Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent » Die innere Drehbühne der Politik – politische Kommunikation zwischen Werteorientierung und Machtbewusstsein Für einen guten Politiker reicht es nicht aus, wenn er Gutes im Sinn hat – auch wenn dies durchaus schon viel ist! Er muss darüber hinaus gut kommunizieren können, um eine Chance zu haben, seine Ideen zu verwirklichen; er muss von anderen lernen und mit ihnen zusammenarbeiten können. Nun liegt in der politischen Kommunikation vieles im Argen – zumindest ist der Ruf von Politikern nicht der beste. Sie gelten als nichtssagende Schwafler, als Lügner, die einem keinen reinen Wein einschenken, als unauthentisch und undialogisch. Unter dieser Wahrnehmung haben auch wir gelitten. Mit diesem Artikel möchten wir einen Beitrag zur politischen Kommunikationskultur und zu ihrem besseren Verständnis leisten. Was wir dafür mitbringen, ist eine Doppelqualifikation: zum einen jahrelange politische Erfahrung als streckenweise erfolgreiche aktive Gewerkschaftsfunktionäre, Parlamentarier und Regierungsmitglieder. Zum anderen eine gründliche Kenntnis der Hamburger Schule der Kommunikationspsychologie. Zunächst geht es uns darum, die besonderen Herausforderungen für Politiker herauszuarbeiten: Wie unterscheiden sich diese von den Anforderungen, vor denen beispielsweise ein Arzt, Lehrer oder Trainer steht? Dabei werden wir auf eine Reihe von Dilemmata stoßen, die in der Rolle des Politikers Die innere Drehbühne der Politik 127 angelegt sind, und Wege skizzieren, wie ein konstruktiver Umgang mit ihnen aussehen kann. Besondere Herausforderungen politischer Kommunikation Die Inhalte politischer Kommunikation sind Themen von öffentlichem Interesse. Dabei unterscheiden sich Bewertungen und Interessenlagen deutlich je nach gesellschaftlicher Stellung des Bewertenden (arm oder reich, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber), seinem Wertesystem (Religion, kulturelle Prägung, Milieu) und seiner politischen Heimat (rot, schwarz, gelb, grün …). Ziel politischer Kommunikation ist idealerweise die Gestaltung der Regeln und die Lösung der Konflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Als erfolgreich wollen wir hier denjenigen Politiker bezeichnen, der für die Verwirklichung seiner Vorstellungen und Kon­zepte die (notwendige) demokratische Mehrheit gewinnen kann. Dabei ist für eine gute Politik die Beherrschung kommunikativer Techniken notwendig, aber nicht ausreichend. Zusätzlich wird aus unserer Sicht eine kraftvolle innere Überzeugung und Werteorientierung als Grundlage der eigenen Vorstellungen und Konzepte gebraucht. Ohne diese würde der Politiker zum inhaltsleeren Machttechniker, der sich unweigerlich an den Lehrsätzen von Machiavelli orientiert nach dem Motto: Egal wofür – Hauptsache, mächtig! Politik kann also nur dann wirklich «gut» genannt werden, wenn sie auch dazu dient, innere Überzeugungen zu verwirklichen. Gute Politik müsste uns darüber hinaus inhaltlich gefallen. Allerdings läuft ein an seinen Werten orientierter Politiker 128 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent ohne ein realistisches Machtbewusstsein Gefahr, trotz guter Absichten wirkungslos zu bleiben. Das wäre schlecht für seine guten Absichten und für diejenigen, in deren Interesse und in deren demokratischem Auftrag er tätig ist. Mit einem Werteund Entwicklungsquadrat (s. Abb. 1) lässt sich die Spannung zwischen diesen Ausrichtungen skizzieren: Innere Überzeugung Werteorientierung Entwertende Übertreibung Einflussloses Gutmenschentum Positive Spannung Machtbewusstsein Konträre Gegensätze Überkompensation Entwertende Übertreibung Machiavellistische Machttechniken Abb. 1: Werte- und Entwicklungsquadrat Werteorientierung – Machtbewusstsein Die Orientierung in diesem Spannungsfeld ist in der politischen Kommunikation nicht leicht. Möchte sich ein Politiker beispielsweise an humanistischen Werten orientieren, so steht er in Wahlkampfsituationen vor dem Problem, dass ein ausgeprägt respekt- und verständnisvoller Umgang mit dem politischen Gegner den eigenen Erfolg behindern kann. Denn hier kommt es naturgemäß auf Polarisierung an. Wir können dieses Dilemma nicht lösen, halten es gleichwohl für wesentlich, reflektiert mit der Spannung zwischen Werteorientierung und Die innere Drehbühne der Politik 129 Machtbewusstsein umzugehen, und werden im Folgenden immer wieder darauf zurückkommen. Im Zentrum dieses Beitrages jedoch sollen die Formen situationsgemäßer politischer Kommunikation stehen. Worin liegen deren Besonderheiten? Adressaten politischer Kommunikation sind zumeist nicht Einzelne, sondern die öffentliche Hörerschaft. Selbst bei scheinbaren Dialogen, zum Beispiel auf einem Podium oder in einer TV-Talkshow mit Moderatoren, sind oft die Zuschauer die eigentlichen Adressaten. Und während sich gelungene Kommunikation im täglichen Leben meist an der Fähigkeit zum gegenseitigen Verständnis und an der Suche nach Gemeinsamkeiten erkennen lässt, gibt es in der politischen Kommunikation oft das Ziel, Unterschiede und Trennendes zu betonen. Schauen wir uns wesentliche Rollen-Anforderungen an einen Politiker und ihre Widersprüchlichkeiten an. » Polarisierer und Vermittler Besonders im Wahlkampf ist die Erkennbarkeit von Unterschieden von entscheidender Bedeutung. Der Politiker muss hier die Differenzen zu anderen Parteien deutlich machen, ihnen Gewicht geben, das eigene Profil schärfen und klare Grenzen setzen: Er muss polarisieren. Es geht um Trennschärfe. Ohne wahrnehmbare Unterschiede gäbe es keine Entscheidungsmöglichkeit bei Wahlen. Nach der Wahl, bei der Umsetzung politischer Ideen, sind andere Qualitäten gefragt. Das gilt in erster Linie für Regierungspolitiker. Jetzt kommt es darauf an, auch mit anderen Akteuren ins Gespräch zu kommen. In Behörden gilt es, den Sachverstand 130 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent und die Erfahrung der Beamten und Angestellten zu berücksichtigen. Bei parlamentarischen Initiativen wird mindestens die Hälfte des Parlamentes für die Sicherung der Mehrheit gebraucht. Und bei fast allen wirtschaftlichen Fragen sind Unternehmen und ihre Verbände wichtige Verhandlungspartner. In diesen und manchen anderen Situationen sind Verhandlungsqualitäten gefragt. Es geht darum, andere von den eigenen Positionen zu überzeugen, sie für ein bestimmtes Verhalten zu gewinnen und die richtigen Schritte zum richtigen Zeitpunkt zu gehen. Dabei kommt es vor allem darauf an, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und Gegensätze in den Hintergrund treten zu lassen. Wenn es um Verhandlungen geht, um Interessenausgleich und die Verbreiterung der demokratischen Legitimation politischen Vorgehens, muss der ideale Politiker also insbesondere ein guter Vermittler sein, der seine Gesprächspartner mit Respekt behandelt, offene Ohren hat und zuhören kann. Er tut gut daran, seinen Ärger gelegentlich hinunterzuschlucken und sich nicht öffentlich als Sieger über Leute zu präsentieren, mit denen er später noch Einigungen erreichen will. Muss also der ‹erfolgreiche Politiker› hier plötzlich ein anderer Mensch werden? Verfolgen wir seinen Weg ­zunächst weiter. » Sprecher der Herzen und nüchterner Analytiker Wenn es darum geht, andere für die eigenen Ziele zu erwärmen, ist Einfühlungsvermögen in deren Seelenlage wichtig. Wer als Sprecher der Herzen die Gefühle seiner Zuhörer in Worte fassen kann, schafft Vertrauen und Zustimmung, und das Vertrauen der eigenen Gefolgschaft ist eine wichtige Voraussetzung für Wahlerfolge. Bei der Situationsanalyse und der Planung politischer Prozesse kommt es demgegenüber Die innere Drehbühne der Politik 131 eher auf emotionslose Nüchternheit und kluge Vorausschau an. Eine allzu große Begeisterung für die eigenen politischen Ideen kann hier durchaus hinderlich sein. Der nüchterne Analytiker ist in Gefahr, die Herzen der Menschen nicht zu erreichen. Der begeisterte Herzensmensch hingegen droht in der Überidentifikation mit seinem Standpunkt die Realität zu verzerren oder zu versimpeln. » Anführer und Repräsentant Bei Meinungsbildungsprozessen muss sich der Politiker zwischen den Rollen eines «Repräsentanten» und eines «Anführers» bewegen. Als Repräsentant wird er im Auftrag seiner Wähler tätig, die er vertreten soll. Wähler suchen sich in einer Demokratie die Personen aus, denen sie die Vertretung ihrer Interessen und Positionen am besten zutrauen. Mit der Wahl übertragen die Wähler ihren Anteil an der «Volksmacht» auf ihren Repräsentanten, sodass dessen erhöhte Macht durch ­ihren Auftrag legitimiert ist. Dieser könnte also lauten: «Sei die Stimme und der verlängerte Arm deiner Wähler!» Als Anführer muss der Politiker seine Basis davon überzeugen können, seinen Vorschlägen zu folgen. Schwierig wird dies vor allem dann, wenn er im Zuge seiner Tätigkeiten zu Erkenntnissen kommt, die von seiner Gefolgschaft so nicht oder noch nicht geteilt werden. Hier kommt ihm die Aufgabe zu, auch für unpopuläre und schmerzhafte Entscheidungen, die er gleichwohl für nötig hält, zu werben. Wer immer nur Repräsentant ist, läuft Gefahr, interessenbedienender Opportunist ohne eigenes ‹Standing› zu sein. Wer immer nur Anführer ist, droht dagegen den Auftrag zu verfehlen, den er von seiner Basis erhalten hat und der ihn legitimiert. 132 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent » Visionär und Macher Selten sind in der Welt die realen Zustände so, wie man sie haben möchte. Daraus ergibt sich für den Politiker ein weiterer Rollenkonflikt. In der Rolle des Visionärs orientiert er sich an einem Zielzustand, wie er oft durch Parteiprogramme beschrieben wird. Nicht selten finden wir dort die Skizze einer Welt, in der es im Prinzip allen Menschen gutgeht und sie ohne Sorgen in Frieden und Freiheit miteinander leben. Während z. B. die Grünen dabei besonderen Wert darauf legen, keinen Gefahren aus Atomenergienutzung oder Umweltverschmutzung ausgesetzt zu sein, könnten bei Sozialdemokraten Gerechtigkeit und die Lebensverhältnisse der kleinen Leute stärker im Vordergrund stehen und bei Konservativen vielleicht das hohe Wirtschaftswachstum, das Wohlstand für alle sichern soll. Visionen bebildern die Ziele und verleihen ihnen ihre Kraft. Als Visionär wird ein Politiker im Sinne seiner Ziele argumentieren und um Unterstützung für sich und seine Ziele werben. Um jedoch tatsächliche Änderungen erreichen zu können, muss er als Macher auf Erwerb und Erhalt von Einfluss und Macht bedacht sein. Erfahrungsgemäß geben viele Wähler bei ihren Entscheidungen den bereits erfolgreichen Politikern den Vorzug gegenüber ihren noch erfolglosen Mitbewerbern. Je ehrgeiziger die Visionen, desto mehr läuft ein Politiker Gefahr, diese nicht erreichen zu können und deshalb als gescheitert wahrgenommen zu werden. Erfolge bei der Gestaltung der Wirklichkeit sind häufig in eher kleinen Schritten zu messen. Hier ist die Bewertung eines kleinen Schrittes sehr stark von der angelegten Messlatte abhängig: Gegenüber einer ehrgeizigen Vision erscheinen kleine Schritte eher als Misserfolge – gegenüber dem vorhergehenden Zustand erscheinen sie eher als Erfolge. Um als erfolgreich wahrgenommen zu werden, wird der Die innere Drehbühne der Politik 133 kluge Politiker also darauf drängen, seine erreichten Ergebnisse in erster Linie an der Ausgangslage und nicht an den Visionen zu messen. Bei den Grünen wurde jahrelang erbittert darüber gestritten, an welchem der beiden Kriterien ihre Politik ausgerichtet werden sollte. Diese sogenannte Realo/ Fundi-Debatte ging in die Geschichte ein. Die «Fundamentalisten» standen dabei für eine Politik mit dem Ziel, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend umzugestalten, während die «Realos» als Vertreter des «Machbaren», der Veränderung in kleinen Schritten, auftraten. Bei näherem Hinsehen gibt es diese Polarität nicht nur bei den Grünen, sondern in fast allen Parteien und politischen Gruppierungen. In der entwertenden Übertreibung wird der Macher zum Machtpolitiker, der die inhaltlichen Ziele seiner Politik aus den Augen verloren hat: Hauptsache, er behält seinen Posten. Der Visionär wird in der entwertenden Übertreibung zum Utopisten und Phantasten, dem es egal ist, wozu sein Verhalten in der Wirklichkeit führt, wenn nur seine Werte- und Ideenwelt nicht zu Schaden kommt. Wie umgehen mit Rollenkonflikten? Wir sehen an diesen Rollenanforderungen, die zugleich Rollenkonflikte sind, dass der Politiker mal so und mal so auftreten muss: mal als zuspitzender Polarisierer, mal als diplomatischer Vermittler usw. Es werden ihm also unterschiedliche, oft gegensätzliche Qualitäten abverlangt. Wie kann ein Politiker mit diesen Rollendilemmata umgehen und dabei gleichzeitig sich selber und den eigenen Ideen treu bleiben? Wir möchten dieser Frage zunächst theoretisch und dann anhand konkreter Beispiele nachgehen. 134 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent Die Innenansicht von Rollenwechseln: Das Innere Team auf der Drehbühne in der Politik Mit dem Modell des Inneren Teams hat Friedemann Schulz von Thun 1998 eine Möglichkeit geschaffen, die inneren Konflikte aus widersprüchlichen Rollenanforderungen sichtbar und damit bearbeitungsfähig zu machen. Übertragen auf unser Thema, heißt dies: Für jede Rolle, die ein Politiker ausführen muss, sollte in seinem Inneren Team ein Mitglied mit ganz bestimmten menschlichen und kommunikativen Qualitäten bereitstehen. Ein idealer Politiker hätte also in seinem Inneren Team zur Verfügung: » den Visionär und den Macher, » den Anführer und den Repräsentanten, » den Sprecher der Herzen und den nüchternen Analytiker, » den Polarisierer und den Vermittler. Natürlich sind noch weitere Teammitglieder denkbar, die für die Betrachtung anderer Aspekte interessant wären. So sind z. B. die innere «Diva» und das innere «Mäuschen» für Maud Winkler und Anka Commichau typische Teammitglieder bei Vortragenden (Winkler/Commichau, 2005, S. 28). Ulrich Sarcinelli erwähnt das Dilemma der Wahlkreisorientierung gegenüber der Orientierung an gesamtstaatlichen Interessen, welches in den USA durch das Gegensatzpaar «home-style» und (Capitol-)«hill-style» ausgedrückt wird (Sarcinelli, 2005, S. 98). Beschränken wir uns hier auf die acht genannten idealtypischen Teammitglieder und schicken wir den Politiker nun mit dieser inneren Mannschaft durch ein paar typische Stationen auf dem Weg eines erfolgreichen Politikers: vom Zeitpunkt seiner Entscheidung für das politische Engagement über die parteiinternen und äußeren Wahlkämpfe und ihre VorbereitungsDie innere Drehbühne der Politik 135 phasen bis zur Regierung. Wir werden feststellen, dass die unterschiedlichen Situationen völlig unterschiedliche Teamaufstellungen erfordern. Das Oberhaupt (nach Schulz von Thun der «Chef» des Inneren Teams) steht also vor der Aufgabe, jedes Mal neu zu entscheiden, wie das Team aufgestellt sein sollte, wer vorne stehen, wer welche Rolle spielen, wer sich im Rampenlicht sonnen und wer möglichst in den Hintergrund treten und sich zeitweise zurücknehmen sollte. Fangen wir bei der Bewerbung um eine Funktion in einer Partei an. » Vom Mitglied zum Kandidaten Wer in einer Demokratie politisch Einfluss gewinnen will, muss als Erstes versuchen, seiner eigenen Sichtweise Gewicht zu verschaffen. Allerdings kommt es nicht auf die individuelle, sondern auf eine mit anderen gemeinsame Sichtweise an, wenn man demokratische Mehrheiten gewinnen will. Wird man zum Stellvertreter für die Interessen einer ganzen Gruppe gewählt, steigt der eigene Einfluss, denn dann kann man auch in deren Namen sprechen. Der erste Schritt auf dem Weg zu mehr politischem Einfluss besteht deshalb darin, zum Repräsentanten seiner eigenen Gruppe gewählt zu werden. Um innerhalb einer Partei zum Repräsentanten, Stellvertreter, Sprecher oder zum Kandidaten für ein Parlament gewählt zu werden, gilt es, möglichst gut auf den Punkt zu bringen, was deren gemeinsamen Charakter ausmacht. Denn eine Parteiversammlung wählt in der Regel jene Person zu ihrem Repräsentanten, der es am besten gelingt, ihrer Gruppenidentität gesellschaftlichen Einfluss zu verschaffen – also denjenigen, der die «Seele der Partei» am besten verkörpert und dem am ehesten zugetraut wird, den Gruppenzielen Erfolge zu verschaffen. 136 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent Wir wollen uns dafür anschauen, wie die Mitglieder des Inneren Teams auf der inneren Bühne des Politikers platziert sind (s. Abb. 2). Bei der Kandidatenkür steht der «Sprecher der Herzen» im Vordergrund der Bühne. Er bringt die Gruppenidentität zum Ausdruck und beweist den versammelten Parteimitgliedern, dass er einer der Ihren ist. In den Hintergrund gehört dagegen der «nüchterne Analytiker», der auch die Gegenpositionen und die Kritik an der eigenen kennt und versteht. Schließlich soll eine Person gefunden werden, welche die eigene Gruppenidentität nach außen vertritt, und nicht eine, die diese so in Zweifel zieht, wie es große Teile der Außenwelt sowieso schon tun. In den Vordergrund gehört außerdem der Visionär, der die Hoffnung auf große Ziele und die erwünschte Zukunft vertritt. Der ergebnisorientierte Realist stört da eher, denn er müsste auch die Mühen der Ebene, die Existenz anderer gesellschaftlicher Kräfte und die Relativität des eigenen Standpunktes ­benennen. Das sind eher schlechte Nachrichten, welche die Stimmung in der eigenen Gruppe belasten würden – der ­Realist liefe also Gefahr, die Kirche leer zu predigen. Das müssen wir im Sinne des Erfolgs einkalkulieren, sosehr wir uns als Teile einer aufgeklärten Gesellschaft auch wünschen mögen, dass allein sachliche und differenzierte Argumente überzeugen. Gleichwohl können wir darauf setzen, dass in einer Parteiversammlung bei den Zuhörern das nüchterne Denken nicht gänzlich außer Kraft gesetzt ist und dass daher reiner Utopismus und Demagogie womöglich abschreckend wirken. Außerdem würde damit eine Atmosphäre geschaffen, die es im Falle des Erfolgs mittelfristig schwerer machte, die eigene Basis von notwendigen schmerzhaften Abstrichen zu überzeugen. Ein kluger Politiker ist daher gut beraten, wenn er den Realisten Die innere Drehbühne der Politik 137 Abb. 2: Inneres Team Kandidatenwahl 138 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent nicht allzu sehr an die Kontaktlinie schickt – ihn jedoch als inneren Ratgeber präsent hält und ihn nicht ganz von der Bühne verbannt. Polarisierer und Vermittler im Inneren Team können situationsbezogen positioniert werden: Gibt es innerparteiliche Konflikte, so kann eine gelungene Vermittlung dazu führen, Zustimmung von allen Seiten, Lagern oder Flügeln einer Partei zu erhalten. Sind die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei dagegen sicher, so kann es mehr Erfolg versprechen, sich klar polarisierend zur Mehrheit zu bekennen. In der Charakterisierung und Bewertung der politischen Gegenwelt kommt dem Polarisierer in jedem Fall eine hohe Bedeutung zu. Die Parteigruppe wird sich erst einmal in ihrer Identität bestärkt fühlen, wenn die Konkurrenz in finsteren Farben als Irrtum der Weltgeschichte präsentiert wird. Darin liegt eine große Verführung zur Abwertung der politischen Gegner. Auch hier gilt jedoch: Wer mittel- und langfristig Vertrauen und Glaubwürdigkeit erlangen möchte und sich für ein respektvolles Miteinander einsetzt, sollte sich an dem Kunststück versuchen, den inhaltlichen Unterschied deutlich zu machen, ohne Andersdenkende zu diskriminieren. Ebenso differenziert muss mit der Spannung zwischen den Teammitgliedern Anführer und Repräsentant umgegangen werden. Einerseits geht es darum, sich als Repräsentant zu empfehlen, das heißt als ausführendes Organ der Basis. Andererseits muss dem Kandidaten auch Stehvermögen zugetraut werden, er muss nicht nur ausführen, sondern auch anführen und sich gegen Widerstände auch in den eigenen Reihen durchsetzen können. Mit dieser Bühnenaufstellung des Inneren Teams scheint uns die Kommunikation bei der Bewerbung für eine politische Position am aussichtsreichsten. Was passiert nun, wenn unser Die innere Drehbühne der Politik 139 gutaufgestelltes Mitglied tatsächlich zum Kandidaten gewählt wird? » Der Wahlkampf wird geplant Als Kandidat einer Partei ist man gut beraten, sich an der Planung des Wahlkampfes verantwortlich zu beteiligen. Schließlich wird der eigene Auftritt im Rahmen des Wahlkampfkonzeptes stattzufinden haben. In der Wahlkampfplanung geht es unter anderem darum, die Spannung zu bewältigen, die dadurch entsteht, dass man einerseits das Angebotsprofil der eigenen Partei zu repräsentieren hat, andererseits auch auf die Nachfragemerkmale der Wählerschaft reagieren muss (s. Abb. 3). Bekenntnis zum spezifischen Politikangebot Entwertende Übertreibung Parteibornierte Sturheit Positive Spannung Ausrichtung auf die aktuelle Wählernachfrage Konträre Gegensätze Überkompensation Entwertende Übertreibung Populismus Abb. 3: Werte- und Entwicklungsquadrat Wahlkampfspannung 140 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent Institutionell werden die Parteiinteressen in Reinform zumeist von den Vorständen vertreten, die das Innenleben der Partei widerspiegeln. Fraktionsvorstände und Kandidaten hingegen haben überwiegend die Außenvertretung der Parteipolitik zu leisten und stehen dementsprechend stärker auf der Seite der Wählernachfrage. Im Wahlkampf gilt es darüber hinaus zu berücksichtigen, wie sich die politischen Wettbewerber verhalten. Denn auch die konkurrierenden Parteien wollen bei den umkämpften Wählern als die beste Alternative erscheinen. Außerdem muss man versuchen, in der öffentlichen Meinung diejenigen Themen aufzuwerten, bei denen die Wähler der eigenen Partei am meisten vertrauen. Ein gutes Wahlkampfkonzept ist deshalb eine wichtige Erfolgsvoraussetzung. Mit welcher inneren Bühnenaufstellung sollte nun unser frischgewählter Kandidat in die Gremien gehen, in denen die Wahlkampfplanung stattfindet? Im Gegensatz zum Inneren Team der Wahlversammlung gehört der «Sprecher der Herzen» jetzt in den Hintergrund (s. Abb. 4). Stattdessen wird auf der Vorderbühne der «nüchterne Analytiker» benötigt. Jetzt muss nämlich herausgefunden werden, welche Stärken die Wähler bei den anderen Parteien sehen und welche Strategien deshalb von der Konkurrenz zu erwarten sind. Insbesondere die illusionslose Analyse der eigenen Stärken und Schwächen mit den Augen der Wähler verlangt die Fähigkeit des Perspektivwechsels, das Heraustreten aus der heimeligen Gruppenidentität. Zudem wird auch der «Vermittler» zwischen den verschiedenen legitimen innerparteilichen Perspektiven auf den Wahlkampf gebraucht. Der «Polarisierer» gehört demgegenüber in den Hintergrund, um zu vermeiden, dass zu diesem falschen Zeitpunkt in der eigenen Partei gegeneinander WahlDie innere Drehbühne der Politik 141 Abb. 4: Inneres Team Wahlkampfplanung 142 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent kampf gemacht wird. Sowohl der innere «Repräsentant» als auch der innere «Anführer» haben wieder mittlere Rollen auf der inneren Bühne. Der Repräsentant orientiert sich an den Interessen seiner Basis und kann diese daher motivieren, den gemeinsamen Wahlkampf nach Kräften zu unterstützen. Mit Blick auf die Wählernachfrage muss der Politiker aber auch den «Anführer» präsent haben, der Anforderungen von außen in die Gremiendiskussion einbringt. Diesmal kommt neben dem inneren «Visionär» auch der innere machtbewusste «Macher» situationsbezogen zum Einsatz. Der innere «Visionär» muss für die große Orientierung im Wahlkampf sorgen, während der innere «Macher» eine Doppelfunktion bekommt: Einerseits sollte er zu vermeiden helfen, dass die Wahlversprechungen zu groß werden. Denn dann wäre das anschließende Scheitern an diesen Versprechungen vorprogrammiert. Außerdem sollte er die eigenen Wahlkampfkräfte realistisch einschätzen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Mit dieser Bühnenaufstellung lässt sich der optimale Einfluss auf eine gute Wahlkampfplanung erreichen. Gleichzeitig ist sie die Basis für einen erfolgreichen Einsatz des Kandidaten im Wahlkampf selbst. » Als Kandidat im Wahlkampf Der gewählte Kandidat tritt nun im Wahlkampf gegen die anderen Parteien an. Jetzt heißt es, Wähler dazu zu bewegen, ihre Wahlentscheidung für die eigene Partei zu treffen. Klassischer Bestandteil von Wahlkämpfen sind Diskussionen konkurrierender Kandidaten vor mehr oder weniger großem Publikum. Dabei müssen Unterschiede zwischen den Parteien deutlich gemacht werden. Die positive Überhöhung der eigenen und Die innere Drehbühne der Politik 143 die entwertende Übertreibung der anderen Positionen liefern hierfür ein Grundmuster. Kleine Differenzen werden zu großen Klüften zwischen verschiedenen Wertewelten aufgebauscht. Politiker, denen Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Genauigkeit wichtig sind, geraten dabei logischerweise in einen Wertekonflikt. Hier beginnt die große Herausforderung der politischen Kommunikation: Wie kann das Polarisierende und durchaus auch Polemische in den Vordergrund treten, ohne dass die Kommunikation in rüde und abgefeimte Entwertung abgleitet? Eine andere Frage ist, ob man glaubt, dass die Herabwürdigung des Gegners und eine platte Selbstbeweihräucherung letztlich erfolgversprechend sind oder nicht. Wir gestehen, dass wir uns darüber nicht ganz sicher sind. Wir haben Beispiele vor Augen, wo wir zutiefst darüber erschrocken waren, mit was für einem offen entwertenden und lügenhaften Stil man Wahlen gewinnen kann. Zugleich kennen wir andere Fälle, bei denen ebendieser Stil erfolglos blieb, weil die Wähler sich angeekelt abwandten. Gerade im Wahlkampf ist also die Frage, wie Werteorientierung und Erfolgswille ausbalanciert werden sollten, schwer zu beantworten. Sie hängt von der Einschätzung der aktuellen politischen Lage ab, vom Bild, das der Politiker von seinen Wählern hat, vom Verhalten des politischen Gegners und nicht zuletzt von der höchst persönlichen Abwägung zwischen eigener Werteorientierung und dem Willen zum Erfolg. Und womöglich sollte auch eine Rolle spielen, wie dick die eigene Haut ist, welchen Wahlkampfstil man also ertragen kann und will. Anders gesagt: Diese Entscheidung ist eine sehr persönliche. Der einzelne Politiker steht also vor der Frage, wie er sich im häufig ruppigen politischen Wettbewerb behaupten will und 144 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent inwieweit er sich Fairness mit Blick auf Wahlerfolge glaubt leisten zu können. Für die politische Kultur einer Demokratie insgesamt dürfte jedoch gelten: «Hart, aber fair» zahlt sich mehr aus als «rüde und verunglimpfend». Denn wenn Politiker sich gegenseitig als dumm und charakterlos an den Pranger stellen, leisten sie langfristig und dauerhaft einen Beitrag zum katastrophalen Bild ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit und damit zur Demokratieverdrossenheit. Dass Politiker machtgeil, unfähig und korrupt seien, haben sie sich doch schließlich gegenseitig oft, gerne und öffentlichkeitswirksam bescheinigt. Mit Kommunikation unterhalb der Gürtellinie sägen sie daher langfristig an dem Ast, auf dem sie selber sitzen. Was kann man aus diesen Überlegungen für eine Bühnenaufstellung des Inneren Teams ableiten, die in Wahlkampfzeiten Erfolg verspricht? Der «Sprecher der Herzen» sollte wieder aus dem Hintergrund hervortreten und erneut an den vorderen Bühnenrand kommen (s. Abb. 5). Der «nüchterne Analytiker» sollte jedoch in der Nähe bleiben, denn er wird gelegentlich als Ratgeber in schwierigen Situationen und als Garant der eigenen Werteorientierung gebraucht. Jetzt schlägt auch die große Stunde des «Polarisierers», der einen wichtigen Platz ganz vorne auf der inneren Bühne verdient, während sich der Vermittler in den Hintergrund zurückziehen muss. «Anführer» und «Repräsentant» spielen erneut schillernde Rollen im Mittelfeld: Natürlich wollen die Wähler sich einerseits repräsentiert fühlen, andererseits suchen sie aber auch mehr oder weniger heimlich Führungspersonen, die sie durch die komplizierte Welt geleiten. Kein Wunder also, wenn Politiker sich darum bemühen, stark und souverän zu wirken und den Eindruck zu erwecken, sie hätten alles im Griff Die innere Drehbühne der Politik 145 Abb. 5: Der Kandidat im Wahlkampf 146 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent oder doch zumindest das Zeug dazu, alles in den Griff zu bekommen. Mit dem Image eines Ohnmächtigen oder eines Verlierers lässt sich schwer gewinnen. Im Wahlkampf wird auch der Visionär wieder auf der Vorderbühne gebraucht. Er vertritt nicht nur die Positionen der eigenen Politik und hat das Zeug dazu, durch die eigene Überzeugung auch andere zu begeistern. Er kann darüber hinaus kleine Unterschiede zu großen Wertefragen ausbauen und den Kandidaten als Anwalt der großen Ziele in Erscheinung treten lassen; damit spielt er dem Polarisierer in die Hände. Seinem Gegenspieler, dem realistischen Macher, kommt jetzt lediglich die Bedeutung zu, allzu unrealistische Übertreibungen zu verhindern (denn die Wirklichkeit kann einen schnell einholen). Aber der Wahlkampf ist nicht die Zeit des Zweifels und Abwägens, hier geht es darum, Begeisterung und Zuversicht, und wo nicht Zuversicht, so doch wenigstens Hoffnung zu wecken. Natürlich haben neben der Kommunikation des Kandidaten auch die aktuelle politische Situation, die Beliebtheit der Partei bei den Wählern oder das Verhalten der Konkurrenz einen wichtigen Einfluss auf das Wahlergebnis. Wir wollen jedoch unterstellen, dass alles erfolgreich gelaufen ist und die Partei unseres Kandidaten gut abgeschnitten hat, ohne allerdings die absolute Mehrheit erreicht zu haben. Um in die Regierung zu kommen, muss deshalb ein politisches Bündnis mit einer anderen Partei geschlossen werden, welches die für Parlamentsentscheidungen und Wahlen erforderliche Mehrheit sichert. » Als Verhandler des Koalitionsvertrages Dafür ist es nötig, sich auf gemeinsame politische Ziele zu verständigen und die Bedingungen der Zusammenarbeit zu Die innere Drehbühne der Politik 147 regeln. Das geschieht in einem Koalitionsvertrag; er ist die Grundlage für eine Regierung, an der mehrere Parteien beteiligt sind. In ihm werden die gemeinsamen Vorhaben fixiert, die Regierungsämter aufgeteilt, Leitlinien der Regierungsführung festgelegt und vereinbart, im Parlament abgesprochen zu handeln. Der Vertrag muss deshalb vor der Regierungsbildung ausgehandelt werden. Dafür bestimmen die Parteien, die eine Koalitionsbildung beabsichtigen, Verhandlungskommissionen. Koalitionsverhandlungen finden zumeist direkt nach den Wahlen und deshalb auch kurz nach den Wahlkämpfen statt. Was bedeutet das für die Aufstellung auf der inneren Bühne unseres erfolgreichen Politikers? Das Innere Team muss wieder komplett umgruppiert werden. Während im Wahlkampf der «Visionär» und der «Polarisierer» einen Ehrenplatz weit im Vordergrund der Bühne besetzt hatten, müssen sie sich nun zurückziehen (s. Abb. 6). Was damals eine erfolgversprechende Qualität war, wird jetzt zur Störgröße, und nicht die Unterschiede zwischen den Parteien, sondern ihre Gemeinsamkeiten stellen die Grundlage für die angestrebten Koali­ tionsverträge dar. Deshalb gehört jetzt der innere «Vermittler» in den Vordergrund, was nicht mit einem «Schmusekurs» zu verwechseln ist, den manche der Boulevardjournalisten gerne im Munde führen. Und statt strahlender Visionen werden nunmehr die tatsächlich zu realisierenden Vorhaben verhandelt. Der innere «Visionär» muss deshalb seinen Platz für den am Ergebnis orientierten, realistischen «Macher» räumen. Auch für den «Sprecher der Herzen» ist jetzt eine Pausenzeit angebrochen, denn Emotionen sind wenig verhandelbar, und das Formulieren und Erreichen von Kompromissen sowie die Suche nach tatsächlichen Möglichkeiten gemeinsamer Politik sind eher die Stärken des «nüchternen Analytikers». Hat148 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent Abb. 6: Inneres Team bei Koalitionsverhandlungen Die innere Drehbühne der Politik 149 te sich das Paar aus innerem «Anführer» und «Repräsentant» bisher oft gemeinsam im Mittelfeld gefunden, so gehört nun eindeutig der «Repräsentant» in den Vordergrund. Denn die Emissäre in der Verhandlung agieren jeweils im Auftrag ihrer Parteien. Und diese sollen anschließend dem ausgehandelten Vertragswerk zustimmen. Deshalb muss so viel wie möglich von den Vorstellungen der eigenen Partei darin wiederzufinden sein. Dafür sorgt der innere «Repräsentant» des verhandelnden Politikers. Wenn die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den beteiligten Parteien hinreichend sind, kann ein Politiker mit dieser Mannschaftsaufstellung dazu beitragen, dass ein tragfähiger Koalitionsvertrag zustande kommt. » Als Verhandler vor der eigenen Partei Die Zustimmung der Parteien zum ausgehandelten Koali­ tionsvertrag ist ein wichtiger Schritt, um die darauf aufbauende ­Koalitionsregierung politisch zu legitimieren. Nicht die Mitglieder der Verhandlungskommission, sondern die zuständigen Parteigremien entscheiden letztlich über die Tragfähigkeit der getroffenen Vereinbarung. Die Verhandler müssen ihre Parteibasis deshalb davon überzeugen, dass das Verhandlungsergebnis gut oder zumindest annehmbar ist. Aus guten Gründen werden Koalitionsverhandlungen nicht öffentlich geführt. Ein Fortbestehen der polarisierenden Haltungen aus dem Wahlkampf wäre sonst wohl unvermeidlich und eine Einigung kaum zu erzielen. Der Preis dafür ist, dass die Parteibasis, die an den Verhandlungen nicht teilgenommen hat und eher noch Feindbilder aus dem Wahlkampf vor Augen hat, nun üblicherweise schwer nachvollziehen kann, warum sich Fronten, Argumente und Stimmungen plötzlich ganz 150 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent anders darstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass in normalen Koalitionsverträgen beide Seiten zwar Teile ihrer Vorstellungen durchsetzen können, gleichzeitig aber auch Kröten zu schlucken haben. Daher kann und wird sich an der Basis Enttäuschung ausbreiten über die Zumutungen, die ihre Vertreter hingenommen haben. Für den Auftritt auf der entsprechenden Parteiversammlung muss der erfolgreiche Politiker deshalb seinen inneren «Anführer» nach vorne holen (s. Abb. 7). Er muss seiner Gefolgschaft vermitteln, dass das Verhandlungsergebnis ein Fortschritt ist, die Erfolge der anderen Seite nicht unbedingt der eigenen Sache abträglich sein müssen, und dass eine Zustimmung zu diesem Vertragsentwurf den Parteiinteressen in der aktuellen Situation am besten dient. Diese Zustimmung kann er umso eher gewinnen, je besser er verhandelt und je glaubwürdiger er agiert hat. Hier zahlt sich eine authentische und glaubwürdige Haltung auch unter Erfolgskriterien aus! Argumentationshilfe liefern der «nüchterne Analytiker» und der realistische «Macher». Denn die Ablehnung des Vertrages würde bedeuten, unter Wirkungsgesichtspunkten mit leeren Händen dazustehen. Der innere «Visionär» darf aus dem Mittelfeld noch langfristige Perspektiven eröffnen und der «Sprecher der Herzen» die Schmerzen über das gegenüber den Wahlkampfversprechen oft magere Ergebnis mitfühlen. So können beide die Überzeugungsarbeit aus dem Hintergrund unterstützen, ohne zu sehr zu Spielführern zu werden, die die Zustimmung der Basis gefährden könnten, wenn sie zu weit vorne ständen. Nehmen wir an, dass es mit Hilfe dieser Aufstellung gelungen ist, die Enttäuschung der Basis sowohl aufzunehmen als auch zu überwinden. Dann geht es endlich ans Regieren! Die innere Drehbühne der Politik 151 Abb. 7: Inneres Team bei der Vertretung des Verhandlungsergebnisses vor der eigenen Basis 152 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent » Als regierender Politiker Wer es bis dahin geschafft hat, sieht sich als Regierungsmitglied wiederum neuen Herausforderungen gegenüber. Jetzt sollen unter anderem die Versprechungen aus dem Wahlkampf verwirklicht werden. Die erste Erkenntnis im neuen Amt ist aber regelmäßig, dass auch eine Regierung nicht allmächtig ist. Sie hat sich zuerst einmal in dem engen rechtlichen und finanziellen Rahmen zu bewegen, den sie vorfindet. Außerdem verfolgen andere Akteure wie z. B. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Interessenverbände und Medien jeweils eigene Interessen und verfügen ebenfalls über eine gewisse gesellschaftliche und politische Macht. Ein regierender Politiker muss deshalb mehr oder weniger zeitgleich in verschiedene Richtungen kommunizieren. Deshalb sollte zuerst der «Polarisierer» auf der inneren Bühne zurückgezogen werden (s. Abb. 8). Er hat höchstens dann einen Auftritt, wenn es darum geht, sich klar und pointiert gegen Kritik oder Angriffe zur Wehr zu setzen oder gegen Konkurrenten abzugrenzen. Die Grundhaltung des regierenden Politikers sollte jedoch vom inneren «Vermittler» geprägt sein – auch deswegen, weil er das ganze Volk und nicht nur seine eigene Partei zu vertreten und zu regieren hat. Zwei andere Mitglieder des Inneren Teams müssen in sorgfältiger Ausgewogenheit gemeinsam auftreten: der «Sprecher der Herzen» und der «nüchterne Analytiker». Kalte Technokraten möchte das Volk ebenso wenig in der Regierung sehen, wie es langfristig mit emotionalen Schaumschlägern zufrieden ist. Nun kommt es auch auf den inneren «Anführer» an: Ihm obliegt es, dem Volk die Notwendigkeit der eingeschlagenen Richtung zu vermitteln und ihm dabei unter Umständen auch etwas abzuverlangen und aufzubürden. Zugleich muss der Politiker deutlich machen, dass er sich als Die innere Drehbühne der Politik 153 Abb. 8: Inneres Team des regierenden Politikers 154 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent «Repräsentant» an den Auftrag des Wählers gebunden fühlt. Kein leichtes Kunststück, das «Führen» und «Dienen» in der Balance zu halten! Außerdem muss der innere «Visionär» gelegentlich die Richtung beschreiben, in die die Reise gehen soll. Der realistische «Macher» wird dabei darauf zu achten haben, dass die Beschwörung einer Vision nicht dazu führt, die realen Ergebnisse des Regierungshandelns als dürftig erscheinen zu lassen. Will die Regierung erfolgreich sein, muss dieser innere Spieler eindeutig den Ton angeben. Schließlich ist das Besondere an einem regierenden Politiker, dass man seine Worte so gut mit seinen Taten vergleichen kann. Jede Abweichung schädigt seine Glaubwürdigkeit. Im scharfen Wettbewerb um politische Einflusspositionen ist der Verlust von Glaubwürdigkeit jedoch ein schweres Handicap mit gravierenden Konsequenzen. Glaubwürdigkeit gegen Rollenflexibilität Was ziehen wir nun für Schlüsse aus diesem Marsch durch die politischen Stationen? Es hat sich gezeigt: Jede Grundsituation erfordert eine andere Mannschaftsaufstellung. Das ist jedoch nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Denn jeder hat seine inneren Stammspieler, niemand kann alle Positionen gleich überzeugend besetzen. Manche Rollen werden also immer besser zur Persönlichkeit passen als andere. So gibt es höchst begabte Wahlkämpfer, die aber Schwierigkeiten bekommen, wenn es ans Regieren geht. Bei der Bundestagswahl 2005 war z. B. deutlich zu erkennen, dass Gerhard Schröder ein sehr talentierter Wahlkämpfer ist. Seine Inneren Teammitglieder «Polarisierer» und Die innere Drehbühne der Politik 155 «Herzenssprecher» waren überaus leistungsfähig. Im Inneren Team von Angela Merkel dominierten demgegenüber eher die «Vermittlerin» und die «nüchterne Analytikerin». Somit lässt sich verstehen, warum Merkel nach überraschend schlechtem Wahlergebnis als frischgewählte Kanzlerin plötzlich in die Spitzenregion der Beliebtheit aufstieg: Zur Kanzlerrolle passen die Stärken in ihrem Inneren Team viel besser als zur Wahlkämpferin. Dazu kommt: Allzu unterschiedliche Auftritte ein und desselben Politikers werden häufig (vielleicht nicht zu Unrecht!) als opportunistisch wahrgenommen und schaden der Glaubwürdigkeit. Bei aller «personalen Bandbreite», die es ermöglicht, rollenflexibel sehr unterschiedlichen politischen Grundsituationen gewachsen zu sein, braucht es auch eine «personale Konstante»: etwas Wiederkehrendes in Haltung und Stil, was den Politiker in seinem Kern ausmacht und ­unverwechselbar sein lässt (vgl. Schulz von Thun, 1998, S. 236 f.). Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, das Dilemma zwischen Werteorientierung und Machtbewusstsein (vgl. Abb. 9 ) nicht allein zugunsten der Perspektive von Wirkung, vordergründigem Erfolg und Macht zu lösen. Ohne eine innere Überzeugung, ohne eine glaubwürdige Orientierung an eigenen Zielen und Werten verkommt ein Politiker zu einer janusköpfigen Charaktermaske und zum Wendehals, der zwar geschmeidig ist, aber inhaltsleer agiert. Er kann und wird auf Dauer nicht glaubwürdig sein können. Das Verständnis der je unterschiedlichen Situations- und Rollenanforderungen und der dazu passenden inneren Teamaufstellungen ist daher notwendig, aber nicht ausreichend für erfolgversprechendes politisches Handeln – und (hoffentlich) wohl auch nicht für eine Zufriedenheit mit der eigenen Politik. 156 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent Die Anpassung des Inneren Teams an die Erfordernisse der jeweiligen politischen Grundsituation braucht als Gegengewicht ein authentisches und berechenbares politisches und menschliches Profil. Situationsgerechte Flexibilität Entwertende Übertreibung Geschmeidiges wendehälsisches Opportunitätsdenken Positive Spannung Konträre Gegensätze Überkompensation Authentische Profilierung Entwertende Übertreibung Unflexibles Beharren Abb. 9: Werte- und Entwicklungsquadrat Rollenflexibilität Schlussfolgerungen und Vorschläge: Für gute Politik reichen inhaltliche Kompetenz und der Wunsch, dem Allgemeinwohl zu dienen, nicht aus. Erfolgreich kann ein Politiker nur dann sein, wenn er auch aufklärend und gewinnend, dialogfähig und authentisch agieren und kommunizieren kann. Darüber hinaus kann eine übertriebene Festigkeit des eigenen Standpunktes ohne die Offenheit geDie innere Drehbühne der Politik 157 genüber den Argumenten und Perspektiven anderer zu Borniertheit und Beratungsresistenz führen. Wir haben aufgezeigt, dass sich die kommunikative Kompetenz des Politikers in vielfältige Kompetenzen aufgliedern lässt: Ein Politiker muss » sich der kommunikativen Herausforderungen der jeweiligen Situation bewusst sein, » die notwendigen Mitglieder des Inneren Teams ausreichend entwickelt verfügbar haben und » die richtige Aufstellung des Inneren Teams auf der inneren Bühne finden, » das Dilemma zwischen Wirkungsorientierung und Werteorientierung, zwischen der flexiblen Anpassung an die Situation und der Treue zu den eigenen Werten und sich selber lösen können. Aus dieser Konzeption ergibt sich für die Politikberatung ein anspruchsvolles Konzept. Denn es kann nicht um bloße Imageoptimierung vor der Kamera gehen (mehr Lächeln und weniger «Ähs»). In den Mittelpunkt tritt vielmehr einerseits eine genaue Situationsanalyse und andererseits Unterstützung dabei, die eigene personale Bandbreite zu erkennen und zu erweitern und eine stimmige innere Mannschaftsaufstellung zu etablieren, die den wechselnden Rollenanforderungen und den darin enthaltenen Rollendilemmata gerecht wird. Literatur » Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Hamburg: Hoffmann und Campe. » Dörner, D. (1992): Die Logik des Misslingens. Reinbek: Rowohlt. » Leinemann, J. (2005): Höhenrausch. München: Heyne. 158 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent » Llosa, M.-V. (1995): Der Fisch im Wasser. Frankfurt am Main: Suhrkamp. » Sarcinelli, U. (2005): Politische Kommunikation in Deutschland. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. » Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden 1. Reinbek: Rowohlt. » Schulz von Thun, F. (1989): Miteinander reden 2. Reinbek: Rowohlt. » Schulz von Thun, F. (1998): Miteinander reden 3. Reinbek: Rowohlt. » Stahl, E. (2002): Dynamik in Gruppen. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz. » Weber, M. (1919): Politik als Beruf. Stuttgart: Reclam. » Winkler, M., und Commichau, A. (2005): Reden. Reinbek: Rowohlt.