Vom Land der Stille zur asiatischen Mittelmacht : eine - E

Werbung
Vom Land der Stille zur asiatischen Mittelmacht
: eine kurze politische Geschichte Koreas
Autor(en):
Shim, Jae-Hoon
Objekttyp:
Article
Zeitschrift:
Du : die Zeitschrift der Kultur
Band (Jahr): 60 (2000)
Heft 705:
Korea : fernöstliche Passagen
PDF erstellt am:
21.10.2017
Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-300169
Nutzungsbedingungen
Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an
den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern.
Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in
Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder
Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den
korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden.
Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung
der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots
auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber.
Haftungsausschluss
Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung
übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder
durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot
zugänglich sind.
Ein Dienst der ETH-Bibliothek
ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch
http://www.e-periodica.ch
VOM LAND DER STILLE
ZUR ASIATISCHEN MITTELMACHT
Eine kurze politische Geschichte Koreas. Von Shim Jae Hoon
ÎMTUfWIfï*!
Die englische Reiseschriftstellerin Isa¬
bella Bird Bishop, die 1894 ihre erste
Reise nach Korea unternahm, klagte
einst, keiner ihrer gebildeten Freunde sei
in der Lage, ihr Korea auf der Landkarte
zu zeigen. In ihren geografischen Mut¬
massungen kam das Land irgendwo zwi¬
schen Äquator und Mittelmeer oder
Schwarzem Meer zu liegen. Keiner der
Ratenden, so schreibt sie in ihrem grund¬
legenden Werk über Korea und seine
Nachbarn, kam der tatsächlichen Lage
des Landes näher als 2000 Meilen.
Diesen blinden Fleck im geografi¬
schen Wissen mag man Bishops Freun¬
den nachsehen, wenn man hört, dass es
einem anderen britischen Autor, Michael
Breen, mehr als hundert Jahre später auch
nicht besser erging, als er versuchte, sei¬
nen Landsleuten das moderne Korea
nahe zu bringen. In seinem Buch Tide
Koreans zitiert er einen seiner Verwand¬
ten, der ihn fragte: «Korea, das gehört
doch zu Vietnam, oder?»
Das «Land der Stille», wie man seit
dem 19. Jahrhundert gerne sagt, hat sich
dem Verständnis der Aussenwelt lange
entzogen; das gilt vor allem für die Eu¬
ropäer, die sich in ihren Kontakten vor¬
nehmlich auf Indien, China, Japan und
Südostasien beschränkten. So ist Korea in
der europäischen Wahrnehmung des Ori¬
ents ein weit abgelegenes Land geblieben.
In geopolitischer Sicht stellen die
Dinge sich freilich anders dar. Ein¬
gezwängt zwischen der Kontinental¬
macht China im Westen und Japan im
Osten, war die koreanische Halbinsel
jahrhundertelang ein Zankapfel für beide
Mächte. Mit einer Länge von nur 1000
Kilometern ragt die koreanische Halb¬
insel von der asiatischen Landmasse her
in das Östliche Meer hinein (das die Ja¬
paner das Japanische Meer nennen), wie
ein Degen, der auf die 206 Kilometer
südöstiich gelegenen japanischen Inseln
Honshu und Kyusho gerichtet ist. Im
Westen, über das Gelbe Meer, trennen
nur 190 Kilometer Korea von China.
Im Norden grenzt Korea an die
Grosse Mandschurische Ebene; der Yalu
(in Korea Amnokkang genannt) bildet
eine natürliche Grenze zu Nordostchina.
wilde, zerklüftete Grenzregion
erstreckt sich über eine Länge von
Die
3"ir s
1300 Kilometern und wird von einer
In ethnischer Hinsicht ist Korea weit¬
koreanisch-chinesischen Mischbevölke¬
rung bewohnt. Im Nordosten trennt der
Turnen (in Korea Tumangang genannt)
das Land vom russischen Fernen Osten;
die gemeinsame Grenze hat eine Länge
von 16 Kilometern.
Korea, das mit einer Landfläche von
circa 220000 Quadratkilometern etwa die
Grösse Britanniens hat, ist also unmittel¬
bar von dreien der vier Weltmächte um¬
geben: China, Russland und Japan. Jeder
dieser Giganten hat seine Spuren in der
Entwicklung Koreas hinterlassen.
In dieser einzigartigen geografischen
Lage fiel dem Land während des letzten
Jahrtausends die Rolle einer Brücke zu,
über die Chinas überlegene Zivilisation
und Kultur nach Japan gelangte. Der
Buddhismus und das idiografische
Schriftsystem Chinas erreichten Japan
über Korea, und so konnten Chinas
Tang-, Japans Heian- und Koreas SillaPeriode in einer umfassenden ostasia¬
tischen Zivilisation aufblühen, die auf
einer gemeinsamen Religion und einer ge¬
meinsamen Schrift basierte. Neben diesen
engen kulturellen Kontakten entwickelte
sich dadurch auch der Handel zwischen
diesen Ländern und über die Seiden¬
strasse mit dem Mittleren Osten und
selbst mit Teilen des Römischen Reiches.
Die geografische Lage bescherte
Korea jedoch auch das Schicksal wieder¬
holter ausländischer Invasionen. Immer
wenn in den Steppen Mittelasiens oder in
Japan eine neue Macht aufstieg, richteten
sich begehrliche Blicke auf Korea als Aus¬
gangs- oder Zielpunkt einer Überquerung
des Japanischen Meeres. So eroberten die
Mongolen im 13. Jahrhundert Korea und
versuchten vergeblich, von dort aus Japan
zu erreichen; man sagt, Japan sei damals
gerettet worden, weil göttliche Winde
(Kamikaze) die Schiffe der Mongolen
versenkt hätten. Dreihundert Jahre später
drang ein japanisches Heer in Korea ein
und verwüstete weite Teile des Landes
während eines siebenjährigen Krieges.
Anfang des 20. Jahrhunderts waren Korea
und seine unmittelbare Umgebung
Schauplatz des Russisch-Japanischen und
des Chinesisch-Japanischen Krieges, in
dessen Folge das Land 1910 japanische
Kolonie wurde.
gehend homogen; die Vorfahren stamm¬
ten aus Mittelasien und wanderten in den
letzten 20000 bis 30000 Jahren nach und
nach ein. Archäologische Funde belegen,
dass die Halbinsel schon vor einer halben
Million Jahren von Menschen besiedelt
war. Trotz der viele Jahrhunderte währen¬
den politischen und kulturellen Vorherr¬
schaft Chinas gelang es den Koreanern,
eine eigenständige Sprache und Kultur zu
entwickeln. Die koreanische Sprache ent¬
stammt der altaischen Sprachfamilie; sie
ist mit den Turksprachen, dem Mongo¬
lischen und dem Japanischen verwandt,
mit denen sie eine Reihe von Merkmalen
wie die Vokalharmonie und das Fehlen
von Konjunktionen verbindet.
Korea hat eine Gesamtbevölkerung
von 70 Millionen Einwohnern; 45 Mil¬
lionen davon leben im Süden. Landwirt¬
schaft und Fischerei bilden traditionell
die Lebensgrundlage, wobei der Reis¬
anbau die wichtigste Nahrungsquelle ist.
Ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor
ist von jeher die Fischerei, denn die stark
mäandrierende Küstenlinie der Halbinsel
erreicht eine Gesamtlänge von 8700 Kilo¬
metern. Über 70 Prozent der Fläche sind
bergig, nur der südwestliche Teil bietet
günstige Bedingungen für eine landwirt¬
schaftliche Nutzung.
Die Knappheit an landwirtschaftlich
nutzbarem Land zwang sowohl den Nor¬
den als auch den Süden zur Industrialisie¬
rung. Die südkoreanische Wirtschaft, die
ihrer Grösse nach an elfter Stelle in der
Welt steht, hat ein gewaltiges Wachstum
erlebt. Ihre Stärken liegen im Bereich der
Elektronik, der Automobilindustrie, des
Schiffbaus, der Telekommunikation und
der Halbleiterfertigung. Der Export er¬
reichte 1999 einen Wert von 144 Milliar¬
den Dollar. Angesichts einer relativ ra¬
schen Erholung nach der Finanzkrise des
Jahres 1997 ist Korea heute eine Mittel¬
macht, wie Australien, die in der Sicher¬
heitspolitik und den diplomatischen Ar¬
rangements der Region eine bedeutende
Rolle spielt.
Im Gegensatz dazu liegt die nord¬
koreanische Wirtschaft nach Jahrzehnten
stalinistischer Kontrolle und Ineffizienz
am Boden, und die internationale Nah¬
rungsmittelhilfe vermag nicht einmal die
Hungersnot abzuwenden, der in den letz¬
ten fünf Jahren schätzungsweise zwei bis
drei Millionen Menschen zum Opfer ge¬
fallen sind. Nordkorea mit seiner Haupt¬
stadt Pyongyang bezeichnet sich offiziell
als Demokratische Volksrepublik Korea
und erhebt den Anspruch, ein kommu¬
nistischer Staat zu sein, ist aber in Wirk¬
lichkeit das autokratische Regime einer
Handvoll Führer, die fanatisch an der
Ideologie des 1994 verstorbenen stalinis¬
tischen Diktators Kim II Sung festhalten.
(Dessen Sohn Kim Jong II hat inzwischen
die Stellung des obersten Führers einge¬
nommen.) Im technischen Sinne befin¬
den der Norden und der Süden sich bis
heute im Kriegszustand, seit der Waffen¬
stillstand von 1953 einen dreijährigen of¬
fenen Bruderkrieg beendete. Nach der
Wiedervereinigung Deutschlands ist
Korea heute der einzige Ort auf der Welt,
an dem der kalte Krieg weitergeht.
tigen China. In sehr frühen chinesischen
Aufzeichnungen werden die Koreaner als
Dongyi-Stamm oder Bogenmänner be¬
zeichnet, und goldene Spangen aus der
Mandschurei stützen diese Annahme,
denn sie zeigen die Koreaner als mit Bo¬
gen bewaffnete Reiter.
In ethnischer Hinsicht gehören sie zur
tungusischen Stammesfamilie, ihre Spra¬
che entwickelte sich aus der altaischen
Sprachengruppe, und chinesische Quel¬
len berichten von einem Führer namens
Kija (oder Kizu in chinesischer Ausspra¬
che) aus dem chinesischen Staat Yin, der
sich in den befestigten Städten in der
Nähe des Liao-Flusses jenseits des Yalu
niederliess. Befestigte Städte wie diese
entstanden in Alt-Choson während der
Bronzezeit, erste Keimzellen eines Korea
im modernen Sinne des Namens.
In christlicher Zeit entwickelten sich
auf der koreanischen Halbinsel drei riva¬
lisierende Königreiche: Koguryo, Paekche
und Siila. Koguryo (37 v. Chr. bis 668
DIE ENTSTEHUNG DER
n. Chr.), ein Militärstaat mit hochent¬
KOREANISCHEN NATION.
wickelter politischer Struktur, erstreckte
Ausserhalb der nordkoreanischen Haupt¬
sich über weite Teile der Mandschurei
stadt Pyongyang steht ein modernes, ko¬
und das heutige Nordkorea; Paekche
nisch geformtes Gebäude, das ein wenig
(18 v. Chr. bis 660 n. Chr.) nahm ein klei¬
an die Ruinen der Mayas erinnert. Es
nes Gebiet im Südwesten der Halbinsel
in der heutigen Region
Cholla ein; und Siila (57
v. Chr. bis 935 n. Chr.) be¬
fand sich im Südosten, auf
dem Gebiet der heutigen
Provinz Kyongsang.
Weder Paekche noch
Koguryo reichten in kultu¬
reller Hinsicht an das un¬
ter starkem buddhistischem
Einfluss stehende Siila her¬
an. Siila hinterliess Wun¬
Nordkoreanische Soldaten schlagen 1976 auf der südkoreanischen Seite
derwerke der Baukunst
der Waffenstillstandslinie zwei amerikanische Offiziere tot, die eine
Pappel stutzen wollten. Als Reaktion darauf fällen die USA mit einem
wie die Sokkuram-Grotte
massiven Aufgebot von Land-, Luft- und Seetruppen den Baum.
und den 70 Meter hohen
Hwangyongsa-Tempel, der
wurde in den letzten Jahren errichtet, um bei der Mongoleninvasion des 13. Jahr¬
die, wie nordkoreanische Archäologen
hunderts zerstört wurde. In den nahezu
mit aller Entschiedenheit behaupten, 1000 Jahren seines Bestehens förderte
Siila die Wissenschaft - in der einstigen
vollständig erhaltenen Gebeine Tan'guns
aufzunehmen, der nach der Legende im
Hauptstadt Kyongju ist man heute noch
Jahr 2333 vor Christus als Sohn des Son¬
stolz auf eine alte Sternwarte und ent¬
und
des
einer
Frau
Bärenwickelte
nengottes
ausgefeilte politische Institutio¬
totems geboren wurde und das koreani¬
die
auf einem selbstbestimmten
nen,
sche Reich gründete. Südkoreanische
Stammessystem basierten. Es entstand
Historiker nehmen dies als archäologi¬ eine Rittertradition, die der Ausbildung
schen Witz, etwas krass geratene Pro¬
einer kultivierten, disziplinierten Jugend
diente.
paganda, eine Fiktion ohne alle Glaub¬
Man erweiterte den Handel mit China
würdigkeit, ersonnen, um Nordkoreas
Anspruch zu untermauern, die Urquelle und Japan und über die Seidenstrasse auch
der koreanischen Nation zu sein. Dieser
mit dem Mittleren Osten. Der aus Siila
Anspruch könnte allenfalls im Hinblick stammende Mönch Hyecho unternahm
auf die Richtung der Wanderungs¬ eine Pilgerfahrt nach Indien und hinter¬
liess einen Bericht über seine Reise. Im
bewegung sinnvoll erscheinen, denn die
Koreaner sind tatsächlich von Norden her
7. Jahrhundert krönte Siila diese Leistun¬
eingewandert, zuerst aus den Steppen gen mit der Vereinigung der koreanischen
Mittelasiens in den Nordwesten des heu¬
Halbinsel; zunächst eroberte man Paekche
*
>
-
und dann auf Grund eines Bündnisses mit
der chinesischen Tang-Dynastie das im
Norden gelegene Koguryo.
Im vereinigten Siila nahm das heutige,
an China grenzende Korea erstmals Ge¬
stalt an. Diese Vereinigung war insofern
von Bedeutung, als sie die Grundlage für
eine eigenständige Geschichte des korea¬
nischen Volkes schuf.
Aus dem Zusammenbruch Sillas, dem
Resultat inneren Niedergangs, ging im
frühen 10. Jahrhundert das Reich Koryo
(918-1392) hervor, von dessen Name die
im Westen gebräuchliche Bezeichnung
«Korea» abgeleitet ist. Koryo, dessen
Grenze etwas südlich des heutigen Pyong¬
yang verlief, entwickelte eine militärische,
hochgradig zentralisierte Herrschaft, de¬
ren Bürokraten in höfischen Prüfungsver¬
fahren ausgewählt wurden, das vom China
der Tang-Dynastie übernommen worden
war. Dieses System der Rekrutierung hat
sich bis auf den heutigen Tag erhalten, es
gibt der Regierung Kontrolle über ihre
Verwaltungsbeamten und ist ein prägender
Zug des ostasiatischen Staates. Koryo
hatte damals jedoch viel Zeit auf die Ab¬
wehr der Mongolen im Norden zu ver¬
wenden, wo ständig Stämme der Jurchen
und Khitan auf Nahrungssuche plündernd
in den Süden vordrangen. Die Khitan er¬
oberten das mit Koryo verbündete ParhaeReich nördlich des Yalu.
Die wiederholten Einfälle der Mon¬
golen schwächten Koryo. Um die Hilfe
Buddhas zu erflehen, liess der König
buddhistische Schriften auf 80 000 Holz¬
tafeln schreiben, die heute noch erhalten
sind. Vor allem aber geht darauf die Er¬
findung beweglicher Lettern aus Metall
zurück, die den Druck von Büchern und
Schriften erleichterten, und zwar lange
bevor diese Technik in China zur Anwen¬
dung kam.
Die Mongoleneinfälle nahmen kein
Ende, so dass der König von Koryo sich
aufdie Insel Kanghwa westlich von Seoul
zurückziehen musste. Auch im Innern litt
die Macht der Dynastie unter Aristo¬
kraten und buddhistischen Klöstern, die
grosse Ländereien an sich brachten und
das Volk in Armut stürzten. Ein endloser
Machtkampf zwischen aufsteigenden mi¬
litärischen Befehlshabern und zivilen
Bürokraten schwächte die militärische
Schlagkraft. Konfuzianer und Buddhisten
stritten unaufhörlich um ihre Privilegien.
Schliesslich musste Koryo sich den Mon¬
golen ergeben und ihnen bei dem 1274
unternommenen und 1281 wiederholten
Versuch helfen, Japan zu erobern. Weil
die Mongolen keine Erfahrungen mit der
Seekriegsführung besassen und wegen
schlechten Wetters, scheiterten beide
Versuche. Nach einem dreissigjährigen
Kampf gegen die Mongolen war Koryo
erschöpft und verwüstet.
Als das Land angesichts der Strei¬
tereien um Landbesitz und der Querelen
zwischen Konfüzianern und Buddhisten
immer tiefer im Chaos versank, ergriff
General Yi Song Gye in einem Staats¬
streich die Macht und setzte den König
ab. Er führte eine einschneidende Boden¬
reform durch, die den Pächtern ihren
Besitz garantierte. Der Landbesitz der
Aristokraten wurde einer Kontrolle un¬
terworfen. Konfuzianische Hofbeamte
ersetzten die buddhistischen Mönche als
neue Machtelite der von Yi begründeten
Choson-Dynastie.
Zur Stärkung der
äusseren Sicherheit
intensivierte Yi seine Tributbeziehungen
zur chinesischen Ming-Dynastie, doch
sein Hauptproblem war der Süden, wo
seit der Mitte des 16. Jahrhunderts japani¬
sche Piraten die Küstenregionen Koryos
attackierten. In Japan endeten damals die
inneren Wirren, die für die «Zeit der
kämpfenden Provinzen» typisch gewesen
waren, und Toyotomi Hideyoshi gelang
es, das Land zu einen. Um inneren Frie¬
den und Einheit zu sichern, hatte er die
Energie seiner Generäle in ausländische
Eroberungen umzuleiten. Toyotomi fasste
auch China als mögliches Eroberungsziel
ins Auge und nahm damit die territoria¬
len Expansionsbestrebungen Japans im
19. Jahrhundert vorweg.
Im Frühjahr 1592 landete eine erste
japanische Streitmacht von 300000 Sol¬
daten in Pusan; sieben Jahre wogte der
Kampf die Halbinsel hinauf und hinunter
und verwandelte Korea in ein Schlacht¬
haus ungekannten Ausmasses. Zahllose
Dörfer und Städte, Tempel und Paläste
gingen in Flammen auf, und die Bevölke¬
rungszahl ging beträchtlich zurück. Erst
Toyotomis Tod Mitte 1598 zwang das ja¬
panische Heer zum Rückzug. Mit chine¬
sischer Unterstützung leisteten die Kore¬
aner tapferen Widerstand, vor allem in
Seeschlachten unter Admiral Yi Sun Sin,
dessen schildkrötenförmiges Schlacht¬
schiff die Japaner an der Südküste in
Angst und Schrecken versetzte. Als die
Japaner abzogen, hatten sie den Samen
der ewigen Feindschaft gesät, die selbst
heute noch das Verhältnis zwischen Kore¬
anern und Japanern belastet.
DIE JAPANISCHE
KOLONISATION.
Der japanische Geschäftsmann Mamoru
Ikehara, der seit 26 Jahren Abfallverbren¬
nungsöfen nach Korea verkauft, weiss
sehr wohl um die Gefühle des durch¬
schnittlichen Koreaners gegenüber sei¬
nem Land. Er kennt sie sogar so gut, dass
er auf seinen Geschäftsreisen in Korea
öffentliche Verkehrsmittel meidet, aus
Angst, die übrigen Fahrgäste könnten
sich provoziert fühlen, wie er mit einer
gewissen Verlegenheit erklärt. Dennoch
hat Ikehara, 65, seine Angst überwunden
und einen gewitzt-provokativen Bestsel¬
ler mit dem Titel Die Koreaner und eine
Kritik an ihnen geschrieben, in dem er
sich über die Koreaner mokiert, weil sie
immer noch nicht von ihrem alten Hass
auf die Japaner lassen wollen. Wenn die
Koreaner unbedingt einen äusseren Feind
brauchten, schreibt er dort, sollten sie sich
lieber an die Mongolen als an die Japaner
halten. Denn schliesslich seien die Mon¬
golen mit einer Brutalität und Zer¬
störungswut im Land vorgegangen, wo¬
neben die 35jährige Kolonialherrschaft
der Japaner verblassen müsse. Dennoch
hassen zu seiner Betrübnis nur wenige
Koreaner die Mongolen ebenso inständig
wie die Japaner, und zwar deshalb, weil
die Koreaner den Mongolen wirtschaft¬
lich überlegen seien, so dass von dort
keine Gefahr für ihr Ego ausgehe. Japan
ziehe wegen seiner grösseren Wirt¬
schaftskraft den grösseren Hass auf sich.
Diese spielerisch-schwungvolle Ver¬
allgemeinerung ergötzt Koreaner, weil
heute viele darin übereinstimmen, dass
die antijapanischen Ressentiments in den
Jahren des koreanischen Wirtschafts¬
aufschwungs zurückgegangen seien, ins¬
besondere bei der jüngeren Generation.
Die vom Staat lange verbotene populäre
Kultur Japans kehrt in Form von Mode,
Popmusik und Kino nach Korea zurück.
In den koreanischen Medien diskutiert
man inzwischen sogar über die Frage, ob
man den japanischen Kaiser einladen
solle, als Geste, die einen Schlussstrich
unter die Vergangenheit setzen könnte.
Doch wie Ikehara scharfsinnig bemerkt,
werden die alten Animositäten weiter¬
bestehen, solange der durchschnittliche
Koreaner das Gefühl hat, die alten Rech¬
nungen im ökonomischen oder politi¬
schen Bereich seien noch nicht beglichen.
Als die Japaner Korea 1910 annektier¬
ten, rechtfertigten sie diesen Akt mit dem
Fortschritt, mit dem Schutz vor den west¬
lichen Mächten und mit den ökonomi¬
schen Vorteilen, die Korea aus der Anbindung an die Metropole erwüchsen. Im
koreanischen Adel akzeptierten viele
diese Argumentation, vor allem nachdem
Japan China und Russland besiegt und
die Vorherrschaft über Korea und die
Mandschurei erlangt hatte.
Ganz anders die einfachen Leute. Sie
organisierten sogleich einen Guerrillakrieg
und leisteten den Japanern mit den primi¬
tivsten Waffen Widerstand, wo immer sie
konnten; in den fünf Jahren zwischen dem
Protektoratsvertrag von 1905 und der An¬
nexion von 1910 verloren dabei 17 000 Ko¬
reaner ihr Leben. Nach der Annexion
unterwarf das japanische Generalgouver¬
nement die Bevölkerung einer strengen
Kontrolle, löste alle gesellschaftlichen und
politischen Organisationen auf und stülpte
einem feindseligen Volk japanische Erzie¬
hungstraditionen und Werte über.
Die japanische Herrschaft war durch
einschneidende polizeiliche Massnahmen
und eine allmächtige Bürokratie gekenn¬
zeichnet, die bald die gesamte koreani¬
sche Gesellschaft durchdrang. Nichts
entging ihrer Aufmerksamkeit, von den
Schulen über die Tempel bis hin zur
Sprache. In der japanischen Kolo¬
nialverwaltung waren 1937 insgesamt
248000 Menschen tätig, einschliesslich
koreanischer Beschäftigter in niederen
Funktionen; zum Vergleich: Die Franzo¬
sen beschäftigten in der vietnamesischen
Kolonialverwaltung zur selben Zeit weni¬
ger als 3000 Menschen. 1941 unterhielten
die Japaner in Korea eine Polizeitruppe
von 60000 Mann, während die Franzo¬
sen 1937 in Vietnam lediglich 10000 Sol¬
daten stehen hatten. Nach koreanischen
Geschichtsbüchern kam auf 400 Korea¬
ner ein japanischer Polizist.
Durch die Erstellung eines Katasters,
bei der man die Koreaner kurzfristig
aufforderte, ihren Landbesitz registrieren
zu lassen, brachte die japanische Kolo¬
nialregierung 40 Prozent des gesamten
Bodens an sich, weil viele Koreaner, vor
'¦f
y'fify'- -ff-fr-ff
», f.. A
l
:
Brücke über den chinesisch-nordkoreanischen Grenzf luss Yalu: von hier schauen südkoreanische Touristen
durch das Fernrohr auf die Modellstadt Hoi Ryung.
allem unwissende Bauern, ihren Besitz
nicht registrieren liessen. Auch ein Jahr
nach der Annexion wurden immer noch
etwa 50000 Koreaner unter diversen An¬
schuldigungen in Haft gehalten. Die Dis¬
kriminierung war beträchtlich: Nach dem
1911 erlassenen Unternehmensgesetz
konnten Koreaner eine Geschäftstätigkeit
nur mit Zustimmung der Regierung auf¬
nehmen; Eisenbahn, Kommunikations¬
wesen und Bergbau gingen in japanischen
Besitz über. 1939 wurden alle Koreaner
verpflichtet, ihre Namen in mehrsilbige
japanische Vor- und Zunahmen umzu¬
wandeln. In der Schule und am Arbeits¬
platz war die koreanische Sprache offiziell
verboten.
Ermutigt durch eine Erklärung des
amerikanischen Präsidenten Woodrow
Wilson über das Selbstbestimmungsrecht
unterdrückter Völker, forderten soziale
und religiöse Führer Koreas am 1. März
i
1919 die Unabhängigkeit von Japan. Es
folgten Demonstrationen im ganzen
Land, die von den Japanern mit Hilfe der
Polizei und des Militärs unterdrückt wur¬
den. Innerhalb weniger Wochen wurden
7500 Koreaner getötet, 15000 verletzt
und 45 000 inhaftiert. In einer Orgie der
Zerstörung und des Tötens steckten die
Japaner ganze Dörfer in Brand, ohne die
Bewohner vorher zu warnen.
Die Unabhängigkeit blieb den Korea¬
nern verwehrt, aber man bildete eine pro¬
visorische Exilregierung in Shanghai, die
koreanische Führungspersönlichkeiten in
aller Welt in Amerika, China, Russland
und Japan veranlassten, sich in China
zusammenzufinden. Der nationalistische
Flügel der Unabhängigkeitsbewegung
arbeitete mit der Kuomintang-Regierung
unter Tschiang Kai-schek zusammen,
während die Linke sich mit der Kommu¬
nistischen Partei Chinas verbündete und
auf der Seite Mao Tse-tungs kämpfte.
Diese ideologische Aufspaltung legte die
Grundlagen für die Spaltung, zu der
es nach der Befreiung des Landes von
den Japanern unter den koreanischen
Führern kam.
Die gewaltsame Assimilation der
Koreaner sollte eine umfassende Mobi-
-
wurden, japanischen Soldaten an der
Front sexuell zu Diensten zu sein.
Die Koreaner waren geistig und kör¬
perlich gebrochen, als der Krieg im August
1945 mit der Niederlage Japans endete.
Politische Führer, die nach langjährigem
Exil in die Heimat zurückkehrten, wie
Syngman Rhee aus den Vereinigten Staa¬
ten und Kim Ku aus China, fanden dort
kaum organisatorische Grundlagen, auf
denen sie aufbauen konnten. Während die
Sowjetunion, die erst in letzter Minute in
den Krieg gegen Japan eingetreten war,
den Norden Koreas besetzte und Kim II
Sung an die Macht brachte, der sich einst
an der chinesisch-koreanischen Grenze als
Guerrillakämpfer hervorgetan hatte, un¬
terstützten die USA im Süden Syngman
Rhee. Die sowjetische Besatzungsmacht
säuberte das Land von Kollaborateuren
und führte eine durchgreifende Boden¬
reform durch; die Amerikaner dagegen
griffen auf die Dienste bisheriger koreani¬
scher Spione und Polizeispitzel zurück
und beliessen projapanische Verwal¬
tungsleute in ihren Amtern.
Als 1948 in Seoul und Pyongyang
zwei rivalisierende Regierungen einge¬
setzt wurden, spitzte sich die soziale und
ideologische Polarisierung zu. Die Rechte
„fr-
m*r
schlugen, intervenierte China auf Seiten
Im Juli 1953 wurde ein
Waffenstillstand geschlossen; Korea lag
vollständig in Trümmern, der grösste Teil
der Industrie war zerstört, und nahezu
drei Millionen im Norden und im Süden
des Nordens.
hatten ihr Leben verloren, waren ver¬
stümmelt oder wurden vermisst. Seither
sind Millionen von Familien getrennt; sie
können einander nicht besuchen und
auch keine Briefe schreiben. Der Krieg
hatte keinen Sieger und keinen Verlierer,
er hinterliess nichts als Misstrauen und
Unsicherheit.
VOM «WIRTSCHAFTSWUNDER»
ZUR VEREINIGUNG?
Es war ein schicksalhafter Augenblick in
der Geschichte Koreas. In den frühen
Morgenstunden des 16. Mai 1961 fuhren
Panzer in der Innenstadt von Seoul auf,
und Soldaten besetzten die wichtigsten
staatlichen Gebäude. «Die Armee hat
sich erhoben, um das Land aus einer ge¬
fährlichen Krise zu erretten», erklärte eine
Stimme im staatlichen Rundfunk. Es war
ein Staatsstreich und erst der zweite seit
1392, als General Yi Song Gye seinen
Feldzug gegen die Mongolen plötzlich
-
i
I
"f.
Nordkorea: Die landwirtschaftliche Entwicklung ist
irgendwo in der Vergangenheit stehen geblieben. Die
meisten Arbeiten werden mit primitivsten Werkzeu¬
gen oder von Hand verrichtet. Mitte: eine Siedlung
auf dem Land. Rechts: Die Hungersnot in Nordkorea
erreichte 1997 ihren schlimmsten Stand, die inter¬
nationale Hilfe kam für viele zu spät, die Kinder¬
sterblichkeit vervielfachte sich. Ernährungsprogramm
drei Kinder in einem Spital.
lisierung der koreanischen Bevölkerung
für die Zwecke der Kriegführung ermög¬
lichen. Als Japan 1931 die Mandschurei
eroberte, in das chinesische Kernland ein¬
marschierte, Südostasien attackierte und
schliesslich mit dem Angriff auf Pearl
Harbour den Krieg im Pazifik auslöste,
wurden zahlreiche Koreaner eingezogen
und zu zivilen oder militärischen Diens¬
ten in Übersee gezwungen. Nach histori¬
schen Quellen mussten etwa vier Millio¬
nen Koreaner oder erstaunliche sechzehn
Prozent der damaligen Bevölkerung
Koreas ihr Land verlassen, um für die
Japaner zu arbeiten oder zu kämpfen, in
Fabriken und Kohlegruben, beim Bau
militärischer Einrichtungen oder bei der
Bewachung von Kriegsgefangenen in
Südostasien. Eine besonders schändliche
Form der Mobilisierung, die in aller Welt
Abscheu erregte, traf junge Frauen und
Mädchen, die mit Gewalt gezwungen
repräsentierte im wesentlichen die vermö¬
genden und gebildeten Schichten ein¬
schliesslich jener Koreaner, die für die Ja¬
paner gearbeitet hatten und daher dem
gesellschaftlichen und politischen Wan¬
del mit Ablehnung begegneten; die Linke
bestand aus Studenten und Intellektuel¬
len, Bauern und Arbeitern und jenen, die
durch eine Bodenreform und andere
Massnahmen soziale und ökonomische
Gerechtigkeit herstellen wollten.
abbrach, nach Hause zurückkehrte und
der zerfallenden Koryo-Dynastie die
Macht entriss.
Während die von Yi begründete Dy¬
nastie 1910 traumatisch mit der Annexion
Koreas durch Japan endete, hinterliess
dieser zweite Staatsstreich ein ganz an¬
deres Vermächtnis. Er sollte das Gesicht
Koreas für immer verändern und aus dem
Die politische Polarisierung führte zu
einem zweijährigen Guerrillakrieg, als die
Linke zu den Waffen griff und die ge¬
wählte Regierung im Süden abzusetzen
versuchte. Da der Erfolg ausblieb, unter¬
nahm Kim II Sung im Juni 1950 mit Un¬
terstützung der Sowjetunion den Versuch
einer vollständigen Invasion. Als die von
den USA geführten UNO-Streitkräfte
die Eindringlinge bis hinter die Aus¬
gangslinie am 38. Breitengrad zurück¬
Mit dem Staatsstreich des Ge¬
neralmajors Park Chung Hee, damals 44,
begann eine Zeit noch nie dagewesener
Grösse, aber zugleich auch ein weiteres
blutiges Kapitel in der neueren Ge¬
schichte Südkoreas.
Der Bewunderer Bismarcks, Kemal
Paschas und Nassers, ein kleingewachse¬
ner, hagerer Kettenraucher mit stechen¬
dem Blick, der seine Augen oft hinter
einer dunklen Sonnenbrille verbarg, ord-
rückständigen, erniedrigten Agrarland
einen kraftvoll-modernen Industriestaat
machen.
-
nete erfolgreich die Kräfte seines Landes
und setzte einen atemberaubenden Wirt¬
schaftsaufschwung in Gang. Die Indus¬
trialisierung Koreas in den achtzehn Jah¬
ren, in denen er das Land mit eiserner
Faust regierte, ist eine herausragende Er¬
folgsgeschichte der Nachkriegszeit.
Parks starker Charakter spielte eine
bedeutende Rolle beim Aufstieg Koreas.
Als er die Macht ergriff, konnte er bereits
auf eine eindrucksvolle Vergangenheit
zurückblicken. Seine Persönlichkeit war
durchaus widersprüchlich. Er war bele¬
sen, sah in den Intellektuellen jedoch nur
kraftlose Weichlinge. Nach seiner Aus¬
bildung an der Kaiserlichen Militär¬
akademie in Japan wurde er Offizier in
der gefürchteten japanischen KwangtungArmee, die in der Mandschurei stationiert
war; doch in seinem Herzen war er ein
Nationalist geblieben, der ausländische
Einflüsse verachtete. Seiner Veranlagung
nach war er ein Rechter, der Disziplin
und Ordnung über alles stellte, doch als er
nach der Befreiung Koreas 1945 zurück¬
kehrte, trat er der Kommunistischen Par¬
tei bei. Vor der Exekution wegen seiner
Rolle beim missglückten Putsch der
Kommunisten 1948 retteten ihn nur die
Bittgesuche von Freunden, aber er selbst
zeigte niemals Gnade gegenüber den
Menschen, die von seinen willfährigen
Gerichten zum Tode verurteilt wurden.
Park und sein Mitverschwörer Kim
Jong Pil, der zweimal das Amt des Pre¬
mierministers übernahm, brachten sehr
rasch sämtliche politischen, ökonomischen
und sozialen Institutionen des Landes un¬
ter die Kontrolle des Obersten Rates für
nationalen Wiederaufbau, einer Militär¬
junta. Politiker und Intellektuelle, die sich
seiner Herrschaft widersetzten, wurden
unter dem Vorwurf prokommunistischer
Umtriebe ins Gefängnis geworfen. Der
von Kim Jong Pil aufgebaute Geheim¬
dienst diente als Terrorinstrument gegen
jeden, der gegen die Regierung oppo¬
nierte. Der Geheimdienst hielt Menschen
ohne Haftbefehl und Prozess gefangen.
Seine Agenten setzten regelmässig die
Folter als Mittel der Einschüchterung
selbst gegen Ab¬
gegen jedermann ein
weichler innerhalb der Regierungspartei.
Tatsächlich war der Terror das prägende
Merkmal der gesamten Regierungszeit
Parks, der länger im Amt war als jeder an¬
-
dere Präsident Südkoreas.
Doch seine Stärken lagen in seinen
ehrgeizigen ökonomischen Zielen. Als er
1963 die Präsidentenwahlen gewonnen
hatte, legte er einen ersten Fünfjahresplan
vor, und es sollten noch viele weitere fol¬
gen. Er entwarf und verwirklichte rück¬
sichtslos eine zentralistisch-dirigistische
Wirtschaft, die von einer Gruppe ergebe¬
ner Technokraten im Staatsapparat ge¬
lenkt wurde. Ohne auf Einwände der von
den USA beherrschten Weltbank zu ach¬
ten, die sich gegen teure Verkehrsprojekte
aussprach, baute Park eine moderne Au¬
tobahn zwischen Seoul und Pusan, dem
im Süden gelegenen Exporthafen des
Landes. Mit Reparationen der Japaner für
die 35jährige Kolonialherrschaft machte
er die Pohang Iron and Steel Co. zu
einem der effizientesten Stahlkonzerne
der Welt.
Er orientierte sich am japanischen
Entwicklungsmodell und machte die Ex¬
portförderung zum Kern seiner Entwick¬
lungsstrategie. Bescheidene Anfänge im
Export von Textilien und Schuhen wur¬
den stetig ausgebaut und auf einfache
elektronische Bauteile und andere Er¬
zeugnisse der Leichtindustrie ausgewei¬
tet. Auf diese Weise wuchs das Export¬
volumen des Landes von 40 Millionen
Dollar im Jahr des Putsches auf eine Mil¬
liarde Dollar zehn Jahre später und 15
Milliarden Dollar im Jahr seiner Ermor¬
dung 1979.
Park war niemals ein besonderer
Freund ausländischer Direktinvestitio¬
nen, obwohl sie in grosser Menge ins
Land strömten. Ein grosser Teil des
Startkapitals für seine Industrialisierungs¬
vorhaben kam aus Japan, in Gestalt öf¬
fentlicher und privater Kredite. Im Zuge
der Normalisierung der diplomatischen
Beziehungen 1965 zahlte Japan über eine
Zeitspanne von zehn Jahren hinweg 300
Millionen Dollar und stellte ausserdem
staatliche Kredite in Höhe von 200 Mil¬
lionen und private Kredite in Höhe von
300 Millionen Dollar zur Verfügung.
Persönlich frei von jeglicher Kor¬
ruption, sorgte Park dafür, dass diese
Geldmittel zum Aufbau der Werften, der
Automobilindustrie, der elektronischen
und der petrochemischen Industrie ein¬
gesetzt wurde. Später bedauerte man in
Japan, den Koreanern das Know-how für
die Stahlproduktion zur Verfügung ge¬
stellt zu haben, denn daraus erwuchs den
japanischen Stahlkochern und Werften
eine verheerende Konkurrenz.
Park beging jedoch auch einige
schwerwiegende politische Fehler. Er för¬
derte in übertriebenem Mass exportorien¬
tierte Unternehmen mit subventionierten
Krediten und anderen Vorteilen. So trug
er dazu bei, dass überdimensionierte
industrielle Konglomerate entstanden,
die sich in zahlreichen Bereichen der
Schwer- und Leichtindustrie engagierten,
und durch verbilligte Kredite ermöglichte
er ihnen die Expansion. Ein Unter¬
nehmen wie Samsung, das in der Zucker¬
produktion und Textilherstellung begon¬
nen hatte, engagierte sich im Schiffbau
und in der Elektronik, während Hyundai,
ursprünglich ein Bauunternehmen, sich
der Automobilproduktion und der Ener¬
gieerzeugung zuwandte.
Das Ergebnis war ein chaotisches
Gebilde aus Industriekonglomeraten, die
alles produzierten und sich auf nichts spe¬
zialisierten. Dank staatlich subventionier¬
ter Kredite wurden diese als Chaebol be¬
zeichneten Gruppen immer grösser, bis
sie schliesslich die gesamte Wirtschaft des
Landes beherrschten und einen gewalti¬
gen Schuldenberg aufgetürmt hatten.
Unter der Last einer internationalen
Überschuldung und angesichts abneh¬
mender Wettbewerbsfähigkeit auf dem
Weltmarkt stürzten sie das Land in die
asiatische Finanzkrise des Jahres 1997.
Von solchen Schwierigkeiten blieb
Park zu seinen Lebzeiten verschont. Der
durchschnittliche südkoreanische Wähler
freute sich über die Verbesserung des
Lebensstandards. Die wachsende Zahl
der Arbeitsplätze und die steigenden
Löhne machten den durchschnittlichen
Südkoreaner zu einem beachtenswerten
Verbraucher, der über ein stetig wachsen¬
des Einkommen verfügen konnte. Darin
lag ein deutlicher Unterschied zu den
vorangegangenen, von Zivilisten geführ¬
ten Regimes, die das Land ineffektiv
regiert hatten.
Der Gründungsvater der Nation,
Syngman Rhee, stürzte 1960 in einer blu-
y
}.'*y
m
r
^
i-X
1995 wurde die Reisernte von Fluten komplett
zerstört. Zum ersten Mal in seiner Geschichte bat das
nordkoreanische Regime um internationale Hilfe.
tigen Studentenrevolte, nachdem er durch
gefälschte Wahlen für eine dritte Amts¬
periode bestätigt worden war. Rhee, der
bereits 73 Jahre alt war, als er 1948 die
Führung der unabhängigen Regierung
übernahm, war so mit der Verteidigung
des Landes gegen die kommunistische
Invasion aus dem Norden beschäftigt,
dass er keine Zukunftsvision entwickeln
konnte. Als die Polizei am 19. April 1960
das Feuer auf demonstrierende Studenten
eröffnete und mehr als 180 von ihnen tö¬
tete, griffen die Vereinigten Staaten ein
und zwangen Rhee zum Rücktritt.
Rhees Sturz kam zwar dem demokra¬
tischen Prozess zugute, führte aber nicht
zu einer vollgültigen Demokratie im
westlichen Sinne. Die oppositionelle De¬
mokratische Partei kam an die Macht und
änderte die Verfassung, so dass die Macht
vom Präsidenten auf den Premierminister
überging. Der gemässigte Katholik John
M.
Chang wurde Premierminister,
während Yin Posun, Führer der konserva¬
tiven Fraktion derselben Partei, das nur
noch repräsentative Amt des Staatsober¬
haupts übernahm. Sie stellten Presse- und
Koalitionsfreiheit wieder her, und so¬
gleich entstanden Dutzende neuer politi¬
scher Parteien, Zeitungen, Gewerkschaf¬
ten und anderer Interessengruppen, die
die unverzügliche Beseitigung zahlloser
Missstände forderten. Angesichts der
ständigen Protestveranstaltungen nahezu
aller sozialen Gruppen, von den Lehrern
über die Bergleute bis hin zu den Polizis¬
ten, war die Regierung gelähmt.
Die Studenten, die so viel zur Herstel¬
lung der neuen demokratischen Ordnung
beigetragen hatten, machten die Lage
noch komplizierter, indem sie eine eigene
explosive Forderung aufstellten: die Ver¬
einigung mit dem Norden. Dahinter
stand der naive Gedanke, Korea könne
ein neutraler Staat werden, wenn der
Norden den Stalinismus aufgäbe und der
Süden die Amerikaner zum Abzug ihrer
Truppen bewegte.
Als General Park putschte, stand Süd¬
korea vor der Wahl, einen brutalen Dikta¬
tor zu ertragen, der für Ordnung sorgen
konnte, oder die Dinge so weiterlaufen zu
Diese Schwäche nutzte Park aus und
schuf sich sehr schnell eine politische Ba¬
sis in der Landbevölkerung, indem er sich
mit einem pragmatischen Programm
wirtschaftlicher Entwicklung identifi¬
zierte. Er sorgte dafür, dass die Fabriken
aufs Land gingen und saisonunabhängige
Arbeitsplätze bereitstellten. Der Land¬
jugend bot er in der Armee die Mög¬
lichkeit zur Berufsausbildung, so dass die
jungen Leute nach der Ableistung des
Wehrdienstes mit einer Ausbildung als
Fahrer, Zimmermann, Elektriker oder
Schlosser nach Hause zurückkehrten. Das
ganze Land war auf Wachstum ausge¬
richtet. Von 1961 bis 1980 verdoppelte
sich das Pro-Kopf-Einkommen alle fünf
Jahre. Von 100 Dollar 1963 schoss es auf
1647 Dollar im Jahr der Ermordung
Parks. Und bis 1996, dem Jahr vor der
asiatischen Finanzkrise, war es auf 11000
Dollar gestiegen.
Aber diese Leistung forderte einen
schrecklichen Preis. Die Erfahrung Süd¬
koreas war einzigartig und lässt sich nicht
auf das restliche Asien übertragen. Sie
bietet eine wertvolle Lektion, wonach
wirtschaftliche Entwicklung kaum allein
zu haben ist. Vielmehr muss sie mit poli¬
tischer Entwicklung einhergehen, sonst
besteht die Gefahr ernsthafter sozialer
und politischer Verwerfungen. Anders als
die Verfechter «asiatischer Werte» be¬
haupten, schliessen ökonomische und po¬
litische Entwicklung einander nicht aus,
sondern sind miteinander verträglich.
Angesichts wachsender Proteste gegen
die Menschenrechtsverletzungen und die
Beschränkung der Presse- und Koali¬
tionsfreiheit
unabhängige Gewerk¬
schaften waren gesetzlich verboten - ver¬
liess Präsident Park sich auf immer
härtere Gesetze und Massnahmen, um
seine Macht zu erhalten. 1972 rief er das
Kriegsrecht aus und löste die National¬
versammlung auf, angeblich um den Er¬
folg der in Angriff genommen Yushin(Wiederbelebungs-)Reform zu sichern.
Er behauptete, die im Rahmen der
Nixon-Doktrin erfolgte Verringerung der
amerikanischen Truppenstärke könne den
Norden zu einem Angriff verleiten. Mit
diesem Argument begründete er ein Not¬
standsrecht, das es ihm gestattete, ein
Drittel der Nationalversammlung ohne
Wahl mit handverlesenen Abgeordneten
zu besetzen. Er änderte die Verfassung,
so dass ihm eine unbegrenzte Zahl
von Amtsperioden möglich wurde. Er
schaffte die Direktwahl des Präsidenten
ab und übertrug diese Aufgabe einer Ver¬
sammlung ausgewählter Abgeordneter.
Die neue Verfassung verbot sogar jede
Forderung in Wort oder Schrift nach
einer Direktwahl des Staatsoberhauptes.
Die Willkürherrschaft hatte bereits
verheerende Ausmasse angenommen.
-
Im Rahmen einer Hilfsaktion liefert die Europäische
Union Saatgut nach Nordkorea.
mit einer von korrupten,
streitenden
und ineffektiven Zivi¬
ewig
listen geführten Regierung. Wie kaum
anders zu erwarten, entschieden die süd¬
koreanischen Wähler sich für die erste
Möglichkeit, nicht aus Liebe zur Militär¬
diktatur, sondern aus Mangel an Alterna¬
tiven.
Nur selten haben südkoreanische Poli¬
tiker über die Interessen ihrer Wähler
nachgedacht. Anders als in Europa, wo
die Politiker aus Interessengruppen her¬
vorgehen, stammen die südkoreanischen
Politiker meist aus der städtischen Bil¬
lassen wie bisher,
dungsschicht und dort wiederum aus
Kreisen der Beamtenschaft oder aus
vermögenden Schichten. Da es ihnen an
Fachwissen und an der politischen Orien¬
tierung an theoretisch begründeten Al¬
ternativen mangelte, kreiste in der Poli¬
tik alles um Personen, und dies nach
Richtgrössen regionaler Herkunft oder
Schichtzugehörigkeit.
10
1973 verschleppten südkoreanische Ge¬
heimagenten den Oppositionsführer Kim
Dae Jung aus Japan und stellten ihn in
Seoul unter Hausarrest. 1979 liess Park
den Führer einer anderen Oppo¬
sitionspartei, Kim Young Sam, aus der Na¬
tionalversammlung entfernen, weil er die
Vereinigten Staaten aufgefordert hatte, in
Südkorea zu intervenieren und bei der
Wiederherstellung der demokratischen
Ordnung zu helfen. (Beide Kims wurden
später selbst zum Präsidenten gewählt.)
Wenige Tage nach Kim Young Sams Aus¬
schluss kam es in Pusan und Masan an der
Südküste zu heftigen Protesten, und Prä¬
sident Park wurde von Kim Jae Kyu er¬
schossen, dem Chef des Geheimdienstes,
dem er rückhaltlos vertraut hatte.
Parks Ermordung konnte das militäri¬
sche Establishment nicht dazu bewegen,
die Macht abzugeben. Die neuerliche
Verhaftung des Dissidentenführers Kim
Dae Jung wegen angeblicher Umtriebe
zum Sturz der Regierung löste im Mai
1980 in Kwangju, nicht weit von seinem
Geburtsort, einen heftigen Aufstand aus.
Bei der neuntägigen Erhebung gegen die
Zentralregierung wurden 200 Einwohner
der Stadt getötet und weitere 2000 ver¬
letzt. In ganz Asien wurde Kwangju zum
Symbol für den Kampf um Demokratie:
von der People's-Power-Bewegung für
Aquino 1983 in Manila über die Studen¬
tenproteste für mehr Demokratie auf dem
Pekinger Platz des Himmlischen Frie¬
dens 1989 und die Studentenproteste
1992 in Bangkok bis hin zu den Studen¬
tendemonstrationen in Jakarta, die Präsi¬
dent Suharto nach 30 Jahren Herrschaft
1998 zur Abdankung zwangen.
Nach Parks Tod wurde der pensionierte
General Roh Tae Woo zum Präsidenten
gewählt. Zuvor hatte man die Direktwahl
des Präsidenten wieder eingeführt, und
zwar im Gefolge der sogenannten Samte¬
nen Revolution, in der Hunderttausende
junger Büroangestellter tagelang friedlich
demonstriert und ein Ende der Militär¬
herrschaft gefordert hatten. Darin kulmi¬
nierte ein 30 Jahre währender Kampf um
politische Freiheit, dessen Speerspitze die
Studenten gebildet hatten, massiv unter¬
stützt von der liberalen christlichen Ge¬
meinde das Landes. Der katholische Kle¬
rus und protestantische Führer spielten
eine führende Rolle in der Demokratie¬
bewegung und arbeiteten dort eng mit der
Arbeiterschaft zusammen. Da nun eine
gewählte Regierung im Amt war, markier¬
ten die Olympischen Spiele 1988 in Seoul
für das südkoreanische Volk einen bedeut¬
samen Übergang.
Die Entwicklung politischer Vielfalt
in Südkorea stellt für Nordkorea eine
neue Herausforderung dar, die stalinisti¬
sche Isolation aufzugeben und die Wirt¬
schaft zu reformieren. Der weltweite Zu-
sammenbruch des Sozialismus und die
Auflösung der Sowjetunion 1991 ver¬
stärkte die bereits tiefgreifende ökonomi¬
sche Krise. Das magere Bruttosozial¬
produkt von 22 Milliarden Dollar
(Schätzung der Bank of Korea in Seoul)
ist in den letzten zehn Jahren ständig ge¬
sunken, da die ehemaligen sozialistischen
Staaten keine Hilfe mehr leisten und auch
die minderwertigen Erzeugnisse des Lan¬
des nicht mehr abnehmen. Eine Agrar¬
politik, die Ideologie über Produktivität
stellt, hat zusammen mit schlechten Wet¬
terverhältnissen eine verheerende Nah¬
rungsmittelknappheit herbeigeführt und
Pyongyang gezwungen, Südkorea, die
Vereinigten Staaten, die Vereinten Natio¬
nen und die Europäische Gemeinschaft
jährlich um etwa eine Million Tonnen
Nahrungsmittel zu bitten.
Der Tod des stalinistischen Diktators
Kim II Sung 1994 fiel mit dem Beginn
einer fünfjährigen Hungersnot zusam¬
men, der nach Schätzungen westlicher
Hilfsorganisationen zwei bis drei Millio¬
nen Menschen zum Opfer fielen. Wie
verheerend die Lage sein musste, bewie¬
sen Tausende hungriger Nordkoreaner,
die auf der Suche nach Nahrung an die
chinesische Grenze strömten. Dies ist das
Ergebnis einer Politik, die Milliarden
Dollar in ein Geheimprojekt zur Ent¬
wicklung von Atomwaffen steckte. In der
Genfer Übereinkunft von 1994 erklärte
der Norden sich bereit, das Atomwaffen¬
projekt einzustellen; im Gegenzug sollte
Südkorea zwei Leichtwasserreaktoren zur
Stromerzeugung liefern. Doch im August
1998 schockierte Pyongyang die Welt mit
dem Abschuss einer ballistischen Lang¬
streckenrakete, die über Japan hinweg
flog. Jetzt fordert Nordkorea zwei Milli¬
arden Dollar als Preis für die Bereitschaft,
Entwicklung und Export von Raketen zu
suspendieren.
Nordkoreas oberster Führer Kim Jong
Il spielt mit Washington und Seoul ein
gefährliches Spiel, das sich hart am Ab¬
grund bewegt. Wie sein Vater Kim II
Sung stützt er sich aufdie Armee, um Re¬
formen abzuwehren. Die Hungersnot
und das Unvermögen Chinas, wirksame
Hilfe zu leisten, zwingen den 58jährigen
Generalsekretär der Kommunistischen
Partei und Vorsitzenden des Zentralen
Militärausschusses, im Süden um finan¬
zielle Hilfe nachzusuchen. Ein Projekt,
das es Südkoreanern ermöglicht, das
landschaftlich schöne Kumkang-Gebirge
im Norden zu besuchen, bringt dem
Norden jährlich 150 Millionen Dollar
ein. Hinzu kommt der indirekte Handel
mit dem Süden, der im ersten Halbjahr
1999 einen Umfang von 74 Millionen
Dollar erreichte. Diese Devisen und die
Nahrungsmittelhilfe aus aller Welt, zu der
die USA vergangenes Jahr 900 000 Ton¬
nen beisteuerten, hält das Regime in
Pyongyang wenige Schritte vom Ab¬
grund.
Kim steht vor einem äusserst schwieri¬
gen Dilemma. Die Unfähigkeit, das Land
zu reformieren und die Wirtschaft zu
öffnen, wie China das verlangt, lässt
als Folge stetigen Zerfalls einen Zu¬
sammenbruch des Systems befürchten.
Wählt Kim den Weg, den China vor¬
schlägt, hat er möglicherweise die Bevöl¬
kerung bald nicht mehr im Griff. «Das
Regime hat überleben können, weil es
eine extreme soziale und politische Kon¬
trolle ausübt, den ideologischen Eifer in
einer feindlichen Umgebung stärkt, wirt¬
schaftlichen und politischen Nutzen aus
einer erpresserischen Politik zieht und
eine riesige Militärmaschine unterhält»,
sagt der russische Experte Vladimir P.
Lukin. Amerikanische und südkoreani¬
sche Experten sehen für die Zukunft
Nordkoreas drei mögliche Szenarien:
Harte Landung: Das Regime bricht
zusammen, weil es nicht länger in der
Lage ist, eine wirksame politische, ökono¬
mische und soziale Kontrolle aufrecht zu
erhalten. Die Endphase dieses Szenarios
hängt vom Ausmass der inneren Gewalt
ab, was im Extremfall eine Situation
Kim jedoch Wirtschaftshilfe und Nah¬
rungsmittellieferungen aus Südkorea und
den USA, und das musste auf Dauer seine
Legitimation untergraben. Er wäre in im¬
mer stärkerem Masse auf ausländische
Hilfe angewiesen und liefe Gefahr, dass
enttäuschte Hardliner in Partei oder Ar¬
mee sich gegen ihn erhöben.
Keines dieser Szenarien vermag den
Norden zu retten. Und keines ist für den
Süden angenehm. Präsident Kim Dae
Jung verfolgt den Kurs einer sanften Lan¬
dung und hofft, Nahrungsmittelhilfe und
Investitionen könnten den Norden von
einem zerstörerischen Weg abhalten. Das
ist die «Sonnenscheinpolitik», wie Kim
Dae Jung sie nennt, weil sie das Klima er¬
wärmen und Pyongyang an den Verhand¬
lungstisch bringen soll.
Ein plötzlicher Zusammenbruch der
Kim-Regierung ist das letzte, was man in
Seoul wünscht, weil die dann erforder¬
lichen Geldmittel astronomische Aus¬
masse erreichen würden. Nach Schätzun¬
gen wären bei einer Vereinigung über
einen Zeitraum von zehn bis fünfzehn
Jahren mit Kosten in Höhe des zwei- bis
dreifachen südkoreanischen Bruttosozial¬
produkts zu rechnen. «Die Summen sind
so gross, dass man sie gar nicht erst zu
«em&ms**
mm m
Nordkoreanische Feldarbeiterin.
Sorgfältig gepflegte Setzlinge.
einschliessen kann, in der verschiedene
schätzen braucht», meint ein Analytiker
der Regierung.
Die Alternative dazu ist eine Politik,
die den Norden im Dialog mit dem Süden
und den Vereinigten Staaten hält, um ein
Abgleiten in die Katastrophe zu verhin¬
dern. Es ist ein Spiel nervösen Beobach¬
ter und Abwartens, bei dem man darauf
achtet, dass es nicht allzu weit vom gegen¬
wärtigen Kurs lautstarker, aber nicht durch
politische Gruppen oder Regionen
gegeneinander kämpfen, während das
Land in Chaos und Gewalt versinkt.
Wenn das geschieht, könnte daraus ein
neuer Verzweiflungsangriff auf den Süden
resultieren. Angesichts der Zerstörungs¬
kraft der nordkoreanischen Militär¬
maschine könnte solch ein Angriff kata¬
strophale Folgen für beide Seiten haben.
Weiche Landung: Kim führt schritt¬
weise eine kontrollierte Reform durch,
um Chaos und Gewalt zu vermeiden.
Aber je mehr die Wirtschaft sich erholt
und das politische System sich entspannt,
desto grösser werden Veränderungsdruck
und Unruhe im Volk. Kann eine ge¬
schwächte Partei oder Regierung diese
Herausforderung bestehen?
Keine Landung: Kim und die Armee
versuchen, die Krise ohne nennenswerte
Reformen durchzustehen und den Status
quo aufrecht zu erhalten. Dazu benötigte
11
»
Handlungen unterstützter Drohungen
abweicht. Für den Augenblick halten die
Vereinigten Staaten und Südkorea Zu¬
ckerbrot und Peitsche bereit: Sie belohnen
Nordkorea fur jedes Zeichen der Mässigung, reagieren aber entschlossen auf jede
Provokation. Diese Entschlossenheit demonstrierte Seoul etwa, als die Südkoreanische Marine im vergangenen Jahr ein
nordkoreanisches Schiff versenkte, das im
Gelben Meer das Feuer auf südkoreanisehe Schiffe eröffnet hatte.
¦
a
l
;
:
\
c
\
\
Herunterladen