Beispiel hat S2 die Elemente 1 2 1 id = und 1 2 2 2 1 S3 hat 6 Elemente 1 2 3 1 2 3 1 2 3 id = , , , 1 2 3 1 3 2 3 2 1 1 2 3 1 2 3 1 2 3 , , 2 1 3 2 3 1 3 1 2 3 1 2 Abbildung 2: Gleichseitiges Dreieck Drehung um 120 Grad 1 7−→ 2 7−→ 3 2 7−→ 3 7−→ 1 3 7−→ 1 7−→ 2 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 3. Kleinsche Vierergruppe V4 = {e, a, b, c} mit 2 2 2 a = b = c = e und ab = c = ba, ac = b = ca, bc = a = cb Bis auf Isomorphie gibt es genau 2 Gruppen mit 4 Elementen (nämlich V4 ' Z/2Z × Z/2Z und Z/4Z , vgl. 4. und 5. unten). 4. Sind G1 , G2 Gruppen, so ist G1 × G2 = {(g1 , g2 ) | g1 ∈ G1 , g2 ∈ G2 } eine Gruppe mit komponentenweiser Verknüpfung (g1 , g2 ) ◦ (g10 , g20 ) = (g1 ◦ g10 , g2 ◦ g20 ) | {z } | {z } ∈G1 ∈G2 5. Ist G eine Gruppe mit endlich vielen Elementen, so heißt die Anzahl der Elemente von G die Ordnung von G. Wir schreiben |G| für die Ordnung von G. Hat G unendlich viele Elemente, so schreiben wir |G| = ∞. Zu jedem n ∈ N gibt es eine abelsche Gruppe der Ordnung n, nämlich die additive Gruppe Z/nZ = {a | a ∈ Z} wobei a := ka die Klasse von a bezüglich der Äquivalenzrelation a ∼ b :⇐⇒ a − b ist durch n teilbar (vgl. Aufgabe 70) Insbesondere liegen a und b in derselben (Rest-)Klasse, falls sie den gleichen Rest bei Division mit n haben. Rechnen mit den Klassen, z.B. n = 13 5 + 7 = 12, 5+8=0 5 + 9 = 1, da 14 = 1 · 13 + 1, also 14 ∼ 1 5 + 10 = 2, da 15 = 1 · 13 + 2, also 15 ∼ 2 30 = 4, da 30 = 2 · 13 + 4, also 30 ∼ 4 −5 = 8, da − 5 = (−1) · 13 + 8, also 8 ∼ −5 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.5 Untergruppen 15 Problem Sei n ∈ N. Wie viele Gruppen der Ordnung n gibt es bis auf Isomorphie? • Wenn n = p eine Primzahl ist, so gibt es (bis auf Isomorphie) genau eine Gruppe der Ordnung p, nämlich die Gruppe Z/pZ , vgl. 11.11 unten. • Z/pZ ist sogar ein Körper (a · b := ab). 6. Übersicht bis zur Ordnung 15 (ohne Primzahlordnungen) Gruppenordnung Gruppenanzahl bis auf Iso. davon nicht abelsch 11.5 4 2 0 6 2 1 8 5 2 9 2 0 10 2 1 12 5 3 14 2 1 15 1 0 Untergruppen Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe mit neutralem Element e. Eine Teilmenge H von G heißt Untergruppe von G, falls gilt: • e∈H • x, y ∈ H =⇒ xy −1 ∈ H Es ist dann H selbst wieder eine Gruppe. Man überlege sich, dass diese Definition mit der 10.3 gegebenen Definition übereinstimmt. Beispiele. 1. {e} und G sind Untergruppen von G (sog. triviale Untergruppen). 2. a b 0 d ∈ M2×2 (R) a 6= 0, d 6= 0 ist eine Untergruppe von GL2 (R) (bez. Matrizenmultiplikation). 3. {z ∈ C | |z| = 1} ist eine Untergruppe von Multiplikation. C× := C \ {0} (bez. 4. Sei n ∈ Z fest gewählt, und sei nZ := {nz | z ∈ Z} (ganzzahlige Vielfache von n). Dann ist nZ eine Untergruppe von Z (bez. Addition), denn: • 0 = n · 0 ∈ nZ • Ist x = nz1 und y = nz2 , so ist x − y = n(z1 − z2 ) ∈ nZ Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 5. Seien E2 = 1 0 0 i 0 0 1 0 i ,i = ,j = ,k = ∈ GL2 (C) 1 0 −i −1 0 i 0 wobei i2 = −1 sei. Die Matrizen H := {±E2 , ±i, ±j, ±k} bilden eine (nicht abelsche) Untergruppe der Ordnung 8 in GL2 (C). Sie heißt Quaternionengruppe H. Es gilt: i2 = j2 = k2 = −E2 , ji = −ij , ij = k Satz. Sei H eine beliebige Untergruppe von Z, dann gibt es ein n ∈ Z mit H = nZ. Beweis. Ist H = {0}, dann ist H = 0Z. Ist H 6= {0}, dann gibt es ein m 6= 0 in H. Ist m < 0, so ist −m > 0 ∈ H, also gibt es mindestens eine natürliche Zahl in H. Sei n ∈ N die kleinste natürliche Zahl in H (ungleich Null). Wir zeigen nun H = nZ . ” nZ ⊆ H “ Sei k ∈ Z. k>0 =⇒ Induktion nk = kn = n + · · · + n ∈ H | {z } k Summanden k < 0 =⇒ n(−k) ∈ H =⇒ −n(−k) = nk ∈ H k = 0 =⇒ n · 0 = 0 ∈ H =⇒ nk ∈ H für alle k ∈ Z. ” H ⊆ nZ “ Sei h ∈ H. Es gibt q, r ∈ Z, 0 6 r < n mit h = nq + r (Division mit Rest) =⇒ r = |{z} h − nq ∈ H |{z} ∈H ∈H Es folgt r = 0, da 0 6 r < n gilt und n nach Definition die kleinste positive Zahl in H ist. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.6 Homomorphismus von Gruppen 11.6 17 Homomorphismus von Gruppen Definition. Sei G eine Gruppe mit neutralem Element e und G0 eine Gruppe mit neutralem Element e0 . Wir schreiben G und G0 multiplikativ. Ein Homomorphismus ϕ : G −→ G0 ist eine Abbildung so, dass gilt: ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) für alle a, b ∈ G Ein bijektiver Gruppenhomomorphismus ϕ : G −→ G0 heißt Isomorphismus. Zwei Gruppen G und G0 heißen isomorph, wenn es einen Isomorphismus ϕ : G −→ G0 gibt. Sind G und G0 isomorph, so schreiben wir G ' G0 . Beispiele. Folgende Abbildungen sind Gruppenhomomorphismen: 1. det : GLn (K) −→ K ∗ = K \ {0}, A 7−→ det A 2. ϕ : Z −→ G0 , n 7−→ an , für festes a ∈ G0 3. ϕ : R+ −→ R∗ , x 7−→ exp(x), wobei R+ = R versehen mit Addition. Es gilt die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion: exp(x + y) = exp(x) exp(y) Es ist kern(ϕ) := {x ∈ R+ | ϕ(x) = 1} = {0} und bild(ϕ) = {y ∈ R | y > 0} 4. ϕ : C+ −→ C∗ , z 7−→ exp z. Dann gilt: exp z = exp w ⇐⇒ z − w ∈ 2πiZ Es ist kern(ϕ) := {z ∈ C | exp z = 1} = 2πiZ. Die komplexe Exponentialfunktion ist periodisch mit den Zahlen 2πik, k ∈ Z (und nur diesen) als Perioden. 5. Eine n-dimensionale Darstellung einer Gruppe G ist ein Homomorphismus ϕ : G −→ GLn (K). Beispiel: ϕ : S3 −→ GL3 (K) 0 1 0 1 2 3 σ := 7−→ 0 0 1 , 3 1 2 1 0 0 0 1 0 1 2 3 τ := 7−→ 1 0 0 2 1 3 0 0 1 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 18 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Es ist S3 = {id, σ, σ 2 , τ, στ, σ 2 τ } mit der Hintereinanderausführung als Verknüpfung. Die Bilder der anderen Permutationen ergeben sich nun aus diesen Beziehungen. Es ist σ 3 = id, τ 2 = id, τ σ 2 = στ und τ σ = σ 2 τ in S3 (vgl. 11.4.2). 6. S3 ist isomorph zur Gruppe 0 1 0 0 P = 0 1 0 , 0 1 0 0 1 1 0 0 0 0 1 P der Permutationsmatrizen 0 1 0 0 1 1 0 0 1 , 1 0 0 , 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 , 0 1 0 1 0 0 0 0 0 , 1 (Nachrechnen durch Aufstellen einer Multiplikationstabelle!) Die Gruppe P operiert auf K 3 durch die Standardabbildungen, z.B. c a 0 0 1 b a 0 1 0 0 0 1 b = c , 1 0 0 b = a b c 0 1 0 a c 1 0 0 Bemerkung. Sei ϕ : G −→ G0 ein Gruppenhomomorphismus, und seien e bzw. e0 die neutralen Elemente von G bzw. von G0 . (Wir schreiben G und G0 multiplikativ.) Dann gelten: 1. ϕ(e) = e0 (denn: ϕ(e) = ϕ(ee) = ϕ(e)ϕ(e) =⇒ e0 = ϕ(e)) 2. ϕ(a)−1 = ϕ(a−1 ) (denn: e0 = ϕ(e) = ϕ(aa−1 ) = ϕ(a)ϕ(a−1 )) 3. Ist H eine Untergruppe von G, so ist bild ϕ := {ϕ(h) | h ∈ H} eine Untergruppe von G0 4. kern ϕ := {a ∈ G | ϕ(a) = e0 } ist eine Untergruppe von G 5. kern ϕ = {e} ⇐⇒ ϕ ist injektiv. (Vgl. Aufgabe 71). 6. Ist ϕ : G −→ G0 ein Isomorphismus, so ist die Umkehrabbildung ϕ−1 : G0 −→ G ebenfalls ein Isomorphismus. Beweis. 3., 4. und 5. gehen analog wie in 4.4. Wir zeigen 6. Seien x, y ∈ G0 und a = ϕ−1 (x), b = ϕ−1 (y) , also ϕ(a) = x und ϕ(b) = y. Es folgt: ϕ−1 (xy) = ϕ−1 (ϕ(a)ϕ(b)) = ϕ−1 (ϕ(ab)) = ab = ϕ−1 (x)ϕ−1 (y) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.7 Nebenklassen 11.7 19 Nebenklassen Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe mit neutralem Element e, und sei H eine Untergruppe von G. Definition. Eine Linksnebenklasse ist eine Teilmenge von G der Form aH := {ah | h ∈ H} wobei a ∈ G fest gewählt ist. Behauptung Die sogenannte Kongruenzrelation a ≡ b :⇐⇒ ∃ h ∈ H mit b = ah ist eine Äquivalenzrelation. Beweis. 1. a ≡ a, denn a = ae und e ∈ H nach 11.5 2. a ≡ b =⇒ b ≡ a, denn: a ≡ b =⇒ ∃h ∈ H mit b = ah =⇒ a = bh−1 und h−1 ∈ H (nach 11.5) =⇒ b ≡ a 3. a ≡ b, b ≡ c =⇒ a ≡ c, denn: a ≡ b, b ≡ c =⇒ ∃h, h0 ∈ H mit b = ah und c = bh0 =⇒ c = ahh0 =⇒ a ≡ c, da hh0 ∈ H (nach 11.5) Beispiel. Die symmetrische Gruppe S3 = {id, σ, σ 2 , τ, στ, σ 2 τ } mit 0 0 1 0 1 2 3 1 2 3 ↔ 1 σ= ↔ 0 0 1 , τ = 2 1 3 3 1 2 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 hat bezüglich der Untergruppe H = {id, στ } die drei Mengen {id, στ } = H = στ H {σ, σ 2 τ } = σH = σ 2 τ H {σ 2 , τ } = σ 2 H = τ H als Linksnebenklassen. (Denn: στ ∈ H =⇒ H = στ H =⇒ σH = σ 2 τ H und σ 2 H = σ 3 τ H = τ H) Man hat eine disjunkte Zerlegung S3 = H ∪ σH ∪ τ H gemäß 11.1. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 20 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Beobachtung Es ist |H| = 2 und also Index(H) := Anzahl der Linksne3| benklassen = 3 = 62 = |S |H| . 11.8 Abzählformel Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe mit neutralem Element e, und sei H eine Untergruppe. Definition. Der Index von H in G, geschrieben als (G : H), ist die Anzahl der Linksnebenklassen von H in G. Satz. Es gelten: 1. G ist die disjunkte Vereinigung der Linksnebenklassen aH mit a ∈ G. 2. Jede Linksnebenklasse hat gleich viele Elemente wie H (ist gleichmächtig, falls ∞) 3. Für die Gruppenordnungen |G| und |H| gilt die Abzählformel |G| = |H| · (G : H) Ist |G| unendlich, so ist |H| oder (G : H) unendlich (oder beide). Beweis. 1. Die Nebenklassen sind nach 11.7 Äquivalenzklassen, also folgt die Behauptung aus 11.1. 2. Die Abbildung (von Mengen) H −→ aH, h 7−→ ah, ist bijektiv, denn sie ist offensichtlich surjektiv und es ist noch zu zeigen: ah = ah0 =⇒ h = h0 : Sei ah = ah0 =⇒ a−1 (ah) = a−1 (ah0 ) =⇒ h = h0 . 3. Die Abzählformel folgt aus 1. und 2. 11.9 Die Ordnung von Gruppenelementen Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe mit neutralem Element e , und sei a ∈ G . Die Ordnung von a ist die kleinste natürliche Zahl m ∈ N mit der Eigenschaft am = e, oder ∞, falls ein solches m nicht existiert. Wir schreiben ord a“ für die Ordnung von a. ” Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.10 Die von einem Element erzeugte Untergruppe 21 Beispiele. 1. Die Matrix A := 1 1 ist ein Element der Ordnung 6 in GL2 (R), −1 0 denn: 1 1 1 1 0 1 −1 0 3 A = = , A = , −1 0 −1 0 −1 −1 0 −1 −1 −1 0 −1 1 0 A4 = , A5 = , A6 = = E2 1 0 1 1 0 1 2 2. Die Matrix 11.10 1 0 1 hat unendliche Ordnung in GL2 (R), denn es ist 1 n 1 1 1 n = ∀n ∈ N 0 1 0 1 Die von einem Element erzeugte Untergruppe Satz. Sei G eine Gruppe, und sei m die Ordnung von a ∈ G. Dann sind die Elemente ak für 0 6 k < m paarweise verschieden in G. Ist m < ∞, so ist H := {e, a, a2 , . . . , am−1 } eine Untergruppe der Ordnung m von G. Beweis. Angenommen, es wäre aj = ai mit 0 6 i < j < m. Dann wäre aj−i = e, was ord a 6 j − i < m zur Folge hätte. Widerspruch! Sei m < ∞. Dann besteht H aus m Elementen. Es ist e = am in H. Für 0 6 i, j < m gibt es q, r ∈ Z mit i − j = qm + r , wobei 0 6 r < m gilt. Es q folgt ai−j = aqm+r = (am ) ar = ar ∈ H . | {z } e 11.11 Satz von Lagrange Sei G eine endliche Gruppe und H eine Untergruppe. Dann ist die Ordnung von H ein Teiler der Ordnung von G. Insbesondere ist die Ordnung eines jeden Elements von G ein Teiler der Ordnung von G. Beweis. Nach 11.8 ist |G| = |H| · (G : H) und also |H| ein Teiler von |G|. Wählen wir H wie in 11.10, folgt auch die zweite Behauptung. Korollar. Sei p eine Primzahl. Dann ist jede Gruppe der Ordnung p isomorph zu Z/pZ. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 22 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Beweis. Sei G eine Gruppe der Ordnung p. Wähle a 6= e aus G . Dann gilt ord a =: m 6= 1 und also m = p, da p Primzahl und da nach der 2. Behauptung im Satz von Lagrange m ein Teiler von |G| = p ist. Nach 11.10 folgt G = {e, a, . . . , ap−1 }, und die Abildung G −→ Z/pZ, ak 7−→ k für k = 1, . . . , p ist ein Isomorphismus. 11.12 Erzeugung von Gruppen Sei G eine Gruppe. Die von einer nichtleeren Teilmenge U ⊂ G erzeugte Untergruppe ist definiert als die kleinste Untergruppe von G, die U enthält. Sie besteht (bei multiplikativer Schreibweise) aus allen möglichen Produkten mit endlich vielen Faktoren aus U , deren Inversen und e. Beispiele. 1. Die von einem Element a ∈ G erzeugte Gruppe H nennt man zyklische Gruppe. Ist ord a = ∞, so ist H = {. . . , a−2 , a−1 , e, a, a2 , . . .}. Ist ord a = m < ∞, so ist H = {e, a, a2 , . . . , am−1 } von der Ordnung m nach 11.10. • Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} ist eine unendliche zyklische Gruppe bezüglich Addition, sie wird von 1 erzeugt. Die Untergruppen nZ = {. . . , −2n, −n, 0, n, 2n, . . .} ⊂ Z werden von n erzeugt. • Z/nZ = {0, 1, . . . , n − 1} wird von 1 erzeugt, ist also zyklisch. 2. Die Kleinsche Vierergruppe V4 ist nicht zyklisch. Sie wird in GL2 (R) von den beiden Matrizen 1 0 −1 0 a := und b := 0 −1 0 1 erzeugt. Es ist V4 = {e = E2 , a, b, c := ab} mit Multiplikationstabelle: a b c a b c e c b c e a b a e Die Gruppe ist kommutativ (vgl. 11.4.4). 3. Die symmetrische Gruppe S3 ist nicht zyklisch. Sie wird von zwei Elementen erzeugt (vgl. 11.4.3 und Aufgabe 74). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.13 Klassifikation der zyklischen Gruppen 11.13 23 Klassifikation der zyklischen Gruppen Satz. Jede zyklische Gruppe ist isomorph zu Z oder zu Z/nZ mit einem n ∈ N. Beweis. Sei G eine (multiplikativ geschriebene) zyklische Gruppe und a ein erzeugendes Element von G. 1. |G| = ∞ =⇒ G = {. . . , a−2 , a−1 , e, a, a2 , . . .}, und ist ein Isomorphismus (a0 := e). Z −→ G, k 7−→ ak 2. |G| =: n ∈ N =⇒ G = {e, a, a2 , . . . , an−1 }, und G −→ Z/nZ, ak 7−→ k ist ein Isomorphismus nach 11.10. 11.14 Normalteiler Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe. Eine Untergruppe H von G heißt Normalteiler in G, falls gilt aHa−1 ⊂ H für jedes a ∈ G Hierbei ist aHa−1 := {aha−1 | h ∈ H}. Bemerkung. Äquivalent sind: i) H ist Normalteiler in G ii) aHa−1 = H ∀a ∈ G iii) aH = Ha ∀a ∈ G (d.h. jede Linksnebenklasse ist gleich der entsprechenden Rechtsnebenklasse) Beweis. i) =⇒ ii) H Normalteiler =⇒ aHa−1 ⊂ H ∀a ∈ G =⇒ a−1 Ha = a−1 H(a−1 )−1 ⊂ H ∀a ∈ G −1 −1 −1 =⇒ H = a a | {zHa} a ⊂ aHa ⊂H ii) =⇒ iii) und iii) =⇒ i) sind trivial. Beispiele. 1. Jede Untergruppe einer abelschen Gruppe G ist Normalteiler in G. 2. SLn (K) ist Normalteiler in GLn (K), denn für A ∈ GLn (K) und B ∈ SLn (K) gilt det(ABA−1 ) = det B = 1, also ABA−1 ∈ SLn (K) 7.8 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 24 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 3. ϕ : G −→ G0 Gruppenhomomorphismus, so ist kern ϕ Normalteiler in G, denn für a ∈ G und b ∈ kern ϕ gilt ϕ(aba−1 ) = ϕ(a) ϕ(b) ϕ(a−1 ) = e0 und also aba−1 ∈ kern ϕ 11.6 |{z} e0 4. Jede Untergruppe H vom Index 2 in G ist Normalteiler in G. Denn ist a ∈ H, so ist aH = H = Ha. Ist a ∈ G \ H, so hat man disjunkte Vereinigungen H ∪ aH = G und analog H ∪ Ha = G. Daraus folgt 11.8 aH = Ha. 5. Die spezielle orthogonale Gruppe SOn (R) := {A ∈ On (R) | det A = 1} ist vom Index 2 und daher Normalteiler in der Gruppe der orthogonalen Matrizen On (R) := {A ∈ GLn (R) | tAA = En } . Beweis. Für A ∈ On (R) ist det A = ±1, vgl. 10.3. Hieran erkennt man, dass SOn (R) eine Untergruppe von On (R) ist. Die beiden Nebenklassen in On (R) sind SOn (R) und die Menge der Matrizen mit Determinante = −1, und also ist der Index 2. 11.15 Faktorgruppen Sei G eine (multiplikativ geschriebene) Gruppe, und sei H Normalteiler in G. Dann ist die Menge G/H := {aH | a ∈ G} aller Linksnebenklassen eine Gruppe mit Einselement H bezüglich aH · bH := abH Es ist aHbH = abHH = abH, da bH = Hb und HH = H. Hieraus 11.14 11.5 folgen Wohldefiniertheit und die Gruppengesetze. Man nennt G/H die Faktorgruppe von G nach H und sagt G modulo H“. ” Sind zwei der Gruppen G, H, G/H endlich, so ist auch die dritte endlich, und es gilt |G| |G/H| = |H| nach der Abzählformel in 11.8. Ferner ist π : G −→ G/H, a 7−→ aH, ein surjektiver Gruppenhomomorphismus mit kern π = H. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.16 Homomorphiesatz 11.16 25 Homomorphiesatz Satz. 1. Ist ϕ : G −→ G0 ein Gruppenhomomorphismus. Dann ist kern ϕ Normalteiler in G, und ϕ induziert einen Isomorphismus ∼ ϕ : G/ kern ϕ −→ bild ϕ 2. Ist f : V −→ W eine K-lineare Abbildung von K-Vektorräumen, so induziert f einen Isomorphismus ∼ f : V / kern f −→ bild f Beispiel. Die Determinante det : GLn (K) −→ K ∗ ist ein surjektiver Gruppenhomomorphismus mit Kern SLn (K) und induziert also einen Isomorphismus ∼ GLn (K)/SLn (K) −→ K ∗ . Beweis des Homomorphiesatzes. 1. Sei H := kern ϕ und ϕ : G/H −→ bild ϕ, aH 7−→ ϕ(a). Dann ist H Normalteiler in G nach 11.14, 3. Es ist ϕ wohldefiniert und injektiv, denn es gilt: aH = bH ⇐⇒ b ∈ aH nach 11.7 und 11.1i ⇐⇒ a−1 b ∈ H = kern ϕ −1 ⇐⇒ e0 = ϕ(a−1 b) = ϕ(a) ⇐⇒ ϕ(a) = ϕ(b) ϕ(b) und es ist ϕ(aH · bH) = ϕ(abH) = ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) = ϕ(aH)ϕ(bH) Offenbar ist ϕ auch surjektiv und damit ein Isomorphismus. 2. folgt aus 1., da jeder Vektorraum eine (additive, abelsche) Gruppe ist. Es ist f : V / kern f −→ bild f, v + kern f 7−→ f (v) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 26 11 Einige Grundbegriffe der Algebra 11.17 Der Begriff des Ringes Definition. Ein Ring R ist eine Menge mit zwei Verknüpfungen, Addition und Multiplikation genannt, und den Eigenschaften i) R bildet bezüglich Addition eine abelsche Gruppe ii) Die Multiplikation ist assoziativ und hat ein neutrales Element iii) Es gelten die Distributivgesetze (a + b)c = ac + bc und c(a + b) = ca + cb ∀a, b, c ∈ R Beispiele. Jeder Körper ist ein Ring. Es sind Z und Z/nZ Ringe bezüglich gewöhnlicher Addition und Multiplikation. Mn×n (K) ist ein Ring bezüglich Matrizenaddition und -multiplikation. 11.18 Der Begriff einer K -Algebra Definition. Ein Ring R heißt K-Algebra, falls R mit einer K-Vektorraumstruktur versehen ist, die (λa)b = a(λb) = λ(ab) ∀a, b ∈ R, λ ∈ K erfüllt (Verträglichkeit der Skalarmultiplikation mit der Multiplikation im Ring) und deren Addition die des Ringes ist. Beispiele. 1. Mn×n (K) ist eine K-Algebra bezüglich Matrizenaddition, -multiplikation und der Skalarmultiplikation λa11 · · · λa1n a11 · · · a1n .. .. := .. λ ... . . . an1 · · · ann λan1 · · · λann (Addition und Skalarmultiplikation sind komponentenweise definiert) 2. Sei V ein K-Vektorraum. Dann ist R := EndK V := {f : V −→ V | f ist K-linear} Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.19 Operationen von Gruppen auf Mengen 27 eine K-Algebra vermöge (f + g)(v) := f (v) + g(v) ∀v ∈ V (f ◦ g)(v) := f (g(v)) ∀v ∈ V ) =⇒ Ringstruktur und (λf )(v) := λf (v) ∀v ∈ V, λ ∈ K (Es ist (λf ) ◦ g = f ◦ (λg) = λ(f ◦ g); neutrales Element bezüglich der Addition ist die Nullabbildung v 7−→ 0 und neutrales Element bezüglich der Multiplikation ist die Identität v 7−→ v.) 11.19 Operationen von Gruppen auf Mengen Definition. Eine Operation oder Aktion (von links) einer Gruppe G auf einer Menge X ist eine Abbildung G × X −→ X, (g, x) 7−→ gx, mit den Eigenschaften 1. ex = x ∀x ∈ X, wobei e das neutrale Element von G 2. (gg 0 )x = g(g 0 x) ∀g, g 0 ∈ G, x ∈ X Man nennt X dann eine G-Menge. Bemerkung. Ist X eine G-Menge, so definiert jedes g ∈ G eine bijektive Abbildung tg : X −→ X, x 7−→ gx mit Umkehrabbildung tg−1 . 11.20 Affiner Raum (additives Beispiel) Ein affiner Raum über K besteht aus einer Menge X = {P, Q, . . .} von Punkten“, einem K-Vektorraum V und einer einfach transitiven“ Rechts” ” operation von V (als additiver Gruppe) auf X, das ist eine Abbildung X × V −→ X, (P, v) 7−→ P + v mit den Eigenschaften 1. P + ~0 = P ∀P ∈ X 2. P + (v + w) = (P + v) + w ∀P ∈ X, v, w ∈ V 3. Die Operation ist einfach transitiv, d.h. zu je zwei Punkten P, Q ∈ X gibt es genau einen Vektor v ∈ V mit P + v = Q. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 28 11 Einige Grundbegriffe der Algebra −−→ −−→ −−→ Wir schreiben dann v = P Q, also P + P Q = Q und nennen P Q den Ortsvektor von Q bezüglich P . Q P v −−→ Abbildung 3: v = P Q −−→ −−→ −→ Es ist P Q + QR = P R, denn −−→ −−→ −−→ −−→ −−→ P + (P Q + QR) = (P + P Q) + QR = Q + QR = R 2. 3. 3. −→ Andererseits gilt P + P R = R. Aus der Eindeutigkeitsaussage in 3. folgt 3. −−→ −−→ −→ P Q + QR = P R. Wir haben uns hier von der Auszeichnung des Nullpunktes befreit. Spezialfall Sei X = V . Definiere X × V −→ X, (w, v) 7−→ w + v, durch Addition in V . Dann sind 1.,2.,3. erfüllt. Also kann jeder K-Vektorraum als affiner Raum betrachtet werden. Falls V = K n ist, schreibt man An (K). 11.21 Bahn und Stabilisator Sei X eine G-Menge (mit Linksaktion). Dann gelten 1. X ist ein disjunkte Vereinigung von Bahnen (auch Orbits genannt), das sind Teilmengen der Form Gx := {gx | g ∈ G} wobei x ∈ X ist. 2. Für jedes x ∈ X ist der Stabilisator Stab x := {g ∈ G | gx = x} eine Untergruppe von G. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.22 Bahnformel 29 3. Sei Gx := Stab x und G/Gx := {gGx | g ∈ G} die Menge der Linksnebenklassen. Dann hat man eine Bijektion ∼ G/Gx −→ Gx, gGx 7−→ gx Beweis. 1. Durch x ∼ y :⇐⇒ ∃g ∈ G mit y = gx ist eine Äquivalenzrelation auf X definiert, denn x = ex =⇒ x ∼ x. Ist x ∼ y =⇒ y = gx =⇒ x = g −1 y =⇒ y ∼ x. Gilt x ∼ y und y ∼ z =⇒ y = gx, z = g 0 y = g 0 gx =⇒ x ∼ z. Nach Definition ist Gx = {y ∈ X | x ∼ y} =⇒ 1. 11.1 2. Es ist ex = x, also e ∈ Stab x. Ist g ∈ Stab x, so ist g −1 ∈ Stab x 11.19 wegen x = ex = (g −1 g)x = g −1 (gx) gilt (g 0 g)x = g 0 (gx) = g ∈ Stab x g0 x = g ∈ Stab x = g 0 ∈ Stab x g −1 x. Für g, g 0 ∈ Stab x x , also gg 0 ∈ Stab x. 3. Es gilt gGx = g 0 Gx ⇐⇒ g 0 ∈ gGx 11.1 ⇐⇒ g −1 g 0 ∈ Gx ⇐⇒ g −1 g 0 x = x ⇐⇒ g 0 x = gx Die Zuordnung ist also wohldefiniert und injektiv. Sie ist offensichtlich auch surjektiv. 11.22 Bahnformel Satz. Sei G eine endliche Gruppe, die auf einer Menge X 6= ∅ operiere. Für die Länge der Bahn Gx gilt dann |Gx| = |G| |Gx | wobei Gx der Stabilisator von x ∈ X ist. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 30 11 Einige Grundbegriffe der Algebra Beweis. Es ist |Gx| = (G : Gx ) nach 11.21.3 = |G| nach 11.8 |Gx | Lernerfolgstest. • Was können Sie über Gruppen von Primzahlordnung aussagen? • Was können Sie über zyklische Gruppen aussagen? • Beschreiben Sie die Gruppen der Ordnung 4 und der Ordnung 6. • Warum ist der Begriff des Normalteilers von fundamentaler Bedeutung für die Gruppentheorie? • Geben Sie Abzähl- und Bahnformel jeweils mit Beweisidee an. 11.23 Übungsaufgaben 69 – 75 Aufgabe 69. Es sei n ∈ Z fest gewählt und nZ := {nz | z ∈ Z}. Man zeige, dass durch a∼b :⇐⇒ a − b ∈ nZ eine Äquivalenzrelation auf Z definiert ist, und bestimme die Anzahl der Äquivalenzklassen in Abhängigkeit von n . Aufgabe 70. Man beweise, dass Z/nZ bezüglich der Vorschrift a + b := a + b für a, b ∈ Z eine abelsche Gruppe ist. Aufgabe 71. Seien G, G0 zwei Gruppen, e das neutrale Element von G und e0 das neutrale Element von G0 . Man zeige, dass für jeden Gruppenhomomorphismus ϕ : G −→ G0 die folgende Aussage gilt: kern(ϕ) = {e} ⇐⇒ ϕ ist injektiv. Aufgabe 72. Man untersuche, welche der folgenden Teilmengen Untergruppen sind: (a) GLn (R) ⊂ GLn (C) , (b) {1, −1} ⊂ R∗ , (c) die Menge der ganzen Zahlen ≥ 0 in Z+ , (d) die Menge der reellen Zahlen > 0 in R∗ , Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 11.23 Übungsaufgaben 69 – 75 31 (e) die Menge der Matrizen der Form a 0 , a 6= 0 , in GL2 (R) . 0 −a Aufgabe 73. Sei Z/nZ die in Aufgabe 70 eingeführte additive Gruppe. Die Addition in der Gruppe Z/mZ × Z/nZ sei komponentenweise erklärt. Man beweise oder widerlege: Z/6Z ' Z/2Z × Z/3Z , Z/8Z ' Z/2Z × Z/4Z , Z/8Z ' Z/2Z × Z/2Z × Z/2Z Aufgabe 74. Es sei R = R \ {0, 1} . Man zeige, dass die durch f (x) = 1 x und g(x) = x−1 x definierten Funktionen f, g : R −→ R eine Gruppe von Funktionen erzeugen, die zur symmetrischen Gruppe S3 isomorph ist, wenn man als Verknüpfung die Hintereinanderausführung von Funktionen verwendet. Aufgabe 75. Zwei Elemente a, b einer Gruppe G heißen konjugiert in G, wenn es ein Element t ∈ G gibt derart, dass a = t−1 b t gilt. Man zeige, dass die beiden Matrizen 1 1 1 0 und 0 1 1 1 in der Gruppe GL2 (R) konjugiert sind, in der Gruppe SL2 (R) aber nicht. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 32 12 12 Euklidische Räume und Bewegungen Euklidische Räume und Bewegungen Lernziel. Fertigkeiten: Hauptachsentransformation für Kegelschnitte Kenntnisse: Gruppe der Bewegungen eines euklidischen Vektorraums, insbesondere der euklidischen Ebene, endliche Untergruppen von Bewegungsgruppen 12.1 Euklidische Räume Ein affiner Raum X über R (vgl. 11.20), dessen zugehöriger Vektorraum V ein euklidischer Vektorraum ist, heißt euklidischer Raum. Beispiel. An (R) wird durch das Standard-Skalarprodukt auf Rn zu einem euklidischen Raum. Definition. Der Abstand zweier Punkte P, Q eines euklidischen Raumes X ist definiert als p −−→ d(P, Q) = kP Qk, wobei kvk = hv, vi ist für v ∈ V Dadurch wird X zu einem metrischen Raum mit einer translationsinvarianten Metrik, wie das folgende Lemma zeigt. Der Begriff “Metrik” ist hier im Sinne der Analysis gemeint und nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Metrik aus Kapitel 9. Lemma. Für alle P, Q ∈ X und alle v ∈ V gilt: 1) d(P, Q) > 0 und d(P, Q) = 0 ⇔ P = Q 2) d(P, Q) = d(Q, P ) Symmetrie“ ” 3) d(P, R) 6 d(P, Q) + d(Q, R) Dreiecksungleichung“ ” 4) d(P + v, Q + v) = d(P, Q) Translationsinvarianz“ ” −−→ −−→ −→ Beweis. 1) folgt direkt aus 9.5. Nach 11.20 gilt P Q + QR = P R, woraus −−→ −−→ P Q = −QP für R = P folgt. Mit 9.5 ergibt dies 2. Und 3. folgt aus der −→ −−→ −−→ −−→ −−→ Dreiecksungleichung in 9.7: kP Rk = kP Q + QRk 6 kP Qk + kQRk. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.2 Bewegungsgruppen 33 −−→ Nach 11.20 gilt P + P Q = Q. Dies ergibt −−−−−−−−−−−→ (P + v) + (P + v)(Q + v) = Q + v −−→ −−→ = (P + P Q) + v = P + (v + P Q) −−→ = (P + v) + P Q. −−−−−−−−−−−→ −−→ Aus der Eindeutigkeitsaussage in 11.20.3. folgt nun (P + v)(Q + v) = P Q und damit 4. Ist X = An (R) wie im Beispiel oben, so können wir die Punkte P in X als −→ −−→ Vektoren 0P in Rn auffassen, und der durch P + P Q = Q definierte Vektor −−→ −→ −→ P Q wird zu 0Q − 0P . In diesem Kapitel werden wir nur den Spezialfall X = V betrachten. 12.2 Bewegungsgruppen In Kapitel 10.10 hatten wir eine Bewegung eines euklidischen Vektorraums V als eine abstandserhaltende Abbildung β : V −→ V definiert, also als eine Abbildung, für die gilt: kβ(v) − β(w)k = kv − wk ∀v, w ∈ V Beispiel. Die Translation β = tv0 : V −→ V , v 7−→ v +v0 , ist für jeden Vektor v0 ∈ V eine Bewegung, denn es gilt: kβ(v) − β(w)k = kv + v0 − (w + v0 )k = kv − wk Aber tv0 ist nicht Offensichtlich gilt R-linear, falls v0 6= ~0 (da dann tv0 (~0) = v0 6= ~0 ist). tv0 ◦ tv1 = tv1 ◦ tv0 = tv0 +v1 ∀v0 , v1 ∈ V Insbesondere gilt tv0 ◦t−v0 = idV = t−v0 ◦tv0 , und es ist tv0 bijektiv ∀v0 ∈ V . Satz. Sei V ein endlich dimensionaler euklidischer Vektorraum. Dann hat jede Bewegung β : V −→ V die Gestalt β = t ◦ f , wobei f : V −→ V orthogonal und t : V −→ V eine Translation ist. Insbesondere ist jede Bewegung V −→ V bijektiv, und die Bewegungen V −→ V bilden bezüglich Hintereinanderausführung eine Gruppe. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 34 12 Euklidische Räume und Bewegungen Beweis. Die Abbildung f := t−β(~0) ◦ β hält den Nullpunkt fest und ist daher nach Lemma 10.10 orthogonal. (Lemma 10.10 ist nur für V = Rn formuliert, aber der Beweis ist exakt derselbe für einen beliebigen euklischen Vektorraum.) Damit ist f nach Bemerkung 10.5.2 bijektiv, und nach Konstruktion von f gilt β = tβ(~0) ◦ f . Nun ist klar, dass β als Komposition zweier bijektiver Abbildungen selbst bijektiv ist. Ersichtlich ist die Hintereinanderausführung zweier Bewegungen eine Bewegung und sind die Gruppenaxiome G1, G2 und G3 aus 11.4 erfüllt. 12.3 Kegelschnitte Definition. Ein Kegelschnitt ist die Lösungsmenge X einer quadratischen Gleichung in zwei Variablen (1) f (x1 , x2 ) := a11 x21 + 2a12 x1 x2 + a22 x22 + a1 x1 + a2 x2 + a = 0 in R2 . Dabei sind die Koeffizienten aij , aj , a ∈ R. Man nennt den Kegelschnitt ausgeartet, wenn X = ∅ oder X aus einem Punkt oder einer Geraden oder aus zwei Geraden besteht. Andernfalls heißt X nicht ausgeartet. In den Übungsaufgaben 60, 61, 62 zur Hauptachsentransformation wurde der Fall a1 = 0 = a2 behandelt und als Kegelschnitte eine Ellipse (Aufgabe 60), eine Hyperbel (Aufgabe 62) und zwei parallele Geraden (Aufgabe 61) erhalten. Durch (1) kann auch eine Parabel beschrieben werden. Im Folgenden sei R2 mit dem Standardskalarprodukt versehen. Satz. Jeder nicht ausgeartete Kegelschnitt kann durch Bewegungen von eine der folgenden Normalformen gebracht werden: i) Ellipse: c1 y12 + c2 y22 − 1 = 0 ii) Hyperbel: c1 y12 − c2 y22 − 1 = 0 iii) Parabel: c1 y12 − y2 = 0 wobei jeweils c1 > 0 und c2 > 0 sind. Beweis. Der Kegelschnitt X sei durch die Gleichung (1) definiert. 1. Fall In (1) ist a12 = 0, aber a11 6= 0 und a22 6= 0. Durch die Substitution xi = yi − 2aaiii für i = 1, 2 erhalten wir f (x1 , x2 ) = a11 y12 + a22 y22 + b = 0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 R2 auf 12.3 Kegelschnitte 35 mit einem b ∈ R. Wir haben die Translation x1 x2 7−→ a1 x1 + 2aa211 x2 2a22 vorgenommen, um a1 , a2 zu eliminieren. Es ist b 6= 0, da die obige Gleichung andernfalls einen Punkt oder ein Geradenpaar definieren würde und X dann ausgeartet wäre. Division durch −b ergibt b1 y12 + b2 y22 − 1 = 0 ii . Es sind b1 , b2 nicht beide negativ, denn sonst wäre mit bi = a−b X = ∅ und also X ausgeartet. Wir erhalten die Normalform einer Ellipse (b1 , b2 beide > 0) oder einer Hyperbel (−bi > 0 für ein i). 2. Fall In (1) ist a12 = 0 und ein aii = 0, etwa a22 = 0. Dann ist a11 6= 0, da X sonst ausgeartet wäre. Durch die Substitution x1 = y1 − 2aa111 erhalten wir f (x1 , x2 ) = a11 y12 + a2 x2 + c = 0 mit einem c ∈ R. Es ist a2 6= 0, da X sonst ausgeartet wäre. Mit der Substitution x2 = y2 − ac2 erhält man a11 y12 + a2 y2 = 0. Division durch −a2 ergibt dann c1 y12 − y2 = 0 a11 . Ist c1 < 0, so ändert man das Vorzeichen durch Spiemit c1 = −a 2 gelung y2 = −y20 . Also ist die Normalform für eine Parabel erreicht. (Analog schließt man für a11 = 0 und a22 6= 0.) a11 a12 . Dann gibt es nach Spek3. Fall In (1) ist a12 6= 0. Sei A = a12 a22 λ1 0 tralsatz 9.11 eine orthogonale Matrix T so, dass t T AT = 0 λ2 Diagonalgestalt hat. Die Gleichung (1) lautet in Matrizenschreibweise x1 x f (x1 , x2 ) = (x1 , x2 )A + (a1 , a2 ) 1 + a = 0 x2 x2 y1 x1 ein, dann folgt =T Setze hierin y2 x2 y1 y1 t (y1 , y2 ) |T{z AT} + (a1 , a2 )T + a = 0. y y2 2 0 1 λ1 0 A =@ 0 λ2 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 36 12 Euklidische Räume und Bewegungen Also gibt es b1 , b2 ∈ R so, dass gilt f (x1 , x2 ) = λ1 y12 + λ2 y22 + b1 y1 + b2 y2 + a = 0 Wir haben die orthogonale Koordinatentransformation ~x 7−→ t T ~x vorgenommen. (Das entspricht einer Drehung oder Spiegelung von R2 , vgl. 10.6.) Nun sind wir in der Situation der ersten beiden Fälle und können die Gleichung durch Bewegungen auf Normalform bringen. 12.4 Quadriken Eine Quadrik ist die Lösungsmenge einer quadratischen Gleichung f (x1 , . . . , xn ) = n X aii x2i + i=1 X 2aij xi xj + i<j n X ai xi + a = 0 i=1 Pn P 2 Der Term i=1 aii xi + i<j 2aij xi xj lässt sich wie in 9.13 behandeln, und man kann mit der in 12.3 beschriebenen Methode die Quadriken in Dimension n klassifizieren. Für n = 3 ergibt sich folgendes: Jede nicht ausgeartete Quadrik in R3 kann durch Bewegungen von R3 auf eine der folgenden Normalformen gebracht werden. i) Ellipsoid : b1 y12 + b2 y22 + b3 y32 − 1 = 0 ii) einschaliges Hyperboloid : b1 y12 + b2 y22 − b3 y32 − 1 = 0 iii) zweischaliges Hyperboloid : b1 y12 − b2 y22 − b3 y32 − 1 = 0 iv) elliptisches Paraboloid : b1 y12 + b2 y22 − y3 = 0 v) hyperbolisches Paraboloid : b1 y12 − b2 y22 − y3 = 0 wobei jeweils b1 , b2 , b3 > 0 sind. 12.5 Orientierung und Bewegung Sei β : V −→ V eine Bewegung eines endlich dimensionalen euklidischen Vektorraums V . Dann gibt es nach 12.2 eine orthogonale Abbildung f : V −→ V mit β(v) = f (v) + β(~0) für alle v ∈ V. Wir unterscheiden die beiden Fälle det f = 1 und det f = −1. • Im Fall det f = 1 heißt β orientierungserhaltend, • im Fall det f = −1 heißt β orientierungsumkehrend. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.6 Die Bewegungsgruppe von 12.6 R2 37 Die Bewegungsgruppe von R2 Die Gruppe der Bewegungen von R2 wird erzeugt von den Translationen tw um den Vektor w ∈ R2 , den Drehungen dϕ um ~0 mit dem Drehwinkel ϕ und der Spiegelung s an der x1 -Achse. Dies folgt aus 10.6, 10.8 und 12.2. Für alle (x1 , x2 ) ∈ R2 gilt dabei a1 x1 + a1 x1 mit w = = tw a2 x2 + a2 x2 cos ϕ − sin ϕ x1 x1 = dϕ sin ϕ cos ϕ x2 x2 x1 1 0 x1 x . = s 1 = −x2 0 −1 x2 x2 Rechenregeln in der Bewegungsgruppe von R2 Für alle v, w ∈ R2 und ϕ, η ∈ R gelten i) tv ◦ tw = tv+w , dϕ ◦ dη = dϕ+η und s ◦ s = id ii) dϕ ◦ tw = tdϕ (w) ◦ dϕ iii) s ◦ tw = ts(w) ◦ s iv) s ◦ dϕ = d−ϕ ◦ s Beweis. Wir zeigen hier exemplarisch nur ii): Für alle x ∈ R2 gilt (dϕ ◦ tw )(x) = dϕ (tw (x)) = dϕ (x + w) = dϕ (x) + dϕ (w) = tdϕ (w) (dϕ (x)) = (tdϕ (w) ◦ dϕ )(x). Satz. Jede Bewegung β : R2 −→ R2 lässt sich eindeutig darstellen als β = tw ◦ dϕ oder β = tw ◦ dϕ ◦ s Beweis. Sei β eine Bewegung von R2 . Nach Satz 12.2 ist dann β = tw ◦ f , wobei tw eine Translation um w ist und f orthogonal ist, also insbesondere f (~0) = ~0 und det f = ±1 gilt. 1) Sei det f = 1. Dann ist f nach 10.8 eine Drehung dϕ und also β = tw ◦dϕ . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 38 12 Euklidische Räume und Bewegungen 2) Sei det f = −1. Dann gilt det(f ◦ s) = det f · det s = (−1)(−1) = 1. Nach 10.8 ist f ◦ s eine Drehung, also f ◦ s = dϕ . Da s ◦ s = id ist, folgt f = dϕ ◦ s und somit β = tw ◦ dϕ ◦ s. 3) Eindeutigkeit der Darstellung: Sei β = tw ◦ dϕ ◦ si = tv ◦ dη ◦ sj , wobei i, j ∈ {0, 1} sind. Es ist zu zeigen, daß i = j, w = v und ϕ = η gelten. Sei i = 0, dann ist β nach 12.5 orientierungserhaltend, folglich ist j = 0. Sei i = 1, dann ist β nach 12.5 orientierungsumkehrend, folglich ist j = 1. Also gilt i = j. Da s ◦ s = id ist, folgt tw ◦ dϕ = tv ◦ dη . Multipliziere von links mit t−v und von rechts mit d−ϕ . Man erhält tw−v ◦ dϕ−ϕ = tv−v ◦ dη−ϕ , also tw−v = dη−ϕ . Eine Translation kann aber nur dann eine Drehung sein, wenn sie die Identität t~0 ist. Folglich gelten w = v und η = ϕ. Untergruppen der Bewegungsgruppe von Sei G die Gruppe der Bewegungen von Untergruppen R2 R2 . In G betrachten wir die beiden T := Gruppe der Translationen O := Gruppe der orthogonalen Abbildungen = Gruppe der Bewegungen, die ~0 festlassen n o = Drehungen um ~0 und Spiegelungen an Geraden durch ~0 10.7 Sei B die Standardbasis von R2 , dann sind die beiden Zuordnungen R2 −→ T , O −→ O2 (R), w 7−→ tw β 7−→ MB B (β) Isomorphismen von Gruppen. 12.7 Geometrische Beschreibung Orientierungserhaltende Bewegungen von R2 Sei β eine orientierungserhaltende Bewegung der reellen Ebene. Dann ist β = tw ◦ dϕ nach 12.6. • Ist dϕ = id, so ist β eine Parallelverschiebung um den Vektor w ~. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.7 Geometrische Beschreibung 39 • Sei hingegen dϕ 6= id. Dann besitzt β genau einen Fixpunkt P , woraus folgt, dass β eine Drehung um den Punkt P ist. Beweis. Gesucht ist v ∈ R2 mit β(v) = dϕ (v) + w = v. Zu lösen ist also die Gleichung (id −dϕ )(v) = w. Die Determinante des zugehörigen Gleichungssystems a1 1 − cos ϕ sin ϕ x1 = a2 − sin ϕ 1 − cos ϕ x2 mit v = (x1 , x2 ) und w = (a1 , a2 ) ist 2 − 2 cos ϕ und also 6= 0. Das Gleichungssystem hat also genau eine Lösung P . Es ist P = dϕ (P )+w. Folglich ist β(P + v) = dϕ (P + v) + w = dϕ (P ) + dϕ (v) + w = dϕ (P ) + w + dϕ (v) = P + dϕ (v). Also ist β eine Drehung um P mit Drehwinkel ϕ. Orientierungsumkehrende Bewegungen von Jede orientierungsumkehrende Bewegung von R2 R2 ist • eine Spiegelung an einer Geraden ` oder • eine Gleitspiegelung, das ist die Hintereinanderausführung einer Spiegelung an einer Geraden ` und einer Verschiebung um einen zu ` parallelen Vektor w 6= ~0. Beweis. Eine orientierungsumkehrende Bewegung von R2 hat die Form β = tw ◦ dϕ ◦ s nach 12.6. Die Bewegung s0 := dϕ ◦ s ist eine Spiegelung an der Geraden durch ~0, die mit der x1 -Achse den Winkel ϕ2 bildet, denn cos ϕ − sin ϕ 1 0 cos ϕ sin ϕ = (vgl. 10.7) sin ϕ cos ϕ 0 −1 sin ϕ − cos ϕ Dreht man das Koordinatensystem so, dass die x1 -Achse zur Spiegelachse wird, dann ist β = tw ◦ s0 mit einer Translation tw (mit geänderten Koordinaten) und einer Spiegelung s0 an der (neuen) x1 -Achse. Mit w = (a1 , a2 ) wirkt β im neuen Koordinatensystem durch x1 + a1 x1 . = β −x2 + a2 x2 Die Gerade n a2 o ` = (x1 , x2 ) ∈ R2 x2 = 2 wird dabei in sich selbst überführt. Insgesamt beschreibt β eine Gleitspiegelung entlang `. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 40 12 Euklidische Räume und Bewegungen 12.8 Symmetriegruppen Definition. Sei F ⊂ R2 eine beliebige Teilmenge ( Figur“). Eine Symmetrie von F ist ” eine Bewegung β : R2 → R2 , die F in sich überführt, für die also β(F ) = F gilt. Die Symmetrien von F bilden eine Untergruppe der Bewegungsgruppe G, die Symmetriegruppe der Figur“ F . ” Abbildung 4: Spiegel- und Drehsymmetrie 12.9 Endliche Untergruppen von O ' O2 (R) Satz. Sei O die Gruppe der Bewegungen von R2 , die den Nullpunkt festlassen, und sei G eine endliche Untergruppe von O. Dann gilt • G ist die zyklische Gruppe Zn der Ordnung n, die von der Drehung dη mit η = 2π n erzeugt wird oder • G ist die Diedergruppe Dn der Ordnung 2n, die von der Drehung 0 dη mit η = 2π n und einer Spiegelung s an einer Geraden durch den Nullpunkt erzeugt wird. Beweis. 1. Fall: Alle Elemente von G sind Drehungen. Zeige: G ist zyklisch. Ist |G| = 1, so ist G = {id}. Sei |G| > 1. Dann enthält G eine Drehung um einen Winkel ϕ 6= 0. Sei η ∈ R der kleinste positive Drehwinkel, der bei einer Drehung aus G auftritt. Dann ist ϕ = mη + α mit 0 6 α < η und einem m ∈ Z. Da G eine Gruppe ist, gilt dα = dϕ−mη ∈ G. Es folgt α = 0, da η minimal ist und 0 6 α < η gilt. Demnach ist dϕ = dmη = dm η . Also ist G zyklisch. Wähle n ∈ N minimal mit der Eigenschaft nη > 2π, also 2π 6 nη < 2π + η. Es folgt nη = 2π und also η = 2π n , da ansonsten dnη−2π eine Drehung in G mit kleinerem Drehwinkel als η wäre. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.10 Endliche Untergruppen der Bewegungsgruppe von R2 41 2. Fall: G enthält eine Spiegelung. Durch Änderung des Koordinatensystems kann man erreichen, dass es sich um die Spiegelung s an der x1 -Achse handelt. Sei H die Untergruppe der Drehungen aus G.Wie im ersten Fall gibt es ein n ∈ N mit H = Zn . Folglich ist Dn := diη ◦ sj i = 0, . . . , n − 1, j = 0, 1 ⊂ G. Jetzt ist noch zu zeigen, dass G ⊂ Dn gilt. Sei β ∈ G. Wenn β eine Drehung ist, dann ist β ∈ H ⊂ Dn . Ist β dagegen eine Spiegelung, so ist β = dϕ ◦ s mit einem ϕ ∈ R. Es folgt dϕ = β ◦ s ∈ G und weiter dϕ ∈ H. Es gibt dann ein 0 6 i < n mit dϕ = diη . Also β = diη ◦ s ∈ Dn . Folgerung. Schreiben wir x := dη und y := s, so können wir die Diedergruppe Dn durch Erzeugende und definierende Relationen beschreiben: • Die Erzeugenden von Dn sind x und y, • als Relationen gelten xn = 1, y 2 = 1 und yx = xn−1 y. Es ist dann Dn = 1, x, x2 , . . . , xn−1 , y, xy, x2 y, . . . , xn−1 y . 12.10 Endliche Untergruppen der Bewegungsgruppe von R2 Wir kennen jetzt die endlichen Untergruppen Zn und Dn von O. Dabei ist O die Gruppe der Bewegungen, die ~0 festlassen. Wir werden jetzt zeigen, dass jede endliche Untergruppe der Bewegungsgruppe G einen Fixpunkt P hat. Mit diesem Wissen können wir unser Koordinatensystem so festlegen, dass P der neue Nullpunkt wird und wir in der Situation von 12.9 sind. Lemma. Sei M = {q1 , . . . , qn } eine endliche Menge von Punkten der Ebene, und sei P = 1 (q1 + . . . + qn ) n der Schwerpunkt von M . Für jede Bewegung β gilt dann β(P ) = 1 (β(q1 ) + · · · + β(qn )). n Eine Bewegung bildet also Schwerpunkte auf Schwerpunkte ab. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 42 12 Euklidische Räume und Bewegungen Beweis. Jede Bewegung β hat die Form β = tw ◦ dϕ oder β = tw ◦ dϕ ◦ s mit einer Translation tw , einer Drehung dϕ um den Nullpunkt und der Spiegelung s. Da dϕ und s R-linear sind, braucht man die Behauptung nur für Translationen zu zeigen. Sei β = tw eine Translation um w. Es gilt: β(P ) = P + w nach Definition von tw 1 1 = (q1 + . . . + qn ) + (w + . . . + w) {z } n n| n mal 1 = (q1 + w + . . . + qn + w) n 1 = (β(q1 ) + . . . + β(qn )) n Satz. Jede endliche Untergruppe G der Bewegungsgruppe G von E hat einen Fixpunkt, d.h. es gibt einen Punkt P ∈ E mit β(P ) = P für alle β ∈ G. Beweis. Sei q ∈ E und sei Gq := {β(q)|β ∈ G} die Bahn von q unter der Wirkung von G. Die Bahn ist endlich, weil G endlich ist. Schreibe 1 Gq = {q1 , . . . , qm }. Es ist P = m (q1 + . . . + qm ) der Schwerpunkt der Bahn. Also ist β(P ) = P für jedes β ∈ G, denn β permutiert die Elemente der Bahn, und β(P ) ist wieder der Schwerpunkt dieser Elemente nach dem Lemma. 12.11 Endliche Untergruppen der Drehgruppe von R3 Im dreidimensionalen reellen Raum sind Bewegungen wesentlich schwieriger zu klassifizieren als in der Ebene. Wir beschränken uns daher darauf, endliche Untergruppen der räumlichen Drehgruppe D3 (R) zu betrachten. Es ist D3 (R) = f : R3 → R3 | f orthogonal, det f = 1 ' SO3 (R). Satz. Sei G eine endliche Untergruppe von D3 (R). Dann ist G eine der folgenden Gruppen: • Zn : Zyklische Gruppe der Drehungen um Vielfache von um eine Drehachse. Es ist |Zn | = n. 2π n Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 mit n ∈ N 12.11 Endliche Untergruppen der Drehgruppe von R3 43 • Dn : Diedergruppe der Symmetrien eines regelmäßigen n-Ecks in einer Ebene, aufgefasst als räumliche Drehungen. Es ist |Dn | = 2n. • T : Tetraedergruppe der 12 Drehungen, die ein Tetraeder in sich überführen. • W : Würfelgruppe der 24 Drehungen, die einen Würfel oder ein Oktaeder in sich überführen. • I : Ikosaedergruppe der 60 Drehungen, die ein Dodekaeder oder ein Isokaeder in sich überführen. Beweis. Die Idee ist, die Pole von G auf der Einheitssphäre S 2 := x ∈ R3 | kxk = 1 abzuzählen. Dabei heißt ein Punkt p ∈ S 2 ein Pol von G, falls es eine Drehung γ 6= id aus G gibt mit γ(p) = p . Man nennt dann p auch Pol von γ . Die Schwierigkeit bei der Zählung der Pole von G ist, dass ein Punkt p ∈ S 2 ein Pol von mehreren Elementen aus G sein kann. Ist f 6= id ein Element aus G , so ist f eine Drehung um eine (eindeutig bestimmte) Drehachse ` . Die beiden Schnittpunkte von ` mit S 2 sind dann die Pole von f . Die Gruppe G operiert auf S 2 vermöge G × S 2 −→ S 2 , (f, p) 7−→ f (p) denn es gilt f (p) ∈ S 2 ∀ p ∈ S 2 , da jede Drehung f orthogonal und insbesondere abstandserhaltend ist. Lemma. Bei der Operation von G auf S 2 geht die Menge X der Pole von G in sich über. Die Gruppe G operiert also auf X. Beweis. Ist p Pol von f 6= id aus G und g ∈ G \ {id} beliebig. Dann ist g(p) Pol von g ◦ f ◦ g −1 , denn es ist (g ◦ f ◦ g −1 )(g(p)) = g(f (p)) = g(p). Da G auf der Menge der Pole X operiert, kann man X disjunkt in Bahnen zerlegen, vgl. 11.21. Wir zeigen nun mit Hilfe der Bahnformel in 11.22, dass es höchstens 3 Bahnen geben kann. Fallunterscheidung nach Anzahl und Länge der Bahnen ergibt dann die obige Liste. Sei Stab(p) := {g ∈ G | g(p) = p} der Stabilisator eines Pols p von G und sei Gp := {g(p) | g ∈ G} die zugehörige Bahn. Mit den Bezeichnungen N := |G| , np := |Gp| = “Bahnlänge”, rp := |Stab(p)| Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 44 12 Euklidische Räume und Bewegungen gilt nach der Bahnformel N = rp · np , vgl. 11.22. Sei N > 1 . Dann ist rp > 1 nach Definition des Pols, da id ∈ Stab(p) ist, und G hat rp − 1 Elemente mit Pol p nach Definition des Stabilisators. Da jedes f ∈ G \ {id} zwei Pole hat, folgt: X (1) (rp − 1) = 2(N − 1) p∈X Wenn zwei Pole p und p0 in derselben Bahn liegen, folgt Gp = Gp0 nach 11.1, also auch np = np0 , und aus N = rp np = rp0 np0 folgt dann auch rp = rp0 . Man kann also Summanden von Polen, die in derselben Bahn liegen zusammenfassen. Wir schreiben nun B1 , . . . , Bm für die Bahnen. Sei ri := rp , falls p ∈ Bi und ni := |Bi | = Länge der Bahn Bi“. Aus (1) folgt ” nun m X (2) ni (ri − 1) = 2N − 2 i=1 Es ist N = ri ni für alle i = 1, . . . , m. Division der Gleichung (2) durch N ergibt: m X 2 1 2− = (1 − ) | {zN} i=1 | {zri } (3) <2 >1/2 | {z } >m 2 Es folgt m ≤ 3 , d. h. es gibt höchstens drei Bahnen. Fall 1: Es gibt nur eine Bahn. Dann folgt mit (3) 2 1 =1− 2− N r | {z } | {z 1} >1 <1 Dieser Fall kann nicht vorkommen. Fall 2: Es gibt genau zwei Bahnen. Dann folgt mit (3) 2− 1 1 2 =1− +1− N r1 r2 und daher 2 1 1 = + N r1 r2 Es ist ri 6 N , da N = ni ri gilt. Also folgt r1 = r2 = N und somit n1 = n2 = 1. Beide Bahnen haben die Länge 1. Folglich gibt es nur 2 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.11 Endliche Untergruppen der Drehgruppe von R3 45 Pole p und p0 , und beide sind Fixpunkte (werden von allen Elementen aus G festgelassen wegen N = r1 = r2 ). Also liegen sich p und p0 auf der Sphäre gegenüber, d. h. sie liegen beide auf einer Geraden ` durch ~0. Die Gruppe G kann also nur aus Drehungen um die Drehachse ` bestehen. Daraus folgt, dass G = ZN die zyklische Gruppe ist, die von der Drehung um den Winkel 2π N erzeugt wird. Fall 3: Es gibt genau drei Bahnen. Mit (3) folgt nun: (4) 2 1 1 1 = + + −1 N r1 r2 r3 Numeriere die Bahnen so, dass r1 6 r2 6 r3 gilt. Es folgt r1 = 2, denn wären alle ri > 3, so wäre die rechte Seite in (4) 6 0 , die linke Seite ist aber > 0. Fall 3a: r1 = r2 = 2 und r := r3 beliebig. Mit (4) folgt N = 2r, also n3 = 2, da N = n3 r ist. Es ist also B3 = {p, p0 } mit Polen p, p0 ∈ S 2 . Jedes Element von G lässt entweder p und p0 fest oder vertauscht beide. Also liegen sich p und p0 auf S 2 gegenüber, und die Elemente von G sind Drehungen um die Gerade ` durch p und p0 oder Drehungen um den Winkel π um eine Gerade `0 , die in der Ebene E := `⊥ liegt. Es ist also G = {f ∈ D3 (R) | f führt ein regelmäßiges r-Eck F ⊂ E in sich über} Die Eckpunkte und Mittelpunkte der Seiten von F entsprechen den übrigen Polen. Schränkt man die Wirkung von G auf die Ebene E ein, so erhält man die Diedergruppe Dr , wobei die Drehungen um ` als ebene Drehungen um den Mittelpunkt von F wirken und die Drehungen um eine Gerade `0 in E wie eine Spiegelung an `0 wirken. Fall 3b: r1 = 2 und r2 , r3 > 2. Mit Hilfe von (4) überlegt man, dass es nur folgende Möglichkeiten gibt: Gruppe (r1 , r2 , r3 ) N T (2, 3, 3) 12 W (2, 3, 4) 24 I (2, 3, 5) 60 Die Tripel (2, r2 , r3 ) mit r2 , r3 > 4 können nicht vorkommen, da 1 1 1 + + −1=0 2 4 4 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 46 12 Euklidische Räume und Bewegungen ist. Die Tripel (2, 3, r3 ) mit r3 > 6 können nicht vorkommen, weil 1 1 1 + + −1=0 2 3 6 ist. Im Fall (r1 , r2 , r3 ) = (2, 3, 3) ist (n1 , n2 , n3 ) = (6, 4, 4), da N = ri ni ist. Die Pole der Bahn B2 sind die Eckpunkte eines Tetraeders F , und G besteht aus den Drehungen, die F in sich überführen. Es ist n1 = # Kanten von F n2 = # Eckpunkte von F n3 = # Seitenflächen von F Im Fall (r1 , r2 , r3 ) = (2, 3, 4) ist (n1 , n2 , n3 ) = (12, 8, 6). Die Pole der Bahn B2 sind die Eckpunkte eines Würfels F , und die Pole in B3 sind die Eckpunkte eines Oktaeders F 0 , und G besteht aus den Drehungen, die diese Figuren in sich überführen. Es ist n1 = # Kanten von F = # Kanten von F 0 n2 = # Eckpunkte von F = # Seitenflächen von F 0 n3 = # Seitenflächen von F = # Eckpunkte von F 0 Im Fall (r1 , r2 , r3 ) = (2, 3, 5) ist (n1 , n2 , n3 ) = (30, 20, 12). Die Pole in B2 sind die Eckpunkte eines Dodekaeders F , und die Pole in B3 sind die Eckpunkte eines Ikosaeders F 0 . Es ist G = I . Wir haben uns in diesem Kapitel an dem schönen Algebrabuch von M. Artin [3] orientiert. Insbesondere ist der obige Beweis aus diesem Buch, das hier als weiterführende Lektüre sehr empfohlen wird. Lernerfolgstest. • Was verstehen Sie unter einer Symmetriegruppe? • Wie operiert die ebene Bewegungsgruppe auf den Kegelschnitten? Beschreiben Sie die Bahnen • Geben Sie eine Beweisidee zur Bestimmung der endlichen Untergruppen von SO3 (R) an Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 12.12 Übungsaufgaben 76 – 83 12.12 47 Übungsaufgaben 76 – 83 Aufgabe 76. Man bestimme die Normalform des Kegelschnitts mit der Gleichung x21 + 4 x1 x2 + 4 x22 + 2 x1 − x2 − 5 = 0 Aufgabe 77. Man bestimme die Normalform des Kegelschnitts mit der Gleichung 16 x21 + 24 x1 x2 + 9 x22 + 60 x1 − 80 x2 = 0 und fertige eine Skizze an. Aufgabe 78. Es sei E eine Ellipse mit den Hauptachsen 1 1 2 −3 w1 = √ und w2 = √ 13 3 13 2 und den zugehörigen Hauptachsenabschnitten 3 und 1. Man bestimme die zu E gehörige Gleichung a11 x21 + 2 a12 x1 x2 + a22 x22 − 1 = 0 , in der a12 6= 0 ist. Aufgabe 79. Man ermittle, welche Matrix die Drehung von R3 um den Winkel ϕ um die durch den Vektor e2 = (0, 1, 0) bestimmte Achse beschreibt. Aufgabe 80. Es sei β eine orientierungsumkehrende Bewegung der Ebene. Man zeige, dass β ◦ β eine Translation ist. Aufgabe 81. Sei D3 die Diedergruppe der Ordnung 6. Man bestimme alle Untergruppen von D3 und ermittle, welche davon Normalteiler sind. Aufgabe 82. Sei D4 die Diedergruppe der Ordnung 8. Man bestimme alle Untergruppen von D4 und ermittle, welche davon Normalteiler sind. Aufgabe 83. Eine Gruppe G der Ordnung 55 operiere von links auf einer Menge X mit 18 Elementen. Man zeige, dass es mindestens zwei Fixpunkte in X gibt. (Dabei heißt ein Element x ∈ X Fixpunkt, wenn gx = x für alle g ∈ G gilt.) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 48 13 13 Bilinearformen Bilinearformen Lernziel. Fertigkeiten: Sätze über Bilinearformen in Aussagen über Matrizen umformulieren Kenntnisse: Grundlagen der Theorie symmetrischer und schiefsymmetrischer Bilinearformen und ihrer geometrischen Interpretation 13.1 Symmetrische Bilinearformen Sei K ein Körper, und sei V ein K-Vektorraum. Definition. (i) Eine Bilinearform auf V ist eine Abbildung s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi mit den Eigenschaften ) hu + v, wi = hu, wi + hv, wi linear im ersten Argument 1. hλv, wi = λhv, wi ) hu, v + wi = hu, vi + hu, wi 0 1. linear im zweiten Argument hv, µwi = µhv, wi für alle u, v, w ∈ V und λ, µ ∈ K. (ii) Eine symmetrische Bilinearform auf V ist eine Abbildung s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , die 1. erfüllt und symmetrisch ist, d.h. für alle v, w ∈ V gilt 2. hv, wi = hw, vi symmetrisch Aus 1. und 2. lässt sich leicht die Eigenschaft 1.0 folgern, vgl. 9.2. Sei nun V endlich dimensional, und sei s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , eine symmetrische Bilinearform auf V . Zugehörige Matrix: Sei B = {v1 , . . . , vn } eine Basis von V . Dann gehört zu s die symmetrische Matrix hv1 , v1 i · · · hv1 , vn i .. MB (s) := ... . hvn , v1 i ··· hvn , vn i Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.2 Schiefsymmetrische Bilinearformen 49 Umgekehrt gibt es zu jeder symmetrischen Matrix A ∈ Mn×n (K) genau eine symmetrische Bilinearform s : V × V −→ K so, dass MB (s) = A gilt, vgl. 9.3 Basiswechsel: Seien B und B 0 Basen von V . Setzen wir wie in 9.4 T := MB B0 (id) 13.2 so gilt MB0 (s) = t T MB (s) T Schiefsymmetrische Bilinearformen Definition. Eine schiefsymmetrische Bilinearform ist eine Abbildung s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , mit den Eigenschaften: Für alle u, v, w ∈ V und µ ∈ K gelten ) hu + v, wi = hu, wi + hv, wi linear im ersten Argument 1. hλv, wi = λhv, wi 2.− hv, wi = −hw, vi schiefsymmetrisch Wie übertragen sich die in 13.1 angesprochenen Punkte für schiefsymmetrische Bilinearformen s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi ? Bilinearität: Für alle u, v, w ∈ V und µ ∈ K gilt auch ) hu, v + wi = hu, vi + hu, wi 1.0 linear im zweiten Argument hv, µwi = µhv, wi Dies folgt leicht aus 1. und 2.− . Zugehörige Matrix: Eine Matrix A ∈ Mn×n (K) heißt schiefsymmetrisch, wenn tA = −A gilt. Sei B = {v1 , . . . , vn } eine Basis von V . Dann gehört zu s die nach 2.− schiefsymmetrische Matrix hv1 , v1 i · · · hv1 , vn i .. MB (s) := ... . hvn , v1 i ··· hvn , vn i Umgekehrt gibt es zu jeder schiefsymmetrischen Matrix A ∈ Mn×n (K) genau eine schiefsymmetrische Bilinearform s : V × V −→ K so, dass MB (s) = A gilt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 50 13 Bilinearformen Beweis. Eine schiefsymmetrische Matrix A = (aij ) sei vorgegeben. Für v = λ1 v1 + · · · + λn vn und w = µ1 v1 + · · · + µn vn mit λ1 , . . . , λn , µ1 , . . . , µn ∈ K setzen wir µ1 s(v, w) := hv, wi := (λ1 , . . . , λn ) · A · ... µn Dann ist s offenbar bilinear, und nach Definition der Matrizenmultiplikation in 5.2 gilt hvi , vj i = aij für alle i, j = 1, . . . , n . Wie in 9.3 (mit µi = µi ) zeigt man nun, dass s hierdurch eindeutig bestimmt ist. Da A schiefsymmetrisch ist, gilt hvi , vj i = −aji . Es folgt n n P P hv, wi = λi µj aij = − µj λi aji = −hw, vi und also 2.− i,j=1 i,j=1 Basiswechsel: Seien B und B 0 Basen von V . Setzen wir T := MB B0 (id) so gilt MB0 (s) = t T MB (s) T Dies folgt mit ¯ = id analog wie in 9.4. Bemerkung. Ist 1 + 1 6= 0 in K, so folgt aus 2.− für v = w die Gleichung 2.0 hv, vi = 0 für alle v ∈ V . Umgekehrt implizieren 1., 1.0 und 2.0 die Gleichung 2.− , denn 0 =0 hv + w, v + wi = hv, vi + hv, wi + hw, vi + hw, wi =0 hv, wi + hw, vi . 2. 2. 13.3 Orthogonale Summen Sei V ein K-Vektorraum, und sei s : V × V −→ K, (v, w) − 7 → hv, wi , eine symmetrische oder eine schiefsymmetrische Bilinearform auf V . Wir nennen zwei Vektoren v, w ∈ V orthogonal , wenn hv, wi = 0 gilt, und schreiben v⊥w . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.4 Das Radikal 51 Definition. Seien U1 , . . . , Um Teilräume von V und sei U := U1 + · · · + Um := {u1 + · · · + um | uj ∈ Uj ∀j = 1, . . . , m} die Summe der Teilräume U1 , . . . , Um . Dann heißt die Summe eine orthogonale Summe, wenn 1. U = U1 ⊕ · · · ⊕ Um (“direkte Summe”, vgl. 2.7 und Aufgabe 11). 2. ui ⊥uj für alle ui ∈ Ui , uj ∈ Uj und i 6= j. Wir schreiben dann U = U1 ⊥ · · · ⊥Um 13.4 Das Radikal Seien V ein K-Vektorraum und s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , eine symmetrische oder eine schiefsymmetrische Bilinearform auf V . Ist U ein Teilraum von V , so ist auch U ⊥ := {v ∈ V | v⊥u ∀u ∈ U } ein Teilraum von V , wie leicht aus Definition 13.1 und 13.2 folgt. Definition. Rad V := {v ∈ V | v⊥v 0 ∀v 0 ∈ V } heißt das Radikal von V , und V heißt regulär oder nicht ausgeartet, falls Rad V = {~0} gilt. In dem Fall nennen wir auch die zugehörige Bilinearform s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , regulär oder nicht ausgeartet. Bemerkung. Sei U ein Teilraum von V , und sei U mit der von s induzierten Bilinearform versehen, also mit der Einschränkung s|U ×U : U × U −→ K, (u, u0 ) 7−→ hu, u0 i , von s auf U . Es ist dann Rad U := {u ∈ U | u⊥u0 ∀u0 ∈ U } = U ∩ U ⊥ Warnung: Ein Teilraum U kann ausgeartet sein, auch wenn V nicht ausgeartet ist, (vgl. 13.7). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 52 13 Bilinearformen Diese Warnung gilt allerdings nicht für das Komplement des Radikals, wie der folgende Satz zeigt. (Komplementäre Teilräume eines Vektorraums haben wir in Aufgabe 18 studiert.) Satz. Sei V 0 ein zu Rad V komplementärer Teilraum, also V = V 0 ⊕Rad V . Dann ist V = V 0 ⊥ Rad V wobei die Einschränkung von s auf den Teilraum V 0 s|V 0 ×V 0 : V 0 × V 0 −→ K, (u0 , v 0 ) 7−→ hu0 , v 0 i regulär ist und die Einschränkung von s auf den Teilraum Rad V trivial ist, d.h. es gilt hv, wi = 0 für alle v, w ∈ Rad V . Beweis. Die Summe ist orthogonal, und es ist hv, wi = 0 für alle v, w ∈ Rad V nach Definition von Rad V . Noch zu zeigen: Rad V 0 = {~0}. Sei u0 ∈ Rad V 0 ⊂ V 0 und sei v ∈ V beliebig. Nach Voraussetzung gibt es eine Zerlegung v = v 0 + w mit v 0 ∈ V 0 und w ∈ Rad V . Es folgt hu0 , vi = hu0 , v 0 + wi = hu0 , v 0 i | {z } + =0, da u0 ∈Rad V 0 =0 =⇒ hu0 , wi | {z } =0, da w∈Rad V 0 u ∈ Rad V Insbesondere ist u0 ∈ (Rad V ) ∩ V 0 = {~0} . 13.5 Bestimmung des Ranges von MB (s) Sei dimK V = n und B = (v1 , . . . , vn ) eine Basis von V . Weiterhin sei s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , eine symmetrische oder eine schiefsymmetrische Bilinearform auf V . Dann können wir den Rang von hv1 , v1 i · · · hv1 , vn i .. MB (s) = ... . hvn , v1 i ··· hvn , vn i leicht mit Hilfe von 13.4 bestimmen. Satz. i) Rad V = {~0} ⇐⇒ MB (s) ∈ GLn (K) 7.6 ⇐⇒ rang MB (s) = n Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.5 Bestimmung des Ranges von MB (s) 53 ii) Es gibt eine Basis B 0 = (v10 , . . . , vn0 ) von V so, dass mit T := MB B0 (id) gilt t T · MB (s) · T = MB0 (s) = B 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 wobei B ∈ GLr (K) mit r = rang MB (s) . Beweis. zu i) Es ist Rad V der Kern der K-linearen Abbildung ( V −→ K % : V −→ HomK (V, K), v 7−→ w 7−→ hw, vi Also gilt Rad V = {~0} ⇐⇒ % injektiv ⇐⇒ % surjektiv. 4.4 4.8 ( 1 für i = j Sei C = (ϕ1 , . . . , ϕn ) die durch ϕi (vj ) = 0 für i 6= j Basis von HomK (V, K). Schreiben wir definierte %(vj ) = a1j ϕ1 + · · · + anj ϕn mit aij ∈ K dann folgt aus 5.4, dass MCB (%) = (aij ) ist. Es ist hvi , vj i = %(vj )(vi ) = a1j ϕ1 (vi ) + · · · + anj ϕn (vi ) = aij nach Definition von ϕi Also gilt MB (s) = MCB (%). Da rang MCB (%) = dimK bild(%) ist (vgl. 5.13), folgt nun % surjektiv ⇐⇒ rang MB (s) = n und damit i). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 54 13 Bilinearformen zu ii) Schreibe V = V 0 ⊥ Rad V wie in Satz 13.4 und bestimme eine Basis 0 B 0 = (v10 , . . . , vn0 ) von V so, dass (v10 , . . . , vm ) eine Basis von V 0 und 0 0 (vm+1 , . . . , vn ) eine Basis von Rad V ist. Dann folgt MB0 (s) = B 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 0 ... 0 .. .. . . 0 ... 0 mit B ∈ Mm×m (K) und passenden Nullblöcken. Nach i) ist rang B = m, da die Einschränkung von s auf V 0 nach 13.4 regulär ist. Also ist m = rang MB0 (s). Nach 13.1 und 13.2 ist MB0 (s) = t T · MB (s) · T . Hieraus folgt m = r , vgl. Aufgabe 35. 13.6 Dualitätssatz Satz (Dualitätssatz). Sei V ein endlich dimensionaler K-Vektorraum, und sei s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , eine symmetrische oder schiefsymmetrische Bilinearform, die nicht ausgeartet sei (d.h. für die Rad V = {~0} sei). Dann gelten für jeden Teilraum U von V 1. dimK V = dimK U + dimK U ⊥ 2. (U ⊥ )⊥ = U und Rad U = Rad(U ⊥ ) 3. Ist s|U ×U : U × U −→ K regulär, dann ist V = U ⊥U ⊥ , und auch die Einschränkung von s auf U ⊥ ist regulär. Lemma. Sei V ein K-Vektorraum und U ein Teilraum von V . Für f ∈ HomK (V, K) sei f |U : U −→ K die Einschränkung von f auf den Teilraum U . Dann ist die K-lineare Abbildung HomK (V, K) −→ HomK (U, K), f 7−→ f |U , surjektiv. Beweis des Lemmas. Sei g ∈ HomK (U, K), und sei U 0 ein zu U komplementärer Teilraum, also V = U ⊕ U 0 . Für f : U ⊕ U 0 −→ K, u + u0 7−→ g(u) folgt f |U = g . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.6 Dualitätssatz 55 Beweis des Dualitätssatzes. Zu 1. Es ist % : V −→ HomK (V, K), ( V −→ K v− 7 → w 7−→ hw, vi injektiv, da kern % = Rad V = {~0} ist, und also surjektiv nach 4.8. Sei |U % %0 : V −→ HomK (V, K) −→ HomK (U, K) Dann ist %0 nach dem Lemma surjektiv (da das Komposition surjektiver Abbildungen surjektiv ist), also dimK bild %0 = dimK HomK (U, K) = dimK U 5.5 Es ist kern %0 = {v ∈ V | hu, vi = 0 ∀u ∈ U } = U ⊥ . Es folgt dimK V = dimK |{z} U ⊥ + dimK U | {z } 4.7 kern %0 dimK bild %0 Zu 2. Es gelten U ⊂ (U ⊥ )⊥ , wie man der Definition von U ⊥ abliest, sowie dimK V − (dimK V − dimK U ) = dimK V − dimK U ⊥ = dimK (U ⊥ )⊥ . 1. 1. Also ist dimK U = dimK (U ⊥ )⊥ . Wegen U ⊂ (U ⊥ )⊥ folgt U = (U ⊥ )⊥ (vgl. 3.12). Dies ergibt Rad U = U ∩ U ⊥ = (U ⊥ )⊥ ∩ U ⊥ = Rad(U ⊥ ). Zu 3. Ist s auf U regulär, dann gilt U ∩ U ⊥ = {~0} , und mit 2.7 folgt U + U ⊥ = U ⊕ U ⊥ . Aus dem Dimensionssatz 3.13 ergibt sich dimK (U ⊕ U ⊥ ) = dimK U + dimK U ⊥ = dimK V 1. Da U ⊕ U ⊥ ein Teilraum von V ist, folgt U ⊕ U ⊥ = V nach 3.12. Die Summe ist orthogonal nach Definition von U ⊥ . Nach 2. gilt Rad U = Rad(U ⊥ ). Also ist mit U auch U ⊥ regulär. Bemerkung. Ist U ein ausgearteter Teilraum von V , so ist U ∩ U ⊥ 6= {~0}. Daher ist dann dimK V = dimK U + dimk U ⊥ > dimK (U + U ⊥ ) nach 1. und nach dem Dimensionssatz 3.13. Also ist dann V ) U + U ⊥ , und Aussage 2. gilt nicht. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 56 13.7 13 Bilinearformen Ein Gegenbeispiel Das Beispiel aus 9.4 wird uns hier als Gegenbeispiel dienen. Wie in 9.4 sei s : R2 × R2 −→ R, (v, w) 7−→ hv, wi , definiert durch hv, wi = x1 y1 − x2 y2 für v = (x1 , x2 ), w = (y1 , y2 ) ∈ R2 Dann ist s eine symmetrische Bilinearform. Sei B = {e1 , e2 } die Standardbasis von V = R2 . Dann ist he1 , e1 i he1 , e2 i 1 0 MB (s) = = he2 , e1 i he2 , e2 i 0 −1 Nach 13.5 i) ist s regulär, denn det MB (s) = −1 6= 0, also MB (s) ∈ GL2 (R). Sei u1 := 12 (e1 + e2 ) = ( 21 , 12 ), dann ist hu1 , u1 i = 0. Sei U := Ru1 := {λu1 | λ ∈ R} Dann ist s|U ×U nicht regulär, da U 6= {~0} und Rad U := {u ∈ U | hu, wi = 0 ∀w ∈ U } = U ∩ U ⊥ = U wegen hλu1 , µu1 i = λµhu1 , u1 i = 0 ∀λ, µ ∈ K gilt. • Ein Teilraum eines regulären Raumes braucht also nicht regulär zu sein. Wir verifzieren nun noch für den Teilraum U , dass zwar dimR U +dimR U ⊥ = 1 + 1 = dimR R2 ist (wie in 13.6.1 allgemein für reguläres V bewiesen), aber R2 ) U + U ⊥ gilt und damit 13.6.2 für U nicht erfüllt ist: Behauptung U ⊥ := {v ∈ R2 | hv, ui = 0 ∀ u ∈ U } = U Beweis. Es gilt U ⊥ ⊇ U , denn es ist hλu1 , µu1 i = λµhu1 , u1 i = 0. Zu zeigen: U ⊥ ⊆ U . Setzen wir u2 := e1 − e2 = (1, −1), dann bilden u1 , u2 eine Basis von R2 , und es gelten hu2 , u2 i = 0 und hu1 , u2 i = 12 + 12 = 1 . Sei v ∈ U ⊥ . Dann gilt v = λ1 u1 + λ2 u2 mit λ1 , λ2 ∈ R, da u1 , u2 eine Basis von R2 bilden und 0 = hv, u1 i = hλ1 u1 + λ2 u2 , u1 i = λ1 hu1 , u1 i +λ2 hu2 , u1 i | {z } | {z } =0 =1 = λ2 also v = λ1 u1 ∈ U . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.8 Hyperbolische Ebenen 13.8 57 Hyperbolische Ebenen Wir setzen hier voraus, dass 1 + 1 6= 0 in K gilt. Es sei V ein mindestens 2-dimensionaler K-Vektorraum, der mit einer symmetrischen oder schiefsymmetrischen Bilinearform s : V × V −→ K , (v, w) 7−→ hv, wi versehen sei. Ein Vektor u 6= ~0 in V heißt isotrop, falls hu, ui = 0. gilt. Satz. Sei V nicht ausgeartet, und es gebe einen isotropen Vektor u1 ∈ V . Dann gibt es einen Vektor u2 ∈ V so, dass hu1 , u1 i = 0 = hu2 , u2 i und hu1 , u2 i = 1 gilt. Die Vektoren u1 und u2 sind linear unabhängig, und der Raum H := Ku1 + Ku2 ist nicht ausgeartet. Beweis. Da V regulär ist, gibt es einen Vektor u ∈ V mit hu1 , ui 6= 0 . Setzen wir λ := hu1 , ui−1 und w := λu , so folgt hu1 , wi = 1 . Ist s schiefsymmetrisch, so ist nach der Bemerkung am Ende von 13.2 jeder Vektor 6= ~0 isotrop und wir setzen u2 = w. Ist s symmetrisch, so setzen wir u2 := µu1 + w mit µ := − 12 hw, wi und rechnen nach, dass hu2 , u2 i = 0 und hu1 , u2 i = 1 gilt. Es sind u1 und u2 linear unabhängig, denn wäre u1 = λu2 mit λ ∈ K, so wäre 1 = hu1 , u2 i = hλu2 , u2 i = λhu2 , u2 i = 0 . Es folgt dimK H = 2. Die Matrix von s|H×H bezüglich B = (u1 , u2 ) ist hu1 , u1 i hu1 , u2 i 0 1 = hu2 , u1 i hu2 , u2 i ±1 0 und also in GL2 (K). Nach 13.5 ist also H nicht ausgeartet. Definition. Man nennt zwei isotrope Vektoren u1 , u2 ∈ V mit hu1 , u2 i = 1 ein hyperbolisches Paar und den Raum H := Ku1 + Ku2 eine hyperbolische Ebene. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 58 13 Bilinearformen Beispiel. Sei s : R2 × R2 −→ R, (v, w) 7−→ hv, wi , definiert durch hv, wi = x1 y1 − x2 y2 für v = (x1 , x2 ), w = (y1 , y2 ) ∈ R2 wie in 13.8. Dann bilden u1 = ( 12 , 12 ) und u2 = (1, −1) ein hyperbolisches Paar, und H = Ru1 + Ru2 ist eine hyperbolische Ebene. 13.9 Symplektische Räume Sei 1 + 1 6= 0 in K, und sei V ein K-Vektorraum, der mit einer schiefsymmetrischen Bilinearform s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi versehen sei. Es gilt dann hv, vi = 0 ∀v ∈ V und man nennt V einen symplektischen Raum. Die schiefsymmetrische Bilinearform s wird ebenfalls als symplektisch oder auch als alternierend bezeichnet. Satz. Sei V ein endlich dimensional. Dann ist V = H1 ⊥ · · · ⊥Hm ⊥L1 ⊥ · · · ⊥Lk mit hyperbolischen Ebenen Hi und isotropen Geraden Lj . Es ist U := H1 ⊥ · · · ⊥Hm regulär und Rad V = L1 ⊥ · · · ⊥Lk das Radikal von V . Hierbei ist mit einer isotropen Geraden ein 1-dimensionaler Teilraum L = Ku mit hu, ui = 0 gemeint. Folgerung. Jeder reguläre symplektische Raum V ist orthogonale Summe von hyperbolischen Ebenen, und es ist dimK V = 2m eine gerade Zahl. Beweis des Satzes. Sei U 6= {~0} ein orthogonal unzerlegbarer Teilraum von V , d.h. U lässt sich nicht darstellen als U = U1 ⊥U2 mit echten Teilräumen U1 , U2 . s|U ×U = 0 In diesem Fall ist jede Zerlegung von U in eine direkte Summe von Teilräumen trivialerweise orthogonal. Da U aber orthogonal unzerlegbar ist, muss dimK U = 1 gelten. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.9 Symplektische Räume 59 s|U ×U 6= 0 In diesem Fall ist U regulär, da es sonst eine orthogonale Zerlegung U = U 0 ⊥ Rad(U ) geben würde (vgl. 13.4) und U unzerlegbar ist. Da s symplektisch ist, ist insbesondere jeder Vektor 6= ~0 in U isotrop, und wir finden eine hyperbolische Ebene H = Ku1 + Ku2 in U gemäß 13.8. Da s|H×H regulär ist, gilt U = H⊥H ⊥ nach 13.6. Hieraus folgt H ⊥ = {~0}, da U orthogonal unzerlegbar ist. Es ist also U = H eine hyperbolische Ebene. Sei nun V = V 0 ⊥ Rad V ein Zerlegung von V gemäß Satz 13.4. Dann ist s|V 0 ×V 0 regulär (insbesondere 6= 0), und wir finden eine hyperbolische Ebene H1 , wobei s|H1 ×H1 regulär ist. Nach dem Dualitätssatz 13.6 gilt V 0 = H1 ⊥ H1⊥ |{z} :=V 00 und s|V 00 ×V 00 ist regulär. So fortfahrend erhalten wir eine Zerlegung V 0 = H1 ⊥ · · · ⊥Hm mit hyperbolischen Ebenen Hi . Nach Definition ist s|Rad V ×Rad V = 0 und wir spalten eine (unzerlegbare) isotrope Gerade ab Rad V = L1 ⊕ Ṽ Trivialerweise ist die Zerlegung sogar orthogonal und s|Ṽ ×Ṽ = 0. So fortfahrend erhalten wir eine Zerlegung Rad V = L1 ⊥ · · · ⊥Lk Analog wie in 10.1 ist eine Isometrie definiert als eine bijektive, K-lineare Abbildung f : V −→ W , die hv, v 0 i = hf (v), f (v 0 )i für alle v, v 0 ∈ V erfüllt. Wir können nun die regulären symplektischen Räume bis auf Isometrie klassifizieren: Korollar. Sei 1 + 1 6= 0 in K. Seien V , W endlich dimensionale K-Vektorräume, die jeweils mit einer regulären schiefsymmetrischen Bilinearform ausgestattet seien. Dann gilt V und W sind isometrisch ⇐⇒ dimK V = dimK W Zu jeder geraden positiven Zahl 2m gibt es also bis auf Isometrie genau einen regulären symplektischen K-Vektorraum der Dimension 2m. Reguläre symplektische Räume ungerader Dimension gibt es nicht. Beweis. =⇒ klar nach dem Klassifikationssatz 4.6 für endlich dimensionale Vektorräume. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 60 13 Bilinearformen 0 ⇐= Es ist V = H1 ⊥ · · · ⊥Hm und W = H10 ⊥ · · · ⊥Hm mit hyperbolischen 0 Ebenen Hi , Hi nach dem Satz, den wir gerade bewiesen haben. Sei (ui , vi ) eine Basis von Hi , wobei ui , vi isotrop und hui , vi i = 1. Wähle analoge Basis (u0i , vi0 ) von Hi0 für i = 1, . . . , m. Dann ist f : V −→ W, ui 7−→ u0i , vi 7−→ vi0 eine Isometrie. Der Rest folgt ebenfalls aus dem Satz. 13.10 Normalform schiefsymmetrischer Matrizen Wir setzen voraus, dass 1 + 1 6= 0 in K ist. Satz. Ist A ∈ GLn (K) und A schiefsymmetrisch (d.h. tA = −A), so ist n = 2m gerade und es gibt eine Matrix T ∈ GLn (K) so, dass 0 Em t T AT = −Em 0 gilt, wobei Em ∈ Mm×m (K) die Einheitsmatrix bezeichne. Beweis. Sei V ein n-dimensionaler K-Vektorraum und B eine Basis von V . Dann ist A = MB (s) nach 13.2 mit einer schiefsymmetrischen Bilinearform s auf V . Nach 13.5 i) ist s regulär. Nach 13.9 folgt V = H1 ⊥ · · · ⊥Hm mit hyperbolischen Ebenen Hi und Basen Bi = (vi , wi ) mit hvi , vi i = 0 = hwi , wi i und hvi , wi i = 1 für i = 1, . . . , m Für B 0 := (v1 , . . . , vm , w1 , . . . , wm ) gilt 0 MB0 (s) = −Em Em 0 und mit T := MB B0 (id) folgt die Behauptung, vgl 13.2. 13.11 Orthogonalbasen Sei 1 + 1 6= 0 in K. Es sei nun V ein n-dimensionaler K-Vektorraum, der mit einer symmetrischen Bilinearform s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi versehen sei. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.11 Orthogonalbasen 61 Satz. 1. V besitzt eine orthogonale Zerlegung V = L1 ⊥ · · · ⊥Ln in 1-dimensionale Teilräume L1 , . . . , Ln . 2. V besitzt eine Orthogonalbasis, das ist eine Basis B = (v1 , . . . , vn ) mit vi ⊥vj für alle i 6= j (d. h. mit hvi , vj i = 0 für alle i 6= j). 3. Es gibt eine Basis B von V so, dass a1 MB (s) = 0 .. . 0 0 .. . 0 .. . ··· ··· ··· .. . .. . 0 ··· ··· ··· 0 .. . 0 .. . 0 am 0 .. . 0 0 ··· 0 .. .. . . .. .. . . 0 ··· 0 0 ··· 0 .. .. . . 0 ··· 0 mit aj 6= 0 für alle j = 1, . . . , m, und es ist m = n − dimK Rad V . Beweis. Zu 1. Wir zeigen zunächst, dass jeder orthogonal unzerlegbare Teilraum U von V eindimensional ist. s|U ×U = 0 Dann ist dimK U = 1 wie im Beweis von Satz 13.9. s|U ×U 6= 0 Dann ist U regulär, (denn sonst gäbe es eine Zerlegung U = U 0 ⊥ Rad U nach 13.4). Es gibt ein u ∈ U mit hu, ui 6= 0, denn angenommen hu, ui = 0 für alle u ∈ U , dann folgt 0 = hu + v, u + vi = hu, ui +hu, vi + hv, ui + hv, vi | {z } | {z } 0 0 = 2hu, vi ∀u, v ∈ U Dann ist aber hu, vi = 0 ∀u, v ∈ U , also s|U ×U = 0 im Widerspruch zur Voraussetzung. Sei also u ∈ U mit hu, ui 6= 0. Dann ist L := Ku ein regulärer Teilraum und nach dem Dualitätssatz 13.6 gilt U = L⊥L⊥ . Da U unzerlegbar ist, folgt L⊥ = {~0} und also dimK U = 1. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 62 13 Bilinearformen 13.4 Es ist V = V 0 ⊥ Rad V , wobei V 0 regulär ist. Induktiv erhalten wir dann Zerlegungen (analog wie im Beweis von 13.9) V 0 = L1 ⊥ · · · ⊥Lm und Rad V = Lm+1 ⊥ · · · ⊥Ln Zu 2., 3. Sei B = (u1 , . . . , un ) so gewählt, dass Li = Kui ist, dann gilt huj , uj i =: aj 6= 0 für j = 1, . . . , m huj , uj i = 0 für j = m + 1, . . . , n hui , uj i = 0 für alle i 6= j und die Behauptungen 2. und 3. folgen nach Definition 13.1 von MB (s) und da n = dimK V 0 + dimK Rad V = m + dimK Rad V nach dem Dimensionssatz 3.13 gilt. Bemerkung. Es sei 1 + 1 6= 0 in K. Ferner sei V endlich dimensional und mit einer regulären symmetrischen Bilinearform s : V × V −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi versehen. Dann gibt es eine orthogonale Zerlegung V = H1 ⊥ . . . ⊥Hr ⊥Van mit r hyperbolischen Ebenen H1 , . . . , Hr und einem anisotropen Raum Van , in dem kein Vektor isotrop ist. Die Zahl r und bis auf Isometrie der Raum Van sind durch V und s eindeutig bestimmt. Zum Beweis. Die Eindeutigkeitsaussage folgt aus dem sog. Kürzungssatz von Witt, den man in Büchern über quadratische Formen findet, vgl. auch 7.9 in [19]. Die Zerlegung selbst ergibt sich aus 13.8. Besitzt V einen isotropen Vektor u1 , so gibt es eine hyperbolische Ebene H = Ku1 + Ku2 . Da H regulär ist, ist V = H⊥H ⊥ nach 13.6, und man kann per Induktion H ⊥ zerlegen, sofern nicht H ⊥ schon anisotrop ist. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.12 Folgerung für symmetrische Matrizen 13.12 63 Folgerung für symmetrische Matrizen Satz. Es sei 1+1 6= 0 in K. Zu jeder symmetrischen Matrix A ∈ Mn×n (K) gibt es eine Matrix T ∈ GLn (K) so, dass a1 t T ·A·T = 0 .. . 0 0 .. . 0 .. . ··· ··· ··· .. . .. . 0 ··· ··· ··· 0 .. . 0 .. . 0 am 0 .. . 0 0 ··· 0 .. .. . . .. .. . . 0 ··· 0 0 ··· 0 .. .. . . 0 ··· 0 mit ai 6= 0 für alle i = 1, . . . , m gilt. Beweis. Sei V ein n-dimensionaler K-Vektorraum, und sei B eine Basis von V . Nach 9.3 gibt es genau eine symmetrische Bilinearform s auf V so, dass A = MB (s) gilt. Wähle B 0 gemäß 13.11 3. und setze T := MB B0 (id). Dann folgt die Behauptung, da MB0 (s) = t T MB (s) T nach 9.4 gilt. 13.13 Trägheitssatz von Sylvester Sei nun K = R. Dann kann man den Satz 13.11 verschärfen. Zunächst können die Einträge hvi , vi i = ai in der Matrix zu 1 oder −1 normiert √ werden: Ist ai > 0, so sei ci = √ ai , und der Vektor vi0 = c−1 i vi erfüllt 0 0 hvi , vi i = +1. Ist ai < 0, so sei ci = −ai , und der Vektor vi0 = c−1 i vi erfüllt hvi0 , vi0 i = −1. Man kann dann noch die Reihenfolge der Basiselemente so ändern, dass die Matrix bezüglich der normierten Orthogonalbasis B 0 die Gestalt hat 0 0 Er + −Er− 0 MB0 (s) = 0 0 0 0r0 Hierbei bezeichnet r+ die Anzahl der Diagonaleinträge, die gleich +1 sind, r− die Anzahl der Diagonaleinträge, die gleich −1 sind, und r0 die Anzahl der Diagonaleinträge, die gleich 0 sind. Wie üblich ist Er die r × rEinheitsmatrix. Es ist n = r+ + r− + r0 , und die Nullen stehen für Nullmatrizen passenden Formats. Der Trägheitssatz von Sylvester sagt aus, dass die Zahlen r+ , r− , r0 eindeutig durch die Bilinearform s bestimmt sind. Die Eindeutigkeitsaussage ergibt sich aus dem folgenden Satz. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 64 13 Bilinearformen Satz (Trägheitssatz von Sylvester). Sei V ein n-dimensionaler R-Vektorraum, und sei s : V × V −→ R , (v, w) 7−→ hv, wi , eine symmetrische Bilinearform auf V . Dann gibt es eine Zerlegung V = U + ⊥ U − ⊥ Rad V wobei s auf U + positiv definit, auf U − negativ definit (d.h. hv, vi < 0 für v ∈ U − \ {~0}) und auf Rad V gleich 0 ist. Ist V = V + ⊥ V − ⊥ Rad V eine weitere solche Zerlegung, so ist r+ := dimR U + = dimR V + und r− := dimR U − = dimR V − . Beweis. Satz 13.4 erlaubt es uns, zunächst das Radikal abzuspalten und für den Beweis anzunehmen, dass V nicht ausgeartet ist. Sei U + ein maximal positiv definiter Teilraum von V , das ist ein Teilraum mit den Eigenschaften 1. hu, ui > 0 für u ∈ U + \ {~0} 2. Für alle v ∈ V \ U + ist s|(U + +Kv)×(U + +Kv) nicht positiv definit. Sei U − := (U + )⊥ = {v ∈ V | hv, ui = 0 ∀u ∈ U + }. Da s|U + ×U + positiv definit ist, ist U + regulär. Nach 13.6 folgt V = U + ⊥ (U + )⊥ Angenommen es gibt v ∈ U − mit hv, vi > 0. Dann ist s auf U + ⊕ Rv positiv definit im Widerspruch zur Maximalität von U + , denn für alle λ ∈ R, u ∈ U + gilt dann hu + λv, u + λvi = hu, ui +2λ | {z } >0 hu, vi | {z } =0, da v∈(U + )⊥ +λ2 hv, vi | {z } >0 >0 Also ist hv, vi 6 0 für alle v ∈ U − . Ist hw, wi = 0 für ein w ∈ U − , so gilt für alle v ∈ U − und alle λ ∈ R, dass 0 > hw + λv, w + λvi = hw, wi +2λhv, wi + λ2 hv, vi | {z } | {z } =0 60 Es folgt hv, wi = 0 für alle v ∈ U − (andernfalls erhält man einen Widerspruch, da λ ∈ R beliebig), also ist w ∈ Rad U − . Es folgt w = ~0, da s nach 13.6 regulär auf U − ist. Also ist s auf U − negativ definit. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.13 Trägheitssatz von Sylvester 65 Sei V = V + ⊥V − eine zweite Zerlegung. Dann ist nach 13.6 dimR V − = n − dimR V + Angenommen: dimR V + < dimR U + . Dann folgt n < dimR U + + n − dimR V + = dimR U + + dimR V − = dimR (U + + V − ) + dimR (U + ∩ V − ) 3.13 = dimR (U + + V − ), da U + ∩ |{z} V − = {~0} |{z} pos. def. 6n neg. def. Widerspruch Es folgt dimR V + = dimR U + (der Fall dimR U + < dimR V + ist analog). Bezeichnungen r− heißt Trägheitsindex (r+ , r− , r0 ) heißt Signatur . (Dabei ist r0 = dimR Rad V ) Min(r+ , r− ) heißt Isotropieindex von V bezüglich s (das ist die Anzahl der hyperbolischen Ebenen in V ). Beispiele. Sei V regulär, also r0 = 0. 1. r+ = n =⇒ V euklidisch 2. r+ = 1, r− = 1 ⇐⇒ V ist eine hyperbolische Ebene Beweis. =⇒ Nach Voraussetzung gibt es eine Basis B = (v1 , v2 ) von V mit hv1 , v1 i = 1, hv1 , v2 i = 0 = hv2 , v1 i und hv2 , v2 i = −1. Setze u1 = 12 (v1 + v2 ) und u2 = v1 − v2 . Dann bilden u1 , u2 ein hyperbolisches Paar. ⇐= Sei V = Ru1 + Ru2 mit hu1 , u1 i = 0 = hu2 , u2 i und hu1 , u2 i = 1 = hu2 , u1 i. Setze B = (v1 , v2 ) mit v1 = 12 u1 + u2 und v2 = 12 u1 − u2 . Dann ist hv1 , v1 i hv1 , v2 i 1 0 MB (s) := = hv2 , v1 i hv2 , v2 i 0 −1 3. r+ = 3 und r− = 1, dann heißt V Minkowski-Raum. (Hier spielt sich die spezielle Relativitätstheorie ab.) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 66 13 Bilinearformen Korollar. Seien V , W zwei endlich dimensionale R-Vektorräume mit orthogonaler Geometrie (d.h. sie seien jeweils mit einer symmetrischen Bilinearform sV : V × V −→ R und sW : W × W −→ R versehen). Dann gilt V und W sind isometrisch ⇐⇒ V und W haben die gleiche Signatur Insbesondere gibt es auf einem n-dimensionalen R-Vektorraum V bis auf Isometrie genau n + 1 verschiedene reguläre orthogonale Geometrien. Beweis. Die Äquivalenz folgt aus der Existenz von normierten Orthogonalbasen, wie am Anfang dieses Abschnitts ausgeführt, und dem Trägheitssatz von Sylvester. Sei (r+ , r− , r0 ) die Signatur von V . Da V regulär ist, ist r0 = 0. Dann verbleiben für r+ und r− die n + 1 Möglichkeiten (0, n), (1, n − 1), . . . , (n, 0). Lernerfolgstest. • Was ist die Länge von Vektoren in der symplektischen Geometrie? • Geben Sie ein Beispiel für eine nicht-positiv definite symmetrische Bilinearform Rn × Rn −→ R • Erläutern Sie den Begriff des Radikals einer symmetrischen Bilinearform auf einem endlich dimensionalen K-Vektorraum V und bringen Sie diesen in Zusammenhang mit dem Dualraum HomK (V, K). • Wie lauten die Klassifikationsergebnisse für reguläre orthogonale Geometrien über R und reguläre symplektische Geometrien über einem Körper, in dem 1 + 1 6= 0 ist. Warum und in welchem Zusammenhang wurde die Voraussetzung 1 + 1 6= 0 an K gestellt? 13.14 Übungsaufgaben 84 – 88 Aufgabe 84. Für v = (x1 , x2 , x3 ), w = (y1 , y2 , y3 ) aus R3 sei hv, wi := 3x1 y2 + 4x1 y3 − 3x2 y1 − x2 y3 − 4x3 y1 + x3 y2 . Dies definiert eine schiefsymmetrische Bilinearform s : R3 × R3 → R, (v, w) 7→ hv, wi . Man bestimme die Matrizen MB (s) und MB0 (s) bezüglich der Basen 1 3 B = {(1, 0, 0), (0, 1, 0), (0, 0, 1)} und B 0 = {(0, 0, 1), (0, 1, 0), ( , 1, − )} 4 4 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 13.14 Übungsaufgaben 84 – 88 67 Aufgabe 85. Es sei R4 versehen mit dem Standard-Skalarprodukt, und es sei f : R4 → R4 für x = (x1 , x2 , x3 , x4 ) ∈ R4 definiert durch f (x) = (x1 +x2 +x3 +x4 , x1 +x2 +x3 +x4 , x1 +x2 −x3 −x4 , x1 +x2 −x3 −x4 ) Man bestimme eine Orthogonalbasis von kern(f ) und ergänze diese zu einer Orthogonalbasis von R4 . Aufgabe 86. Es sei K der in 1.4 definierte Körper mit zwei Elementen 0, 1, und es sei s : K 2 × K 2 −→ K, (v, w) 7−→ hv, wi , definiert durch hv, wi = x1 y2 + x2 y1 für v = (x1 , x2 ) und w = (y1 , y2 ) aus K 2 1. Man zeige, dass s eine reguläre symmetrische Bilinearform ist. 2. Man entscheide, ob K 2 eine Orthogonalbasis besitzt. (Dabei ist eine Orthogonalbasis eine Basis (~x, ~y ) von K 2 so, dass h~x, ~xi = 1 = h~y , ~y i und h~x, ~y i = 0 = h~y , ~xi gilt.) 3. Man bestimme die Bahnen der folgenden Rechts-Operation M2×2 (K) × GL2 (K) −→ M2×2 (K), (A, T ) 7−→ t T AT von GL2 (K) auf M2×2 (K). Aufgabe 87. Es sei V = M2×2 (R). Dann bilden die Matrizen 1 0 0 1 0 0 0 ~e11 = , ~e12 = , ~e21 = , ~e22 = 0 0 0 0 1 0 0 0 1 die Standardbasis von V . Sei s : V × V −→ R, (A, B) 7−→ hA, Bi definiert durch hA, Bi = Spur(A · B) für alle A, B ∈ V 1. 2. 3. 4. Man Man Man Man zeige, dass s eine symmetrische Bilinearform ist. bestimme die Matrix MB (s) für die Standardbasis B von V . bestimme eine Orthogonalbasis von V . bestimme die Signatur von s . (Allgemein bezeichnet man als Spur einer n × n-Matrix die Summe ihrer Diagonalelemente.) Aufgabe 88. Es seien V und s definiert wie in Aufgabe 85, und es sei U der durch U := {A ∈ V | Spur(A) = 0} definierte Teilraum von V . Man bestimme die Signatur von s|U ×U : U × U −→ R . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 68 14 14 Normalformen von Matrizen Normalformen von Matrizen Sei 1 + 1 6= 0 in K. Wie aus der Tabelle ersichtlich, haben wir schon einige Normalformen kennengelernt, mit Ausnahme der Jordan-Normalform. Relation B ∼ A B = S −1 AT mit S, T ∈ GLn (K) B = t T AT mit T ∈ GLn (K) und A, B symmetrisch A, B ∈ GLn (R) Normalform Er 0 0 0 Invarianten r = rang A vgl. 5.10 Rang, Dimension und weitere Diagonalmatrix vgl. 13.11.3 Er + 0 0 −Er− vgl. 13.13 Signatur vgl. 13.13 B = t T AT mit T ∈ GLn (K) und A, B schiefsymmetrisch A, B ∈ GLn (K) 0 −Em Em 0 B = T −1 AT mit T ∈ GLn (K) vgl. 5.9 ∃ Kriterien für Trigonalisierbarkeit, Diagonalisierbarkeit vgl. 8.10, 8.3, 8.8 Für K = C B = t T AT mit T ∈ On (R) und A, B ∈ Mn×n (R) symmetrisch vgl. 10.3.2 Jordan-Normalform λ1 0 · · · 0 . 0 . . . . . . .. . . .. ... 0 .. B = t T AT mit T ∈ Un (C) und A, B ∈ Mn×n (C) hermitesch vgl. 10.3.3 0 λ1 0 . .. 0 ··· 0 .. . .. . ··· 0 λn ··· 0 . .. . .. .. . 0 0 λn n = 2m vgl. 13.10 Rang char. Polynom Eigenwerte mit Vielfachheit Dimension von Eigenräumen λ1 , . . . , λ n Eigenwerte mit Vielfachheit vgl. 9.12.a λ1 , . . . , λ n ∈ R Eigenwerte mit Vielfachheit vgl. 9.12.b Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14.1 Satz über die Jordansche Normalform 69 Die folgende Herleitung des Satzes über die Jordansche Normalform ist von Charlotte Wahl, die als Assistentin den AGLA-Kurs 1999/2000, aus dem dieser Universitätsdruck entstanden ist, begleitet hat. 14.1 Satz über die Jordansche Normalform Sei V ein endlich dimensionaler K-Vektorraum. Theorem. Sei f : V → V eine K-lineare Abbildung. Das charakteristische Polynom χf (x) von f zerfalle in Linearfaktoren. Dann gibt es eine Basis B von V so, dass λi 1 0 J1 0 .. .. . . B . . MB (f ) = . mit Ji = . .. 1 Jk 0 0 λi ist, dabei ist λi ein Eigenwert von f . Die Matrix MB B (f ) heißt Jordansche Normalform von f . Die Ji heißen Jordankästchen. Bis auf Permutation der Jordankästchen ist die Jordansche Normalform eindeutig bestimmt. Bemerkung. Zu einem Eigenwert λ können mehrere Jordankästchen gehören. Die Anzahl der Jordankästchen zu λ ist gleich der Dimension des Eigenraums von λ. Nach 8.10 existiert die Jordansche Normalform für alle trigonalisierbaren Endomorphismen, insbesondere für alle Endomorphismen von endlich dimensionalen komplexen Vektorräumen. Da die Jordansche Normalform eine obere Dreiecksmatrix ist, ist die Trigonalisierbarkeit eine notwendige Bedingung. Beispiele (für Jordansche Normalformen). 3 1 3 0 3 0 , , • 0 3 0 3 0 4 • Bei 2 0 0 0 0 0 2 1 0 2 0 0 0 0 0 4 gibt es zwei Jordankästchen zu 2. Die Standardbasisvektoren e1 und e2 sind Eigenvektoren zu 2, und es ist e4 Eigenvektor zu 4. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 70 14 Normalformen von Matrizen • Bei Diagonalmatrizen handelt es sich um Jordansche Normalformen. Der Beweis des Satzes erstreckt über die folgenden Abschnitte 14.2, 14.3, 14.4 und 14.5. 14.2 Teilbarkeitseigenschaft des charakteristischen Polynoms Lemma. Sei f : V −→ V eine K-lineare Abbildung, und sei U ⊂ V ein unter f stabiler Untervektorraum, d.h. es gelte f (U ) ⊂ U . Dann teilt das charakteristische Polynom von f |U : U −→ U das charakteristische Polynom von f : V −→ V Beweis. Sei BU eine Basis von U . Ergänze diese zu einer Basis BV von V . Sei dim U =: n und dim V − dim U =: m. Wegen f (U ) ⊂ U ist dann M11 M12 BV MBV (f ) = 0 M22 mit M11 = MBBUU (f |U ) ∈ Mn×n (K), M22 ∈ Mm×m (K), M12 ∈ Mn×m (K). Dann gilt für das charakteristische Polynom von f nach der Kästchenregel det(MBBVV (f ) − xEm+n ) = det(M11 − xEn ) det(M22 − xEm ) 7.9 Das charakteristische Polynom von f |U ist gerade det(M11 − xEn ). 14.3 Satz von Cayley-Hamilton Satz (Cayley-Hamilton). Pn Sei f : V −→ V und sei χf (x) = i=0 ai xi das charakteristische Polynom von f . Dieses zerfalle Pnin Linearfaktoren. Dann gilt χf (f ) := i=0 ai f i = 0, wobei f 0 := id. Qn Beweis. Sei dim V = n. Sei χf (x) = i=1 (λi − x). Dann ist χf (f ) = n Y (λi − f ). i=1 Sei fi := (λi − f ). Nach 8.10 gibt es eine Basis B von V so, dass MBB (f ) eine obere Dreiecksmatrix mit Diagonalelementen λi ist. Sei Ui der von den ersten i Basisvektoren aufgespannte Teilraum von V , sei U0 = 0. Dann gilt f (Ui ) ⊂ Ui . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14.4 Verallgemeinerte Eigenräume 71 Für den i-ten Basisvektor vi gilt fi (vi ) = (λi − f )(vi ) ∈ Ui−1 , da die Matrix MBB (λi − f ) eine obere Dreiecksmatrix ist, deren i-tes Diagonalelement verschwindet. Also gilt fi (Ui ) ⊂ Ui−1 . Aus χf (f ) = f1 ◦ f2 . . . ◦ fn und Un = V folgt χf (f )(V ) ⊂ U0 = 0 Bemerkung. Der Satz gilt auch für nicht trigonalisierbare Endomorphismen. Wir werden ihn aber nur in der obigen Form weiter anwenden. 14.4 Verallgemeinerte Eigenräume Folgendes Lemma entnehmen wir ohne Beweis der Algebra (vgl. zum Beispiel 8.3 und 8.4 in [13]): Lemma. Seien p1 , . . . , pk Polynome aus K[x], und es gebe kein Polynom vom Grad > 1, das alle diese Polynome teilt. Dann gibt es Polynome h1 , . . . , hk ∈ K[x] Pk so, dass i=1 hi pi = 1 . Satz. Sei f : V −→ V ein Endomorphismus,Qund das charakteristische Polyk nom χf (x) von f zerfalle, d.h. χf (x) = i=1 (λi − x)ri , wobei die λi ∈ K paarweise verschieden seien. Sei Vi := kern(λi − f )ri . Dann gelten 1) V = V1 ⊕ . . . ⊕ Vk 2) f (Vi ) ⊂ Vi für alle i = 1, . . . , k 3) dimK Vi = ri für alle i = 1, . . . , k Beweis. 1) Sei χf (x) für i = 1, . . . , k (λi − x)ri Die Polynome gi haben keinen gemeinsamen Teiler vom Grad > 1. Es k P gibt also Polynome h1 , . . . , hk so, dass gi hi = 1 ist. Daraus folgt gi (x) = i=1 k P gi (f ) ◦ hi (f ) = id und daher i=1 k X bild(gi (f ) ◦ hi (f )) = V i=1 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 72 14 Normalformen von Matrizen Wegen (λi − f )ri ◦ gi (f ) ◦ hi (f ) = χf (f ) ◦ hi (f ) = 0 ◦ hi (f ) = 0 folgt 14.3 bild(gi (f ) ◦ hi (f )) ⊂ Vi = kern(λi − f )ri also Pk i=1 Vi = V . In 3) wird gezeigt, dass die Summe direkt ist. 2) Die Behauptung folgt aus (λi − f )ri (f (vi )) = f ((λi − f )ri (vi )) = 0 für ein beliebiges vi ∈ Vi . 3) Das charakteristische Polynom q(x) von f |Vi teilt χf (x) nach 2) und 14.2. Das Polynom q(x) zerfällt also in Linearfaktoren. Sei µ Nullstelle von q(x), dann ist µ Eigenwert von f |Vi , vgl. 8.6. Sei v ∈ Vi ein zugehöriger Eigenvektor. Aus 0 = (λi − f )ri (v) = (λi − µ)ri (v) folgt µ = λi . Daher gilt q(x) = (λi − x)` . Das Polynom q(x) teilt χf (x), somit ist der Grad von q(x) kleiner oder gleich ri . Dieser ist gleich der Pk Dimension von Vi , also dimK Vi 6 ri . In 1) wurde i=1 Vi = V gezeigt, was bedeutet k X i=1 ri ≥ k X i=1 dimK Vi ≥ dimK V = k X ri . i=1 Damit muss dimK Vi = ri gelten, und außerdem folgt dimK V. Dies zeigt, dass die Summe der Vi direkt ist. Pk i=1 dimK Vi = Bemerkung. Der Untervektorraum Vi heißt verallgemeinerter Eigenraum oder Hauptraum zum Eigenwert λi . Für Sk Matrizen bedeutet der Satz: Ist Bi eine Basis von Vi , dann ist B = i=1 Bi eine Basis von V , und es gilt λ1 ∗ 0 .. . λ1 0 B . . MB (f ) = . λk ∗ .. . 0 0 λk Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14.5 Normalform nilpotenter Endomorphismen 73 Es ist also MB B (f ) = D+N mit einer Diagonalmatrix D = diag(D1 , . . . , Dk ), für die gilt Di = diag(λi , . . . , λi ) ∈ Mri ×ri (K), und einer nilpotenten Matrix N , für die gilt N dimK V = 0 und DN = N D. Es bleibt noch zu zeigen, dass man die Basen Bi so wählen kann, dass die nilpotente Matrix die gewünschte Form hat. Dies ist die Aussage des folgenden Satzes, angewandt auf den nilpotenten Endomorphismus (f |Vi − λi ) : Vi −→ Vi 14.5 Normalform nilpotenter Endomorphismen Satz. Sei u : V −→ V nilpotent, d.h. es gebe ein k ∈ gibt es eine Basis B von V so, dass 0 MB B (u) = 0 ∗ .. . .. . .. . N so, dass uk = 0. Dann 0 mit ∗ ∈ {0, 1} ∗ 0 Beweis. Sei q ∈ N minimal mit uq+1 = 0 und u0 := id. Sei Ei := kern ui , i = 0, . . . , q + 1. Für v ∈ Ei+1 gilt ui (u(v)) = ui+1 (v) = 0 und damit u(v) ∈ Ei . Wir erhalten u(Ei+1 ) ⊂ Ei . Der Raum Ei ist im Raum Ei+1 enthalten; wir behaupten, dass er sogar ein echter Teilraum von Ei+1 ist: Wir nehmen an, dass für ein i die Räume Ei und Ei+1 gleich sind. Für alle x ∈ V gilt: ui+1 uq−i (x) = 0. Daraus folgt uq−i (x) ∈ Ei+1 , also uq−i (x) ∈ Ei , und daher uq (x) = ui uq−i (x) = 0. Es ist also uq = 0 im Widerspruch mit der Definition von q. Die Räume Ei bilden eine Fahne 0 = E0 ( E1 ( E2 . . . Eq ( Eq+1 = V. Hilfssatz Sei F ∈ V ein Untervektorraum, für den für ein i > 0 gilt: F ∩ Ei = {~0}. Dann folgt: 1) u(F ) ∩ Ei−1 = {~0} 2) u|F : F −→ u(F ) ist ein Isomorphismus. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 74 14 Normalformen von Matrizen Beweis. 1) Sei y ∈ F so, dass u(y) ∈ Ei−1 . Dann ist ui−1 (u(y)) = 0, also y ∈ Ei und damit y = 0 nach Voraussetzung. 2) Injektivität: Sei v ∈ (kern u) ∩ F . Dann ist v ∈ E1 ⊂ Ei , also v = 0. Induktiv konstruieren wir eine Folge von Untervektorräumen Ui für i = 1, . . . , q + 1 so, dass gilt: Ui ⊕ Ei−1 = Ei u(Ui ) ⊂ Ui−1 u|Ui : Ui → Ei−1 ist injektiv Wir wählen zunächst Uq+1 so, dass Eq ⊕Uq+1 = V gilt. Es ist u(Uq+1 ) ⊂ Eq , und wegen Uq+1 ∩ Eq = {~0} gilt nach dem Hilfssatz u(Uq+1 ) ∩ Eq−1 = {~0}, und u|Uq+1 : Uq+1 → Eq ist injektiv. Der Raum Uq+1 genügt damit den obigen Bedingungen. Sei nun Ui+1 wie verlangt, d.h. insbesondere u(Ui+1 ) ⊂ Ei und u(Ui+1 ) ∩ Ei−1 = {~0}. Wir können dann den Raum Ui ⊂ Ei so wählen, dass er u(Ui+1 ) enthält und ein Komplement zu Ei−1 in Ei ist. Nach dem Hilfssatz hat Ui die gewünschten Eigenschaften. Diese Eigenschaften und die Tatsache, dass die direkte Summe der Ui den ganzen Raum V ergibt, nutzen wir im folgenden aus, um uns eine geeignete Basis von V zu konstruieren. Da u : Ui+1 → Ui injektiv ist, können wir induktiv für jedes i eine Basis Bi von Ui so finden, dass u(Bi+1 ) ⊂ Bi ist. Die Vereinigung B dieser Basen ist eine Basis von V . Wir ordnen die Basisvektoren aus B so um, dass für zwei aufeinanderfolgende Basisvektoren vk−1 , vk gilt: Ist vk ∈ Bi , i 6= 1, dann sei vk−1 = u(vk ) ∈ Bi−1 . Also gilt u(vk ) = vk−1 für vk ∈ / B1 und u(vk ) = 0 für vk ∈ B1 . Die Matrix MB B (u) hat somit die verlangte Form. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14.6 Anwendungen der Jordanschen Normalform 14.6 75 Anwendungen der Jordanschen Normalform Physik Lösen von homogenen linearen Differentialgleichungen erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Sei K = C, A ∈ Mn×n (C) und y0 ∈ Cn . Gesucht wird eine differenzierbare Funktion y : R −→ Cn mit d y(t) = Ay(t) und y(0) = y0 dt Für n = 1 ist y(t) = eAt y0 eine Lösung. Formal löst y(t) := eAt y0 mit eAt = ∞ X Ai ti i=0 i! und A0 := En das Problem auch für n > 1. Es ist allerdings nicht auf Anhieb klar, ob die Summe in Mn×n (C) konvergiert. Existenz und Rechenverfahren für eAt : 1) Für eine Diagonalmatrix λ1 diag(λ1 , . . . , λn ) := 0 .. . 0 λn konvergiert die Summe absolut, denn es ist eDt = diag(eλ1 t , . . . , eλn t ). 2) Sei N eine nilpotente Matrix, d.h. es gibt ein k ∈ N mit N k = 0. Dann konvergiert k−1 X N i ti eN t = i! i=0 absolut. 3) Für C ∈ Mn×n (C) konvergiere die Summe absolut. Sei B ∈ GLn (C) und A := B −1 CB, dann konvergiert ∞ X Ai ti i=0 i! = B −1 ∞ X C i ti i=0 i! B absolut, inbesondere gilt eAt = B −1 eCt B. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 76 14 Normalformen von Matrizen 4) Sei A = B + C und BC = CB, und die Summe konvergiere für B und P∞ i i C absolut. Dann konvergiert i=0 Ai!t absolut, und es gilt eAt = eBt eCt (Cauchysche Summationsformel, hier geht die absolute Konvergenz ein). Sei J die Jordansche Normalform von A, d.h. es gibt B ∈ GLn (C) mit A = B −1 JB. Es ist 0 ∗ 0 λ1 0 .. .. .. . . . mit ∗ ∈ {0, 1} J = + . . .. . . ∗ 0 0 0 λn {z } | {z } | =:D =:N Es gilt DN = N D. Damit folgt: eAt = B −1 eJt B = B −1 (eDt eN t )B 3) 4) = B −1 diag(eλ1 t , . . . , eλn t ) 1),2) k−1 X i=0 N i ti i! ! B Dies zeigt die Existenz von eAt . Mit dieser Formel kann eAt auch berechnet werden. Mathematik Klassifikationsproblem. Sei X eine Menge, ∼ eine Äquivalenzrelation auf X und X/ ∼ die Menge der Äquivalenzklassen. Gesucht wird eine Teilmenge S ⊂ X so, dass S −→ X/ ∼ eine Bijektion ist. Diese wird Vertretersystem von X/ ∼ genannt. Sei X = Mn×n (C) und A ∼ B :⇐⇒ Es gibt T ∈ GLn (C) mit A = T −1 BT. Dann ist jede Matrix äquivalent zu einer Jordanschen Normalform, und es gibt nur endlich viele Jordansche Normalformen in einer Äquivalenzklasse, die sich durch eine Permutation der Jordankästchen voneinander unterscheiden. Man kann also ein Vertretersystem aus Jordanschen Normalformen konstruieren. (Diese Äquivalenzrelation wird auch Ähnlichkeit genannt, vgl. 8.1.) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 14.7 Übungsaufgaben 89 – 91 77 Mit Hilfe der Jordanschen Normalform kann so entschieden werden, ob zwei Matrizen durch Basiswechsel ineinander überführt werden können: Dann müssen ihre Jordanschen Normalformen bis auf Reihenfolge der Jordankästchen übereinstimmen. Lernerfolgstest. • Prüfen Sie, ob es sich bei der Relation B ∼ A in der Tabelle am Anfang dieses Kapitels jeweils um eine Äquivalenzrelation handelt. • Welche Anwendungen ergeben sich aus dem Satz von der Jordanschen Normalform. 14.7 Übungsaufgaben 89 – 91 Aufgabe 89. Seien a, b ∈ R . Man bestimme die Jordansche Normalform der Matrix 0 1 0 A = 0 0 1 ∈ M3×3 (C) 0 a b Aufgabe 90. Was ist falsch an dem folgenden “Beweis” des Satzes von Cayley-Hamilton? χf (f ) = det(f − f ◦ id) = det(f − f ) = det(0) = 0 Aufgabe 91. Sei A ∈ M2×2 (K), und sei χA (x) = det(A − xE2 ) das charakteristische Polynom von A. Man rechne direkt nach, dass χA (A) = 0 gilt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 78 15 Affine Unterräume und Abbildungen 15 Affine Unterräume und Abbildungen Ein affiner Raum über einem Körper K ist gemäß 11.20 ein Tripel (X, V, t), wobei X eine Menge von Punkten p, q, . . . , und V ein K-Vektorraum sowie t : X × V −→ X, (p, v) 7−→ p + v , eine einfach transitive Operation ist. t transitiv“ bedeutet, dass es zu je zwei Punkten p, q ∈ X einen Vektor ” v ∈ V mit q = p + v gibt, und t einfach transitiv“ bedeutet, dass es jeweils ” → nur einen solchen Vektor v ∈ V gibt. Man schreibt dann v = − pq und nennt → − pq den Ortsvektor von q bezüglich p. Lernziel. Fertigkeiten: Affine Räume als Räume verstehen, in denen a priori kein Koordinatensystem mit ausgezeichnetem Nullpunkt gewählt ist. Affine Abbildungen als lineare Abbildungen verknüpft mit Translationen erkennen Kenntnisse: Affine Räume und Unterräume, affine Abbildungen, Parallelprojektion, Schwerpunkt, Hauptsatz der affinen Geometrie 15.1 Affine Unterräume 1. Seien V ein K-Vektorraum, v0 ein Vektor in V und U ein Untervektorraum von V . Dann heißt die Menge v0 + U := {v0 + u | u ∈ U } ein affiner Unterraum von V . Oder anders gesagt: Eine Teilmenge S von V heißt affiner Unterraum von V , wenn es einen Vektor v0 ∈ V und einen Untervektorraum U von V so gibt, dass S = v0 + U gilt. 2. Sei (X, V, t) ein affiner Raum über K. Eine Teilmenge Y ⊂ X heißt affiner Unterraum, wenn es einen Punkt p0 ∈ X und einen Untervektorraum U ⊂ V gibt mit Y = p0 + U := {p0 + u | u ∈ U } Es ist dann Y selbst ein affiner Raum, und man nennt U auch die Richtung von Y oder Richtungsvektorraum von Y . 15.2 Beispiele für affine Unterräume 1) Eine durch die Gleichung y = ax + b mit a, b ∈ R definierte Gerade L in R2 ist ein affiner Unterraum von R2 , denn es ist L = (0, b) + U mit U = {x(1, a) | x ∈ R}. Ist b 6= 0, so ist L kein Vektorraum. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 15.3 Affine Abbildungen 79 2) Sei V = K n . Ist A~x = ~b mit A ∈ Mm×n (K) ein lineares Gleichungssystem, und f : K n −→ K m , ~x 7−→ A~x, so ist die Lösungsmenge die leere Menge ∅ oder von der Form x~0 + kern(f ), also ein affiner Unterraum von V (vgl. 6.3). 3) Seien (Yi )T (Ui )i∈I . i∈I affine Unterräume von (X, V, t) mit Richtungen T Dann ist i∈I Yi ein affiner Unterraum mit Richtung i∈I Ui oder ∅. Die Vereinigung von affinen Unterräumen ist i.A. kein affiner Unterraum. 4) Sei (X, V, t) ein affiner Raum über K. Setze dim X := dimK V Dann gilt: • Die 0-dimensionalen affinen Unterräume sind die Punkte von X. • Die 1-dimensionalen affinen Unterräume sind die Geraden von X. • Die 2-dimensionalen affinen Unterräume sind die Ebenen von X. • Die (n−1)-dimensionalen affinen Unterräume sind die Hyperebenen von X, wobei n = dimK V gilt. 15.3 Affine Abbildungen Seien (X, V, t) und (Y, W, t0 ) affine Räume über K. Definition. (1) V und W seien K-Vektorräume. Eine Abbildung α : V −→ W heißt affin, wenn es eine K-lineare Abbildung f : V −→ W so gibt, dass α(v) = f (v) + α(~0) für alle v ∈ V gilt. (2) Eine Abbildung ϕ : X −→ Y heißt affin, wenn es eine K-lineare Abbildung ϕ ~ : V −→ W gibt so, dass gilt (*) −−−−−−→ − → ϕ(p)ϕ(q) = → ϕ (− pq) ∀p, q ∈ X Eine bijektive affine Abbildung heißt Affinität. Satz. Sei p0 ∈ X fest. Dann ist eine affine Abbildung ϕ : X −→ Y durch Angabe von → ϕ(p0 ) und − ϕ : V −→ W eindeutig festgelegt. Umgekehrt gibt es zu jedem r0 ∈ Y und jeder Klinearen Abbildung f : V −→ W genau eine affine Abbildung ϕ : X −→ Y mit → ϕ(p0 ) = r0 und − ϕ =f Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 80 15 Affine Unterräume und Abbildungen Beweis. Sei ϕ affin. Dann gilt ϕ(p) 0 = t transitiv −−−−−−→ → ϕ(p0 ) + ϕ(p0 )ϕ(p) = ϕ(p0 ) + − ϕ (− p→ 0 p) ∀p ∈ X (*) Umgekehrt: Seien r0 ∈ Y und eine K-lineare Abbildung f : V −→ W vorgegeben. Setze ϕ(p) = r0 + f (− p→ 0 p) für p ∈ X. Dann gilt ϕ(p0 ) = r0 und −−−−−−→ ϕ(p0 )ϕ(p) = f (− p→ 0 p) −−−−−−→ weil t0 einfach transitiv operiert und also der Vektor ϕ(p0 )ϕ(p) durch die −−−−−−→ Gleichung ϕ(p0 ) + ϕ(p0 )ϕ(p) = ϕ(p) eindeutig bestimmt ist. Es ist noch zu zeigen, dass ϕ ~ = f gilt. Für alle p, q ∈ X gilt −→ −→ − → →+− pp p→ pq = − 0 0 q = p0 q − p0 p 11.20 Weil f K-linear ist, folgt daraus −−−−−−→ −−−−−−→ −−−−−−→ → −→ f (− pq) = f (− p→ 0 q) − f (p0 p) = ϕ(p0 )ϕ(q) − ϕ(p0 )ϕ(p) = ϕ(p)ϕ(q) − Es ist also (*) mit → ϕ = f erfüllt. 15.4 Beispiele für affine Abbildungen 1) Sei V ein euklischer Vektorraum und β : V −→ V eine Bewegung. Dann ist β affin, wie aus Satz 12.2 folgt. − 2) Eine affine Abbildung ϕ : X −→ X heißt Translation, wenn → ϕ = idV gilt, also wenn −−−−−−→ − ϕ(p)ϕ(q) = → pq für alle p, q ∈ X gilt. Für q0 = ϕ(p0 ) und p ∈ X gilt: −→ −−→ −→ ϕ(p) = q0 + idV (− p→ 0 p) = q0 + p0 p = q0 + p0 q0 + q0 p 11.20 −−→ −−→ = q0 + − q→ 0 p + p0 q 0 = p + p0 q 0 Eine Translation ist eine Affinität. 3) Eine affine Abbildung ϕ : X −→ X heißt Dilation oder Homothetie, → falls − ϕ = λ idV mit einem λ ∈ K gilt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 15.5 Parallelprojektion 15.5 81 Parallelprojektion Sei (X, V, t) ein affiner Raum über K und dim X < ∞. Sei W ein Untervektorraum von V und Y = p0 + U ein affiner Unterraum von X derart, dass V = W ⊕ U gilt. Dann besteht der Schnitt (p + W ) ∩ Y für jedes p ∈ X nur aus einem Punkt π(p), und die Abbildung π : X −→ Y, p 7−→ π(p) ist eine surjektive affine Abbildung, genannt Parallelprojektion von X auf Y längs W . Die Einschränkung von π auf Y ist eine Affinität. 3.13 Beweis. Es gilt dim X = dimK W + dimK U , da W ∩ U = {~0} ist. Wir zeigen zunächst, dass π(p) aus genau einem Punkt besteht für jedes p ∈ X: Wäre (p + W ) ∩ Y = ∅, so würde die Verbindungsgerade zwischen p und p0 einen zusätzlichen Beitrag zur Dimension liefern, und X würde einen affinen Unterraum der Dimension 1 + dim X enthalten, was unmöglich ist. Es ist also Y 6= ∅, und daher folgt dim((p + W ) ∩ Y ) = dimK (W ∩ U ) = 0 . Dies besagt nach 15.2.4, dass π(p) = (p + W ) ∩ Y ein Punkt ist. Die Abbildung π ist affin, da die zugehörige lineare Abbildung ~π : V = W ⊕ U −→ U, v = w + u 7−→ u die Projektionsabbildung ist, und π ist surjektiv, da π(p) = p für alle p ∈ Y gilt. 15.6 Der Schwerpunkt Ein Koordinatensystem eines n-dimensionalen affinen Raumes (X, V, t) be→ steht aus n + 1 Punkten p0 , p1 , . . . , pn so, dass die Vektoren vi = − p− 0 pi für i = 1, . . . , n linear unabhängig sind. Bezeichnung (p0 ; p1 , . . . , pn ). Jen P → λi − p− des p ∈ X hat dann eine Darstellung p = p0 + 0 pi mit eindeutig i=1 bestimmten λi ∈ K. Lemma. Pk Seien p1 , . . . , pk ∈ X und µ1 , . . . , µk ∈ K mit i=1 µi = 1 (wobei k ∈ Dann hängt der Punkt s ∈ X mit dem Ortsvektor − p→ 0s = k X → µi − p− 0 pi i=1 nicht von der Wahl von p0 ab. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 N). 82 15 Affine Unterräume und Abbildungen Beweis. Sei p00 ∈ X. Dann gilt: s = p0 + − p→ 0 s = p0 + k X → µi − p− 0 pi = p0 + i=1 = p0 + k X i=1 ! µi −−→0 p0 p0 + k X −−→ −−→ µi (p0 p00 + p00 pi ) i=1 k X k X −−→ −−→ µi p00 pi = p00 + µi p00 pi i=1 i=1 Man nennt s den Schwerpunkt der mit den Massen µ1 , . . . , µk belegten Punkte p1 , . . . , pk . 15.7 Affine Unterräume und Schwerpunkte Satz. Sei (X, V, t) ein affiner Raum über K, und sei Y ⊂ X mit Y 6= ∅. Dann ist äquivalent: 1) Y ist ein affiner Unterraum von X 2) Für jedes System p1 , . . . , pk ∈ Y und jede Massenbelegung µ1 , . . . , µk Pk mit i=1 µi = 1 gehört auch der Schwerpunkt zu Y Beweis. 1) ⇒ 2) Sei Y affiner Unterraum, also Y = p + U mit einem Untervektor→ raum P U von V . Sei p0 ∈ Y , dann ist − p− i = 1, . . . , k, also 0 pi ∈ U Pfür k k − − → → auch i=1 µi p0 pi ∈ U . Daraus folgt s = p0 + i=1 µi − p− 0 pi ∈ Y 2) ⇒ 1) Sei p0 ∈ Y . Zeige: U = {− p→ 0 p | p ∈ Y } ist ein Untervektorraum von V . Seien λ, µ ∈ K und p, q ∈ Y . Nach Voraussetzung ist → −→ −→ p0 + (1 − λ − µ)− p− 0 p0 + λp0 p + µp0 q ∈ Y −→ −−→ ~ woraus λ− p→ 0 p + µp0 q ∈ U folgt, da p0 p0 = 0 gilt. 11.20 Weitere Informationen zum Schwerpunkt und zu Anwendungen des obigen Satzes sind in [16], Kapitel VII.3 zu finden. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 15.8 Zum Hauptsatz der affinen Geometrie 15.8 83 Zum Hauptsatz der affinen Geometrie Eine Affinität führt Geraden in Geraden über. Aus dem Hauptsatz der ” affinen Geometrie“ folgt, dass für K = R und jeden affinen Raum X über R mit dim X > 2 umgekehrt gilt: Jede bijektive Abbildung X −→ X , die Geraden in Geraden überführt, ist eine Affinität (vgl. [10]). Lernerfolgstest. • Wieso ist der in 15.1.2 definierte affine Unterraum ein affiner Raum? • Gegeben sei eine affine Abbildung α : V −→ V . Dann gibt es einen Vektor v0 ∈ V und eine K-lineare Abbildung f : V −→ V so, dass α(v) = v0 + f (v) für alle v ∈ V gilt. Überlegen Sie sich, dass v0 und f eindeutig bestimmt sind. 15.9 Übungsaufgaben 92 – 95 Aufgabe 92. In Kapitel 1 ist eine Ebene in R3 definiert als eine Teilmenge E ⊂ R3 mit der Eigenschaft: Es gibt a1 , a2 , a3 , b ∈ R mit (a1 , a2 , a3 ) 6= (0, 0, 0) derart, dass E = {(x1 , x2 , x3 ) ∈ R3 | a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = b} gilt. Man finde einen Vektor v0 ∈ R3 und einen Untervektorraum U in R3 so, dass E = v0 + U gilt und also E als ein affiner Unterraum von R3 realisiert ist. Aufgabe 93. Man entscheide, ob es zu jedem affinen Unterraum S von K n ein lineares Gleichungssystem A~x = ~b so gibt, dass S die Lösungsmenge von A~x = ~b ist. Aufgabe 94. Es sei S = v0 + U ein affiner Unterraum eines K-Vektorraums V wie in 15.1.1 und s0 ∈ S. Man zeige, dass S = s0 + U gilt. Aufgabe 95. Sei ϕ : X −→ Y eine affine Abbildung, wie in 15.3 definiert. Man zeige, dass bild ϕ ein affiner Unterraum von Y ist und dass das Urbild ϕ−1 (Y 0 ) für jeden affinen Unterraum Y 0 von Y ein affiner Unterraum von X (oder die leere Menge ∅) ist. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 84 16 16 Projektive Räume und Projektivitäten Projektive Räume und Projektivitäten Lernziel. Fertigkeiten: Grundlagen der projektiven Geometrie beherrschen und deren Einführung motivieren Kenntnisse: Projektiver Raum, Homogenisierung, Schnittpunktsatz, Übergang vom Projektiven ins Affine und umgekehrt, synthetischer Ansatz Im Projektiven hat man stärkere Schnittpunktsätze als im Affinen. Durch das Arbeiten im Projektiven erspart man sich daher einige sonst nötige Fallunterscheidungen. Sei K ein Körper und V ein K-Vektorraum. 16.1 Der projektive Raum P(V ) Der zu V gehörige projektive Raum P(V ) ist definiert als die Menge aller 1-dimensionalen Untervektorräume von V . Ist dimK V < ∞, so setzt man dim P(V ) = dimK V − 1 und spricht von der Dimension von P(V ). Es ist P({~0}) = ∅ und dim ∅ = −1. Man setzt Pn (K) := P(K n+1 ) und nennt Pn (K) den n-dimensionalen projektiven Raum über K. Bemerkung. Man hat eine Abbildung V \ {~0} −→ P(V ), v 7−→ Kv wobei Kv := {λv|λ ∈ K} die durch v 6= ~0 eindeutig bestimmte Gerade durch ~0 ist. Kv = Kv ′ v′ v Abbildung 5: Gerade durch ~0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.2 Homogene Koordinaten 16.2 85 Homogene Koordinaten Sei V = K n+1 . Dann sind die homogenen Koordinaten von v = (x0 , x1 , . . . , xn ) ∈ V \ {~0} definiert durch (x0 : x1 : . . . : xn ) := Kv Sei K ∗ = K \ {~0}. Dann gilt: Kv = Kv 0 ⇐⇒ ∃λ ∈ K ∗ mit v 0 = λv ⇐⇒ ∃λ ∈ K ∗ mit x00 = λx0 , . . . , x0n = λxn Die homogenen Koordinaten sind also nur bis auf einen gemeinsamen Faktor λ 6= 0 aus K festgelegt. 16.3 Beispiele zur Homogenisierung Sei (a, b, c) ∈ K 3 und (b, c) 6= (0, 0). Betrachte in K 2 die Gerade mit der Gleichung (1) bx + cy + a = 0 Die Gleichung ist inhomogen, wenn a 6= 0 ist. Homogenisierung Setze x= x1 x2 und y = mit x0 6= 0 x0 x0 Dann folgt b xx01 + c xx02 + a = 0 und also durch Multiplikation mit x0 (2) ax0 + bx1 + cx2 = 0 Nach 16.2 ist (x0 : x1 : x2 ) = ( x10 x0 : 1 x0 x1 : 1 x0 x2 ) = (1 : x : y). Es ist also (y0 : y1 : y2 ) ∈ P (K) genau dann eine Lösung von (2), wenn (y0 : y1 : y2 ) = (1 : x : y) mit einer Lösung (x, y) von (1) gilt oder wenn (y0 : y1 : y2 ) = (0 : c : −b) ist. 2 Beispiel. Betrachte in R2 die parallelen Geraden x + y − 2 = 0, x + y = 0, x+y+3=0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 86 16 Projektive Räume und Projektivitäten R2 1 1 x+y−2=0 x+y =0 x+y+3=0 Abbildung 6: Drei parallele Geraden Homogenisierung liefert: x+y−2=0 x+y =0 x+y+3=0 −2x0 + x1 + x2 = 0 0· x0 + x1 + x2 = 0 3x0 + x1 + x2 = 0 In allen drei Fällen ist (0 : 1 : −1) eine Lösung in P2 (R). Die Geraden haben also einen Schnittpunkt in P2 (R). 16.4 Projektive Geraden in P2 (K) Eine projektive Gerade L ⊆ P2 (K) ist die Nullstellenmenge in Gleichung ax0 + bx1 + cx2 = 0 mit (a, b, c) 6= (0, 0, 0) P2 (K) einer Es ist also L = (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (K) | ax0 + bx1 + cx2 = 0 Ist b = c = 0, so ist L die unendlich ferne Gerade“ ” P 1 := (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (K) | x0 = 0 Die übrigen Geraden in P2 (K) erhält man, wie in 16.3 beschrieben, durch (1) und durch Hinzufügen des unendlich fernen Punktes“ (0 :c : −b). ” Ist c 6= 0, so ist U = (x0 , x1 , x2 ) ∈ K 3 | ax0 + bx1+ cx2 = 0 ein Unter3 vektorraum von K mit Basis (1, 0, − ac ), (0, −c, b) und es ist L = P(U ). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.5 Projektive Unterräume 16.5 87 Projektive Unterräume in P(V ) Eine Teilmenge X ⊂ P(V ) heißt projektiver Unterraum, falls X = mit einem Untervektorraum U von V gilt. Es ist dann X P(U ) • eine projektive Gerade in P(V ), falls dim X = 1 • eine projektive Hyperebene in P(V ), falls dim X = dim P(V ) − 1 und dimK V < ∞ Beispiele. Seien (Xi = P(Ui ))i∈I projektive Unterräume von P(V ), dann ist \ Xi = P i∈I \ Ui i∈I ein projektiver Unterraum. Man nennt den kleinsten projektiven Unterraum von W enthält, den Verbindungsraum i∈I Xi . Es ist _ i∈I Xi = P X Ui P(V ), der S i∈I Xi i∈I P S Dabei ist i∈I Ui der von i∈I Ui erzeugte Untervektorraum von V , und das ist der kleinste Untervektorraum von V , der alle Ui enthält. 16.6 Dimensionssatz Satz. Sei dim P(V ) < ∞. Für projektive Unterräume X1 = P(U1 ) und X2 = P(U2 ) gilt dim(X1 ∨ X2 ) = dim X1 + dim X2 − dim(X1 ∩ X2 ) Beweis. Es ist dim(X1 ∨ X2 ) = dimK (U1 + U2 ) − 1 nach 16.1 und 16.5 = dimK U1 + dimK U2 − dimK (U1 ∩ U2 ) − 1 nach 3.13 = dim X1 + 1 + dim X2 + 1 − (dim(X1 ∩ X2 ) + 1) − 1 16.1 = dim X1 + dim X2 − dim(X1 ∩ X2 ) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 88 16 Projektive Räume und Projektivitäten 16.7 Schnittpunktsatz Satz. Sei dimK V < ∞. Dann gelten 1) Ist dim X1 + dim X2 > dim P(V ) für zwei projektive Unterräume X1 , X2 von P(V ), so ist X1 ∩ X2 6= ∅ . 2) Ist X1 = L eine projektive Gerade in P(V ), X2 = H eine projektive Hyperebene in P(V ), und gilt L * H, dann schneiden sich L und H in genau einem Punkt P ∈ P(V ). 3) Zwei projektive Geraden in P2 (K) schneiden sich stets. Beweis. 1) dim(X1 ∩ X2 ) = dim X1 + dim X2 − dim(X1 ∨ X2 ) 16.6 > dim X1 + dim X2 − dim P(V ) > 0 =⇒ X1 ∩ X2 6= ∅ . Vor. 2) Aus L * H folgt dim(X1 ∨X2 ) = dim P(V ) und somit dim(X1 ∩X2 ) = 0 nach 16.6. Es ist also X1 ∩ X2 = {P } ein Punkt. 3) folgt aus 2), da die Hyperebene H eine projektive Gerade in 16.8 P2 (K) ist. Projektiver Abschluss von An (K) Sei V = K n+1 . Betrachte die Abbildung ψ : K n −→ P(V ), (x1 , . . . , xn ) 7−→ (1 : x1 : . . . : xn ) = Kv mit v = (1, x1 , . . . , xn ). Es ist U = (x0 , x1 , . . . , xn ) ∈ K n+1 | x0 = 0 ein n-dimensionaler Untervektorraum von K n+1 , also ist H := Hyperebene in P(V ). P(U ) eine Behauptung Es ist bild(ψ) = P(V ) \ H. Beweis. Es ist bild(ψ) ⊂ P(V ) \ H nach Definition. Sei (y0 : y1 : . . . : yn ) ∈ P(V ) \ H, also y0 6= 0. y1 yn y1 yn =⇒ (y0 : y1 : . . . : yn ) = (1 : : ... : ) = ψ( , . . . , ) y0 y0 y0 y0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.9 Projektivitäten 89 Man nennt H die unendlich ferne Hyperebene, ψ heißt kanonische Einbettung von An (K) in Pn (K), und Pn (K) wird als projektiver Abschluss von An (K) bezeichnet. Man schreibt auch Pn (K) = An (K) ∪ A∞ , wobei A∞ = H ist. Für n = 1 schreibt man dann speziell P1 (K) = A1 (K) ∪ {∞}, da H dann ein Punkt ist. 16.9 Projektivitäten Seien V, W zwei (n + 1)-dimensionale K-Vektorräume. Dann heißt eine bijektive Abbildung ϕ : P(V ) → P(W ) eine Projektivität, falls es eine bijektive K-lineare Abbildung ϕ ~ : V −→ W gibt mit ϕ(P ) = ϕ ~ (P ) ∀P ∈ P(V ) (Hierbei ist P ein Punkt von P(V ) und also ein eindimensionaler Teilraum von V .) Es ist dann ϕ ~ nicht eindeutig durch ϕ bestimmt, denn für λ ∈ K ∗ ist (λ~ ϕ)(P ) = ϕ ~ (λP ) = ϕ ~ (P ) . Ferner gilt ϕ(P(U )) = P(~ ϕ(U )) für jeden Untervektorraum U von V und jede Projektivität ϕ. 16.10 Kollineationen Definition. Eine bijektive Abbildung ϕ : P(V ) −→ P(W ) heißt Kollineation, wenn das Bild einer projektive Geraden g durch die Punkte P, Q ∈ P(V ) die projektive Gerade durch die Punkte ϕ(P ), ϕ(Q) ∈ P(W ) ist. Satz. 1) Zu je zwei Punkten P, Q ∈ P(V ) mit P 6= Q gibt es genau eine projektive Gerade g, die P und Q enthält. 2) Ist ϕ : P(V ) −→ P(W ) eine Projektivität, so ist ϕ eine Kollineation. Beweis. 1) Es ist P = Kv1 und Q = Kv2 mit v1 , v2 ∈ V \ {~0}. Da P 6= Q ist folgt, dass v1 und v2 linear unabhängig sind. Es ist also g = P(U ) mit U = Kv1 + Kv2 die gesuchte projektive Gerade. 2) Es ist ϕ(g) = P(~ ϕ(U )). Daraus folgt die zweite Behauptung. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 90 16 Projektive Räume und Projektivitäten 16.11 Weitere Beispiele zur Homogenisierung Analog wie in 16.4 konstruiert man zu einer Hyperebene X = {(x1 , . . . , xn ) ∈ K n | a1 x1 + . . . + an xn + b = 0} durch Homogenisierung ihrer definierenden Gleichung den Abschluss X = {(y0 : y1 : . . . : yn ) ∈ Pn (K) | by0 + a1 y1 + . . . + an yn = 0} in Pn (K). Man setze xi = yi für alle i = 1, . . . , n. y0 Analog erhält man durch Homogenisierung den projektiven Abschluss von Quadriken, Kegelschnitten, Kubiken, etc. Beispiele. Betrachte die definierenden Gleichungen: i) x2 + y 2 − 1 = 0 Kreis ii) x2 − y 2 − 1 = 0 Hyperbel (vgl. 12.3) iii) x2 − y = 0 Parabel (vgl. 12.3) Homogenisierung Mit x = x1 x0 und y = x2 x0 erhält man: i) −x20 + x21 + x22 = 0 ii) −x20 + x21 − x22 = 0 iii) x21 − x2 x0 = 0 Behauptung Kreis, Hyperbel und Parabel sind projektiv äquivalent, d.h. die zugehörigen projektiven Kurven gehen durch eine Projektivität P2 (R) −→ P2 (R) ineinander über. Beweis. Durch (x0 : x1 : x2 ) 7−→ (x1 : x0 : x2 ) geht die projektive Quadrik mit der Gleichung ii) in die projektive Quadrik mit der Gleichung i) über. Durch (x0 : x1 : x2 ) 7−→ (x0 + x2 : x1 : x0 − x2 ) erhält man aus Gleichung iii) die Gleichung i). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.12 Übergang vom Projektiven ins Affine 16.12 91 Übergang vom Projektiven ins Affine Bemerkung. Ist H = P(U ) eine projektive Hyperebene in P(V ), so ist A := P(V ) \ H ein affiner Raum mit zugehörigem Vektorraum U , und es ist A∞ = H. Was geschieht dabei mit einer projektiven Quadrik in P(V )? Beispiel. Sei Q = (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (R) | − x20 + x21 + x22 = 0 . 1) Sei H = (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (R) | x0 = 0 und ψ : R2 −→ P2 (R) \ H, (x1 , x2 ) 7−→ (1 : x1 : x2 ) (vgl. 16.8). Dann ist Q ∩ H = ∅, und ψ −1 (Q) = (x1 , x2 ) ∈ R2 | x21 + x22 − 1 = 0 ist ein Kreis. Ersetzt man R durch C, so besteht Q∩H aus zwei Punkten (vgl. Aufgabe 98). 2) Sei H = (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (R) | x1 = 0 . Dann besteht Q ∩ H aus zwei Punkten, und für ψ : R2 −→ P2 (R) \ H, (x0 , x2 ) 7−→ (x0 : 1 : x2 ) ist ψ −1 (Q) = (x0 , x2 ) ∈ R2 | x20 − x22 − 1 = 0 eine Hyperbel. 3) Sei H = (x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (R) | x0 + x1 = 0 . Dann ist Q ∩ H ein Punkt, und für ψ : R2 −→ P2 (R) \ H, (x1 , x2 ) 7−→ ((1 − x1 ) : x1 : x2 ) ist ψ −1 (Q) = (x1 , x2 ) ∈ R2 | x22 + 2x1 − 1 = 0 eine Parabel. (Die Substitution x1 = −z1 + 1 2 ergibt 21 x22 − z1 = 0 .) (Je nachdem, was man als unendlich ferne Hyperebene auszeichnet, erhält man aus Q die drei affinen Kurven: Kreis, Hyperbel, Parabel) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 92 16 Projektive Räume und Projektivitäten 16.13 Explizite Beschreibung von Projektivitäten Sei V = K n+1 und ϕ : P(V ) −→ P(V ) eine Projektivität. Bezüglich der Standardbasis wird ϕ ~ : V −→ V durch eine Matrix a00 a01 . . . a0n .. .. ∈ GL A := ... n+1 (K) . . an0 an1 ... ann beschrieben (vgl. 5.11). Es ist dann ϕ(x0 : x1 : . . . : xn ) = (y0 : y1 : . . . : yn ) mit yi = ai0 x0 + . . . + ain xn . Übergang zu inhomogenen Koordinaten 5.11 ergibt yi0 = mit x0i = xi x0 yi ai0 x0 + . . . + ain xn ai0 + ai1 x01 + . . . + ain x0n = = y0 a00 x0 + . . . + a0n xn a00 + a01 x01 + . . . + a0n x0n und x0 6= 0 (vgl. 16.8). Die Abbildung ϕ0 : K n −→ K n , (x01 , . . . , x0n ) 7−→ (y10 , . . . , yn0 ) ist auf der affinen Hyperebene E = {(x01 , . . . , x0n ) ∈ K n | a00 + a01 x01 + . . . + a0n x0n = 0} nicht definiert. Die Punkte von E werden auf die unendlich ferne Hyperebene abgebildet. Ist speziell n = 1 und P1 (K) = A1 (K)∪{∞}, so ist mit x01 =: x und y10 =: y eine Projektivität gegeben durch x 7−→ y = a11 x + a10 a01 x + a00 00 wird auf ∞ abgebildet, ( Möbiustransformation“). Der Punkt x = − aa01 ” a11 falls a01 6= 0. Definiere ∞ 7−→ − a01 . 16.14 Projektive Basen Seien V, W zwei (n + 1)-dimensionale K-Vektorräume. Dann sind n + 2 Punkte P0 , . . . , Pn+1 von P(V ) in allgemeiner Lage, wenn keine n + 1 Punkte davon einen echten projektiven Unterraum von P(V ) erzeugen. Man sagt dann, dass P0 , . . . , Pn+1 eine projektive Basis von P(V ) bilden. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.15 Das Doppelverhältnis 93 Satz. Sind P0 , . . . , Pn+1 in allgemeiner Lage in P(V ) und sind Q0 , . . . , Qn+1 in allgemeiner Lage in P(W ), dann gibt es genau eine Projektivität ϕ : P(V ) −→ P(W ) mit ϕ(Pi ) = Qi für alle i = 0, . . . , n + 1 Beweis. Es ist Pi = Kvi mit vi ∈ V \ {~0} für i = 0, . . . , n und analog Qi = Kwi mit wi ∈ W \ {~0}. Nach Voraussetzung bilden v0 , . . . , vn eine Basis von V und w0 , . . . , wn eine Basis von W . Sei f : V → W die durch f (vi ) = λi wi mit noch zu bestimmenden λi ∈ K ∗ für i = 0, . . . , n definierte K-lineare Abbildung. Es ist vn+1 = n X µi vi mit 0 6= µi ∈ K für alle i = 0, . . . , n i=0 da P0 , . . . , Pn+1 in allgemeiner Lage sind, und analog wn+1 = n X ηi wi mit 0 6= ηi ∈ K und i = 0, . . . , n i=0 Setze λi = ηi µi , also ηi = µi λi für i = 0, . . . , n. Dann ist f (vn+1 ) = n X µi f (vi ) = i=0 n X ηi wi = wn+1 i=0 Für ϕ : P(V ) −→ P(W ), Kv 7−→ Kf (v), ist dann ϕ(Pi ) = Qi und ϕ ~ = f. Bis auf einen Faktor λ ∈ K ∗ ist ϕ ~ eindeutig bestimmt. 16.15 Das Doppelverhältnis Sei n = 1 und X = P(V ) mit dimK V = 2. Dann sind je drei verschiedene Punkte P0 , P1 , P2 ∈ X in allgemeiner Lage. Seien nun P0 , P1 , P2 , P3 vier paarweise verschiedene Punkte in X. Dann gibt es nach 16.14 genau eine Projektivität ϕX : X −→ P1 (K) mit ϕX (P0 ) = (1 : 0), ϕX (P1 ) = (1 : 1), und ϕX (P2 ) = (0 : 1) Dadurch ist ϕX (P3 ) =: (λ : µ) schon eindeutig festgelegt. Man nennt D(P0 , P1 , P2 , P3 ) = (λ : µ) ∈ P1 (K) das Doppelverhältnis der vier Punkte P0 , P1 , P2 , P3 ∈ X. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 94 16 Projektive Räume und Projektivitäten Satz. Sei dimK V = 2 = dimK W . Seien X = P(V ) und Y = P(W ) zwei projektive Geraden. Ist ϕ : X → Y eine Projektivität, so gilt D(P0 , P1 , P2 , P3 ) = D(ϕ(P0 ), ϕ(P1 ), ϕ(P2 ), ϕ(P3 )) für je vier paarweise verschiedene Punkte P0 , P1 , P2 , P3 ∈ X. Das Doppelverhältnis bleibt also unter Projektivitäten erhalten. Beweis. Sei Qi = ϕ(Pi ) für i = 0, 1, 2, 3. Dann gelten (ϕY ◦ ϕ)(P0 ) = ϕY (Q0 ) = (1 : 0) = ϕX (P0 ) (ϕY ◦ ϕ)(P1 ) = ϕY (Q1 ) = (1 : 1) = ϕX (P1 ) (ϕY ◦ ϕ)(P2 ) = ϕY (Q2 ) = (0 : 1) = ϕX (P2 ), also ist ϕY ◦ ϕ = ϕX nach 16.14. Damit folgt (ϕY ◦ ϕ)(P3 ) = ϕX (P3 ) = D(P0 , P1 , P2 , P3 ). Andererseits ist (ϕY ◦ ϕ)(P3 ) = ϕY (Q3 ) = D(Q0 , Q1 , Q2 , Q3 ) Beispiel. Seien Pi = (1 : µi ) ∈ P1 (K) für i = 0, 1, 2, 3 paarweise verschiedene Punkte. Für die Möbiustransformation (vgl. 16.13) ϕ : K ∪ {∞} −→ K ∪ {∞}, x 7−→ µ1 − µ2 x − µ0 · µ1 − µ0 x − µ2 gilt ϕ(µ0 ) = 0, ϕ(µ1 ) = 1 und ϕ(µ2 ) = ∞. Es ist dann D(µ0 , µ1 , µ2 , µ3 ) = µ1 −µ2 µ1 −µ0 µ3 −µ2 µ3 −µ0 das Doppelverhältnis von µ0 , µ1 , µ2 , µ3 . Bemerkung. Seien a, b, c, d ∈ A1 (K) paarweise verschiedene Punkte auf einer affinen b−c Geraden. Dann ist b−a das durch b gegebene Teilverhältnis der Strecke“ ” [c,a]. Dies ist invariant unter affinen Abbildungen. Analoges gilt für das d−c d−c b−c Teilverhältnis d−a . Wir haben gezeigt, dass der Quotient b−a : d−a auch bei gebrochen linearen Transformationen invariant bleibt. Ist D(a, b, c, d) = −1, so sagt man, dass sich die vier Punkte a, b, c, d in harmonischer Lage befinden. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.16 Zentralprojektion 16.16 95 Zentralprojektion Sei V ein (n + 1)-dimensionaler K-Vektorraum und X = P(U ) ein projektiver Unterraum von P(V ). Ferner seien P(U1 ) und P(U2 ) zwei m-dimensionale projektive Unterräume von P(V ). Es gelte: i) X ∩ P(U1 ) = X ∩ P(U2 ) = ∅ ii) X ∨ P(U1 ) = X ∨ P(U2 ) = P(V ) Dann ist (X ∨ P ) ∩ P(U2 ) = P 0 ein Punkt für alle P ∈ P(U1 ) wie aus dem Dimensionssatz 16.6 folgt. Die Abbildung ϕ : P(U1 ) −→ P(U2 ), P 7−→ P 0 , heißt Zentralprojektion. P(U1 ) P P′ P(U2 ) P(U ) Abbildung 7: Zentralprojektion Satz. Die Zentralprojektion ϕ : P(U1 ) −→ P(U2 ) ist eine Projektivität. Beweis. Aus i) folgt U ∩ U1 = U ∩ U2 = {~0} und wegen ii) ist U ⊕ U1 = U ⊕ U2 = V Nach 2.7 gibt es zu jedem u1 ∈ U1 eindeutig bestimmte Vektoren u ∈ U und u2 ∈ U2 mit u1 = ~0 + u1 = u + u2 . Setze ϕ ~ : U1 −→ U2 , u1 7−→ u2 Dann ist ϕ(Ku1 ) = P(U + Ku1 ) ∩ P(U2 ) = Ku2 = ϕ ~ (Ku1 ) ∀u1 ∈ U1 \ {~0} und ϕ ~ ist K-linear und injektiv, also nach 4.8 bijektiv, da dimK U1 = dimK U2 . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 96 16.17 16 Projektive Räume und Projektivitäten Zum Hauptsatz der projektiven Geometrie Sei σ : K −→ K ein Automorphismus, d.h. σ ist bijektiv, und es gilt σ(a + b) = σ(a) + σ(b) und σ(ab) = σ(a)σ(b) für alle a, b ∈ K. Eine Abbildung f : V −→ W heißt σ-linear, falls gilt f (v + v 0 ) = f (v) + f (v 0 ) und f (λv) = σ(λ) f (v) für alle λ ∈ K und v, v 0 ∈ V . In 16.10 haben wir gesehen, dass jede Projektivität eine Kollineation ist. Umgekehrt gilt der Hauptsatz der projektiven Geometrie Seien V, W zwei (n + 1)-dimensionale K-Vektorräume, n > 2, und sei ϕ : P(V ) → P(W ) eine Kollineation. Dann gibt es einen Automorphismus σ : K → K und eine σ-lineare bijektive Abbildung ϕ e : V −→ W mit ϕ(P e ) = ϕ(P ) für alle P ∈ P(V ). Ist K = R, so ist dies eine Projektivität. Den Beweis findet man zum Beispiel in: E. Artin [1], Stuhler [19] oder Fischer [10]. Für n = 1 ist der Satz im Allgemeinen falsch, da dann jede bijektive Abbildung eine Kollineation ist. Für K = R ist die Identität der einzige Automorphismus, daher ist ϕ e stets eine Projektivität für K = R. Analoges gilt für K = Q : Behauptung Ist σ ein Automorphismus von Q, so ist σ = id. Beweis. Sei n ∈ N, also n = 1 + . . . + 1 mit n Summanden. Aus σ(1) = σ(1· 1) = σ(1) σ(1) folgt 1 = σ(1). Daher gilt σ(n) = σ(1) + . . . + σ(1) = 1 + . . . + 1 = n. Außerdem gilt σ(−n) = −n, denn 0 = σ(0) = σ(n + (−n)) = σ(n) + n σ(−n) = n + σ(−n). Ist x = m ∈ Q mit geeigneten m, n ∈ Z , m 6= 0. Dann σ(n) n n ist σ(x) = σ( m ) = σ(m) = m = x. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.18 Sätze von Desargues und Pappos 16.18 97 Sätze von Desargues und Pappos Satz (Desargues). In einer projektiven Ebene seien zwei Dreiecke in perspektivischer Lage gegeben, d.h. es sind 6 paarweise verschiedene Punkte P1 , P2 , P3 und P10 , P20 , P30 gegeben so, dass sich die Verbindungsgeraden P1 ∨ P10 , P2 ∨ P20 und P3 ∨ P30 in einem Punkt Q schneiden. Dann liegen die Schnittpunkte A := (P1 ∨P2 )∩(P10 ∨P20 ), B := (P2 ∨P3 )∩(P20 ∨P30 ), C := (P3 ∨P1 )∩(P30 ∨P10 ) auf einer Geraden. Beweis für P2 (K). Wähle Vektoren v, vi , vi0 ∈ K 3 für i = 1, 2, 3 mit Q = Kv, Pi = Kvi , Pi0 = Kvi0 Nach Voraussetzung kann man vi und vi0 so wählen, dass v = v1 − v10 = v2 − v20 = v3 − v30 gilt. Dann folgt w1 := v1 − v2 = v10 − v20 w2 := v2 − v3 = v20 − v30 w3 := v1 − v3 = v10 − v30 Da w1 , w2 , w3 linear abhängig sind (es ist w1 + w2 − w3 = ~0) und A = Kw1 , B = Kw2 und C = Kw3 gilt, folgt die Behauptung. Satz (Pappos). In einer projektiven Ebene seien zwei verschiedene Geraden g und g 0 und darauf paarweise verschiedene Punkte P1 , P2 , P3 ∈ g und P10 , P20 , P30 ∈ g 0 gegeben. Dann liegen die Schnittpunkte (P1 ∨ P20 ) ∩ (P10 ∨ P2 ), (P2 ∨ P30 ) ∩ (P20 ∨ P3 ), (P3 ∨ P10 ) ∩ (P30 ∨ P1 ) auf einer Geraden. Der Beweis geht mit dem Doppelverhältnis. Es sei hier als Übung gelasssen. 16.19 Synthetischer Aufbau Diesen Abschnitt hat der Student Tobias Jandt geschrieben. Beim synthetischen Aufbau einer Geometrie geht man von einer Menge P aus, deren Elemente Punkte genannt werden, und zeichnet gewisse Klassen von Teilmengen von P aus (zum Beispiel Geraden“ oder Hyperebenen“). ” ” Dann definiert man die Geometrie allein durch Inzidenzeigenschaften“. ” Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 98 16 Projektive Räume und Projektivitäten Definition. Eine projektive Ebene E ist eine Punktmenge P zusammen mit einer Menge G von Teilmengen von P , die als Geraden bezeichnet werden, derart, dass folgende Axiome gelten. (PE1) Zwei verschiedene Punkte liegen immer auf genau einer Geraden. Das heißt: Für p, q ∈ P , p 6= q, gibt es genau eine Gerade γ, so dass p ∈ γ und q ∈ γ. Man nennt γ auch Verbindungsgerade von p und q. (PE2) Je zwei verschiedene Geraden haben genau einen Punkt gemeinsam. Das heißt: Für zwei Geraden γ, δ ∈ G, γ 6= δ existiert genau ein Punkt p ∈ P mit p ∈ γ und p ∈ δ. Man nennt p auch den Schnittpunkt von γ und δ. (PE3) Auf jeder Geraden liegen mindestens drei Punkte. Das heißt: Für jede Gerade γ ∈ G existieren mindestens 3 Punkte p1 , p2 , p3 ∈ P mit p1 , p2 , p3 ∈ γ. (PE4) Es existieren mindestens zwei verschiedene Geraden. Beispiel. Betrachten wir ein gleichseitiges Dreieck. Sei P die Menge, bestehend aus dem Mittelpunkt des Dreiecks, seinen drei Eckpunkten und den drei Mittelpunkten seiner Seiten. Die Menge G bestehe aus den drei Dreiecksseiten, den drei Winkelhalbierenden und dem einbeschriebenen Kreis. Dies ist eine projektive Ebene. 3 7 6 4 1 5 2 Abbildung 8: Endliche projektive Ebene Benennen wir die Punkte im Dreieck wie in der Skizze, so ergibt sich als Punktmenge P = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7}. Auf jeder Geraden liegen drei Punkte. Die Menge der Geraden fassen wir nun als dreielementige Teilmengen von P Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.19 Synthetischer Aufbau 99 auf: G = {{1, 2, 5}, {1, 4, 6}, {1, 3, 7}, {2, 4, 7}, {2, 3, 6}, {3, 4, 5}, {5, 6, 7}}. Wie man nun leicht nachprüfen kann, gelten die 4 Axiome. Auch ein beliebiger projektiver Raum wird durch Inzidenzeigenschaften für Punkte und Geraden definiert. Definition. Ein projektiver Raum P ist eine Punktemenge P zusammen mit einer Menge G von Teilmengen von P , die als Geraden bezeichnet werden, derart, dass folgende Axiome gelten. (PG1) Zwei verschiedene Punkte liegen immer auf einer Geraden. (PG2) (Veblen-Young-Axiom) Sind p,q,r,s vier Punkte, so dass die Gerade durch p und q die Gerade durch r und s schneidet, so schneidet die Gerade durch p und r die Gerade durch q und s in einem Punkt. Sind in einem projektiven Raum P auch die Axiome (PE3) und (PE4) erfüllt, so nennt man P einen nicht ausgearteten projektiven Raum. Affine Ebenen kann man beim synthetischen Aufbau wie folgt beschreiben. Definition. Eine affine Ebene ist eine Punktmenge P zusammen mit einer Menge G von Teilmengen von P , die als Geraden bezeichnet werden, derart, dass folgende Axiome gelten. (AE1) Für p, q ∈ P , p 6= q, gibt es genau eine Gerade γ, so dass p, q ∈ γ. (AE2) Zu jedem Punkt p ∈ P und jeder Geraden γ ∈ G mit p 6∈ γ existiert genau eine Gerade δ ∈ G, so dass p ∈ δ und kein q ∈ γ existiert, mit q ∈ δ. (AE3) Es existieren mindestens drei verschiedene Punkte in P , die nicht auf einer gemeinsamen Geraden liegen. Beispiele. 1. Der R2 ist eine affine Ebene. 2. Betrachten wir nun ein Quadrat. Die Menge P sei gegeben durch die vier Eckpunkte. Die Menge G seien die vier Seiten des Quadrats sowie die zwei Diagonalen. E ist eine affine Ebene. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 100 16 Projektive Räume und Projektivitäten Abbildung 9: Endliche affine Ebene Bemerkung. Der Schnittpunkt der Diagonalen existiert in diesem Modell nicht! Genau genommen sind die beiden Diagonalen sogar parallel. Hier ist es tatsächlich weniger verwirrend sich das Ganze mengentheoretisch vorzustellen. Sei also P = {1, 2, 3, 4} die Menge der Eckpunkte. Dann betrachten wir als Menge G der Geraden die zweielementigen Teilmengen von P , also G = {{1, 2}, {1, 3}, {1, 4}, {2, 3}, {2, 4}, {3, 4}}. E ist eine affine Ebene. 16.20 Dualitätsprinzip In der projektiven Geometrie gibt es ein sehr schönes Dualitätsprinzip. Sätze über den projektiven Raum P(V ), wobei V ein n + 1-dimensionaler K-Vektorraum ist, gelten entsprechend für den projektiven Raum P(V ∗ ) des Dualraums V ∗ = HomK (V, K) von V . Zu jedem Untervektorraum W von V setzt man W ⊥ := {f ∈ V ∗ | f (w) = 0 ∀w ∈ W }, und umgekehrt ordnet man jedem Untervektorraum U von V ∗ den Raum U ⊥ := {v ∈ V | f (v) = 0 ∀f ∈ U } = {v ∈ V | (λf )(v) = 0 ∀f ∈ U } mit λ ∈ K \{~0}. Es gilt dimK U ⊥ = dimK V −dimK U . Die Punkte in P(V ∗ ) sind 1-dimensionale Untervektorräume von V ∗ , und man hat eine bijektive Abbildung von P(V ∗ ) in die Menge der projektiven Hyperebenen von P(V ). Damit kann man dann das Dualitätsprinzip formulieren, dass sich Aussagen über projektive Unterräume, die sich mit Hilfe von “⊂, ∩, ∨, dim” formulieren lassen, in dazu duale Aussagen übersetzen lassen, indem man die Unterräume durch komplementäre ersetzt (z.B. Hyperebenen durch Punkte), Inklusionen umdreht und Durchschnitt durch Verbindung ∨ ersetzt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.20 Dualitätsprinzip 101 Die dualen Aussagen gelten genau dann, wenn die ursprünglichen Aussagen gelten, vgl. [10], 3.4 und [19]. Für projektive Ebenen in der synthetischen projektiven Geometrie hat Tobias Jandt das Dualitätsprinzip wie folgt aufgeschrieben. Sei A eine Aussage über eine projektive Ebene mit Punkten und Geraden. Dann erhält man die zu A duale Aussage Ad , indem man die Wörter Punkt und Gerade vertauscht. Beispiel. Sei folgende Aussage mit A bezeichnet: Es gibt eine Gerade, die durch vier Punkte verläuft. Dann ist die dazu duale Aussage Ad : Es gibt einen Punkt, durch welchen vier Geraden verlaufen. Lemma. In jeder projektiven Ebene E gelten auch die zu (PE1) bis (PE4) dualen Aussagen. Beweis. PE1 Die duale Aussage lautet, je zwei verschiedene Geraden haben genau einen Punkt gemeinsam, was nach (PE2) gilt. PE2 Die duale Aussage lautet, je zwei verschiedene Punkte liegen auf einer Geraden, was (PE1) entspricht. PE3 Die duale Aussage lautet: Durch jeden Punkt gehen mindestens drei Geraden. Nach (PE4) existieren mindestens zwei verschiedene Geraden, und auf jeder Geraden liegen nach (PE3) mindestens drei Punkte. Betrachten wir nun einen Punkt p auf einer Geraden γ , dann gibt es also eine von γ verschiedene Gerade δ. Diese muss γ schneiden und tue dies o.B.d.A. nicht im Punkt p. Die Verbindungsgeraden von p mit den nicht auf γ liegenden Punkten von δ, und γ selbst sind also drei Geraden durch p. PE4 Die duale Aussage lautet, es gibt zwei verschiedene Punkte, was direkt aus (PE3) und (PE4) folgt. Bemerkung. Fasst man die Geraden einer projektiven Ebene E als neue Punkte, und die Punkte als neue Geraden auf, so erhält man wieder eine projektive Ebene, die zu E duale Ebene Ed . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 102 16 Projektive Räume und Projektivitäten Satz (Dualitätsprinzip). Ist A eine Aussage, die für alle projektive Ebenen gilt, so gilt auch die zu A duale Aussage Ad für alle projektiven Ebenen. Beweis. Die Aussage Ad in E ist identisch mit der Aussage A in Ed . Wenn A in allen projektiven Ebenen gilt, so gilt sie auch in Ed . Also gilt die Aussage Ad in E. Lernerfolgstest. • Wie sind Punkte und Geraden in einem projektiven Raum P(V ) definiert? • Formulieren Sie den Schnittpunktsatz in P(V ). • Diskutieren Sie, wie man den projektiven Raum P2 (R) als projektiven Raum P in der synthetischen projektiven Geometrie realisieren kann. • Diskutieren Sie mögliche Verallgemeinerungen des Dualitätsprinzips für projektive Ebenen auf 3-dimensionale projektive Räume der synthetischen Geometrie. 16.21 Übungsaufgaben 96 – 100 Aufgabe 96. Man bestimme die Normalform des Kegelschnitts mit der Gleichung 4 x21 + 9 x22 − 12 x1 − 24 x2 − 144 = 0 und fertige eine Skizze an. Aufgabe 97. Man ermittle in den folgenden Fällen, ob die Kurven X und X 0 projektiv äquivalent sind, und bestimme gegebenenfalls eine entsprechende Projektivität ϕ : P2 (R) −→ P2 (R) : (a) (b) X = {(x, y) ∈ R2 | y −x3 = 0 } und X 0 = {(x, y) ∈ R2 | y 2 −x3 = 0 } , X = {(x, y) ∈ R2 | x2 + 5y 2 − 1 = 0 } und X 0 = {(x, y) ∈ R2 | 5x2 − 1 = 0 } . Aufgabe 98. Sei f (x, y) = a11 x2 + 2 a12 x y + a22 y 2 + a1 x + a2 y − a = 0 eine Gleichung mit reellen Koeffizienten. Man bestimme die zu f (x, y) gehörige homogene Gleichung f¯(x0 , x1 , x2 ) = 0, für die f¯(1, x, y) = f (x, y) gelte, und beweise, dass der Kegelschnitt X := {(x, y) ∈ R2 | f (x, y) = 0 } Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 16.21 Übungsaufgaben 96 – 100 103 genau dann ein Kreis ist, wenn X̄ := {(x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (C) | f¯(x0 , x1 , x2 ) = 0 } die unendlich ferne Hyperebene H := {(x0 : x1 : x2 ) ∈ P2 (C) | x0 = 0} in den Punkten (0 : i : 1) und (0 : −i : 1) schneidet und X nicht ausgeartet ist. (Man nennt die beiden Punkte (0 : i : 1) und (0 : −i : 1) die imaginären unendlich fernen Kreispunkte.) Aufgabe 99. Man prüfe, ob die beiden Flächen X = {(x, y, z) ∈ R3 | x2 − zy 2 = 0 } und X 0 = {(x, y, z) ∈ R3 | x − yz 2 = 0 } projektiv äquivalent sind, und bestimme gegebenenfalls eine entsprechende Projektivität ϕ : P3 (R) −→ P3 (R) . Aufgabe 100. Eine projektive Ebene und ein projektiver Raum seien wie in 16.19 definiert. Man zeige, dass jede projektive Ebene ein projektiver Raum ist. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 104 17 17 Multilineare Algebra Multilineare Algebra Lernziel. Fertigkeiten: Die Determinante als alternierende Multilinearform verstehen und daraus ihre wesentlichen Eigenschaften ableiten Kenntnisse: Vektorprodukt in R3 , äußere Algebren 17.1 Sei Das Vektorprodukt im R3 R3 mit dem Standard-Skalarprodukt versehen, und sei {e1 = (1, 0, 0), e2 = (0, 1, 0), e3 = (0, 0, 1)} die Standardbasis von R3 . Schreibe ~x = (x1 , x2 , x3 ) und ~y = (y1 , y2 , y3 ) mit xi , yi ∈ R für i = 1, 2, 3. Das Vektorprodukt R3 × R3 −→ R3 , (~x, ~y) 7−→ ~x × ~y ist definiert durch ~x × ~y = (x2 y3 − x3 y2 , x3 y1 − x1 y3 , x1 y2 − x2 y1 ) Merkregel Zeile: Entwickle die folgende Determinante“ formal nach der 1. ” e1 e2 e3 ~x × ~y = det x1 x2 x3 y1 y2 y3 x x2 x3 − e2 det 1 = e1 det y1 y2 y3 x3 y3 x + e3 det 1 y1 x2 y2 = (x2 y3 − x3 y2 )e1 + (x3 y1 − x1 y3 )e2 + (x1 y2 − x2 y1 )e3 Rechenregeln Für ~x, ~x0 , ~y , ~y 0 ∈ R3 und λ ∈ R gilt: 1) (~x + ~x0 ) × ~y = ~x × ~y + ~x0 × ~y und λ~x × ~y = λ(~x × ~y ) ~x × (~y + ~y 0 ) = ~x × ~y + ~x × ~y 0 und ~x × λ~y = λ(~x × ~y ) Das Vektorprodukt ist also bilinear. 2) ~x × ~x = ~0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 17.2 Geometrische Eigenschaften des Vektorprodukts 3) k~x × ~y k2 = k~xk2 · k~y k2 − h~x, ~y i2 105 denn: k~x × ~y k2 = (x2 y3 − x3 y2 )2 + (x3 y1 − x1 y3 )2 + (x1 y2 − x2 y1 )2 = x22 y32 − 2x2 x3 y2 y3 + x23 y22 + x23 y12 − 2x1 x3 y1 y3 + x21 y32 + x21 y22 − 2x1 x2 y1 y2 + x22 y12 = (x21 + x22 + x23 )(y12 + y22 + y32 ) − (x1 y1 + x2 y2 + x3 y3 )2 = k~xk2 · k~y k2 − h~x, ~y i2 4) ~x × ~y = ~0 ⇐⇒ k~xk · k~y k = |hx, yi| ⇐⇒ ~x, ~y sind linear abhängig 3. 9.7 Bemerkung. 2) kann man ersetzen durch 2’) ~x × ~y = −~y × ~x denn: ~x × ~x = −~x × ~x =⇒ ~x × ~x = ~0 und umgekehrt: ~x × ~x = ~0 ∀ ~x =⇒ ~0 = (~x + ~y ) × (~x + ~y ) = ~x × ~x +~x × ~y + ~y × ~x + ~y × ~y | {z } 1) | {z } =~ 0 17.2 =~ 0 Geometrische Eigenschaften des Vektorprodukts a) Für ~x, ~y , ~z ∈ R3 gilt x1 h~x × ~y , ~z i = det y1 z1 x2 y2 z2 x3 y3 z3 und also h~x × ~y , ~xi = h~x × ~y , ~y i = 0. Dies folgt unmittelbar aus den Formeln für die Determinante einer (3×3)-Matrix und für das StandardSkalarprodukt sowie daraus, dass det() = 0 ist, wenn zwei Zeilen gleich sind. Der Vektor ~x × ~y steht senkrecht auf ~x und auf ~y , wenn ~x und ~y linear unabhängig sind. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 106 17 Multilineare Algebra ~x × ~y ~y ϕ ~x −~x × ~y Abbildung 10: Vektorprodukt b) Behauptung Die Länge von ~x × ~y ist der Flächeninhalt des von ~x und ~y aufgespannten Parallelogramms, also k~x × ~y k = k~xk· k~y k· | sin ϕ| für 0 6 ϕ := ^(~x, ~y ) < π Beweis. Aus 17.1.3 folgt k~x × ~y k2 = k~xk2 · k~y k2 − h~x, ~y i2 und also gilt k~x × ~y k2 = k~xk2 · k~y k2 · (1 − cos2 ϕ) = k~xk2 · k~y k2 · sin2 ϕ 9.8 c) Orientierung Seien ~x, ~y linear unabhängig, sei also B = {~x, ~y , ~x × ~y } eine Basis von R3 . Es ist ~x × ~y = (z1 , z2 , z3 ) mit z1 , z2 , z3 ∈ R und daher x1 det y1 z1 x2 y2 z2 x3 y3 = h~x × ~y , ~x × ~y i > 0, a) z3 da das Skalarprodukt positiv definit ist. Die Basis B ist also gleich orientiert wie die Standardbasis. Man sagt auch ~x, ~y , ~x × ~y bilden ein positiv ” orientiertes Dreibein“, denn sie liegen im Raum wie Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand. 17.3 Äußere Algebren Sei M = {1, 2, . . . , n}. Dann hat M hat 2n Teilmengen, die mit ∅, M, R, S, T, . . . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 17.3 Äußere Algebren 107 bezeichnet seien. Sei A ein K-Vektorraum der Dimension 2n mit Basiselementen eR , eS , eT , . . ., die den 2n Teilmengen von M zugeordnet seien. Für r, s ∈ Z sei falls r = s 0 (r, s) := 1 falls r < s −1 falls r > s Sei eR ∧ eS := Y (r, s) eR∪S ∀R, S ⊂ M r∈R,s∈S Q (Dabei setzt man r∈R,s∈S (r, s) = 1, falls R = ∅ oder S = ∅.) P P Für ~x = R⊂M xR eR und ~y = S⊂M yS eS mit xR , yS ∈ K sei dann ~x ∧ ~y = X xR yS (eR ∧ eS ) R,S⊂M Man erhält so eine Multiplikation A × A −→ A, (~x, ~y ) 7−→ ~x ∧ ~y , genannt äußere Multiplikation. Damit ist A eine K-Algebra mit Einselement e∅ . Q Ist R ∩ S 6= ∅, so ist r∈R,s∈S (r, s) = 0. Also gelten (1) eR ∧ eS = ~0 , falls R ∩ S 6= ∅. (2) eR ∧ eS = (−1)pq eS ∧ eR falls |R| = p und |S| = q (Vertauschungsregel). Beispiele (für n = 3). Es ist e{1,3} ∧ e{2} = (1, 2)(3, 2)e{1,2,3} = −e{1,2,3} und e{1,3} ∧ e{2,3} = ~0 Mit der Schreibweise ei statt e{i} sei ~x = x1 e1 + x2 e2 + x3 e3 und ~y = y1 e1 + y2 e2 + y3 e3 mit xi , yi ∈ K Dann ist (1) ~x ∧ ~y = x1 y2 (e1 ∧ e2 ) + x1 y3 (e1 ∧ e3 ) + x2 y1 (e2 ∧ e1 ) + x2 y3 (e2 ∧ e3 ) + x3 y1 (e3 ∧ e1 ) + x3 y2 (e3 ∧ e2 ) = (x1 y2 − x2 y1 )e{1,2} + (x1 y3 − x3 y1 )e{1,3} + (x2 y3 − x3 y2 )e{2,3} . Die Koeffizienten sind (bis auf Vorzeichen) gerade die Koordinaten von ~x ×~y aus 17.1, falls K = R ist. Es folgt k~x ∧ ~y k = k~x × ~y k für K = R und die Standardbasis e1 , e2 , e3 von R. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 108 17.4 17 Multilineare Algebra Die äußere Algebra eines K -Vektorraums Sei V ein n-dimensionaler K-Vektorraum mit Basis B = (e1 , . . . , en ). Bette V in einen 2n -dimensionalen K-Vektorraum A ein und ergänze B zu einer Basis von A. Die Basiselemente von A seien mit eR für R ⊂ M := {1, . . . , n} bezeichnet, wobei e{i} = ei zu setzen ist. Wie in 17.3 wird A zu einer KAlgebra gemacht. Man nennt A die Grassmann-Algebra oder äußere Algebra von V und schreibt A = Λ(V ). Beispiel (für n = 3). Dann ist {e∅ , e1 , e2 , e3 , e1 ∧ e2 , e1 ∧ e3 , e2 ∧ e3 , e1 ∧ e2 ∧ e3 } {z } | {z } | {z } | {z } | =e{1,2} =e{1,3} =e{2,3} =e{1,2,3} eine Basis von A (mit 8 = 23 Elementen). Man kann zeigen, dass die äußere Algebra von V unabhängig von der Wahl der Basis von V ist. 17.5 Zwei Regeln für die äußere Multiplikation von Vektoren Sei V ein K-Vektorraum mit Basis (e1 , . . . , en ). Dann gilt für alle v, w ∈ V : v ∧ v = ~0 und v ∧ w = −w ∧ v Pn Beweis. Für v = i=1 λi ei mit λi ∈ K gilt ! n n X n n X X X λj ej = λi λj (ei ∧ ej ) = ~0 v∧v = λi ei ∧ j=1 i=1 i=0 j=0 denn in der Summe gibt es nur Glieder der Form λ2i (ei ∧ ei ) = ~0 und λi λj (ei ∧ ej ) + λj λi (ej ∧ ei ) = ~0 (1) (2) Es folgt nun auch die zweite Regel v ∧ w = −w ∧ v, denn: ~0 = (v + w) ∧ (v + w) = (v ∧ v) +(v ∧ w) + (w ∧ v) + (w ∧ w) | {z } | {z } =~ 0 =~ 0 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 17.6 Ein neues Kriterium für lineare Abhängigkeit 17.6 109 Ein neues Kriterium für lineare Abhängigkeit Satz. Für Vektoren v1 , . . . , vp ∈ V gilt: v1 ∧ . . . ∧ vp = ~0 ⇐⇒ v1 , . . . , vp sind linear abhängig Beweis. =⇒“ Sei v1 ∧ . . . ∧ vp = ~0. Angenommen v1 , . . . , vp sind linear unabhängig ” (insbesondere p 6 n). Ergänze v1 , . . . , vp zu einer Basis v1 , . . . , vp , vp+1 , . . . , vn von V . Dann ist {vR | R ⊂ M } mit v{i} = vi eine Basis von Λ(V ) nach 17.4. Insbesondere ist v1 ∧ . . . ∧ vp = vR mit R = {1, . . . , p} ein Basiselement von Λ(V ) und somit 6= ~0. Widerspruch! ⇐=“ Seien v1 , . . . , vp linear abhängig. Dann ist einer dieser Vektoren eine ” Linearkombination der übrigen. Da sich bei Vertauschung der Vektoren in v1 ∧ . . . ∧ vp nach 17.5 höchstens das Vorzeichen ändert, können wir ohne Einschränkung annehmen, dass vp = λ1 v1 + . . . + λp−1 vp−1 mit λi ∈ K ist. Hieraus folgt v1 ∧ . . . ∧ vp = (v1 ∧ . . . ∧ vp−1 ) ∧ (λ1 v1 + . . . + λp−1 vp−1 ) = λ1 (v1 ∧ . . . ∧ vp−1 ∧ v1 ) + . . . + λp−1 (v1 ∧ . . . ∧ vp−1 ∧ vp−1 ) = ~0 nach 17.5, denn in jedem Summanden treten zwei gleiche Faktoren auf. 17.7 Ein Kriterium für Untervektorräume Satz. Seien u1 , . . . , up linear unabhängige Vektoren in V und u01 , . . . , u0p ∈ V . Es sei U der von u1 , . . . , up erzeugte Untervektorraum von V und U 0 der von u01 , . . . , u0p erzeugte Untervektorraum von V . Dann gilt: U = U 0 ⇐⇒ ∃λ ∈ K ∗ mit u1 ∧ . . . ∧ up = λ(u01 ∧ . . . ∧ u0p ) Beweis. Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 110 17 Multilineare Algebra =⇒“ Sei U = U 0 . Dann ist uj = ” Es folgt u1 ∧ . . . ∧ up = Pp i=1 p X aij u0i für j = 1, . . . , p mit aij ∈ K. ai1 1 · · · aip p (u0i1 ∧ . . . ∧ u0ip ) i1 ,...,ip =1 Nach 17.5 fallen die Summanden weg, bei denen die i1 , . . . , ip nicht alle verschieden sind. Wir können also annehmen, dass (i1 , . . . , ip ) eine Permutation von (1, . . . , p) ist. Durch Vertauschen der u0ij folgt nach 17.5, dass u0i1 ∧ . . . ∧ u0ip = ε(u01 ∧ . . . ∧ u0p ) mit ε = ±1 gilt. Es folgt u1 ∧ . . . ∧ up = λ(u01 ∧ . . . ∧ u0p ), wobei λ sich als Summe über die εai1 1 · · · aip p ergibt. ⇐=“ Es ist ” u1 ∧ . . . ∧ up ∧ u0i = λ(u01 ∧ . . . ∧ u0p ∧ xu0i ) = ~0 ∀i = 1, . . . , p 17.5 Es sind also u1 , . . . , up , u0i linear abhängig für alle i = 1, . . . , p nach 17.6, d.h. es gibt Linearkombinationen λ1i u1 + . . . + λpi up + µi u0i = ~0 mit λij , µi ∈ K in denen jeweils nicht alle Koeffizienten 0 sind. Da u1 , . . . , up linear unabhängig sind nach Voraussetzung, ist µi 6= 0 für i = 1, . . . , p. Es ist also u0i ∈ U für alle i und somit U 0 ⊂ U . Da u1 , . . . , up linear unabhängig sind und u1 ∧ . . . ∧ up = λ(u01 ∧ . . . ∧ u0p ) ist, folgt nach 17.6, dass u01 , . . . , u0p linear unabhängig sind. Also U 0 = U . 17.8 Die äußere Potenz Λp (V ) n Teilmengen mit p Elementen Sei M := {1, . . . , n} . Dann hat M genau p (p 6 n). Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 17.9 Fortsetzungssatz 111 Definition Sei Λp (V ) der Untervektorraum von Λ(V ), der von allen eR mit R ⊂ M und |R| = p erzeugt wird. Man nennt Λp (V ) die p-te äußere Potenz von V . Bemerkung. Ist {e1 , . . . , en } eine Basis von V , so ist {ei1 ∧ . . . ∧ eip | i1 < i2 < . . . < ip } n p p . eine Basis von Λ (V ), und es ist dimK Λ (V ) = p Beispiel. 4! n Sei n = 4 und p = 2. Dann ist = = 6 und 2!· (4 − 2)! p {e1 ∧ e2 , e1 ∧ e3 , e1 ∧ e4 , e2 ∧ e3 , e2 ∧ e4 , e3 ∧ e4 } ist eine Basis von Λ2 (V ). Bemerkung. Ist {e1 , . . . , en } eine Basis von V , so gelten • dimK Λ0 (V ) = 1, und e∅ ist eine Basis von Λ0 (V ) • Λ1 (V ) = V , und {e1 , . . . , en } ist eine Basis von Λ1 (V ) • dimK Λn (V ) = 1, und {e1 ∧ . . . ∧ en } ist eine Basis von Λn (V ) • Es ist Λ(V ) = Λ0 (V ) + Λ1 (V ) + . . . + Λn (V ) als K-Vektorraum • Wir setzen Λm (V ) = 0 für m > n Man kann zeigen, dass die Konstruktion von Λp (V ) unabhängig von der Wahl der Basis von V ist. 17.9 Fortsetzungssatz Satz. Seien V, W endlich-dimensionale K-Vektorräume, und sei f : V −→ W eine K-lineare Abbildung. Dann gibt es genau einen K-Algebrahomomorphismus f : Λ(V ) −→ Λ(W ), der f fortsetzt, d.h. f (v) = f (v) für alle v ∈V. Außerdem gilt f (Λp (V )) ⊆ Λp (W ). • f (x + y) = f (x) + f (y) • f (x ∧ y) = f (x) ∧ f (y) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 112 17 Multilineare Algebra • f (e∅ ) = 1Λ(W ) für alle x, y ∈ Λ(V ) Zum Beweis. Sei {e1 , . . . , en } eine Basis von V und sei R = {i1 , . . . , ip } eine Teilmenge von M = {1, . . . , n} mit i1 < . . . < ip 6 n. Dann bilden die eR = ei1 ∧ . . . ∧ eip zusammen mit e∅ eine Basis von Λ(V ). Durch f (e∅ ) = 1Λ(W ) und f (eR ) = f (ei1 ) ∧ . . . ∧ f (eip ) wird eine K-lineare Abbildung f : Λ(V ) −→ Λ(W ) erklärt, die f fortsetzt. Man zeigt nun, dass f ein K-Algebrahomomorphismus ist, und die übrigen Behauptungen. 17.10 Die Determinante Sei V ein K-Vektorraum mit Basis {e1 , . . . , en }, dann ist {e1 ∧ . . . ∧ en } eine Basis des 1-dimensionalen K-Vektorraums Λn (V ). Sei f : V −→ V eine K-lineare Abbildung. Nach 17.9 gibt es dann ein wohlbestimmtes Element det(f ) ∈ K so, dass für f : Λn (V ) −→ Λn (V ) gilt f (e1 ∧ . . . ∧ en ) = det(f ) e1 ∧ . . . ∧ en Für beliebige Vektoren v1 , . . . , vn ∈ V ist v1 ∧ . . . ∧ vn ∈ Λn (V ) und es ist f (v1 ∧ . . . ∧ vn ) = f (v1 ) ∧ . . . ∧ f (vn ). Also det(f )v1 ∧ . . . ∧ vn = f (v1 ) ∧ . . . ∧ f (vn ) Es ist det(f ) die Determinante von f . Satz (Multiplikationssatz). Für f, g ∈ EndK (V ) gilt det(f ◦ g) = det f · det g. Beweis. Es ist det(f ◦ g)(e1 ∧ . . . ∧ en ) = (f ◦ g)e1 ∧ . . . ∧ (f ◦ g)en = f (g(e1 )) ∧ . . . ∧ f (g(en )) = det f · (g(e1 ) ∧ . . . ∧ g(en )) = det f · det g· (e1 ∧ . . . ∧ en ) Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 Abbildungsverzeichnis 113 Abbildungsverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Endliche affine Ebene . . . Gleichseitiges Dreieck . . . −−→ v = PQ . . . . . . . . . . . Spiegel- und Drehsymmetrie Gerade durch ~0 . . . . . . . Drei parallele Geraden . . . Zentralprojektion . . . . . . Endliche projektive Ebene . Endliche affine Ebene . . . Vektorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 . 13 . 28 . 40 . 84 . 86 . 95 . 98 . 100 . 106 114 Literatur Literatur [1] Artin, Emil: Geometric Algebra. Interscience Publishers, Inc., 1957. [2] Artin, Emil: Analytische Geometrie und Algebra I, II. Vorlesungen an der Universität Hamburg, 1960/61. Teil I ausgearbeitet von H. Behncke und W. Hansen, Teil II ausgearbeitet von H. Kiendl und W. Hansen. [3] Artin, Michael: Algebra. Birkhäuser, 1998. [4] Artmann, Benno: Lineare Algebra. Birkhäuser Skripten, 1991. [5] Beutelspacher, Albrecht: Lineare Algebra. vieweg, 1998. 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Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 Index Abstand, 32 Abzählformel, 20 affine Abbildung, 79 affine Ebene, 99 affiner Raum, 27, 78 An (K), 28 affiner Unterraum, 78 affiner Unterraum von V , 78 Affinität, 79 Aktion, 27 Algebra, 26 alternierende Bilinearform, 58 anisotroper Raum, 62 Äquivalenzrelation, 10 äußere Algebra, 108 äußere Multiplikation, 107 äußere Potenz, 111 Bahn, 28 Bahnformel, 29 Bewegung, 33 Bewegungsgruppe von R2 , 37 Bilinearform, 48 Determinante, 112 Diedergruppe Dn , 43 Dimension von P(V ), 84 Dimensionssatz, 87 Doppelverhältnis, 93 Dreibein, 106 Dualitätsprinzip, 102 Dualitätssatz, 54 Ebene, 79 Einheitssphäre S 2 , 43 Ellipse, 34 euklidischer Raum, 32 Fahne, 73 Faktorgruppe, 24 Faktorraum, 12 Fixpunkt, 42 G-Menge, 27 Gerade, 79 Grassmann-Algebra, 108 Gruppenhomomorphismus, 17, 18 Gruppenordnung, 14 Hauptraum, 72 Hauptsatz der projektiven Geometrie, 96 homogene Koordinaten, 85 Homogenisierung, 85, 90 Homomorphiesatz, 25 Homomorphismus von Gruppen, 17 Hyperbel, 34 hyperbolische Ebene, 57, 65 hyperbolisches Paar, 57 Hyperebene, 79 Ikosaedergruppe, 43 Index, 20 Isometrie, 59 Isomorphismus von Gruppen, 17 isotroper Vektor, 57 Isotropieindex, 65 Jordankästchen, 69 Jordansche Normalform, 69, 76 K-Algebra, 26 Kegelschnitt, 34 Kleinsche Vierergruppe, 14, 22 Kollineation, 89 komplementäre Teilräume, 52 Koordinatensystem, 81 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 Index 117 linear abhängig, 109 Linksnebenklasse, 19 Lösungsmenge, 79 metrischer Raum, 32 Minkowski-Raum, 65 Möbiustransformation, 92 nicht ausgeartet, 51 nicht ausgearteter projektiver Raum, 99 nilpotente Matrix, 75 nilpotenter Endomorphismus, 73 Normalform eines Kegelschnitts, 34 Normalteiler, 23 Operation, 27 Ordnung einer Gruppe, 14 einer Untergruppe, 21 eines Elementes, 20, 21 orientierungserhaltend, 36 orientierungsumkehrend, 36 Orthogonalbasis, 61 orthogonale Summe, 51 orthogonale Geometrie, 66 orthogonale Gruppe O(R), 24 orthogonale Vektoren, 50 Ortsvektor, 28, 78 Parabel, 34 Parallelogramm, 106 Permutationsgruppe, 13 Pol, 43 projektiv äquivalent, 90 projektive Basis, 92 projektive Ebene, 98 projektive Gerade, 86, 87 projektive Hyperebene, 87 projektiver Abschluss von An (K), 89 projektiver Raum, 99 projektiver Raum P(V ), 84 projektiver Raum Pn (K), 84 projektiver Unterraum, 87 Projektivität, 89 Punkt, 79 Quadrik, 36 Quaternionengruppe, 16 Quotientenvektorraum, 12 Radikal von V , 51 regulär, 51 regulärer symplektischer Raum, 58 Richtung, 78 Ring, 26 Satz von Cayley-Hamilton, 70 Satz von Desargues, 97 Satz von Lagrange, 21 Satz von Pappos, 97 schiefsymmetrische Bilinearform, 49 schiefsymmetrische Matrix, 49, 60 Schnittpunktsatz, 88 Schwerpunkt, 41 Signatur, 65, 66 SLn (K), 23 spezielle orthogonale Gruppe, 24 Spur einer Matrix, 67 Stabilisator, 28 Symmetrie, 40 Symmetriegruppe, 40 symmetrische Bilinearform, 48, 60 symmetrische Gruppe, 13 symplektische Bilinearform, 58 symplektischer Raum, 58, 59 synthetischer Aufbau, 97 Tetraedergruppe, 43 Trägheitssatz von Sylvester, 63 Trägheitsindex, 65 transitive Operation, 78 Translation, 33 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 118 Index unendlich ferner Punkt, 86 Untergruppe, 15 Untervektorraum, 109 Verbindungsraum, 87 Vektorprodukt, 104 verallgemeinerter Eigenraum, 72 Zentralprojektion, 95 zyklische Gruppe, 22, 23, 42 Würfelgruppe, 43 Analytische Geometrie und Lineare Algebra II, Universität Göttingen 2006 Ina Kersten Dieser Universitätsdruck ist die Fortsetzung des 2005 erschienenen Titels „Analytische Geometrie und Lineare Algebra 1“. Er wendet sich an Studierende des zweiten Semesters, die einen Studienabschluss in Mathematik, Physik oder in einem Zwei-Fächer-Bachelorstudiengang mit Mathematik als einem der beiden Fächer anstreben. Es werden einige Grundbegriffe der Algebra bereitgestellt, und es wird in die affine und projektive Geometrie eingeführt. Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 Ina Kersten Analytische Geometrie und Lineare Algebra 2 LATEX-Bearbeitung von Stefan Wiedmann ISBN 3-938616-44-X Universitätsdrucke Göttingen Universitätsdrucke Göttingen