Ein Herz voller Angst - Schweizerische Herzstiftung

Werbung
Ein Herz voller Angst
Ein Mensch wird von beklemmender Angst überfallen, sein Herz hämmert,
er hat Mühe beim Atmen. «Alles in Ordnung», wird ihm nach einer sorgfältigen
Untersuchung beschieden. Doch seine Herzangst bleibt bestehen, und er verspürt die Beschwerden weiterhin. Die Medizin spricht von einer «funktionellen
kardiovaskulären Störung».
Viele kennen die Erfahrung: In einem Augenblick starker
Angst oder nach körperlicher Anstrengung trommelt unser
Herz wild gegen die Brust. Meist verschwindet der Spuk
rasch wieder. Doch es gibt Menschen, die während Jahren
immer wieder von solchen Attacken heimgesucht werden:
Ihr Puls ist doppelt so schnell wie sonst, das Herz stolpert,
der Blutdruck steigt, es kann zu Schwindel, Luftnot,
Schweissausbrüchen, Herzschmerzen kommen, manchmal
tagsüber, manchmal mitten aus dem Schlaf heraus. Häufigstes und bezeichnendes Merkmal ist die Angst: eine unbestimmte Angst ohne fassbare Ursache, gepaart mit der Angst
vor etwas Konkretem, also vor einem bedrohlichen Problem,
vor einem Herzinfarkt, vor dem plötzlichen Herztod.
Die Seele spricht mit
Ärzte bezeichnen solche Herzbeschwerden, bei denen
sich keine körperliche Krankheit als Ursache finden lässt,
als funktionelle kardiovaskuläre Störung (funktionell =
auf einer Funktion oder auf der Störung einer Funktion
beruhend). Andere Bezeichnungen wie Herzangstsyndrom
oder Herzneurose weisen deutlicher auf die seelische Entstehung der Krankheit hin (Syndrom = das gleichzeitige
Vorliegen verschiedener Krankheitsmerkmale). Das bedeutet
nicht, dass die geschilderten Symptome nur eingebildet
oder vorgetäuscht wären. Sie werden sehr real erlebt.
Betroffene – eher jüngere Menschen – unterscheiden sich
damit grundsätzlich vom «eingebildeten Kranken», dem
Hypochonder, welcher der festen Überzeugung ist, krank
zu sein, ohne aber die panikartigen Symptome zu haben.
In der Öffentlichkeit ist das angstbedingte Herzstolpern wenig bekannt. Und doch tritt die Störung nicht
selten auf. In einer kardiologischen Praxis beispielsweise
ist bei zwei Dritteln (!) der Patienten nicht das Herz der
Auslöser von Leiden im Brustraum. Das Paniksyndrom
kommt immer wieder vor.
Die eigentlichen Auslöser des Herzangstsyndroms
sind manchmal identifizierbar: Beispielsweise können
bedrückende Lebenssituationen, Tod oder Herzinfarkt bei
HERZUNDKREISLAUF
1/2006
7
Report
Freunden oder in der Familie zu einer gesteigerten, ängstlichen Aufmerksamkeit auf das Geschehen in der Brust
führen. Häufig jedoch erkennt man den Grund nicht auf
Anhieb.
«Es ist nichts» reicht nicht
In der Folge vermindern sich Lebensfreude und Lebensqualität der Betroffenen zum Teil dramatisch. Viele
Menschen, die unter Herzangst leiden, entwickeln eine
ausgeprägte Schonhaltung. Sie vermeiden nach Möglichkeit körperliche Belastungen und haben deshalb auch
Angst vor sexueller Aktivität.
Keine Scheu vor Fehlalarm!
Der Beitrag «Ein Herz voller Angst» widmet sich
Menschen mit Herzstolpern und Herzangst, bei denen
eine organische Ursache bereits ausgeschlossen worden
ist. Grundsätzlich gilt weiterhin: Bei einem Verdacht auf
einen Infarkt alarmieren Sie unverzüglich den Notruf 144!
Haben Sie keine Scheu vor einem Fehlalarm! Die Anzeichen
eines Herzinfarkts können vielfältig sein:
– schwere, länger als 15 Minuten anhaltende Schmerzen
im Brustkorb, die in Arme, Schulter, Schulterblätter,
Hals, Kiefer und Oberbauch ausstrahlen können
– starkes Engegefühl, heftiger Druck im Brustkorb,
Angstgefühle
– Luftnot, Übelkeit und Erbrechen, unregelmässiger Puls
– Schwächeanfälle (auch ohne Schmerzen), eventuell
Bewusstlosigkeit
– blasse, fahle Gesichtsfarbe, kalter Schweiss
Diese Angst muss ernst genommen werden. An erster
Stelle steht das Gespräch mit einem Arzt, der dieses Problem kennt. Eine sorgfältige Abklärung mit den Mitteln der
Diagnostik wie Laboruntersuchungen, Belastungstest, Herzultraschall oder Langzeit-EKG schafft Klarheit darüber, ob
eine organmedizinische Ursache ausgeschlossen werden
kann, zum Beispiel eine koronare Herzerkrankung oder eine
Rhythmusstörung, die das Phänomen ausgelöst hat, im
Zeitpunkt der Untersuchung aber nicht mehr vorhanden ist.
Auch eine Schilddrüsenüberfunktion kann ähnliche Herzbeschwerden verursachen, und oft gehen die Symptome
von Wirbelsäulenbeschwerden aus.
Wird kein körperlicher Befund erkannt, reicht es
nicht, zu sagen: «Es ist nichts.» Denn da ist sehr wohl etwas,
nämlich das tobende Herz des Patienten, seine Angst und
sein Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie sind keine Einbildung. Nur gibt es keine medizinischen Zeichen. Hauptbestandteile der Behandlung sind deshalb Einfühlungsvermögen und Respekt auf Seiten des Arztes, Geduld und
Vertrauen auf Seiten des Patienten. Es gilt vor allem zu
vermeiden, dass der Patient von Arzt zu Arzt geht, immer
von Neuem enttäuscht, weil keiner den Grund für seine
Beschwerden findet. Bei schwereren Leiden kann es deshalb
nötig sein, die Hilfe eines Psychotherapeuten beizuziehen.
Häufiger reichen Gespräche mit dem Hausarzt, allenfalls für
kürzere Zeit unterstützt durch Medikamente, die beruhigend
wirken, oder durch Betablocker. Einigen Betroffenen hilft es,
aktive Entspannungsverfahren zu erlernen. Ziel ist es, dass
die Betroffenen schrittweise lernen, mit den Herzattacken
umzugehen, und dass sie mit der Zeit das Vertrauen in
die Leistungskraft ihres Herzens zurückgewinnen.
Lagern Sie den Patienten mit angehobenem Oberkörper,
öffnen Sie einengende Kleidungsstücke. Falls vorhanden,
geben Sie ihm 500 mg Aspirin, in Wasser aufgelöst, und
allenfalls Nitroglyzerin.
Es ist möglich, dass die Betroffenen nur Schwäche,
Atemnot oder Erschöpfung wahrnehmen. Besonders Frauen
Dr. Mikael Rabaeus
Chefarzt in der Klinik von Genolier, VD
und Diabetiker weisen häufig wenig ausgeprägte Symptome
auf. So sind bei Frauen zum Beispiel Luftnot, Übelkeit,
Schmerzen im Oberbauch, Erbrechen nicht selten alleinige
Anzeichen.
8
HERZUNDKREISLAUF
1/2006
Informationen über Warnzeichen und das richtige
Verhalten bei einem Herznotfall vermittelt die Broschüre
«Herznotfall – jede Minute zählt!» der Schweizerischen
Herzstiftung (Bestelladresse letzte Seite).
Herunterladen