F45.0 Somatisierungsstörung Klinisch-diagnostische Leitlinien Forschungskriterien Klinisch-diagnostische Leitlinien Charakteristisch sind multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die meist bereits seit einigen Jahren bestanden haben, bevor der Patient zum Psychiater überwiesen wird. Die meisten haben in der Primärversorgung und in spezialisierten medizinischen Einrichtungen eine lange und komplizierte Anamnese hinter sich, mit vielen negativen Untersuchungen und ergebnislosen Operationen. Die Symptome können sich auf jeden Körperteil oder jedes Körpersystem beziehen. Zu den häufigsten gehören gastrointestinale Beschwerden (wie Schmerz, Aufstoßen, Rumination, Erbrechen, Übelkeit usw.) und abnorme Hautempfindungen (wie Jucken, Brennen, Prickeln, Taubheitsgefühl, Wundsein usw.) und Ausschlag. Auch sexuelle und menstruelle Störungen sind häufig. Deutliche Depression und Angst kommen häufig vor und können eine spezifische Behandlung erfordern. Der Verlauf der Störung ist chronisch fluktuierend und häufig mit einer langdauernden Störung des sozialen, interpersonalen und familiären Verhaltens verbunden. Die Störung ist weitaus häufiger bei Frauen als bei Männern und beginnt meist im frühen Erwachsenenalter. Abhängigkeit oder Missbrauch von Medikamenten (gewöhnlich Tranquilizer und Analgetika) resultieren häufig aus zahlreichen Verschreibungen. Diagnostische Leitlinien Mindestens zwei Jahre anhaltende multiple und unterschiedliche körperliche Symptome, für die keine ausreichende somatische Erklärung gefunden wurde; hartnäckige Weigerung, den Rat oder die Versicherung mehrerer Ärzte anzunehmen, dass für die Symptome keine körperliche Erklärung zu finden ist; Eine gewisse Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktionen durch die Art der Symptome und das daraus resultierende Verhalten. Dazugehörige Begriffe: · multiples Beschwerdesyndrom · multiple psychosomatische Störung Differentialdiagnose: Für die Diagnosenstellung ist die Differenzierung von folgenden Störungen wichtig: Körperliche Störungen: bei Patienten mit chronifizierten Somatisierungsstörungen besteht eine ebenso große Wahrscheinlichkeit, eine zusätzliche körperliche Krankheit zu entwickeln wie bei jeder anderen altersentsprechenden Person. Weitere Untersuchungen oder Beratungen sind zu erwägen, wenn sich die Klagen über somatische Beschwerden in ihrer Betonung oder Stetigkeit verändern und so auf eine mögliche körperliche Krankheit hinweisen. Affektive (depressive) und ängstliche Störungen: unterschiedliche Schweregrade von Depression und Angst begleiten die Somatisierungsstörungen. Diese müssen nicht getrennt davon diagnostiziert werden, es sei denn, sie sind sehr deutlich und anhaltend, und rechtfertigen damit eine eigene Diagnose. Der Beginn multipler körperlicher Symptome nach dem 40. Lebensjahr kann eine frühe Manifestation einer primär depressiven Störung sein. Hypochondrische Störung: bei den Somatisierungsstörungen liegt der Hauptakzent auf den Symptomen selbst und ihren individuellen Auswirkungen. Bei der hypochondrischen Störung ist die Aufmerksamkeit mehr auf das Vorhandensein eines zugrundeliegenden fortschreitenden und ernsthaften Krankheitsprozesses und seine Behinderungsfolgen gerichtet. Bei der hypochondrischen Störung neigt die betroffene Person dazu, Untersuchungen zu verlangen, welche die Art der zugrundeliegenden Krankheit bestimmen oder bestätigen sollen. Bei den Somatisierungsstörungen wird um eine Behandlung zur Beseitigung der Symptome nachgesucht. Außerdem liegt gewöhnlich ein ausgeprägter oder übertriebener Medikamentengebrauch und eine fehlende Compliance über längere Zeiträume vor, während sich die Patienten mit einer hypochondrischen Störung vor Medikamenten und ihren Nebenwirkungen fürchten und durch häufige Besuche bei verschiedenen Ärzten Beruhigung suchen. Wahnhafte Störungen: z.B. Schizophrenie mit somatischem Wahn und depressive Störungen mit hypochondrischem Wahn. Die bizarren Züge der Überzeugungen zusammen mit der geringeren Anzahl und größeren Beständigkeit der körperlichen Symptome sind sehr typisch für wahnhafte Störungen. Eine kurzdauernde (beispielsweise weniger als 2 Jahre) und weniger auffällige Symptomatik wird besser als undifferenzierte Somatisierungstörung (F45.1) klassifiziert. Forschungskriterien A. Eine Vorgeschichte von mindestens zwei Jahren mit anhaltenden Klagen über multiple und wechselnde körperliche Symptome, die durch keine diagnostizierbare körperliche Krankheit erklärt werden können. Eine eventuell vorliegende bekannte körperliche Krankheit erklärt nicht die Schwere, das Ausmaß, die Vielfalt und die Dauer der körperlichen Beschwerden oder die damit verbundene soziale Behinderung. Wenn einige vegetative Symptome vorliegen, bilden sie nicht das Hauptmerkmal der Störung, d.h. sie sind nicht besonders anhaltend oder belastend. B. Die ständige Sorge um die Symptome führt zu andauerndem Leiden und dazu, dass die Patienten mehrfach (drei oder mehrmals) um Konsultationen oder Zusatzuntersuchungen in der Primärversorgung oder beim Spezialisten nachsuchen. Wenn aus finanziellen oder geographischen Gründen medizinische Einrichtungen nicht erreichbar sind, kommt es zu andauernder Selbstmedikation oder mehrfachen Konsultationen bei örtlichen Laienheilern. C. Hartnäckige Weigerung, die medizinische Feststellung zu akzeptieren, dass keine ausreichende körperliche Ursache für die körperlichen Symptome vorliegt. Akzeptanz der ärztlichen Mitteilung allenfalls für kurze Zeiträume bis zu einigen Wochen oder unmittelbar nach einer medizinischen Untersuchung. D. Insgesamt sechs oder mehr Symptome aus der folgenden Liste, mit Symptomen aus mindestens zwei verschiedenen Gruppen: Gastro-intestinale Symptome: 1. Bauchschmerzen, 2. Übelkeit, 3. Gefühl von Überblähung 4. schlechter Geschmack im Mund oder extrem belegte Zunge, 5. Klagen über Erbrechen oder Regurgitation von Speisen, 6. Klagen über häufigen Durchfall oder Austreten von Flüssigkeit aus dem Anus. Kardio-vaskuläre Symptome: 7. Atemlosigkeit ohne Anstrengung, 8. Brustschmerzen. Urogenitale Symptome: 9. Dysurie oder Klagen über die Miktionshäufigkeit, 10. unangenehme Empfindungen im oder um den Genitalbereich, 11. Klagen über ungewöhnlichen oder verstärkten vaginalen Ausfluß. Haut- und Schmerzsymptome: 12. Klagen über Fleckigkeit oder Farbveränderungen der Haut, 13. Schmerzen in den Gliedern, Extremitäten oder Gelenken, 14. unangenehme Taubheit oder Kribbelgefühl. E. Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Störung tritt nicht ausschließlich während einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F20-F29), einer affektiven Störung (F30-F39) oder einer Panikstörung (F41.0) auf.