Ernährungsprobleme bei neurologischen Frührehabilitations- und Intensivpatienten DGNR-Jahrestagung, Bremen 4.11.2010 Dr. Marion Mertl-Rötzer Generelle Problemstellung Ein Großteil der Patienten kommt mangelernährt in die neurologische Frührehabilitation ! Folgen der Malnutrition (in klinischen Studien belegt) : - Immunkompetenz - Infektionsrate / -schwere - Komplikationsrate - Therapietoleranz/ -ergebnis Löser et al. Dtsch.Ärzteblatt 104;3311-3420 (2007) - Prognose - Mortalität - Lebensqualität Schlechte Ergebnisqualität Höhere Behandlungskosten klinischen Studien belegte s=>> © 2010 Schön Klinik Seite 2 Studie Prospektive, nicht-interventionelle Beobachtungsstudie zum Einfluß von Mangelernährung auf infektiologische Komplikationen bei Patienten der neurologischen Frührehabilitation (hypothesengenerierende Studie) Prüfärzte: Dr. Marion Mertl-Rötzer Dr. Frank Lauster 24.06.2010 © 2010 Schön Klinik Seite 3 Studiendesign 100 Patienten der Phasen A, B und C, konsekutiv erfaßt Einschlusskriterien: Neurologische Grunderkrankung, Vorliegen Informed Consent Ausschlusskriterium: Pat. waren < 2 Wo in einer Akutklinik vorbehandelt worden Innerhalb der 1. Wo. nach Aufnahme SKBA: Visit 1 mit Datenerhebung, Blutentnahme, BIA-Messung, MFAS 2. Datenerhebung 8 Wochen nach Visit 1: - Infektiologische Komplikationen (Anzahl und Lokalisation) - MFAS Zeitraum: 24. Juni - 15. Oktober 2010 Durchführung in Übereinstimmung mit Deklaration von Helsinki, GCP, GCP-V, ICH-GCP © 2010 Schön Klinik Seite 4 Demografische Daten Alter (y) Männliche Pat. Weibliche Pat. Gewicht (kg) Größe (m) © 2010 Schön Klinik n 103 67 36 97 99 Mittelwert 61 SD 17 76,08 1,74 14,7 0,1 Seite 5 Fragestellungen 1. In welchem Ernährungszustand und mit welcher motorischer Funktionalität kommen Patienten der neurologischen Frührehabilitation zur Aufnahme? 2. Wie beeinflusst der Zeitraum der Vortherapie den Ernährungsstatus? 3. Wie ist die Häufigkeit von Infektionen und die Veränderung motorischer Funktionen im Krankheitsverlauf? 4. Korreliert die Inzidenz von Infektionen mit Messgrößen der Mangelernährung beim Eingangsscreening (GPS >=1) ? © 2010 Schön Klinik Seite 6 Bioimpedanzanalyse (BIA) Phasenwinkel n=96 Anz ahl P atienten Cut off 30 25 20 15 10 5 0 5 29 17 22 15 6 5 2 1 - 2,1 - 3,1 - 4,1 - 5 - 6,1 - > 7 2,0 3,0 4,0 4,9 6,0 7,0 73 (76%) 23 (24%) P ha se nw inke l © 2010 Schön Klinik Seite 7 Bioimpedanzanalyse (BIA) Quotient ECM : BCM n=96 17 (18 %) Normbereich <=1 79 pathologisch >1 (82%) ECM = Extrazelluläre Masse; BCM = Body Cell Mass Normwert: ECM : BCM <= 1 © 2010 Schön Klinik (ECM : BCM > 1 Hinweis auf Malnutrition) Seite 8 Glasgow Prognostic Score (GPS) GPS * (MW = 1,3) CRP/Albumin CRP < 1 + Alb >= 3,5 CRP < 1 + Alb < 3,5 oder CRP > 1 + Alb >= 3,5 CRP > 1 + Alb < 3,5 Score n = 103 0 21 1 1 30 2 52 20 % 80 % GPS – Normwert: Score = 0 * LM Forrest et al. British Journal of Cancer (2004) 90, 1704-1706 © 2010 Schön Klinik Seite 9 Nutritional Risc Screening (NRS) NRS bei Aufnahme n=100; MW=4,2; SD=1,4 Anz ahl P atienten N=13 (13%) N=77 (77%) 27 30 25 22 20 20 15 12 15 10 5 0 1 NR S 0 NR S 1 3 0 NR S 2 NR S 3 NR S 4 NR S 5 NR S 6 NR S 7 NRS = 0: kein Ernährungsrisiko; NRS = 7: hohes Risiko für Malnutrition; Cut off: NRS >=3 Kondrup J et al., Clinical Nutrition 2003; 22:415-421 © 2010 Schön Klinik Seite 10 Neurologische Parameter n Mittelwert SD MRS (Aufnahme) 103 5 0,7 MFAS (Aufnahme) 103 40,6 5,5 Anz ahl P atienten MR S Modified R ankin S c ale bei Aufnahme n=103, MW=4,6, S D =0,7 Modified Rankin Scale (MRS): Punktwerte 0 – 7 65 80 60 40 20 0 29 0 0 2 4 3 0 MR S 0 MR S 1 MR S 2 MR S 3 MR S 4 MR S 5 MR S 6 MR S 7 (keine (Tot) S ympt) Motor Function Assessment Scale (MFAS): Punkte 0 – 44 Punktewertung: 1 = nicht möglich; 0 = möglich besser der Patient je niedriger die Punktzahl, umso MF A S A ufnahme MF AS -S kala 0-44 n=103 60 40 20 0 0 20 40 60 80 100 120 Anz a hl P a tie nte n © 2010 Schön Klinik Seite 11 Fragestellungen 1. In welchem Ernährungszustand und mit welcher motorischer Funktionalität kommen Patienten der neurologischen Frührehabilitation zur Aufnahme? 2. Wie beeinflusst der Zeitraum der Vortherapie den Ernährungsstatus? 3. Wie ist die Häufigkeit von Infektionen und die Veränderung motorischer Funktionen im Krankheitsverlauf 4. Korreliert die Inzidenz von Infektionen mit Messgrößen der Mangelernährung beim Eingangsscreening (GPS >=1) ? © 2010 Schön Klinik Seite 12 Body Cell Mass und Oberarmumfang vs. Zeit vor Reha-Beginn p = 0,016 p = 0,037 p = 0,047 © 2010 Schön Klinik Seite 13 Fragestellungen Fragestellungen: 1. In welchem Ernährungszustand und mit welcher motorischer Funktionalität kommen Patienten der neurologischen Frührehabilitation zur Aufnahme? 2. Wie beeinflusst der Zeitraum der Vortherapie den Ernährungsstatus? 3. Wie ist die Häufigkeit von Infektionen und die Veränderung motorischer Funktionen im Krankheitsverlauf 4. Korreliert die Inzidenz von Infektionen mit Messgrößen der Mangelernährung beim Eingangsscreening (GPS >=1) ? © 2010 Schön Klinik Seite 14 Infektionen Patienten mit Infektionen bei Entlassung oder nach 8-Wochen n=50 Patienten 1 7 14 0 Inf 1 Inf 2 Inf 3 Inf 15 n=36 (72%) © 2010 Schön Klinik 4 Inf 13 Seite 15 Infektionen A rt der Infektionen n=68 Infektionen in 50 P atienten 7 29 32 pulm ona le Infektion H a rnweg s infekt a ndere Infektion © 2010 Schön Klinik Seite 16 Motor Function Assessment Scale (MFAS) Anzahl Patienten MFAS Verbesserung bei Entlassung oder nach 8 Wochen 17 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 n=50, MW=10,4, SD=11,2 13 13 4 2 1 0 1 - 10 n = 30 (60%) 11 - 20 21 - 30 31 - 40 >40 n = 20 (40%) Verbesserung in Punkten © 2010 Schön Klinik Seite 17 Motor Function Assessment Scale vs. Infektionshäufigkeit © 2010 Schön Klinik Seite 18 Fragestellungen 1. In welchem Ernährungszustand und mit welcher motorischer Funktionalität kommen Patienten der neurologischen Frührehabilitation zur Aufnahme? 2. Wie beeinflusst der Zeitraum der Vortherapie den Ernährungsstatus? 3. Wie ist die Häufigkeit von Infektionen und die Veränderung motorischer Funktionen im Krankheitsverlauf? 4. Korreliert die Inzidenz von Infektionen mit Messgrößen der Mangelernährung (Eingangsscreening GPS >=1)? © 2010 Schön Klinik Seite 19 Glasgow Prognostic Score vs. Pneumoniehäufigkeit GPS vs. Anzahl Pneumonien - Kreuztabelle Anzahl Pneumonien GPS 0 0 1 2 3 Gesamt (Patienten) 6 2 1 0 9 10 3 1 1 15 11 10 5 0 26 (CRP<1+Alb>3,5) 1 1/3 – 2/3 (CRP<1+Alb<3,5 od. CRP>1+Alb>3,5) 2 > 1/2 (CRP>1+Alb<3,5) Gesamt (Patienten) 27 15 7 1 50 Trend erkennbar, Analyse aller Patienten erforderlich (ggf. höhere Fallzahl nötig) © 2010 Schön Klinik Seite 20 Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Durch die Parameter Phasenwinkel, ECM/BCM-Ratio, GPS und NRS kann bei etwa 80 +/- 7% der Patienten eine Mangelernährung oder ein Malnutrition-assoziiertes Risiko, eine Komplikation zu erleiden, festgestellt werden. 2. Die Parameter BMI, OAU und THF scheinen den Ernährungszustand zu überschätzen (Daten nicht gezeigt) 3. In Abhängigkeit der Zunahme des Zeitintervalls zwischen Akutereignis und Datenerhebung verschlechtert sich der Ernährungsstatus der Patienten signifikant (BCM, NRS, OAU). 4. Die zur Aufnahme kommenden Patienten weisen hochgradige neurologische Defizite auf (MRS, MFAS). 5. Fast ¾ der Patienten erleiden im Beobachtungszeitraum eine Infektion, wobei es sich in fast der Hälfte der Fälle um eine Pneumonie handelt. 6. Die motorische Funktionalität verbessert sich während des Beobachtungszeitraums bei 60% der Patienten nicht relevant. 7. Patienten mit gehäuften Infektionen (>= 2) zeigen die geringste Verbesserung der motorischen Funktion 8. Patienten mit einem GPS >= 1 bei Aufnahme scheinen während der Folgezeit vermehrt pulmonale Infektionen zu erleiden (wahrscheinlich Sensitivität >>> Spezifität) © 2010 Schön Klinik Seite 21 Schlussfolgerung 1. Im untersuchten Kollektiv ist das Vorliegen einer Mangelernährung vergleichsweise ausgeprägter als bei vielen andern Patientengruppen im Krankenhaus. 2. BMI, OAU und THF scheinen beim untersuchten Patientenkollektiv zur Evaluierung der Mangelernährung nicht geeignet zu sein. 3. Die Ausprägung der Mangelernährung ist maßgeblich von der Dauer der Vorbehandlung im Rahmen der Akutversorgung abhängig. 4. Infektiöse Komplikationen sind häufig und scheinen die neurologische Rehabilitation negativ zu beeinflussen, wenn sie rezidivierend auftreten. 5. Ob der GPS ein geeigneter prognostischer Parameter zur Identifizierung von Risikopatienten sein kann, um Malnutritions-assoziierte infektiöse Komplikationen vorherzusagen, bedarf einer größeren Fallzahlerfassung in dieser Studie sowie weiterer klinischer Untersuchungen (hypothesen-konfirmierend). © 2010 Schön Klinik Seite 22 Ausblick 1. Sollte es gelingen, valide prädiktive Parameter zur Vorhersage rezidivierender infektiöser Komplikationen zu charakterisieren, so könnte sich dadurch die Möglichkeit ergeben, einer relevanten Patientengruppe eine spezialisierte und dadurch kostenintensivere Ernährungstherapie zukommen zulassen. 2. Dies könnte kostenneutral gestaltet werden, sofern die spezialisierte Ernährungstherapie (Pharmakonutrition, Vermeidung von Energiedefiziten) zu einer Reduktion der infektiösen Komplikationen und dadurch zu einer schnelleren und effektiveren neurologischen Rehabilitation führt. 3. In weiteren klinischen Studien muss sowohl die Effizienz als auch die gewünschte Kostenneutralität einer spezialisierten Ernährungstherapie nachgewiesen werden. © 2010 Schön Klinik Seite 23 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! © 2010 Schön Klinik Seite 24 © 2010 Schön Klinik Seite 25 Body Mass Indes (BMI) 2) BMI (kg/m n=97; MW=25,1; SD=3,5 52 Anz ahl P atienten 60 40 20 29 12 4 0 < 18,5 Unter 18,5 - 25 Norm 25,1 - 30 Über > 30 A dipos B MI © 2010 Schön Klinik Seite 26 Oberarmumfang (OAU) - Trizepshautfalte (THF) OAU - THF n=103 120 Anz ahl P atienten 100 80 101 60 75 40 20 28 2 0 unter Norm Norm O A U (F < 22c m, M< 23c m) © 2010 Schön Klinik unter Norm Norm THF (F < 13mm, M< 10mm) Seite 27 Motor Function Assessment Scale (MFAS) Getestete Items: 1. Mobilität im Bett 2. Sitzen 3. Aufstehen und Stehen 4. Gehen 5. Obere Extremität Punktewertung: 1 = nicht möglich; 0 = möglich je niedriger die Punktzahl, umso besser der Patient Schlechteste Punktzahl: 44 © 2010 Schön Klinik Seite 28 Motor Function Assessment Scale (MFAS) MF A S A ufnahme MF AS -S kala 0-44 n=103 50 40 30 20 10 0 0 20 40 60 80 100 120 Anz a hl P a tie nte n © 2010 Schön Klinik Seite 29 Nutritional Risk Screening (NRS) © 2010 Schön Klinik Seite 30 Nutritional Risk Screening (NRS) Anz ahl P atienten NRS bei Aufnahme n=100; MW=4,2; SD=1,4 30 25 20 15 10 5 0 27 20 22 15 12 0 1 NR S 0 NR S 1 3 NR S 2 NR S 3 NR S 4 NR S 5 NR S 6 NR S 7 NR S 0 - ke in E rnR isiko // NR S 7 - hohe s R isiko Ma ng e le rnä hrung © 2010 Schön Klinik Seite 31 Modified Rankin Scale (MRS) MODIFIED RANKIN SCALE (ORIGINALE VERSION) 0 = Keine Symptome 1 = Keine wesentliche Funktionseinschränkung trotz Symptomen; kann alle gewohnten Aufgaben und Aktivitäten verrichten 2 = Geringgradige Funktionseinschränkung; unfähig alle früheren Aktivitäten zu verrichten, ist aber in der Lage, die eigenen Angelegenheiten ohne Hilfe zu erledigen 3 = Mäßiggradige Funktionseinschränkung; bedarf einiger Unterstützung, ist aber in der Lage, ohne Hilfe zu gehen 4 = Mittelschwere Funktionseinschränkung; unfähig, ohne Hilfe zu gehen und unfähig, ohne Hilfe für die eigenen körperlichen Bedürfnisse zu sorgen 5 = Schwere Funktionseinschränkung; bettlägerig, inkontinent, bedarf ständiger Pflege und Aufmerksamkeit 6 = tot Rankin Scale: validierte deutsche Fassung nach Berger K et al. 1999 Original-Skala umfasst nur die Werte 0 – 6, für den internen Gebrauch in der Schön Klinik Bad Aibling wurde das Item 6 (tot) gesplittet in 6 (apallisch) und 7 (tot). © 2010 Schön Klinik Seite 32 Modified Rankin Scale (MRS) Anz ahl P atienten MRS bei Aufnahme n=103; MW=4,6; SD=0,7 70 60 50 40 30 20 10 0 65 29 0 0 2 4 3 0 MR S 0 MR S 1 MR S 2 MR S 3 MR S 4 MR S 5 MR S 6 MR S 7 (keine (Tot) S ympt) © 2010 Schön Klinik Seite 33